Empathie und Mitgefühl als psychologische Fähigkeiten

Unterschiede, Zusammenhänge und Möglichkeiten ihrer Entwicklung


Livre Spécialisé, 2018

60 Pages


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abstract / Zusammenfassung

1 Einleitung

2 Definitionen und Begriffsabgrenzungen
2.1 Definition von Empathie
2.2 Abgrenzung von Empathie zu ähnlichen Phänomenen
2.3 Definition von Mitgefühl
2.4 Unterschiede und Zusammenhänge von Empathie und Mitgefühl

3 Messung von Empathie und Mitgefühl
3.1 Interpersonal Reactivity Index (IRI)
3.2 Saarbrücker Persönlichkeitsfragebogen (SPF)
3.3 Movie for the Assessment of Social Cognition (MASC)

4 Unterschiede von Empathie und Mitgefühl auf weiteren Ebenen
4.1 Neuronale Grundlagen und Unterschiede
4.2 Kulturelle Unterschiede
4.3 Unterschiede in der Psychotherapie

5 Störung von Empathie
5.1 Psychopathie
5.2 Autismus-Spektrum-Störung
5.3 Alexithymie

6 Förderung von Empathie und Mitgefühl

7 Diskussion

8 Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Interpersonal Reactivity Index (IRI)

Saarbrücker Persönlichkeitsfragebogen (SPF)

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1. Mitgefühl und empathischer Disstress. Schematisches Model zur Unterscheidung von zwei empathischen Reaktionen auf das Leid anderer Personen

Abbildung 2. Das limbische System in zwei Ansichten.

Abbildung 3. Überlappende Gehirnaktivitäten in fMRT-Studien über empfundene Empathie für Ekel,

Abbildung 4. Empathienetzwerk

Abstract / Zusammenfassung

Die vorliegende Bachelorarbeit beschäftigt sich mit den Unterschieden und Zusammenhängen von Empathie und Mitgefühl aus verschiedenen Perspektiven. Im allgemeinen Wortgebrauch werden diese Begriffe häufig synonym verwendet, jedoch lassen sich auf mehreren Ebenen bedeutsame Unterschiede feststellen. Beide Konstrukte beschreiben zwar die Fähigkeit, sich emotional und kognitiv in eine andere Person hineinversetzen zu können, doch während bei Empathie dieselben Gefühle geteilt werden und es somit bei negativen Emotionen zu gesundheitlichen Schäden kommen kann, geht es beim Mitgefühl eher darum, Gefühle von Wärme und Anteilnahme zu entwickeln, gekoppelt mit einer Motivation zu prosozialen Handlungen. Trotz dieser Unterscheidungen hängen die beiden Fähigkeiten insofern zusammen, als dass sie ineinander übergehen können. Zur Messung der Konstrukte kommen neben bildgebenden Verfahren häufig Fragebögen, wie der Interpersonal Reactivity Index (IRI) zum Einsatz. Auf neuronaler Ebene zeigen sich Aktivierungen in der anterioren Insula und im anterioren cingulären Kortex bei Empathie, während das Mitgefühl u.a. Aktivierungen im medialen orbitofrontalen Kortex auslöst. Studien mit kulturellem Bezug zeigen, dass Personen aus westlichen Kulturen mehr empathische Teilhabe und weniger Disstress als asiatische Personen empfinden. Bei einigen psychologischen Phänomenen, z.B. Psychopathie, Autismus-Spektrum-Störung und Alexithymie sind bestimmte Komponenten der Empathiefähigkeit eingeschränkt, es gibt jedoch zahlreiche Möglichkeiten, sowohl Empathie, als auch Mitgefühl zu fördern.

