Somatismen mit dem Körperteil "Hand" im Italienischen und im Deutschen - Ein grammatisch-semantischer Vergleich


Diplomarbeit, 2005

130 Seiten, Note: Sehr Gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Phraseologie

3 Theoretische Grundlagen
3.1 Die Eigenschaften von Phraseologismen
3.1.1 Festigkeit
3.1.2 Idiomatizität und Motiviertheit
3.2 Die Lesarten des Phraseologismus
3.2.1 Wortspiele
3.2.2 Nur eine Lesart
3.2.3 Zwei Lesarten, die sich disjunktiv zueinander verhalten
3.2.4 Zwei Lesarten, die simultan realisiert werden bzw. werden können
3.2.5 Gemischter Typ
3.3 Lesarten und Polysemie

4 Klassifizierung der Phraseologismen
4.1 Basisklassifikation
4.1.1 Referentielle Phraseologismen
4.1.1.1 Nominative Phraseologismen
4.1.1.2 Propositionale Phraseologismen
4.1.2 Strukturelle und kommunikative Phraseologismen
4.2 Spezielle Klassen
4.2.1 Kinegramme
4.2.2 (Echte) Kinegramme mit zweischichtiger Bedeutung
4.2.3 Pseudo-Kinegramme

5 Somatismen
5.1 Idiomatik und Anthropologie
5.2 Der Begriff Somatismus

6 Metonymie, Metapher und Bildlichkeit

7 Versuch der Klassifizierung von Somatismen
7.1 Phraseologismen, die eine lexikalisierte Wort-Metapher beinhalten
7.2 Zwei Lesarten, die simultan realisiert werden können
7.2.1 Kinegramme
7.2.2 Pseudokinegramme
7.3 “Reine” Metonymien
7.4 Zwei Lesarten, die sich disjunktiv zueinander verhalten

8 Analysekriterien zur Kontrastierung der italienischen und deutschen Somatismen
8.1 Die Äquivalenztypen
8.1.1 Totale Äquivalenz
8.1.2 Partielle Äquivalenz
8.1.3 Nulläquivalenz

9 Somatismen mit mano als wendungsinterner Konstituente
9.1 Phraseologismen, die eine lexikalisierte Wort-Metapher beinhalten
9.2 Kinegramme
9.2.1 Totale Äquivalenz
9.2.2 Partielle Äquivalenz
9.2.2.1 Äquivalenztyp a)
9.3 Pseudokinegramme
9.3.1 Totale Äquivalenz
9.3.2 Partielle Äquivalenz
9.3.2.1 Äquivalenztyp c)
9.3.3 Nulläquivalenz
9.4 “Reine” Metonymien
9.4.1 Partielle Äquivalenz
9.4.1.1 Äquivalenztyp a)
9.4.1.2 Äquivalenztyp b)
9.4.1.3 Äquivalenztyp d)
9.4.1.4 Äquivalenztyp e)
9.4.1.5 Äquivalenztyp g)
9.4.2 Nulläquivalenz
9.5 Zwei Lesarten, die sich disjunktiv zueinander verhalten
9.5.1 Totale Äquivalenz
9.5.2 Partielle Äquivalenz
9.5.2.1 Äquivalenztyp a)
9.5.2.2 Äquivalenztyp b)
9.5.2.3 Äquivalenztyp c)
9.5.2.4 Äquivalenztyp d)
9.5.2.5 Äquivalenztyp e)
9.5.2.6 Äquivalenztyp f)
9.5.3 Nulläquivalenz

10 Konklusion

11 Bibliographie
11.1 Sekundärliteratur
11.2 Wörterbücher

12 Anhang
12.1 Riassunto
12.2 Corpus

1 Einleitung

Ich möchte mich im Rahmen dieser Arbeit mit jenem sprachlichen Phänomen auseinandersetzen, das im Volksmund als “Redewendung” bezeichnet wird. Redewendungen sind zwar außergewöhnliche Konstrukte einer Sprache, gehören jedoch zum alltäglichen Sprachgebrauch einer Sprachgemeinschaft. Bestimmte italienische Redewendungen wie z.B. in bocca al lupo, rompere le scatole oder dare una mano a qcn sind aus dem täglichen Leben nicht wegzudenken. Redewendungen sind sehr aussagekräftig und verleihen einer Sprache die nötige Würze. Weshalb sowohl die passive als auch aktive Beherrschung dieser Konstrukte vor allem für non-native speakers eine Herausforderung darstellt, sollte im Laufe dieser Arbeit klar werden. Redewendungen und andere Typen von phraseologischen Verbindungen werden in der Linguistik größtenteils mit dem Terminus “Phraseologismus” bezeichnet. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf die Analyse von Somatismen, d.h. Phraseologismen, die einen Körperteil als Komponente beinhalten (z.B. mettere le mani sul fuoco per qcn, aprire gli occhi a qcn). Im empirischen Teil erfolgt eine weitere Einschränkung, da die Untersuchung aller italienischen Somatismen den Rahmen einer Diplomarbeit sprengen würde. Ich habe jene italienischen Somatismen gewählt, die den Körperteil mano beinhalten, denn die Hand ist neben dem Auge und dem Kopf der am meisten verwendete Körperteil in der Klasse der somatischen Phraseologismen. Weshalb die Hand in diesem Bereich so frequent ist, soll noch ermittelt werden. Ziel dieser Arbeit ist es, verschiedene Typen von italienischen Somatismen ausfindig zu machen, ihre semantische und formale Struktur im Detail zu analysieren und gleichzeitig deutsche Entsprechungen dazu zu finden bzw. Unterschiede und Similaritäten zwischen den italienischen und deutschen Somatismen herauszuarbeiten.

Zu Beginn stellt sich die Frage, welche sprachlichen Entitäten überhaupt als Phraseologismen zu bezeichnen sind und welche Arten von Phraseologismen es gibt. In den Kapiteln 2 bis 4 soll daher zunächst ein theoretischer Rahmen für den Bereich der Phraseologie geschaffen werden, in dem die Somatismen platziert werden und zu anderen Typen wie Sprichwörtern und Kollokationen abgegrenzt werden. Hier sei erwähnt, dass im Gebiet der Phraseologie eine enorme Begriffsvielfalt herrscht und sich der Terminus “Phraseologismus” erst in jüngster Zeit herauskristallisiert hat. Kapitel 2 gibt nun einen kurzen Überblick zur Geschichte und zur allgemeinen Situation der Phraseologie. Dann werden die Eigenschaften von Phraseolgismen anhand von Beispielen umfassend definiert (c Polylexikalität, Festigkeit, Idiomatizität), wodurch ihre komplexe Natur deutlich wird (cf. Kap. 3.1). Eine der interessantesten Charakteristika von Phraseologismen ist ihre komplexe semantische Struktur, da sie grundsätzlich eine wörtliche und eine phraseologische Bedeutung (= Lesart) haben. Die wörtliche Lesart ergibt jedoch oft keinen Sinn bzw. ist in Wirklichkeit nicht aktualisierbar. Weiters können Phraseologismen mehr als nur eine phraseologische Bedeutung haben. Eine detaillierte Analyse zu diesem Thema erfolgt in den Kapiteln 3.2 und 3.3.

Eine Basisklassifikation der verschiedenen Typen von Phraseologismen wird in Kapitel 4.1 präsentiert. Die Klassifikation erfolgt nach syntaktischen und semantischen Kriterien, wonach die Phraseologismen des Corpus zur Gruppe der referentiellen nominativen Phraseologismen gehören. Zudem gibt es spezielle Klassen, die für die vorliegende Arbeit von zentraler Bedeutung sind, nämlich die Kinegramme und Pseudokinegramme (cf. 4.2). Kinegramme versprachlichen nonverbales Verhalten, das gleichzeitig ausgeführt werden kann, während Pseudokinegramme nonverbales Verhalten beschreiben, das ausschließlich im übertragenen Sinn relevant ist.

Da die Phraseologismen mit Bezeichnungen für Körperteile und –organe und vor allem mit dem Körperteil Hand einen großen Prozentsatz des phraseologischen Lexikons einer Sprache ausmachen, sollen in Kapitel 5.1 mögliche Ursachen erörtert werden. Danach wird der Begriff “Somatismus”, wie er im Rahmen dieser Arbeit verstanden wird, definiert (cf. 5.2). Die Konzepte Metonymie und Metapher sind für die semantische Analyse der Somatismen von zentraler Bedeutung, daher sollen sie in Kapitel 6 kurz definiert werden. In diesem Zusammenhang werden auch die Begriffe “bildlich”, “bild.h.aft” und “bildkräftig”, die oft irrtümlicherweise als austauschbar betrachtet werden, voneinander abgegrenzt.

