Leseprobe
1. Einleitung
2. Forschungsperspektive & Begrifflichkeiten
3. Das Nationale Narrativ & die Wende
3.1 Das Narrativ des Nationalen in Deutschland
3.2 Prozesse der De-, Trans- und Re-Nationalisierung nach 1990
3.3 Die Position der Wende(erfahrung) im Narrativ des Nationalen
4. Das Nationale & die Wende bei der Dritten Generation Ost
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Ei, da steht ja Deutsche Demokratische Republik!“ – das war meine etwas ungläubige Reaktion, als mir meine Mutter – ich war gerade 25 – meine Geburtsurkunde für meine Unterlagen mitgab. Ich bin in einem Land geboren, das es nicht mehr gibt. Diese Erkenntnis überwältigte mich irgendwie. Ich wusste das zwar schon vorher, hatte möglicherweise meine Geburtsurkunde bereits einmal gesehen. Aber erst in diesem Alter traf mich das Gefühl, was damit einherging. Mir wurde klar, dass ich mich möglicherweise – ausgewiesen unter anderem durch dieses sehr persönliche und trotzdem auch staatliche Dokument – von anderen meiner Altersgenossen in Deutschland und der Welt sowie jüngeren Mitbürgern unterschied. Auch wenn dies nur eine winzige Anekdote aus meiner persönlichen Erfahrung mit der eigenen Herkunft darstellt, steht sie einleitend für eine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, die junge Menschen seit 2011 unter dem Begriff „Dritte Generation Ostdeutschland“ betreiben. Dabei handelt es sich um eine (postulierte) Generation der zwischen 1975 und 1985 in der DDR geborenen Menschen mit einer durch die Wende geprägten Biografie. Sie wurden in ihrer Kindheit und Jugend zuerst in dem einen und dann in dem anderen System sozialisiert und haben so einen spezifischen Erfahrungsraum entwickelt. Trotzdessen, dass ich laut Geburtsjahr (1988) nicht mehr zu dieser Generation gezählt werde, habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht und stelle mir ähnliche Fragen. Ich betrachte mich daher als Teil dieser Generation. In der vorliegenden Arbeit soll es darum gehen, wie die Dritte Generation Ostdeutschland sich am Diskurs um das Nationale in Deutschland beteiligt, welche Narrative sie möglicherweise verwendet und welches Verständnis sie vom Nationalen hat. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Bedeutung der DDR-Geschichte und der Wende bzw. Wendeerfahrung im Narrativ des Nationalen. (Hacker et al. 2012, S. 11f.)
2. Forschungsperspektive & Begrifflichkeiten
Das von Karl Mannheim 1928 beschriebene Phänomen der „Generationen“ ist mittlerweile zu einem sehr populären Konzept geworden. Die „neu entdeckten Generationen“ (Götz 2011, S. 341) sind eine nahezu logische Konsequenz der Diversifikation der Biografien und Identifizierungen sowie der „aktuellen Geschichtsverliebtheit“ (Götz 2011, S. 162) und der Auflösung der Perspektive „einer Geschichte im Singular“ und somit „vitale(r) Teil der Gegenwartskultur“ (Assmann 1999, S. 15f. nach Götz 2011, S. 348). Die Postulierung einer Dritten Generation Ostdeutschland ist in diesem Kontext nicht überraschend. Die Problematik des Generationsbegriffs spielt zwar bei der Betrachtung der Dritten Generation Ost eine Rolle, wird aber in der vorliegenden Arbeit nicht näher betrachtet. Vielmehr soll es hier um die Aspekte des Nationalen bei der erwähnten Generation gehen.
