Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Anthropogener Klimawandel
3. Theoretische Vorannahmen
3.1 Konstruktivismus
3.2 Systemtheorie
4. System der Massenmedien
4.1 Funktionssystem Massenmedien
4.2 Programmbereiche
5. Kommunikation des Klimawandels in den Massenmedien
5.1 Wissenschafts- und Massenmediensystem
5.2 Darstellung des Klimawandels in den Medien
5.3 Konstruktion einer zweiten Wirklichkeit
6. Schluss
7. Literatur
1. Einleitung
Das Thema Natur und Umwelt erhielt in Deutschland erst recht spät, und zwar ab den 1990er Jahren Einzug in die Soziologie (Brand 1998). Lange Zeit war die Soziologie der Ansicht, dass diese Thematik den Naturwissenschaften überlassen werden sollte und sich die Soziologie vor allem auf die Gesellschaft fokussieren sollte. Mittlerweile beschäftigt sich jedoch auch die Soziologie mit Umweltthemen, wie beispielsweise dem Klimawandel, da diese Thematik aus unserer Gesellschaft und unserer gesellschaftlichen Kommunikation nicht mehr wegzudenken ist (Luhmann 1986). So empfinden neun von zehn Europäern den Klimawandel als ein ernstzunehmendes und langfristiges Problem (Süddeutsche Online 2014). Aufgrund dieser Einschätzung des Klimawandels durch die Bürger, findet dieses Thema auch in die Medien Eingang. So wird beinahe täglich in den Medien über die Folgen des Klimawandels wie Dürren und Überschwemmungen, aber auch über neueste Ergebnisse in der Klimapolitik berichtet. Wie die langfristige Veränderung des Klimas in den Medien kommuniziert wird und wie sich die Soziologie mit dem Klimawandel auseinandersetzt, soll in dieser Arbeit beschrieben werden, wobei vor allem auf den deutschen Soziologen Niklas Luhmann und dessen Systemtheorie eingegangen werden soll. Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Komponenten Klimawandel, soziologische Systemtheorie und Medien miteinander zu verknüpfen und darzustellen, inwiefern es nach Luhmann bei der Kommunikation des Klimawandels in den Massenmedien zu einer Konstruktion einer zweiten Wirklichkeit kommt. Hierfür sollen zunächst Fakten über den Klimawandel präsentiert werden, bevor anschließend mit einer Beschreibung des Konstruktivismus und der Systemtheorie nach Luhmann auf theoretische soziologische Vorannahmen eingegangen werden soll. Daran anknüpfend soll das System der Massenmedien von Luhmann erläutert werden, bevor abschließend die Kommunikation des Klimawandels in den Massenmedien beschrieben wird. Hierbei wird näher auf die Verknüpfung des Wissenschafts- und des Massenmediensystems eingegangen und erläutert, wie der Klimawandel in den Medien dargestellt wird und wie es hierbei zu einer Konstruktion einer zweiten Wirklichkeit kommt.
2. Anthropogener Klimawandel
Unter der Bezeichnung anthropogener Klimawandel versteht man eine durch den Menschen verursachte, langfristige Veränderung des Klimas (Akademie für Raumforschung und Lan- desplanung 2009), der sich durch einen globalen Temperaturanstieg auszeichnet (Umweltbundesamt 2013a). Dieser durch die Menschheit hervorgerufene Klimawandel tritt zusätzlich zu natürlichen Klimaschwankungen auf, unterscheidet sich von diesen jedoch vor allem durch eine vergleichsweise schnelle Veränderung der Umwelt. Darüber hinaus bringt der anthropogene Klimawandel durch den Anstieg der Temperatur erhebliche Folgen mit sich, wie das Abschmelzen von Polkappen und Gletschern, der Anstieg des Meeresspiegels und damit einhergehende Überschwemmungen, während es in anderen Erdregionen gleichzeitig zu Hitzewellen und Dürreperioden kommt (Akademie für Raumforschung und Landesplanung 2009). Als Hauptursache für den Anstieg der Durchschnittstemperatur und dem Wandel unseres Klimas gilt der anthropogene Treibhauseffekt, der mit dem Zeitalter der Industrialisierung einsetzte und durch eine ständige Zunahme von Treibhausgasen in der Erdatmosphäre gekennzeichnet ist. Vor allem durch die stetige Zunahme von Kohlendioxid in der Atmosphäre, die hauptsächlich durch den Verbrauch von fossilen Brennstoffen und bei der Rodung von Wäldern verursacht wird, verringert sich die Wärmeabstrahlung in den Weltraum, wodurch sich die Erdoberfläche erwärmt. Zwischen 1906 und 2005 erhöhte sich die Durchschnittstemperatur um etwa 0,74 Grad Celsius (Umweltbundesamt 2013a), bis zum Jahr 2100 rechnen Experten des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) sogar mit einem Temperaturanstieg zwischen 1,7 und 5,4 Grad Celsius, was einem dramatischen vorhergesagten Temperaturanstieg entspricht. Der Weltklimarat der Vereinten Nationen, der regelmäßig den Stand der