Wenige Werke Schillers sind in der Wissenschaft so kontrovers behandelt worden wie "Kabale und Liebe". In seiner ungewöhnlichen Mischung aus Ständedrama, Sozialkritik und Liebesgeschichte bietet es Angriffsfläche für viele Deutungsversuche. Vor allem die Frage, inwiefern es revolutionär ist, einen Fortschritt zu Lessings "Emilia Galotti" in seiner Adelskritik darstellt und zu gesellschaftlichen Änderungen aufruft, hat viele Interpreten beschäftigt. Ich möchte mich in meiner Arbeit der Figur Ferdinand von Walters widmen, einer widersprüchlichen und interessanten Figur, die in der Sekundärliteratur nicht immer genügend gewürdigt wird. Es scheint mir wichtig, die Komponenten seines Charakters im Einzelnen zu untersuchen, um dadurch sein Handeln als Liebender und enttäuschter Liebhaber besser zu verstehen.
In Emil Staigers Buch über Schiller heißt es zur Rolle Ferdinands:
Er [Schiller] legt es darauf an, ein Maximum von Mitleid zu erregen. Daraus erklärt sich Luisens Charakter mit all seinen Widersprüchen […] Ebenso erklärt sich einzig daraus das Verhalten der anderen, Ferdinands herrische Leidenschaft und unverzeihliche Leichtgläubigkeit.
In diesem Ansatz wird die genauere Untersuchung der Natur Ferdinands dramentheoretischen Erwägungen geopfert. Dies ist durchaus zulässig und in Bezug auf die Fragestellung ergiebig, doch ich denke, dass man in dieser Figur einiges mehr entdecken kann. Vergleicht man Ferdinand mit dem Grafen Appiani aus Lessings "Emilia Galotti", so fällt zuerst die Ambiguität und Zerrissenheit des ersteren auf, was darauf schließen lässt, dass Schiller ihm große Bedeutung beigemessen hat. Dieser Liebende ist nicht weniger zweideutig gestaltet als die Lady Milford, und ich denke, dass sich mit ihm zentrale Kritikpunkte Schillers verbinden. Ferdinand ist Liebender, doch zugleich dem Adel zugehörig, er ist ein idealistischer Schwärmer und gleichzeitig Sohn, gottesfürchtig und zweifelnd zugleich. Tritt er in seinen Äußerungen als Verfechter einer jugendlich reinen Tugend auf, wird er sich im Laufe des Stückes doch zum zynischen Racheengel wandeln. Um diese Spannungen zu verdeutlichen und das Verhalten Ferdinands, das meiner Ansicht nach nicht alleine durch die Erforderungen des bürgerlichen Trauerspiels bestimmt ist, zu erklären, werde ich in den folgenden Abschnitten seine verschiedenen Identitäten als jugendlicher Idealist, als Liebhaber, Sohn und Rächer untersuchen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der jugendliche Idealist
- Der Liebhaber
- Der Racheengel
- Schlussbemerkung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die komplexe Figur Ferdinands in Schillers „Kabale und Liebe“. Ziel ist es, die widersprüchlichen Aspekte seines Charakters zu beleuchten und sein Handeln als Liebender und Racheengel zu verstehen. Die Analyse geht über eine rein dramentheoretische Betrachtung hinaus und fokussiert auf die inneren Konflikte und Motivationen Ferdinands.
- Ferdinand als jugendlicher Idealist und seine Abkehr von der höfischen Welt
- Die Entwicklung seiner Liebe zu Luise und ihre Verbindung zu seinen Idealen
- Die Transformation Ferdinands zum Racheengel und die Ursachen dieser Wandlung
- Der Konflikt zwischen Ferdinands individuellen Werten und den gesellschaftlichen Normen
- Vergleich mit anderen Figuren des bürgerlichen Trauerspiels (z.B. Graf Appiani)
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik ein und begründet die Wahl der Figur Ferdinand als Untersuchungsobjekt. Sie hebt die kontroversen Interpretationen von Schillers „Kabale und Liebe“ hervor und betont die Notwendigkeit einer detaillierten Charakteranalyse Ferdinands, um sein Handeln besser zu verstehen. Die Einleitung verweist auf bestehende Interpretationen, die Ferdinands Handeln primär durch dramentheoretische Erwägungen erklären, und kündigt eine differenziertere Analyse an, die die inneren Konflikte und Ambivalenzen der Figur beleuchtet. Der Fokus liegt auf der Untersuchung der verschiedenen Identitäten Ferdinands im Verlauf des Dramas: jugendlicher Idealist, Liebhaber, Sohn und schließlich Racheengel.