Das Nationale ist ein symbolischer Raum, in dem sich verschiedene Aspekte tummeln. Die von Erik Erikson in den 1950ern beschriebene Identität, verstanden als ein „individual sense of self“ bzw. „sense of sameness over time and space“ (Gillis 1994, S. 3), sei nach Stuart Hall durchaus „etwas Reales“, aber eben „kein Wesen, sondern eine Positionierung“ (Binder/Niedermüller/Kaschuba 2001, S. 10). Identitäten sind also keine feststehenden Fakten oder natürlichen Objekte, sondern „Konstruktionen der Wirklichkeit“ (Gillis 1994, S. 3). In diesen Kontext tritt dann der Begriff Kultur, der die relativen Positionen bzw. Positionierungen vieler Menschen umfasst: Identität wird zu einer Konstruktion von Gemeinsamkeit durch die Mitglieder einer großen Gruppe von Menschen, die sich dazu kultureller Elemente bedienen (Götz 2011, S. 81). Durch die Entstehung der Nationalstaaten haben sich in diese kulturelle Prägung der Identität die Begriffe des Nationalismus eingeschrieben (vgl. Gellner 1991, S. 13 – 16, S. 86ff.), weshalb die nationale Identität bzw. die Nationalität als „inhärentes Attribut“ (Gellner 1991, S. 16) oder auch „zweite Natur“ eines Menschen gilt und auf jeden Fall als „selbstverständlich gegebene, fraglose Gewissheit“ wahr- und hingenommen wird (Götz 2001, S. 261). Nationale Identität ist aber ein „subjektives Gefühl oder Bewusstsein, einer Nation zuzugehören“ (Götz 2001, S. 309) und die Nation somit eine „imagined community“ (Anderson 1983). Die Identifizierung mit einer Nation kann sich u. a. auf eine gemeinsame Abstammung beziehen (Götz 2001, S. 309). Ernest Gellner definiert daher den Begriff „Nation“ zum einen über diesen Aspekt: „Zwei Menschen gehören derselben Nation an, wenn sie (...) dieselbe Kultur teilen“ (Gellner 1991, S. 16). Götz nennt diese Definition das „ethnos“-Prinzip (vgl. Götz 2011, u. a. S. 14). Im Gegensatz – oder auch in Ergänzung – dazu meint das „demos“-Prinzip, dass die „Zugehörigkeit (zu einer Nation) von Wille, aufgeklärtem Wissen und entschiedenem Bekenntnis ab(hängt)“ (Götz 2011, S. 14). Gellner beschreibt dies so: „Zwei Menschen gehören derselben Nation an, wenn (...) sie einander als Angehörige derselben Nation anerkennen.“ (Gellner 1991, S. 16) Beim demos-Prinzip basiere die Identifikation mit der Nation auf universellen Werten, wie sie beispielsweise in demokratischen Staaten durch die Verfassung festgelegt sind, weshalb Götz in diesem Zusammenhang auch auf den populären Begriff des „Verfassungspatriotismus“ verweist (Götz 2011, S. 14).
Die Nation ist ein Aushandlungsprozess (vgl. Kaschuba 2001, S. 35) bzw. ein „Diskurs“ (Hall 1994, S. 201). Hall bezeichnet das auch als „Erzählung der Nation“ (Hall 1994, S. 202). Diese Erzählung wird im konkreten Fall eines Nationalstaates natürlich von unterschiedlichen Akteuren, wie der Politik, sozialen Institutionen, den Medien, aber auch den „ordinary people“ (Götz 2011, S. 85) vorgenommen (Hall 1994, S. 202) und mündet daher in unterschiedlichen Ausprägungen des Narrativs des Nationalen.
