2016 kamen über 35.000 unbegleitete minderjährige Asylsuchende nach Deutschland. Im Vergleich zur Gesamtzahl der im Jahr 2016 gestellten Asylanträge ist diese Zahl zwar verhältnismäßig klein. Doch die Gruppe der unbegleiteten Kinder und Jugendlichen stellt die Behörden vor besondere Herausforderungen, denn häufig ist die Lebenswelt der jungen MigrantInnen von traumatisierenden Erfahrungen geprägt.
Wie kann diesen Kindern und Jugendlichen auf dem Gebiet der Sozialen Arbeit geholfen werden? Welche Ansätze stellen trotz der gravierenden Belastungen eine gesunde psychische Entwicklung sicher? Jochen Rusina geht diesen Fragen nach und behandelt in seiner Publikation den möglichen Einsatz von Resilienzförderung. Deren Ziel ist es, die personalen und sozialen Schutzfaktoren zu stärken.
Rusina zeigt auf, wie Kunsttherapie die Bindungsfähigkeit, Kreativität und Wahrnehmung der eigenen Identität fördert. Die Publikation liefert so neben detailliertem Hintergrundwissen auch praktische Ansatzpunkte, anhand derer sich Resilienzförderung im Rahmen der Sozialen Arbeit konkret umsetzen lässt.
Aus dem Inhalt:
- Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge;
- Resilienzförderung;
- Soziale Arbeit;
- Kunsttherapie;
- Resilienzforschung
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Unbegleitete ausländische Minderjährige
2.1 Definition von Flüchtlingen und unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
2.2 Lebenslage von unbegleiteten ausländischen Minderjährigen in Deutschland
2.3 Innere Prozesse von unbegleiteten Minderjährigen
3 Resilienz
3.1 Merkmale von Resilienz
3.2 Protektive Faktoren
3.3 Risikofaktoren
3.4 Schutzfaktor Beziehung
3.5 Resilienz ist Haltung und Fähigkeit – eine personale Ressource
4 Resilienzförderung von unbegleiteten Minderjährigen
4.1 Individuelle Kompetenzförderung durch Kunsttherapie mit minderjährigen Migrantinnen
4.2 Resilienzförderung von Jugendlichen durch die Gestaltung einer förderlichen Umwelt
5 Spezifika in der Sozialen Arbeit mit unbegleiteten Minderjährigen
5.1 Spezifische Bedarfe von unbegleiteten minderjährigen Mädchen
5.2 Spezifische Bedarfe von unbegleiteten minderjährigen Jungen
5.3 Sprachliche Anschlussfähigkeit
5.4 Traumata
5.5 Sozialisation
5.6 Religion
5.7 Kindeswohlgefährdung
5.8 Grenzen der Pädagogik
6 Anforderungen an die Fachkräfte Sozialer Arbeit
6.1 Kultursensibilität
6.2 Reflexionsfähigkeit, Anerkennung und Diversitätsbewusstsein
6.3 Empowerment
7 Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Im Rahmen dieser Thesis geht es um unbegleitete ausländische Minderjährige, die aus unterschiedlichen Gründen - auch ökonomischen - nach Deutschland kommen.
Die offizielle Asylgesuchsstatistik der Bundesregierung beziffert den Zugang von unbegleiteten ausländischen Minderjährigen, die einen Asylantrag stellten, auf 35.939 im Jahr 2016 (vgl. Deutscher Bundestag 2017: 4).
Im Vergleich zur Gesamterfassung der Migranten*innen, die 2016 nach Deutschland kamen und deren Zahl vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf 722.370 beziffert wird, ist die Gruppe der unbegleiteten Minderjährigen klein und macht 2016 mit 44.935 nur rund 6 Prozent der Asylsuchenden in Deutschland aus (vgl. BAMF 2017).
Dennoch stellt gerade diese Gruppe besondere Herausforderungen an die Gesellschaft, weil die Lebenswelt der jungen Migranten*innen häufig von traumatisierenden Erfahrungen geprägt ist.
Es stellt sich die Frage, wie diesen Jugendlichen im Rahmen der Sozialen Arbeit geholfen werden kann, dass sie trotz der gravierenden Belastungen eine gesunde psychische Entwicklung nehmen. Dieser Frage geht diese Arbeit nach.
Im ersten Teil der Arbeit werden Lebenslagen von unbegleiteten Minderjährigen näher beschrieben und innere Prozesse der jungen Migranten*innen skizziert. Es wird deutlich, welche enormen Probleme die Jugendlichen zu bewältigen haben und vor welchen Herausforderungen Institutionen stehen, die den Jugendlichen helfen sollen.
Die Resilienzforschung hat verschiedene Ansätze entwickelt und Erkenntnisse gebracht, die für die Bewältigung dieser Herausforderungen hilfreich sein können. Im zweiten Teil werden zunächst einige zentrale Erkenntnisse und Ansätze der Resilienzforschung dargelegt.
