Interkulturelle Kompetenzentwicklung durch Weiterbildung. (K)ein Angebot für Migrationsandere?


Masterarbeit, 2012

122 Seiten

Wasiliki Exarchos (Autor:in)


Leseprobe


Interkulturelle Kompetenzentwicklung durch Weiterbildung ­
(k)ein Angebot für Migrationsandere
Masterarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
einer Magistra der Philosophie
an der Karl-Franzens-Universität Graz
vorgelegt von
Wasiliki EXARCHOS, Bakk.
a
phil.
am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft
Graz, 2012

1
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ... 3
2. Zielsetzung und Vorgehensweise... 6
3. Migration ­ eine Begriffserklärung... 10
3.1 Ursachen von Migrationsbewegungen ... 12
3.2 Historischer Überblick über die Migration in Europa und Österreich ... 13
3.2.1 Wanderungsraum Europa... 14
3.2.2 Migrationsbewegungen in Österreich im 19. und 20. Jahrhundert ... 15
3.2.3 Österreich als Einwanderungsland ­ die aktuelle Situation... 16
4. Die Situation von Migrationsanderen in Österreich... 18
4.1 Die rechtliche Situation ... 19
4.1.1 Zuwanderung nach Österreich ­ gesetzliche Bestimmungen ... 19
4.1.2 Asylgesetz ... 21
4.1.3 Einbürgerungspolitik... 21
4.1.4 Arbeitsmarktpolitik ... 22
4.2 Die soziale Situation... 24
4.2.1 Aufenthaltssituation ... 25
4.2.2 Wohnungssituation ... 26
4.2.3 Arbeitsmarktsituation... 28
4.2.4 Bildungssituation ... 31
5. Kulturbegriffe ­ aktuelle Diskurse ... 35
5.1 Das Konzept der Multikulturalität ... 36
5.2 Das Konzept der Interkultur nach Mark Terkessidis... 41
5.3 Das Konzept der Transkulturalität nach Wolfgang Welsch ... 43
5.4 Der Begriff der Leitkultur nach Bassam Tibi ... 46
6. Interkulturelle Pädagogik ... 49
6.1 Konzepte Interkultureller Erziehung und Bildung ... 50
6.1.1 Ausländerpädagogik als kompensatorische Erziehung... 51
6.1.2 Kritik an der Ausländerpädagogik ... 52
6.1.3 Interkulturelle Pädagogik... 52
6.1.4 Exkurs: Antidiskriminierungspädagogik ... 54
6.1.5 Weiterführungen der Interkulturellen Bildung ... 55

2
6.2 Interkulturelles Lernen und Migrationsandere als Thema in der Weiterbildung ... 57
6.3 Interkulturelle Kompetenz ­ eine Schlüsselqualifikation... 61
7. Empirischer Teil ... 67
7.1 Forschungsfrage und Erhebungsmethode der Untersuchung ... 67
7.1.1 Forschungsfrage ... 67
7.1.2 Untersuchungsmethode... 68
7.1.2.1 Das qualitative Interview ... 68
7.1.2.2 Das Leitfadeninterview ... 69
7.2. Untersuchungsgruppen und Interviewsituation ... 70
7.2.1 Die Untersuchungsgruppen... 70
7.2.2 Die Interviewsituation... 71
7.3 Der Interviewleitfaden ... 71
7.4 Bestimmung der Auswertungskategorien... 74
7.5 Aufbereitungsverfahren ... 75
7.6 Auswertung der Interviews ­ qualitative Inhaltsanalyse ... 76
7.7 Darstellung der Ergebnisse ... 80
7.7.1 Ergebnisse der Befragungen der VertreterInnen universitärer Angebote... 80
7.7.2 Ergebnisse der Befragungen der Vertreterinnen niederschwelliger Angebote ... 94
7.7.3 Vergleich der beiden Gruppen ... 102
7.8 Interpretation und Ausblick ... 106
8. Literaturverzeichnis... 112

3
1. Einleitung
Der Begriff der Interkulturellen Kompetenz hat in den letzten Jahren immer mehr an
Bedeutung gewonnen und gilt heute nicht nur in pädagogischen Handlungsfeldern als
Schlüsselqualifikation. Gerade in unserer von Migrationsprozessen geprägten Welt, welche
immer näher zusammenwächst und in welcher immer mehr Grenzen fallen und in der immer
mehr Menschen unterschiedlicher Kulturen miteinander leben, arbeiten und interagieren,
werden Interkulturelle Handlungskompetenzen vor allem in beruflichen aber auch in privaten
Bereichen immer wichtiger. Mittlerweile gibt es in der Bildungslandschaft, sowohl im
universitären als auch im niederschwelligen Bereich, eine Vielzahl von Lehrgängen und
Kursen, die den Agierenden in den unterschiedlichsten Betätigungsfeldern in unserer von
Migration geprägten Gesellschaft Interkulturelle Handlungskompetenzen vermitteln sollen.
Ursprünglich stammt der Begriff der Interkulturellen Kompetenz aus dem Kontext der
Sozialen Arbeit, wo er aus dem Mangel an Kompetenz der so genannten Professionellen im
Umgang mit den ­ durch vorwiegend Arbeitsmigration ­ zugezogenen Menschen entstand.
Interkulturelle Kompetenz wird als eine Art zusätzliche Sonderkompetenz für professionell
Handelnde, die sich mit fremden Kulturen und Differenzen auseinandersetzen, verstanden
(vgl. Kapalka/Mecheril 2010, S. 78). Zur Interkulturellen Kompetenz zählen laut Wolfgang
Hinz-Rommel die ,,notwendigen persönlichen Voraussetzungen für angemessene,
erfolgreiche oder gelingende Kommunikation in einer fremdkulturellen Umgebung, mit
Angehörigen anderer Kulturen" (Hinz-Rommel 1994, S. 56). Interkulturelle Kompetenz
ermöglicht sowohl die Beschäftigung mit fremden als auch mit der eigenen Kultur und die
differenzierte Auseinandersetzung mit diesen, sie qualifiziert und erweitert die eigene
Kommunikationsfähigkeit und befähigt zu einer interkulturellen Urteils- und
Handlungsfähigkeit. Dies alles sind Kompetenzen und Fähigkeiten, die ­ gerade in einer sich
rasch globalisierenden Welt ­ für alle von uns von zentraler Bedeutung sind.
Untrennbar mit dem Begriff der Interkulturellen Kompetenz ist ein eingehendes Verständnis
des Kulturbegriffs, der sehr breit gespannt ist und in der Literatur unterschiedlich definiert
wird, verbunden. Der Begriff Kultur, so wie wir ihn kennen, ist als ein System von Normen,
Werten, Symbolen und Verhaltensweisen, die sich Menschen, die zu einer Kulturgruppe
gehören, durch Sozialisationsprozesse verinnerlicht haben, zu verstehen. Durch die
Zugehörigkeiten zu unterschiedlichen Kulturen grenzen sich Menschen verschiedener

