Intertextualität in der Artusepik am Beispiel von Wirnt von Grafenbergs "Wigalois"


Hausarbeit, 2008

18 Seiten, Note: 1,0

Tilia Hoffmann (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: Die Artusepik als Gattung mittelhochdeutscher Literatur
1.1. Zum Begriff der ‚Intertextualität’ und seiner Funktion im Artusroman
1.1.1. Forschungsgrundlage
1.1.2. Begründung der Vorgehensweise

2. Hauptteil: Intertextuelle Verfahren im ‚Wigalois’
2.1. Die Erzählerkommentare
2.2. Die Wiederverwendung von Figuren
2.2.1. Bekannte Frauengestalten
2.2.2. Keie
2.2.3. Gawein

3. Schluss: Das Verhältnis des ‚Wigalois’ zu den klassischen Artusromanen

Verzeichnis der verwendeten Literatur

1. Einleitung: Die Artusepik als Gattung mittelhochdeutscher Literatur

Zwar gab es in der Zeit der mittelhochdeutschen Literatur keine klaren Gattungsunterscheidungen, jedoch war durchaus schon ein gewisses ‚Gattungsbewusstsein’ der Menschen vorhanden, durch welches die spezifischen Merkmale der einzelnen Formen von Literatur wahrgenommen und unterschieden wurden. Heute ist die Aufteilung in drei Hauptgattungen grundlegend, zu denen die Heldendichtung, der Minnesang und der höfische Roman zählen.

Der höfische Roman findet seinen Ursprung in Frankreich im 12. Jahrhundert. Da es sich dabei um eine Gattung fiktionalen Erzählens handelt, definiert er sich im Gegensatz zur Heldenepik nicht über seinen historischen Wahrheitsanspruch, sondern über die Art und Weise, wie er das Erzählte aufbaut und welche Konstellationen er dabei hervorbringt.1 Dargestellt wird ein Ritter, der sich auf seinem Weg verschiedenen Herausforderungen stellt, diese bewältigt und somit als >ideal< gilt. Als eine spezielle Form des höfischen Romans gilt die Artusepik bzw. der Artusroman. Es handelt sich hierbei um eine erzählende Gattung des 12. bis 15. Jahrhunderts, die den sagenumwobenen britischen König Artus und seine Tafelrunde thematisiert und somit zumindest zum Teil historischen Anspruch besitzt.2 Im Mittelpunkt der Erzählung steht nicht der ideale, vorbildhafte Herrscher selbst - Artus fungiert eher als eine passive Figur im Hintergrund -, sondern ein einzelner Unbekannter, der eine zweifache Aventiuren- Reihe zu durchlaufen und bestehen hat, um schließlich selbst in die höfische Gesellschaft integriert und als vorbildhafter Ritter anerkannt zu werden.3 Ausgangspunkt dieses Schemas ist der Artushof oder ein Schauplatz in höfischer Umgebung, Orte, die durch ihre Idealität gekennzeichnet sind. In den Mittelpunkt des Geschehens rückt immer ein ankommender Fremder - oder auch ein heimkehrendes Mitglied -, welcher in irgendeiner Art und Weise von der ritterlichen Gesellschaft provoziert und herausgefordert wird und dessen Bewältigung seine erste Aventiure darstellt.4 Doch erst der Aufbruch des Helden in die unbekannte Welt außerhalb des Artushofes leitet seine zweite zu bestehende Aventiure ein, die die endgültige Integration in die höfische Gesellschaft erst möglich macht. Dieses klassische Muster, welches mit dem altfranzösischen Dichter Chrétien de Troyes seinen Anfang nahm, findet sich in der mittelhochdeutschen Literatur in Hartmann von Aues Werken Erec und Iwein wieder - die eine Adaption von de Troyes Erec et Enide und Yvain darstellen -, sowie im Parzival des Wolfram von Eschenbach.5 Ein anderes Werk, welches zwar zu den klassischen Artusromanen gezählt wird, sich aber nicht an dem >Erfahrungsmodell< Chrétiens orientiert - dargestellt wird ein krisenloser Held -, ist der Lancelet, geschrieben von Ulrich von Zatzikhoven.6