The present bachelor thesis deals with the differences and coherences of empathy and compassion from different perspectives. In common parlance these terms are often used synonymously, however, significant differences can be ascertained at several levels. Though both constructs describe the ability to put oneself in somebody else’s position emotionally and cognitively, however, with empathizing the same feelings are shared and therefore negative emotions can lead to health damages while with compassion feelings of warmth and condolence linked with the motivation to prosocial actions, arise. Despite these differences both abilities are connected to each other, as they can lead to one another. Beside imaging techniques, questionnaires, like the Interpersonal Reactivity Index (IRI) are often used for the measurements of these constructs. At the neurological level, activations in the anterior Insula and in the anterior cingulate cortex appear with empathy, while compassion leads to activations in, inter alia, the media orbitofrontal cortex. Studies with cultural relation show that people from western cultures feel more empathic concern and less distress than Asian people. Some psychological phenomena, for instance psychopathy, autism and alexithymia show limited empathic abilities, nevertheless, there are also numerous possibilities to foster empathy, as well as compassion.

1 Einleitung

Die Begriffe Empathie und Mitgefühl bezeichnen komplexe Konstrukte, die bereits seit Jahrhunderten ein präsentes Thema sind (vgl. Hassenstab, Dziobek, Rogers, Wolf & Convit, 2007) und beschreiben die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und sowohl die Freude, als auch das Leid anderer Personen nachvollziehen und teilen zu können. Die Wichtigkeit dieser beiden Konstrukte ergibt sich vor allem aus sozialen Gründen, denn Empathie und Mitgefühl sind grundlegende psychologische Fähigkeiten, die im menschlichen Miteinander eine bedeutende Rolle spielen. Sie sind wesentlich für den Aufbau und den Erhalt von tragenden Beziehungen (Staemmler, 2008) und verhelfen dazu, Rückschlüsse über die mentalen Zustände anderer ziehen zu können, um deren Intentionen und Handlungen zu verstehen und vorhersagen zu können (Hein & Singer, 2008). In sozialen Kontexten sind Empathie und Mitgefühl essentiell, denn sie sind die Voraussetzung für Moral und prosoziales Verhalten (de Vignemont & Singer, 2006).

Wie es scheint, haben Empathie und Mitgefühl Gemeinsamkeiten, jedoch gibt es auf psychologischer und auf neuronaler Ebene einige deutliche Unterschiede. Sowohl im alltäglichen Sprachgebrauch, als auch in der wissenschaftlichen Literatur werden die beiden Begriffe Empathie und Mitgefühl häufig synonym verwendet, was verdeutlicht, dass es keinen eindeutigen Konsens über die Definitionen gibt (Batson, 2009). Empathie wird als komplexes, multidimensionales Konstrukt gesehen, welches in diversen wissenschaftlichen Disziplinen, wie die Neurologie, Psychologie, Philosophie und Wirtschaftswissenschaften erforscht wird, während das Mitgefühl in der Literatur vergleichsweise weniger Zuwendung findet.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich genau mit dieser Thematik, mit dem Ziel, eine klare Abgrenzung der Konstrukte Empathie und Mitgefühl auf mehreren Ebenen vorzunehmen. Zunächst werden die beiden Begriffe anhand von aktuellen Ergebnissen der Forschung und Literatur definiert und von anderen Begriffen, die ebenfalls weite Verbreitung als Synonyme finden, abgegrenzt. Die Unterschiede und potentielle Zusammenhänge auf psychologischer Ebene werden anschließend erläutert.

Im nächsten Kapitel geht es darum, Möglichkeiten der Messung von Empathie und Mitgefühl aufzuzeigen, um die Ergebnisse von der Forschung im richtigen Kontext setzen zu können. Hierfür werden einige bekannte psychologische Testverfahren vorgestellt.

