Leseprobe
II
Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung... 1
2.
Hauptteil ... 3
2.1.
Definitorische Begriffsbestimmung der triuwe... 3
2.2.
triuwe im Nibelungenlied... 5
2.3.
triuwe im König Rother ... 13
2.4.
Vergleich der triuwe-Konzeptionen... 19
3.
Zusammenfassung und Fazit ... 21
Literaturverzeichnis ... III
1
1. Einleitung
Es finden sich in der Literatur zahlreiche Publikationen, die jeweils die triuwe im Ni-
belungenlied und im König Rother herausstellen. Gentry, der sich intensiv mit der triu-
we im Nibelungenlied auseinandergesetzt hat, geht bspw. in Bezug auf die Bedeutung
der triuwe für das Nibelungenlied so weit, dass sie für ihn die ,,message"
1
des Nibelun-
genliedes darstellt. In Bezug auf die triuwe im König Rother hält G. Ehrismann fest,
dass ,,das Gedicht [...] ein Denkmal für die Macht der Treue"
2
darstellt. Diese beiden
Aussagen legen nahe, dass beide mittelalterlichen Epen gemeinsam zu haben scheinen,
dass die triuwe jeweils eine wesentliche Rolle spielt. In diesen Publikationen wird die
triuwe jedoch oftmals ausschließlich für ein einzelnes Werk herausgearbeitet oder ledig-
lich beiläufig als Motiv herausgestellt. In der umfassenden Forschungsliteratur findet
sich folglich keine Veröffentlichung, die einen expliziten Vergleich der Konzeption der
triuwe in diesen beiden mittelalterlichen Texten vornimmt. Um diese Forschungslücke
zu füllen, setzt sich diese Arbeit als Ziel, die Konzeptionen der triuwe im Nibelungen-
lied und im König Rother analysierend herauszuarbeiten und im Anschluss miteinander
zu vergleichen. Aus dieser Zielsetzung ergibt sich die zentrale Fragestellung dieser Ar-
beit, inwiefern sich die Konzeptionen der triuwe im Nibelungenlied und im König Rot-
her voneinander unterscheiden.
Um sich der mit dieser Fragestellung verbundenen Zielsetzung inhaltlich zu nähern,
ist es im Rahmen des Kapitels 2.1 zunächst erforderlich, eine definitorische Begriffsbe-
stimmung der triuwe vorzunehmen. Diese beinhaltet eine kurze Klärung des mittelalter-
lichen Begriffsverständnisses und die damit verbundene Abgrenzung vom heutigen
Treuebegriff, da die Begriffe triuwe und Treue zwar teilweise semantische Ähnlichkei-
ten aufweisen, aber nicht in Gänze ein und dasselbe meinen.
3
Daran anschließend wird in Kapitel 2.2 eine Analyse der triuwe-Konzeption im Ni-
belungenlied vorgenommen. Dieser Analyse geht eine kurze Darlegung des For-
1
Francis G. Gentry: Mort oder Untriuwe. Nibelungenliet und Nibelungennot. In: Ergebnisse und Aufga-
ben der Germanistik am Ende des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Ludwig Erich Schmitt. Hrsg., eingel.
u. mit Verzeichnissen vers. von Elisabeth Feldbusch. Hildesheim [u. a.] 1989, S. 302-316, hier S. 305.
2
Gustav Ehrismann: Frühmittelhochdeutsche Zeit. Handbuch des deutschen Unterrichts an den höheren
Schulen. Hrsg. von Adolf Matthias. Bd. 6: Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des
Mittelalters von Gustav Ehrismann. Teil 2: Die mittelhochdeutsche Literatur: Abschn. 1. München
1922, S. 303.
3
Vgl. Otfrid Ehrismann: Ehre und Mut, Âventiure und Minne. Höfische Wortgeschichten aus dem Mit-
telalter. München 1995, S. 213.
