Zufall oder historische Konsequenz? Entwicklungstheorien für Asiens ökonomischen Erfolg in Andre Gunder Franks "ReOrient"


Hausarbeit, 2005

41 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung: Chinas Wirtschaftsboom – entwicklungstheoretisch erklärbar?

2. Warum die einen Staaten reich und die anderen arm sind – vier Erklärungsmodelle
2.1. Europas Entwicklung ist überlegen – die klassische eurozentrische Position
2.2. Europa hat sich ökonomisch durchgesetzt – die revisionistische eurozentrische Position
2.3. Asien, der tatsächliche Dominator des Weltsystems – die asienzentrierte Position
2.4. Es existiert ein einziges Weltsystem – die radikal-globalistische Position
2.5. Welche entwicklungstheoretische Position gibt Aufschluss über Chinas Erfolg?

3. ReOrient: Überarbeitung der Historie
3.1. David S. Landes: Wohlstand und Armut der Nationen
3.1.1. William McNeills Rezension von Wohlstand und Armut der Nationen
3.2. Andre Gunder Frank: ReOrient
3.2.1. Der Westen hat die Geschichte verfälscht
3.2.2. Warum eine globalistische Perspektive notwendig ist
3.2.3. Asien dominiert den weltweiten Handel bis um 1800
3.2.4. Asiens Überlegenheit zeigt sich in Produktivitäts- und Bevölkerungswachstum
3.2.5. Warum der Westen zwischenzeitlich überlegen war
3.2.6. Auf- und Abstieg im Weltsystem stehen stets im Zusammenhang
3.3. Europa gewinnt im 19. Jahrhundert an Überlegenheit
3.4. Mangelnde Belege und subjektive Beweisführung
3.5. Treffen Franks Schlüsse auf Ost- und Südostasien im 20. und 21. Jahrhundert zu?

4. Fazit: Chinas Entwicklung als logische Konsequenz der Historie

Quellenverzeichnis

Anhang

1. Einleitung: Chinas Wirtschaftsboom – entwicklungstheoretisch erklärbar?

China, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten? Die Wirtschaft in den ost- und südostasiatischen Staaten entwickelt sich rasant – durchschnittlich 7,2 Prozent Wirtschaftswachstum seit Mitte der 1980er Jahre (vgl. Tabelle 2: Wachstum der Weltwirtschaft 1984-2003. In: Hauchler, Messner, Nuscheler 2003: 122). 2004 stieg die chinesische Wirtschaft um sagenhafte 9 Prozent; die Prognosen für 2005 fallen ebenso großzügig aus (vgl. http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,334168,00.html (Spiegel Online (23. Dezember 2004): China will 2005 Wirtschaftswachstum von 8,6 Prozent)).

Wie lässt sich diese explosionsartige Entwicklung der vom IWF als advanced economies bezeichneten Staaten Ost- und Südostasiens und vor allem von dessen Großmacht China erklären (siehe Diagramm 1: Regional GDP: 1970-2015)? Mit der Frage, warum einige Länder wirtschaftlich äußerst erfolgreich sind, während andere nicht aus ihrer Armut herausfinden, beschäftigt sich die Wissenschaft schon seit Längerem. Mit der Jahrtausend­wende und der Chance einer makrohistorischen Bilanzierung flammte die entwicklungs­theoretische Diskussion erneut auf – es offenbarte sich eine Verlagerung des Mainstream. Zudem erkannte man, dass nicht allein rein ökonomische Faktoren über Erfolg und Misserfolg entscheiden, sondern ebenso länger andauernde innergesellschaftliche Transformationsprozesse von Bedeutung sind (vgl. Menzel 2004: 69). Erfolgte die wissenschaftliche Betrachtungsweise der globalen Entwicklung in Gestalt der klassischen Weltsystemtheorie zuvor meist aus europäischem Blickwinkel, so mehrten sich die Stimmen, die diese eurozentrische Perspektive kritisierten und Alternativen vorbrachten.