In Kapitel vier werden die Unterschiede von Empathie und Mitgefühl auf weitere Augenmerkmale betrachtet. Zunächst werden die neuronalen Grundlagen und beteiligten Strukturen an den beiden Prozessen erläutert und anschließend beleuchtet, ob es aus neuronaler Sicht Unterschiede gibt. Als nächstes wird geprüft, ob und inwieweit die Kultur und das soziale Umfeld einen Einfluss auf die Entwicklung, beziehungsweise die Ausprägung von Empathie und Mitgefühl haben und zuletzt ob es Unterschiede der beiden Fähigkeiten in der Psychotherapie aus Sicht der Therapeuten gibt und welche der beiden Fähigkeiten angemessener im therapeutischen Umgang sind.

Ein weiterer Ansatz zur Analyse der begrifflichen Bestimmung und zur Erfassung der Relevanz von Empathie ist die Untersuchung psychischer Phänomene, bei denen die Empathiefähigkeit eingeschränkt auftritt oder sogar fehlt. Demnach werden im fünften Kapitel die Störungen Psychopathie, Autismus-Spektrum-Störung und Alexithymie im Hinblick auf ihre eingeschränkte Empathiefähigkeit überprüft.

Um einen allumfassenden Blick auf die Fähigkeiten zu geben, werden im Kapitel Förderung von Empathie und Mitgefühl entwicklungsfördernde Möglichkeiten und Trainings vorgestellt. Es existieren zahlreiche Ansätze, sowohl Empathie, als auch Mitgefühl zu fördern und zu trainieren (Gerdes & Segal, 2011; Singer & Klimecki, 2014; Van den Brink & Koster, 2015).

Zuletzt werden die Ergebnisse diskutiert und in einem Fazit mit Implikationen für die Zukunft zusammengefasst.

2 Definitionen und Begriffsabgrenzungen

2.1 Definition von Empathie

Laut de Vignemont und Singer (2006) gibt es fast genauso viele Definitionen von Empathie, wie Menschen, die sich damit beschäftigen. Empathie stellt im allgemeinen Wortgebrauch die grundlegende Fähigkeit dar, sich sowohl kognitiv, als auch emotional in einen anderen Menschen hineinzuversetzen, dessen Gefühle zu teilen und somit einen Einblick in seine Beweggründe zu erhalten. Die empathische Reaktion kann durch das Ausdrucksverhalten einer anderen Person oder durch die Situation, in der sie sich befindet, ausgelöst werden (Bischof-Köhler, 2006).

Der Begriff Empathie stammt vom deutschen Wort Einfühlung ab, welches, wie Titchener (1909) beschreibt, vom deutschen Künstler Theodor Lipps im Jahre 1903 eingeführt wurde und einen Prozess meint, in dem Beobachter versuchen, sich selbst in eine andere Person oder ein Objekt hineinzuversetzen. Titchener (1909) übersetzte den Begriff der Einfühlung ins englische Wort empathy, was aus dem altgriechischen Wort empátheia (leiden, fühlen) entspringt. Das Konzept unterlag im Laufe der Zeit zahlreichen Definitionsversuchen und Umschreibungen, die zu Uneinigkeit und Missverständnissen führten (Preston & de Waal, 2002). Bis heute sind die vorliegenden Definitionsansätze heterogen und es herrscht kein eindeutiger Konsens.

Empathie zeigt sich in den verschiedenen Forschungsfeldern der Psychologie als ein multidimensionales Phänomen. Je nach Kontext werden ihr andere Komponente zugeschrieben. Daher existieren verschiedene Theorien und Modelle nebeneinander, die sich teilweise aufeinander beziehen und sich zum Teil widersprechen. Trotz der Unstimmigkeiten kann in einer Hinsicht weitestgehend ein Konsens gefunden werden: Es dominiert die Annahme, dass das Konstrukt der Empathie sich sowohl aus kognitiven, als auch affektiven Komponenten zusammensetzt (Baron-Cohen, 2009; Blair & Blair, 2009; Davis, 1983; Decety & Jackson, 2006; Decety & Lamm, 2006; Eisenberg & Strayer, 1987; Rankin et al., 2006; Roth et al., 2016; Shamay-Tsoory, 2009). Die kognitive Komponente deckt die Fähigkeit, Gefühlszustände anderer zu erkennen und sich mental in sie hineinzuversetzen ab, wogegen die affektive Komponente die empathische Teilhabe umschreibt.