2
schungsstandes zur triuwe im Nibelungenlied voraus. Um der ambivalenten Verwen-
dung des triuwe-Begriffs im Nibelungenlied gerecht zu werden, erfolgt anschließend in
Anlehnung an Kückemanns eine Darstellung derjenigen Arten der triuwe, die im Nibe-
lungenlied besonders handlungsrelevant erscheinen.
4
Diese Darstellung stützt sich auf
exemplarische Textbelege, in denen die Konfliktträchtigkeit der unterschiedlichen Arten
am Verhalten der zentralen Figuren des Nibelungenlieds deutlich wird.
5
Im Anschluss daran, erfolgt in Kapitel 2.3 die Analyse der Konzeption der triuwe in
Bezug auf den König Rother. Hier ist es naheliegend, dass die beiden Herrscher Rother
und Konstantin jeweils separat hinsichtlich ihres Verhaltens betrachtet werden, sodass
Rückschlüsse auf die Bedeutung der triuwe für das jeweilige Herrscherbild gezogen
werden können. Es bietet sich an, das Verhalten Rothers im Zusammenhang mit seinem
Vasallen Lupold zu analysieren, da insbesondere in dieser wechselseitigen Beziehung
bedeutende Aspekte für den Charakter der Figur Rothers entdeckt werden können. Ohne
an dieser Stelle bereits zu sehr auf Unterschiede zwischen Rother und Konstantin einge-
hen zu wollen, ist es in Bezug auf Konstantin hingegen nicht naheliegend, sich auf ei-
nen bestimmten Vasallen zu fokussieren, da das königliche Umfeld Konstantins im Ge-
gensatz zum Regierungsverbund Rothers keine namentliche Erwähnung findet, sondern
vielmehr durch anonyme Figuren, die bspw. als spilemann (V. 1710) oder einir
(V. 837)
6
eingeführt werden, verkörpert wird. Das hat für die Analyse zur Folge, dass
hier vornehmlich das Handeln Konstantins in den Blick zu nehmen ist.
Der in Kapitel 2.4 folgende Vergleich der triuwe-Konzeptionen knüpft unmittelbar
an die zentralen Ergebnisse der jeweiligen Analyse an. Der Vergleich beschränkt sich
auf die wesentlichen Punkte und versucht daran, die beiden Epen diesbezüglich ver-
gleichbar zu machen.
In Kapitel 3, dem Schluss der Arbeit, werden die wesentlichen Ergebnisse zusam-
mengefasst und ein Fazit gezogen.
4
Sabine Kückemanns: Ambivalenzen der triuwe im Nibelungenlied. Diss. Aachen 2007, S. 7.
5
An dieser Stelle sei bereits darauf hingewiesen, dass diese Arbeit nicht den Anspruch hat, sämtliche
Handlungsstränge des Nibelungenlieds in Hinblick auf etwaige triuwe-Bindungen hin zu analysieren.
Vielmehr wird eine exemplarische Auswahl an Textbelegen getroffen, anhand der die verschiedenen
Arten der triuwe-Bindung im Nibelungenlied nachvollzogen werden können.
6
König Rother. Mittelhochdeutscher Text und neuhochdeutsche Übersetzung von Peter K. Stein. Hrsg.
von Ingrid Bennewitz unter Mitarbeit von Beatrix Koll und Ruth Weichselbaumer. Stuttgart 2000.
3
2. Hauptteil
2.1.
Definitorische Begriffsbestimmung der triuwe
Dem Begriff der triuwe kommt nicht ausschließlich im Nibelungenlied oder im Kö-
nig Rother ein zentrales Handlungsmotiv zu, er findet sich in unzähligen Dichtungen
dieser Zeit wieder. Um dies an einem prominenten Beispiel zu illustrieren, lässt sich
bspw. der Parzival Wolframs von Eschenbach anführen. In diesem Versroman der mit-
telhochdeutschen höfischen Literatur wird deutlich, dass der Begriff der triuwe über
zweihundert Mal Verwendung findet und zudem eine zentrale Rolle für die Handlung
einnimmt.
