Formen des mittelalterlichen Antisemitismus


Term Paper, 2003

18 Pages, Grade: 1


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Gliederung

1. Einleitung

2. Die rechtliche Stellung der Juden in ihrer mittelalterlichen Umwelt
2.1. Zur ursprünglichen Rechtsstellung der Juden
2.2. Die Kammerknechtschaft – zwischen Judenschutz und Judenausbeutung

3. Lügen, Vorwürfe und Klischees gegenüber Juden
3.1. Die Blutbeschuldigung
3.2. Hostienschändung
3.3. Die Juden – die Wucherer

4. Hetze, Verfolgung und Vertreibung
4.1. Zu den Kreuzzügen
4.2. Vom 1.Kreuzzug bis zum Auftreten der Pest
4.3. Der schwarze Tod
4.4. Die Vertreibung aus den urbanen Zentren

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Antisemitismus ist kein Problem der Neuzeit. Er ist ebenso alt wie das jüdische Volk. Weiterhin ist Antisemitismus nicht nur ein deutsches Phänomen. Doch gerade in den Gebieten des heutigen Deutschlands gelangte er bereits vor der Katastrophe des Holocausts zu einer überdurchschnittlich radikalen Ausprägung.

Die vorliegende Arbeit stellt sich nun die Frage in welchen Formen und Ausprägungen der mittelalterliche Antisemitismus seit Beginn des deutschen Reiches zum Ausdruck kam. Hierbei sollen jedoch nicht nur äußerliche Phänomene betrachtet und untersucht werden. Vielmehr sollen auch die Ursachen in den Mittelpunkt des Fokus rücken.

Dabei soll auf die Verfolgungen und Hetze gegen Juden eingegangen werden, welche in unterschiedlichen Epochen unterschiedlich stark in Erscheinung traten.

Unabdingbar dafür erweist sich die Betrachtung der rechtlichen Stellung der Juden im deutschen Mittelalter, ohne dessen Kenntnis etliche Vorgänge kaum zu erklären sind.

Ein weiteres zentrales Thema stellen dann die Vorwürfe gegenüber Juden dar,

welche nach ihren Ursprüngen und Berechtigungen hin untersucht werden.

Ziel der Arbeit wird es sein, einen tieferen Blick auf die Judenfeindlichkeit im deutschen Reich des Mittelalters zu werfen, Ursprünge desselben aufzuspüren um den damals herrschenden Antisemitismus vielleicht nicht erklären, zumindest aber einschätzen und unter Umständen Denkansätze hinsichtlich der weiteren deutschen (antisemitischen) Geschichte geben zu können. Die Literaturlage zum Thema gestaltet sich recht großzügig,

sodass eine Auswahl unvermeidlich war. Zu beachten gilt, dass eine Arbeit diesen Umfanges ein solches Thema nie erschöpfend behandeln kann. Es soll ein Überblick über ältere Formen des deutschen, spezifischer des mittelalterlich-deutschen, Antisemitismus gegeben werden, wobei die Arbeit notwendigerweise einführender Natur bleiben muss.

Als Folge dessen müssen leider viele Gedanken im Ansatz stecken bleiben und erreichen manchmal nicht die dem Thema eigentlich angemessene Tiefe. So muss die Monographie Joshua Trachtenbergs „The Devil an the Jews“ leider zum größten Teil außer Acht gelassen werden, da es sich um eine sehr spezialisierte Darstellung handelt und dementsprechend nur angerissen werden kann.

