Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der pädagogische Leistungsbegriff nach Klafki
3. Begriffsbestimmung schulisches Portfolio
4. Chancen der Portfoliomethode für die Leistungserziehung
4.1 Prozessorientierung
4.2 Intrinsische Motivation und gemeinsame Aufgabenlösung
4.3 Beteiligung der Schüler_innen bei Zielvereinbarung und Bewertung
4.4 Individualisierung
5. Herausforderungen der Portfoliomethode für die Leistungserziehung
5.1 Zeit-und Arbeitsaufwand
5.2 Angemessener Grad an Selbstständigkeit
5.3 Vorgaben und Selektionsauftrag
6. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Leistung ist zentraler Bestandteil von Schule und Gesellschaft. Der Begriff der Leistungsgesellschaft istjedem bekannt. Fraglich istjedoch, ob man das gesellschaftliche Leistungsverständnis ohne weiteres auf das der Schule übertragen kann. Der hessische Rahmenplan des Kultusministeriums setzt eine Leistungserziehung zur Lernfreude und Leistungsverantwortung zum Ziel. Trotz der Selektionsfunktion der Schule solljede/r Einzelne entsprechend der eigenen Ausgangslage bestmöglich gefordert werden. Dazu bedarf es laut Kultusministerium eines pädagogischen Leistungsbegriffs. Diesen hat Erziehungswissenschaftler Wolfgang Klafki näher definiert.
Im Rahmen dieser Hausarbeit soll untersucht werden, inwiefern die Unterrichtsmethode „Portfolio“ geeignet ist, um der Vorstellung des pädagogischen Leistungsbegriffs nach Klafki gerecht zu werden. Dafür sollen zunächst der pädagogische Leistungsbegriff und die Portfoliomethode im Einzelnen näher betrachtet werden.
Im Anschluss wird analysiert, inwiefern die einzelnen Aspekte von Klafkis pädagogischem Leistungsbegriff mit dem schulischen Portfolio vereinbar sind und wo die Herausforderungen des Portfolios liegen. Hierfür wird insbesondere die umfangreiche Studie „Leistungsbewertung mit Portfolio in der Grundschule“ von Frauke Grittner miteinbezogen. Sie zeigt die Haltungen gegenüber dem Portfolio aus den verschieden Perspektiven Lehrkraft, Eltern und Schüler_innen und geht auf zahlreiche Aspekte der Methode ein.
Die zentralen Erkenntnisse dieser Arbeit sollen eine hilfreiche Entscheidungsgrundlage bilden, ob das Portfolio den eigenen Unterricht bereichern und zu einem positiven Leistungsverständnis führen kann.
2. Der pädagogische Leistungsbegriff nach Klafki
Der „pädagogische Leistungsbegriff“ ist in der schulpädagogischen Diskussion um Leistung fest verankert. Ihm gegenüber steht der „gesellschaftliche Leistungsbegriff“. Dieser besagt, dass Einkommen, Besitz, soziale Position und wirtschaftlich-politischer Einfluss entsprechend der erbrachten Leistung gerecht verteilt seien. Diese Vorstellung schließt die Annahme einer vorhandenen Chancengleichheit in der Gesellschaft mit ein (vgl. Klafki 1994, S. 221f.). Klafki widerspricht dem. Er meint, es gebe eine schichtspezifische Ungleichheit der Bildungs- und somit der Berufs- und Sozialchancen (vgl. ebd., S. 224).
Er sieht es als Aufgabe der Schule, diesen ungerechten Ausgangschancen durch eine Abgrenzung vom gesellschaftlichen Leistungsbegriff entgegenzuwirken. Auf der Grundlage der Erziehungsziele einer demokratischen Gesellschaft, die sich der Erziehung zur Mündigkeit und Emanzipation verschrieben haben, begründet Klafki das pädagogische Leistungsverständnis. Selbst- und Mitbestimmung, Kritik und Urteilsfähigkeit, solidarisches Handeln in Gruppen, Kommunikationsfähigkeit und Ideenreichtum sind einige dieser Erziehungsziele, die Klafki im derzeitigen schulischen Leistungsverständnis als vernachlässigt empfindet. Infolgedessen formuliert er vier Prinzipien des pädagogischen Leistungsverständnisses, welche die Mündigkeit und Emanzipation ermöglichen sollen:
1. Neben den Leistungsprodukten sollte die Aufmerksamkeit in der Schule auch auf die Leistungsprozesse gerichtet werden, um den Schüler_innen aufzuzeigen, wie Aufgaben bewältigt werden können.