7
Als weitere Belege für die Relevanz dieses Begriffs in Bezug auf die dama-
lige Dichtung lassen sich die Werke Hartmanns von Aue anführen. Insbesondere im
Iwein spielt der Begriff, obwohl er numerisch mit 39 Belegen verhältnismäßig sparsam
eingesetzt wird, eine handlungsbestimmende Rolle.
8
Der Grund ist darin zu sehen, dass
sich in der für die Handlung zentralen Klage Lunetes gegen Iwein ganze elf der 39 Be-
lege dieses Begriffs finden lassen.
9
Darüber hinaus wird, wie Lienert feststellt, der Leit-
begriff der triuwe bspw. im Zusammenspiel von Nibelungenlied und Nibelungenklage
insofern intertextuell verwendet, als dass die ,,Leitbegriffe, Erklärungsmuster, Kausal-
ketten" des Liedes in der Klage aufgegriffen und für den Leitbegriff der triuwe ,,unauf-
hörlich und programmatisch" beschwört werden.
10
Wie im folgenden Kapitel zu erkennen sein wird, kommen dem Begriff der triuwe
insbesondere im Nibelungenlied unterschiedliche semantische Bedeutungen zu. Daher
ist es zunächst sinnvoll, in gebotener Kürze auf die Wortherkunft und Semantik dieses
ambivalent verwendeten Begriffs einzugehen.
Der mittelhochdeutsche Begriff der triuwe oder der althochdeutsche Begriff der
triuwa kennzeichnet ,,wolmeinenheit, aufrichtigkeit, zuverlässigkeit, treue (überh. das
sittliche pflichtverhältnis zwischen allerhand einander zugehörigen [...]), gegebenes
7
Vgl. Ehrismann (wie Anm. 3), S. 212.
8
Vgl. Vera Vollmer: Die Begriffe der Triuwe und der Stæte in der höfischen Minnedichtung. Phil. Diss.
Tübingen 1914, S. 10.
9
Vgl. Karl-Friedrich Kraft: Iweins Triuwe. Zu Ethos und Form der Aventiurenfolge in Hartmanns
"Iwein". Eine Interpretation. Amsterdam 1979, S. 36-37.
10
Elisabeth Lienert: Intertextualität in der Heldendichtung. Zu Nibelungenlied und ,Klage`. In: Neue
Wege der Mittelalter-Philologie: Landshuter Kolloquium 1996. Hrsg. von Joachim Heinzle, L. Peter
Johnson, Gisela Vollmann-Profe. Berlin 1999, S. 276-298, hier S. 292.
4
wort, gelübde, versprechen"
11
. Diese Begriffsdefinition zeigt, dass die Bedeutung des
mittelhochdeutschen Wortes triuwe sehr facettenreich ist und über die Semantik, die
dem Begriff in der heutigen Zeit zugesprochen wird und eher ,,allgemeinmenschlich"
12
orientiert ist, hinausgeht.
13
Das wird insbesondere bei der folgenden Betrachtung der
geschichtlichen Entwicklung des Begriffs der triuwe deutlich.
Kraft stellt diesbezüglich fest, dass die Bedeutung der triuwe ursprünglich in Form
,,eines rechtlich wirksamen Bindungsverhältnisses"
14
bestand. Dieses Verhältnis ist
durch die Schließung eines entsprechenden Vertrages über die Treuebeziehung manifes-
tiert worden. Auf Grundlage dieses Vertrages entwickelt sich durch die damit verbun-
dene Zusage, den entstandenen Pflichten nachzukommen, eine weitere Bedeutungsebe-
ne, die als Vertrauen charakterisiert werden kann und gewissermaßen über die rein ju-
ristische Dimension des Vertrages hinausgeht. In Bezug auf die zunächst juristische
Bedeutungsebene ist festzuhalten, dass diejenigen Personen, die eine triuwe-Beziehung
eingegangen sind, exakt definierte Pflichten gegenüber dem oder den jeweiligen Part-
ner/-n hatten. Das ,,Grundgebot dieser Pflichtverhältnisse ist die Einigkeit, das Verfol-
gen gemeinsamer Interessen; das Handeln zum Nachteil des [...] Bündnispartners gilt
als untriuwe, die mit schwersten gesellschaftlichen Sanktionen geahndet wird"
15
. O.