Im dritten Teil werden anhand einer Studie mit jungen Flüchtlingsfrauen Möglichkeiten aufgezeigt, wie Kunsttherapie auf der Grundlage der Resilienzforschung ihre Arbeit mit Minderjährigen gestaltet. Diese Studie liefert zugleich Ansatzpunkte für Professionelle der Sozialen Arbeit, anhand derer sich Resilienzförderung konkret umsetzen lässt.
Der vierte Teil beschäftigt sich anschließend mit spezifischen Problemlagen von unbegleiteten Minderjährigen im Kontext der Sozialen Arbeit und nennt Kompetenzen, die Fachkräfte der Sozialen Arbeit im Umgang mit unbegleiteten Minderjährigen entwickeln sollten.
Die Schlussbetrachtung fasst abschließend einige zentrale Aspekte der Thesis zusammen.
Diese Arbeit vermeidet den Begriff „Flüchtling“ und verwendet stattdessen den Begriff „Unbegleitete Minderjährige“ (UM). Synonym dazu sind die Begrifflichkeiten „unbegleitete ausländische Minderjährige“ oder „unbegleitete ausländische Kinder- und Jugendliche“.
2 Unbegleitete ausländische Minderjährige
In diesem Teil werden zunächst der Begriff „Flüchtling“ und „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ erläutert und anschließend die (psychische) Lage der Jugendlichen zu erfassen versucht.
2.1 Definition von Flüchtlingen und unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
Definition von Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention
„Umgangssprachlich sind alle Menschen, die aus ihrem Heimatland fliehen, Flüchtlinge. Rechtlich ist es komplizierter“ (vgl. Die Bundesregierung 2017).
Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ist ein internationales Abkommen und definiert einen Flüchtling folgendermaßen: Gemäß Artikel 1 ist ein Flüchtling eine Person, die „sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt“ (UNHCR 2017) oder in dem sie ihren ständigen Wohnsitz hat (vgl. UNHCR 2017). Die Gründe für den Aufenthalt im Ausland liegen bei diesen Personen in der „begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“ (ebd.). Diese Personen können den Schutz des Heimatlandes nicht in Anspruch nehmen und nicht in die Heimat zurückkehren (vgl. ebd.).
Wirtschaftliche Not, Armut und Naturkatastrophen gehören nach der Konvention von Genf nicht zu den Gründen, die eine Person zu einem Flüchtling machen.
Definition von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
Die Genfer Flüchtlingskonvention enthält keine besonderen Regelungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Die Konvention ist allgemein formuliert und umfasst alle Flüchtlinge, egal welchen Alters. Sie fordert stattdessen von den jeweiligen Vertragsstaaten eine kindgerechte Auslegung (vgl. Parusel 2009: 14).
Die EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU vom 26.6.2013 definiert einen unbegleiteten ausländischen Minderjährigen unter Artikel 2 „Begriffsbestimmungen“ als einen „Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen unter 18 Jahren, „der (…) ohne Begleitung eines verantwortlichen Erwachsenen in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreist“ (Europäisches Parlament 2013: 180/99, Auslassungen J.R.). „Dies schließt Minderjährige ein, die nach der Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates dort ohne Begleitung zurückgelassen wurden“ (ebd.).
Das Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher vom 28.10.2015 ergänzt die Fassung des Sozialgesetzbuchs VIII (SGB VIII) von 2012 durch mehrere Paragrafen. Paragraf 42a verpflichtet das Jugendamt „ein ausländisches Kind oder einen ausländischen Jugendlichen vorläufig in Obhut zu nehmen, sobald dessen unbegleitete Einreise nach Deutschland festgestellt wird“. Der Gesetzestext bezeichnet Minderjährige, die ohne eine sorge- oder erziehungsberechtigte Person nach Deutschland kommen, als unbegleitete ausländische Kinder und Jugendliche (vgl. SGB VIII Artikel 42, 42a, 42b, 42c)
Paragraf 7 SGB VIII definiert ein Kind als eine Person, die noch nicht 14 Jahre alt und Jugendliche als Personen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren.
2.2 Lebenslage von unbegleiteten ausländischen Minderjährigen in Deutschland
Unter den schutzsuchenden Migranten*innen, die nach Deutschland kommen sind neben Frauen und Männern, Familien mit Kindern und begleiteten Jugendlichen auch immer wieder unbegleitete ausländische Kinder und Jugendliche.
2.2.1 Fluchtgründe
Warum lassen Kinder und Jugendliche ihre Familie in der Heimat zurück und fliehen ins Ausland? Der Handlungsdruck muss extrem hoch sein, um tausende Kinder und Jugendliche ohne den Schutz ihrer Eltern eine gefährliche Reise ins Unbekannte antreten zu lassen.
Der Blick in die Herkunftsländer der unbegleiteten ausländischen Minderjährigen, die in Deutschland Zuflucht suchen, offenbart deren Alltag. Die Medien berichten über Krieg, Hunger, Gewalt und Unterdrückung in Ländern wie Afghanistan, Syrien, Irak, Eritrea, Somalia oder einem anderen Krisenstaat.
