Binnenmigration in China

Migrationspolitik, Muster und soziale Folgen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2014

35 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Migrationstheorien
2.1 Definition der Migration
2.2 Ursachen der Migration
2.3 Modelle zur Einwanderung: Assimilation oder Marginalität

3. Binnenmigration in China
3.1 Institutioneller Hintergrund
3.2 Migrationsprozesse in China

4. Marginalisierung ländlicher Arbeitsmigranten
4.1 Segmentation auf dem Arbeitsmarkt
4.2 Segregation im Wohlfahrtssystem
4.3 Marginalsiedlungen

5. Schlussfolgerung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Im Vergleich zu traditionellen Gesellschaften sind moderne (industrialisierte) Gesellschaften durch höhere soziale und räumliche Mobilität gekennzeichnet. Die Migration wird als Symbol der Moderne eingeschätzt und teilweise mit Fortschritt und Bewegung gleichgesetzt (vgl. Treibel 2003:225-226). Allerdings sind “moderne Gesellschaften keine spannungsfreien Gebilde” (ebd.: 227). Die Zugewanderten sind auf der einen Seite dem Assimilationsdruck unterworfen und auf der anderen Seite der Diskriminierung und Segregation von Einheimischen ausgesetzt.

Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit der Binnenmigration bzw. der Landflucht in China, die von einer Serie intensiver Wirtschafts- und Politikreformen in den 1980er Jahren ausgelöst wurde und für die heutigen Chinesen keinen Sonderfall, sondern die Normalität darstellt. Zur Auseinandersetzung der Migrationsbewegung werden zunächst klassische Migrationstheorien dargestellt (Kap.2). Anschließend werden die spezifischen Migrationsprozesse in China beschrieben, die maßgeblich durch das hukou -System reguliert sind (Kap.3). Dann wird auf die Randlage von ländlichen Arbeitsmigranten in Städten eingegangen (Kap.4). Zum Schluss wird die Besonderheit der Binnenmigration in China hervorgehoben (Kap.5).

Migrationstheorien

2.1 Definition der Migration

Zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen befassen sich mit der Migration, wobei die Gesellschaftstheoretiker nicht nur den Verhaltensmodellen von Migranten und Einheimischen nachgegangen sind, sondern auch den sozialen Folgen aus der Migration für die Herkunfts- und Zielgesellschaft (vgl. Treibel 2003: 17-18).

l Begriffserklärung: Migration

In der Soziologie wird die Migration begriffen als “solche Bewegungen von Personen und Personengruppen im Raum (spatial movement)[...], die einen dauerhaften Wohnortwechsel (permanent change of residence) bedingen” (Han 2005: 7). Zwei Aspekte sind für die Erfassung der Migration konstitutiv(vgl. ebd.): (i) Die Migration ist immer mit einem Wohnortwechsel verbunden. Der neue Wohnort muss aber in einer anderen politischen Wohngemeinde liegen. (ii) Der Wohnortwechsel muss zumindest ein Jahr dauern (anhand der internationalen statistischen Erfassung der Migrationsbewegungen). Durch diese Begriffsbestimmung wird die Migration von andern räumlichen Bewegungen abgegrenzt, z.B. Reisen/Tourismus, beruflich bedingtes Pendeln, Umzüge innerhalb derselben politischen Gemeinde, da die oben angeführten räumlichen Bewegungen nicht mit einem dauerhaften Wohnortwechsel verbunden sind (vgl. Han 2005: 8).

Unter Migrationsbewegungen sind mehrere Typen zu bilden (vgl. Treibel 2003: 20):

Unter räumlichen Aspekten (Distanz) wird zwischen Binnenwanderung und internationaler Wanderung unterschieden. Mit der Binnenwanderung wird zumeinst die Land-Stadt-Migration gemeint, während die internationale Wanderung die nationalen Grenzen überschreitet.

Unter zeitlichen Aspekten wird zwischen temporärer und permanenter Wanderung unterschieden. Die Saisonarbeit /Gastarbeit gilt als typisches Beispiel für die temporäre Wanderung und die Niederlassung gilt als typisches Beispiel für die permanente Wanderung.