Kapitel 7 liefert eine Basisklassifikation für die Analyse des Corpus. Demnach sollen die italienischen Somatismen des Corpus anhand semantischer Kriterien in fünf Gruppen eingeteilt werden. Parallel zu dieser Klassifizierung erfolgt eine kontrastive Analyse der italienischen und deutschen Somatismen. Interessante Fragen, die anhand der Analyse beantwortet werden sollen sind: Hat der italienische Somatismus eine somatische Entsprechung im Deutschen? Wenn ja, handelt es sich um denselben oder um einen anderen Körperteil? Wenn nein, gibt es ebenfalls einen Phraseologismus oder kann die Bedeutung nur durch eine freie Wortverbindung wiedergegeben werden? Weiters soll die Analyse Aufschluss darüber geben, ob die einzelnen Somatismen aktives Verhalten oder Zustände beschreiben, welche semantische Rolle der Körperteil mano jeweils einnimmt und welche metaphorischen Übertragungen stattfinden. Die Analysekriterien zur Kontrastierung der italienischen und deutschen Somatismen werden in Kapitel 8 dargelegt. Demnach sollen die Phraseologismen des Corpus auf idiomatischer, lexikalischer, morphosyntaktischer und kognitiver Ebene untersucht werden. In diesem Zusammenhang sollen eventuelle Regelmäßigkeiten, die sich aufgrund der Analyse ergeben, herausgefiltert werden. Weiters sollen im Rahmen des Sprachenvergleichs bestimmte Äquivalenztypen ermittelt werden, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Phraseologismen beider Sprachen zu verdeutlichen.

Das Corpus, bestehend aus Somatismen mit mano als wendungsinterner Konstituente, wird nun in Kapitel 9 auf der Basis der in den Kapiteln 7 und 8 festgelegten Analysekriterien klassifiziert und untersucht. Die Grundlage für die Zusammenstellung des Corpus bildet das zweisprachige Langenscheidt-Wörterbuch (62002), wobei das Spezialwörterbuch Modi di dire. Redensarten von Livio Leghissa und Ilse Griesheim (11971), das Dizionario Italiano Sabatini Coletti (11997) sowie das Buch Metafore ed espressioni idiomatiche von Federica Casadei (1996) zu Ergänzungszwecken herangezogen werden. Das ausgewählte Corpus ist sehr umfassend, stellt allerdings keine vollständige Auflistung aller italienischen Somatismen mit mano dar, denn dies ist nicht Zweck der vorliegenden Arbeit.

2 Die Phraseologie

Die Phraseologie ist ein besonders interessantes Teilgebiet der Linguistik. Ob ein Sprecher eine Sprache wirklich beherrscht, kann man vor allem daran erkennen, inwieweit er/sie die Phraseologismen dieser Sprache beherrscht. Christine Palm definiert die Phraseologie als “die Wissenschaft oder Lehre von den festen Wortverbindungen einer Sprache, die in System und Satz Funktion und Bedeutung einzelner Wörter (Lexeme) übernehmen können” (PALM 1995: 1). Bevor die Phraseologie zu einer selbständigen linguistischen Disziplin wurde, galt sie vorwiegend als Teildisziplin der Lexikologie. Dies ist leicht nachvollziehbar, da die Lexikologie ebenso die Aufgabe hat, solche lexikalische Einheiten zu erfassen, “die aus Wortgruppen mit einer stabilen morphologischen Struktur bestehen und eine komplexe, nicht immer motiviert erscheinende Bedeutung aufweisen” (GLÄSER 1986: 13). Phraseologismus ist der am häufigsten verwendete Terminus für die sprachlichen Erscheinungen der Phraseologie. Es handelt sich also um “Wortketten, deren Zustandekommen nicht oder nicht nur aufgrund von syntaktischen und semantischen Regeln erklärbar ist” (LEWANDOWSKI WB2 61994: s.v.). Gleichzeitig bestehen wesentliche Berührungspunkte zwischen Phraseologie und Syntax. Wie bereits erwähnt, sind Phraseologismen nämlich feste Wortverbindungen, und diese Wortgruppen haben daher eine bestimmte syntaktische Struktur, die oft keine oder nur wenige Variationen zulässt (mehr dazu: vgl. 3.1). Außerdem gestaltet sich die korrekte syntaktische Einbindung solcher Ausdrücke in einen Satz komplexer als bei einzelnen Wörtern, wobei zudem eine große Anzahl der Phraseologismen mehr als nur ein Satzglied umfassen. Somit könnte man sagen, dass die Phraseologie ein Forschungsgebiet zwischen Syntax und Lexikologie ist.

Phraseologismen muss man im eigenen mentalen Lexikon gespeichert und abrufbereit haben, um sie verstehen und anwenden zu können. Palm weist darauf hin, dass man im Zusammenhang mit der Phraseologie deshalb vom mentalen Lexikon einer Sprache spricht, weil durch Phraseologismen vor allem mentale Größen wie Emotionen, Einstellungen und Verhaltensweisen verarbeitet werden. Gleichzeitig sind Phraseologismen auch eine kreative und originelle Art, mit Wörtern und Sprache umzugehen. Zudem sind viele Phraseologismen kulturspezifisch und daher Ausdruck von Mentalität, Sitten und Gebräuchen, Lebensweisen, Umgangsformen etc. einer Sprachgemeinschaft. Deshalb werden in Verbindung mit Phraseologie am häufigsten Ausdrücke verwendet, die auf das griech.-lat. Wort phrasis und das griech. Wort idioma zurückgehen (PALM, 1995: 104). Phrasis bedeutet nämlich “rednerischer Ausdruck” und idioma bezeichnet eine “Eigentümlichkeit, Besonderheit” (PALM, 1995: 104). Somit tragen Phraseologismen wesentlich zum eigenständigen Charakter einer Sprache bei, und beim Erlernen einer Fremdsprache oder beim Übersetzen bereitet dieser Bereich des Sprachinventars nicht selten erhebliche Schwierigkeiten. So ist z.B. der Ausdruck jemanden in den Ohren liegen dem Deutschen eigen und wird in anderen Sprachen wie beispielsweise im Italienischen nicht verwendet. Andererseits haben die italienischen Ausdrücke portare a qd. l’acqua con gli orecchi und fare orecchi da mercante jeweils andere sprachliche Realisierungen im Deutschen, nämlich jdm die Sterne vom Himmel holen und sich taub stellen (ZARDO 92000: s.v.). Deshalb ist es auch immer problematisch, wenn man versucht, Phraseologismen von einer Sprache auf die andere zu übertragen, ohne dabei inhaltliche oder formale Abstriche zu machen.

Der Bereich der Phraseologie ist eine junge Teildisziplin der Linguistik, denn erst seit Anfang der siebziger Jahre besteht ein wachsendes Interesse in diesem Gebiet. Vorreiter dieser Disziplin sind die russischen Wissenschaftler, denen später deutschsprachige und andere europäische Linguisten folgten. Der russische Linguist Viktor Vinogradov trug in den 40er Jahren in der damaligen Sowjetunion wesentlich dazu bei, dass die Phraseologie zu einem eigenen linguistischen Fachgebiet wurde. Zahlreiche Forschungsarbeiten befassten sich mit der Abgrenzung zu anderen Feldern wie Syntax und Lexikologie sowie mit der Klassifizierung phraseologischer Einheiten (vgl. LIMMER 2004: 3). Als sich die russischen Linguisten mit der Phraseologie und der Idiomatizität beschäftigten, stießen sie auf erste Schwierigkeiten, idiomatische Phraseologismen innerhalb der Phraseologie zu klassifizieren. Deutsche Autoren befassten sich v.a. im 20. Jhdt. mit Redensarten und Sprichwörtern, doch blieb die Abgrenzung zu allen anderen Phraseologismen ziemlich diffus (LIMMER 2004: 4). Die erste Gesamtdarstellung zur deutschen Phraseologie stammt von Cernyseva, die vor allem “phraseologische Einheiten” und “feste Verbindungen nichtphraseologischer Art” unterschied (LEWANDOWSKI 61994: s.v.). In den 70er Jahren sind viele Untersuchungen erschienen, und da jeder Autor seine eigene Terminologie entwickelte, führte dies zu einer großen Vielfalt von in der Phraseologie verwendeten Begriffen. Laut Pilz wurde dieses terminologische Chaos vor allem durch deutschsprachige Veröffentlichungen verursacht (PILZ 1981: 26). Palm (1995: 104) stellt jedoch fest, dass heute keine neuen Begriffe mehr geprägt würden und der Terminus Phraseologismus der am häufigsten verwendete ist. Der Schwerpunkt der europäischen Phraseologieforschung lag zunächst auf der deutschen und finnischen Sprache, und später folgten auch Forschungsprojekte zu anderen Sprachen wie z.B. Englisch und Französisch. Obwohl das Italienische besonders reich an Phraseologismen ist, besteht leider keine systematische Gesamtdarstellung der italienischen Phraseologie wie für das Deutsche (Burger/Buhofer/Sialm 1982) oder das Englische (GLÄSER 1986).