Das Nationale wiederum ist – wie bereits gesagt – ein symbolischer Raum (Binder/Niedermüller/Kaschuba 2001, S. 8), in welchem sich die bereits vorgestellten Begriffe miteinander verknüpfen. Es ist ein „kulturalistisch operierendes Integrationskonzept“ (Kaschuba 2001, S. 21) und „eine machtvolle Homogenisierungs- und Ordnungsstrategie“ (Götz 2011, S. 21). Beim Nationalen handelt es sich um eine „Form der Vertrautheit (…), die durch die Bezugnahme auf nationale Embleme, Formeln, Daten und Ereignisse erzeugt wird“ (Binder/Niedermüller/Kaschuba 2001, S. 9). Das Nationale ist:
ein „kulturell tradierbares System, (…) ein komplexer Wirkungszusammenhang von gesellschaftlich verfügbaren Bildern, Sprachformeln, Werthorizonten und symbolischen Handlungen, die als historisch begründet gelten und die unterhalb von politischen Programmen und ideologischen Konzepten eine spezifische mentale, sinnliche und emotionale Plausibilität besitzen.“ (Kaschuba 2001, S. 23) Aus Sicht der „ordinary people“ wird das Nationale meist im Sinne einer „essentialistische(n), bedeutungsschwere(n) Abstammungsgemeinschaft (…) als vorwissenschaftliches, naturalisiertes ('natürliches') Konzept“ verstanden, anstatt „als unter bestimmten historischen Bedingungen erst entstandenes und damit auch veränderbares Konstrukt“ (Götz 2011, S. 86). Diese Diskrepanz zwischen der Alltagsperspektive und der wissenschaftlichen Betrachtung schlägt sich auch im aktuellen Narrativ des Nationalen in Deutschland nieder, auf das im nächsten Kapitel eingegangen wird. Sehr bildlich formuliert, kann das Nationale als „kultureller Overall“ (Kaschuba 2001, S. 32) betrachtet werden, in welchem reales Material („Stoff und Fasern“) zur Repräsentation bestimmter postulierter „darunter liegender“ Eigenschaften benutzt wird. Es handelt sich beim Nationalen also auch um eine „komplexe und situative Inszenierungspraxis“ (Götz 2011, S. 46).
3. Das Nationale Narrativ & die Wende
3.1 Das Narrativ des Nationalen in Deutschland
Wird in Deutschland heute vom Nationalen gesprochen, werden immer zwei zeitliche Bezüge hergestellt, auf die alle Aspekte des nationalen Narrativs rekurrieren: Zum einen sind das der Holocaust und der Zweite Weltkrieg, zum anderen die deutsch-deutsche Vereinigung (Götz 2011, S. 255 u. 274). Den zentralen Bezugspunkt stellt die Zeit des Nationalsozialismus dar. Die Schuld für Genozid und Krieg bildete danach die Basis der Identifikation als „Deutsche“, die daraus resultierende Verantwortung wurde zur Leitlinie des persönlichen wie politischen Handelns (Vgl. Götz 2011, S. 292). Holocaust und Weltkrieg wurden zum „negativen Gründungsmythos“ Deutschlands. Seither stellt die Frage der nationalen Identität in Deutschland ein „heikles Thema“ (Götz 2011, S. 261) dar. Mittlerweile vorhandene positive Aspekte des nationalen Narrativs führen zu einer „ambivalenten deutschen Identität“ (Götz 2011, S. 290): Als „gut“ angesehene „deutsche“ Werte, Handlungsweisen, Errungenschaften oder positiv betrachtete Entwicklungen in Deutschland und die damit verbundene positive Haltung gegenüber diesem „modernen“ Deutschland werden immer mit einem Bezug auf den Holocaust relativiert (Vgl. u. a. Götz 2011, S. 289f.). Diese „reflexive Form nationaler Identifizierung“, die eben „keine selbstverständliche Gewissheit“ einer nationalen Identität hervorbringt, sondern immer als „reflektiertes Nationalbewusstsein“ auftritt (Götz 2011, S. 289), führt auch zu einer spezifischen Art des Erinnerns, die auch von Beate Binder in ihrem Beitrag über die Gedächtnislandschaft Berlin im Kontext des 8. Mai 1995 beschrieben wird. Obwohl Binder sich bei der Schilderung des vorsichtigen In-Szene-Setzens Deutschlands als „gleichberechtigte(m) Partner“ in Europa unter Beachtung der Geschichte (Binder 2001, S. 295) auf einen öffentlichen bzw. politischen Akt bezieht, kann die erwähnte „Vorsicht“ aber auch auf persönlich-privater Ebene ausgemacht werden, wenn Götz in Bezug auf eine Interviewpartnerin vom „Pendeln“ zwischen Scham über und „Hinwendung“ zu Deutschland schreibt (Vgl. Götz 2011, S. 289). Wichtiger Teil des Narrativs des Nationalen ist also die Sichtweise von „Deutschland als einem Nachkriegsprodukt“ (Götz 2001, S. 328) inkl. der „negativen Bewertungen und Gefühle“ als „Teil einer (…) Identität als Deutsche“ (Götz 2011, S. 289).
