Max Frischs Amerika-Erfahrung als Ferment seines Erzählens


Thesis (M.A.), 1992

113 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Vorbetrachtung

2. Einleitung
2.1 Amerika in der deutschsprachigen Literatur
2.2 Frischs Umsetzung seiner Amerika-Erlebnisse
2.3 Erkenntnis durch Distanz
2.4 Ambivalenz gegenüber Amerika

3. Amerika-Erfahrung als Auslöser einer Roman-Trilogie
3.1 Existenzielle Not als Schreibimpuls
3.2 Schreiben aus Angst (Amerika als Dämon?)
3.3 Zwei Romantrilogien l
3.4 Erlebnis der Fremde führt in Romantrilogie
3.5 Inhaltliche Verknüpfung
3.6 Veränderte Rollenproblematik nach USA-Aufenthalt

4. Stiller – ein Roman mit amerikanischen Wurzeln
4.1 Stillers neues Wunsch-Leben als Mr. White
4.2 Gefangener von Bildnissen
4.3 Amerika als Kontrast und Impuls
4.4 Faszination für Farbige
4.5 Mexiko als verlorenes Paradies
4.6 Mittelamerika: Euphorie und Ekel
4.7 New York als Raum zur Selbstfindung
4.8 Ein Schweizer in New York
4.9 Leben im Zeitalter der Reproduktion
4.10 Amerika als fiktionaler Erzählhintergrund
4.11 Amerikaner in der Schweiz

5. Faber – Frischs Amerika-Roman
5.1 Distanz als Produktivkraft
5.2 Prototyp des amerikanischen Menschen
5.3 Amerika-Erfahrung als Folie
5.4 Altern - ein amerikanisches Tabu
5.5 Amerika mit anderen Augen gesehen
5.6 Technik versus Mythos
5.7 Sabeth als Ideal
5.8 Abkehr vom amerikanischen Leben
5.9 Sprache als Ausdruck eines Lebensgefühls
5.10 Abkehr vom amerikanischen Way Of Life
5.10 Amerika als Matrix für Gesellschaftskritik
5.12 Intellekt versus Emotion

6. Gantenbein – ein Roman der unbegrenzten Möglichkeiten
6.1 Fabulieren in Fiktionen
6.2 Amerikanisch geprägte Motive
6.3 Denkmögliches als Wirklichkeitserfahrung
6.4 Theater-Theorie in Romanform
6.5 Mut zum Konjunktivischen
6.6 Zeit als Grenze des Möglichen
6.7 Altern und Tod
6.8 Erfahrung schreibt Geschichte
6.9 Eifersucht tötet Leben und Liebe
6.10 Befreiung von Rollenhaftigkeit

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis

1. Vorbetrachtung

Max Frisch[1] bezog 1981 eine Wohnung in New York. Die Faszination für diese Stadt hatte ihn seit seinem erste Besuch 1951 nicht mehr losgelassen. Obwohl es ihn in alle möglichen Winkel der Welt hinausgezogen hatte, prägte und fesselte keine andere Umgebung diesen „Dichter des Fernwehs“[2] nachhaltiger als Amerika. Frischs Auseinandersetzung mit diesem Kontinent bedeutet den Höhepunkt in seinem Schaffen. Aus der Phase dieser Reflexionen stammen seine drei bekanntesten und erfolgreichsten Romane.

Viele Frisch-Forscher sehen nur seine Beschäftigung mit individual-existenziellen Fragen, nennen ihn einen „Psychologen und Philosophen“[3], einen „weisen Skeptiker.“[4] Andere bezeichnen ihn als einen „Moralist[en], ein[en] scharf analytisch denkende[n]“[5], und einen Rationalisten, weil er an das Denken appelliere, um Vorurteile und Ideologien für eine Verbesserung der Gesellschaft abzubauen[6]. Andere erkennen treffender, dass „sein dichterisches Werk [ . . . ] Zeugnis eines hellen künstlerischen Bewusstseins [ist], das weder ein moralisches und zeitkritisches Engagement, noch die artistisch saubere Handhabung bewährter literarischer Formelemente scheut“[7]

Dieses Bedürfnis nach Einordnung eines Autors ist verständlich, doch bei Max Frisch ausgesprochen schwierig. Sein Werk ist zu homogen, als dass es sich auf eine Formel reduzieren ließe. Denn im Zentrum seines Schaffens steht er selbst. Es selbst und seine Erfahrungen als Mensch, als Mann und Zeitgenosse spiegeln sich immer und überall wieder, ob in Prosa oder Reden oder Zeitungsfeuilletons. Es geht um ein Verarbeiten, Aufarbeiten und Abarbeiten seiner Erfahrungen.