Die Bundesregierung differenziert in einem Bericht über die Situation unbegleiteter ausländischer Minderjähriger in Deutschland zwischen allgemeinen Fluchtgründen und kinderspezifischen Fluchtgründen. Krieg, politische oder religiöse Verfolgung, physische und psychische Gewaltanwendung und Perspektivlosigkeit in prekären Wirtschaftslagen gehören demnach zu den allgemeinen, Zwangsrekrutierung als Kindersoldat, geschlechtsspezifische Verfolgung, innerfamiliäre Gewalt, Kinderprostitution und Zwangsverheiratung zu den kinderspezifischen Fluchtgründen (vgl. Deutscher Bundestag 2017a: 8).
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat aufgrund der Datenlage, bis zum Jahr 2017 keine detaillierte Aufschlüsselung der Fluchtgründe für die in Deutschland lebenden unbegleiteten Minderjährigen verfassen können.
Die folgende Darstellung basiert auf den Daten der Bundesregierung für das Jahr 2016 und soll dabei helfen, Rückschlüsse auf die Fluchtgründe der unbegleiteten Minderjährigen zu ziehen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Asylanträge von unbegleiteten Minderjährigen nach Herkunftsstaat in 2016 (eigene Darstellung).
Quelle: Daten aus der Antwort der Bundesregierung (vgl. Deutscher Bundestag 2017: 4).
Krieg
Krieg und bewaffnete Konflikte sind statistisch gesehen Hauptursachen für Lebensumstände, vor denen Menschen fliehen. 2016 kamen laut Statistik 27.964 unbegleitete asylsuchende Kinder und Jugendliche aus den Bürgerkriegsländern Afghanistan, Syrien und Irak nach Deutschland (vgl. Abbildung 1). Das sind fast 78 Prozent der asylsuchenden unbegleiteten Minderjährigen im Jahr 2016.
Die Bundeszentrale für politische Bildung beschrieb 2015 in ihrem Dossier „Innerstaatliche Konflikte“ verschiedene Länder.
Demnach kämpft in Afghanistan die afghanische Regierung mit internationalen Verbündeten gegen radikale Islamisten (vgl. Ruttig 2015). „Der Syrien-Krieg hat mehr als 250.000 Menschenleben gefordert und die Hälfte der Bevölkerung (ca. 24 Mio.) zu Flüchtlingen gemacht“ (Wieland 2015).
Der Irak ist nach Golfkrieg, UN-Embargo und dem Sturz Saddam Husseins politisch, konfessionell und territorial tief gespalten (vgl. Rohde 2015). „Die Verwaltung funktioniert nur noch in den großen Städten. Die Wirtschaft ist im Niedergang begriffen. Soziale Probleme wie Vertreibung, Arbeitslosigkeit und Armut nehmen Überhand“ (ebd.).
In dem instabilen Staat Somalia profitiert die islamistische Miliz Al Shabaab von dem politischen Vakuum (vgl. Balthasar 2015) und Pakistan leidet unter einer schwachen sozioökonomischen Entwicklung und Terrorismus mit verheerenden Anschlägen (vgl. Wojczewski 2015).
Die Medien zeigen Bilder von zerbombten Häusern und Städten und Kinder, die in den Trümmerhaufen spielen. Szenen der Zerstörung, der Angst vor dem nächsten Bombenangriff, der Schutz- und Hilflosigkeit werden dargestellt.
UNICEF verifizierte in Syrien „im Jahr 2015 mehr als 1.500 schwerste Kinderrechtsverletzungen“ (UNICEF 2016a). 60 Prozent der Rechtverletzungen betreffen getötete und verstümmelte Kinder (vgl. ebd.).
In Kriegsgebieten werden jeden Tag „(…) im Durchschnitt vier Schulen oder Krankenhäuser zur Zielscheibe bewaffneter Angriffe“ (ebd., Auslassung J.R.).
Die Psychologin und Fachberaterin für Psychotraumatologie Ulrike Schneck geht davon aus, dass Kinder und Jugendliche aus Kriegsgebieten die Erfahrung gemacht haben, dass nichts sicher ist (vgl. Schneck 2017: 16). „In Kriegsgebieten sind Angstzustände nicht mehr einzelnen traumatischen Ereignissen zuzuordnen, sondern bleiben bestehen und gehören zum Alltag“ (ebd.).
Militärdienst / Zwangsrekrutierung als Kindersoldat
2016 kamen laut Statistik 1818 unbegleitete minderjährige Asylsuchende aus Eritrea nach Deutschland. Der UN-Bericht zur Lage der Menschenrechte in Eritrea aus dem Jahr 2016 empfiehlt, schutzsuchende Eritreer als Flüchtlinge einzustufen, weil es in dem Land zu anhaltenden Menschenrechtsverletzungen kommt (UN 2016). Aus dem Bericht geht hervor, dass in Eritrea Sklaverei, Verschleppungen, Folter, willkürliche Inhaftierung, Vergewaltigungen und Mord und an der Tagesordnung stehen (vgl. ebd.).