Ziel einer jeden Weltsystemanalyse ist es anhand der historischen Fakten ein System zu erkennen wie man Wohlstand erzielt, um daraus eine Theorie abzuleiten, deren Raster auf zukünftige Entwicklungen anwendbar ist – in der Hoffnung den Königsweg zu Wohlstand zu finden. Zu welchen Ergebnissen man dabei gelangt, hängt vom jeweiligen Betrachtungs­winkel ab. Um zu verstehen, warum die verschiedenen Perspektiven die Historie so unter­schiedlich interpretieren und somit zu divergierenden Ergebnissen in ihrer Analyse gelangen, sollen die verschiedenen entwicklungstheoretischen Positionen grob skizziert werden. Im Anschluss daran ist es leichter nachvollziehbar, warum eine externalistische Betrachtungs­weise – wie sie die globalistische Perspektive darstellt – geeigneter scheint die Frage nach dem derzeitigen ökonomischen Erfolg in Ost- und Südostasien zu erklären. Exemplarisch für die globalistische Position steht Andre Gunder Franks ReOrient: Global Economy in the Asian Age. Seine Position wird anhand dieses Werkes herausgestellt, kritisch betrachtet und schließlich werden seine Schlussfolgerungen anhand der aktuellen Gegebenheiten verifiziert. Oder kommen Franks Gedanken über ein rein theoretisches Konstrukt nicht hinaus?

2. Warum die einen Staaten reich und die anderen arm sind – vier Erklärungsmodelle

Bei Erklärungsversuchen für den Wohlstand der einen und die Armut oder sogar Unter­entwicklung der anderen Staaten müssen Ursachen und Wirkungen gesucht werden. Diese Suche sollte sich jedoch mitnichten auf kurzfristige oder mittelfristige Phänomene beziehen, sondern einige Jahrhunderte in die Historie zurückblenden. Der strukturelle Wandel von Staat und Gesellschaft, Wissenschaft und Technik sowie die kulturelle und geistige Entwicklung fußen auf weit zurückliegenden Ereignissen. Diese tiefe Verwurzelung der heutigen Zustände in der Historie erklärt die Notwendigkeit einer makrohistorischen Analyse, die bis ins europäische und asiatische Mittelalter zurückreichen muss (und vielleicht sogar darüber hinaus) (vgl. Menzel 2004: 68f).

Es zeigt sich, dass man die historischen Entwicklungsprozesse durchaus unterschiedlich betrachten kann. Die Wissenschaftler, die diese Analyse entwicklungstheoretisch angegangen sind, lassen sich vier grundsätzlichen Positionen zuordnen, wovon zwei eurozentrisch, eine sinozentrisch beziehungsweise asianistisch und eine globalistisch sind.

2.1. Europas Entwicklung ist überlegen – die klassische eurozentrische Position

Zu den Vertretern der klassischen eurozentrischen Position lassen sich beispielsweise Eric Lionel Jones, David S. Landes, Michael Mann, Angus Maddison sowie John A. Hall zählen. All diesen Autoren ist gemein, dass sie Europa als allen anderen Weltregionen in jeglicher Hinsicht überlegen ansehen. Dies führen sie auf die politischen, sozialen und vor allem geistigen Prozesse zurück, die Europa erschüttert haben. Der Zeitpunkt des alle gesellschaftliche Dimensionen erfassenden Transformationsprozesses variiert von Autor zu Autor – einige sehen diesen bereits um das Jahr 1000, andere nennen die Renaissance (14. bis 16. Jahrhundert) oder die Reformation (16. Jahrhundert). Der aus dem Transformations­prozess entsprungene Entwicklungsschub stieg im Laufe der Jahrhunderte überproportional, sodass Europa, als es in direkten Kontakt mit den anderen Weltregionen kam, diese dominierte. Aus dieser These leitet sich der Anspruch ab, dass das europäische Modell in anderen Regionen der Welt teilweise adaptiert wurde beziehungsweise einfloss (vgl. Menzel 2004: 69f) – es sei dahingestellt ob auf friedlichem oder gewaltsamem Wege.