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kultureller Gruppen bzw. Lebenswelten voneinander ab. Im alltäglichen Leben kann das
Aufeinandertreffen von Menschen unterschiedlicher Kulturen zu einem befruchtenden
Miteinander, aber auch zu Differenzen führen. In meiner Arbeit werde ich daher dem Thema
Kultur, den Verhältnissen der Kulturen unter-, zu- und miteinander und den dazugehörigen
aktuellen Diskursen und Konzepten ein eigenes Kapitel widmen. Der aus dem lateinischen
stammende Terminus inter heißt ins Deutsche übersetzt ,,zwischen" ­ somit kann sich
Interkulturelle Kompetenz erst durch die Interaktion zwischen Angehörigen aus
unterschiedlichen Kulturen entwickeln.
Interkulturelle Kompetenz ist eine Handlungskompetenz, mit Hilfe derer Personen, die im
interkulturellen Bereich agieren, in der Lage sein sollen, entsprechende Handlungen zu
setzen. Zum Curriculum zählen, egal ob im universitären oder niederschwelligen Bereich und
unabhängig von der Dauer des jeweiligen Kurses bzw. Lehrganges, zwei unterschiedliche
Kompetenzdimensionen. Diese sind einerseits die kognitiven Wissensaneignungen und
andererseits die die Persönlichkeit betreffenden Fähigkeiten und Einstellungen. Um als Person
erfolgreich interkulturell handeln zu können, ist es unumgänglich sich beim Erwerb
Interkultureller Kompetenz auf einen Prozess der theoretischen Wissensaufnahme, der
Persönlichkeitsentwicklung, der Reflexion und der Selbstreflexion einzulassen (vgl. Hinz-
Rommel 1994, S. 67ff.). Interkulturelle Kompetenz ist eine Kompetenz, die sich immer
wieder verändert und ständig modifiziert wird, sie kann als ein andauernder, nie endender
Lern- und Entwicklungsprozess gesehen werden. Aus seinem ursprünglichen Entstehen
heraus geht der Begriff der Interkulturellen Kompetenz von dem Verständnis aus, dass die in
den unterschiedlichsten Bereichen professionell agierenden Personen der
Mehrheitsbevölkerung angehören und einen Bedarf an Interkultureller Kompetenz haben, um
besser mit Menschen, die nicht der Mehrheitsbevölkerung angehören, zu kommunizieren und
zu interagieren. In diesen Bereich des interkulturellen Handelns fällt beispielsweise die
Tätigkeit einer Sozialarbeiterin, die im Rahmen der Elternberatung eine türkische Mutter
berät. Dieses Beispiel bringt auch das durchaus klassische Bild interkulturellen Handelns zum
Ausdruck. Eine Person, die der ethnischen Mehrheitsbevölkerung angehört, agiert
interkulturell innerhalb eines pädagogischen Handlungsrahmens gegenüber einer Person, die
einer ethnischen Minderheitsbevölkerung angehört. Menschen mit Migrationshintergrund
bzw. MigrantInnen kommen kaum auf der Seite der interkulturell professionell Handelnden
vor. Demzufolge richten sich Angebote zum Erwerb Interkultureller Kompetenz vorwiegend
an Personen der Mehrheitsbevölkerung, die in diesen Weiterbildungsmaßnahmen auch

5
überrepräsentiert sind. Hier setzt auch die Kritik am Diskurs zur Interkulturellen Kompetenz
an. Diese beanstandet, dass MigrantInnen bzw. Menschen mit Migrationshintergrund in der
Regel nicht als professionelle AdressatInnen von Weiterbildungsmaßnahmen zum Erwerb
Interkultureller Kompetenz vorkommen (vgl. Mecheril 2008, S. 16f.).
Durch eine intensive Betrachtung und theoretische Auseinandersetzung mit der Literatur zu
dieser Thematik, hat sich auch für mich herauskristallisiert, dass MigrantInnen bzw.
Menschen mit Migrationshintergrund in diesem Kontext der Weiterbildung den Status von
Objekten zugeschrieben bekommen und als potentielle AdressatInnen für diese
Weiterbildungsmaßnahmen kaum vorkommen. Als Begründung hierfür führen Annita
Kalpaka und Paul Mecheril zum einen an, dass die Tatsache, dass aus fürsorgebedürftigen
Objekten mittlerweile handlungsfähige Subjekte geworden sind, die selbst in der Lage sind
interkulturell professionell zu handeln, möglicherweise für viele befremdlich ist und zum
anderen, dass der Personengruppe der Migrationsanderen (den Begriff werde ich in Kap.3
genau erläutern) ­ eventuell aufgrund ihrer Biografie ­ eine bereits vorhandene Interkulturelle
Kompetenz unterstellt wird. Zudem kommt ­ wie bereits erwähnt ­ hinzu, dass
Migrationsandere als MitarbeiterInnen in migrationsspezifischen Institutionen deutlich
unterrepräsentiert sind, was folglich auch zu einer Unterrepräsentation bei
Weiterbildungslehrgängen zur Interkulturellen Kompetenz führt. Wenn Migrationsandere im
interkulturellen Bereich beruflich tätig sind, dienen sie meist als ExpertInnen ihrer
Herkunftsländer und als exemplarische Anschauungsobjekte. Eine Loslösung von diesen
Rollen gelingt in den meisten Fällen nur sehr schwer. Ein weiterer wesentlicher Kritikpunkt
den Kalpaka und Mecheril aufgreifen ist der, der Legitimation der Nichteinstellung.
Einrichtungen begründen die Nichteinstellung von Migrationsanderen, die neben den
rechtlichen und institutionellen Vorgaben zusätzlich von den bestehenden Strukturen, vor
allem der Nostrifizierung von Ausbildungen, erschwert wird, oft mit deren mangelnder
Qualifizierung (vgl. Kalpaka/Mecheril 2010, S. 81f.).
Aus der Beschäftigung mit diesen theoretischen Konzepten und Hypothesen hat sich mir die
Frage gestellt, ob Interkulturelle Kompetenzentwicklung durch Weiterbildung tatsächlich kein
explizites Angebot für Migrationsandere ist bzw. Migrationsandere keine explizite Zielgruppe
für Lehrgänge bzw. Kurse zur Interkulturellen Kompetenzentwicklung sind. Mir ist in diesem
Kontext wichtig, sowohl universitäre als auch niederschwellige Angebote, bei denen die

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Aufnahmevoraussetzungen entsprechend niedriger sind, zu untersuchen und danach einander
gegenüberzustellen.
Für meine empirischen Untersuchungen gehe ich von folgenden Annahmen bzw.
Fragestellungen aus:
1.) Inwieweit sind Migrationsandere eine explizite Zielgruppe von Lehrgängen zum Erwerb
Interkultureller Kompetenz? Wird eventuell davon ausgegangen, dass sie bereits per se über
eine Interkulturelle Kompetenz verfügen?
2.) Welche der untersuchten Angebote an Lehrgängen zum Erwerb Interkultureller
Kompetenz werden von Migrationsanderen genutzt? Wie sind Migrationsandere in solchen
Lehrgängen berücksichtigt?
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es zum einen im theoretischen Teil die entsprechenden
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu den Themen Migration, Kulturen und
Interkulturelles Lernen in der Weiterbildung zu beschreiben, sowie den bisherigen Verlauf
und den aktuellen Stand der Weiterbildungsangebote zum Erwerb Interkultureller Kompetenz
für Einheimische und Migrationsandere aufzuzeigen. Im empirischen Teil werde ich oben
genannten Thesen nachgehen und untersuchen, ob die laut Literatur gegebene
Unterrepräsentation von Migrationsanderen in Weiterbildungsmaßnahmen zur
Interkulturellen Kompetenz tatsächlich auch in der Praxis existiert und die Gründe für eine
mögliche Unterrepräsentation diskutieren. Auf diese Ergebnisse aufbauend, möchte ich
mögliche Strategien zur Weiterentwicklung bzw. Verbesserung im Hinblick auf die spezielle
Zielgruppe Migrationsandere aufzeigen.
.
2. Zielsetzung und Vorgehensweise
In diesem Kapitel setze ich mich, zur Information und Orientierung, mit den grundlegenden
Problemstellungen der vorliegenden Arbeit auseinander. Im Kontext meiner Fragestellung zur
(Unter-)Repräsentation von Migrationsanderen in Weiterbildungsmaßnahmen zum Erwerb
Interkultureller Kompetenz sind die Zusammenhänge von Migration, Kultur und Bildung von