Demgegenüber formuliert die European Asylum Support Office (EASO) die Menschenrechtslage in Eritrea zurückhaltender. EASO beschreibt den Zugang zu neutralen Quellen für die Recherche als schwierig. Sie nutzt verfügbare Informationen der eritreischen Regierung, von Personen die in Eritrea leben und Einschätzungen von eritreischen Flüchtlingen, um eine möglichst umfassende Sicht auf die Menschenrechtslage zu ermöglichen (vgl. EASO 2016: 14).
Die EASO kommt 2016 zu dem Ergebnis, das bei freiwilligen Rückkehrern nach Eritrea, die zuvor den Militärdienst verweigert haben und ins Ausland geflüchtet sind, „die drakonischen gesetzlichen Bestimmungen derzeit offenbar nicht angewendet (werden)“ (vgl. a.a.O.: 9, Anpassung J.R.).
Auf die Rückkehrer wartet dennoch der obligatorische Nationaldienst, der junge Erwachsene Eritreer zu Militär- und Zivildienst von unbegrenzter Dauer verpflichtet. Das Mindestalter für die Einberufung zum Nationaldienst liegt bei 18 Jahren. Amnesty International berichtet in dem Eritrea-Report 2017 von minderjährigen Schüler*innen, die das letzte Schuljahr in einem militärischen Ausbildungslager unter prekären Lebensumständen verbringen. Insbesondere junge Frauen sind dort sexuellen Übergriffen ausgesetzt (vgl. Amnesty International 2017a).
Obwohl die Regierung Eritreas für den zivilen Nationaldienst eine Erhöhung der Löhne umsetzen konnte (vgl. EASO 2016: 9), erhalten die Militärdienstleistenden „nur eine geringe Besoldung“ (Amnesty International 2017a). Durch willkürliche Urlaubsregelungen wird ein geregeltes Familienleben unmöglich gemacht (vgl. ebd.).
EASO beziffert die Dauer des zivilen Nationaldienstes auf durchschnittlich 5-10 Jahre (vgl. EASO 2016: 9). Amnesty International berichtet von 67 Jahre alten Männern und älteren Frauen, die unter Androhung von Strafen militärischen und zivilen Nationaldienst verrichten mussten (Amnesty International 2017a).
Folter
Die Antifolter-Konvention der Uno von 1984 definiert Folter als eine Handlung, „durch die einer Person große körperliche und seelische Schmerzen zugefügt werden, mit der Absicht, Informationen oder eine Aussage zu erhalten, einzuschüchtern oder zu bestrafen und wird durch Vertreter*Innen eines Staates oder mit staatlichem Einverständnis begangen“ (Amnesty International 2017).
Das Verbot der Folter ist ein Menschenrecht und 1948 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte bekundet, ohne rechtsverbindliche Kraft zu besitzen (vgl. ebd.)
30 Jahre nach der Verabschiedung der Antifolterkonvention der Vereinten Nationen kommt Amnesty International zu dem Ergebnis, dass zwischen 2009 und 2014 in 141 Ländern gefoltert wurde (vgl. ebd.). Die Länder aus Abbildung 1 gehören demnach zu den Staaten, in denen gefoltert wird.
Amnesty International dokumentierte von 2013 bis 2014 siebenundzwanzig Foltermethoden, darunter Schläge, Elektroschocks, Verharren in schmerzhaften Positionen, z.B. im Stehen, Knien oder Hängen, lang andauernde Isolation, Scheinhinrichtungen, Sauerstoffentzug, Zufügen von Schnittverletzungen oder Verbrennungen, z.B. mit Zigaretten, heißem Wasser oder heißem Plastik (vgl. ebd.). Sexuelle Erniedrigung findet durch Vergewaltigungen statt, anale Penetration mit Gegenständen oder Verletzungen der Geschlechtsorgane (vgl. Schneck 2017: 18).
Alle Formen von Folter haben verheerende Konsequenzen auf das Kohärenzgefühl der Gepeinigten und sind eine „besonders stark traumatisierende Erfahrung“ (ebd.).
Staatliche Unterdrückung und Diskriminierung
Die Asylgesuchsstatistik zu unbegleiteten Minderjährigen 2016 (vgl. Abbildung 1) präsentiert neben Kriegsgebieten wie Afghanistan, Syrien, Irak und Somalia, Länder wie Eritrea und Iran, in denen Menschen unter repressiven Bedingungen leben müssen.
Die Bundeszentrale für politische Bildung beschreibt die Situation in Eritrea mit den Worten: „Eritrea gilt als eines der repressivsten Länder der Welt“ (Hanewinkel 2014). Eritrea rangiert in Bezug zur Pressefreiheit auf dem letzten Platz (vgl. ebd.).
Der Iran ist mit 411 asylsuchenden Minderjährigen in der Statistik vertreten und verfügt über „eine der stärksten“ Internet-Polizei-Strukturen auf diesem Planeten und einem effizienten Repressionsapparat (vgl. Chimelli 2011).