Ehrismann versteht den juristischen triuwe-Begriff als Regelungsinstanz für die Bezie-
hung zwischen dem Herrn und dem Vasallen.
16
Eine Betrachtung der Antipoden der
triuwe, die vor allem in den Begriffen der ,,untriuwe («Treulosigkeit, Betrug»), haz
(«Hass») und nît («Hass, Neid, Missgunst, Feindseligkeit»)"
17
artikuliert werden, zeigt,
dass diese negativ aufgeladenen Begriffe das Funktionieren einer geregelten und geord-
neten Welt unmöglich erscheinen lassen. Folglich ist das Konzept der triuwe als ,,welt-
und gesellschaftsordnendes Prinzip"
18
der mittelhochdeutschen Zeit anzusehen und
stellt eine der höchsten und bedeutendsten Tugenden dar, die der mittelalterliche
11
Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Zweiter Band. Leipzig 1876, S. 1520.
12
Ehrismann (wie Anm. 3), S. 213.
13
In der heutigen Zeit wird unter der Treue vordergründig die eheliche Treue verstanden.
14
Kraft (wie Anm. 9), S. 39.
15
Vgl. Antje Kruse, Gerda Rössler: Untersuchungen zu Begriffsinhalt und literarischer Funktion des
Wortes triuwe in Wolframs >Parzival. In: Geist und Zeit: Wirkungen des Mittelalters in Literatur und
Sprache. Festschrift für Roswitha Wisniewski zu ihrem 65. Geburtstag. Hrsg. von Carola L. Gottz-
mann, Herbert Kolb. Frankfurt a. M. [u. a.] 1991, S. 123-150, hier S. 124.
16
Vgl. Ehrismann (wie Anm. 3), S. 214.
17
Ehrismann (wie Anm. 3), S. 215.
18
Kückemanns (wie Anm. 4), S. 7.
5
Mensch anzustreben vermochte.
19
Ähnlich artikuliert Gentry, dass triuwe ,,that quality
which enhances friendship and makes the bond vassal dear to his lord, the host generous
to his guests"
20
darstellt, ohne die ein mittelalterlicher Mensch nichts habe.
2.2.
triuwe im Nibelungenlied
Um sich der Konzeption der triuwe im Nibelungenlied anzunähern, bietet es sich an,
zunächst kurz den Forschungsstand zu skizzieren. Die Tatsache, dass der triuwe im Ni-
belungenlied eine besondere Bedeutung zukommt, wird zum einen daran deutlich, dass
sich im gesamten Text etwa 100 Belege für diesen Begriff finden.
21
Zum anderen be-
schäftigen sich zahlreiche wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Bedeutung
der triuwe im Nibelungenlied. Wie bereits in der Einleitung angeführt, hat die triuwe im
Nibelungenlied für Gentry eine große Bedeutung, so dass er sie als ,,message"
22
des
Nibelungenliedes beschreibt. Er beschränkt sich in seinen Untersuchungen zur triuwe
im Nibelungenlied nicht ausschließlich auf den zeitgenössischen sozio-politischen Hin-
tergrund der Feudalkultur um 1200 und die Relevanz der triuwe-Bindungen für eben-
diese gesellschaftlichen Machtverhältnisse der Zeit.
23
In diesem Zusammenhang sieht
bspw. Ihlenburg das unausgewogene Verhältnis zwischen dem starken Vasallen und
dem relativ schwachen König, das im Folgenden noch anhand von Textbelegen
exemplarisch aufgezeigt werden wird, als eine Gefahr für das herrschende Feudalsystem
an.
24
Gentry hingegen erweitert die Perspektive seiner Untersuchungen um einen mora-
lischen Aspekt.
25
Am deutlichsten wird dies an der Feststellung, dass der Dichter des
Nibelungenlieds immer dann Kritik an den Figuren übt, sobald die Motivation ihrer
Handlungen anstatt auf freundschaftlicher triuwe ausschließlich auf rechtlichen Bindun-
gen beruht.