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zentraler Bedeutung. Die Inhalte, den Aufbau und die Struktur meiner Masterarbeit möchte
ich in den nachfolgenden Absätzen erläutern:
Inhaltlich werde ich meine Arbeit im Kapitel drei mit der Definition des Begriffes Migration
und seiner Relevanz und Reichweite in unserer Gesellschaft beginnen. Ich möchte auch den
von Paul Mecheril formulierten Terminus Migrationsandere, den ich auch in meiner Arbeit
größtenteils verwende, verdeutlichen. Dieser Begriff steht für Menschen, die aufgrund ihrer
eigenen Migration oder der ihrer Vorfahren als different gekennzeichnet werden. Mit diesem
Kunstbegriff soll die Konstruktion ethnischer Identitäten betont werden und der Fokus auf die
Herstellung von Zugehörigkeit und Ausgrenzung gelenkt werden.
Migration stellt nicht nur eine lokale Veränderung im Leben von Menschen dar, sondern
hängt mit zahlreichen soziokulturellen, familiären und beruflichen Veränderungen zusammen.
Sie stellt die betroffenen Menschen vor zahlreiche Probleme und neue Herausforderungen, sie
verlangt von den Betroffenen Auseinandersetzung, Neuorientierung und Neupositionierung.
In diesem Zusammenhang werde ich Migrationsbewegungen und Migrationsursachen in
Europa genauer beleuchten, bevor ich die aktuelle Situation Österreichs als AnwerberInnen-
und Einwanderungsland vorstelle. Danach möchte ich einen Einblick in die rechtliche und
soziale Situation von Migrationsanderen geben und näher auf die Bereiche Politik,
Arbeitsmarkt und Bildung eingehen. Ich widme dem Thema Migration einen großen Teil
meiner Arbeit, denn dieser kausale, geschichtliche und rechtliche Hintergrund, sowie die
Auswirkungen gesetzlicher und politischer bzw. gesellschaftlicher Maßnahmen auf die
Lebensbedingungen Migrationsanderer stecken den Rahmen des Diskurses über meine
Fragestellung ab. Im vierten Kapitel werde ich zum Kulturbegriff überleiten und diesen in
Hinblick auf meine Arbeit näher definieren. Für weitere pädagogische Überlegungen möchte
ich unterschiedliche kritische Diskurse zum Begriff Multikulturalität ­ ein Begriff der vielen
bekannt ist und in den Medien lange Zeit hoch beschworen wurde ­ hinterfragen und
diskutieren. Als Gegenpositionen möchte ich an dieser Stelle zuerst das Konzept der
Interkultur nach Mark Terkessidis vorstellen. Dieses Konzept, das im Gegensatz zur
Multikultur bewusst nicht an Ethnizität festmacht, fordert eine interkulturelle Öffnung und
eine ausdrückliche Anerkennung von unterschiedlichen Herkünften und Zugängen. Alle
Institutionen müssen befragt werden, ob sie Menschen unabhängig von ihrer Herkunft
tatsächlich die gleichen Chancen auf Teilhabe einräumen. Nur so können die Potenziale einer
vielfältigen Gesellschaft erfasst werden. Weiters möchte ich das Konzept der Transkulturalität
nach Wolfgang Welsch vorstellen, das sich klar von den Vorstellungen der Interkulturalität

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und der Multikulturalität abgrenzt. Welsch geht davon aus, dass Kulturen intern durch eine
Vielfalt möglicher Identitäten gekennzeichnet sind und extern grenzüberschreitende Konturen
aufweisen. Das Konzept der Transkulturalität benennt diese Veränderungen des
Verständnisses von Kulturen. Im letzten Diskurs, den ich vorstelle, werde ich den politischen
Begriff der europäischen Leitkultur nach Bassam Tibi diskutieren, diesen unter
pädagogischen Gesichtspunkten betrachten und den bereits erörterten Kulturkonzepten
gegenüberstellen. Tibi kritisiert sowohl die Monokulturalität jeglicher Art mit der
Festmachung ethnisch geschlossener Gruppen als auch den, seiner Meinung nach,
identitätslosen Multikulturalismus, in dem Menschen in ethnischen Ghettos ohne verbindliche
Werte nebeneinander her leben. Die Lösung stellt für ihn eine Leitkultur dar, die Menschen
aus unterschiedlichen Kulturen zu einem Gemeinwesen verbindet und dadurch eine kulturell
vielfältige Gesellschaft zulässt. Im sechsten Kapitel werde ich auf das Interkulturelle Lernen
in der Erwachsenenbildung eingehen, wobei ich zuerst einen Überblick über die
geschichtliche Entwicklung des Interkulturellen Lernens geben und verschiedene ausgesuchte
pädagogische Ansätze im interkulturellen Diskurs vorstellen werde. In diesem
Zusammenhang werde ich erläutern aus welcher Motivation heraus Pädagogik für ethnische
Minderheiten entstand und wie sie sich in den letzten Jahren verändert hat. Danach möchte
ich die Ziele Interkulturellen Lernens für unsere Gesellschaft hinterfragen und seine Aufgabe
in unserer Gesellschaft diskutieren, sowie die Herausforderungen, die an ein Interkulturelles
Lernen im Erwachsenenbereich gebunden sind, herausarbeiten. An dieser Stelle werde ich ­
im Hinblick auf meine Fragestellung ­ auch die Weiterbildungspartizipation von
Migrationsanderen genauer betrachten. Bevor ich zum empirischen Teil meiner Arbeit
überleite, möchte ich mich der Schlüsselqualifikation Interkulturelle Kompetenz widmen, die
in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Wie eingangs erwähnt, gibt es
heftige Kritik daran, dass Bildungsangebote zur Förderung bzw. zum Erwerb Interkultureller
Kompetenz vorwiegend Angehörige der Mehrheitsgesellschaft ansprechen und von
überwiegend einheimischen Lehrenden geleitet werden. Über Migrationsandere wird in
diesem Zusammenhang lediglich gelernt, wodurch diese einen Objektstatus zugeschrieben
bekommen.
Im empirischen Teil werden die grundlegenden Annahmen und Vermutungen meiner
bisherigen Arbeit behandelt. Hier soll der theoretische Teil, in dem ich die Literatur zur
Thematik aufgearbeitet habe, durch eine empirische Untersuchung ergänzt werden. Meine
konkrete Fragestellung lautet daher ,,Interkulturelle Kompetenzentwicklung durch

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Weiterbildung ­ (k)ein Angebot für Migrationsandere?" Um eine Antwort auf meine
Fragestellungen zu erhalten, habe ich vier qualitative Leitfadeninterviews mit ExpertInnen
durchgeführt. Zwei davon fanden mit VertreterInnen universitärer Weiterbildungsangebote
statt und zwei mit Vertreterinnen niederschwelliger Angebote. Gerade dieser Vergleich
zwischen den beiden vom Niveau her unterschiedlichen Angeboten, die sich vor allem auch
durch die Aufnahmevoraussetzungen wesentlich voneinander unterscheiden, war mir für
meine Masterarbeit besonders wichtig. Die universitären Angebote, die ich untersucht habe,
waren der ,,Diplomlehrgang Interkulturelle Kompetenz (ICC) und Masterlehrgang (M.A.) in
Intercultural Studies" an der Universität Salzburg und der Masterlehrgang ,,Interkulturelle
Kompetenzen (Master of Art, MA)" an der Donau-Universität Krems. Im niederschwelligen
Bereich habe ich mich eingehend mit dem ,,Lehrgang zur interkulturellen Beratung von
ZuwanderInnen und Organisationen" und dem ,,Lehrgang zur interkulturellen
(Kompetenz)Bildung" von ISOP (Innovative Sozialprojekte) in Graz und dem ,,Lehrgang
Interkulturelle Kompetenzen" am Interkulturellen Zentrum in Wien befasst.
Weiters werde ich genauer auf das Untersuchungsziel und die angewandte Methode eingehen
und die Auswertung mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring genau erklären. Danach
werde ich die Interviewergebnisse präsentieren, sowie die Aussagen der beiden
Befragtengruppen miteinander vergleichen und interpretieren. Im Resümee möchte ich die
grundlegenden Ergebnisse meiner Arbeit zur Teilnahme von Migrationsanderen an
Weiterbildungsmaßnahmen zum Erwerb Interkultureller Kompetenz kritisch zusammenfassen
und abschließend diskutieren, sowie Überlegungen für eine Weiterentwicklung bzw.
Verbesserungsstrategien anstellen.
In meiner Arbeit war mir der Gebrauch einer geschlechterneutralen Sprache sehr wichtig und
ich habe mich daher, entschieden ­ dort wo es möglich war ­ das Binnen-I bei Bezeichnungen
von Personengruppen zu verwenden, um dadurch explizit sowohl weibliche als auch
männliche Gruppenangehörige erkennbar zu machen.