Mit Bezug auf die Wanderungsentscheidung wird zwischen freiwilliger und erzwungener Wanderung unterschieden. Die Arbeitsmigranten treffen gemeinhin freiwillig ihre Wanderungsentscheidungen, während die Flüchtlinge unter Zwang stehen, ihre Heimat zu verlassen.

Unter dem Aspekt des Umfanges der Migration wird zwischen Einzel-, Gruppen- und Massenwanderung unterschieden.

Angesichts neuerer Entwicklungen der Migration ist es aber immer schwerer geworden, einen Typ der Migration von anderen zu differenzieren. Die Übergänge zwischen temporärer und permanenter Wanderung sind fließend geworden. Es ist zu bemerken, dass in vielen Fällen die klassische Einwanderung temporär bleiben könnte und die Saisonarbeiter/Gastarbeiter hingegen sich in der Zielregion niederlassen könnten. Eine eindeutige Trennung zwischen freiwilliger und erzwungener Wanderung ist auch kaum möglich, da die Migrationsursachen immer vielschichtig sind und in vielen Fällen sich das Element des Zwangs mit jenem der Freiwilligkeit mischt. Es besteht auch ein Problem bei der Unterscheidung zwischen Einzel-, Gruppen- und Massenwanderung. In vielen Fällen bildet die Einzelwanderung einen Bestandteil der Kettenwanderung einer Gruppe von Verwandten und Bekannten, die sich wiederum im Rahmen einer Massenwanderung vollzieht (vgl. Treibel 2003: 20-21).

l Migrationssystem und Migrationsnetzwerk

Die Migration ist, dem systemisch-strukturellen Ansatz zufolge, “nicht das Resultat individueller Entscheidung, sondern ein soziales Produkt (migration as a social product), das in seiner Größe, Komposition, Dauer und Fließrichtung kontingent bleibt” (Boyd 1989, zitiert in Han 2005: 17). Mit anderen Worten lässt sich der Migrationsprozess im großen Maße durch die sozioökonomischen und politischen Strukturen der Sende- und Empfängerländer bedingen. Die Interaktionen zwischen Sende- und Empfängerländern im kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Bereich verbinden die Sende- und Empfängerländer zu einem Migrationssystem (vgl. Han 2005: 17).

Das Migrationsnetzwerk stellt eine wichtige Interaktion zwischen Sende- und Empfängerländern dar, da es die Migranten mit ihren Verwandten, Freunden sowie anderen Menschen aus ihrem Herkunftsland miteinander verbindet. Ein Zugang zum Migrationsnetzwerk im Zielland könnte die sog. Migrationskosten (z.B. die Reisekosten, Informations- und Suchkosten, Opportunitätskosten sowie die psychischen Kosten) entscheidend reduzieren. Mit anderen Worten ermöglichen die Pioniermigranten eine relativ reibungslose nachfolgende Migration für ihre Verwandten und Freunde (vgl. Han 2005: 17-18). “Ein sozialer Mechanismus der kumulativen Verursachung der Migration” (Han 2005: 18) würde einsetzen, wenn die Migrationsnetzwerke in der Größe progressiv zunehmen. Diese kumulative Verursachung der Migration führt zu dem Ergebnis, dass die Migration unabhängig von strukturellen Bedingungen weiter fortdauern könnte (vgl. ebd.).

2.2 Ursachen der Migration

l Push-Pull-Faktoren

Die Ursachen der Migration lassen sich vor allem auf die sog. Push-Pull-Faktoren zurückgreifen. Die Herkunftsregion übt eine Vertreibung aus, während die Zielregion eine Anziehung ausübt. Das Zusammenwirken der Vertreibung und der Anziehung veranlasst eine Ein-/Auswanderung.