Wissenschaft zum Thema Klimawandel zusammenfasst und so die Basis für politische und wissenschaftliche Diskussionen bildet, sagt zudem vorher, dass sich Folgen wie beispielsweise die Ozeanerwärmung und der Anstieg des Meeresspiegels selbst bei einem Rückgang der Treibhausgasemissionen fortsetzen würden. Bei den Vorhersagen des IPCC muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Resultate auf Klimamodellen basieren, die mit Hilfe von Computerdaten berechnet werden, aus diesem Grund können lediglich Schätzungen innerhalb verschiedener Szenarien abgegeben werden. Jedoch wurde die Zuverlässigkeit der Klimamodelle ausgebaut, so beruhen die Resultate des fünften Sach- standsberichts des IPCC von 2013/2014 auf mehr als doppelt so vielen Klimamodellen als im vierten Sachstandsbericht des IPCC, der 2007 veröffentlicht wurde. Im fünften Sachstands- bericht des IPCC kann daher eindeutig bestätigt werden, dass es eine langanhaltende und durch den Menschen verursachte Veränderung des Erdklimas gibt (Umweltbundesamt 2013b).
3. Theoretische Vorannahmen
Möchte man sich eingehender damit beschäftigen, wie die Problematik des Klimawandels in der Soziologie und in dem System der Massenmedien behandelt wird, ist es zunächst notwendig, sich mit einigen theoretischen Vorannahmen von Luhmann auseinanderzusetzen. Zunächst soll der Begriff des Konstruktivismus näher erläutert werden, bevor anschließend der operative Konstruktivismus und die Beobachtung, die bei Luhmann eine entscheidende Rolle spielt, eingehender dargestellt werden sollen. Daran anschließend soll versucht werden, einen kurzen Überblick über Luhmanns komplexe Systemtheorie zu geben. Dabei werden grundlegende Begrifflichkeiten vorgestellt und erläutert.
3.1 Konstruktivismus
„Alles, was gesagt wird, wird von einem Beobachter gesagt" (Maturana 1982, S. 34), so lautet ein Satz, der als Leitsatz des konstruktivistischen Diskurses angesehen werden kann, da er sehr gut wiedergibt, was genau den Konstruktivismus auszeichnet. So geht dieser von der Grundannahme aus, dass jeder Gegenstand, den man erkennt, durch das Erkennen selbst von dem jeweiligen Beobachter konstruiert wird. So wird von jedem Betrachter eine eigene Wirklichkeit konstruiert, die nicht notwendigerweise mit der Realität übereinstimmen muss (Pörksen 2011). Hierdurch entzieht sich jedoch die Realität der Erkenntnis des Betrachters, da dieser lediglich die Wirklichkeit seiner eigenen Wahrnehmung kennt, weshalb daher Aussagen über die Realität immer nur Realitätskonstruktionen sind. So gerät der Vorgang der Erkenntnis an sich in den zentralen Fokus und wird so zu dem eigentlichen Gegenstand der Forschung. Daher beschäftigt sich der Konstruktivismus hauptsächlich mit der Frage, wie der Mensch Realität konstruiert (Meyen/Löblich 2006). Niklas Luhmann hingegen kritisiert diesen radikalen Konstruktivismus, denn laut ihm behaupten konstruktivistische Theorien, „dass kognitive Systeme nicht in der Lage sind, zwischen Bedingungen der Existenz von Realobjekten und den Bedingungen ihrer Erkenntnis zu unterscheiden, weil sie keinen erkenntnisunabhängigen Zugang zu solchen Realobjekten haben." (Luhmann 1996, 17). Der operative Konstruktivismus, der vor allem von Luhmann entwickelt und vertreten wird, beschäftigt sich daher weniger mit der Epistemologie, sondern fragt eher danach, wie überhaupt Erkenntnis zustande kommt, wenn Systeme keinen von der Erkenntnis unabhängigen Zugang zur Realität haben. Luhmanns Lösung hierfür lautet Beobachtung, wobei er diese definiert als ein Unterscheiden und Bezeichnen, wodurch sich bereits erkennen lässt, dass sich der Begriff des Beobachtens bei Luhmann von dem Beobachten, wie es im Alltagsverständnis begriffen wird, unterscheidet. Bei Luhmann wird mit dem Begriff des Beobachtens immer eine Kommunikation von Systemen verstanden. Betrachtet man ein soziales System, dann sind demnach zwei Arten der Beobachtung, also des Unterscheidens und des Bezeichnens möglich. Die erste Möglichkeit des Beobachtens ist das Beobachten einer kognitiven Operation, wobei man hier beobachtet, dass etwas geschieht. Bei der zweiten Art der Beobachtung hingegen handelt es sich um die Beobachtung der Beobachtung, also um eine Beobachtung zweiter Ordnung. Bei Luhmann steht also der Vorgang des Beobachtens im Vordergrund und folgt man seiner konstruktivistischen Sichtweise, so lässt sich festhalten, dass ein System nur ein bestimmtes Bild der Realität erzeugen und darstellen kann, welches jedoch nie der echten Realität vollkommen entsprechen kann (Luhmann 1986).