Decety und Jackson (2004) beschreiben sogar drei funktionelle Komponente der Empathie, die nur gemeinsam Empathie ermöglichen können. Dazu gehört als Voraussetzung die Emotionserkennung, beispielsweise anhand von Gesichtsausdrücken oder verbalen Äußerungen, die Perspektivenübernahme als kognitive Komponente und das affektive Nacherleben als Fähigkeit, seine eigenen Emotionen wahrzunehmen, um somit den emotionalen Zustand des Gegenübers simulieren zu können.

2.2 Abgrenzung von Empathie zu ähnlichen Phänomenen

Die vorliegende Arbeit orientiert sich an dem Empathiekonstrukt von de Vignemont und Singer (2006) mit der folgenden Definition.

Empathie besteht, wenn diese Bedingungen erfüllt sind:

1. Man befindet sich in einem affektiven Zustand;
2. Dieser Zustand gleicht dem affektiven Zustand einer anderen Person;
3. Der Zustand wurde durch die Beobachtung oder der Vorstellung des affektiven Zustandes der anderen Person ausgelöst;
4. Man ist sich bewusst darüber, dass die andere Person die Quelle des eigenen affektiven Zustandes ist;

Diese Kriterien ermöglichen den Begriff der Empathie von verwandten Konstrukten, die oftmals in der Umgangssprache synonym verwendet werden, abzugrenzen. Zu diesen Konstrukten gehören beispielsweise Phänomene der sozialen Kognition, wie kognitive Perspektivenübernahme, Theory of Mind, Gefühlsansteckung, Sympathie und Mitgefühl. Die Zusammenhänge und Unterschiede von Empathie und Mitgefühl werden in den nächsten Kapiteln näher beleuchtet. Zunächst sollen für ein deutlicheres Verständnis von Empathie und als Ergänzung der Definition nur einige Unterscheidungen zu den eben genannten Konstrukten getroffen werden.

Sowohl die kognitive Perspektivenübernahme als auch die Theory of Mind beziehen sich, wie aus den Begriffen bereits hervorgeht, in erster Linie auf den kognitiven Prozess des Hineinversetzens in eine andere Person und gehen nicht zwingend mit denselben Gefühlen einher. Somit wäre die erste Bedingung nach de Vignemont und Singer (2006) nicht erfüllt, denn es erfolgt keine emotionale Involvierung im Zustand des Gegenübers.

Beim Phänomen der Gefühlsansteckung sind zwar die ersten beiden Kriterien nach de Vignemont und Singer (2006) erfüllt, jedoch ist dem Beobachter nicht bewusst, dass der Ursprung seines emotionalen Zustandes sich in einer anderen Person befindet. Auch Preston und de Waal (2002) weisen darauf hin, dass zwar derselbe interne Zustand erreicht wird, jedoch die Abgrenzung zwischen einem selbst und der anderen Person aufgehoben wird. Ein klassisches Beispiel für die Gefühlsansteckung liefern de Vignemont und Singer (2006) indem sie beschreiben, das Babys anfangen zu weinen, weil andere Babys weinen, ohne sich notwendigerweise darüber bewusst zu sein, dass sie aufgrund des anderen weinen.

Der deutsche Begriff Sympathie umschreibt laut Staemmler (2008) die Zuwendung und Zuneigung für eine andere Person. Es handelt sich hierbei um eine „emotional positiv gefärbte Einstellung, die durchaus oberflächlich bleiben kann und nicht unbedingt ein nennenswertes empathisches Engagement erfordert“ (Staemmler, 2008, S. 28), jedoch kann eine vorhandene Sympathie zu einer empathischen Reaktion führen (Staemmler, 2009) und andersherum kann sich aus der Erfahrung der Empathie eine Sympathie für die betroffene Person entwickeln (Decety & Lamm, 2006). De Vignemont und Singer (2006) betonen, dass Sympathie ähnlich wie Empathie dazu führt, dass man sich in einem affektiven Zustand, ausgelöst durch eine andere Person, befindet, jedoch müssen sich die beiden Zustände nicht gleichen, womit die zweite Bedingung für Empathie nicht erfüllt wäre.