Wenn Menschen das Recht auf freie Meinungsäußerung oder Religionsfreiheit verlieren, sich vor willkürlichen Eingriffen in das Privatleben nicht mehr schützen können, sich herrschenden Ideologien unterordnen müssen oder aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit diskriminiert werden, dann wird das Leben unerträglich und treibt die Menschen in die Flucht (vgl. Schneck 2017).
Politisch aktive Eltern werden in vielen Ländern staatlich verfolgt. Um ihre Kinder vor stellvertretender Verfolgung zu schützen, vertrauen die Erziehungsberechtigten ihre Kinder den Schleuserbanden an, mit dem Auftrag sie nach Europa zu bringen. Minderjährige, die die Beweggründe ihrer Eltern nicht nachvollziehen konnten, haben bei der Erstaufnahme und im Asylverfahren Probleme, weil sie ihre Flucht nicht ausreichend begründen können (vgl. BAMF 2014).
Kulturelle Traditionen
Kulturelle Traditionen können zum Fluchtgrund werden, wenn sie Kinder und Jugendliche zwingen etwas zu tun, was sie nicht möchten. Solche Traditionen sind Einbahnstraßen und kennen keine Auswege für Mädchen, die beschnitten werden sollen, für Frauen, denen die Schuld an der Vergewaltigung gegeben wird oder für Kinder, deren Eltern sie zwangsverheiraten (vgl. Schneck 2017: 17).
Der Report 2016/17 von Amnesty International zu Gambia und Guinea macht auf die Kinderrechte in beiden Ländern aufmerksam. Beide Länder haben eine hohe Rate an Kinderehen. Während in Gambia im Juli 2016 ein neues Gesetz verabschiedet wurde, welches Ehen unter 18 Jahren verbietet (vgl. Amnesty International 2017b), gehört Guinea, im internationalen Vergleich, zu den Ländern mit der höchsten Rate an Kinderehen (vgl. Amnesty International 2017c). In Bangladesch beziffert das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF 2016 die Zwangsheirat auf beinahe 40 Prozent der Mädchen unter 15 Jahren. In dem Artikel „Kinderheirat ist eine schwere Menschenrechtsverletzung“, beschreibt UNICEF die Folgen einer Heirat im Kindesalter: Vergewaltigung und Unterdrückung durch die älteren Ehemänner, frühe Schwangerschaften, Verlust der Kindheit, Trennung von Familie und Freunden sowie soziale Isolierung (vgl. UNICEF 2016b).
Sexuelle und häusliche Gewalt
Mit dem Thema Traditionen ist die weibliche Genitalbeschneidung verbunden. Das BAMF sieht die Genitalverstümmelung von Minderjährigen wie z.B. in Guinea als eine wesentliche Fluchtursache an (BAMF 2014).
Die Statistik in Abbildung 1 gibt 110 Kinder und Jugendliche aus Albanien an, die 2016 in Deutschland einen Asylantrag stellten (vgl. Abbildung 1). Amnesty International berichtet in ihrem Report zu Albanien neben weitverbreiteter Korruption, Folter und Misshandlungen auf Polizeiwachen von häuslicher Gewalt gegen Frauen und Mädchen (vgl. Amnesty International 2016). Zugleich gilt Albanien als sicheres Herkunftsland und Asylanträge von Albanern werden in der Regel abgelehnt.
Kriminalität
Eine Untersuchung von UNICEF in 2012 belegt, dass „ein hohes Maß sozialer Ungleichheit einhergeht mit hoher Kriminalität und Gewalt“ (UNICEF 2012). Viele der Kinder, die in solchen Verhältnissen aufwachsen müssen, schließen sich, auf der Suche nach Anerkennung und Sicherheit, Banden an (vgl. ebd.).
Außerdem geraten viele Minderjährige in die Abhängigkeit von organisierter Kriminalität durch Krieg, bewaffnete Konflikte oder AIDS, die den Kindern und Jugendlichen die Eltern nehmen (UNICEF 2010: 4).
Ausbeutung
Schutzlosigkeit und der Zwang zur Selbstfürsorge bedeutet für Minderjährige in vielen Ländern dieser Welt harte Arbeit und Prostitution. Arbeitenden Kindern fehlt die Schulbildung. Als Analphabeten sind sie wiederum auf ihre Kinder angewiesen, die für sie arbeiten, denn die Armut lässt ihnen keine andere Wahl. UNICEF schätzt, dass in Afrika jedes dritte Kind im Alter von fünf bis 14 Jahren arbeitet (vgl. ebd.).
In Südostasien ist die Schuldknechtschaft verbreitet, die Kinder dazu zwingt unter sklavenähnlichen Bedingungen in Steinbrüchen und Fabriken zu arbeiten, um die Schulden ihrer Eltern zu tilgen (vgl. ebd.)
In West- und Zentralafrika werden nach Schätzungen von UNICEF jährlich 200.000 Kinder und Jugendliche Opfer des Menschenhandels (vgl. ebd.). Aus Mali verschleppte Jungen leisten beispielsweise schwere körperliche Arbeit auf Plantagen in der Elfenbeinküste und verschleppte Mädchen aus Nepal arbeiten z.B. als Prostituierte in Indien (vgl. ebd.).