Als eine veränderte Form der klassischen Artusromane tauchte im 13. Jahrhundert der so genannte >nachklassische< Artusroman auf, welcher zwar auf den Artusstoff und seine Tradition zurückgreift, sich jedoch sowohl stofflich als auch strukturell auch an anderen Gattungen orientiert und damit neue erzählerische Möglichkeiten schafft.7 Einer der beliebtesten Artusromane, der zu diesen >Nachklassikern< zählt, ist der um 1215/1220 entstandene Wigalois von dem außerliterarisch nicht bezeugten Dichter Wirnt von Grafenberg.8 Wie für die nachklassischen Artusromane typisch, wird auch im Wigalois auf eine sinnvermittelnde Symbolstruktur der Erzählung bewusst verzichtet. Viel mehr legitimiert sich das Werk durch seinen erzählerischen und seinen - durch die perspektivische Vermittlung des Geschehens - didaktischen Gehalt:

„Der arthurische Abenteuerroman des 13. Jahrhunderts ist gekennzeichnet durch die bewusste Aufgabe der sinnvermittelnden Symbolstruktur Chrétien-Hartmann- Wolframscher Prägung und der damit bedingten Determiniertheit der Aventiuren. […] die Didaxe ist nicht mehr im problembezogenen erzählerischen Diskurs quasi >>verborgen<<, sondern wird in Kommentaren, punktuellen Handlungen und Abläufen eingebracht.“9

Eine weitere Abweichung von den klassischen Vorbildern ist daran zu erkennen, dass die Krise des Protagonisten - ein wichtiges Strukturelement für den Verhaltensentwurf klassischer Artusromane - ausbleibt.10 Dadurch, dass der Held schon von Beginn an als >ideal< dargestellt wird und die regelmäßigen Erfolgsvoraussagen jegliche Infragestellung des Helden vorwegnehmen, ist eine Krise für den geradlinigen Verhaltensentwurf des Protagonisten im nachklassischen Artusroman nicht vorgesehen.11

Mit solchen gattungsspezifischen Merkmalen steht Wirnt von Grafenbergs Wigalois in einer umfangreichen Reihe nachklassischer Werke wie etwa Heinrich von dem Türlins Die Crône oder Konrad von Stoffelns Gauriel von Muntabel.12 Ein weiteres Textphänomen, was den höfischen Romanen - und damit auch der Artusepik - gemein ist, ist das der Intertextualität, auf die ich nachfolgend näher eingehe.

1.1. Zum Begriff der ‚Intertextualität’ und seiner Funktion im Artusroman

Intertextualität ist der Bezug eines Textes auf einen oder mehrere andere Texte und kann - je nach Motivation - unterschiedlich realisiert sowie in seiner Funktion variabel sein. Da intertextuelles Erzählen ein literarisches Phänomen ist, welches lediglich als ein Teilelement aller Aspekte narrativer Praxis zu verstehen ist, kann es keinesfalls als ein Prinzip verstanden werden, welches pars pro toto für eine bestimmte Literaturgattung oder Epoche steht.13 Welche Bedeutung - oder welche Funktion - das intertextuelle Verfahren hat, ist abhängig von der jeweiligen Literaturgattung oder dem Textkonzept, das ihr unterliegt. In Bezug auf den Aufbau und das Sinnkonzept eines literarischen Werkes kann Intertextualität demnach von ganz unterschiedlicher Bedeutung sein und somit mal als eine Möglichkeit oder Alternative, mal als das wichtigste Element überhaupt fungieren.14 Der Begriff ist demnach weder als universelles Prinzip zu verstehen, mit dem eine bestimmte literaturwissenschaftliche Sichtweise korrespondiert, noch unterliegt ihm ein bestimmtes methodisches Konzept.15