2.2. Europa hat sich ökonomisch durchgesetzt – die revisionistische eurozentrische Position

Einen etwas anderen Ansatz beziehungsweise eine andere Motivation sehen die Autoren der revisionistischen eurozentrischen Position hinter dem Aufstieg Westeuropas. Samir Amin oder der frühe Andre Gunder Frank, beides Anhänger der Wallerstein-Schule, machen den Kapitalismus[1], der im 15. Jahrhundert in Europa entsteht, und die damit verbundenen ökonomischen Veränderungen wie das Betreiben von Fernhandel, die Etablierung einer internationalen Arbeitsteilung sowie die europäische Welteroberung für Europas Aufstreben verantwortlich; und nicht den gesellschaftlichen Transformationsprozess wie es die klassische eurozentrische Position macht. Es sind also nicht interne Faktoren, die den Aufschwung Europas begünstigen, sondern das von außen vorgegebene ökonomische Gerüst. Im Gegen­satz zur klassischen eurozentrischen Position, die einer internalistischen Perspektive unter­liegt, verbindet die revisionistische eurozentrische Position den Erfolg Europas mit dessen Kontakten in alle Weltregionen – diese externalistische Perspektive begreift Europa als Teil eines Weltsystems. Das Aufstreben Europas in Form von Kolonialismus und internationaler Arbeitsteilung hatte oftmals zur Folge, dass die kolonialisierten Regionen auf der Strecke blieben (vgl. Menzel 2004: 72f) und teilweise bis heute den daraus resultierenden Entwickl­ungsrückstand nicht wettgemacht haben oder gar in die Unterentwicklung abgerutscht sind.

Beiden eurozentrischen Positionen ist eins gemein: Der Blick auf das Weltgeschehen durch eine europäische Brille. Für beide Positionen sind die Jahre 1492, die Entdeckung Amerikas durch Columbus, und 1498, die Entdeckung des tatsächlichen Seewegs nach Indien durch Vasco da Gama, von herausragender Bedeutung – die „ganze“ Welt war entdeckt. Die klassische Sichtweise stellt vor allem die positiven Aspekte der Welteroberung durch Europa heraus, wohingegen die revisionistische Perspektive eher die negativen Seiten hervorhebt (vgl. Menzel 2004: 73).

2.3. Asien, der tatsächliche Dominator des Weltsystems – die asienzentrierte Position

Zwar stehen Autoren wie Janet Abu-Lughod, Jane Schneider, K. N. Chaudhuri oder Anthony Reid ebenso wie die Vertreter der revisionistischen eurozentrischen Position einem welt­systemtheoretischen Ansatz nahe, doch streiten sie mit ihrer sinozentrischen respektive asienzentrierten Position ab, dass das Weltsystem durch den europäischen Kapitalismus in eine qualitativ neue Phase eingetreten sei (vgl. Menzel 2004: 74).

Die Vertreter der asienzentrierten Position zeigen auf, dass es bereits vor dem 15. Jahrhundert im asiatischen Raum ein System gegeben hat, in dem Fernhandel und grenzübergreifende Arbeitsteilung zwischen Arabern, Indern, Chinesen und Mongolen betrieben wurden. Janet Abu-Lughod beispielsweise sieht ein Weltsystem, das allein die Neue Welt noch nicht einschließt, ab der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. In diesem System gab es auch schon Ansätze von Kapitalismus, die sich jedoch noch nicht im gesamten Weltsystem durchsetzen konnten. Europa spielte in diesem Weltsystem nur eine marginale Rolle in der Peripherie (vgl. Abu-Lughod 1993: 278). Der asiatische Raum war Europa bis Ende des 18. Jahrhunderts in vielerlei Hinsicht überlegen. Erst die Industrielle Revolution vermochte den bis dahin bestehenden Vorsprung Asiens aufholen und alsbald zu überflügeln (vgl. Menzel 2004: 75).