3.2 Systemtheorie
Luhmanns Systemtheorie hat den Anspruch, eine Supertheorie zu sein, die zum einen die gesamte Wirklichkeit abdeckt und zum anderen erklären kann, wie soziale Ordnung innerhalb einer komplexen Welt entsteht. Seine Lösung hierfür sind Systeme, die es ermöglichen, die Komplexität zu reduzieren, indem die unendlichen Möglichkeiten von Interaktion verringert werden. Systeme sind operativ geschlossene und selbstreferentielle Einheiten, was bedeutet, dass sie nur mit Elementen innerhalb ihres eigenen Systems operieren, wodurch eine Autonomie des Systems gegenüber der Umwelt, also gegenüber anderen Systemen, hergestellt wird. Diese Abgrenzung von Systemen zu ihrer Umwelt wird bei Luhmann System/Umwelt-Differenz genannt. Nach Luhmann verfügen Systeme zudem über die Fähigkeit, die Elemente, aus denen sie bestehen, selbst zu produzieren und zu reproduzieren, was er als Autopoiesis[1] bezeichnet. Innerhalb von Systemen differenziert Luhmann darüber hinaus zwischen biologischen Systemen, beispielsweise dem menschlichen Körper, psychischen Systemen, nach Luhmann der Prozess des Bewusstseins und sozialen Systemen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie aus Kommunikation bestehen (Luhmann 1986). Es gibt drei verschiedene Ebenen der Kommunikation in sozialen Systemen: Interaktionen, also Kommunikation mit Anwesenden, Organisation, wobei es nicht notwendig ist, dass alle Beteiligte der Kommunikation auch anwesend sind und Gesellschaft, bei der das soziale System sämtliche Kommunikation mit einschließt. Innerhalb einer Gesellschaft gibt es jedoch wiederrum verschiedene soziale Funktionssysteme wie beispielsweise die Politik, die Wirtschaft oder auch die Wissenschaft, wobei jedes Funktionssystem eine ganz bestimmte Funktion für die gesamte Gesellschaft erfüllt (Meyen/Löblich 2006). Die Politik beschäftigt sich beispielsweise mit der Frage, ob sie ihre Macht ausweiten kann oder nicht, die Wirtschaft beschäftigt sich mit Geldzahlungen und der Regulierung verschiedener Güter, während die Wissenschaft danach fragt, welche Gegebenheiten in einem System wahr und welche falsch sind. Jedes dieser einzelnen Teilsysteme betrachtet das gesamte System aus einer anderen Sichtweise heraus, was Luhmann funktionale Differenzierung der Gesellschaft nennt (Luhmann 1986). Bestandteil jedes Funktionssystems ist zudem der binäre Code, eine Art Regel, mit der sich unterscheiden lässt, was zu einem System gehört und was nicht, wobei es nur zwei Möglichkeiten gibt und eine dritte Möglichkeit somit ausgeschlossen wird (Meyen/Löblich 2006). Der binäre Code der Politik lautet demnach Macht haben / keine Macht haben, der binäre Code der Wirtschaft lautet zahlen / nicht zahlen und der binäre Code der Wissenschaft lautet wahr / nicht wahr. Jedes dieser Funktionssysteme hat also seinen eigenen binären Code, seine eigene Sichtweise auf das Gesamtsystem und ist darüber hinaus operativ geschlossen, was bedeutet, dass die Systeme keinen direkten Kontakt zu ihrer Umwelt haben. Dennoch ist es nach Luhmann möglich, dass die einzelnen Systeme Beziehungen zu ihrer Umwelt innerhalb des Gesellschaftssystems unterhalten, was über die strukturelle Kopplung geschieht (Luhmann 1998). Hierbei wird die Komplexität des einen Systems einem anderen System zur Verfügung