Für Minderjährige aus armen Familien ist die sexuelle Ausbeutung der Beginn eines Lebens aus Erniedrigung, Einschüchterung, Drogen und Gewalt (vgl. ebd.).
Hunger
Weltweit werden Lebensgrundlagen zerstört. Sei es durch Verschmutzung, Flutkatastrophen, Erdbeben, Wirbelstürme oder Vulkanausbrüche. „Naturkatastrophen können gerade für ärmere Familien existenzbedrohend sein“ (Schneck: 2017: 24 f.). Wenn eine Familie sich im Heimatland nicht mehr ernähren kann, dann wächst die Hoffnung auf ein Überleben durch Migration. Der familiäre Auftrag könnte lauten: „Kind geh vor und schaffe die Voraussetzungen für eine bessere Zukunft“ (vgl. ebd.).
2.2.2 Rechtliche Rahmenbedingungen
Die rechtliche Situation von unbegleiteten Minderjährigen ist komplex.
Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) regelt in Deutschland das Sorgerecht, Vormundschaft und Geschäftsfähigkeit eines Minderjährigen. Für einen ausländischen Minderjährigen gelten unter Umständen auch internationale Vorschriften oder sogar das Recht des Heimatstaates (vgl. Hocks 2017: 24).
Bei dem Merkmal „Minderjährigkeit“ spielt die Rechtslage des Herkunftsstaates zunächst keine Rolle. Ist ein unbegleiteter Minderjähriger z.B. 19 Jahre alt und kommt aus einem Land, indem Volljährigkeit ab dem Alter von 21 Jahren beginnt, wird der Jugendliche in Deutschland nicht als UM gesehen. Er benötigt aber für Rechtsgeschäfte einen Vormund, weil hier das Recht des Herkunftsstaats gilt (vgl. a.a.O.: 30).
Rechtslage in Deutschland
Unbegleitete Minderjährige, die sich in Deutschland selbständig melden oder von der Polizei aufgegriffen werden, erhalten zunächst vorläufige staatliche Obhut durch das ansässige Jugendamt. (vgl. a.a.O.: 34 ff.). Mit der Inobhutnahme stehen den unbegleiteten Minderjährigen nun statt den Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz, die Leistungen der Jugendhilfe zu (a.a.O.: 31).
In Pflegefamilien, spezialisierten Clearinghäusern oder Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht, findet während der vorläufigen Inobhutnahme das sogenannte Erstscreening statt. Das Erstscreening beinhaltet eine Alterseinschätzung, die ggf. mit körperlichen Untersuchungen einhergeht. Unter Berücksichtigung der physischen und psychischen Belastbarkeit, werden Familienzusammenführung und soziale Bindungen überprüft. Anschließend wird das Verteilungsverfahren eingeleitet, durch das die unbegleiteten Minderjährigen einem Jugendamt zugewiesen werden, welches sie dauerhaft in Obhut nimmt. Rechtliche Grundlage des Erstscreenings ist § 42f. SGB VIII (vgl. BAMF 2017a).
Das Kindeswohl steht bei der Frage nach einer bundesweiten Verteilung vor dem öffentlichen Interesse an einer gleichmäßigen Verteilung auf das Bundesgebiet (vgl. Hocks 2017: 41).
Eine Notvertretung des Jugendamtes muss in der Zeit der vorläufigen Inobhutnahme prüfen, ob unbegleitete Minderjährige zeitnah einen Asylantrag stellen sollten, insb. dann, wenn der 18. Geburtstag ansteht. Wenn dies versäumt wird, fallen die betroffenen jungen Volljährigen ggf. unter die Dublin III-Verordnung und dies kann bedeuten, dass ein anderer EU-Staat zuständig wird (vgl. a.a.O.: 51).
Nach der dauerhaften Inobhutnahme durch das Jugendamt bestimmt das zuständige Familiengericht die Vormundschaft, die in der Regel bis zur Volljährigkeit besteht. Der Vormund hat das Sorgerecht (Personen- und Vermögenssorge) für eine*n UM, vertritt sie/ihn bei eingeschränkter Geschäftsfähigkeit und kümmert sich insb. um den Bereich des Asyl- und Ausländerrechts. Maßgebliches Recht bei der Bestellung eines Vormunds ist das deutsche Familienrecht, welches auf dem internationalen Familienrecht basiert und dieses insb. an das Haager Kinderschutzübereinkommen mit Art. 15 KSÜ anknüpft (vgl. a.a.O.: 56).
§ 1793 Abs. 1a BGB sieht einen monatlichen Besuch des Vormunds bei dessen Mündel in der Einrichtung vor (a.a.O.: 58).
Ein Amtsvormund kann bis zu 50 Mündel gleichzeitig betreuen und ist in seiner Kontaktmöglichkeit eingeschränkt. Die Betreuer*innen in den Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen werden deswegen ermächtigt Erziehungsmaßnahmen durchzuführen und im Idealfall ein Vertrauensverhältnis mit den UM aufzubauen. Das vertiefte Verständnis der Lebenslage von Betreuten ist der Grund dafür, warum Bezugsbetreuer*innen die unbegleiteten Minderjährigen zu Terminen beim Bundesamt oder Rechtsanwälten begleiten (vgl. a.a.O.: 59).