Der jugendliche Idealist: Dieses Kapitel analysiert Ferdinand als Verkörperung sturm- und dranghafter Ideale. Seine Weltanschauung ist geprägt von einer starken Individualität und einem Glauben an die Veränderbarkeit der gesellschaftlichen Ordnung. Im Gegensatz zu Luise, die Gottes Willen in der bestehenden Ordnung sieht, begründet Ferdinand seine Moral durch ein subjektives Naturrecht, welches er mit Gott und der Natur verbindet. Sein Handeln wird als Ausdruck dieser subjektivistischen Position interpretiert, die sich im Konflikt mit der Realität als nicht haltbar erweist. Das Kapitel beleuchtet Ferdinands entschlossene Ablehnung des Hoflebens und seiner Sitten, seine Verachtung der höfischen Spielregeln und seinen Wunsch nach Rückzug in eine private Welt der Liebe und Ideale. Seine Jugendlichkeit wird als geprägt von klaren Polaritäten ohne Nuancen charakterisiert, wobei seine Ablehnung der höfischen Welt auf Gott und Ehre begründet wird.
Häufig gestellte Fragen zu der Analyse von Ferdinand in Schillers "Kabale und Liebe"
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert die komplexe Figur des Ferdinand in Friedrich Schillers Drama "Kabale und Liebe". Der Fokus liegt auf der Untersuchung der widersprüchlichen Aspekte seines Charakters und seines Handelns als Liebhaber und Racheengel. Die Analyse geht über eine rein dramentheoretische Betrachtung hinaus und konzentriert sich auf Ferdinands innere Konflikte und Motivationen.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit untersucht verschiedene Facetten von Ferdinands Persönlichkeit und Entwicklung: Ferdinand als jugendlicher Idealist und seine Abkehr von der höfischen Welt; die Entwicklung seiner Liebe zu Luise und deren Verbindung zu seinen Idealen; die Transformation Ferdinands zum Racheengel und die Ursachen dieser Wandlung; der Konflikt zwischen Ferdinands individuellen Werten und den gesellschaftlichen Normen; und ein Vergleich mit anderen Figuren des bürgerlichen Trauerspiels.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit gliedert sich in die Kapitel: Einleitung, Der jugendliche Idealist, Der Liebhaber, Der Racheengel und Schlussbemerkung. Die Einleitung führt in die Thematik ein und begründet die Wahl Ferdinands als Untersuchungsobjekt. Die anderen Kapitel analysieren jeweils einen Aspekt von Ferdinands Charakter und Entwicklung.
Wie wird Ferdinand in der Arbeit charakterisiert?
Ferdinand wird als eine vielschichtige Figur dargestellt, die im Laufe des Dramas eine deutliche Entwicklung durchläuft. Zunächst wird er als jugendlicher Idealist mit sturm- und dranghaften Idealen charakterisiert, der die höfische Welt ablehnt und sich nach einer privaten Welt der Liebe und Ideale sehnt. Später wandelt er sich zum Racheengel, was durch die Analyse seiner inneren Konflikte und der gesellschaftlichen Normen erklärt wird.
Welche Methoden werden in der Arbeit angewendet?
Die Arbeit verwendet eine detaillierte Charakteranalyse, die über eine rein dramentheoretische Betrachtung hinausgeht. Sie konzentriert sich auf die inneren Konflikte und Motivationen Ferdinands und berücksichtigt seine verschiedenen Identitäten im Verlauf des Dramas (jugendlicher Idealist, Liebhaber, Sohn, Racheengel). Ein Vergleich mit anderen Figuren des bürgerlichen Trauerspiels wird ebenfalls vorgenommen.
Welche Zielsetzung verfolgt die Arbeit?
Das Ziel der Arbeit ist es, die widersprüchlichen Aspekte von Ferdinands Charakter zu beleuchten und sein Handeln als Liebhaber und Racheengel zu verstehen. Die Analyse soll zu einem differenzierten Verständnis der Figur und ihrer Motivationen beitragen.
Wie wird die Einleitung beschrieben?
Die Einleitung begründet die Wahl Ferdinands als Untersuchungsobjekt und hebt die kontroversen Interpretationen von Schillers "Kabale und Liebe" hervor. Sie betont die Notwendigkeit einer detaillierten Charakteranalyse und verweist auf bestehende Interpretationen, die Ferdinands Handeln primär durch dramentheoretische Erwägungen erklären. Die Einleitung kündigt eine differenziertere Analyse an, die die inneren Konflikte und Ambivalenzen der Figur beleuchtet.
Wie wird "Der jugendliche Idealist" dargestellt?
Dieses Kapitel analysiert Ferdinand als Verkörperung sturm- und dranghafter Ideale. Seine Weltanschauung ist geprägt von einer starken Individualität und einem Glauben an die Veränderbarkeit der gesellschaftlichen Ordnung. Im Gegensatz zu Luise begründet er seine Moral durch ein subjektives Naturrecht, das er mit Gott und der Natur verbindet. Seine entschlossene Ablehnung des Hoflebens und seiner Sitten, seine Verachtung der höfischen Spielregeln und sein Wunsch nach Rückzug in eine private Welt der Liebe und Ideale werden beleuchtet.
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- Anonym (Author), 2001, Zur Gestalt Ferdinands in Friedrich Schillers Kabale und Liebe, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3898