3 Theoretische Grundlagen

Im vorhergehenden Kapitel wurde der Begriff “Phraseologismus” eingeführt, um damit jene Konstrukte zu bezeichnen, die im Rahmen der Phraseologie untersucht werden. In der vorliegenden Arbeit wird ebenfalls dieser Begriff verwendet, um feste Wortverbindungen zu bezeichnen, deren Gesamtbedeutung sich nicht als Summe der lexikalischen Einzelbedeutungen ableiten lässt (näheres vgl. 3.1). Wie bereits erwähnt, existieren jedoch verschiedenartige Termini im Bereich der Phraseologie, und diese Tatsache wird in der Literatur oft angesprochen und beklagt. Die Begriffsvielfalt stiftet nämlich leicht Verwirrung. Zur Veranschaulichung der großen Vielfalt sollen hier einmal einige dieser Termini aufgeführt werden: (Sprichwörtliche) Redensarten, Redewendungen, feste Wendungen, idiomatische Wendungen, Idiome, Idiotismen, Wortgruppenlexeme, phraseologische Einheiten, Phraseolexeme, Phraseme, fixierte Wortgefüge, phraseologische Ganzheiten. Auch im Italienischen gibt es mehrere, jedoch nicht so zahlreiche Termini: espressioni idiomatiche, frasi idiomatiche, locuzioni, modi di dire, frasi fatte, idiotismi, espressioni fossilizzate, discorso ripetuto, detti proverbiali. Klarerweise gibt es bei dieser Begriffsvielfalt mehrere Termini, die im Grunde dasselbe Phänomen bezeichnen. Casadei (1996: 13) schreibt beispielsweise in ihrer Einführung, dass es sich bei espressioni idiomatiche um locuzioni handle, die allgemeinsprachlich modi di dire oder frasi fatte genannt würden, und setzt die drei Termini somit gleich.

Im folgenden sollen die wichtigsten Kategorien im Bereich der Phraseologie definiert werden, wobei die verschiedenen Definitionskriterien vor allem von Burger (1998), Burger/Buhofer/Sialm (1982) und Palm (1995) übernommen werden.

3.1 Die Eigenschaften von Phraseologismen

Laut Burger gibt es im Wesentlichen drei Kriterien, die zur Definition von Phraseologismen herangezogen werden können (BURGER 1998: 15):

1. Polylexikalität
2. Festigkeit
3. Idiomatizität

Zunächst bestehen Phraseologismen aus mehr als einem Wort, deshalb werden oft auch die Termini Wortgruppenlexem und Wortgefüge verwendet. Casadei (1996: 13) hebt dieses Kriterium für das Italienische hervor: Il termine espressione idiomatica indica espressioni polilessicali che abbinano un significato fisso a un significato convenzionale tipicamente non letterale (CASADEI 1996: 13). Zweitens, sind Phraseologismen feste Wortverbindungen im Gegensatz zu freien Wortverbindungen, d.h. ein Phraseologismus ist in einer bestimmten Kombination von Wörtern innerhalb der Sprachgemeinschaft – ähnlich wie ein Wort – gebräuchlich. Somit handelt es sich hier um Wortverbände, deren Bedeutung im Lexikon einer Sprache genau festgelegt ist. Dazu eine Definition aus der italienischen Phraseologieforschung:

Il tratto che accomuna le unità fraseologiche è quello di fissità o invariabilità, tratto che è confermato dall’unità di significato, essendo il significato dell’insieme diverso da quello dei singoli costituenti (SKYTTE 1988: 77).

Während nun Phraseologismen im weiteren Sinn die eben genannten Kriterien erfüllen, beinhaltet Phraseologie im engeren Sinn eine zusätzliche Eigenschaft, nämlich jene der Idiomatizität. Damit ist gemeint, dass die lexikalischen Bestandteile, auch Komponenten genannt, “eine durch die syntaktischen und semantischen Regularitäten der Verknüpfung nicht voll erklärbare Einheit bilden” (BURGER 1998: 15). Anders ausgedrückt: Die Gesamtbedeutung einer festen Wortverbindung lässt sich nicht aus ihren lexikalischen Einzelbedeutungen und ihrer syntaktischen Struktur ableiten (LEWANDOWSKI 61994: s.v.). Die eben beschriebenen Eigenschaften von Phraseologismen können nun wie folgt zusammengefasst werden:

Lo studio della fraseologia comprende l’insieme delle espressioni linguistiche, formate da due o più elementi lessicali liberi, il significato delle quali non è direttamente deducibile dal significato dei singoli elementi e la cui combinazione è consolidata da una certa frequenza di uso, p.es. cambiar aria, mettere le carte in tavola … (SKYTTE 1988: 75).

In der Praxis ist es jedoch nicht immer leicht zwischen Phraseologismen im weiteren Sinn und Phraseolgismen im engeren Sinn eine Grenze zu ziehen. Die Idiomatizität und die Festigkeit sind nämlich keine absoluten Größen, sondern der Grad der Idiomatizität und die Festigkeit variieren je nach Phraseologismus. Die Phraseologie beinhaltet somit sprachliche Ausdrücke, die auf einer Skala mit vielen Zwischenstufen angesiedelt sind. Diese Skala reicht von Phraseologismen mit starker Idiomatizität bis zu nicht-idiomatischen Phraseologismen. Auch die Festigkeit ist relativ und somit gibt es Phraseologismen, die mehrere Varianten zulassen (tastare/assaggiare/sondare/studiare il terreno) (CASADEI 1996: 464). Da dieser Bereich so komplex ist, gibt es Grenzfälle, die nicht eindeutig der Phraseologie zugeordnet werden können (z.B. Kollokationen, d.h. bevorzugte, gewohnheitsmäßige Kombinationen von Einzelwörtern). Natürlich stehen Festigkeit und Idiomatizität in einem engen Verhältnis zueinander. Je höher der Grad der Idiomatizität einer phraseologischen Verbindung, desto größer ist auch seine Festigkeit. Laut Burger ist die strukturelle Festigkeit gleichzeitig ein Aspekt der Idiomatizität (1998: 20).

3.1.1 Festigkeit

Wie bereits oben erwähnt, sind Phraseologismen synchronisch gesehen “gebräuchlich” wie einzelne Wörter und bilden daher eine lexematische Einheit, d.h. wenn jemand einen Phraseologismus hört oder liest, kennt er sofort seine Bedeutung, ohne auf die potentiell wörtliche Bedeutung der Komponenten zurückgreifen zu müssen. Im Gegensatz zu den Wörtern unterliegen sie jedoch gewissen syntaktischen und lexikalisch-semantischen Einschränkungen. Aufgrund dieser Irregularitäten und Restriktionen werden Phraseologismen in der Fachliteratur oft als “Anomalien” bezeichnet. Ein Extremfall der strukturellen Festigkeit liegt vor, wenn keines der lexikalischen Elemente ausgetauscht werden kann, “ohne dass sich die Bedeutung der Verbindung um mehr ändert als um die Bedeutung des ausgetauschten lexikalischen Elementes” (BURGER/BUHOFER/SIALM 1982: 3). In den meisten Fällen ist die Kommutations- oder Ersatzprobe das sicherste formale Abgrenzungsmittel für feste Wendungen (DUDEN 22002: 11). Im Deutschen wäre es also nicht möglich zu sagen:

* Beispiele aus den Haaren saugen. (anstatt: aus den Fingern)
* Ins Grab beißen. (anstatt: ins Gras beißen)
* Damit kommst du auf keinen grünen Baum. (anstatt: auf keinen grünen Zweig)

(BURGER 1998: 18)

Genauso wenig ergeben folgende Aussagen im Italienischen einen Sinn:

* Susie rapinò il cuore a Max. (anstatt: rubò il cuore)

(VIETRI 1985: 14)

* Max ha bruciato i traguardi. (anstatt: ha bruciato le tappe)

(VIETRI 1985: 15)

Lui è pigro. *Sta sempre con le mani in grembo. (anstatt: con le mani in mano)

Im Gegensatz zu den Phraseologismen sind Wörter oder Lexeme auf syntagmatischer Ebene frei kombinierbar, solange das Gesagte einen Sinn ergibt. Auch auf paradigmatischer Ebene der Sprache sind Lexeme aufgrund ihres Klassencharakters mit anderen Elementen der gleichen Klasse substituierbar “unter der Voraussetzung der Kompatibilität oder semantischen Verträglichkeit, um sinnvolle Sätze zu bauen” (PALM 1995: 7). Bei den Phraseologismen allerdings bilden die Komponenten GEMEINSAM eine Bedeutung. Sie sind auf syntagmatischer Ebene nicht frei kombinierbar und auf paradigmatischer Ebene nicht frei austauschbar. Dies soll anhand der folgenden Beispiele veranschaulicht werden:

Susie rubò il cuore a Max.