Europäische Regelungen
Die Schaffung eines gemeinsamen Asylsystems ist ein Ziel der Europäischen Union. Es existieren bisher 3 Richtlinien, die die Mitgliedsstaaten dazu verpflichten, entsprechende Gesetze im eigenen Land zu erlassen. Die Umsetzungsfrist betrug 2-3 Jahre. Dem Schutz der unbegleiteten Minderjährigen bemessen die drei Richtlinien eine große Bedeutung zu. Sie werden Aufnahme-, Verfahrens- und Qualifikationsrichtlinie genannt (vgl. ebd. f.). Aus der EU-Aufnahmerichtlinie stammt die oben genannte Definition eines unbegleiteten ausländischen Minderjährigen. Obwohl die Umsetzungsfrist bereits am 20.07.2015 ablief, ist die vollständige Umsetzung dieser Vorschriften in das deutsche Recht noch nicht erfolgt (vgl. a.a.O.: 60).
Die Dublin-III-Verordnung (regelt die Zuständigkeit der EU-Staaten) und die EU-Aufnahmerichtlinie in Artikel 22 fordern eine besondere Fachkenntnis vom gesetzlichen Vertreter (vgl. a.a.O.: 60). Obwohl das „Hessische Modell“ vor dem Bundesgerichtshof scheiterte, welches sich auf § 1909 BGB berief und eine*n Rechtsanwalt*in als Ergänzungspfleger für den Bereich Asyl- und Ausländerrecht bestellte, reagieren die Jugendämter auf die EU-Vorgaben mit der Forderung beim Familiengericht nach Beiordnung eines erfahrenen Anwalts bzw. einer erfahrenen Anwältin für Asylrecht und organisieren Schulungsmaßnahmen für die eigenen Mitarbeiter*innen (vgl. a.a.O.: 61 f.).
Aufenthaltssicherung
Nachdem die unbegleiteten Minderjährigen vom Jugendamt dauerhaft Inobhut genommen wurden und die rechtliche Vertretung bestimmt ist, muss die Aufenthaltssicherung geklärt werden. Dabei gibt es zwei Wege. Der asylrechtliche Weg bezieht sich auf den Herkunftsstaat des unbegleiteten Minderjährigen. Der aufenthaltsrechtliche Lösungsweg fokussiert die Gründe, die in der Bundesrepublik bestehen, wie eine Ausbildung oder ein mehrjähriger Aufenthalt in Deutschland (vgl. a.a.O.: 66 f.). Die 8996 UM aus der Statistik, die 2016 keinen Asylantrag stellten (vgl. BAMF 2017), wählten mit ihrem Vormund diesen aufenthaltsrechtlichen Weg, zur Sicherung ihrer Zukunft in Deutschland.
Die neueingereisten unbegleiteten Minderjährigen erhalten zunächst eine Duldung und dann eine Aufenthaltsgestattung. Die Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (BÜMA) oder der seit Februar 2016 existierende Ankunftsnachweis werden für unbegleitete Minderjährige nicht ausgestellt.
Die Duldung bescheinigt nach § 60a Abs. 2 AufenthG die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung. Mit der Duldung verbunden ist die Auflage, dass die Aufnahme eines Praktikums oder einer Ausbildung genehmigungspflichtig ist. Die Ausländerbehörde ist dabei die entscheidende Instanz. Weiterhin sind Beschränkungen der Bewegungsfreiheit (Residenzpflicht oder Wohnsitzauflage) mit einer Duldung verknüpft (vgl. a.a.O.: 66-76).
Nach der formalen Antragstellung auf Asyl beim Bundesamt, die vom informellen Asylgesuch zu unterscheiden ist, erhalten UM von der Ausländerbehörde eine Aufenthaltsgestattung, die dann erlischt, wenn das BAMF über den Asylantrag entschieden hat. Die unbegleiteten Minderjährigen fallen danach entweder in den Duldungszustand zurück oder erhalten eine Aufenthaltserlaubnis. Praktika und Ausbildungen werden während des Asylverfahrens von der Ausländerbehörde genehmigt. Ein Nationalpass muss gemäß § 64 Abs. 1 AsylG im Unterschied zur Duldungszeit nicht angeschafft werden (vgl. a.a.O.: 73-77).
Gibt das Bundesamt dem Asylantrag einer*s unbegleiteten Minderjährigen statt, erhält diese*r das Aufenthaltsrecht in Deutschland und weitere Rechte. Unbegleitete Minderjährige Asylbewerber*innen werden entweder zur*m „Asylberechtigten“ nach Artikel 16a Abs. 1 Grundgesetz (GG) oder „Flüchtling“ nach § 3 Abs. 1 des Asylgesetzes. Ein weiterer Status nennt sich „Subsidiär Schutzberechtigte“ nach § 4 des Asylgesetzes (AsylG). Das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) ist der vierte zugestandene Flüchtlingsstatus (vgl. a.a.O.: 85).