10
3. Migration ­ eine Begriffserklärung
Der Terminus Migration ist sehr vielfältig und wird in den verschiedenen wissenschaftlichen
Disziplinen unterschiedlich verwendet und definiert. Für meine Arbeit, in der es um
Interkulturelle Bildung geht, ist es jedoch wichtig diesen Begriff aus dem pädagogischen
Kontext heraus näher zu erläutern.
Die Definitionen des Migrationsbegriffes hängen somit von den individuellen Sichtweisen der
verschiedenen Disziplinen auf die Thematik ab. Um den Begriff der Migration zu
konkretisieren und zu differenzieren, nennt Annette Treibel in ihrem Buch ,,Migration in
modernen Gesellschaften" zehn verschiedene Definitionen von Migration, die sich nach
Kriterien der zurückgelegten Entfernung, durch den Kontrast zwischen Herkunfts- und
Zielregion und dem Standpunkt der Dauerhaftigkeit unterscheiden (vgl. Treibel 2003, S. 19).
Aus Sicht der Sozialwissenschaften ist Migration eine dauernde oder vorübergehende
Verlegung des Wohnsitzes von Personen. Zudem gibt es wesentliche
Differenzierungsmerkmale, um Migration näher zu bestimmen. Zum einen sind das
geografische und zum anderen chronologische Merkmale. Vom geografischen Standpunkt aus
unterscheidet man zwischen interregionaler und internationaler Wanderung, wobei hierzu zu
sagen ist, dass ich die beiden Begriffe Migration und Wanderung synonym verwende. Hat
eine interregionale Wanderung in den meisten Fällen keine zeitlichen, räumlichen und
rechtlichen Konsequenzen oder Auswirkungen auf die betreffenden Personen, verhält sich das
bei internationalen also grenzüberschreitenden Wanderungen anders, denn diese unterliegen ­
je nach Staat ­ unterschiedlichen Einreiseregelungen (vgl. Lebhart/Marik-Lebeck 2007, S.
145). Generell dominiert in der Interpretation von Migration jedoch der Gedanke, dass
Migration etwas Internationales ist, also zwischen verschiedenen Staaten stattfindet. Auch
Ursula Birsl sagt, es ist unumstritten,
,,...dass unter Migration eine Wanderung über nationalstaatliche
Grenzen hinweg verstanden werden kann. Der Begriff umfasst sowohl
den Grenzübertritt von einem Staat in einen Nachbarstaat als auch die
Wanderung über größere geographische Distanzen hinweg bis hin zu
transkontinentaler Migration" (Birsl 2005, S. 18).
Die UNO unterscheidet zwischen Aufenthalten von mehr als einem Jahr, die als dauerhafte
Migration ­ ,,long-term migration" und Aufenthalten von drei Monaten bis zu einem Jahr,
welche als kurzzeitige Migration ­ ,,short-term migration" bezeichnet werden. Aufenthalte

11
von weniger als drei Monaten sind vorübergehende Aufenthalte ­ ,,temporary stayers" und
werden in Wanderungsstatistiken nicht berücksichtigt (vgl. Lebhart/Marik-Lebeck 2007, S.
145).
Ebenso multipel wie der Begriff der Migration ist auch die Gruppe der MigrantInnen.
Menschen, die eine Migration durchführen, werden folglich als MigrantInnen bezeichnet.
Doch wer genau ist MigrantIn und wie lange ist eine Person MigrantIn? Vom ursprünglichen
Verständnis des Wortes heraus ist ein/e MigrantIn jemand, der auf Wanderung ist, allerdings
werden viele MigrantInnen an einem neuen Ort sesshaft und migrieren danach nicht mehr
(vgl. Höhn/Schmid/Wöhlcke 2004, S. 153). Im alltäglichen Sprachgebrauch werden die
Termini AusländerInnen und MigrantInnen synonym verwendet, wobei hier als
Definitionskriterium die Staatsbürgerschaft herangezogen wird, was jedoch nicht wirklich
Auskunft darüber gibt, ob eine Person im Ausland geboren wurde und erst später nach
Österreich immigriert ist. Auf der anderen Seite gibt es unter den Personen mit nicht
österreichischer Staatsangehörigkeit in Österreich geborene und aufgewachsene Kinder, die
per definitionem nicht als MigrantInnen bezeichnet werden können. Dies leitet auch zur
Problematik der Nachkommen von MigrantInnen, der sogenannten zweiten Generation, die ja
fälschlicherweise ebenso oft als MigrantInnen bezeichnet werden, über. Eher treffender ist für
diese Gruppe der Begriff Personen mit Migrationshintergrund, wobei jedoch auch dieser
unterschiedlich definiert ist. Laut Homepage des österreichischen Bundeskanzleramtes
umfasst die Bevölkerung mit Migrationshintergrund alle Personen, deren Eltern im Ausland
geboren sind, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit (vgl. Bundeskanzleramt 2011a, o.S.).
Ich habe mich entschieden im Rahmen meiner Arbeit ­ dort wo es möglich ist ­ den Terminus
Migrationsandere vom Erziehungswissenschafter Paul Mecheril, dessen primäre Intention es
ist, den rassistischen Dominanzverhältnissen zwischen Majorität und Minorität
entgegenzuwirken, zu übernehmen. Er bezeichnet Migration als eine Vielzahl von
unterschiedlichen Phänomenen, durch die Zwischenwelten, hybride Identitäten und
Konstruktionen des Rassismus entstehen. Migration problematisiert vor allem symbolische
Grenzen der Zugehörigkeit. Mecheril geht davon aus, ,,dass für die Migrationsgesellschaft
und ihre Bildungszusammenhänge Zugehörigkeitsunterschiede und
Zugehörigkeitsunterscheidungen bedeutsam sind" (Mecheril 2010, S. 13). MigrantInnen und
Einheimische sind seinem Ansatz nach diskursiv gefertigte Konstrukte. Er spricht sich daher
für eine Verschiebung der Zugehörigkeitsordnungen aus, das heißt MigrantInnen können

12
nicht nur eine natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit ihres Heimatlandes haben, sondern auch
die ihres Aufnahmelandes. Unsere Gesellschaft ist geprägt von natio-ethno-kulturellen
Differenzverhältnissen, in der sich verschiedene Gruppen wechselseitig selbst und sogenannte
Andere konstruieren. Genau hier setzt der Kunstbegriff Migrationsandere an, der die
Konstruktion ethnischer Identitäten betonen und den Fokus auf die Herstellung von
Zugehörigkeit und Ausgrenzung lenken soll. Er soll auf pauschalisierende Festmachungen an
einer bestimmten Personengruppe aufmerksam machen und aufzeigen, dass MigrantInnen und
AusländerInnen und im Gegensatz dazu Nicht-MigrantInnen und Nicht-AusländerInnen nur
als relationale Phänomene existieren (vgl. Mecheril 2010, S. 11ff.).
Migration beinhaltet jedoch nicht nur den Aspekt der räumlichen Dimensionen, sondern
bringt auch zahlreiche soziokulturelle, familiäre und berufliche Veränderungen mit sich.
Migrationen stellen, obwohl sie heute schon zur Normalität in den Lebensläufen der
Menschen zählen, große soziale Veränderungen für alle Betroffenen dar. Diese Betroffenen
sind zum einen die Menschen, die migrieren, die ihre Heimat verlassen, sich neu orientieren,
neue Verhaltensweisen und Kontexte kennenlernen, zum zweiten die Gruppen, aus denen sie
emigrieren und zum dritten die Gruppen, auf die sie nach ihrer Ankunft treffen. Menschen
und Gesellschaften verändern sich demnach durch Migrationsprozesse (vgl. Treibel 2003, S.
13).
3.1 Ursachen von Migrationsbewegungen
Grundsätzlich ist zu sagen, dass es unterschiedliche Beweggründe gibt, warum Menschen ihre
Heimat verlassen. Vorwiegend handelt es sich dabei um politische, soziale, ökonomische,
ökologische und demographische Motive. Prinzipiell werden Faktoren, die eine Migration
begünstigen als push-pull-Faktoren bezeichnet. Zu den push-Faktoren zählen Aspekte im
Herkunftsland, die die Betroffenen sozusagen ,,hinausstoßen". Dazu gehören schlechte sozio-
ökonomische Bedingungen, eine hohe Arbeitslosenquote, ethnische Spannungen, politische
Verfolgung, existenzbedrohende Umweltschäden und knappe Ressourcen. Zu den pull-
Faktoren, zählen Aspekte im Zielland, die die Betroffenen ,,anziehen". Das sind
wirtschaftliche Attraktivität, Schutz vor politischer Verfolgung und ethnischer
Diskriminierung, liberale Ausländer- und Asylpolitik und leichte Einreisemöglichkeit sowie
Netzwerke (vgl. Höhn/Schmid/Wöhlcke 2004, S. 156). Das hauptsächlich ökonomisch