Tabelle 1: Push-Pull-Faktoren

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Eigene Erfassung anhand Treibel 2003: 40-41)

In der Migrationsforschung stellen die ökonomischen Faktoren (z.B. die Situation auf dem Arbeitsmarkt) die zentralen Push-Pull-Faktoren dar. Hinzu kommt noch die Informationshypothese: Durch bestehende Kontakte mit Gewanderten erhalten die Menschen in der Herkunftsregion Informationen über die Zielregion. Derartiger Informationsaustausch trägt entscheidend zum Migrationsentschluß bei. Darüber hinaus sind die Beziehungs-Netzwerke von großer Bedeutung für den Migrationsentschluß. Wie oben bereits erwähnt, könnte ein Zugang zum Migrationsnetzwerk die Migrationskosten stark reduzieren und eine Ausreisebereitschaft entscheidend prägen. Der Faktor der Beziehungs-Netzwerke könnte eine Frage erklären: “Weshalb so viele Menschen, die in derselben sozio-ökonomischen Lage sind wie die Wanderinnen und Wanderer, selbst nicht wandern” (Treibel 2003: 41).

l Anlass zur Wanderung aus der Frustration und Unzufriedenheit

Eisenstadt zufolge entstammt der Anlass zur Wanderung vor allem aus der Frustration und Unzufriedenheit mit den Lebensbedingungen der Herkunftsgesellschaft. Es gibt, Eisenstadt zufolge, vier Bereiche, die Frustration und Unzufriedenheit auslösen und Wanderung veranlassen können (vgl. Eisenstadt 1954, zitiert in Treibel 2003: 43):

Wirtschaftlicher Bereich. Darunter wird ein Mangel an der Sicherung für die physische Existenz des Wanderers und seiner Familie verstanden, z.B. Arbeitsmigration.

Institutioneller Bereich. Dabei handelt es sich um eine fehlende institutionelle Gewährleistung von materiellen bzw. Ökonomischen Zielen, z.B. Überseeauswanderung.

Politischer Bereich. Dabei handelt es sich um eine mangelnde Identifikation und Solidarität mit den Werten bzw. Mitgliedern der Gesellschaften, z.B. Fluchtmigration.

Bereich der Lebensvorstellungen/Werte. Die Nichtverwirklichung der Lebensvorstellungen kann Wanderung veranlassen wie bei den frühen puritanischen Wanderern.

Einstadt hat darauf hingewiesen (1954, zitiert in Treibel 2003: 43), dass der anfängliche Anlass zur Wanderung die Orientierung des weiteren Migrationsprozesses bestimmen kann. Die Arbeitsmigranten sind beispielsweise primär ökonomisch motiviert, daher orientieren sie sich in der Zielregion vor allem an ökonomischen Möglichkeiten.

2.3 Modelle zur Einwanderung: Assimilation oder Marginalität

2.3.1 Theoretische Überlegungen zur Assimilation

l Eisenstadt: Prozess der Absorption

Für den Prozess der Eingliederung der Immigranten in die Aufnahmegesellschaft verwendet Eisenstadt den Begriff der Absorption. Der langwierige und umfassende Prozess der Absorption umfasst drei Teilprozesse (vgl. Eisenstadt 1954, zitiert in Han 2005: 51-53):

Institutionalisierung der Rollenerwartungen und Verhaltensweisen im Alltag

Der Prozess der Absorption fängt mit einem Lernprozess an, in dem die Immigranten neue Rollenerwartungen und Verhaltensweisen der Aufnahmegesellschaft übernehmen bzw. institutionalisieren. Nach einer Institutionalisierung der Lernvorgänge und nach einer Ausrichtung der Verhaltensweisen im Alltag findet unter Immigranten eine Akkulturation, im Sinne von Eisenstadt eine Transformation, statt.

Anpassung der Immigranten an die Anforderungen der Aufnahmegesellschaft

Bei diesem Teilprozess handelt es sich um einen Anpassungsprozess, in dem die Immigranten ihre sozialen Interaktionen und Partizipationen über die Primärgruppenbeziehungen hinaus ausbauen. Der Ausbau sozialer Interaktionen und Partizipationen trägt zur Herstellung einer Kompabilität zwischen den Werten der Immigranten und denen der Aufnahmegesellschaft bei. Derartige Wertkompabilität dient wiederum als Voraussetzung für die erfolgreiche Absorption.

Eindringen der Immigranten in die institutionellen Sphären der Aufnahmegesellschaft und Verschmelzung

Der Prozess der Absorption endet mit einem Verschmelzungszustand, in dem die Immigranten in verschiedene institutionelle Bereiche der Aufnahmegesellschaft (z.B. Politik, Wirtschaft, Kultur) so hineindringen, dass sie ihre ethnische Gruppenidentität aufgeben und zur vollkommenen Absorption gelangen.