2.3 Definition von Mitgefühl

Laut Singer und Klimecki (2014) ist die psychologische Fähigkeit des Mitgefühls charakterisiert durch ein Gefühl der Wärme, Barmherzigkeit, Anteilnahme und Sorge um eine andere Person, gekoppelt mit einer starken Motivation, den Zustand der Person zu verbessern. Damit Mitgefühl entstehen kann, muss die jeweilige Person sich zunächst in sein Gegenüber hineinversetzen und dessen Emotionen verstehen.

Der deutsche Begriff Mitgefühl wird dem englischen Begriff compassion gleichgesetzt, welches aus dem lateinischen com (mit, gemeinsam) und pati (leiden) abstammt. Auch der englische Begriff sympathy wird synonym verwendet für die Übersetzung von Mitgefühl.

Goetz, Keltner und Simon-Thomas (2010) fügen die Begriffe sympathy, Mitleid und empathische Teilhabe als Subkategorien von Mitgefühl ein, da es sich dabei um verwandte Zustände handelt. Alle vier Begriffe teilen zentrale Merkmale, wie die Besorgnis und das daraus resultierende Anliegen, das Leid eines anderen Individuums zu lindern. Das Mitgefühl wird üblicherweise als die Emotion angesehen, aus der prosoziale Interventionen und Hilfeleistungen entspringen (Bischof-Köhler, 2006).

Laut Staemmler (2009) gibt es mindestens zwei Arten von Mitgefühl. Die erste Art von Mitgefühl basiert konkret auf der Vorstellung dessen, was eine leidende Person oder Personengruppe fühlt und erlebt, gekoppelt mit einem Gefühl von Wohlwollen für die leidende Person und einer daraus resultierenden Stellungnahme, zum Beispiel durch Trost spenden. Die zweite Art von Mitgefühl hingegen ist weitergefasst und es handelt sich dabei um eine grundlegende Haltung gegenüber allen Lebeweisen, bei der die Bemühung vorliegt, seine eigene Lebensführung so zu gestalten, dass das Leben aller Lebewesen positiv beeinflusst wird, vorhandenes Leid verringert wird und generell weniger Leid entsteht. Diese Art von Mitgefühl wird beispielsweise von buddhistischen Mönchen weltweit praktiziert und ist Teil ihrer Lebensphilosophie (vgl. Singer & Bolz, 2013). Außerdem spielt Mitgefühl eine fundamentale Rolle in den meisten Religionen und weltlichen Ethiken (Singer & Klimecki, 2014).

Singer und Bolz (2013) treffen eine wichtige Unterscheidung von Mitgefühl und der verwandten Emotion Mitleid. Mitleid wird oft mit Mitgefühl verwechselt und beschreibt ein Gefühl des Bedauerns über das eigene Unglück oder das Leid anderer. Im Gegensatz zum Mitgefühl ist das Mitleid jedoch nicht hilfreich, denn es erzeugt ein Gefühl der eigenen Überlegenheit und „blockiert zudem die eigenen Impulse und Aktivitäten, das Leid in einer angemessenen Weise zu lindern, und kann Leid sogar noch vermehren“ (Singer & Bolz, 2013, S.165).