13
konzipierte push-pull-Modell berücksichtigt jedoch nicht die Relevanz von persönlichen
Beziehungsnetzwerken und diese ist laut Heinz Fassmann immens.
,,Wie sich zeigt, wird die europäische Migrationsverflechtung erheblich
durch kulturelle, politische und historische Verbindungen zwischen
bestimmten Herkunfts- und Zielregionen überformt" (Fassmann/Münz
1996, S. 47).
Auch Treibel geht davon aus, dass der Einfluss von Netzwerken in der neueren
Migrationsforschung von entscheidender Bedeutung ist (vgl. Treibel 2003, S. 42). Gerade für
die jüngsten Einwanderungsdynamiken in Österreich, nämlich den Familiennachzug, der
zahlenmäßig den größten Anteil an dauerhaften Zuwanderungen aus Drittländern ausmacht,
treffen die push-pull Faktoren gar nicht zu (vgl. Schuhmacher 2007, S. 80). Demzufolge wird
Migration von unterschiedlichen Faktoren, sowohl im Herkunfts- als auch im Zielland
beeinflusst ­ allerdings wird vor allem das Ziel der Migration durch bestehende soziale
Netzwerke und Kontakte stark beeinflusst.
Neben den genannten Hauptmotiven für Migrationsbewegungen wird auch versucht,
Ursachen von Migration durch anthropologische Grundsatzfragen zu erklären. Es gibt Thesen,
die meinen, der Mensch sei aufgrund seiner genetischen Veranlagung ein Nomadenwesen und
der Wandertrieb lasse sich nur schwer unterdrücken; andere Thesen wiederum gehen davon
aus, dass der Mensch von Natur aus sesshaft ist und seine Heimat nur aufgrund verschiedener
zusammen spielender Faktoren verlässt (vgl. Treibel 2003, S. 43). Insgesamt kann jedoch
gesagt werden, dass Menschen schon immer wanderten;
,,Migration gehört zur Conditio humana wie Geburt, Vermehrung,
Krankheit und Tod; denn der Homo sapiens hat sich als Homo migrans
über die Welt ausgebreitet" (Bade/Emmer/Lucassen/Oltmer 2007, S.
19).
Die Gründe dafür sind so vielfältig wie die Menschen selbst, sie sind meist das Resultat intern
und extern verursachter Dynamiken, die tiefgreifende Veränderungsprozesse im Leben der
betreffenden Personen zur Folge haben.
3.2 Historischer Überblick über die Migration in Europa und Österreich
Migration ist ein Teil der europäischen Geschichte, räumliche Bewegungen von Menschen
gab es zu allen Zeiten. In der Frühzeit waren alle Menschen Nomaden, erst später wurde das
Sesshaftsein zur Normalität. In den letzten Jahrhunderten wurden Migrationsprozesse
zunächst von Kriegen, Hunger und Vertreibungen ausgelöst, diese sind sogenannte

14
Fluchtbewegungen. Der Migrationstypus Arbeitsmigration hat sich erst später aus der
Entstehung des Kapitalismus und den damit verbundenen Produktionsformen entwickelt. Als
ein Hauptfaktor für die zunehmenden Wanderungsprozesse werden auch die Entwicklungen
im technologischen Bereich, wie unter anderem die Eisenbahn genannt (vgl. Sprung 1997, S.
19).
3.2.1 Wanderungsraum Europa
Bis in die 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts war Europa ein klassisches
Auswanderungsland, allein zwischen 1750 und 1960 kehrten rund 70 Millionen Menschen
dem Kontinent den Rücken. Die meisten EmmigrantInnen gingen nach Süd- und
Nordamerika, weitere Ziele waren Australien, Neuseeland und das südliche Afrika. Die
Hauptgründe für die Auswanderungen waren primär wirtschaftliche Aspekte wie Armut,
Überbevölkerung, Ressourcenknappheit oder Beschränkungen zünftiger Ordnungen, erst
danach folgten politische und religiöse Motive (vgl. Münz 2008, S. 17). Die quantitativ
bedeutendste Migrationsform der europäischen Geschichte der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts stellen Zwangsmigrationen bzw. ethnische Säuberungen dar. Insgesamt waren
rund 20 Millionen Menschen davon betroffen während bzw. nach den beiden Weltkriegen
ihre Heimat zu verlassen und zwangsumgesiedelt zu werden. Das waren beispielsweise der
griechisch-türkische Bevölkerungsaustausch von 1923, von dem etwa 1,7 Millionen
Menschen betroffen waren oder die deutsche und polnische Vertreibung und Umsiedlung, bei
der Millionen von Menschen ihre Heimat verlassen mussten. Im Frühjahr 1992 fand in
Europa die jüngste ethnische Säuberung im Zuge eines Völkermordes in Bosnien-
Herzegowina statt, in Folge derer etwa zwei Millionen BosnierInnen ihr Land verlassen
mussten (vgl. Oswald/Schmelz 2008, S. 158ff.).
Erst nach dem zweiten Weltkrieg wurde Europa ­ bedingt durch einen Arbeitskräftemangel ­
von einem Auswanderungs- zu einem Einwanderungsland. Länder Westeuropas warben
gezielt um ArbeiterInnen aus den Mittelmeerländern wie Italien, Spanien, Portugal,
Griechenland, Türkei, Jugoslawien und Marokko. Länder, die Kolonien hatten, wie
Großbritannien, Niederlande oder Frankreich, warben ihre Arbeitskräfte hauptsächlich von
dort an (vgl. Münz 2008, S. 18f.). Den ,,GastarbeiterInnen" wurde zu diesem Zeitpunkt noch
nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt bzw. wurden sie nicht als Störfaktor oder Gefahr
wahrgenommen. Ein Grund dafür ist wohl auch, dass die Besetzung von unattraktiven
Positionen am Arbeitsmarkt mit einem Wirtschaftsaufschwung einherging (vgl. Sprung 1997,

15
S. 21). Nach dem AnwerberInnenstopp 1973/1974, bei dem die reichen Länder Europas ihren
GastarbeiterInnen signalisieren wollten, dass sie sie nicht mehr brauchen und diese in ihre
Heimat zurückkehren können, gewann der Familiennachzug zunehmend an Bedeutung.
Diejenigen, die sich entschlossen hatten zu bleiben, holten ihre Familien nach. Ein Prozess,
der noch immer nicht abgeschlossen ist, denn viele Zugewanderte gründeten erst im Zielland
eine Familie und holten sich dazu eine/n PartnerIn aus ihrer Heimat; dies wird auch häufig bei
den Zugewanderten der zweiten Generation beobachtet. Mittlerweile ist der Familiennachzug
zur wichtigsten legalen Möglichkeit der Zuwanderung in die Europäische Union geworden
(vgl. Münz 2008, S. 19f.).
Die nächste große Migrationswelle wurde durch die Auflösung der Ost-Westspaltung
hervorgerufen. Mehrere Millionen Menschen aus Ostmitteleuropa verließen zwischen 1989
und 1992 ihre Heimatländer. Hinzu kamen zwischen 1991 und 1995 weitere Millionen
Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Tschetschenien, Afghanistan, dem Irak und
dem Iran. Die Europäische Union reagierte auf diese Entwicklungen mit strengeren
Asylgesetzen, mit der Wiedereinführung von Visa und mit einer verstärkten
innereuropäischen Zusammenarbeit auf diesem Gebiet (vgl. Münz 2008, S. 20).
Der einstige Auswanderungskontinent Europa weist heute in fast allen Ländern eine positive
Wanderungsbilanz auf. Das Thema Migration ist ins Zentrum der Aufmerksamkeit geraten,
was auch zu Ängsten und Abwehrhaltungen führt.
3.2.2 Migrationsbewegungen in Österreich im 19. und 20. Jahrhundert
Die Migration von und nach Österreich weist seit Mitte des 19. Jahrhunderts unterschiedliche
Facetten auf, als Charakteristikum kann aber die Abwanderung aus dem Osten und die
Zuwanderung nach Westen genannt werden. Die zunehmende Industrialisierung im 19. und
20.
Jahrhundert hat in der österreichisch-ungarischen Monarchie umfangreiche
Wanderungsbewegungen in unterschiedliche Produktionsstätten hervorgerufen. Zu den
bevorzugten Zuzugstätten zählten die entstehenden Industrieregionen südliches Wiener
Becken, die Obersteiermark, das Vorarlberger Rheintal und das ehemalige Sudetenland sowie
die Großstädte Wien, Prag und Budapest. Zeitgleich emigrierten rund 3,5 Millionen
Menschen ­ vorwiegend Männer ­ aus Österreich-Ungarn nach Übersee, wovon allein drei
Millionen in die USA gingen. Hauptgründe, der vorwiegend aus der verarmten ländlichen
Unterschicht, strukturschwachen Randgebieten und ethnischen Minderheiten stammenden