Daher kommt Frischs Amerika-Reisen eine immense Bedeutung zu. Denn wie zu zeigen sein wird, bieten sie ihm Erzählstoff, der sich in den drei Romanen Stiller, Homo faber und Mein Name sei Gantenbein entlädt, die daher als Roman-Trilogie verstanden werden können. Es ist sogar anzunehmen, dass seine Amerika-Erlebnisse überhaupt erst Auslöser seines Roman-Erzählens waren, die wie ein Brennglas längst angelegte Themen bündeln. Also gilt es herauszufinden, welchen Einfluss diese Amerika-Erfahrungen auf seine literarische Produktion hatten und inwieweit sie verantwortlich für die drei Romane sind, die zwischen 1954 und1964 entstanden.

Die Arbeit verfährt mehrgleisig. Während ein Beweis der Trilogie geführt wird (Querverweise sind bei den Einzelanalysen der drei Romane beabsichtigt), soll es auch darum gehen, Parallelen zu früheren Arbeiten aufzuzeigen und historische Zusammenhänge darzustellen, um die Bedeutung Amerikas für Frisch deutlich werden zu lassen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, was er eigentlich nach seinen Amerika-Erlebnissen erzählte, welche Fragen diese Reise-Erfahrungen für ihn aufwarfen. Und was veränderte sich in Frischs Werk im Gegensatz zu früheren Themen, deren Vorläuferfunktion für die drei späteren Romane gezeigt werden muss.

Dabei richtet sich das Augenmerk auch auf persönliche Aussagen Frischs und einige biographische Daten. Denn in der Art und Weise, wie Frisch der Neuen Welt begegnete, unterschied er sich von seine Zeitgenossen. Das mag an einer Grundhaltung Frischs liegen. Peter Bichsel schrieb einmal treffend über Frisch, den er als trotzig, beharrlich und in seiner Kritik ungemütlich empfand: „Frisch nimmt die Welt persönlich.“[8] Wer die Welt persönlich nimmt, ist von ihr betroffen. Frisch nahm Amerika persönlich und war vom diesem Land betroffen. Aber er bemühte sich um vorurteilsfreie Sicht der Dinge, die auf ihn einströmten. Frisch nannten seinen (nie partei-)politischen Standort einmal einen „sozialistischen Humanismus“[9] und bekannte sich zu einem „demokratischen Sozialismus.“[10]

Nachdem Frisch in den drei Romanen seine großen Themen zusammengefasst hatte, folgten nur noch weitere Kleine Prosaschriften, Reden und Vorträge, Erzählungen. In Interviews, Zeitungsartikeln und Vorträgen bezog Frisch dann zu unzähligen Themen von Asylantenproblematik über Emanzipation und Tschernobyl bis hin zu Waldsterben kritisch Stellung. Zu einem Romanwerk gelangte er nicht mehr. Warum? War Amerika das Ferment seines Roman-Erzählens? Hatte er nach Umsetzung seiner Amerika-Eindrücke sämtliche Energien für die Romanform erschöpft? Was sind die Themen, die es ihn nach seinen Amerika-Erlebnissen zu erzählen drängt?

Antworten auf diese Fragen sollen anhand von poetologischen und programmatischen Äußerungen Frischs in Aufsätzen und Reden gesucht werden. Als Materialgrundlage dienen außerdem Werkzitate und das Tagebuch 1946-1949 sowie das Tagebuch 1969-1971.[11]

2. Einleitung

Ein Amerika-Bild im Werk Max Frischs ist durch die Forschung erst ansatzweise nachgezeichnet worden. Doch Wilfried Malsch formuliert Anfang der siebziger Jahre, und einige Autoren schließen sich ihm an: „Max Frischs Romane, Tagebücher und Stellungnahmen enthalten die bisher wohl komplexeste Amerikaerfahrung eines zeitgenössischen Schriftstellers in deutscher Sprache.“[12][13] Einige Rezipienten beschäftigen sich mit Frischs Amerika-Perspektiven, sie fassen amerikaspezifische Passagen der einzelnen Werke zusammen und leiten daraus sein Amerika-Bild ab. Damit setzen sie seine Erfahrung und sein Urteil gleich, bei einem Autor wie Max Frisch eine unzulängliche Vorgehensweise. Natürlich sind seine Erlebnisse in Amerika auch Erzählstoff. Darüber hinaus fließen sie aber in die Charaktere ein und sind vielfach erst auslösendes Moment für kritische Betrachtungen oder Handlungszusammenhänge. Sigrid Mayer weist darauf hin, dass es sich „[ . . .] für analytische Zwecke empfiehlt, die dem Ich jeweils zugrunde gelegte Rolle nicht einfach zugunsten einer generellen Darstellung der Autorenauffassung zu übersehen, sondern, soweit das bei Frisch irgend möglich, Fiktion und andere Darstellungsformen getrennt zu behandeln.“[14]

2.1 Amerika in der deutschsprachigen Literatur

Zunächst scheint ein Hinweis auf literaturhistorische Zusammenhänge unerlässlich, um deutlich zu machen, was Frischs Umsetzung seiner Amerika-Erfahrung von anderen Autoren unterscheidet. Zumeist steht Amerika in der deutschen Literatur vor allem als ein Gegenbild zum eigenen Land. „[ . . . ] so werden die von Europäern genormten und beherrschten gesellschaftlichen Verhältnisse“[15], was sich durch zunehmende Annäherung der ökonomischen und später auch politischen Entwicklung in Deutschland an die Verhältnisse in den USA verstärkt. Noch in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts gilt Amerika als zukunftsweisendes Vorbild für Deutschland, mit dem man euphorische Hoffnungen verbindet. Das amerikanische System zeigt sich dem deutschen (und auch dem schweizerischen) durch Wirtschaftswachstum, rasante technologische Entwicklung, Vollbeschäftigung und innenpolitische Stabilität überlegen. Das ändert sich spätestens mit der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise, die den Glauben an die unbegrenzten Möglichkeiten des amerikanischen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems erschüttert. Die Aussicht, dass Amerika die Zukunft Deutschlands sei, bekommt etwas Bedrohliches. Insbesondere für die deutschsprachigen Exil-Literaten scheinen sich Vorurteile vom „kultur- und geschichtslosen, gewalttätigen und entindividualisierten Amerika“[16] zu bestätigen. Vorurteile, wie sie sich bereits im Ersten Weltkrieg formuliert hatten und in den 20er Jahren verschärften.

Vorwiegend kulturkritisch begründete Amerika-Skepsis (Stichwort „Un-Kultur“) vertieft sich angesichts der mangelnden (erwarteten) Entnazifizierung Westdeutschlands durch die amerikanischen Besatzungstruppen und eine zunehmende Kommunistenverfolgung in den USA und nimmt systemkritische Züge an. Schon in den 50er Jahren verändert sich das literarische Amerikabild und grenzt sich deutlich von den deutschsprachigen Massenmedien ab, die sich in der Nachkriegszeit kritiklos und idealisierend mit den Vereinigten Staaten – als Sieger und Retter – identifizieren. In den 60er Jahren tritt die Kritik auch in den Medien unverhohlen hervor.[17]

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Auseinandersetzung mit Amerika in der neueren deutschsprachigen Literatur stets eine erkenntnis- und kritikfördernde Funktion hat. Selbst in den eher wohlwollenden Reisebüchern der 50er und 60er Jahre, deren amerikafreundliche Autoren in den USA noch ihre zivilisatorischen Zukunftsträume realisiert sehen, äußern sich abwartende oder skeptische Distanz. In literarischer Darstellung Amerikas bildet sich eine zunehmend politisch werdende Kritik an der Wirklichkeit Amerikas heraus, da die USA als fortgeschrittenes Beispiel eines kapitalistischen Systems erfahren werden, in dem sich eine Leistungs- und Konsumgesellschaft ausprägt, die sich auf Kosten der Schwachen bildet. Ein Macht beanspruchendes System also, dessen Tendenzen sich bereits in Europa abzeichnen. Die Kritik an den USA wird zur Kritik am eigenen System.

Innerhalb dieser Kritik „[ . . . ] wird Amerika eine oberflächliche Zivilisation zugeschrieben“.[18] Die drücke sich in einer Denk- und Lebensweise aus, „die ideelle Sinngebung durch Zielorientierung ersetzt hat (und stets auf der Suche nach Amüsement ist). In Amerika, wo technisches Know-how an die Stelle seelischer Substanz zu treten scheint, [ . . . ] bahnt sich die abendländische Kulturdämmerung an.“[19] Ein verbreitetes Amerika-Bild in der deutschen Literatur der ersten Nachkriegsjahrzehnte sei hier in Anlehnung an die Studie Gabriela Wettbergs skizziert. Einerseits verweist die Autorin auf Vorurteile, die auch Max Frisch geläufig gewesen sein müssen, als er erstmals Amerika bereist. Andererseits helfen sie zu verstehen, was Frisch übernimmt und was ihn von seinen Kollegen positiv abheben könnte, da er, wo er diese Vorurteile nicht wiederlegt, ironisch mit ihnen umgeht. Denn er „bemüht sich bei der Einschätzung von Nationen und Staaten um ein Höchstmaß an Verständnis und Toleranz.“[20]

Die verschiedenen Facetten, aus denen sich dieses von Gabriela Wettberg untersuchte Amerika-Bild zusammensetzt, „gehören nahezu ausnahmslos in den Bereich bekannter und tradierter negativer Amerika-Assoziationen.“[21] Das Sichtraster der Autoren bediene sich der Kritik am Kapitalismus, der Betonung des Materiellen in allen Bereichen der US-amerikanischen Gesellschaft sowie Zukunftsängsten. Als Kritik-Schwerpunkte nennt Gabriela Wettberg nach Analyse von 13 zwischen 1941 und 1984 veröffentlichten Werken:

„In den Vereinigten Staaten existiert ein brutaler Frühkapitalismus, der sich auszeichnet durch Leistungszwang, Ausbeutung von und Willkür gegen die Arbeitnehmer, welche verelenden [ . . . ][22]. [ . . . ] soziale Mobilität ist gering [ . . . ]. Materielle Anreize dienen zur Gefügigmachung von Wissenschaftlern, Politikern, Beamten und Theologen [ . . . ]. Profitmaximierung ist Handlungsmaxime [ . . . ] Konsum (sowie Medienkonsum) dienen der Gleichschaltung des Denkens und der politischen Beherrschung des Volkes. Das Individuum und Individualität gelten nichts [ . . . ]. Der Kapitalismus bzw. Materialismus erodiert[23] traditionelle Gesellschaftsformen, Religionen und ethische Grundsätze [ . . . ]. Durch die Verabsolutierung des Fortschritts haben die Amerikaner mit ihren wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften ein neues Menschenbild und letztlich auch ein neues Weltbild geschaffen [ . . . ][24] [ . . . ] Mechanisierung und Technisierung beherrschen das menschliche Leben. Sie berauben den Menschen seiner Individualität und Menschlichkeit, machen ihn aber beherrschbarer für die Machthaber [ . . . ]. Das Individuum ist ohnmächtig gegenüber dem System [ . . .]. Amerikanische Nachkriegspräsidenten sind die Nemesis der Welt, da sie mit ihrer Rüstungsstrategie [ . . . ] eine globale Apokalypse riskieren [ . . . ][25]. Amerikaner achten historische und kulturelle Traditionen anderer Völker gering [ . . . ]. [ . . . ] Amerikaner sich oberflächlich [ . . . ], haben anstelle von ideeller Sinngebung Nutzdenken gesetzt [ . . . ]. Amerikaner leben in einem voll-automatischen, aber seelenlosen Paradies [ . . . ]. Anstelle einer eigenen Kultur hat Amerika die Entwicklung der Technik gesetzt [ . . . ]. Amerikaner sind ungebildet.“[26]

Äußerst selten würden Amerikaner als sensibel, idealistisch, gerecht dargestellt, was Gabriela Wettberg mit „einer Projektion der deutschen (bzw. europäischen) Ohnmachtsfrustration“ zu begründen versucht.[27] Letztendlich sei aber die schriftstellerische Gestaltung Nord-Amerikas trotz politisch-ideologischer oder psychologischer Komponenten auf den sogenannten „culture shock“[28] zurückzuführen. Egon Schwarz definiert diesen Schock als „[ . . . ] zwei unhaltbare Verallgemeinerungen, die aber durch ihre Ungereimtheit nicht von ihrer psychologischen Wirksamkeit verlieren. Die eine verwechselt das Andersartige mit dem Charakteristischen und die zweite das Unvertraute mit dem Minderwertigen.“[29]

Max Frisch zählt zu jenen Autoren, die gerade auf der weitgehend vorurteilsfreien Suche nach dem Andersartigen und Unvertrauten sind. Doch seine Reisen und die daraus erwachsenden Erfahrungen enden vielfach in Angst. Der Angst vor dem heute längst selbstverständlichen Phänomen, dass Entwicklungen in Amerika (heute zumeist mit einem Verzögerungseffekt von etwa zehn Jahren) auch in Europa einsetzen. Diese Angst entspringt der subjektiven Erfahrung eines Amerika-Reisenden, der gesellschaftliche Zusammenhänge mit seinen individuellen Erlebnissen zur Verallgemeinerung verbindet. „[ . . . ] das bedrohliche Bild Amerikas [wird] im nachhinein zum Bild des inneren Zustandes des sich allgemein bedroht fühlenden Amerika-Reisenden, der seine aus der Heimat mitgebrachten Angstgefühle in der Fremde zu verdrängen sucht und so auf Amerika projiziert.“[30]

Dies dürfte eine treffende Charakterisierung des Amerika-Reisenden Max Frisch sein, der als einer der ersten deutschsprachigen Autoren nach dem Zweiten Weltkrieg den Kontinent besucht.[31] Erst mit zeitlichem (und persönlichem) Abstand zu seinen ersten Reisen bildet

sich bei Frisch in den späten 60er Jahren eine system- und ideologiekritische Amerikareflexion heraus, die nicht im individuellen Angstempfinden verharrt, sondern sich um praktisch verwertbares Erkennen und Begreifen der Entwicklung in den USA und ihren Einfluss auf die Heimat bemüht. Hierher gehört das zweite Tagebuch 1966-1971, wo sich die heftige und anhaltende Gegenüberstellung von ideologischem Anspruch und gesellschaftlicher Wirklichkeit bündelt wie in einem Brennpunkt.“[32] Zu diesem Zeitpunkt kommt der sogenannten Vietnam-Literatur besondere Bedeutung zu, die in den späten 60er Jahren auf den deutschen Literaturmarkt drängt.

In den Romanen Stiller und Homo faber tauchen diese Motive auf. Allerdings werden Mittelamerika-Reisen für die Protagonisten Frischs vor allem zu Bewusstseins- und Bewusstwerdungs-Reisen. Frisch setzt sich mit der gesamtamerikanischen Wirklichkeit ebenso auseinander wie mit dem US-amerikanischen Mythos, so dass kein einheitliches Bild entsteht, sondern Reflexionen des vielschichtigen Erlebnis- und Erfahrungszusammenhangs „Amerika“, der sich zur Auseinandersetzung mit der eigenen historischen, nationalen und individuellen Identität stellt. Die Behauptung Manfred Durzaks, „ [ . . . ] daß sich die junge deutsche Literatur, nach 1945 in die chaotische Traditionslosigkeit ihrer Anfänge entlassen, ohne ihre transatlantischen Lehrjahre also, anders und vor allem provinzieller entwickelt hätte“[33], ließe sich auf Max Frisch übertragen. Für ihn hatten diese ersten Amerika-Reisen und Erfahrungen erhellende, inspirierende Funktion, er setzt erst daraufhin bereits angerissene Themenkomplexe in einer bewegenden Radikalität um. Wirken Frischs persönliche Amerika-Erfahrungen als Ferment seines Erzählens?

2.2 Frischs Umsetzung seiner Amerika-Erlebnisse

Ehe Max Frisch erstmals den amerikanischen Kontinent betritt, kennt er sich in Europa aus, hat verschiedene Länder und ihre Menschen erlebt[34]. Im ersten Tagebuch schreibt er:

„[ . . . ] das Verlangen, Zeitgenossen andrer Länder kennenzulernen, ist [ . . . ] besonders groß [ . . . ] und in einer Welt, die auf Vorurteile verhext ist, scheint mir eine persönliche Anschauung äußerst wichtig.“[35]

Doch wie zuvor in keinem anderen Land scheint sich ihm in den USA eine neue Welt zu eröffnen. Es ist kein Wunder, dass sich nach seiner Rückkehr schärfste Kritik an der Schweiz äußert. Amerika dient als Folie seiner Problematisierung der Schweizer Gegenwart. Er hat nie seine Heimatverbundenheit geleugnet[36], doch durchziehen sein Werk skeptische Betrachtungen der Eidgenossen. Nach ersten Deutschland-Reisen notiert er schon im Tagebuch 1946-1949:

„Was auffällt, wenn man draußen gewesen ist: das Verkrampfte unserer Landsleute, das Unfreie unseres Umganges, ihre Gesichter voll Fleiß und Unlust; [ . . . ] man erschrickt oft über sich selbst, über die fast krankhafte Empfindlichkeit, wenn ein anderer nicht begeistert ist von uns.“[37]

Kein Besuch in einem europäischen Staat löst diese selbstkritische Betrachtungsweise gegenüber der Schweiz aus. Das vermag erst Amerika. Die Erfahrung der Neuen Welt führt bei Max Frisch zur Bewusstseinserweiterung, zum Erkennen, was ihm an der Schweiz missfällt und fehlt.

„Die Konfrontation mit einer anderen Lebensart, das irritiert jenes Selbstbewusstsein, dass der Einzelne bezieht aus dem sakrosankten Eigenlob eines nationalen Kollektivs“,

heißt es in Überfremdung 2.[38] Diese zur Revision eigener Maßstäbe bereite, vorsichtige und neugierig beobachtende Haltung des Autors bestimmt das Amerikabild im Stiller, wobei sich die Reise-Eindrücke eher als Skizzen in den Handlungsverlauf einfügen, keine konkrete Bewertung der amerikanischen Realität ergeben und chronologisch durchaus vertauschbar wären. Sie sind Mittel der Auseinandersetzung mit der heimatlichen Wirklichkeit.

Im Homo faber wendet sich Frisch dann der amerikanischen Wirklichkeit zu, kaum mehr unter dem Aspekt, Schweizer Realität zu ergründen. Beschreibungen werden präziser und kritischer, wobei Amerika seine Vorbild-Funktion und Zukunfts-Illusion verliert. In der Rede Unsere Arroganz gegenüber Amerika[39] erscheint die Entwicklung der Vereinigten Staaten noch als bewundernswerte, ausbaufähige Leistung der jungen Großmacht und als wünschenswerte Zukunft Europas. Die Vorstellung, Europa könne die gleiche Entwicklung nehmen, bekommt im Romanbericht Homo faber die oben erwähnte Bedrohlichkeit.

Anders als im Stiller ist hier der innere Erkenntnisprozess des Protagonisten an die chronologische Abfolge der Amerika-Passagen gebunden, die nicht austauschbar sind, sondern mit der Handlung eine Einheit bilden. Fabers Auseinandersetzung mit seinem beruflichen, privaten und ideologischen Selbstverständnis bedingt die Auseinandersetzung mit der amerikanischen Gesellschaft. Begeisterung und Faszination sind einer kritisch-reflektierenden Analyse gewichen. Im Homo faber warnt Max Frisch vor einer eilfertigen Übernahme amerikanischer Dogmen. Die Amerika-Perspektiven können durchaus für sich allein stehen, dienen aber in beiden Romanen vor allem als auslösendes Moment: der Suche nach Identität (Stiller) und dem Scheitern einer scheinbar gefundenen Identität (Homo faber). Das zeigt sich schon in der flüchtigen, typisierenden Zeichnung der amerikanischen Figuren im Gegensatz zur differenzierten Charakterisierung der Europäer.

1970 (19 Jahre nach seiner ersten Amerika-Reise) meint Frisch, Amerika habe sich zum Guten verändert.[40] Er registriert eine Diskrepanz zwischen offizieller Politik und Einzelauffassungen, die ihm Zuversicht spendet, die Vereinigten Staaten hätten noch Hoffnung auf Wandlung, wobei er sich auf ein Vertrauen in Menschlichkeit des amerikanischen Volkes stützt:

„Nur in der Reklame und in den offiziellen Reden, die ja auch Reklame sind, findet sich jener Ton zuversichtlicher Selbstgerechtigkeit, nicht mehr im privaten Gespräch. Amerika hat Angst. Die Macht-Inhaber unterstellen: Angst vor Russland, Angst vor China, also Angst, die ihre Strategie rechtfertigt und die Kosten dieser Strategie. In den kleinen Bars [ . . . ] tönt es anders: Amerika hat Angst vor Amerika [ . . . ] die Angst vor sich selbst macht sie als einzelne humaner.“[41]

In der Erzählung Montauk weicht das politische Engagement Frischs einer Resignation. Sein Interesse wendet sich von den globalen Zusammenhängen wieder dem (eigenen) Einzelfall zu. Das im Frühwerk gänzlich fremd und befremdend erscheinende Amerika wird zur vertrauten, neutralen Basis des Selbstverständigungsprozesses des Erzählers.

2.3 Erkenntnis durch Distanz

Helmuth Plessner erklärt: „Aus der Erschütterung geboren, macht die Entfremdung Phantasie, Denken und Anschauen möglich.“[42] Frisch phantasiert, denkt und schaut mit anderen Augen. Durch die Distanz zu seiner Heimat und seinen gewohnten Lebenszusammenhängen scheinen sich viele Dinge für Max Frisch zu erhellen. Er gewinnt neue Kriterien zur Einschätzung vieler Themenbereiche, die ihn schon beschäftigten und die er auch schon in Stücken aufarbeitete. Was sich noch nicht zu klarer Erkenntnis formte, scheint sich durch die Fremde und Fremdheit des amerikanischen Kontinents verdichtet zu haben. Mit diesem Phänomen, dieser erkenntnistheoretischen Frage, die er in Anlehnung an Kant „Erfahrungserkenntnis“ nennt, hat sich der Sozialanthropologe Plessner in seinem 1953 verfassten Aufsatz Mit anderen Augen[43] beschäftigt. Dieser Aufsatz sei hier erwähnt, weil er die Ausgangssituation und Stimmungslage trifft, in der Max Frisch seine Amerika-Erfahrungen macht. Mehr noch, die Thesen Plessners erklären, warum Frisch diese Erfahrungen braucht, um neben seinen unumstrittenen anderen Fähigkeiten als Theaterautor zu einem großen Romancier des 20. Jahrhunderts zu werden.

Plessner untersucht das Verhältnis von menschlicher Lebenserfahrung und der aus ihr gespeisten geisteswissenschaftlichen Erfahrung in Abhängigkeit von der Anschauungsfunktion, das heißt der sinnlichen Wahrnehmung. Sie erst ermögliche dem Individuum, sich in menschlichen Verhältnissen und Zusammenhängen (Milieu) zu orientieren.

Frischs früh entwickelte und ausgiebige Reisetätigkeit zeigt seine Neugier auf Unbekanntes und Ungewohntes. Es hat sich in der Schweiz vielfach unwohl gefühlt, ohne die konkrete Ursache zu erkennen. Erst durch die Reisen wird ihm die (räumliche und geistige) Enge seines Geburtslandes bewusst. Das Bedürfnis, seine Erfahrungen an fremden Maßstäben zu messen, erwacht ebenso frühzeitig. Im Tagebuch 1946-1949 notiert er im März 1946 in Basel:

„Wie klein unser Land ist. Unsere Sehnsucht nach Welt. Unser Verlangen nach den großen und flachen Horizonten [ . . . ] unser Verlangen nach Wasser, das uns verbindet mit allen Küsten dieser Erde; unser Heimweh nach der Fremde -“[44]

Frisch reist nicht nur in fremde Länder, er lebt dort auch, wie in Italien und den USA. Doch er kehrt immer wieder in seine Heimat zurück und schreibt zu Hause seine berühmtesten Werke. Obwohl er in der Schweiz durchaus nicht immer auf Gegenliebe stößt, entstehen im vertrauten Umfeld die durch die Auslands-Erfahrung entscheidend inspirierten oder sogar erst möglichen Werke – weil er dem Vertrauten fremd geworden ist, wie Helmuth Plessner erklären würde, „Mit erfrischten Sinnen genießt man die Wiederbegegnung mit dem nun sichtbar gewordenen Umkreis [ . . . ].“[45]