Dennoch werden Vorstellungen einer nationalen Identität deutlich. So basiert das Narrativ des Nationalen in Deutschland prinzipiell auf dem Grundgesetz. Zentraler Bezugspunkt ist zwar auch hier der Nationalsozialismus, da die deutsche Verfassung in wesentlichen Punkten gerade als Überwindung von staatlicher Gewalt und Willkür, Beschränkung von Meinungsfreiheit und -äußerungen sowie Ausgrenzung von Minderheiten verstanden wird. Teil des offiziellen Narrativs des Nationalen ist daher der „Verfassungspatriotismus“ (Vgl. Götz 2011, S. 342f.), bei dem das Grundgesetz „als Symbol der bundesrepublikanischen Erfolgsgeschichte inszeniert wurde“ (Götz 2011, S. 160). Eine weitere „Erfolgsgeschichte“ und wirkmächtiges Narrativ ist „Deutschland als Wirtschafts- und Industrienation“ (Götz 2001, S. 313f.). Darin schlagen sich die „Aufbauleistung der Großelterngeneration“ (Götz 2001, S. 328) bzw. das Narrativ des Wirtschaftswunderlandes inkl. dem identitätsstiftenden Nationalsymbol „D-Mark“ (Vgl. z. B. Götz 2011, S. 202f.), das Bild des hart arbeitenden Deutschen mit „Arbeits- und Leistungsethos“ (Götz 2001, S. 313) sowie der Mythos „Made in Germany“ (Heiler 2012, S. 69) nieder. In Verbindung damit stehen das Narrativ des Wohlfahrtsstaates und das Narrativ der Sozialen Marktwirtschaft. Ziel war es, ein sozial verträgliches Wirtschaftssystem zu etablieren, sodass alle Menschen im Land gleichmäßig daran teilhaben könnten, unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Stellung (Vgl. Speth 2009, S. 213). Götz konstatiert daher die „identitätsstiftende Bedeutung des Nationalstaates als Wohlfahrtsstaat“ (Götz 2011, S. 32) auch im heutigen Narrativ des Nationalen. In Rekurs auf die deutsche Vergangenheit hat sich im Narrativ des Nationalen in Deutschland zudem die Perspektive des „Nationalstaats im Verhältnis zu Europa“ als wirkmächtiger Diskurs herausgebildet (Vgl. Götz 2011, S. 32 ff.). Götz nennt dies das „Narrativ des 'normalisierten', 'supranational gezähmten', bei sich und in Europa angekommenen Nationalstaats“ (Götz 2011, S. 16), mit dem eine „die Einwanderer integrierende und überdies föderale Bürgernation mit universalistisch-demokratischen Werten inszeniert wird“ (Götz 2011, S. 16). „Europa“ sei „integrativer Teil des offiziellen, in der Politik propagierten Deutschlandbildes“ (Götz 2011, S. 332).
Neben diesen „modernen“ Narrativen des Nationalen scheinen bei der Identifikation auch immer wieder ältere Muster wie das Bild der „Kulturnation“ (u. a. Götz 2011, S. 302) durch. Diese Rückgriffe auf ältere Wertbestände wie das Bild des „jüdisch-christliche(n) Abendland(es)“ (Götz 2011, S. 346) oder der „Kulturnation“ Deutschland zeigen, welch große Bedeutung das ethnos-Prinzip (immernoch) innerhalb des Narrativs des Nationalen in Deutschland inne hat. Dies liege laut Götz unter anderem daran, dass „Deutschland erst sehr spät in den Prozess politischer (…) Modernisierung und Nationalstaatsbildung eintrat“ (Götz 2011, S. 120). Aufgrund der durch das demos-Prinzip propagierten aber in Deutschland gerade nach 1871 fehlenden Gleichheit „bedurfte es der Vorstellung, wenigstens eine kulturelle und völkische Gemeinschaft zu sein“ (Götz 2011, S. 120). Der negative Gründungsmythos des Holocausts ermöglichte dann ebenfalls lange Zeit keine Entwicklung „positiver nationaler Leitbilder“ – nicht mal auf Grundlage des demos-Prinzips (Götz 2011, S. 222). So sei vor allem nach 1990 die problematische Vorstellung der Abstammungsgemeinschaft erneut für das Narrativ des Nationalen herangezogen worden, wie beispielsweise die Debatte um die „deutsche Leitkultur“ zeige (Götz 2011, S. 222f. u. 324).