16
MigrantInnen, waren Armut, Arbeitslosigkeit und schlechte Ressourcenverteilung. Insgesamt
betrug die Rückwanderungsquote rund 39% (vgl. Fassmann/Münz 1995, S. 21ff.).
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren die Wanderungsbewegungen in Österreich
vorwiegend von Vertreibung und Flucht in Folge der beiden Weltkriege geleitet. Nach dem
zweiten Weltkrieg kam etwa eine Million Volksdeutsche aus dem Osten Europas nach
Österreich, von ihnen blieb allerdings nur die Hälfte hier. 1956/57 folgten rund 180.000
Flüchtlinge aus Ungarn, 1968/69 aus der Tschechoslowakei und 1981 aus Polen. Seit 1991
ging die Zahl der AsylwerberInnen in Österreich konstant zurück. Restriktive gesetzliche
Bestimmungen haben die Gewährung auf Asyl erheblich erschwert, Flüchtlinge aus Kroatien
und Bosnien wurden als sogenannte ,,De-facto-Flüchtlinge" erfasst und ihnen wurde nur ein
temporärer Aufenthalt gewährt. Viele AsylwerberInnen wurden auch bereits an den Grenzen
aufgefangen, so dass es erst gar nicht zu einem Asylverfahren gekommen ist. In den1960er
Jahren waren ­ wie im gesamten europäischen Raum ­ vorwiegend wirtschaftliche und
arbeitsmarktbezogene Motive Auslöser für Migrationen. Österreich hatte Anwerbeabkommen
mit der Türkei, dem ehemaligen Jugoslawien und Spanien, letzteres ist allerdings kaum von
Bedeutung. 1973 erreichte die GastarbeiterInnenbeschäftigung ihren Höchststand mit einer
Zahl an 230.000 ausländischen Arbeitskräften. Ab 1973/74 wurde die Zahl der ausländischen
Arbeitskräfte zum einen aufgrund einer wirtschaftlichen Stagnation, zum anderen aufgrund
des Nachrückens von geburtsstarken Jahrgängen stark reduziert, was zu einem Rückgang von
40% in den folgenden zehn Jahren führte. Wie auch im übrigen Europa erfolgte auch in
Österreich nach dem AnwerberInnenstopp ein Familiennachzug, was eine Veränderung der
Struktur der ausländischen Wohnbevölkerung mit sich brachte ­ es entstand eine zweite
Generation an MigrantInnen und damit auch neue Herausforderungen für die Pädagogik (vgl.
Fassmann/Münz 1996, S. 210ff.)
3.2.3 Österreich als Einwanderungsland ­ die aktuelle Situation
Zu Beginn des Jahres 2011 waren in Österreich rund 927.000 ausländische Personen mit
Hauptwohnsitz gemeldet. Der prozentuelle Anteil der AusländerInnen an der
Gesamtbevölkerung betrug somit 11%. Von den nichtösterreichischen StaatsbürgerInnen
waren rund 368.000 BürgerInnen der Europäischen Union und der Schweiz, davon ca.
202.000 von EU-Staaten vor 2004 (EU-14) , ca.104.000 von den zehn im Jahr 2004
beigetretenen EU Staaten (EU-10) und rund 53.000 von den beiden im Jahr 2007

17
beigetretenen Ländern (EU-2). Rund 8.600 Personen hatten eine Schweizer
Staatsbürgerschaft. Die EU BürgerInnen stellen somit 38% der ausländischen Bevölkerung in
Österreich dar. Rund 440.000 Personen, das sind 78% der in Österreich lebenden
AusländerInnen mit Drittstaatsangehörigkeit, waren aus Europa, nur rund 120.000, also 22%
hatten eine außereuropäische Staatsbürgerschaft. Davon sind die AsiatInnen mit rund 64.400
Personen die größte Gruppe, gefolgt von rund 22.300 AfrikanerInnen und 18.200
AmerikanerInnen. Die meisten Personen mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft
stammten aus dem ehemaligen Jugoslawien mit einer Zahl von rund 295.000 Personen, was
31% der ausländischen Bevölkerung entspricht, gefolgt von den Deutschen mit rund 146.400
Personen und den TürkInnen mit 113.500 Personen (vgl. Statistik Austria 2011a, o.S.) Neben
dem Kriterium der Staatsbürgerschaft, ist vor allem das Merkmal Geburtsland zur
Feststellung eines Migrationshintergrunds von entscheidender Bedeutung. Von den rund 8,4
Millionen EinwohnerInnen Österreichs kamen rund sieben Millionen, das entspricht rund
85% der Gesamtbevölkerung, in Österreich zur Welt. Unter der Annahme, dass der
überwiegende Teil der österreichischen StaatsbürgerInnen mit einem Geburtsort im Ausland
eingebürgert worden ist, kann man davon ausgehen, dass rund 1,3 Millionen
ÖsterreicherInnen im Ausland geboren worden sind. Mit einem Bevölkerungsanteil von
knapp 15,7% im Ausland geborenen Personen zählt Österreich zu den europäischen Staaten
mit einem hohen ,,foreign-born"-Anteil (vgl. Lebhart/Marik-Lebeck 2007, S. 170). Hinzu
kommen noch weitere 137.000 Personen, die zwar in Österreich geboren worden sind, aber
keine österreichische Staatsbürgerschaft haben. Diese Personen zählen zur Bevölkerung mit
Migrationshintergrund. Insgesamt waren zu Beginn des Jahres 2011 in Österreich rund 1,54
Millionen Personen, das sind rund 18,6% der Gesamtbevölkerung direkt oder indirekt von
Migration betroffen, wobei die eigentliche Zahl noch etwas höher ist, da Kinder mit nur
einem Elternteil ausländischer Herkunft statistisch nicht erfasst sind (vgl. Lebhart/Marik-
Lebeck 2007, S. 170; Statistik Austria 2011b, S. 21).
Die Konstellation der ausländischen Wohnbevölkerung in Österreich ist das Ergebnis der
GastarbeiterInnenmigration zu Beginn der 1960er Jahre, des Familiennachzugs ab Mitte der
1970er Jahre und der Flucht- und Asylmigration. Wie bereits erwähnt, ging die Zahl der
ZuwanderInnen seit 1991 durch laufende Gesetzesänderungen und ein restriktives Asylgesetz
stark zurück. Staatsangehörigkeit als alleiniger Indikator zur Feststellung der ethnisch-
kulturellen Struktur der Bevölkerung erweist sich eben aufgrund von Einbürgerungen, in

18
Österreich geborenen AusländerInnen und Personen, deren Eltern im Ausland geboren
wurden, als wenig repräsentativ.
ZuwanderInnen leben in Österreich hauptsächlich in größeren Ballungsgebieten, weil in
größeren Städten generell bessere Arbeitschancen gegeben sind. Rund 33%, der
ausländischen Bevölkerung lebte zum Jahresbeginn 2011 in Wien. Vorarlberg weist mit 20%
den zweithöchsten prozentuellen AusländerInnenanteil in der Wohnbevölkerung auf. Von der
Altersstruktur her ist die ausländische Bevölkerung deutlich jünger als die inländische. 15,7%
der ausländischen Staatsangehörigen sind unter 15 Jahre alt, allerdings nur 12,9% der
einheimischen Bevölkerung. Beim Anteil der älteren Personen verhält es sich umgekehrt,
16,9% der inländischen Bevölkerung ist über 65 Jahre alt, aber nur 5,8% der ausländischen
Bevölkerung. Dies erklärt sich vor allem durch die Rückwanderung nach Beendigung der
Erwerbsarbeit und durch die Dominanz junger Erwachsener unter den ZuwanderInnen (vgl.
Fassmann/Reeger 2007, S. 185ff.; Statistik Austria 2011b, S. 27 u. S. 77).
4. Die Situation von Migrationsanderen in Österreich
Im folgenden Kapitel möchte ich mich der rechtlichen, sozialen und gesellschaftlichen
Situation von MigrantInnen widmen. Bei der begrifflichen Bezeichnung der Personen, um die
es in diesem Kapitel geht, werde ich die Termini von Annette Sprung übernehmen. Der
Begriff AusländerIn, der aufgrund seiner diskriminierenden Bedeutung vielfach abgelehnt
wird, gibt zunächst nur über die Staatsangehörigkeit einer Person Auskunft. Weil gerade im
Kontext dieses Diskurses das Merkmal der Staatsbürgerschaft mit vielen Rechten und
Zugangsmöglichkeiten im Zusammenhang steht, werde ich diesen Begriff, dort wo es
notwendig ist, auch verwenden. Bei Informationen zu bestimmten Gruppierungen werde ich
spezielle Begriffe wie beispielsweise AsylwerberInnen, Asylberechtigte usw. verwenden (vgl.
Sprung 2002, S. 54f.) Insgesamt werde ich vorwiegend den Begriff Migrationsandere, der
sowohl MigrantInnen, also ZuwanderInnen der ersten Generation, als auch die
Personengruppe der Menschen mit Migrationshintergrund, also der zweiten Generation bzw.
der eingebürgerten MigrantInnen umfasst, benutzen.

