Wolfram v. Eschenbach, "Parzival" - Buch II: Gahmuret - Die Bedeutung der Vorgeschichte


Seminararbeit, 1995

16 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

I.) Einleitung: Kontroverse Urteile über die Gahmuret-Geschichte

II.) Gahmurets Ritterschaft in Buch
1.) Einzug in Kanvoleis und Teilnahme am Turnier
2.) Gahmuret im Rechtskonflikt zwischen drei Frauen
3.) Die Lösung dieses Konflikts

III.) Die Vollendung von Gahmurets Ritterschaft in seinem Tod

IV.) Die Bedeutung der Vorgeschichte für die Parzival-Geschichte
1.) Herzeloyde als kompositorische Schlüsselfigur
2.) Feirefiz als Klammer zwischen Anfang und Abschluß des "Parzival"
3.) Die Parzival-Geschichte als Fortsetzung und Steigerung

V.) Schluß: Zusammenfassende Würdigung der Bücher I und II

1.) Einleitung: Kontroverse Urteile über die Gahmuret-Geschichte

Über die Rolle, die die in den Büchern I und II entwickelte Vorgeschichte von Gahmuret, dem Vater des "Haupthelden", für Wolframs "Parzival" als Ganzes spielt, wurden in der mediävistischen Forschung schon die verschiedensten Beurteilungen laut. "Das eine Mal waren die beiden ersten Bücher die reifste Schöpfung des Meisters (Simrock), das andere Mal dagegen ein Werk seiner schon erlahmenden Schaffenskraft (Grimm). Einmal waren sie eine "neue Dichtung", die Wolfram seinem schon längst vollendeten Hauptwerk als eine "wünschenswerte Ergänzung" voranstellte (Schreiber), ein andermal einer der wesentlichsten Grundpfeiler in der kühnen Architektonik des Gesamtwerks (in anderen Worten Nolte). Und einer der kritischen Betrachter urteilte schließlich sogar, [...] daß die Schwelle des Gedichtes ein Gewühl uninteressanter Dinge und Personen versperre, durch die man sich mühsam hindurchdrängen müsse (Hertz in seiner Übersetzung S. 449)."[1]

Ich möchte in dieser Arbeit auf der Grundlage einer Analyse von Buch II auf den Zusammenhang von Gahmuret- und Parzival-Geschichte eingehen. Bei meinen Ausführungen stütze ich mich v.a. auf den Aufsatz von Christa Ortmann, die eine der wenigen umfassenden inhaltlichen Betrachtungen der Vorgeschichte in Hinblick auf das Gesamtwerk unternommen hat und dabei eine sehr interessante (wenn auch teilweise etwas weitgehende und gewagte) Interpretation liefert.

II .) Gahmurets Ritterschaft in Buch II

1.) Einzug in Kanvoleis und Teilnahme am Turnier

Bei seinem Erscheinen in Kanvoleis erregt Gahmuret durch den orientalischen Prunk, mit dem er sich umgibt, sofort allgemeines Aufsehen. "Der Aufzug Gahmurets ist seltsam genug. Er vollzieht sich in Formen, wie sie heute ein Zirkus einzuhalten pflegt, wenn er in eine Stadt kommt, die er zu seinen Vorführungen locken möchte."[2] Dementsprechend bildet Gahmuret als "rîcher künec von Zazmaanc" (Pz. 62, 17) den Mittelpunkt des Geschehens. Seine märchenhaft-prachtvolle Ausstattung symbolisiert also noch das erste Stadium seiner Ritterschaft, die Verbindung mit der morgenländischen Königin Belacane. Bei dem Kampf, der hier in Buch II ausgetragen werden soll, handelt es sich im Gegensatz zum strît des ersten Buches um ein ritterliches Turnier, für dessen Sieger ein lôn ausgesetzt ist (nämlich die Verbindung mit der Königin Herzeloyde und die Herrschaft über ihre Lande).

Green stellt, u.a. ausgehend von diesem Turnier, interessante Beobachtungen zum Rittertum Gahmurets an. Neben den edlen Rittern, die vor Kanvoleis um die Hand der Herzeloyde kämpfen, befinden sich nämlich dort auch noch (ver)arm(t)e Ritter, die aus weniger idealistischen Motiven in den Kampf ziehen (Pz. 70, 7-12):

Ez wart dâ harte guot getân

von manegem küenem armman,

die doch der hoehe gerten niht,

des der küngîn zil vergiht,

ir lîbes unde ir lande:

si gerten anderre pfande.

Für diese armen Ritter ist die Teilnahme am Turnier "berufsmäßige[r] Broterwerb"[3]. "Materielle Rücksichten beherrschen diese Nebenfiguren, dem Helden [sc. Gahmuret] dienen sie nur als Ansporn zu Höherem." (ibid., S.67) Green warnt vor einer einseitigen Verklärung von Gahmurets Ritterschaft. So spielt bei Gahmurets Entscheidung zum Auszug zu ritterlichen Abenteuern auch der lehnsrechtliche Brauch der Primogenitur eine Rolle, der ihn nach dem Tod seines Vaters leer ausgehen ließ. Auch dem bâruc dient er "umbe guot" (Pz. 17, 11), nicht nur um der Ehre willen, die ihm dieser mächtigste Herrscher der Welt verschaffen kann. "Das macht noch lange nicht die ganze Geschichte aus, aber das bloße Vorhandensein solcher materiellen Einzelheiten sollte uns als Warnung vor jeder einseitigen Idealisierung von Gahmurets Ritterlichkeit dienen." (S.65) Der Held der Vorgeschichte steht also nicht außerhalb der sozial-wirtschaftlichen Realität, aber sie bestimmt ihn nicht. Deutlich wird das v.a. an seine Liebeserlebnissen. "In Gahmurets Liebesleben spielen jene materiellen Erwägungen keine Rolle, die aus der Liebe in der ritterlichen Wirklichkeit etwas ganz anderes machten als die erdichtete Idealisierung der Liebe, die die höfische Literatur anstrebt." (S.74) Zusammengefaßt: "Der sozial-wirtschaftlichen Wirklichkeit bleiben die meisten Ritter verhaftet, aber auf den Helden wirkt sie sich als Anreiz aus, der ihm die Möglichkeit verschafft, sie zu übersteigen. Dem Ritter, dem es gelingt, diesen Bereich der Notwendigkeit hinter sich zu lassen, wird gleichzeitig der Eintritt in den Bereich der Freiheit gewährt, wo er das Abenteuer als den passenden Ausdruck der eigenen Seelenhaltung suchen darf." (S.69) Einen solchen Ritter haben wir also in Parzivals Vater vor uns.

Nach diesem kleinen Exkurs zurück zum Kanvoleiser Turnier.

Gahmuret fügt sich den Turnierregeln nicht: er schließt einen Bund mit Kaylet, tritt erst spät in den (Vor-)Kampf ein und kämpft v.a. nicht um Herzeloyde. Er steht zwischen drei Frauen: zwischen Belacane, symbolisch gegenwärtig durch seine Rüstung, seinen von ihr erhaltenen Prunk, Ampflise, der französischen Königin, die ihn um Minnedienst umwirbt, und eben Herzeloyde, die sich selbst als Preis für das Turnier ausgesetzt hat, an dem er teilnimmt. Wofür Gahmuret eigentlich kämpft, wird erst entschieden, als der Bote Ampflises ihm ihren Minnebrief überbringt, auf den dieser dann eingeht (Pz. 78, 17-19):

aldâ wart von Gahmurete

geleistet Ampflîsen bete

daz er ir ritter waere.

Der Kampf wird nun immer heftiger, bis er für Gahmuret mit der Nachricht vom Tod seines Bruders zu Ende geht (wie Gahmuret gerade eben, kämpfte der Bruder in einer tjoste als Minnedienst). In dem Vorkampf haben sich nun alle Recken so verausgabt, daß beschlossen wird, das eigentliche Turnier gar nicht mehr abzuhalten. Als Ergebnis stellt die Veranstalterin fest (Pz. 82, 3-4):

doch waene et Gahmuretes tât

den hoesten pris dâ erworben hât.

"Damit ist eine Konfliktsituation eröffnet, in der drei Rechtsansprüche miteinander konkurrieren."[4]

2.) Gahmuret im Rechtskonflikt zwischen drei Frauen

Es prallen aufeinander:

(a) das reht der Ehe, das reht Belacanes also, der ersten Phase der Ritterschaft, dem aber die heilsgeschichtliche Vorläufigkeit der Verbindung mit einer Heidin entgegengehalten werden kann;
(b) das reht des Minnedienstes, Ampflises reht (Gahmuret hat ihren Minnebrief angenommen und für sie gekämpft) und
(c) das reht des Turniers, das für Herzeloyde spricht: Gahmuret hat am Turnier teilgenommen und dabei den hoesten prîs errungen, eben Herzeloyde, den er jetzt auch annehmen muß.

Die Erfüllung höfischer formaler Regeln wie (c) ist entscheidend für das Konzept von Ritterschaft im zweiten Buch, für das zweite Stadium von Gahmurets Ritterweg. Die objektive Gültigkeit dieses Prinzips wird im folgenden bewiesen durch schrittweisen "Abbau der Gegenargumente" (ibid.).

[...]


[1] Cucuel, S.47

[2] Panzer, S.27

[3] Green, S.65

[4] Ortmann, S.684

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Wolfram v. Eschenbach, "Parzival" - Buch II: Gahmuret - Die Bedeutung der Vorgeschichte
Hochschule
Universität Regensburg
Veranstaltung
Proseminar
Note
sehr gut
Autor
Jahr
1995
Seiten
16
Katalognummer
V39752
ISBN (eBook)
9783638384438
ISBN (Buch)
9783656447528
Dateigröße
523 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wolfram, Eschenbach, Parzival, Gahmuret, Wolfram von Eschenbach;, Herezloyde, Feirefiz, Herzeloyde, Belacane, Vorgeschichte
Arbeit zitieren
Thomas Keith (Autor:in), 1995, Wolfram v. Eschenbach, "Parzival" - Buch II: Gahmuret - Die Bedeutung der Vorgeschichte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39752

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