Betrachtet man die Artusepik und die ihr zu Grunde liegenden Gattungsmerkmale, erkennt man, dass die intertextuelle Dimension hier eine große Rolle spielt. Dabei ist schon die Betitelung ‚Artusroman’ programmatisch zu verstehen: Trotz variabler Erzählung basieren die Romane im Kern stets auf ein und denselben Stoff, nämlich auf den Artushof und seine Gesellschaft. Mit diesem Charakteristikum, dem einheitlichen und recht übereinstimmenden Erzähl- und Überlieferungsraum, geht auch automatisch eine Verflechtung des Personals der einzelnen Romane einher, was als intertextuell zu verstehen ist: „Da eine Figur als ein Textelement gilt, kann ihre Übernahme in einen Folgetext grundsätzlich auch als „Zitat“ oder „Anspielung“ betrachtet werden.“16 Durch diese Gattungstradition, d.h. die Verknüpfung des Epenpersonals untereinander, ist der Artusroman demnach von vornherein ‚intertextuell’ und Intertextualität demnach ein wichtiges Merkmal der Artusepik. Die funktionale Bedeutung, die diesem Verfahren demnach zunächst zukommt, ist die Aufrechterhaltung und Weiterführung einer literarisch- genealogischen Erzähltradition.

[...]


1 Vgl. Meid, Volker: Höfisch-historischer Roman. In: Fricke, Harald (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Band 2. Berlin 2000, S. 75.

2 Vgl. Mertens, Volker: Artusepik. In: Weimar, Klaus (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Band 1. Berlin 1997, S. 154-156.

3 Vgl. Mertens: Artusepik, S. 155, 156.

4 Vgl. Cormeau, Christoph: >Wigalois< und >Diu Crône<. Zwei Kapitel zur Gattungsgeschichte des nachklassischen Aventiureromans. Zürich, München 1977 (MTU 57), S. 10.

5 Vgl. Mertens, Volker: Der deutsche Artusroman. Stuttgart 1998, S. 25, 44, 52.

6 Vgl. Mertens: Der deutsche Artusroman, S. 90.

7 Vgl. Mertens: Der deutsche Artusroman, S. 176.

8 Vgl. Mertens: Der deutsche Artusroman, S. 177.

9 Mertens: Der deutsche Artusroman, S. 176.

10 Vgl. Cormeau: >Wigalois< und >Diu Crône<, S. 48.

11 Vgl. Cormeau: >Wigalois< und >Diu Crône<, S. 59.

12 Vgl. Mertens: Der deutsche Artusroman, S. 185, 234. 2

13 Vgl. Daiber, Andreas: Bekannte Helden in neuen Gewändern? Intertextuelles Erzählen im ‚Biterolf und Dietleib’ sowie am Beispiel Kaies und Gaweins im ‚Lancelet’, ‚Wigalois’ und der ‚Crone’. Frankfurt am Main 1999 (Mikrokosmos 53), S. 18.

14 Vgl. Daiber: Bekannte Helden in neuen Gewändern?, S. 18.

15 Vgl. Daiber: Bekannte Helden in neuen Gewändern?, S. 18.

16 Daiber: Bekannte Helden in neuen Gewändern?, S. 18. 3

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Intertextualität in der Artusepik am Beispiel von Wirnt von Grafenbergs "Wigalois"
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Deutsche Philologie)
Veranstaltung
Aufbauseminar: Wirnt von Grafenberg, Wigalois
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
18
Katalognummer
V386199
ISBN (eBook)
9783668605824
ISBN (Buch)
9783668605831
Dateigröße
459 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
intertextualität, artusepik, beispiel, wigalois, wirnt, grafenberg, wirntvongrafenberg
Arbeit zitieren
Tilia Hoffmann (Autor:in), 2008, Intertextualität in der Artusepik am Beispiel von Wirnt von Grafenbergs "Wigalois", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/386199

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