19
4.1 Die rechtliche Situation
Obwohl Österreich bereits seit Beginn der 1960er Jahre mit Immigrationsströmen konfrontiert
ist, findet erst seit Beginn der 1990er Jahre eine gezielte politische Steuerung der Migration
statt. Der Aufenthalt und die Beschäftigung von AusländerInnen in Österreich werden durch
das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, das Fremdenpolizeigesetz, das Asylgesetz, das
Bundesbetreuungsgesetz und das Ausländerbeschäftigungsgesetz festgelegt. Zudem gibt es
Bestimmungen in Bezug auf illegale Einwanderung, illegalen Aufenthalt sowie illegale
Beschäftigung. Im Zuge des Fremdenrechtsänderungspaketes 2011, welches am 29. April
2011 im Nationalrat beschlossen wurde und per 1. Juli 2011 in Kraft trat, wurde das
Fremdenrechtspaket 2005 neu kodifiziert, was Änderungen im Asylgesetz 2005, dem
Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) und dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Folge
hatte (vgl. Bundeskanzleramt 2011b, o.S.).
4.1.1 Zuwanderung nach Österreich ­ gesetzliche Bestimmungen
Im Bereich des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes wurde der Aufenthaltstitel der ,,Rot-
Weiß-Rot-Karte" und der der ,,Rot-Weiß-Rot-Karte-Plus" geschaffen. Die ,,Rot-Weiß-Rot-
Karte" betrifft ausschließlich Drittstaatsangehörige und damit nicht EU-BürgerInnen, da diese
abgesehen von den RumänInnen und BulgarInnen ­ diese erst ab 2014 ­ ohnehin bereits
freien Zugang zum Arbeitsmarkt in Österreich haben. In Zukunft können InteressentInnen aus
Drittstaaten anhand objektiver Kriterien wie Qualifikation, Berufserfahrung, Sprachkenntnisse
und Alter Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt erhalten. Durch die ,,Rot-Weiß-Rot-
Karte" sollen vor allem besonders hoch qualifizierte Personen, Fachkräfte in Mangelberufen,
sonstige Schlüsselkräfte und ausländische StudienabsolventInnen aus Drittstaaten
angesprochen werden. Wenn diese zehn Monate, zu den für die Zulassung maßgeblichen
Voraussetzungen, beschäftigt waren, erhalten sie nach einem Jahr eine ,,Rot-Weiß-Rot-Karte-
Plus". Drittstaatsangehörige, die sich dauerhaft in Österreich niederlassen wollen, müssen
bereits vor ihrer Zuwanderung elementare Kenntnisse der deutschen Sprache auf einfachstem
Niveau nachweisen. Dies entspricht dem A1-Niveau des Gemeinsamen Europäischen
Referenzrahmens für Sprachen. Drittstaatsangehörige, die bereits in Österreich leben, müssen
das bisher schon geforderte A2-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für
Sprachen nun schon nach zwei Jahren erreicht haben. Dies gilt allerdings nicht für Personen
mit der ,,Rot-Weiß-Rot-Karte", diese müssen erst bei Beantragung eines Aufenthaltstitels

20
,,Daueraufenthalt EG", was frühestens nach fünf Jahren möglich ist, Deutschkenntnisse auf
B1-Niveau, was Modul 2 der Integrationsvereinbarung entspricht, nachweisen. Zudem wurde
der Aufenthaltstitel ,,Blaue Karte EU" eingeführt, der hoch qualifizierten ArbeitnehmerInnen
aus Drittstaaten, die eine hoch qualifizierte Beschäftigung in den Mitgliedstaaten der
Europäischen Union aufnehmen wollen, ansprechen soll. Die ,,Blaue Karte EU" begünstigt
auch die Familienzusammenführung. Dadurch soll zum einen die Wettbewerbsfähigkeit im
Rahmen der Lissabon-Strategie verbessert und zum anderen auch die Abwanderung
qualifizierter Kräfte verhindert werden (vgl. Bundeskanzleramt 2011c, o.S.). Diese im
Rahmen der Integrationsvereinbarung geforderten Deutschkenntnisse müssen also nur von
bestimmten Personen erreicht werden, für andere ­ eben EU-BürgerInnen und die Gruppe der
Hochqualifizierten ­ gelten sie nicht. Sprung konstatiert hier eine strukturelle
Diskriminierung, die massive Auswirkungen auf die Lebensgestaltung der jeweiligen
Personen hat. Dies betrifft ebenso den freien Zugang zum Arbeitsmarkt, der für bestimmte
Personengruppen beschränkt ist. In der Regel ist von Diskriminierung die Rede, wenn die
damit verbundene Ungleichbehandlung illegitim ist, das ist aber im Zusammenhang mit den
Rechten, die an eine Staatsbürgerschaft geknüpft sind, nicht der Fall ­ doch gerade dieser
Aspekt der Diskriminierung sollte im Rahmen der Antidiskriminierungsdebatte der
Europäischen Union mehr thematisiert werden (vgl. Sprung 2011, S. 79f.).
Im Rahmen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 gibt es mit dem neuen Gesetzesentwurf
sogenannte aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen Drittstaatsangehörige, die sich nicht
rechtmäßig in Österreich aufhalten. Gegen diese wird eine Rückkehrentscheidung erlassen,
die immer auch mit einem Einreiseverbot verbunden ist, dessen Dauer von Fall zu Fall
variiert. Die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen Drittstaatsangehörige mit
Aufenthaltstitel bzw. gegen EU-BürgerInnen, Schweizer BürgerInnen und begünstige
Drittstaatsangehörige (Angehörige von EU-BürgerInnen, die keine EU oder Schweizer
Staatsbürgerschaft besitzen) wurden bis auf einige Änderungen, in der bestehenden Form
beibehalten. Neu eingeführt wurde die kostenlose Rechtsberatung für Drittstaatsangehörige
bei Verfahren zur Erlassung von Rückkehrentscheidungen und Rückkehrverboten. Im Falle
einer Schubhaft wurde nun eine besondere Weise des Umgangs und eine zeitliche Limitierung
der Schubhaft für die besonders schutzwürdige Personengruppe der Minderjährigen
vorgeschrieben und die Möglichkeit der Überprüfung der Anordnung der Schubhaft zur
Sicherung des Verfahrens in gebührenden zeitlichen Abständen geschaffen.
ArbeitgeberInnen, die Personen entgegen den Bestimmungen des

21
Ausländerbeschäftigungsgesetzes beschäftigen, müssen im Fall der Erlassung einer
Rückkehrentscheidung, eines Rückkehrverbotes oder eines Aufenthaltverbotes für sämtliche
entstandenen Kosten, wie die Kosten für die Durchsetzung der Rückkehrentscheidung, der
Ausweisung, dem Vollzug der Schubhaft, den Dolmetschgebühren usw. aufkommen (vgl.
Bundeskanzleramt 2011c, o.S.).
4.1.2 Asylgesetz
Das Asylgesetz enthält vorwiegend nur mehr verfahrens-, daten- und organisationsrechtliche
Bestimmungen und kann daher als Verfahrensgesetz bezeichnet werden (vgl. Vogl 2007, S.
24). Im Asylgesetz sind Bestimmungen über den Schutz von Flüchtlingen, über Einreise und
Aufenthalt schutzsuchender Fremder sowie über das Asylverfahren und die Asylbehörden
enthalten. Flüchtlinge sind Personen, denen im Herkunftsland Verfolgung im Sinne der
Genfer Flüchtlingskonvention droht wie Kontingentflüchtlinge, Personen, bei denen sich
Österreich völkerrechtlich bereit erklärt hat, Asyl zu gewähren und Angehörige von
Asylberechtigten, die sogenannte Asylstreckung (vgl. Bundeskanzleramt 2011d, o.S.).
Durch
die Novellierung von 2011 ist nunmehr ein adaptiertes System der Rechtsberatung durch das
gesamte Asylverfahren hindurch vorgesehen. Eine neue Mitwirkungspflicht sieht vor, dass
sich AsylwerberInnen grundsätzlich für den Zeitraum von längstens 120 Stunden am Beginn
des Asylverfahrens durchgehend in der Erstaufnahmestelle zur Verfügung zu halten haben,
um für die, in dieser Phase zahlreich anfallenden, Amts- und Verfahrenshandlungen
durchgehend erreichbar zu sein. Die österreichische Bundesregierung ist der Ansicht mit
diesen Maßnahmen einen Beitrag zum reibungslosen und effizienten Ablauf des
Asylverfahrens zu leisten (vgl. Bundeskanzleramt 2011c, o.S.).
4.1.3 Einbürgerungspolitik
Um in Österreich unbeschränkten Aufenthalt, politisches Mitspracherecht und rechtliche
Gleichstellung zu haben, ist der Besitz einer österreichischen Staatsbürgerschaft notwendig.
Der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft ist in jedem Fall mit der Erfüllung
allgemeiner Einbürgerungsvoraussetzungen verbunden und es muss ein entsprechender
Antrag gestellt werden. In der Regel erfolgt die Verleihung der Staatsbürgerschaft durch die
Behörden des Bundeslandes, in dem der/die AntragstellerIn seinen/ihren ordentlichen
Wohnsitz hat. Je nach Voraussetzungen betragen die Kosten zwischen 776 und 1.050 Euro.