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] * Susie rapinò il cuore a Max.

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] * Susie rubò il muscolo cardiaco a Max.

(VIETRI 1985: 15)

Die letzten beiden Sätze stellen die Unmöglichkeit paradigmatischer Austauschbarkeit bei Phraseologismen dar. Die nächsten Sätze sind Beispiele für Restriktionen auf syntagmatischer Ebene:

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] * Susie rubò il cuore malato a Max. (VIETRI 1985: 17)

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] * Il cuore che Susie rubò a Max era già impegnato. (VIETRI 1985: 19)

Bei der phraseologischen Verbindung rubare il cuore a qcn ist es also nicht möglich eine nähere Bestimmung (Attribuierung) hinzuzufügen oder einen Relativsatz zu realisieren.

Anders betrachtet, spricht man in diesen Fällen auch von morphosyntaktischen (1) und lexikalisch-semantischen (2) Restriktionen. Hierfür je ein deutsches und italienisches Beispiel:

(1) Otto hat einen Narren an Emma gefressen. [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] * Otto frisst einen Narren an Emma. (BURGER: 1998: 23)

Non vedo l’ora di finire questo lavoro. [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] * Non vedo un’ora di finire questo lavoro. (SKYTTE 1988: 77)

Im ersten Fall kann das Tempus nicht verändert werden, und im zweiten Fall existiert der Phraseologismus non vedere l’ora (di) in der Bedeutung “es kaum erwarten können (etwas zu tun)” nur in dieser Form und erlaubt keine Variation des Determinanten.

(2) * das Gewehr ins Korn werfen (BURGER 1998: 23)

* ammazzare i minuti

Als Deutschsprechender weiß man sofort, dass hier ein Phraseologismus falsch verwendet wird, denn jeder kennt die Redewendung die Flinte ins Korn werfen. Dieser Wiedererkennungseffekt bewirkt ebenso, dass ein Italiener höchstwahrscheinlich an ammazzare il tempo denkt, wenn er die obige Phrase liest. Wie aus den Beispielen hervorgeht, ist eine lexikalische Substitution in dieser Form nicht möglich, obwohl eine enge semantische Verwandtschaft zwischen Gewehr und Flinte bzw. minuti und tempo besteht. Der Phraseologismus die Flinte ins Korn werfen ist absolut feststehend und erlaubt keinerlei Variation. Der italienische Ausdruck ammazzare il tempo hingegen ist etwas flexibler, denn die Varianten ammazzare la noia und ingannare il tempo sind im Italienischen durchaus gebräuchlich (QUARTU 21993: s.v.). Weitere Restriktionen können beispielsweise die Passivierung,

tirare le cuoia c “morire, spesso in povertà” (RADICCHI 1985: s.v.)

*Le cuoia sono state tirate da Ada. (CASADEI 1996: 13)

die Bildung bestimmter Satztypen wie z.B. Fragesätze und Relativsätze,

* Cosa ha tirato Ada? – Le cuoia (CASADEI 1996: 13).
* Il cuore che Susie rubò a Max era già impegnato. (VIETRI 1985: 19)

die dislocazione

* Il cuore, glielo rubò a Max.

oder die topicalizzazione

* Sono le cuoia che Ada ha tirato. (CASADEI 1996: 13)

betreffen.

Die angeführten Beispiele demonstrieren, dass aufgrund solcher morpho-syntaktischen Veränderungen die idiomatische Gesamtbedeutung der Phraseologismen oft verloren geht. Casadei (1996: 13) stellt also richtig fest: [queste e altre trasformazioni] comportano spesso la perdita del significato idiomatico e sono semmai possibili solo per l’eventuale significato letterale dell’espressione.

Jedoch nicht alle Typen von Phraseologismen unterliegen laut Burger/Buhofer/Sialm (1982: 3) syntaktischen Einschränkungen, sondern sie verhalten sich in syntaktischer Hinsicht durchaus wie freie Syntagmen. Dies trifft vor allem auf viele verbale Phraseologismen zu: er rümpft die Nase, er rümpft e die Nase, ich rümpfte die Nase etc. (BURGER/BUHOFER/SIALM 1982: 3). Hier kann das Verb auch in ein anderes Tempus gesetzt werden, und das handelnde Subjekt ist beliebig austauschbar. Weiters ist die strukturelle Festigkeit, wie bereits erwähnt, relativ und somit existieren innerhalb einer Sprache Phraseologismen, die durchaus Varianten zulassen. Laut Burger (1998: 25 - 26) gibt es beispielsweise grammatische Varianten in einer Komponente,

buttare/gettare il dado/i dadi c “rischiare, tentare la sorte” (CASADEI 1996: 417)

lexikalische Varianten,

tagliare/segare/stroncare le gambe (a/di qcn) c “impedire di agire”

(CASADEI 1996: 464)

aver perso il lume della ragione/dell’intelletto/degli occhi c “essere accecato dall’ira” (LEGHISSA/GRIESHEIM 1971: s.v.)

und Varianten der externen Valenz, d.h. mit unterschiedlichen syntaktischen Anschlüssen. Bei einem Phraseologismus gibt es nämlich eine interne und eine externe Valenz. Die interne Valenz bezeichnet ausschließlich die interne syntaktische Struktur des Phraseologismus, und die externe Valenz betrifft seine syntaktische Funktion im Satz (bzw. Text). Der Ausdruck [qualcuno] strizza l’occhio [a qualcuno] hat somit die interne Struktur [Verb + Akkusativobjekt], will man hingegen die externe Valenz mitberücksichtigen lautet seine Struktur [Subjekt + Verb + Akkusativobjekt + Dativobjekt]. Der Phraseologismus als Ganzes hat somit zwei externe Leerstellen. Nun folgen zwei Beispiele von Phraseologismen mit unterschiedlichen syntaktischen Anschlüssen:

(1) tentare la via/strada (di/Aggettivo)“tentare la strategia, il modo di/Agg”

(CASADEI 1996: 465)

(2) spezzare una lancia (per/in favore di qcs/qcn)“aiutare, dare appoggio”

(CASADEI 1996: 462)

Im ersten Beispiel kann das direkte Objekt durch ein Attribut mit Hilfe eines Adjektivs (tentare la via più semplice/diretta) oder einer präpositionalen Ergänzung (tentare la via degli studi letterari) spezifiziert werden. Im zweiten Beispiel kann man sich entweder für eine Person oder für etwas bzw. eine bestimmte Sache ins Zeug legen. Der syntaktische Anschluss erfolgt durch die Präpositionen per oder in favore di.

3.1.2 Idiomatizität und Motiviertheit

Die Idiomatizität ist ein zentrales Wesensmerkmal der Phraseologismen. Wie bereits erwähnt, gilt für die idiomatischen Phraseologismen, dass ihre Gesamtbedeutung, die Bedeutung, die sie als lexikalische Einheit haben, nicht der Summe der Bedeutungen der einzelnen Komponenten entspricht. Dies soll das folgende Beispiel verdeutlichen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Pittàno (1992: 4) stellt fest, dass eine Summe der freien Bedeutungen der drei Komponenten (a + b + c) nur möglich wäre, würde man von einem Insekt sprechen, das in einem Glas voll Wasser ertrinkt. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat dieser Phraseologismus jedoch die konventionelle Bedeutung von “perdersi per un nonnulla” und das Ertrinken im Wasserglas ist nur ein metaphorisches Bild. Ebenso heißt a mmazzare il tempo (“die Zeit totschlagen”) demnach nicht, dass jemand wirklich “die Zeit tötet”, sondern dass er sie auf nutzlose Weise verbringt. Im Gegensatz zum ersten Beispiel ist hier eine wörtliche Realisierung der Bedeutung unter gar keinen Umständen möglich. Die eben genannten Phraseologismen haben also unter normalen Umständen nur eine übertragene Bedeutung und sind daher stark idiomatisch. Der Gegenbegriff zur Idiomatizität ist das Konzept der “Motiviertheit bzw. Motivierbarkeit”. Motiviertheit bedeutet grundsätzlich, dass die Bedeutung eines Phraseologismus aus der freien Bedeutung der Wortverbindung oder aus den Bedeutungen der Komponenten verstehbar ist. Daraus folgt: “Je stärker ein Phraseologismus motiviert ist, desto schwächer ist seine Idiomatizität und vice versa” (BURGER 1998: 66).