2. Die Leistungsmotivation sollte aufgabenbezogen und intrinsisch sein. Eine konkurrenz- und belohnungsorientierte Motivation würde Zielen wie dem solidarischen Handeln in unserer Demokratie nicht gerecht. Laut Klafki ist eine gemeinsame Aufgabenlösung anzustreben.
3. Beurteilungskriterien sollten strukturiert, differenziert und begründet sein, um Aussagekraft zu haben. Die Beteiligung der Schüler_innen an Differenzierungs- und Beurteilungsprozessen fördert ihre Fähigkeit, selbstreguliert zu lernen.
4. Individualisierte Leistungsanforderungen, -bewertungen und Lernprozesse können nach Klafki der anlage- und sozialisationsbedingten Heterogenität der Schülerinnen gerecht werden. Soziale Vergleiche sollten nicht gänzlich vermieden, jedoch verringert werden (vgl. ebd., S. 228-234).
3. Begriffsbestimmung schulisches Portfolio Wörtlich übersetzt bedeutet Portfolio „tragbares Blatt“ (von „portare“ und „foglio“). Dies ist darauf zurückzuführen, dass ein Portfolio eine „tragbare“ Anzahl an ausgewählten „Blättern“, also Dokumenten enthält (vgl. Grittner 2009, S.64).
Neben der Schule kommen Portfolios vor allem im Kunst- und Bankgewerbe zum Einsatz. Hier liegt ihre Hauptfunktion im Präsentieren von Leistung.
Der Begriff des schulischen Portfolios ist nicht definiert. So gibt es verschiedene Formen mit unterschiedlichen Zielen, Inhalten und Strukturen. Das Portfolio kann sowohl zur Leistungsfeststellung, als auch als Unterrichtskonzept an sich dienen (vgl. ebd.). Die Gemeinsamkeit ist dabei die Sammlung von Arbeitsproben und die Lemreflexion. Häufig bekommen die Schüler_innen während der Phase der Erarbeitung Rückmeldungen der Lehrkraft (vgl. Kress 2013, S.108).
Winter unterscheidet zwischen einem „Kurs-Portfolio“ und einer „Leistungsmappe“.
Das Kurs-Portfolio beinhaltet Ergebnisse eines einzelnen Fachunterrichts und hat einen großen Einfluss auf die Didaktik des jeweiligen Fachs. Die Leistungsmappen sind fächerübergreifende Arbeiten der Schüler_innen. Sie können auch ohne eine Veränderung der Didaktik entstehen und sollen nach Winter für Lehrkräfte, Eltern, spätere Arbeitgeber und Ausbildungsinstitute eine aufschlussreichere Alternative zu Zeugnissen bieten (vgl. Winter 2008, S. 189).
4. Chancen der Portfoliomethode für die Leistungserziehung
Im Folgenden soll untersucht werden, inwiefern die Portfoliomethode für die Realisierung der im zweiten Abschnitt beschriebenen Prinzipien des pädagogischen Leistungsbegriffs nach Klafki geeignet ist.
4.1 Prozessorientierung
Die traditionelle Bewertungspraxis basiert auf punktuellen Prüfungssituationen, deren Noten wenig über die Lernentwicklung der Schüler_innen aussagen. Durch Tests u. Ä. wird lediglich der aktuelle Leistungsstand bewertet und selbst dieser kann durch leistungsmindernde Situationsbedingungen verfälscht werden (vgl. Winter 2008, S. 3).
Durch die Portfoliomethode wird die von Klafki angestrebte Berücksichtigung der Leistungsentwicklung möglich.
In Grittners Studie aus dem Jahr 2009 gibt jede der befragten Gruppen - Schüler_innen, Lehrer_innen und Eltern - an, sich durch die Portfolioarbeit im besonderen Maße über die Lerrnprozesse der Schüler_innen informiert zu fühlen (vgl. Grittner 2009, S. 176).
Zu Beginn der Portfolioarbeit kann die Lehrkraft Ausgangsbeispiele ihrer Schüler_innen einsammeln, die ihren jeweiligen aktuellen Leistungsstand widerspiegeln. Sie sollten von der Lehrkraft nicht überarbeitet werden. So wird eine unverfälschte Beurteilung des Leistungsprozesses möglich. Dafür können im Verlauf der Arbeit immer wieder ältere Arbeitsergebnisse herangezogen und mit den Aktuellen verglichen werden (vgl. Easley, Mitchell 2004, S. 38f.).