2. Die rechtliche Stellung der Juden in ihrer mittelalterlichen Umwelt

2.1. Zur ursprünglichen Rechtsstellung der Juden

Die Juden waren im deutschen, christlichen Reich stets eine Form von Fremden. Zwar gab es Zeiten stärkerer Assimilation, doch ist zu keiner Zeit und in keinster Weise von einer Gleichberechtigung zu sprechen. Juden unterlagen praktisch ständig Einschränkungen, Beschneidungen und Reglementierungen, welche über christliche Verhältnisse weit hinaus gingen. Dies machte sich ganz deutlich in ihrer rechtlichen Stellung bemerkbar. Zwar galten die Juden zu Zeiten Karls des Großen als frei, durften Land erwerben und besitzen und sogar Waffen tragen, doch galten sie als „schutzlos, wenn nicht der König, der >>Schirmherr der Schwachen<<, sie unter seine Schirmherrschaft stellte.“[1] In diesem Fall wurde einzelnen Juden oder ganzen Gemeinden, nie aber der gesamten deutschen Judenschaft ein Schutzbrief ausgestellte, welcher ihnen den Schutz ihres Lebens, ihrer Ehre, das Eigentum und die freie Ausübung der Religion garantierte.[2] Dabei war es jedoch nicht immer der König selbst der einzelnen Juden bzw. (Familien-)Verbänden Schutz zusicherte, sondern auch geistliche und weltliche Fürsten.[3] Für den Schutz, den die Großen des Reiches den Juden gewährten, waren sie stets verpflichtet zu zahlen[4] – von einem uneigennützigen Einsatz für das jüdische Volk in Deutschland war also nicht zu sprechen. Infolge der persönlichen Abhängigkeit gegenüber einem gewissen Herrschaftsträger bzw. Schutzherren, waren sie auf die jeweilige Gunst desselben angewiesen und erwiesen sich nicht selten als Spielball fremder Interessen. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass sie als Bürger minderen Rechts galten und stets als Fremde angesehen wurden. Als diese verfügten sie über „ihre eigene Verwaltung, interne Gerichtsbarkeit und eine eigene Vertretung gegenüber der Stadtobrigkeit.“[5]

Die interne Gerichtsbarkeit endete aber in dem Fall, wo es zu einem Prozess zwischen Christen und Juden kam. In diesem Fall genügten dem Christen 3 Zeugen zur Untermauerung seiner Aussage, während der jüdische Beteiligte je nach Gewichtung des Streites 4, 7 oder sogar 9 Zeugen für seine Sache vorbringen musste.[6] Zum Teil gibt es für das Hochmittelalter auch Berichte, von denen ausgeht, dass, wollten die Juden eine gerichtliche Untersuchung gegen ihre Feinde, welche sie tätlich angriffen, erwirken, sie vorab eine gewisse Geldsumme zu entrichten hatten. Die Bestrafung, so sie denn zustande kam, bestand zumeist aus einer Geldbuße, welche absurderweise an den Gerichtsherren und nicht an die Opfer, sprich die Juden zu zahlen war.[7] Dieser recht uneinheitlich organisierte Judenschutz (es gab keinesfalls ein einheitliches Judenrecht vor dem 1. Kreuzzug 1096) zeigte seine Schwächen offenkundig im Zuge des 1. Kreuzzuges, wo er bis auf Ausnahmen kaum griff und seine Reformbedürftigkeit evident wurde.

2.2. Die Kammerherrschaft – Zwischen Judenschutz und Judenausbeutung

Nach den katastrophalen Ausschreitungen gegen die Juden im Zuge des 1. Kreuzzuges, welche durch die Abwesenheit des Schutzherren, des deutschen Kaisers Heinrich IV., begünstigt worden waren, kam es zu einem Umdenken: schutzbedürftige Personen- bzw. Sozialgruppen wurden unter einen Sonderschutz, sogenannte Landfrieden, gestellt.

