Einleitung
In der von Anna-Katharina Wicke verfaßten Hausarbeit zum Thema Lifestyles im Leben von Entwicklungsexperten stellt die Referentin einen Vergleich der Lebensstile heutiger Expatriates und der Lebensstile weißer Gesellschaften in Kolonien während der Kolonialzeit an.
Während die Referentin zu Beginn der Arbeit den Begriff der Lifestyles näher definiert, geht sie in Punkt zwei auf Expatriates, die Beschreibung ihrer Situation und ihrer Lifestyles ein.
Darauf folgt die Erläuterung der Situation weißer Gemeinschaften in den Kolonien und deren Lebensstile mit kurzen Bemerkungen bezüglich des Verwendens kolonialer Romane als Grundlage für sozialwissenschaftliche Interpretationen.
Gegen Ende der Arbeit stellt die Verfasserin die von ihr beschriebenen Lifestyles von heutigen Expatriates – einschließlich Entwicklungsexperten – und den Lifestyles in den ehemaligen Kolonien Tätiger Weißer gegenüber mit dem Versuch eventuelle Parallelen oder
Unterschiede heraus zu arbeiten. Die Arbeit endet mit einem Fazit der Referentin.
Angaben zur verwendeten Literatur findet der Leser im anhängenden Literaturverzeichnis.
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Gliederung
1. Einleitung
2. Das Entstehen eines bestimmten Lifestyles
2.1. Definition des Begriffs „Lifestyle“
3. Entwicklungsexperten
3.1. Historische Wurzeln der heutigen Entwicklungsexperten
3.2. Für Entwicklungsexperten spezifische „Lifestyles“
4. Koloniale Gemeinschaften
4.1. wissenschaftliche Grundlage
4.2. Angehörige des Mutterlandes in den Kolonien
5. Lebensstile im Vergleich: colonial communities versus expatriate communities
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In der von Anna-Katharina Wicke verfaßten Hausarbeit zum Thema Lifestyles im Leben von Entwicklungsexperten stellt die Referentin einen Vergleich der Lebensstile heutiger Expatriates und der Lebensstile weißer Gesellschaften in Kolonien während der Kolonialzeit an.
Während die Referentin zu Beginn der Arbeit den Begriff der Lifestyles näher definiert, geht sie in Punkt zwei auf Expatriates, die Beschreibung ihrer Situation und ihrer Lifestyles ein. Darauf folgt die Erläuterung der Situation weißer Gemeinschaften in den Kolonien und deren Lebensstile mit kurzen Bemerkungen bezüglich des Verwendens kolonialer Romane als Grundlage für sozialwissenschaftliche Interpretationen.
Gegen Ende der Arbeit stellt die Verfasserin die von ihr beschriebenen Lifestyles von heutigen Expatriates – einschließlich Entwicklungsexperten – und den Lifestyles in den ehemaligen Kolonien Tätiger Weißer gegenüber mit dem Versuch eventuelle Parallelen oder Unterschiede heraus zu arbeiten. Die Arbeit endet mit einem Fazit der Referentin.
Angaben zur verwendeten Literatur findet der Leser im anhängenden Literaturverzeichnis.
2. Das Entstehen eines bestimmten Lifestyles
2.1. Definition des Begriffs „Lifestyle“
Das Konstrukt eines bestimmten, einer gesellschaftlichen Gruppe angehörigen Lebensstils dient weltweit zunehmend der sozialen Identifikation[1] und gesellschaftlichen Stratifikation[2].
Das Formen von Lebensstilen dient zunehmend der sozialen Integration. Lebensstile ermöglichen zum einen die Konstruktion einer eigenen Identität und die Demonstration dieser nach außen, zum anderen die Mitgliedschaft an einer kollektiven Identität und gewährleisten diese dauerhaft. Gerke bezeichnet Lebensstile auch als „...blueprints for the organisation of everyday life“[3].