Wichtig ist eine prozessbegleitende Lernberatung durch die Lehrkraft (vgl. ebd., S. 107). Diese besteht u.a. aus einer Analyse des Ist-Zustands, dem Aufzeigen von Veränderungsmöglichkeiten, sowie der Vereinbarung von Zielen (vgl. Werner 2006, S. 51). Zum einen erhält die Lehrperson so selbst Einblick in die Arbeit der Schüler_innen, zum anderen bekommen Letztere individuelles Feedback und Hinweise, wie sie die weitere Portfolioarbeit optimieren können. Hier ist auch die Bildung neuer Fragestellungen und Ziele denkbar, die aufgrund der Flexibilität der Portfoliomethode aufgegriffen werden können.
Durch das unmittelbare Vorliegen von Arbeitsergebnissen, teils mit zugehörigen Stellungnahmen der Schüler_innen, gewinnt der Austausch über ihre Leistung an Transparenz. Die verschiedenen Beteiligten können die Inhalte während und am Ende der Portfoliophase direkt einsehen und erhalten so ein differenziertes Bild über die Leistung. Die Schülerinnen können so ihre eigene Entwicklung verfolgen; die Eltern gewinnen direkte Eindrücke über den Lernstand ihrer Kinder.
Eine Verschriftlichung der Arbeitsschritte der Schüler_innen rückt den Prozesscharakter zusätzlich in den Vordergrund, macht erkenntlich, wie die Produkte entstanden sind und kann für die Bewertung herangezogen werden (vgl. Winter 2008, S. 205).
4.2 Intrinsische Motivation und gemeinsame Aufgabenlösung
Aus Abschnitt 2.2 geht Klafkis Forderung nach einer, die intrinsische Motivation fördernde, Leistungserziehung hervor.
Die Studie Grittners stellt positive Auswirkungen der Portfolio-Arbeit auf die Lernmotivation der Schüler_innen fest. Die Eltern schätzten die Auswirkungen zwar größer ein als ihre Kinder, doch kann dies auf die besonderen Umstände der Portfolio-Präsentation der Schüler_innen während des Studienverlaufs zurückgeführt werden. Die Befunde zeigen, dass insbesondere die Stärkenorientierung mit dem entsprechenden fähigkeitsbezogenen Feedback, motivationsfördernd ist. Die Schüler_innen konnten nach eigenen Angaben am Ende der Portfolio-Arbeit, ihre Leistung selbst einschätzen und dabei einen Lernzuwachs feststellen (vgl. Grittner 2009, S. 179). Ebenso stärkt der Studie zufolge die Bevorzugung der individuellen gegenüber der sozialen Bezugsnorm die Motivation (vgl. ebd., S. 176). Insgesamt stimmten 68,8% der befragten Schüler_innen „ganz genau“ oder „überwiegend“ zu, dass sie die Portfolio-Arbeit zum Weiterlernen ermutigt (vgl. ebd., S. 103).
Das Sichtbarwerden der Schülerleistungen ist motivationsfördernd. Es kann Stolz entstehen und Bewältigungserfahrungen können gemacht werden, da die Portfoliomethode die Lernentwicklung so deutlich hervortreten lässt (vgl. Wintern 2008, S. 197). Das Bedürfnis nach Kompetenz, das hier also erfüllt werden kann, ist nach der Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan eine der Quellen intrinsischer Motivation. Die andere Quelle besteht in dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung (vgl. Deci, Ryan 1993, S.229). Auch diesem kann das Portfolio entgegenkommen. So melden die Schüler_innen aus Grittners Studie die inhaltlichen und methodischen Wahlmöglichkeiten, sowie die Möglichkeiten des intensiven, selbstständigen Arbeitens am Portfolio positiv zurück (vgl. Grittner 2009, S. 179).
Häcker unterscheidet zwischen der Nutzung des Portfolios als Instrument der Leistungsfeststellung und der Unterrichtsentwicklung. Diese Konzepte unterscheiden sich u.a. in ihrem Grad der Mitbestimmung der Schüler_innen am Portfolio.
Bei Portfolios, deren Funktion vordergründig die Leistungsfeststellung ist, gibt es weniger Entscheidungsfreiheiten. Den Schüler_innen wird hier eine regulativ-operative Mitbestimmung eingeräumt, die sich u.a. auf die Auswahl der Methoden, der Medien, des Lernorts, der Lernpartner_innen, des Lerntempos, des Schwierigkeitsgrads und der Beurteilungskriterien beziehen kann. Die Themen, Inhalte und Ziele können hier allerdings von außen durch die von der Lehrperson vorbereiteten Arbeitsmaterialien vorgegeben sein (vgl.
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