gestellt (Morel et al. 1999), dennoch bleiben die Systeme während der strukturellen Kopplung für einander immer Umwelt, da das betreffende System seine Operationen nur durch seine eigenen Strukturen gestalten kann. Wäre dies nicht der Fall, und würde beispielsweise das Politiksystem seine Umwelt nicht mehr mit dem binären Code Macht haben / keine Macht haben beobachten, sondern stattdessen mit dem binären Code des Wissenschaftssystems wahr / nicht wahr, so würde sich das Politiksystem auflösen und durch das Wissenschaftssystem ersetzt werden. Das Politiksystem könnte also seine eigene Autopoie- sis, also die Reproduktion seines eigenen Systems, nicht mehr länger aufrechterhalten. Durch strukturelle Kopplung hingegen ist ein Anschluss eines Systems an seine Umwelt möglich, ohne die eigene Autopoiesis zu gefährden. Soziale Systeme sind beispielsweise durch Sprache mit psychischen Systemen, den Bewusstseinssystemen strukturell gekoppelt. So- wohl unser Bewusstsein verwendet Sprache, indem man denkt, als auch soziale Systeme, die laut Luhmann aus Kommunikation bestehen (Luhmann 1998). Soziale Systeme erstrecken sich jedoch nicht nur wie bereits in dieser Arbeit beschrieben nur auf Funktionssysteme wie die Politik, die Wirtschaft oder die Wissenschaft, sondern durchdringen unsere gesamte Gesellschaft. Daher sind auch Bereiche wie Religion, Erziehung, Kultur aber auch die Massenmedien eigene soziale Systeme.
4. System der Massenmedien
Das System der Massenmedien als eines der sozialen Systeme nach Luhmann soll nun näher beschrieben werden. Dabei soll darauf eingegangen werden, was genau Luhmann unter Massenmedien versteht und welche Funktion das System der Massenmedien hat. Darüber hinaus sollen die drei Programmbereiche Nachrichten und Berichte, Werbung und Unterhaltung vorgestellt werden.
4.1 Funktionssystem Massenmedien
Laut Luhmann wissen wir alles über die Welt, in der wir leben, durch die Massenmedien. Massenmedien, dies sind für ihn „alle Einrichtungen der Gesellschaft (...), die sich zur Verbreitung von Kommunikation technischer Mittel der Vervielfältigung bedienen" (Luhmann 1996, S. 10), also Bücher, Zeitschriften, Zeitungen aber auch der Rundfunk wie Fernsehen und Radio. Die Kommunikation über Massenmedien erfolgt demnach über die hohe Zahl ihrer Produkte und für die zum Zeitpunkt der Produktion noch unbekannten Adressaten. Da öffentliche Zugänglichkeit zur Kommunikation, wie etwa bei Theateraufführungen und Konzerten, jedoch kein breites Massenpublikum erreicht, kann diese daher auch nicht zu den Massenmedien gezählt werden. Notwendig hierfür ist daher eine maschinelle Verbreitungstechnologie, die keine Interaktion zwischen Anwesenden erlaubt, so wird die Interaktion zwischen Sender und Empfänger durch die Zwischenschaltung von Technik unterbrochen. Durch diese Unterbrechung der direkten Kommunikation zwischen Sender und Empfänger durch die zwischengeschaltete Technik, aber auch durch die große Zahl an Produkten der Massenmedien, die ein breites Publikum erreichen, kommt es nach Luhmann zu einem Überschuss an Kommunikationsmöglichkeiten. Dies führt dazu, dass eine Selektion notwendig wird, sowohl auf Seiten des Senders durch die Sendebereitschaft, als auch auf Seiten des Empfängers durch das Einschaltinteresse. Der