Aus einem individuellen Judenschutz wurde ein genereller. Dies kann jedoch mitnichten als eine Verbesserung der jüdischen Situation angesehen werden. Diese Entwicklung mündet 1236 in dem vom Staufer Friedrich II. geprägten Begriff der „servi camerae nostrae“ – der Kammerknechtschaft. Damit gingen die Juden ihres Status als Freie verlustig und in das Eigentum des Königs, also der königlichen „Kammer“, über. Aus dieser politischen Spitzfindigkeit, welche über die Taten des antiken römischen Kaisers Vespasian legitimiert wurde, ergab sich nun eine verheerende Situation für die Juden – sie waren königlicher Willkür schutzlos ausgeliefert.[8] Damit gehörte die gesamte Judenschaft des deutschen Reiches als Knecht und auch als Steuerzahler dem deutschen König/Kaiser. Von nun wurde die Ausbeutung der Juden im großen Stile betrieben: Es kam zur Einführung einer allgemeinen Judensteuer sowie außerordentlichen Abgaben, auswandernden Juden wurde ihr unbewegliches Eigentum entzogen und die wohl auswirkungsreichste Neuerung im Zuge der Kammerknechtschaft war, dass die Judenschutzrechte des Königs an Dritte weitergegeben werden konnten. Die Zentralgewalt war also berechtigt, die Rechte über Juden (das sogenannte Judenregal) eines bestimmten Gebietes an andere zu verleihen und somit das Recht der Besteuerung, sprich der Ausbeute der Juden abzutreten.[9] Diese Rechte an den Juden wurden nun vielfach verschenkt, vertauscht, vererbt und verschachert – kurz: sie avancierten sukzessive zum bloßen Handelsobjekt.[10] Mehr noch: die Juden wurden faktisch selbst zum Handels-, Ausbeutungs- und Tauschobjekt. Folge dessen war die Verhinderung einer personalen Beziehung zum Herrschaftsträger sowie die starke Gefahr der Aushöhlung der kaiserlichen Schutzbeziehung. Im Zuge dessen kam es zu einem regelrechten finanziellen Aussaugen der Gesamtheit der deutschen Juden. Sie mussten mitunter einen übergroßen Anteil der Steuern einer Stadt entrichten (bisweilen überstiegen die Abgaben der Juden die der christlichen Bürger um mehr als das Zehnfache). Immer wieder neue, teilweise wahnwitzige Steuern wurden ihnen gegenüber geltend gemacht und, und das war womöglich am schwerwiegendsten, es kam mehrfach zu Schuldtilgungen. Diese Schuldtilgungen bedeuteten nichts anderes, als dass den Schuldigern der Juden ihre Kredite kurzerhand von Herrschaftsträgern, welche das Judenregal, also die Judenrechte, innehatten, erlassen wurden.[11] Dies hatte enorme finanzielle Schwierigkeiten für die jüdischen Kreditgeber zur Folge und wurde von den Herrschern schlichtweg zur Aufbesserung ihrer Kassen angewandt. Kurz gesagt: Waren die Kassen der Obrigkeit leer, so bediente man sich kurzerhand der Phantasie und führte je nach Bedarf neue Steuern und Abgaben aus allen erdenklichen Gründen ein. So wurden die Juden im Hochmittelalter Opfer einer Bullen-, Konzils- und Krönungssteuer, mussten eine Hussitensteuer entrichten und finanzielle Hilfe im Krieg gegen die Türken leisten.[12] Man konnte also durchaus davon sprechen, dass die Juden dieser Zeit (auch oder vor allem durch die Auflösung des einheitlichen königlichen Judenschutzrechtes) für die Fürsten, Städte und Bischöfe des Reiches bloße Objekte der Bereicherung darstellten und ein reales Interesse an ihrem Schutz nicht bestand.