3.2 Prozesse der De-, Trans- und Re-Nationalisierung nach 1990
Die deutsch-deutsche Vereinigung ist nicht nur Teil der historischen Erzählung des nationalen Narrativs, sondern war zudem Ausgangspunkt für De-, Trans- und Renationalisierungsprozesse. De-Nationalisierung meint die Prozesse des Bedeutungsverlusts des Nationalstaates angesichts seines „Umbaus“: Zum einen verändern sich die Aufgaben und Strukturen des Nationalstaates aufgrund der Globalisierung und seiner Integration in größere politische Verbünde, wie z. B. die Europäische Union, oder transnationale Unternehmen bzw. Organisationen. Zum anderen verändert sich auch seine „Zusammensetzung“ hinsichtlich der Bevölkerung und ihrer vorgestellten „Homogenität“. (Götz 2011, S. 89) Nach der deutsch-deutschen Vereinigung kam es außerdem – wie bereits dargelegt – zu einer starken europäischen Ausrichtung und transnationalen Positionierung der Bundesrepublik (u. a. Götz 2011, S. 92). Nationalsozialismus bzw. Weltkrieg avancierten zum „gemeinsamen“ Ausgangspunkt Europas (Überwindung des nationalen Egoismus), die Wende wurde zum europäischen Ereignis in der Entwicklungslinie der EU-Erweiterungen (Götz 2011, S. 194). Die Trans-Nationalisierung und die prinzipielle Individualisierung von Lebenswelten und Biografien entziehen zudem der Vorstellung nationaler Identität und Homogenität die Grundlagen (Vgl. Götz 2011, S. 29 u. 323f.): „Multiple Identities“ (Gillis) sind Realität. Dieser gesellschaftliche Wandel, der mit Unsicherheiten und Ungewissheiten verknüpft ist, ruft aber auch eine Re-Nationalisierung hervor, die den erwähnten älteren Konzepten der „Volks- und Kulturnation“ Auftrieb gibt (Götz 2011, S. 89 u. 197). Die Wiedervereinigung eröffnete dem Nationalen wieder mehr Raum, weil die „Einheit der Nation“ verwirklicht wurde – die Begrifflichkeiten der Wende- und Nachwendezeit boten dafür den idealen Nährboden. Die Re-Nationalisierung kann dabei auch als „politische Strategie zur 'Bewältigung' (der) Denationalisierungsprozesse“ verstanden werden und fungiert quasi als „Halteleine“ in einer immer diffuser und komplexer werdenden Welt (Götz 2011, S. 197). Die wechselseitigen Prozesse der De-Nationalisierung und Re-Nationalisierung werden von Götz als „ Nation Rebuilding “ bezeichnet, das nach 1990 begann (Götz 2011, S. 91). Ein Teil des Rebuildings ist das Nation Branding, das Götz in verschiedenen Kontexten nach 1990 beobachtet hat. Damit seien „marketingstrategische“ und „multimedial operierende Inszenierungen“ (Götz 2011, S. 16 u. 46) gemeint, welche neue und alte nationale Selbst- und Fremdbilder zu einem „Markenprodukt“ verbinden, und den Nationen gleichzeitig einen nationalen und transnationalen Anstrich verpassen (Götz 2011, S. 92). Das Nation Branding, die Popularisierung von Geschichte sowie der durch Großereignisse wie die Fußball-WM angefachte Party-Patriotismus führen so, laut Götz und Aleida Assmann, zur „ Veralltäglichung des Nationalen “ (Götz 2011, S. 48 u. 168). Laut Götz sei das Nationale außerdem nach 1990 „pluraler“ geworden: die „Nation als 'Zentralperspektive'“ gäbe es nicht mehr, aber auch die „antinationale“ Haltung sei inzwischen aufgegeben worden. Das Nationale sei mittlerweile flexibler und offener, beinhalte aber gleichzeitig auch Abgrenzungstendenzen. „Dazwischen“, so Götz, gebe es „viele denkbare Spielarten“. (Götz 2011, S. 56 u. 157f.)
[...]