Sender, also die Medien und ihre Produzenten, unterliegen hierbei einer gewissen Unsicherheit, da sie lediglich Vermutungen über die Akzeptanz ihrer Produkte anstellen können. Für die Medien ist es also eine Notwendigkeit, ihr Programm zu differenzieren, um ein möglichst breites Massenpublikum ansprechen zu können. Jedoch haben auch verschiedene Empfänger ein unterschiedliches Einschaltinteresse, so kann jeder Empfänger diejenigen Medien aus dem ihm vorgegebenen und vorhandenen Medienangebot nutzen, die er möchte. Da der Mensch jedoch nur diese Medien und diese Informationen nutzen kann, die ihm durch die Massenmedien zur Verfügung gestellt werden, er also keine Informationen erhalten kann, die nicht irgendwo gedruckt oder ausgestrahlt worden sind, stellen Medien Informationen zur Verfügung, schränken sie aber gleichzeitig auch ein. Massenmedien zeichnen sich also in einem gewissen Rahmen dadurch aus, dass zwar unendlich viele Informationen in der Welt verfügbar sind, aber in den Medien nicht über alles berichtet werden kann. Daher muss man selbst bei einem Manipulationsverdacht bei der Auswahl an Informationen durch die Medien, auf das Wissen, dass durch die Medien verbreitet wird, zurückgreifen und darauf aufbauen (Luhmann 1996). Durch das Erhalten von Informationen, das darauf Zurückgreifen und den Aufbau auf dieses durch die Medien vermittelte Wissen wird nach Luhmann gewissermaßen ein Gedächtnis der Gesellschaft erzeugt. Dadurch könne man bei jeder Kommunikation untereinander davon ausgehen, dass gewisse durch die Medien verbreitete Informationen allen bekannt sind und man daher mit allen über alles kommunizieren kann (Meyen/Löblich 2006). Folgt man Luhmanns Ausführungen, so kann man erkennen, dass die Massenmedien bei ihm verschiedene Funktionen haben. Zum einen bilden sie, wie bereits beschrieben, das Gedächtnis der Gesellschaft, zum anderen sollen Massenmedien die Möglichkeit der Anschlusskommunikation geben und darüber hinaus dienen Massenmedien auch der Selbstbeobachtung des Systems. Hierunter wird selbstreferentielles Beobachten verstanden, also ein Beobachten, das sich auf das „selbst", das eigene System, bezieht. Unter Selbstreferenz lässt sich also das Beobachten von systemeigenen Funktionen verstehen, im Fall der Anschlusskommunikation wird also beispielsweise danach gefragt, wie ein Artikel in einer Tageszeitung von den Lesern bewertet und wie von diesen darüber kommuniziert wird. Unter Fremdreferenz hingegen wird eine Beobachtung des Systems seiner Umwelt verstanden, weshalb fremdreferenzielle Beobachtung immer eine strukturelle Kopplung zu der Umwelt eines Systems notwendig macht. So handelt es sich bei der Veröffentlichung von bestimmten Themen in Zeitungen oder in Fernsehsendungen lediglich um eine Widergabe bereits existierender Themen. Der Klimawandel beispielsweise existiert also bereits in der Realität und kann durch strukturelle Kopplung mit dem Wissenschaftssystem von dem System der Massenmedien fremdreferentiell beobachtet und anschließend als Thema veröffentlicht werden. Dies bedeutet jedoch auch, dass Medien immer nur etwas widergeben können, was in der Realität bereits existiert. Betrachtet man das System der Massenmedien, stellt sich daher die Frage, wie Massenmedien Realität konstruieren (Luhmann 1996).