In der vorliegenden Arbeit übernehmen wir von Harald Burger (1998) die Termini “phraseologische Bedeutung” für die übertragene oder idiomatische Bedeutung und “wörtliche Bedeutung” für die freie Bedeutung der Komponenten bzw. der ganzen Wortverbindung. Ein Ausdruck ist also im semantischen Sinn idiomatisch, wenn eine Diskrepanz zwischen phraseologischer und wörtlicher Bedeutung besteht. “Je stärker die Diskrepanz zwischen diesen beiden Bedeutungsebenen ist, umso stärker idiomatisch ist der Phraseologismus” (BURGER 1998: 31). Wie Burger/Buhofer/Sialm (1982: 3) treffend feststellen, bedeutet allerdings die Tatsache, dass die meisten Phraseologismen eine ganzheitliche Bedeutung haben, die mit der wörtlichen Bedeutung der Einzelteile nicht übereinstimmt, keineswegs, dass kein Zusammenhang zwischen der summativen wörtlichen Bedeutung auf der einen Seite und der phraseologischen Gesamtbedeutung auf der anderen Seite bestünde. Man stellt sogar sehr oft einen Zusammenhang fest, wenn man die beiden Bedeutungen vergleicht. Dieser Zusammenhang reicht von “offensichtlich” bis zu “kaum nachvollziehbar”. Es gibt also verschiedene Verhältnistypen zwischen Motiviertheit und Idiomatizität: “Je stärker ein Phraseologismus motiviert ist, desto schwächer ist seine Idiomatizität und vice versa” (BURGER 1998: 66).

Im Prinzip kann man in semantischer Hinsicht zwischen drei Typen von Phraseologismen unterscheiden: (voll)idiomatische, teil-idiomatische und schwach- bzw. nichtidiomatische. Parallel dazu gibt es unmotivierte bzw. metaphorisch motivierbare, teilmotivierbare und direkt motivierbare phraseologische Verbindungen.

Bei (voll)idiomatischen Phraseologismen, besteht auf der Ebene des Sprachsystems keine Beziehung zwischen der freien und der phraseologischen Bedeutung. Burger nennt das Bespiel Öl ins Feuer gießen (1998: 31). Diese Gruppe enthält aber zwei verschiedene Typen von idiomatischen Verbindungen und zwar sind dies “metaphorisch motivierbare“ und “unmotivierte” Phraseologismen.

Mit metaphorisch motivierbaren Phraseologismen sind Wendungen gemeint, deren phraseologische Bedeutung von den wörtlichen Bedeutungen ihrer Komponenten her nur dann verstehbar ist, wenn sie als eine “summative Bedeutung im bildlichen oder übertragenen Sinn verstanden wird” (BURGER/BUHOFER/SIALM 1982: 4). Öl ins Feuer gießen gehört also zu diesem Typ, ebenso wie die oben genannten Beispiele annegare in un bicchier d’acqua und ammazzare il tempo. Weitere Beispiele sind etwas auf die lange Bank schieben, den Kopf verlieren (perdere la testa) oder das fünfte Rad am Wagen sein (essere l’ultima ruota del carro) (BURGER/BUHOFER/SIALM 1982: 4). Wenn hingegen die phraseologische Bedeutung einer festen Wortverbindung weder von der summativen wörtlichen Bedeutung her noch als eine summative Bedeutung im bildlichen oder übertragenen Sinn verstehbar ist, kann man von “unmotivierten Phraseologismen” sprechen. Beispiele dafür sind einen Pik auf jmdn haben (BURGER 1998: 60) und an jmd einen Narren gefressen haben (BURGER/BUHOFER/SIALM 1982: 4). Unmotivierte Phraseologismen sind jedoch unter Umständen etymologisch erklärbar, da höchstwahrscheinlich auch sie einen motivierten Ursprung haben.

Teilmotivierbar bzw. teilidiomatisch ist ein Phraseologismus dann, wenn “die phraseologische Bedeutung einer festen Wortverbindung von einem oder mehreren, aber nicht allen Elementen her durch deren wörtliche Bedeutung verstehbar ist, und eines oder mehrere Elemente die wörtliche Bedeutung nicht in die phraseologische Bedeutung einbringen” (BURGER/BUHOFER/SIALM 1982: 4). Beispiele hiefür sind in Hülle und Fülle, wo die wörtliche Bedeutung von Fülle realisiert ist, oder auf Herz und Nieren prüfen, das die wörtliche Bedeutung von prüfen enthält. Beispiele aus dem Italienischen sind die Wendungen accogliere qcn a braccia aperte, bei der die wörtliche Bedeutung von accogliere (“empfangen”) auf jeden Fall realisiert wird oder brillare per la sua assenza (“durch Abwesenheit glänzen”), wo assenza wörtlich gemeint ist und die figurative Bedeutung von brillare, nämlich “sich durch/mit etwas (Eigenschaft, Fähigkeit…) auszeichnen”, ironisch aktualisiert ist.

Von “direkt motivierbaren” Wendungen kann man sprechen , wenn “die phraseologische Bedeutung einer Wendung von den wörtlichen Bedeutungen der einzelnen Wörter her verstehbar ist”, wie z.B. bei Dank sagen (BURGER/BUHOFER/SIALM 1982: 4). Beispiele aus dem Italienischen wären aver paura (SKYTTE 1988: 78), aver bisogno, mettere in atto, vero e proprio, sano e salvo (SKYTTE 1988: 79). Diese nicht- bzw. schwachidiomatischen Wortverbindungen umfassen einen weiten Bereich und die strukturelle Festigkeit ist zum Beispiel bei sano e salvo daran zu erkennen, dass die Reihenfolge fixiert ist (c* salvo e sano).. Bekannterweise sind direkt motivierbare Wendungen für den Fremdsprachenlernenden leicht zu dekodieren, aber bedeutend schwieriger zu enkodieren, da oft nur eine bestimmte Ausdrucksweise zulässig ist, die sich häufig von der Muttersprache unterscheidet. Dieser Typus fester Wortverbindungen wird jedoch nicht Gegenstand der vorliegende Arbeit sein, sondern wurde hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

Grundsätzlich ist es kaum möglich diese semantischen Klassen eindeutig voneinander abzugrenzen. Besonders da die Konzepte “wörtliche” und “übertragene” Bedeutung nicht immer so klar sind wie es scheinen mag. Schließlich sind viele Wörter, die in einer Sprache mit einer bestimmten “wörtlichen” Bedeutung verwendet werden, im Grunde metaphorisch, ohne dass es dem Sprecher bewusst ist. So schreibt Pittàno: “… moltissime parole comuni sono delle metafore più o meno palesi: sono metafore, ad esempio, penna (per scrivere) dalla penna d’oca con cui si scriveva anticamente” (PITTÀNO 1992: 4).

3.2 Die Lesarten des Phraseologismus

Wie man eben gesehen hat, lassen sich Phraseologismen in idiomatische, teil-idiomatische und nicht idiomatische Typen unterteilen. Diese Dreiteilung wird in der vorliegenden Arbeit sicher eine Rolle spielen, doch gibt es noch andere, differenziertere, semantisch bestimmte Gesichtspunkte. Phraseologismen sind komplexe sprachliche Konstrukte und wie sich zeigen wird, eignen sie sich auch besonders gut für Wortspiele.

3.2.1 Wortspiele

Viele Phraseologismen haben eine freie (bzw. wörtliche) und eine phraseologische Bedeutung, manchmal haben sie sogar mehr als nur eine phraseologische Bedeutung, in dem Sinne wie auch Wörter polysem oder homonym sein können. In der Regel hat aber ein Phraseologismus nur eine Bedeutung, und das ist die phraseologische, sonst wäre es ja im Grunde kein Phraseologismus. Nun kann man einem Phraseologismus aber oft zwei Bedeutungen zuweisen, je nachdem aus welchem Blickwinkel man ihn betrachtet. Daher wurde in der Linguistik der Begriff “Lesart” für “die möglichen semantischen Realisationen einer bestimmten Wortverbindung” eingeführt (BURGER 1998: 59). Mit den folgenden Wortspielen wird diese Thematik am besten veranschaulicht:

Lei: “Signore, il mio cuore non è libero.”