3. Lügen, Vorwürfe und Klischees gegenüber Juden

Dem Mittelalter ist eine grundsätzliche Furcht vor der „Synagoge des Satans“, sprich dem „bösen Juden“ eigen. Seinen Ursprung fand die Dämonisierung im Johannesevangelium und wurde durch den unüberbrückbaren Gegensatz zwischen dem jüdischen Glauben und der Kirche Christi stets verstärkt. Die christliche Welt des Mittelalters verband zunehmend unwillkürlich Negatives mit der Gesamtheit der deutschen Juden. Man bezichtigte sie im Bunde mit dem Teufel zu stehen, was sogar in dem Vorwurf gipfelte, sie würden den Antichristen in seinem Namen aufziehen.[13] Man unterstellte ihnen den Ritualmord, eine obszöne Parodie des Leiden Jesu – diese Vorstellung war eng mit dem Glauben verbunden, die Juden seien Gottesmörder und für den Tod Jesu Christi verantwortlich zu machen. Nicht zuletzt aufgrund dieses Topos` entstand der Irrglaube vom mörderischen Juden, der die Christenheit auszulöschen suchte. Darüber hinaus wurden den Juden auch magische Fähigkeiten zugeschrieben – nicht selten wurden sie mit Ketzern, Hexen und Zauberern in einem Atemzug genannt. Dieser Glaube führte absurderweise soweit, dass das gemeinsame Glücksspiel zwischen Juden und Christen verboten wurde und ihnen in bestimmten Regionen des Reiches bei der Durchreise die Quelle ihrer magischen Fähigkeiten, die Würfel, abgenommen wurden.[14] Grundsätzlich haftete den Juden das Böse, das Teuflische und Hinterhältige, Christenfeindliche an. Grund dafür waren unter anderem Aberglaube, Furcht und Fremdenhass. Erscheinungen, welche durch die katholische Kirche teilweise stark gefördert wurden – diente eine bewusste Abgrenzung gegenüber den Juden doch der eigenen Stärkung und des Zusammenhaltes. Mitunter reichten kleinste Verunsicherungen der Menschen, unerklärbare Ereignisse oder Unglücke – in den Juden eines Ortes, einer Region oder gar des deutschen Reiches war stets schnell ein passender Sündenbock gefunden. Man machte sie praktisch für alles und jeden verantwortlich. Eine Unterscheidung unter den Juden gab es dabei nicht. Zumeist wurden sie alle über einem Kamm geschert. Dabei kam es im Laufe der Zeit zu einer Konkretisierung in der Vorstellungswelt über die unlauteren Machenschaften des jüdischen Volkes in Deutschland. Diese sind ein Ergebnis der im deutschen Mittelalter herrschenden Judenfeindschaft, welche „in ihren Begründungen und Motivationen durch das Gefühl der Bedrohung und Unsicherheit gekennzeichnet“[15] ist. Anschuldigungen gegen die jüdische Bevölkerung, auch trotz ihrer teilweise sichtbaren Unsinnigkeit dienten nicht zuletzt dem eigenen Glauben und dessen Stärkung auch oder gerade über Abgrenzung. Im folgenden Kapitel sollen einige besonders stark zutage getretene Vorwürfe/Vorurteile gegenüber Juden exemplarisch untersucht werden. Bewusst herausgelassen ist hierbei die Beschuldigung der Brunnenvergiftung, welche erst in späteren Kapiteln Erwähnung finden soll.

[...]


[1] Elbogen, Ismar; Sterling, Eleonore: Die Geschichte der Juden in Deutschland, Frankfurt am Main 1988, S. 17

[2] vgl. ebd.

[3] Vgl. Toch, Michael: Die Juden im mittelalterlichen Reich; in: Gall, Lothar (Hrsg.): Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 44, München 1998, S. 46f.

[4] vgl. Greive, Hermann: Die Juden: Die Grundzüge ihrer Geschichte im mittelalterlichen und neuzeitlichen Europa, 4. Aufl., Darmstadt 1992, S. 62f.

[5] Trepp, Leo: Geschichte der deutschen Juden, Stuttgart, Berlin, Köln, 1996, S. 12

[6] vgl. Geisel, Christof: Die Juden im Frankenreich – von den Merowingern bis zum Tode Ludwigs des Frommen; in: Mordek, Hubert (Hrsg.): Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte, Bd. 10, Frankfurt a. Main 1998, S. 411f.

[7] vgl. Elbogen, Ismar; Sterling, Eleonore, a.a.O., S. 39

[8] vgl. Trepp, Leo, a.a.O., S. 28

[9] vgl. Battenberg, Friedrich: Das europäische Zeitalter der Juden: Zur Entwicklung einer Minderheit in der nichtjüdischen Umwelt Europas, Bd.1: Von den Anfängen bis 1650, Darmstadt 1990, S. 110

[10] vgl. Greive, Hermann, a.a.O., S. 99

[11] Vgl. Toch, Michael, a.a.O., S.49f.

[12] vgl. Greive, Hermann, a.a.O., S. 106

[13] vgl. Ebenbauer, Alfred; Zatloukal, Klaus (Hrsg.): Die Juden in ihrer mittelalterlichen Umwelt, Wien, Köln 1991, S. 63

[14] Vgl. Toch, Michael, a.a.O., S.41f.

[15] ebd., S. 63

Excerpt out of 18 pages

Details

Title
Formen des mittelalterlichen Antisemitismus
College
Otto-von-Guericke-University Magdeburg  (Politik)
Course
Alte und neue Formen des Antisemitismus im Vergleich
Grade
1
Author
Year
2003
Pages
18
Catalog Number
V38205
ISBN (eBook)
9783638373456
File size
575 KB
Language
German
Keywords
Formen, Antisemitismus, Alte, Formen, Antisemitismus, Vergleich
Quote paper
Martin Röw (Author), 2003, Formen des mittelalterlichen Antisemitismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38205

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