Die Formung eines neuen oder aber Anpassung an einen in der Gesellschaft bereits vertretenen Lebensstil dient somit sowohl der Integration in eine bestimmte gesellschaftliche Gruppierung als auch der Abgrenzung von allen anderen Lebensstilen, verkörpert in den unterschiedlichen Subkulturen der Gesellschaft. Ein Lebensstil hilft im Prozeß der Identitätssuche, da man sich mit einem Lebensstil so sehr identifiziert, daß man beginnt, ihn als eigene Identität anzunehmen. Featherstone spricht auch von einer Ästhetisierung der Realität. Man schafft durch einen Lebensstil eine Traumwelt, von der man annimmt, sie beinhalte die eigene Identität.[4]
3. Entwicklungsexperten
Der Soziologe Erik Cohen unterteilt Migranten in drei verschiedene Gruppen. Zum einen nennt er die Immigranten, die ihr eigenes Land verlassen, um dauerhaft in ein anderes überzusiedeln. Sie nehmen im Zielland einen recht niedrigen sozialen Status ein. Als zweites erwähnt er die „middlemen“, die für unbestimmte Zeit in einem Gastland leben mit dem Ziel in ferner Zukunft in ihr eigenes Land zurückzukehren, was jedoch häufig nicht gelingt. Sie genießen einen mittleren sozialen Status. Drittens geht Cohen auf die Gruppe der Expatriates ein, die aus beruflichen Gründen und somit freiwillig, für bestimmten Zeitraum in ein anderes Land ziehen. Sie genießen einen hohen sozialen Status.[5] Die Bezeichnung „Expatriate“ oder kurz „Expat“ entstammt dem Lateinischen (ex patria = aus der Heimat) und bedeutet ursprünglich „Verbannte“.[6]
Cohen unterteilt diese „freiwillig Verbannten“ wiederum in vier Gruppen: Angestellte von Unternehmen, Personen mit einer Mission (z.B. Diplomaten, Entwicklungsexperten, Militärs, Missionare), Personen der Forschung und Lehre (z.B. Akademiker, Wissenschaftler, Künstler) und Entspannung-Suchende (z.B. Aussteiger, Pensionäre, Langzeittouristen).
Laut Cohen fallen somit Entwicklungsexperten unter die Rubrik von Personen, die mit einer Mission gewappnet, freiwillig, für einen begrenzten Zeitraum ihre Heimat verlassen und im Gastland einen hohen sozialen Status genießen. Entwicklungsexperten sind eine Untergruppe von Expatriates.
3.1. Historische Wurzeln der heutigen Entwicklungsexperten
Die historischen Wurzeln von Expatriates als soziologische Gruppierung liegen in den ausländischen Gemeinden der europäischen Städte des Mittelalters und Beginn der Moderne wie Antwerpen, Venedig oder Konstantinopel sowie in den Städten des Südens und Ostens zur Präkolonial- und Kolonialzeit. In späteren Kolonien wie Indien, in Südostasien, dem Nahen Osten und Afrika etablierten sich ausländische Siedlungen von Händlern, Missionaren und Kolonialbeamten. Trotz der umfangreichen Kolonialgeschichte Europas existieren nur wenige Beschreibungen ihrer Gemeinden und des gesellschaftlichen Lebens in den Kolonien.[7]
Erst gegen Ende der Kolonialzeit begann man das Leben der Weißen in den Kolonien in ausführlicheren Berichten einzelner Gemeinschaften und Kolonialromanen festzuhalten.[8]
Den Weißen in den Kolonien folgten Militärs und Experten verschiedener Sektoren, die sich nun Expatriates nennen, nicht mehr Kolonialherren oder Imperialisten.
Sind die Expatriates der postkolonialen Ära somit das Äquivalent der Imperialisten von gestern? Erkenntnisleitende Frage hierzu ist – nach Ansichten der Referentin – ob die unterschiedlichen Aufgabenbereiche und Funktionen der ehemaligen Kolonialbeamten und der heutigen Expatriates zur Definition ihrer Rolle im Gastland ausschlaggebend sind oder aber ihr Lebensstil, Selbstverständnis und Methoden zur Legitimation der eigenen Existenz. Legt man den Schwerpunkt auf den Wandel oder das Kontinuum der Lebensstile, Selbstverständnis und Methoden zur Legitimation der eigenen Existenz, lassen sich eventuell auch heute noch zahlreiche Parallelen zwischen Expatriates und damaligen Kolonialbeamten herstellen. Es entspricht nicht der Absicht der Referentin durch den Vergleich Expatriate – Kolonialbeamter heutigen Expatriates den eindeutig negativen Stempel imperialistischen Gehabes aufzudrücken und in Folge dessen auch ihre Tätigkeiten vor Ort und somit die Legitimation ihrer Existenz zu verurteilen. Beim Vergleich der Lebensstile von Kolonialbeamten und heutigen Expatriates möchte die Referentin nicht die Diskussion um die Rolle, Funktion und Legitimation des Entwicklungsexperten aufgreifen oder auf Reizwörter wie interkulturelle Kommunikation und das sehr umstrittene Elshorst-Papier eingehen[9], sondern sich auf den Vergleich der Lebensstile beschränken.
3.2. Für Entwicklungsexperten spezifische Lifestyles
Laut Cohen ist der bedeutendste die Gesellschaft der Expatriates im Ausland strukturierende Faktor die Anstrengungen der Expatriates zur Überwindung des Gefühls des Andersseins, der Fremdartigkeit des Umfeldes. Die Konfrontation mit der Andersartigkeit der neuen Umgebung, kombiniert mit dem hohen Erwartungsdruck sowohl von den Vorgesetzten im Heimatland, als auch den Einheimischen vor Ort, der eigenen Frau und Kinder, die sich sozial ausgegrenzt fühlen, führen anfänglich häufig zu Kulturschocks.[10]
Erster Schritt zur Überwindung eines solchen anfänglichen Schocks ist das Etablieren oder die Integration in eine bereits existierende „environmental bubble“, eine rein Expatriate-interne Gemeinschaft in deren Mitte man vor Fremdeinflüssen der anderen Kultur geschützt ist.[11] Negativ betrachtet, könnte man solche „environmental bubbles“ auch als selbst erbaute und erwünschte soziale, psychische, häufig sogar physische Ghettos bezeichnen.