22
Ein Rechtsanspruch auf die österreichische Staatsbürgerschaft besteht erst nach 30-jährigem
ununterbrochenem Hauptwohnsitz in Österreich, die Einbürgerung kann jedoch unter
bestimmten Voraussetzungen, wie persönlicher und beruflicher Integration, auch früher
erfolgen (vgl. Bundeskanzleramt 2011e, o.S.).
Auch hier möchte ich wieder auf den Aspekt der Diskriminierung zu sprechen kommen.
Obwohl Staatsbürgerschaft ein Instrument der Diskriminierung darstellt, kann nicht davon
ausgegangen werden, dass eingebürgerte Personen keine Diskriminierung mehr erfahren.
Migrationsandere werden oft trotz erfolgter Einbürgerung aufgrund ihrer
Migrationsgeschichte und/oder ihrer Ethnizität diskriminiert. Der Begriff Ethnizität wird oft
synonym mit dem Kulturbegriff verwendet, ,,Ethnizität umfasst jedoch mehrere
Gemeinsamkeiten einer Gruppe, unter denen Kultur lediglich einen Faktor darstellt" (Sprung
2002, S. 69). Nieke nennt die heute geläufigen Kriterien, nach denen eine Ethnie von der
anderen unterschieden werden kann: Sprache, Rasse, Religion, Kultur, kollektive
Selbstdefinition (meist als Mythos oder Geschichte gemeinsamer Abstammung) sowie
gemeinsamer Siedlungsraum. Dabei müssen mehrere aber nicht zwingend alle Merkmale
zusammenkommen (vgl. Nieke 2008, S. 39). Der Erwerb der Staatsbürgerschaft korreliert
nicht automatisch mit symbolischer Anerkennung und der damit verbundenen sozialen
Teilhabe (vgl. Hormel 2007, S. 225f. zit.n. Sprung 2011, S. 82).
4.1.4 Arbeitsmarktpolitik
Die Arbeitsmigration ist in Österreich durch das Ausländerbeschäftigungsgesetz, das
Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz sowie das Fremdenpolizeigesetz 2005 reglementiert.
Prinzipiell benötigen AusländerInnen, die in Österreich arbeiten wollen, sowohl eine
Aufenthaltsgenehmigung als auch eine Arbeitsbewilligung. Das
Ausländerbeschäftigungsgesetz stellt als arbeitsmarktpolitisches Instrument die zentrale
Steuerungsnorm für die Zulassung von ausländischen Arbeitskräften dar. Unter der
Berücksichtigung der aktuellen Arbeitsmarktlage wird der Zutritt zum österreichischen
Arbeitsmarkt gesteuert, sowohl bei generellen Vorgaben als auch in Einzelfällen. Diese
Abhängigkeit vom Arbeitmarkt verliert ihre Intensität je höher der Grad der Integration
eines/einer AusländerIn ist oder wenn beispielsweise humanitäre Erwägungen oder
internationale Verpflichtungen gegeben sind (vgl. Nowotny 2007, S. 47f.).

23
Prinzipiell erfolgt der Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt für AusländerInnen in drei
Schritten. Als erstes erhalten ausländische Arbeitskräfte eine Beschäftigungsbewilligung, die
an eine/n ArbeitgeberIn gebunden ist, danach erhalten die ArbeitnehmerInnen eine
Arbeitserlaubnis, die auf zwei Jahre befristet ist, bei der auch der/die ArbeitgeberIn
gewechselt werden darf. Nach wenigstens fünfjähriger legaler Beschäftigung in Österreich
innerhalb der letzten acht Jahre darf der/die ausländische ArbeitnehmerIn einen
Befreiungsschein beantragen. Dieser ist für das gesamte Bundesgebiet gültig, ist auf fünf
Jahre befristet und stellt ausländische Erwerbstätige mit österreichischen Arbeitskräften auf
dem Arbeitsmarkt weitgehend gleich. Ausgenommen von den Regelungen des
Ausländerbeschäftigungsgesetzes sind EWR- bzw. EU-BürgerInnen, Asylberechtigte,
subsidiär Schutzberechtigte, AusländerInnen im diplomatischen Dienst, Lehrende und
Forschende und deren EhegattInnen und Kinder, BürgerInnen der Schweiz, ausländische
EhegattInnen und Kinder bis 18 Jahre von ÖsterreicherInnen, ausländische EhegattInnen und,
unter bestimmten Voraussetzungen, Kinder, Eltern und Schwiegereltern von EWR- bzw. EU-
BürgerInnen und BürgerInnen der Schweiz mit Aufenthaltsrecht. Eine Ausnahme stellen die
BürgerInnen der beiden EU Mitgliedsstaaten Rumänien und Bulgarien dar, für diese müssen
bis zum 31.12.2013 Bewilligungen bzw. Zulassungen nach dem
Ausländerbeschäftigungsgesetz beantragt werden (vgl. Arbeitsmarktservice Österreich 2011,
o.S.)
.
Wie bereits erwähnt gibt es seit dem Stichtag 1.1.2011 drei neue Aufenthaltstitel. Der
Wichtigste ist die ,,Rot-Weiß-Rot-Karte". Sie wird besonders qualifizierten Arbeitskräften für
die Dauer von einem Jahr ausgestellt, im Anschluss daran haben ArbeitnehmerInnen die
Möglichkeit die ,,Rot-Weiß-Rot-Karte-Plus" zu beantragen, die im Gegensatz zur ,,Rot-Weiß-
Rot-Karte" auch einen ArbeitgeberInnenwechsel ermöglicht. Zusätzlich gibt es auch die
,,Blaue Karte EU", die ausländischen Spitzenfachkräften unter Zusicherung eines bestimmten
Mindesteinkommens erteilt werden kann. Diese genannten Aufenthaltstitel inkludieren die
Arbeitsbewilligung in Österreich (vgl. Help.gv. Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen 2011,
o.S.). Für Menschen aus Drittstaaten sind die Barrieren in Österreich einen Aufenthaltstitel
und die damit verbundene Arbeitsgenehmigung zu erhalten, wesentlich größer als für EU-
BürgerInnen oder oben erwähnte hochqualifizierte Arbeitskräfte. Freien Zugang zum
Arbeitsmarkt gibt es nur für eine bestimmte privilegierte Personengruppe, alle anderen
werden im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik teilweise benachteiligt, was zwangsläufig zu
unterschiedlichen Partizipationschancen führt. Solche Zugangsbeschränkungen zum
Ende der Leseprobe aus 122 Seiten

Details

Titel
Interkulturelle Kompetenzentwicklung durch Weiterbildung. (K)ein Angebot für Migrationsandere?
Autor
Jahr
2012
Seiten
122
Katalognummer
V388044
ISBN (eBook)
9783668621589
ISBN (Buch)
9783668621596
Dateigröße
929 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
interkulturelle, kompetenzentwicklung, weiterbildung, angebot, migrationsandere
Arbeit zitieren
Wasiliki Exarchos (Autor:in), 2012, Interkulturelle Kompetenzentwicklung durch Weiterbildung. (K)ein Angebot für Migrationsandere?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/388044

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