Lui: “Signora, non avevo puntato cosí in alto.”

(Eine Dame wird von einem Mann umworben.)

(CASADEI 1996: 59)

Kein Wunder, dass die Frau den Boden unter den Füßen verliert, wenn sie sich auf Händen tragen lässt. (PALM 1995: 62)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(PLOS 2001: 4)

Beim Zahnarzt: “Nun mach den Mund schön weit auf und beiße die Zähne zusammen !”

(PALM 1995: 3)

Bei all diesen Beispielen wird also mit den zwei Lesarten des Phraseologismus gespielt. Beide Bedeutungen, die phraseologische und die wörtliche, schwingen gleichzeitig mit, was den besonderen Witz ausmacht. Im ersten Dialog bezieht sich das kreative Spiel auf das Idiom puntare in alto, d.h. “avere grandi obiettivi” (CASADEI 1996: 457). Der Sprecher meint somit entweder, dass er es nie wagen würde, ein so hohes Ziel zu verfolgen oder dass er im wörtlichen Sinn nicht auf ihre Herzgegend zielen wollte (da das Herz eben im menschlichen Körper höher angesiedelt ist).

Das zweite Beispiel enthält gleich zwei Phraseologismen: den Boden unter den Füßen verlieren und jmdn auf Händen tragen. Auch im Italienischen gibt es diese Redewendungen: sentirsi mancare la terra/il terreno sotti i piedi, tenere/portare qcn in palmo di mano. Während ersteres in der Regel nur im phraseologischen Sinn vorstellbar ist, ist beim letzteren die semantische Realisierung der freien Bedeutung durchaus möglich, allerdings würde man dann wohl eher sagen jmdn auf seinen Armen tragen. In diesem Wortspiel werden diese beiden Phraseologismen mit ihren jeweiligen wörtlichen und phraseologischen Bedeutungen in Beziehung gesetzt, so dass zwei Kontexte vorstellbar sind: Erstens, wird jemand getragen, verliert er logischerweise den Boden unter den Füßen. Zweitens, wird einer Frau jeder Wunsch von den Augen abgelesen, kann es schon passieren, dass sie den Bezug zur Realität verliert. Eigentlich passen die beiden Redewendungen aber nicht ideal zusammen, da die eine Wendung eine positive Bedeutung hat und die andere eine negative. Es kann vorkommen, dass auch ein native speaker nicht immer die genaue Bedeutung(en) einer Redewendung kennt, daher ist es sinnvoll die letzten beiden Ausdrücke genau zu klären: Jmdn auf Händen tragen bedeutet “jmdn mit Liebe und Fürsorge umgeben” (DUDEN 22002: s.v.), während den Boden unter den Füßen verlieren heißt, dass man “die Existenz(grundlage) oder den inneren Halt verliert” (DUDEN 22002: s.v.). Es ist also nicht einzusehen, warum die Frau negative Gefühle haben soll, sich also in einer Situation befände, in der sie sich komplett verloren und ohne Halt vorkommt, obwohl sie im selben Moment respektiert, bewundert und geliebt wird. Es ist noch anzumerken, dass beide Redewendungen im Deutschen und Italienischen dieselben Bedeutungen haben.

Im dritten Beispiel sind wiederum zwei potentielle Lesarten aktualisiert, nämlich “tapfer sein” und “die Zähne zusammenbeißen”. Palm bezeichnet diese Doppelschichtigkeit der Phraseologismen als “duale Kodierung” (1995: 3). Alle oben genannten Phraseologismen haben gemeinsam, dass ein metaphorischer Zusammenhang zwischen der freien und der idiomatischen Bedeutung besteht. Dies ist auch eine essentielle Voraussetzung für die Kreation solcher Wortspiele. Palm nennt solche Phraseme, die mindestens zwei Lesarten haben, “durchsichtige Metaphorisierungen”: “Hier ist ein konkretes Bild vorstellbar, das durch V ergleichen auf eine ähnliche, allgemeinere, abstraktere Situation, die mit dem konkreten Bild Gemeinsamkeiten hat, übertragbar ist” (PALM 1996: 11). Weiters bezeichnet sie das kreative Spiel mit dem doppelten Code bei durchsichtigen Metaphorisierungen als “Code-switching” (PALM 1996: 62). Undurchsichtige Metaphorisierungen (vgl. auch unmotivierte Phraseologismen) wären im Gegensatz dazu z.B. auf dem Holzweg sein oder etwas über einen Leisten schlagen (PALM 1996: 13). Oft sind diese Metaphorisierungen deswegen nicht nachvollziehbar, weil viele Sprecher nicht das entsprechende historische Wissen haben und daher die ursprüngliche Bedeutung gewisser Lexeme nicht kennen.

Phraseologismen lassen sich hinsichtlich ihrer Lesart(en) in vier verschiedene Klassen unterteilen (vgl. BURGER 1998: 59 – 65).

3.2.2 Nur eine Lesart

In diese Klasse fallen einerseits nicht- und schwachidiomatische Wortverbindungen wie zum Beispiel Kollokationen (vgl. 4.1.1.1) und andererseits stark idiomatische Wortverbindungen, deren ursprüngliche wörtliche Bedeutung verloren gegangen ist (Maulaffen feilhalten, einen Pik auf jmdn haben). Somit enthält diese Gruppe die beiden Extreme auf einer Skala der Idiomatizität. Für die vorliegende Arbeit hat diese Gruppe kaum Relevanz.

3.2.3 Zwei Lesarten, die sich disjunktiv zueinander verhalten

Hier handelt es sich um Phraseologismen, die zwei Lesarten haben, die grundsätzlich nicht in den gleichen Kontexten oder Kommunikationssituationen vorkommen können. Das Verhältnis der beiden Lesarten ist jedoch unterschiedlich. Es gibt Phraseologismen, bei denen die beiden Lesarten nichts miteinander zu tun haben und die daher homonym sind. Ein Beispiel ist jdm einen Korb geben. Andererseits gibt es phraseologische Verbindungen, bei denen die beiden Lesarten in einem metaphorischen Zusammenhang zueinander stehen: puntare in alto, das fünfte Rad am Wagen (sein). Ein anderes schönes Beispiel ist auch: Die Mutter hat gestern dem Jungen den Kopf gewaschen. (PALM 1995: 10). Der metaphorische Zusammenhang besteht hier in dem Konzept der “Reinigung”: Einerseits wird das Haar oder der Kopf gewaschen, andererseits wird die Luft gereinigt und Spannungen werden beseitigt. Dann gibt es auch noch Phraseologismen, die ebenfalls in einem metaphorischen Zusammenhang zueinander stehen, wobei aber die wörtliche Lesart sehr unwahrscheinlich ist: den Boden unter den Füßen verlieren, jmdm Feuer unter dem Hintern machen.

3.2.4 Zwei Lesarten, die simultan realisiert werden bzw. werden können

Hier geht es um Ausdrücke, die einerseits nonverbales Verhalten beschreiben, das real ausgeführt werden kann und andererseits eine bestimmte Bedeutung sprachlich kodieren: die Achseln zucken (= alzare le spalle). In diese Klasse fallen die Kinegramme und Pseudo-Kinegramme, die im Laufe dieser Arbeit noch eingehend analysiert werden. Zu diesem Typ zählen auch Ausdrücke, die nonverbales Verhalten beschreiben, das heute nicht mehr realiter ausgeführt wird. Die Zähne zusammenbeißen (= stringere i denti) ist z.B. eine Gebärde, die Ausdruck starken Schmerzes ist und wahrscheinlich in früheren Zeiten, als es noch keine Narkosemittel gab, im wörtlichen Sinne vorkam. “Diese Wendung geht von der Beobachtung aus, dass Menschen bei großer Anstrengung, Schmerz, Wut o.ä., die Zähne zusammenbeißen” (DUD 11). Verwendet man jedoch heute diesen Ausdruck, ist meistens nur die symbolische Bedeutung aktualisiert. Die Aussage du musst die Zähne zusammenbeißen!, bedeutet, dass man stark sein soll und Schmerzen oder andere unangenehme Herausforderungen/Aufgaben etc. annehmen bzw. tapfer erledigen soll.

