In einer Zeit, in der Streit allenfalls im Feuilleton ausgetragen wird – man könnte auch dysphemistisch von einem „Elfenbeinturm“ sprechen –, muss man eine Lichtgestalt wie Karl Kraus vermissen. Der österreichische Satiriker (1874-1936) ist in der von Konsens- und Kommerzkultur geprägten Gegenwart allenfalls Intellektuellen ein Begriff; der Diskurs über das Werk Karl Kraus‘ hat sich weitgehend hinter Hochschulmauern zurückgezogen. Und dennoch lassen sich Aktualität und Relevanz all dessen, wofür Karl Kraus stand und was sein Werk auszeichnete, nicht hoch genug einschätzen.
Seiner Strahlkraft – die insbesondere in seinem Hauptwerk „Die Fackel“, dem Drama „Die letzten Tage der Menschheit“ und dem Text „Die dritte Walpurgisnacht“ fortdauert – erlag auch der junge Elias Canetti, ein Mann, dessen Entschluss, Schriftsteller zu werden, sich nach und nach forcierte. Aber erst als es zur Abwendung von seinem langjährigen Idol Karl Kraus kam – eine Loslösung, die in dieser Arbeit untersucht werden wird –, etablierte sich Elias Canetti selbst und veröffentlichte Mitte der 30 er Jahre des vorigen Jahrhunderts seinen Roman „Die Blendung“.
Die Rolle, die zeitgeschichtliche Ereignisse in der einseitigen Verehrungsbeziehung spielen, hat Canetti in seinen Memoiren und seinen Essays zu Karl Kraus bereits deutlich hervorgehoben. So ist es verständlich, dass in dieser Arbeit die zwei prägendsten politischen Ereignisse, die Canettis Denken auf Kraus zubewegten und schließlich von ihm abwandten, auch stark gewichtet werden müssen. Dies sind der Wiener Arbeiteraufstand von 1927 und die deutschen und österreichischen Umbrüche der Jahre 1933 und 1934, in deren Folge Kraus nach Meinung vieler seiner Anhänger als Gewissen Österreichs versagte.
Die vielen Zitate aus Schriften Elias Canettis sollen durch ausgewählte Sekundärliteratur ergänzt werden, sofern in ihnen besondere oder ergänzende Aspekte für Canettis Kraus-Verehrung Erwähnung finden. Trotz der Perspektive, Karl Kraus gleichsam durch Elias Canetti zu betrachten, steht Karl Kraus doch im Mittelpunkt dieser Arbeit. Es ist interessant zu erfahren, für wie bedeutsam ein bekannter Künstler des 20. Jahrhunderts den Einfluss Karl Kraus‘ auf seine Persönlichkeit und sein Werk erachtet. Ebenso erstaunlich ist dabei, welch einen lebenslangen Kampf Canetti mit sich ausfocht, die Wirkung seines Idols mal anzuerkennen und mal zu schmälern.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der Meister und sein Schüler
- Die Fackel im Ohr
- Entdeckung: Die Fackel entflammt.
- Vergötterung: Die Fackel brennt.
- Abkehr: Die Fackel erlischt.
- Abschlussbetrachtung.
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der komplexen Beziehung zwischen Elias Canetti und Karl Kraus. Im Fokus stehen die Bewunderung, die Vergötterung und schließlich die Abkehr Canettis von seinem Vorbild Karl Kraus. Die Arbeit analysiert den Einfluss von Kraus auf Canettis Werk und die Gründe für die sich entwickelnde Distanz zwischen den beiden Schriftstellern.
- Die Entstehung und Entwicklung der Verehrungsbeziehung zwischen Elias Canetti und Karl Kraus
- Der Einfluss des Werks Karl Kraus auf Canettis literarisches Schaffen
- Die Abwendung Canettis von seinem Vorbild und die Gründe dafür
- Die Rolle zeitgeschichtlicher Ereignisse in der Beziehung zwischen Canetti und Kraus
- Die bleibende Bedeutung von Karl Kraus für Elias Canetti
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung führt in die Thematik der Arbeit ein und stellt die zentralen Fragen der Untersuchung vor. Sie beleuchtet die Bedeutung von Karl Kraus in der heutigen Zeit und die ambivalente Beziehung zwischen Elias Canetti und seinem Vorbild.
Der Meister und sein Schüler
Das zweite Kapitel beschreibt die Persönlichkeit und die Arbeitsweise von Karl Kraus, indem es seinen Kampf gegen die Verfälschung der Sprache und den Missbrauch der Presse beleuchtet. Der Fokus liegt dabei auf der "Fackel" als Werk, in dem Kraus seine Kritik formuliert.
Die Fackel im Ohr
Der dritte Kapitelteil erörtert die Entwicklung von Canettis Beziehung zu Kraus. Er beschreibt die anfängliche Begeisterung Canettis für Kraus' Werk, die Vergötterung seines Idols und die spätere Abkehr von ihm.
- Quote paper
- Niels Menzel (Author), 2015, Entdeckung, Vergötterung, Abkehr. Elias Canetti und Karl Kraus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/383387