26
Exemplarisch wird die verbale Verurteilung Hagens durch den Dichter im
Zuge der Vorbereitung und Durchführung der hinterlistigen Ermordung Siegfrieds an-
19
Vgl. Kruse, Rössler (wie Anm. 15), S. 124.
20
Francis G. Gentry: Triuwe and vriunt in the Nibelungenlied. Amsterdam 1975, S. 17.
21
Vgl. Kückemanns (wie Anm. 4), S. 7. Vollmer (wie Anm. 8) verweist auf insgesamt 116 Textbelege,
S. 10.
22
Gentry (wie Anm. 1), S. 305.
23
Vgl. Siegfried Beyschlag: Das Nibelungenlied als aktuelle Dichtung seiner Zeit. In: GRM 48 (1967),
S. 225-231.
24
Vgl. Karl-Heinz Ihlenburg: Das Nibelungenlied. Problem und Gehalt. Berlin 1969, S. 147.
25
Vgl. Gentry (wie Anm. 20), S. 13.
26
Vgl. ebd., S. 87.
6
geführt.
27
Neben Gentry weist ebenso Müller der triuwe im Nibelungenlied eine beson-
dere Bedeutung für die Handlung des Epos zu.
28
Für Müller ist ,,der Personenverband
und nicht die einzelne Figur [...] der eigentliche Held des `Nibelungenliedes` und der
Gegenspieler Kriemhilts."
29
Folglich sind die durch triuwe manifestierten Beziehungen
zwischen den einzelnen Figuren maßgeblich für die getroffenen Entscheidungen und
das daraus resultierende Handeln. Auch O. Ehrismann
30
, Greenfield
31
, Haymes
32
,
Neumann
33
, Schulze
34
und Schröder
35
sprechen der triuwe eine ähnliche Bedeutung zu,
wobei der Schwerpunkt der jeweiligen Untersuchung zum Teil anders gewichtet ist.
Greenfield und Schröder bspw. fokussieren sich in ihren Ausführungen auf die triuwe
der Figur Kriemhilds.
36
Eine gewisse Sonderstellung bei der Beurteilung der Relevanz
der triuwe für das Nibelungenlied nimmt Emmel in ihrer Untersuchung zum Verhältnis
von êre und triuwe ein, indem sie die triuwe lediglich als ,,Begleiterscheinung"
37
cha-
rakterisiert und ihr somit die Handlungsbestimmung im Wesentlichen abspricht.
Um der Ambiguität der Bedeutung des triuwe-Begriffs im Nibelungenlied gerecht zu
werden, sei darauf hingewiesen, dass sich in der Dichtung ein Netz von triu-
we-Bindungen, deren Konfliktträchtigkeit insbesondere in der 37. Âventiure offensicht-
lich wird, mit dem Handlungsverlauf fortentwickelt und verdichtet. Mit dem Versuch,
die einzelnen Arten der triuwe-Bindungen nachvollziehbar zu machen, werden im Fol-
27
Vgl. Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach der Handschrift B hrsg. von Ursu-
la Schulze. Ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert von Siegfried Grosse. Stuttgart 2010. Die
Versangaben dieses Kapitels 2.2 beziehen sich auf diese Ausgabe. Die zahlreiche negative moralische
Bewertung des Dichters in Bezug auf die Ermordung findet sich u. a. in V. 912, 4 (,,sus getâner un-
triuwe solde niemer man gepflegen"), V. 968, 4 (,,Hagen sîne triuwe vil sêre an Sîfriden brach") oder
V. 978, 4 (,,sô grôze missewende ein helt nimmer mêr begât").
28
Vgl. Jan-Dirk Müller: Spielregeln für den Untergang: Die Welt des Nibelungenliedes. Tübingen 1998,
S. 153-199.
29
Vgl. ebd., S. 153.
30
Vgl. Otfried Ehrismann: Nibelungenlied, Epoche - Werk - Wirkung. München 2002.