Der Untergang des asiatischen Weltsystems ist nicht auf Europa zurückzuführen, sondern auf interne Probleme und Entscheidungen in Asien. Abu-Lughod sieht zwei Gründe für den Fall des Ostens und den damit verbundenen Aufstieg des Westens: Zum einen führt sie es auf Chinas Rückzug als maritime Macht im Indischen Ozean zurück, sodass es den Portugiesen möglich war diese Position einzunehmen. Der andere Punkt ist, dass sich gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Araber im Mittelmeerraum ihrer Seemacht beraubt sahen, nachdem sie durch Venedig besiegt wurden. Der Seehandel ging also in die Hände der Europäer über und der Weg zu Reichtum war offen (vgl. Abu-Lughod 1993: 288).

Hätte China die Entscheidung sich von der weltoffenen „blauen Kultur“ der maritimen Expansion abzuwenden, hin zur „gelben Kultur“, die eine freiwillige Isolation und den Mauerbau beinhaltet, nicht getroffen, so wäre wahrscheinlich der Weg zu einem „Greater China“[2] mit globaler Reichweite oder zumindest die Modernisierung im 17. und 18. Jahr­hundert offen geblieben (vgl. Menzel 2004: 77).

Dass Asiens Bedeutung derzeit global zunimmt, scheint aus Sicht des klassischen Asianismus wenig verwunderlich. Die Errungenschaften wirtschaftlicher, technischer und gesellschaft­licher Art, die die Vertreter des Eurozentrismus allein für Europa reklamieren, sind keines­wegs einzigartig – sie sind ebenso in anderen, teilweise älteren Kulturkreisen zu finden, so zum Beispiel in Asien. Damit erschließt sich die derzeitige asiatische Entwicklung als logische Konsequenz aus jahrhundertealten zivilisatorischen und staatlichen Traditionen (vgl. Menzel 2004: 76).

2.4. Es existiert ein einziges Weltsystem – die radikal-globalistische Position

Neben diese beiden ethnozentrischen Perspektiven, die eurozentrische und die asienzentrierte, tritt die vom späten Andre Gunder Frank sowie Barry Gills vertretene radikal-globalistische Position. Sie geht davon aus, dass es bereits seit 5000 Jahren ein einziges Weltsystem gibt. Das Zentrum dieses Weltsystems verlagert sich im Laufe der Jahrhunderte in zyklischen Bewegungen auf dem Globus. Welchen Status die jeweiligen Regionen im Weltsystem einnehmen, steht in direktem Zusammenhang mit ihrer relativen internationalen Konkurrenz­fähigkeit – somit wird die Zahlungsbilanz einer Region zum Positionsindikator in der internationalen Hierarchie (vgl. Menzel 2004: 78f).

Frank distanziert sich zu seinen frühen Arbeiten, da er dem Jahr 1492 keine herausragende Bedeutung mehr beimisst. So sieht er fast ausschließlich die globalen Handelsbeziehungen als Determinante. Kapitalismus ist laut Frank ein zeitloses Phänomen und kein allein europäisches – damit würde sich aber auch die entwicklungstheoretische Bedeutung von Kapitalismus erledigen, sodass diese Kategorie unbrauchbar ist (vgl. Menzel 2004: 79).

Die Jahrhundertwende um 1500 markiert nicht einen radikalen Umbruch im Weltsystem, sondern vielmehr die Grundvoraussetzung für den folgenden Aufstieg Europas, der sich jedoch bis ins 18. Jahrhundert hinzog, und nicht wie Eurozentristen behaupten im 16. Jahr­hundert stattfand (vgl. Frank/Gills 1993c: 303f).

Der globalistische Ansatz soll eine weitere, welthistorische, humanzentristische Alternative zum Eurozentrismus sein. Die Weltgeschichte sollte eine Reflektion und Repräsentation der Vielfalt menschlicher Erfahrungen und Entwicklung sein – es geht um die „Einheit in Vielfalt“ (vgl. Frank/Gills 1993a: 11).