Es gibt Ausdrücke, wie beispielsweise jmdn auf Händen tragen, die nicht so eindeutig zuordenbar sind. Grundsätzlich ist dieser Ausdruck wohl der Klasse 3.2.3, genauer gesagt, den metaphorischen Idiomen zuzuordnen. Andererseits könnten beide Lesarten simultan realisiert werden, wenn zum Beispiel der Bräutigam die Braut über die Schwelle trägt und ihr gleichzeitig den Himmel auf Erden verspricht. Wie man sieht ist eine Klassifizierung der Phraseologismen nach den eben genannten Kriterien nicht immer einfach.

3.2.5 Gemischter Typ

Diese Gruppe beinhaltet die teil-idiomatischen Phraseologismen: aus vollem Halse lachen/singen, einen Streit vom Zaun brechen. Die wörtliche Komponente ist jeweils unterstrichen. Italienische Beispiele dazu sind: uscire con la testa rotta (da qcs), trovare il tono giusto (CASADEI 1996: 467).

Grundsätzlich zu erwähnen ist, dass die phraseologische Bedeutung eines Phraseologismus nie ganz auszuschalten ist. Wie Burger/Buhofer/Sialm (1982: 27) feststellen, ist ein zentraler Effekt der Phraseologismen ja eben, “dass man primär die phraseologische Bedeutung dekodiert, auch wenn eine wörtliche Bedeutung möglich wäre” (1982: 27). Sie meinen, wenn man im Ernst die wörtliche Bedeutung von z.B. gegen den Strom schwimmen (=andare contro corrente) ausdrücken will, sollte man eine andere Formulierung wählen. Natürlich ist hier hinzuzufügen, dass der Kontext oft nur eine Lesart zulässt, da er nur eine bestimmte Bedeutung aktualisiert. Ein Ausdruck wie jmdm einen Floh ins Ohr setzen (= mettere la pulce nell’orecchio) ist wahrscheinlich generell weniger verfänglich, da keine unmittelbar einsichtige Beziehung zwischen den beiden Bedeutungsebenen besteht.

3.3 Lesarten und Polysemie

Phraseologismen können ebenso wie Monolexeme polysem sein. In diesem Zusammenhang spricht Palm von primärer und sekundärer Metaphorisierung (1995. 53). Offensichtlich sind Phraseologismen mit zwei Lesarten grundsätzlich polysem, in der vorliegenden Arbeit wird jedoch ein Phraseologismus erst dann als “polysem” bezeichnet, wenn zu der ersten Metaphorisierung eine sekundäre Metaphorisierung hinzukommt:

ein Fass aufmachen

- Lesart 1: wörtliche Bedeutung
- Lesart 2: “feiern” (primäre M.)
- Lesart 3: “jmdm eine Szene machen” (sekundäre M.)

(PALM 1995: 53)

Natürlich gibt es (im Deutschen zumindest) auch Phraseme mit tertiärer Metaphorisierung wie z.B.:

trocken sein

- nüchtern, prosaisch sein
- einen lakonischen Humor haben
- keinen Alkohol mehr trinken
- nicht mehr in die Windeln machen

(PALM 1995: 59)

Die Bedeutungsbreite von Phrasemen kann bis zur Antonymie reichen:

passen wie die Faust aufs Auge

- Lesart 1: sehr gut passen
- Lesart 2: gar nicht passen

Dieser Ausdruck entspricht im Italienischen der Wendung essere come un pugno in un occhio (LEGHISSA 1971: 96). Allerdings scheint die italienische Wendung nur in der zweiten Lesart vorzukommen, konsultiert man DISC (11997: s.v.) (cosa sgradevole, sgraziata, di cattivo gusto), QUARTU (21993: s.v.) (qc di stonato) und ZARDO (92000: s.v.) (Quel mobile moderno nel tuo appartamento arredato all’antica è un pugno in un occhio). Sandra Radicchi hingegen verweist auf eine andere Bedeutung dieses Phraseologismus, die wiederum im Deutschen eine andere Realisierung hat:

Essere come un pugno nello stomaco, in un occhio = colpire improvvisamente e sgradevolmente.

È così gelosa della sua collega, che quando ha saputo della sua promozione, è stato un pugno nello stomaco per lei. (RADICCHI 1985: 151).

Die Verbalisierung nonverbalen Verhaltens steht hier im Vordergrund, da eine Aktion dargestellt wird. Der Schlag in den Bauch oder ins Auge symbolisiert in diesem Fall die starken Emotionen bzw. das große Ausmaß an Bestürztheit mit der die Person, von der die Rede ist, zu kämpfen hat. Antonymie kommt auch oft durch den Austausch von wenigen Komponenten zustande:

avere la testa a posto c essere assennato, responsabile (CASADEI 1996: 413) / vernünftig sein (LANGENSCHEIDT 1987: s.v.)

avere la testa sotto i piedi c essere poco assennato (CASADEI 1996: 413)

Negation ist allerdings kein Garant für hundertprozentige Antonymie:

non avere la testa a posto c essere confuso; essere matto (CASADEI: 450)/nicht ganz richtig im Kopf sein (LANGENSCHEIDT 1987: s.v.)

4 Klassifizierung der Phraseologismen

In der Phraseologie gibt es verschiedene Typen von Phraseologismen und auch gewisse Randgruppen wie z.B. die Kollokationen (lavarsi i denti) und Sprichwörter. Viele im Bereich der Phraseologie nicht kundigen Sprecher unterscheiden häufig nicht zwischen Redewendungen (far venire la pelle d’oca) und Sprichwörtern (l’apparenza inganna). Das nächste Kapitel soll nun die wichtigsten Typen dieser breiten Palette von Phraseologismen aufzeigen und Unterschiede hervorheben.

Eine Klassifizierung der Phraseologismen erweist sich jedoch als schwierig, da verschiedene Autoren verschiedene Kriterien und Termini verwenden. Man kann Phraseologismen nach ihrer Struktur, ihrer syntaktischen Funktion, ihrer Zeichenfunktion in der Kommunikation und nach semantischen Kriterien klassifizieren. Eine Kombination von verschiedenen Kriterien ist für eine umfassende Analyse natürlich am Sinnvollsten. Im Folgenden soll nun zuerst eine Gliederung des Gesamtbereichs der Phraseologie vorgenommen werden, wobei bestimmte kleine Klassen und für diese Arbeit nicht relevante Typen nur kurz angesprochen werden. Die Basisklassifikation wird grundsätzlich von Harald Burger (1998: 36 – 40) übernommen, der als erstes Kriterium die Zeichenfunktion der Phraseologismen in der Kommunikation heranzieht und in einer weiteren Untergliederung strukturelle, syntaktische und semantische Kriterien berücksichtigt.

4.1 Basisklassifikation

4.1.1 Referentielle Phraseologismen

Sie beziehen sich auf Objekte, Vorgänge oder Sachverhalte der Wirklichkeit, sei es der realen Welt oder fiktiver Welten. Die referentiellen Phraseologismen unterteilen sich in nominative und propositionale Phraseologismen nach dem semantischen Kriterium, ob sie Objekte und Vorgänge “bezeichnen” (luna di miele, rubare il cuore a qcn) oder ob sie als “Aussagen” über Objekte und Vorgänge fungieren (Ognuno è artefice della propria fortuna.). Für diese zwei Gruppen gilt gleichzeitig eine syntaktische Zweiteilung. Nominative Phraseologismen sind nämlich satzgliedwertig, d.h. sie entsprechen entweder einem oder mehreren Satzgliedern, propositionale Phraseologismen hingegen sind satzwertig, d.h. sie entsprechen einem ganzen Satz.

4.1.1.1 Nominative Phraseologismen

Innerhalb der ersten Gruppe schlägt Burger eine semantische Untergliederung nach dem Grad der Idiomatizität vor. Zu diesem Zweck verwendet Burger eine Dreiteilung mit den Begriffen: Idiom, Teil-Idiom und Kollokation.

Die Eigenschaften dieser drei Klassen wurden bereits im Kapitel über die Idiomatizität geklärt. Diese Klassifizierung unterscheidet sich insofern, dass der Begriff Kollokation für den ganzen Bereich der nicht- bzw. schwachidiomatischen Phraseologismen, die auch direkt motivierbare Phraseologismen genannt werden, gewählt wird. Der Terminus Kollokation nimmt vor allem in den Untersuchungen zur englischen Sprache eine zentrale Stellung ein. Wahrscheinlich deshalb, weil das Englische über einen enormen Wortschatz verfügt und es daher um so mehr präferierte Wortkombinationen gibt.