2.4 Unterschiede und Zusammenhänge von Empathie und Mitgefühl

Staemmler (2008) fasst die Beziehung zwischen Empathie und Mitgefühl mit folgenden Worten zusammen: „Das traditionelle Verständnis von Empathie und der (...) Begriff des Mitgefühls haben (...) etwas Gemeinsames und unterscheiden sich zugleich“ (S.29). Beide Konstrukte haben scheinbar einige Überschneidungen, was durch ihre häufige Gleichsetzung unterstrichen wird. Empathie und Mitgefühl teilen Elemente wie die Anteilnahme, Betroffenheit und die Sorge um das Wohlergehen anderer Personen. Hierbei wird jedoch häufig übersehen, dass das Gefühl, welches sich beim Anblick des Leides einer anderen Person entwickelt, bei Empathie und Mitgefühl unterschiedliche Ausmaße annehmen kann.

Singer und Lamm (2009) betonen, dass man sowohl bei der Empathie, als auch beim Mitgefühl indirekt durch eine andere Person ausgelöst etwas fühlt; es handelt sich hierbei jedoch nicht um dieselben Gefühle. Wenn für eine traurige Person Empathie empfunden wird, dann resultiert dies in Trauer bei einem selbst, wogegen das Mitgefühl mit einer trauernden Person keine Traurigkeit in einem selbst auslöst, sondern eher in Gefühlen wie Bedauern oder mitfühlende Anteilnahme mündet. Als weiteres Beispiel für die Unterscheidung führen Singer und Lamm (2009) die Tatsache an, dass eine Person nicht eifersüchtig auf sich selbst sein kann, wenn sie bemerkt, dass jemand anderes auf sie eifersüchtig ist, sie könnte jedoch Mitgefühl für die eifersüchtige Person empfinden.

Des Weiteren ist Empathie nicht zwingend verknüpft mit der Motivation zu prosozialen Handlungen zur Verbesserung des Wohlergehens einer anderen Person, wogegen eine solche Verbindung zwischen prosozialem Verhalten und Mitgefühl besteht (Hein & Singer, 2008).

Singer und Klimecki (2014) stellen fest, dass Mitgefühl im Gegensatz zur Empathie nicht bedeutet, dass man das Leid eines anderen auf dieselbe Art und Weise teilt, sondern eher darauf bedacht ist, das Wohlbefinden der anderen Person zu steigern. Beim Mitgefühl geht es demnach eher darum, etwas für eine Person zu fühlen statt dasselbe mit ihr zu fühlen. Das zweite Kriterium für das Bestehen von Empathie nach de Vignemont und Singer (2006) ist somit nicht erfüllt.

Trotz dieser Unterscheidungen hängen die beiden Konstrukte insofern zusammen, als dass sie ineinander übergehen können (siehe Abb. 1). Laut Singer und Klimecki (2014) ist Empathie die Grundlage für weitere Reaktionen, die aus der Anteilnahme resultieren können. Zum einen, ein auf das Gegenüber gerichtete Mitgefühl, z.B. für dessen missliche Lage und zum anderen, ein auf das Selbst bezogene, unangenehme Gefühl der Betroffenheit, dem sogenannten Disstress. Decety und Lamm (2006) beschreiben Disstress als eine aversive, selbstfokussierte emotionale Reaktion zum Begreifen des emotionalen Zustandes einer anderen Person. Diese Reaktion wird begleitet von einem Drang, der Situation auszuweichen, um sich selbst vor den negativen Gefühlen zu schützen (Singer & Klimecki, 2014).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1. Mitgefühl und empathischer Disstress. Schematisches Model zur Unterscheidung von zwei empathischen Reaktionen auf das Leid anderer Personen (in Anlehnung an Singer & Klimecki, 2014).

Während das Mitgefühl von positiven Gefühlen begleitet wird, kann der empathische Disstress im Falle negativer Emotionen zu einem unangenehmen Zustand führen, der die Gesundheit beeinträchtigt. Sowohl Batson & Ahmad (2009), als auch Eisenberg (2000) konnten mit ihren Forschungen bestätigen, dass Personen, die Mitgefühl in einer Situation empfinden, öfter helfen, als Personen, die unter empathischen Disstress leiden. Daher suggerieren Hein und Singer (2008), dass es sinnvoll wäre, Empathie, insbesondere in negativen Situationen, in Mitgefühl umzuwandeln, damit prosoziale Motivation entstehen kann.