Eisenstadts Meinung nach hängt die erfolgreiche Absorption von zwei Faktoren ab: das Transformationspotential der Immigranten einerseits und das pluralistische Potential der Aufnahmegesellschaft andererseits (vgl. Eisenstadt 1954, zitiert in Treibel 2003: 96-98/Han 2005: 52). Der Druck aus einer Desozialisation-Resozialisation der Immigranten und die fehlende Bereitschaft der Aufnahmegesellschaft, sich zu verändern und Immigranten die notwendigen Chancen zur Anpassung zu bieten, erschweren die vollständige Absorption. Oft stehen die Anpassungsbemühungen von Immigranten der Nicht-Anerkennung der Aufnahmegesellschaft gegenüber. Daraus könnten Unsicherheit, Angst und persönliche Desorganisation (z.B. psychische Störung, geistige Erkrankung, Kriminalität, Selbstmord) resultieren.

l Gordon: kulturelle und strukturelle Assimilation

Gordon hebt in seinem berühmten Werk “Assimilaton in American Life” hervor (vgl. Gordon 1964, zitiert in Han 2005: 53-55/Treibel 2003: 99-100): (i) Die amerikanische Gesellschaft ist aus ethnischen Subgesellschaften zusammengesetzt. Jede ethnische Subgesellschaft besitzt eigene soziale Strukturen und Subkulturen. Das Gruppenleben mit ethnischer Identifizierung scheint zwar dem modernen Trend der Globalisierung und Internationalisierung zuwiderzulaufen, es existiert aber in modernen Gesellschaften weiter. (ii) Die ethnischen Gruppen, die sich horizontal durch Rasse, Religion und Nationalität differenzieren, überlagern sich häufig mit den sozialen Klassen, die sich vertikal durch ökonomische, politische und statusmäßige Macht differenzieren. Daraus ergibt sich, dass die “core group” (z.B. die weißen Einwanderer aus nordeuropäischen Ländern mit angelsächsischer Herkunft und protestantischer Religionszugehörigkeit in der amerikanischen Gesellschaft) immer die oberen sozialen Klassen besetzen, während die anderen ethnischen Minderheiten oft Vorurteilen und Diskriminierungen gegenüberstehen und im unten der Hierarchie bleiben.

In Gordons Assimilationstheorie geht es ihm vor allem um die Fragen nach den Beziehungen zwischen “core group” und anderen ethnischen Minderheiten sowie nach Problemen der Vorurteile und Diskriminierungen, die eine Anpassung der ethnischen Einwanderer an die “core society”/ “core culture” erschweren (vgl. Gordon 1964, zitiert in Han 2005: 55).

Gordon gliedert den ganzen Assimilationsprozess in 7 Teilprozesse. Die erste Phase ist die kulturelle Assimilation bzw. Akkulturation, die Eisenstadts Transformation entspricht. Die zweite Phase ist die sog. strukturelle Assimilation, die sich darin niederschlägt, dass Einwanderer allmählich in strukturelle Bereiche der Aufnahmegesellschaft eintreten und am Leben sozialer Cliquen, Vereine und Institutionen partizipieren. Der strukturellen Assimilation erfolgt die “marital“-Assimilation: Einwanderer verheiraten sich mit Angehörigen der “core society”, dabei findet eine biologische Angleichung statt, welche die weitere identifikative Assimilation voraussetzt. Nach der Entwicklung des Zugehörigkeitsgefühls zur Aufnahmegesellschaft werden Vorurteile und Diskriminierungen abgebaut, somit treten die letzten drei Phasen (“attitude receptional”- Assimilation, “behavioral receptional” - Assimilation und zivile Assimilation) relativ problemlos und zügig ein (vgl. Gordon 1964, zitiert in Han 2005: 55-57).

[...]

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Binnenmigration in China
Untertitel
Migrationspolitik, Muster und soziale Folgen
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
35
Katalognummer
V385545
ISBN (eBook)
9783668605183
ISBN (Buch)
9783668605190
Dateigröße
561 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
binnenmigration, china, migrationspolitik, muster, folgen
Arbeit zitieren
Duanzhuang Zheng (Autor:in), 2014, Binnenmigration in China, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/385545

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Binnenmigration in China



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden