Die Kanonikerreform des 11. und 12. Jahrhunderts und das Regularkanonikerstift Frankenthal


Hausarbeit, 2005

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Das Kanonikerwesen in der allgemeinen Kirchenreform des 11. und 12 Jahrhunderts
2.1 Der ordo canonicus: Entstehung und Entwicklung
2.2 Reformbewegung und Spaltung im 11. und 12. Jahrhundert
2.2.1 Das Bedürfnis nach Erneuerung: Ursachen und Umsetzung
2.2.2 Die Augustinusregel: Praeceptum und Ordo monasterii

3. Das Regularkanonikerstift Frankenthal
3.1 Der Stiftsgründer Eckenbert
3.2 Die Gründungsurkunde Bischof Burchards II. von Worms aus dem Jahre
3.3 Das Reformprogramm unter dem Einfluss des Mutterstifts Springiersbach

4. Abschluss

Quellen- und Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

Das 11. und 12. Jahrhundert ist von umfassenden Veränderungen sowohl im kirchlichen als auch im säkularen Bereich gekennzeichnet. Als besonders prägend ist in diesem Zusammenhang der Investiturstreit zu nennen, der 1122 mit den Bestimmungen des Wormser Konkordats sein Ende fand. In einer Kompromisslösung wurde dabei eine konsequente Unterscheidung zwischen geistlichem und weltlichem Kompetenzbereich vorgenommen, die letztlich einen Meilenstein in der Entwicklung zum säkularen Staat setzte.[1]

Die allgemeine Aufbruchstimmung machte sich auch im kirchlich-religiösen Bereich bemerkbar. Neue Kloster- und Stiftsgründungen, Reformierung schon bestehender Klöster und Stifte sowie die Bildung neuer Orden, von denen unter den bedeutendsten vor allem der Prämonstratenser- und der Zisterzienser-Orden zu nennen sind, zeugen von dem Bestreben, eine von Verweltlichung bedrohte Kirche von Grund auf zu erneuern.

Besondere Beachtung unter den religiösen Reformbewegungen verdient die Kanonikerreform. Schon allein die Tatsache, dass sie großen Anklang bei Papsttum und Kurie fand (Honorius II., Innozenz II., Lucius II., Hadria IV. und Gregor VIII. waren so genannte Augustinerpäpste) und sich innerhalb kürzester Zeit in ganz Europa verbreitete, machen die große Bedeutung der kanonikalen Reformbewegung deutlich.

Worin die Anliegen der Reform lagen, woraus sie sich entwickelten und wie sie umgesetzt wurden, soll in der vorliegende Arbeit eingehender untersucht werden. Auf dem Hintergrund der Kanonikerreform wird weiterhin die Gründung des Regularkanonikerstiftes in Frankenthal, das der Diözese Worms zugeordnet war, dargestellt. Anhand einer Interpretation der Vita sancti Eckenberti, die Auskunft über die Person des Stiftsgründers gibt, und der Gründungsurkunde von 1125 sollen schließlich Reformansätze und Organisationsformen des Stifts aufgezeigt und in den Kontext der Kanonikerreform im Allgemeinen eingebunden werden.

2. Das Kanonikerwesen und seine Reformierung im 11. und 12. Jahrhundert

2.1 Der ordo canonicus: Entstehung und Entwicklung

Die Vorstellung, dass die vita communis der besten und erstrebenswertesten Form eines gottwohlgefälligen Lebens entspreche, entstammt dem Idealbild, das man sich von der Lebensweise der ersten Christen machte. Von ihnen heißt es: „Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam“ (Apg. 4,32). Diesem Ideal entsprechend lebten vor allem monastische Geistliche, indem sie sich zu Klostergemeinschaften verbanden, sich gewissen Regeln unterwarfen und, ganz nach dem Vorbild der Urgemeinde, bewusst auf Privatbesitz verzichteten. Doch auch im weltlichen Klerus machte sich schon relativ früh das Verlangen nach einem Leben in der Gemeinschaft, der vita communis, bemerkbar. Im 4. Jahrhundert gründete Eusebius von Vercelli (um 283-371) wohl als erster eine Klostergemeinschaft für seinen Stadtklerus und schuf damit die Grundlagen für die Entstehung des Instituts der Chorherren oder Kanoniker, „jener Kleriker also, die Mitglieder eines an Dom-, Stifts- oder anderen Kirchen bestehenden Kapitels sind, gemeinsam den Gottesdienst feiern und nach einer bestimmten Regel leben (capitulum canonicum, canonicorum oder cathedrale).[2] Eine bedeutende Rolle spielt diesbezüglich vor allem der Kirchenvater Augustinus, der als Bischof von Hippo Regius in Nordafrika gemeinsam mit seinen Klerikern gemäß seiner eigenen Überzeugung die vita communis, die jeglichen Privatbesitz ausschließt, lebte und dazu entsprechende Leitsätze aufstellte, die später zur so genannten Augustinusregel[3] zusammengefasst wurden und über Jahrhunderte hinweg viele geistliche Gemeinschaften unterschiedlicher Art maßgeblich beeinflussten.[4]

Der Terminus canonicus ist erstmals für das Jahr 535 im Frankenreich belegt. Darunter sind hier solche Kleriker zu zählen, die in Gemeinschaft mit anderen canonici lebten und deren vorrangige Aufgabe u. a. die Mitwirkung an der gemeinsamen Liturgie unter Leitung eines Bischofs oder Archipresbyters und die Durchführung des Stundengebets war. Sie wurden aus dem vom Bischof verwalteten Kirchenvermögen unterhalten, woraus man leicht die begriffliche Wurzel canon („die Liste der versorgungsberechtigten bischöflichen Kleriker“) herleiten kann.[5] Zum ersten Mal taucht der Begriff ordo canonicus zum Zwecke der Unterscheidung von der Regula S. Benedicti im 6. und 7. Jahrhundert auf und kann hier bereits als durchaus allgemein erstrebenswerte Form kirchlichen Lebens gewertet werden.[6]

Die Abgrenzung zwischen dem ordo canonicus und dem ordo monasticus erwies sich auf Grund beiderseitiger Angleichung und Vermischung der einzelnen Regeln jedoch bis ins 8. Jahrhundert hinein als zunehmend schwierig, so dass sich allmählich die Notwendigkeit der Erstellung einer spezifischen Kanoniker-Regel ergab, was auf die Initiative Kaiser Ludwig des Frommen hin 816 auf der Aachener Synode in der Institutio canonicorum Aquisgranensis seinen Niederschlag fand. Hier wurde der gesamte Klerus, der nicht dem ordo monasticus angehörte, einer für alle gültigen Norm in Liturgie und Lebensführung unterworfen. Speziell wurde festgelegt, dass fortan die Seelsorge vorrangig dem Weltklerus, also den Kanonikern, oblag, während sich der ordo monasticus im Gegensatz dazu ganz von der Welt abgesondert dem Klosterleben widmen sollte[7]. Im Hinblick auf die besonderen Aufgaben, die die Kanoniker als Gehilfen des Bischofs zu erfüllen hatten, war es ihnen erlaubt, persönliches Eigentum zu besitzen, außerdem wurden ihnen Kleidung aus Linnen sowie Fleischverzehr gestattet.[8] Trotzdem waren sie ausdrücklich der vita communis verpflichtet, und es galt auch für sie, dem Ideal eines mönchischen Lebens und der Armut zu entsprechen.[9]

Die Aachener Institutio canonicorum war das erste Regelwerk, das sich ausschließlich auf das Kanonikerwesen bezog, und mit ihrer Hilfe gelang auch eine weitgehende Vereinheitlichung der Ordnung in den einzelnen Stiftskirchen. Im 10. und zu Beginn des 11. Jahrhunderts ist eine Wiederbelebung des Lebens im Sinne der vita communis festzustellen, die eine Vielzahl von deutschen Stiften erfasste, in denen verstärkt eine den Satzungen der Aachener Statuten entsprechende Lebensführung angestrebt wurde. In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts machte sich dagegen in einigen Kanonikerstiften wiederum ein Verfall der vita communis bemerkbar, gleichzeitig zeichnete sich jedoch in dieser Zeit bereits der Beginn einer tief greifenden Reform ab, die das Kanonikerwesen über eine lange Zeit hinweg nachhaltig beeinflussen sollte.[10]

2.2 Reformbewegung und Spaltung im 11. und 12. Jahrhundert

2.2.1 Das Bedürfnis nach Erneuerung: Ursachen und Umsetzung

Die Kirchenreform des 11. und 12. Jahrhunderts war u. a. das Ergebnis einer „neuen Sehnsucht nach tieferer Verchristlichung, nach Lösung von der vergänglichen Welt und Ausrichtung des Lebens auf das himmlische Ziel.“, so Heim.[11] Man sah einen Widerspruch zwischen „der historischen Wirklichkeit der frühmittelalterlichen ‚église au pouvoir des laïques’ und den (vermeintlichen oder tatsächlichen) Normen der Urkirche.“[12]

In diesem Sinne wurden auch die Aachener Statuten Gegenstand der allgemeinen Kritik. Durch sie war der Klerus, weil ihm persönlicher Besitz erlaubt war, nach Ansicht vieler immer mehr vom Ideal der Urkirche abgewichen und einer zunehmenden Verweltlichung anheim gefallen. Es galt nun, wieder zu den Grundsätzen der apostolischen Kirche zurückzukehren.[13] Neben der oben erwähnten Bibelstelle in der Apostelgeschichte berief man sich dabei auf das Wort Jesu in den Evangelien, wo er zur Nachfolge in der persönlichen Besitzlosigkeit auffordert[14] sowie auf Aussagen des Apostels Paulus, der beispielsweise im Timotheusbrief die Geldgier als „die Wurzel allen Übels“[15] bezeichnet. Das Leben eines Kanonikers sollte also nicht mehr auf die Beachtung der vita communis beschränkt bleiben, sondern sich auf ein grundlegend neues Verständnis gründen, das das Leben der Urchristen zum Vorbild hatte.[16]

Von Kardinal Hildebrand, dem Archidiakon der römischen Kirche und späteren Papst Gregor VII, wurde 1059 die Lateransynode angeregt, in der einzelne Bestimmungen der Aachener Statuten verurteilt und verworfen sowie neue, schärfere Anforderungen an die Kanoniker gestellt wurden:

Die Geistlichen sollten bei den Kirchen, für die sie bestimmt sind, wie es frommen Klerikern geziemt, gemeinsam speisen, gemeinsam schlafen und alle Einkünfte gemeinsam haben sowie nach

Kräften bestrebt sein, zu der apostolischen, das heißt der gemeinsamen Lebensweise zu gelangen.[17]

Die Einhaltung der Vorschriften - geregelter Tagesablauf, Stundengebet, Handarbeit, Fasten- und Schweigegebot - sollten streng überwacht und bei Übertritt entsprechend gemaßregelt werden. Papst Gregor VII. wird es zugeschrieben, später selbst eine Regularkanoniker-Regel geschrieben zu haben.[18]

Trotz einiger Schwierigkeiten in Folge des Investiturstreites, der die Konzentration und Einsatzkraft des Papsttums größtenteils für sich beanspruchte und damit die päpstliche Förderung sowie Organisation einer umfassenden Umsetzung der Reformvorstellungen weitgehend behinderte, bildeten sich, in Deutschland größtenteils auf bischöfliche Initiative hin,[19] schon relativ früh reformierte Kanonikerstifte, deren Grundsätze rasche Verbreitung fanden.[20] Zum ersten und bedeutendsten Reformzentrum im deutschen Raum wurde das 1073 von Bischof Altmann von Passau gegründete Reformstift Rottenbuch bei Weilheim in Oberbayern, das vom 1039 gegründeten südfranzösischen Reformzentrum St. Ruf bei Avignon nachhaltig beeinflusst wurde[21] und stark eremitische Züge aufwies.[22] Es folgten weitere Reformstifte, die alle zu Zentren eigener Reformkreise wurden.[23] Dazu gehörten Marbach (1089) mit einem Reformkreis von 30 Stiften, Springiersbach (1107) mit 11 Stiften, Hamersleben (1107/1109) mit 14 Stiften und Salzburg (1121) mit 29 Stiften. So erfuhr die Reformbewegung eine rasche und erfolgreiche Verbreitung; um die Mitte des 12. Jahrhunderts sind bereits über 150 Reformstifte der Kanoniker nachweisbar.[24]

Eine „Welle der Reformbegeisterung“ hatte die Kanoniker erfasst. Nach ihrem neuen Selbstverständnis galt es „nach mönchischem Vorbild gemeinsam zu leben und dabei, wie die Apostel, den Auftrag des Herrn durch das Wort der Predigt zu erfüllen.“[25] Obwohl sie als miletes Christi seelsorgerliche Aufgaben zu erfüllen hatten und damit im Unterschied zu den Mönchen immer wieder mit weltlichen Angelegenheiten konfrontiert wurden,[26] nahm ihre Lebensweise deutlich mönchische Züge an. Wie schon einige Jahrhunderte vorher entstand das Problem einer Überschneidung zwischen der vita monasticus und der vita canonicus, und es bestand wieder die Notwendigkeit einer definitiven Differenzierung.[27] Zur Lösung dieses Problems trug 1092 der Reformpapst Urban II. (1088-1099) mit seinem Rottenbuch-Privileg entscheidend bei.[28]

[...]


[1] Struve, Sp. 479 ff.

[2] Heim, Chorherren (Kanoniker), S. 132.

[3] Hümpfner, Sp. 1104 ff.

[4] Heim, Chorherren-Reformen, S. 22.

[5] Schieffer, Sp. 903 f.

[6] Hertling, S. 346.

[7] Lorenz, S. 22.

[8] Institutio canonicorum Aquisgranensis, hg. von Albert Werminghoff, in: MGH, Concilia 2, Teil 1, Hannover/Leipzig 1906, S. 397, c.CXV.

[9] Schieffer, Sp. 903 f.

[10] Weinfurter, Salzburger Bistumsreform und Bischofspolitik, S. 4 f.

[11] Heim, Chorherren-Reformen, S. 27.

[12] Laudage, Ad exemplar primitivae ecclesiae, S. 47.

[13] Ebd., Gregorianische Reform und Investiturstreit, S. 125.

[14] Mt. 19,21: „Willst du vollkommen sein, so geh hin, verkaufe, was du hast, und gib es den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben, dann komm und folge mir nach.“

[15] 1.Tim. 6,10: „Denn Geldgier ist eine Wurzel allen Übels; danach hat einige gelüstet, und sie sind vom Glauben abgeirrt und machen sich selbst viel Schmerzen.“

[16] Weinfurter, Salzburger Bistumsreform und Bischofspolitik, S. 5. Neben den Bibeltexten spielte auch die Augustinusregel eine große Rolle. Ihren besonderen Stellenwert in der Regularkanonikerreform bekam sie jedoch erst Anfang des 12. Jahrhunderts. Dazu siehe Kapitel 2.2.2 sowie Weinfurter, Salzburger Bistumsreform und Bischofspolitik, S. 235 ff.

[17] Heim, Chorherren-Reformen, S. 30.

[18] Weinfurter, Salzburger Bistumsreform und Bischofspolitik, S. 6.

[19] Weinfurter, Neuere Forschung zu den Regularkanonikern, S. 391.

[20] Laudage, Ad exemplar primitivae ecclesiae, S. 60 ff.

[21] Semmler, S. 103.

[22] Weinfurter, Salzburger Bistumsreform und Bischofspolitik, S. 5.

[23] Lorenz, S. 25.

[24] Weinfurter, Neuere Forschung zu den Regularkanonikern, S. 389.

[25] Heim, S. 33.

[26] Zotz, S. 314.

[27] Weinfurter, Salzburger Bistumsreform und Bischofspolitik, S. 7.

[28] Fuhrmann, S. 3 f.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Die Kanonikerreform des 11. und 12. Jahrhunderts und das Regularkanonikerstift Frankenthal
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Philosophische Fakultät/Historisches Seminar)
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
24
Katalognummer
V39962
ISBN (eBook)
9783638386005
ISBN (Buch)
9783638655248
Dateigröße
581 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kanonikerreform, Jahrhunderts, Regularkanonikerstift, Frankenthal
Arbeit zitieren
Ella Plett (Autor:in), 2005, Die Kanonikerreform des 11. und 12. Jahrhunderts und das Regularkanonikerstift Frankenthal, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39962

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