Da diese beiden emotionalen Reaktionen sehr unterschiedliche Resultate zur Folge haben können, ist es von großer Bedeutung ein Verständnis dafür zu entwickeln, welche Faktoren diese verschiedenen sozialen Emotionen determinieren und mehr darüber herauszufinden, ob und wie man diese emotionalen Reaktionen trainieren und verändern kann (Singer & Klimecki, 2014).

3 Messung von Empathie und Mitgefühl

Um die Fähigkeiten Empathie und Mitgefühl erforschen zu können, ist es zunächst wichtig, Methoden zu etablieren, wie diese gemessen werden können. Neben neuropsychologischen Messungen mithilfe der funktionellen Magnetresonanz-tomographie (fMRT) kommen im Bereich der Forschung zahlreiche Testverfahren, die vor allem auf psychologischen Parametern beruhen, zum Einsatz. Zu diesen Testverfahren gehören beispielsweise Verhaltensbeobachtungen (Knafo, Zahn-Waxler, van Hulle, Robinson & Rhee, 2008; Long, Angera & Hakoyama, 2006), experimentelle Paradigmen (Birch & Bloom, 2007; Mohr, Rowe & Blanke, 2010; Thakkar & Park, 2010) und die Messung von biologischen Markern (Dziobek et al., 2011; Marci, Ham, Moran & Orr, 2007).

Im Folgenden werden zwei bekannte Selbstbeurteilungsfragebögen und ein filmbasiertes Verfahren vorgestellt. Diese Testverfahren werden in der Forschung überwiegend zur Messung von Empathie eingesetzt. Da keine hinreichende Unterscheidung zu dem Konstrukt des Mitgefühls etabliert ist, gibt es kaum populäre psychologische Verfahren zur Messung von Mitgefühl.

3.1 Interpersonal Reactivity Index (IRI)

Der Interpersonal Reactivity Index (IRI) von Davis (1983) ist ein Selbstbeurteilungs- Fragebogen zur Erfassung der Empathiefähigkeit und gehört zu den in der Praxis am häufigsten verwendeten Empathiefragebögen (Paulus, 2009). Da Empathie als ein komplexes und multidimensionales Konstrukt mit sowohl kognitiven, als auch affektiven Komponenten gesehen wird, versucht dieser Test die Empathie ganzheitlich zu erfassen, um individuelle Unterschiede in der Empathiefähigkeit differenzieren zu können.

Der Fragebogen besteht aus 28 Items (siehe Anhang 1) mit den folgenden vier Skalen zu je sieben Items (Davis, 1983):

1. perspective taking - (PT), Beispielitem: I try to look at everybody's side of a disagreement before I make a decision.
2. fantasy - (F), Beispielitem: I really get involved with the feelings of the characters in a novel.
3. empathic concern - (EC), Beispielitem: I often have tender, concerned feelings for people less fortunate than me.

[...]

Fin de l'extrait de 60 pages

Résumé des informations

Titre
Empathie und Mitgefühl als psychologische Fähigkeiten
Sous-titre
Unterschiede, Zusammenhänge und Möglichkeiten ihrer Entwicklung
Auteur
Année
2018
Pages
60
N° de catalogue
V381343
ISBN (ebook)
9783956872792
ISBN (Livre)
9783956872815
Taille d'un fichier
11307 KB
Langue
allemand
Mots clés
Empathie, Mitgefühl, Sozialverhalten, Sozialpsychologie, Singer, Meditation
Citation du texte
Maria Omidi (Auteur), 2018, Empathie und Mitgefühl als psychologische Fähigkeiten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/381343

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