2.5. Welche entwicklungstheoretische Position gibt Aufschluss über Chinas Erfolg?

Die vier unterschiedlichen Betrachtungsweisen der Historie zeigen, dass je nach Standpunkt des Betrachters die Geschichte anders interpretiert wird:

Landes und Jones gehen davon aus, dass die Verwestlichung der Welt fortschreitet und letzt­lich alle Staaten vom Westen profitieren. Nach Ansicht der Wallerstein-Schule kommt es zu einem Nullsummenspiel – so kam der Aufstieg des Westens nur auf Kosten des Ostens zustande. Abu Lughod und Chaudhuri sehen den Beginn eines asiatisch-dominierten Weltsystems. Frank und Gills folgen dieser Annahme, jedoch ohne emanzipatorische Perspektive für Asien. Trotz aller Unterschiede bestehen zwischen den vier Positionen auch Gemeinsamkeiten wie die einhellige Überzeugung, dass heutige Zustände auf einen weit zurückreichenden Entwicklungsprozess zurückzuführen sind und sich somit nur aus einer makrohistorischen, die Großregionen vergleichenden Sichtweise erschließen lassen.

Hat sich die Modernisierungstheorie allein an den westlichen Gesellschaften orientiert, so geht die Weltsystemtheorie einen Schritt weiter und versucht die Zusammenhänge und Verbindungen der verschiedenen Gesellschaften, die den Globus bevölkern, aufzudecken.

Sowohl die eurozentrische als auch die sinozentrische Position sind ethnozentrische Perspektiven – beide befassen sich allein mit einer Weltregion und deren Wirkungsbereich. Allein die globalistische Position verspricht eine die Welt umfassende Analyse.

Bei der Suche nach einer Erklärung des ökonomischen Erfolgs in Ost- und Südostasien scheinen nicht alle entwicklungstheoretischen Perspektiven gleichsam aufschlussreich beziehungsweise sinnvoll. Eurozentrische Erklärungsversuche würden ins Leere laufen und keine Ergebnisse liefern, da ihre Betrachtungsweise eindimensional auf „Greater Europe“[3] abzielt. Ebenso wäre die Herleitung des asiatischen Status Quo anhand einer sinozentrischen Erklärung wahrscheinlich aufgrund ihrer Affirmativität wenig ergiebig. Bleibt noch die globalistische Perspektive. Ihr Anspruch ein globales Weltsystem, das aus verschiedenen Teilen, die aber zusammengehören, zu betrachten, erscheint vor allem auch in Hinblick auf den Gedanken einer zunehmend miteinander vernetzten Welt als sinnvoll, will man „Greater Chinas“ Erfolg aufdecken. Als Beispiel für das globalistische Erklärungsmodell soll Andre Gunder Franks ReOrient: Global Economy in the Asian Age stehen.

3. ReOrient: Überarbeitung der Historie

Bereits mit dem Titel seines Buches ReOrient: Global Economy in the Asian Age nimmt Andre Gunder Frank Stellung. Hierin macht er seine gegensätzliche Auffassung zur euro­zentrischen Betrachtungsweise deutlich. „ReOrient“ impliziert zum einen die Reorientierung in Hinblick auf die Weltgeschichte, die bis dato meist eurozentrisch interpretiert wird, zum anderen das wirtschaftliche Wiedererstarken des Orients in eine wirtschaftliche Führungs­position (vgl. Menzel 2004: 83).

Anhand von ReOrient: Global Economy in the Asian Age und David S. Landes’ Wohlstand und Armut der Nationen – beides Werke der so genannten Millenniums-Literatur – lässt sich der Diskurs in der Weltsystemtheorie exemplarisch darstellen.

Schon in seinem Vorwort erläutert Frank, dass seine globalistische Analyse über den euro­zentrischen Horizont hinausgehen soll, diesen aber selbstverständlich als Teil des Ganzen mit einschließt. Frank will mit seiner Sichtweise die europäische und asiatische unter einer globalen Betrachtungsweise zusammenfassen (vgl. Frank 1998: XV). Durch die stete Abgrenzung seiner globalistischen Perspektive zur eurozentrischen wird mehr als deutlich, dass der Eurozentrismus der Mainstream in der entwicklungstheorietischen Debatte ist. Daher scheint es angebracht zumindest einen kurzen Abriss Landes’ Analyse, stellvertretend für die eurozentrische Position, über die herausragende Stellung alles Europäischen abzubilden.