Die Schutzform nach Art. 16a GG und § 3 Abs. 1 AsylG wurde im Asylkompromiss von 1993 stark eingeschränkt und spielt heute keine Rolle mehr. Die Einschränkung liegt am Art. 16a Abs. 2 GG, der jeden Anspruch auf politisches Asyl ausschließt, wenn ein Flüchtling über einen sicheren Drittstaat nach Deutschland einreist. Alle Nachbarstaaten von Deutschland gehören zu den sicheren Drittstaaten und verwirken damit den Rechtsanspruch auf Asyl bei Einreise auf dem Landweg (vgl. a.a.O.: 86 f.).
Die Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Konvention in § 3 AsylG kann als Ersatz für das zur Bedeutungslosigkeit verkommene Grundgesetz auf Asyl beschrieben werden. Der Wortlaut der Genfer Konvention wurde einleitend unter Definitionen genannt und prägt das Asylgesetz in § 3 und das Aufenthaltsgesetz in § 60 Abs. 1. Entscheidend bei der Beurteilung , ob die Flüchtlingseigenschaft zugesprochen wird, ist die begründete Furcht vor Verfolgung. UM müssen nicht in ihrem Heimatland verfolgt worden sein, um diesen Status zu bekommen. Begründete Furcht vor Verfolgung besteht auch dann, wenn z.B. ein*e Ausländer*in in Deutschland studiert und im Heimatland politische Machtwechsel geschehen, die für den*die Betroffene*n zu einer Bedrohung bei der Rückkehr werden. Solche Situationen sind insb. auch für UM bedeutsam, die in der Phase der Adoleszenz eine begründete Furcht vor Verfolgung mit einer politischen Neuorientierung, einer vertieften Hinwendung zu einer anderen Religion oder einer homosexuellen Neigung rechtfertigen können. § 28 AsylG erkennt die Tatsache ausdrücklich an, dass eine in der Bundesrepublik entwickelte politische Überzeugung zu einer Asylanerkennung führen kann (vgl. a.a.O.: 87-90).
Der subsidiäre Schutz nach § 4 AsylG soll die Genfer Flüchtlingskonvention ergänzen, indem er Menschen in Deutschland eine Bleibeperspektive gibt, die nicht individuell verfolgt werden, sondern denen bei der Rückkehr in ihr Herkunftsland ernsthafter Schaden droht. Dazu zählen die Todesstrafe, Folter oder unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, sowie eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt, im Rahmen eines bewaffneten Konflikts. Die Einschätzung der Sicherheitslage wird von den verschiedenen Verwaltungsgerichten unterschiedlich eingeschätzt. Während der Krieg in Syrien als Bedrohung für die Zivilperson angenommen wird, sind bewaffnete Konflikte in Afghanistan und Somalia abhängig von den individuellen Umständen, wie z.B. der Herkunftsregion (vgl. a.a.O.: 104-107).
Die nationalen Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG beziehen sich in Abs. 5 auf drohende Menschenrechtsverletzungen und in Abs. 7 auf die Lebensgefahr bei Verelendung und des Hungers, nicht ausreichender medizinischer Versorgung oder Naturkatastrophen (vgl. a.a.O.: 108-112).
Die Rechte von Asylberechtigten nach dem Grundgesetz und von anerkannten Flüchtlingen gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention
sind gleich und beinhalten eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis und finanzielle Unterstützungsleistungen (z.B. Arbeitslosengeld II, Kindergeld und BAföG) der Bundesrepublik Deutschland. Der Subsidiäre Schutz und das Abschiebungsverbot beinhalten eine einjährige Aufenthaltserlaubnis, die ggf. verlängert wird und den Zugang zu Leistungen (z.B. Erwerbstätigkeit und Integrationskurse), die auch anerkannten Flüchtlingen gewährt werden. Ausgenommen ist das Recht auf Familiennachzug und die Niederlassungserlaubnis.
Lehnt das BAMF den Asylantrag vollständig ab, wird der Antragsteller aufgefordert, Deutschland innerhalb von 4 Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. (vgl. Flüchtlingsrat Niedersachsen 2017).
Volljährigkeit
UM sind bei ihrer Ankunft in Deutschland häufig zwischen 16 und 17 Jahre alt. Mit der Volljährigkeit endet die Zuständigkeit der staatlichen Kinder- und Jugendhilfe jedoch nicht zwingend. § 41 Abs. 1 SGB VIII gewährt Hilfen für junge Volljährige, um deren Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen und die eigenverantwortliche Lebensführung zu fördern. Gewährt werden Hilfen zur Erziehung, Kranken- und Unterhaltsleistungen sowie Unterstützung bei Ausbildungsmaßnahmen. Die Hilfe für junge Volljährige endet in der Regel mit dem 21. Lebensjahr (vgl. Huber u.a. 2017).
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- Arbeit zitieren
- Jochen Rusina (Autor:in), 2017, Resilienzförderung in der Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/387814
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