4.2 Programmbereiche
Die Produkte der Massenmedien, gleich ob Artikel in Tageszeitungen oder in Zeitschriften oder auch Sendungen im Fernsehen oder im Radio, haben gemeinsam, dass sie Informationen verbreiten. Dies lässt sich auch im binären Code des Massenmediensystems wiederfinden, denn dieser lautet Information / Nichtinformation. Massemedien zeichnen sich also nach Luhmann dadurch aus, dass sie Informationen weitertragen, jedoch wird hierbei nicht genau festgelegt, wodurch unterschieden werden kann, welche Informationen nun informativ sind und welche nicht. Um dieses „Paradox der Informativität der Nichtinformation" (Luhmann 1996, S. 37) auflösen zu können, sind daher bestimmte Programme notwendig, mit deren Hilfe entschieden werden kann, was innerhalb dieses Systems als informativ angesehen werden kann und was nicht. Luhmann unterscheidet daher bei der internen Struktur des Massenmediensystems zwischen den drei Programmbereichen Nachrichten und Berichte, Werbung und Unterhaltung. Der größte Anteil an Informationen ist sicherlich in dem Programmbereich Nachrichten und Berichte enthalten und in diesem ist auch die Verarbeitung von Informationen am deutlichsten erkennbar. Bei Nachrichten und Berichten handelt es sich sozusagen um Informationen in Serie, allerdings soll nach Luhmann nur dann über etwas berichtet werden, wenn auch wirklich etwas Neues geschieht. Dabei ist es jedoch notwendig, dass Ereignisse, die gerade eben, also in der Vergangenheit, stattgefunden haben, so wiedergegeben werden, als wären sie noch die Gegenwart und damit interessant und zudem wichtig für die Zukunft. Es soll hierdurch verständlich werden, wieso diese Information für den Empfänger interessant sein kann. Der Beruf des Journalismus, der sich seit der Entstehung der Medien immer stärker professionalisiert hat, hat aus diesem Grund bestimmte Kriterien für seine Berichterstattung entwickelt, die bei Luhmann Selektoren genannt werden. Diese sind unter anderem die Aktualität von Meldungen, Konflikte, Zahlenwerte, der lokale Bezug, Normverstöße insbesondere mit moralischer Bewertung, die Zurechnung von Ereignissen auf die handelnden Personen sowie die Tatsache, dass Medien nicht nur Informationen publizieren, sondern durch Kommentare und Leserbriefe selber beachtenswerte Nachrichten schaffen können. Der zweite Programmbereich neben Nachrichten und Berichten ist laut Luhmann die Werbung und auch hier werden Informationen verbreitet. Jedoch geht es in Nachrichten und Berichten eher darum, die Empfänger über aktuelle Geschehnisse auf dem Laufenden zu halten, während es bei Werbung darum geht, durch die in der Werbung enthaltenen Informationen Produkte anzupreisen und dadurch zu verkaufen. Die informative Produktdarstellung und eine Nennung des Preises spielt jedoch heutzutage nur noch eine untergeordnete Rolle. Weitaus wichtiger ist es mittlerweile jedoch die Werbung im Gedächtnis des Publikums zu verankern und die Neuheit der Informationen dient eher dazu, das Publikum daran zu erinnern, dieses Produkt zu kaufen. Eine wichtige Rolle spielen hierbei vor allem ein einprägsamer Name eines Produktes sowie eindeutige Symbole und Designs, um sich von der Masse der Wettbewerber zu unterscheiden. Einige Marken waren in der Vergangenheit besonders erfolgreich dabei, sich in einem besonderen Maße von ihrer Konkurrenz abzugrenzen, so heißt das Taschentuch umgangssprachlich einfach nur „Tempo" und der Fettstift für die Lippen ist ein „Labello", egal von welcher Marke er nun wirklich stammt. Diese beiden Beispiele machen deutlich, dass Werbung tatsächlich in der Lage sein kann, ihre Produkte mit unserer Alltagswelt, mit unserer Wirklichkeit zu verbinden. Somit besitzt Werbung die Fähigkeit, für den Werbekunden eine ganz eigene Realität zu konstruieren. Darüber hinaus hat Werbung laut Luhmann die Funktion, „Leute ohne Geschmack mit Geschmack zu versorgen" (Luhmann 1996, S. 89), da Werbung Menschen, die in gewissen Bereichen nicht über eine eigene ausgeprägte Selektionssicherheit verfügen, mit einer durch die Werbung vermittelte Selektionssicherheit ausstatten kann. So erhalten selbst modisch uninteressierte Menschen durch Werbung einen Einblick, was modisch gerade angesagt ist. Neben der Werbung und den Nachrichten und Berichten gibt es noch einen dritten Programmbereich, die Unterhaltung. Luhmann beschreibt hier insbesondere Sportsendungen und Spiele als Teil der Unterhaltung, wobei Unterhaltung grundsätzlich für ihn nichts anderes ist als eine Verdoppelung der Realität. So wird die Realität eines Fußballspiels beispielsweise während dem Ansehen dieser Sendung aus der normalen, der alltäglichen Realität ausgegliedert, dennoch existiert die normale Realität weiterhin und zwar gleichzeitig zu der Realität dieses Spiels. Der Zuschauer kann also während das Fußballspiel im Fernsehen läuft eine Episode betrachten, die sowohl einen Anfang als auch ein Ende hat, wodurch gewissermaßen eine zweite Realität entsteht (Luhmann 1996).
[...]
[1] Der Begriff „Autopoiesis" stammt aus dem Griechischen und setzt sich aus den Wörtern „autos" (selbst) und „poiein" (schaffen, bauen) zusammen.