31
Vgl. John Greenfield: Frau, Tod und Trauer im Nibelungenlied. Überlegungen zu Kriemhilt. In: Das
Nibelungenlied: Actas do Simpósio Internacional 27 de Outubro de 2000. Hrsg. von John Greenfield.
Porto 2001, S. 95-114.
32
Vgl. Edward Haymes: Das Nibelungenlied: Geschichte und Interpretation. München 1999.
33
Vgl. Friedrich Wilhelm Neumann: Das Nibelungenlied in seiner Zeit. Göttingen 1967.
34
Vgl. Ursula Schulze: Gunther sî mîn herre, und ich sî sîn man. Bedeutung und Deutung der Standeslü-
ge und die Interpretierbarkeit des `Nibelungenliedes`. In: Nibelungenlied und Nibelungenklage. Neue
Wege der Forschung. Hrsg. von Christoph Fasbender. Darmstadt 2005, S. 83-106.
35
Vgl. Werner Schröder: Nibelungenliedstudien. Stuttgart 1968.
36
Vgl. ebd., S. 48-156.
37
Hildegard Emmel: Das Verhältnis von êre und triuwe im Nibelungenlied und bei Hartmann und Wolf-
ram. Frankfurt a. M. 1936, S. 36.
7
genden in Anlehnung an Kückemanns diejenigen Arten der triuwe vorgestellt, die im
Nibelungenlied besonders relevant erscheinen.
38
Neben der Vasallentreue sind im Nibelungenlied insbesondere personale Treuebünd-
nisse und auf Verwandschaftstreue basierende Treueverpflichtungen relevant.
39
Es fin-
den sich zahlreiche Textstellen, die als exemplarische Belege für personale Treuebünd-
nisse angeführt werden können. Ein solches ,,freiwilliges und nicht formelles Verspre-
chen gegenseitiger Treue und Unterstützung"
40
findet sich bspw. zwischen Hagen und
Volker im Rahmen der 29. Âventiure wieder: Nu sagt mir, vriunt Volkêr, ob ir mir welt
gestân, ob wellent mit mir strîten di Kriemhilde man (V. 1774, 1-2). Mit dieser Bitte
trägt Hagen dem Umstand Rechnung, dass er sich am Hofe Etzels aufgrund der Rache-
pläne Kriemhilds in akuter Gefahr befindet und folglich Mitstreiter im Falle einer Eska-
lation des Konflikts benötigt. Aufgrund der Tatsache, dass der Spielmann Volker nicht
durch familiäre oder lehnsrechtliche Verhältnisse an Hagen gebunden ist, lässt sich sei-
ne zwanglose Entscheidung, ich hilf iu sicherlichen (V. 1775, 1), als der Beginn einer
eher als freundschaftlich und nicht formal zu charakterisierenden Treuebeziehung be-
schreiben, die nicht durch das Vorhandensein von Treueverpflichtungen anderer Art
durchkreuzt und gefährdet wird.
41
Müller erkennt diesbezüglich an, dass sich eine eben-
solche unverfängliche und konfliktfreie Bindung im Handlungsverlauf als äußerst stabil
erweist und als ,,der idealisierte Gegenentwurf zur Perversion verwandtschaftlicher und
zur Katastrophe herrschaftlicher Bindungen"
42
angesehen werden kann.
38
Vgl. Kückemanns (wie Anm. 4).
39
Für den mittelalterlichen Menschen hat auch die triuwe zu Gott grundsätzlich eine wichtige Rolle ein-
genommen, vgl. Ehrismann (wie Anm. 3), S. 214. Da sich im Nibelungenlied jedoch kaum Anzeichen
für die Bedeutung dieser Art der triuwe finden, wird im Folgenden auf eine Erläuterung dieser triu-
we-Art verzichtet.
40
Vgl. Kückemanns (wie Anm. 4), S. 24.
41
Vgl. ebd. Die Aussage erfährt zudem dadurch Unterstützung, dass Hagen Volker explizit mit der Be-
zeichnung vriunt (V. 1774, 1) anspricht.
42
Müller (wie Anm. 28), S. 157.