Der Terminus collocation bezeichnet die bevorzugte, gewohnheitsmäßige Kombination von Einzelwörtern in einer syntaktischen Einheit, ohne dass diese eine Benennungsfunktion auszuüben braucht. Voraussetzung dafür ist die semantische Verträglichkeit (Vereinbarkeit) von Wörtern, die auch als Kollokabilität bzw. Kompatibilität bezeichnet wird und eine Eigenschaft des Sprachsystems ist (GLÄSER 1986: 38).

Mit anderen Worten, die Kollokation bezieht sich darauf, dass innerhalb einer Sprachgemeinschaft bestimmte Kombinationen von Wörtern möglich, andere hingegen unüblich und nicht akzeptabel sind. Im Englischen sagt man zum Beispiel strong coffee, aber nicht * powerful coffee, * to commit a jubilee ist nicht korrekt im Gegensatz zu to commit an error (GLÄSER 1986: 39). Deutsche Kollokationen sind zum Beispiel sich die Zähne putzen oder den Tisch decken. Es ist nämlich nicht üblich zu sagen, * sich die Zähne reinigen/waschen, ohne dass dafür besondere semantische Gründe vorliegen würden. Diese Präferenz wird noch deutlicher, wenn man sieht, dass in anderen Sprachen andere Kombinationen üblich sind: z.B. lavarsi i denti im Italienischen und nicht wie Burger fälschlicherweise angibt * pulire i denti (BURGER 1998: 50). Einen besonders großen Teilbereich der Kollokationen bilden die sogenannten Funktionsverbgefüge. Dies sind Substantiv-Verb-Kollokationen, die aus einem Substantiv, das aus einem Verb nominalisiert wurde, und semantisch “ausgebleichten” Verben bestehen: z.B. zur Entscheidung kommen/bringen/stellen/stehen (BURGER 1998: 51). Im Italienischen werden die Funktionsverbgefüge locuzioni verbali genannt: dar avvio (= avviare), mettere in atto (= attuare) (SKYTTE 1988: 78 – 79).

4.1.1.2 Propositionale Phraseologismen

Die satzwertigen propositionalen Phraseologismen beinhalten feste Phrasen, Sprichwörter und Gemeinplätze. Feste Phrasen umfassen zwar einen ganzen Satz, sind aber durch ein verweisendes Element an den Kontext angeschlossen. Eine feste Phrase ist zum Beispiel questo è un altro paio di maniche (= das steht auf einem anderen Blatt, das sind zwei Paar Stiefel) (LEGHISSA/GRISHEIM 1971: 64). Feste Phrasen beziehen sich also auf das vorhergehende Gespräch bzw. auf das letzte Argument und sind somit in einen Kontext eingebunden. Sprichwörter und Gemeinplätze hingegen können alleine stehen. Sie sind “in sich geschlossene Sätze, die durch kein lexikalisches Element an den Kontext angeschlossen werden müssen” (BURGER 1998: 39). Palm (1995) stellt jedoch fest, dass Sprichwörter nur aufgrund ihrer Festgeprägtheit und Interpretierbarkeit zur Phraseologie gezählt werden. Zwei weitere Zitate sollen die Sprichwörter näher definieren und auch semantische Aspekte in die Betrachtung miteinbeziehen: “Sprichwörter sind allgemein bekannte, festgeprägte Sätze, die eine Lebensregel oder Weisheit in prägnanter, kurzer Form ausdrücken” (PILZ 1981: 16).

Il proverbio, una sentenza di origine popolare, che esprime un consiglio, un pensiero o un’esperienza, spesso in forma metaforica, con valore generico, rappresenta o esprime la mentalità, il senso umoristico, il senso ottimistico, il senso pessimistico del popolo, ed è un modo di esprimersi, purtroppo in regresso nella lingua moderna, soprattutto in quella scritta di tipo astratto (SKYTTE 1988: 80).

Skytte weist hier zusätzlich darauf hin, dass Sprichwörter auch die Mentalität, die geistige Haltung und den Humor einer Sprachgemeinschaft ausdrücken. Ein Sprachenvergleich könnte in diesem Bereich interessante Aufschlüsse über historische Ereignisse und kulturspezifische Eigenschaften geben. Es gibt aber auch Sprichwörter, die in vielen europäischen Sprachen bekannt sind wie zum Beispiel le disgrazie non vengono mai sole (ein Unglück kommt selten allein) und lontan dagli occhi, lontan dal cuore (aus den Augen, aus dem Sinn). Äußerste Vorsicht ist geboten, versucht man die Entsprechung eines bestimmten Sprichwortes in einer anderen Sprache zu finden. Skytte nennt z.B. l’abito non fa il monaco und Kleider machen Leute (SKYTTE 1988: 82). Diese beiden Sprichwörter weisen nicht nur Bedeutungsunterschiede auf, sondern man könnte fast behaupten, dass Kleider machen Leute das Gegenteil von l’abito non fa il monaco ausdrückt. Während letzteres meint, dass die äußere Erscheinung eines Menschen nicht die entsprechenden inneren Eigenschaften garantiert, heißt ersteres, dass Kleider wesentlich dazu beitragen, wie andere Menschen einen wahrnehmen und einschätzen. Eine passendere deutsche Entsprechung zu l’abito non fa il monaco wäre daher Der Schein trügt oder Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Varianten dieses Sprichwortes sind übrigens: non è tutt’oro quello che luce, l’apparenza inganna, la barba non fa il filosofo (PITTÀNO 1992: 15).

Gemeinplätze andererseits formulieren keine “neuen” Einsichten, sondern Selbstverständlichkeiten wie Was sein muss, muss sein oder Man lebt nur einmal (BURGER 1998: 39). Geflügelte Worte gehören eigentlich zu den speziellen Klassen. Entscheidend ist, dass sie auf eine bestimmte und allenfalls bestimmbare Quelle zurückgehen. Sie stammen z.B. aus der Literatur, Filmen, der Werbesprache: Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage (BURGER 1998: 45).

4.1.2 Strukturelle und kommunikative Phraseologismen

Diese beiden Typen sind für diese Arbeit am wenigsten relevant und werden daher nur kurz erklärt. Es besteht auch keine Gefahr, dass sie mit anderen phraseologischen Klassen verwechselt werden. Man würde sie im Volksmund auch nicht als “Redewendungen” bezeichnen. Strukturelle Phraseologismen haben nur die Funktion, (grammatische) Relationen herzustellen (sowohl – als auch, in Bezug auf). Im Italienischen nennt man sie locuzioni avverbiali, preposizionali und congiunzionali (di volta in volta, nonostante che, in modo da) (SKYTTE 1988: 79). Kommunikative Phraseologismen oder Routineformeln “haben bestimmte Aufgaben bei der Herstellung, Definition, dem Vollzug und der Beendigung kommunikativer Handlungen” (Guten Morgen, nicht wahr?, ich meine) (BURGER 1998: 36). Im Italienischen nennt man diesen Typ formule di comunicazione oder frasi idiomatiche pragmatiche (grazie altrettanto) (SKYTTE 1988: 80).

4.2 Spezielle Klassen

Laut Burger liegen diese Typen quer zur vorgeschlagenen Basisklassifikation und können in verschiedenen der oben genannten Klassen auftreten (1998: 42 - 48). Im Rahmen dieses Kapitels sollen Zwillingsformeln (oder Paarformeln) und komparative Phraseologismen kurz angesprochen werden. Die Kinegramme werden jedoch genauer betrachtet, da deren Analyse einen Großteil dieser Arbeit ausmacht.

[...]

Ende der Leseprobe aus 130 Seiten

Details

Titel
Somatismen mit dem Körperteil "Hand" im Italienischen und im Deutschen - Ein grammatisch-semantischer Vergleich
Hochschule
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck  (FB Romanistik)
Note
Sehr Gut
Autor
Jahr
2005
Seiten
130
Katalognummer
V39625
ISBN (eBook)
9783638383479
ISBN (Buch)
9783638713955
Dateigröße
1532 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Es geht um die grammatische und semantische Anlayse italienischer Phraseologismen, im Volksmund auch Redewendungen genannt, und deren Entsprechungen im Deutschen. Dabei werden vor allem Phraseologismen mit Körperteilen untersucht (= Somatismen) im speziellen jene mit dem Körperteil "Hand" bzw. "mano".
Schlagworte
Somatismen, Körperteil, Hand, Italienischen, Deutschen, Vergleich, Redewendungen, mano
Arbeit zitieren
Cornelia Gitterle (Autor:in), 2005, Somatismen mit dem Körperteil "Hand" im Italienischen und im Deutschen - Ein grammatisch-semantischer Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39625

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