3.1. David S. Landes: Wohlstand und Armut der Nationen

David S. Landes ist sich der Kritik an der eurozentrischen Sichtweise durchaus bewusst wie es bereits in seinem Vorwort nachzulesen ist: Seine Weltgeschichte werde nicht unbedingt allen Völkern gegenüber gerecht. Landes legt sein Augenmerk auf den Hauptstrom ökonomischer Fortschritte und Neuerungen. Es geht ihm darum den Status Quo anhand der wirtschaftlichen Indikatoren Produktion, Distribution und Konsumtion historisch nachzuvoll­ziehen. Er gibt zu, dass seine Perspektive eine starke Zentralisierung nach sich zieht und damit die geschichtliche Abhandlung begrenzt (vgl. Landes 1999: Vorwort und Dank).

Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes ist ein anderer in den Vordergrund getreten – ein Konflikt, der sich auf Reichtum und Gesundheit bezieht, der Nord-Süd-Konflikt. Er stellt sich als Gegensatz zwischen dem Westen und dem Rest der Welt dar.

Die wachsende Kluft zwischen den reichen Industrienationen und dem armen Rest der Welt wächst beständig. Bestand beispielsweise etwa gegen Mitte des 18. Jahrhunderts noch eine Diskrepanz von 5 zu 1 zwischen den ärmsten und wohlhabendsten Staaten der Erde, so ist dieses Verhältnis heute bei 400 zu 1 – Tendenz steigend (vgl. Landes 1999: 16).

[...]


[1] „[…] extensive commodity production, profit-seeking enterprises, wage labor, and a high level of technology [..]“ (Wallerstein 1993: 292f) bilden „Protokapitalismus”. Ohne diese Indikatoren kann man, so Immanuel Wallerstein, nicht von Kapitalismus sprechen, da sie die Vorraussetzung für die unaufhörliche Sammlung von Kapital bilden. Er vertritt die Ansicht, dass es vor dem 16. Jahrhundert kein System gegeben habe, dass diesen Anforderungen gerecht wurde, und somit bildet Europa das erste kapitalistische System (vgl. Wallerstein 1993: 293).

[2] Der Begriff „Greater China“ umfasst die Staaten Ost- und Südostasiens sowie Japan und Korea (vgl. Menzel 2004: 64).

[3] Unter dem Begriff „Greater Europe“ sammeln sich die Staaten Westeuropas und die aufgrund der Historie eng mit Europa verbundenen Staaten wie die USA, Kanada, Australien, Neuseeland sowie Südafrika und die Staaten Süd-Lateinamerikas (vgl. Menzel 2004: 64).

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Zufall oder historische Konsequenz? Entwicklungstheorien für Asiens ökonomischen Erfolg in Andre Gunder Franks "ReOrient"
Hochschule
Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig
Note
2,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
41
Katalognummer
V38898
ISBN (eBook)
9783638378352
ISBN (Buch)
9783638676960
Dateigröße
660 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Entwicklungstheoretische Erklärungsansätze in Andre Gunder Franks "ReOrient: Global Economy in the Asian Age" (globalistische Perspektive) im Vergleich zu David S. Landes "Wohlstand und Armut der Nationen - Warum die einen reich und die anderen arm sind" (eurozentrische Perspektive)
Schlagworte
Asiens, Erfolg, Jahrhundert, Zufall, Konsequenz, Entwicklungstheoretische, Erklärungsansätze, Andre, Gunder, Franks, ReOrient, Global, Economy, Asian
Arbeit zitieren
Gero Birke (Autor:in), 2005, Zufall oder historische Konsequenz? Entwicklungstheorien für Asiens ökonomischen Erfolg in Andre Gunder Franks "ReOrient", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38898

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