Die meisten Expatriates sind in den Metropolen der Gastländer angesiedelt. Von Cohen beschriebene expatriate Central Business Districts (expatriate CBD`s) ermöglichen durch das Angebot westlicher Güter, Cafès und Kneipen die Aufrechterhaltung des europäischen Lebensstandards, stellen aber gleichzeitig einen Abgrenzungsmechanismus zur einheimischen Bevölkerung dar. Nur Angehörige der einheimischen Elite – neben den Expatriates – sind in der Lage sich den dort angebotenen Lebensstil zu leisten.[12] Cohen weist außerdem auf den Besitz mentaler Stadtkarten der Expatriates hin, worunter er versteht, daß sie nur die Stadtteile kennen, die sie favorisieren.
Der Expatriate befindet sich in einer Dilemma-Situation. Die ihn entsendende Organisation oder Firma stellt – aufgrund der hohen Kosten, die er sie kostet – hohe Erwartungen auf schnellen Erfolg an ihn. Das Verhältnis zum einheimischen Counterpart ist häufig sehr angespannt, da die Existenz des Expatriates zum einen besagt, daß der Counterpart nicht fähig war das Projekt ohne ausländischen Experten Erfolg bringend zu führen. Zum anderen wird er durch die Ankunft des Ausländers zum Juniorpartner degradiert.[13]
Kulturell bedingte Kommunikationsprobleme führen zu einer Verschärfung des unausgetragenen Konfliktes, was den Projekterfolg negativ beeinflußt. Der zur interkulturellen Kommunikation[14] und dem integrierten Expertentum[15] angehaltene und bereite ausländische Experte sieht den Projekterfolg schwinden. Da er jedoch seiner in Europa angesiedelten Organisation zu Rechenschaft verpflichtet ist, fühlt er sich gezwungen europäische Management- und Organisationsmethoden – ohne Rücksicht auf partnerschaftliche Diskussionen mit dem Counterpart – einzuführen. Er macht somit von seiner, dem Counterpart durch größeres Wissen, mehr Geld und insbesondere mehr Macht überlegene Position, Gebrauch. Ordnet sich also ein in die möglicherweise unterschwellig bereits vom Counterpart unterstellten Strukturen des Neo-Kolonialismus.
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[1] vgl. Gerke, S.: Global Lifestyles under Local Conditions. The New Indonesian Middle Class, Working Paper, University of Bonn, Bonn, 1999, S. 2
[2] vgl. Featherstone, M.: Lifestyle and Consumer Cultre, in: Consumer Culture and Postmodernism, London, 1991, S. 55 – 70
[3] s. Gerke, S., a.a.O., S. 2
[4] vgl. Featherstone, M.: Postmodernism and the Aestheticization of Everyday Life, in: S. Lash/J. Friedman (Hrsg.): Modernity and Identity, Oxford, 1992, S. 265 - 290
[5] vgl. Cohen, E.: Expatriate Communities, in: Current Sociology 24,3, 1977, S. 11 - 14
[6] vgl. Stengel, H.: Expatriates in Singapur, in: Kieserling, M. (Hrsg.): Singapur – Metropole im Wandel, Frankfurt a.M., 2000, S. 30
[7] vgl. Cohen, E., a.a.O., S. 7
[8] vgl. Kolonialliteratur wie: Multatuli: Max Havelaar, 1860; Lulofs, M.: Gummi, 1954; Forster, E.M.: A Passage to India, 1924; Pavie, A.: Eine friedliche Eroberung Indochina 1888, 1947; Conrad, J.: Almayers Wahn, 1895; Theroux, P.: The Consul`s File, 1977; Baum, V.: Liebe und Tod auf Bali, Köln, 1965; Boulle, P.: Sacriledge in Malaya, 1958
[9] vgl. Schade, B.: Interkulturelle Kommunikation und Partnerschaft, Entwicklung + Zusammenarbeit 4/81, S. 10
[10] vgl. Cohen, a.a.O., S. 15
[11] vgl. Cohen, a.a.O., S. 16
[12] vgl. Cohen, a.a.O., S. 27
[13] vgl. El-Fouly, M. M., Experten-Probleme, Fremdeinfluß und Abhängigkeit – von einem Einheimischen gesehen in Entwicklung + Zusammenarbeit 4/81, S.7/8
[14] vgl. Schade, a.a.O., S. 9-11
[15] vgl. Betke, F., et al: Partner, Pläne und Projekte – Die personelle Hilfe der Bundesrepublik Deutschland in West Malaysia, Reihe der Bielefelder Studien zur Entwicklungssoziologie, Saarbrücken, 1978, S. 53