Damit lässt sich erklären, warum Frisch erst nach seinen Amerika-Aufenthalten die Kraft für Romane findet. Menschliche Lebenserfahrung setzt sich für Plessner aus Fremdheit und Vertrautheit zusammen und zwar so, „dass nur das Fremde (Entfremdete) zur Anschauung, nur das Vertraute zum Verständnis kommt.“[46] Denn man versuche nur das Unverständliche zu verstehen und mit ihm vertraut zu werden, hingegen man sich nur dem Vertrauten entfremden könne, um es in den Blick zu bekommen, es zu überblicken und dann mit anderen Augen zu sehen. Das setze allerdings die Bereitschaft zum distanzierenden Blick voraus. Eine Bereitschaft und Fähigkeit, die zu Max Frischs Grundeigenschaften zu zählen ist. „Die Kunst des entfremdeten Blicks erfüllt darum eine unerläßliche Voraussetzung allen echten Verstehens.“[47] Auch Werner Stauffacher spricht von „bewußtseinsfördender Verfremdung“.[48]

Der Weg dorthin, nicht nur ein fremdes Land, sondern auch das eigene Milieu, die eigene Tradition mit anderen Augen sehen zu lernen, sei eine Kunst, meint Plessner. Demnach ist Frisch, den Hans Bänzinger einmal einen „Augen-Menschen“[49] nannte, auch auf dieser Ebene ein beachtenswerter Künstler. Er bemüht sich um freien Blick.

Wenn Plessner weiterhin schreibt, „ [ . . . ] nur der bittere Trank der Enttäuschung sensibilisiert. Der Schmerz ist das Auge des Geistes“[50], liest sich das wie eine Interpretation von Frischs Biographie. Frischs Schmerz setzt sich bei seiner ersten Amerika-Reise 1951 aus seiner gescheiterten Ehe, dem Misserfolg seines ihm wichtigen Bühnenstücks Graf Öderland und der Zerrissenheit zwischen seinen beiden Berufen zusammen. Man darf Frisch sicherlich zu dem Personenkreis zählen, den Plessner mit „begnadete Einzelne“ umschreibt. In Zeiten der Turbulenz, in gefährlichen Lagen oder Krisen, die diese begnadeten Einzelnen durchlebten, hätte ursprüngliches Sehen und die daraus resultierende Erkenntnis größere Chancen als in den glücklichen Zeiten der Ruhe. Allgemeiner formuliert: „Die Kraft zum Sehen ist dem Glück der Epoche umgekehrt proportional.“[51] Dank dieser Kraft zum Sehen mag Frisch sich selbst, seine individuellen Schwierigkeiten, zwischenmenschliche und gesellschaftliche Zusammenhänge besser verstehen. Das erkennt auch Rudolf Hartung: „Neben der individuellen Lebenskonstellation des jähen Abschieds, neben dem Schock-Erlebnis des Lebens als Reproduktion, ist das antinomische Verhältnis zwischen Erleben und Beschreiben ein Zentralthema im gesamten Oeuvre des Autors.“[52] Frisch selbst formuliert diese Diskrepanz 1946 einmal folgendermaßen:

„Der Anblick ist da, das Erlebnis noch nicht. Man gleicht einem Film, der belichtet wird; entwickeln wird es die Erinnerung. Man fragt sich manchmal, inwiefern die Gegenwart überhaupt erlebbar ist. Könnte man unser Erleben darstellen, und zwar ohne unser Vorurteil, beispielsweise als Kurve, so würde sie sich jedenfalls nicht decken mit der Kurve der Ereignisse [ . . . ].[53]

Für Plessner wäre die Tatsche nicht überraschend, dass Frisch nach einer elfjährigen Romanpause plötzlich durch Erlebnis von Fremde die Kraft für drei Romane findet, denn „[ . . . ] was in der Vertrautheit unausdrücklich und wie von selbst sich abspielt, wird in der Entfremdung ausdrücklich und strebt zu künstlich-methodischer Gestaltung.“[54] Vorausgesetzt allerdings, die künstlerische Umsetzung basiere auf Phantasie, „Phantasie als das Vermögen, sich von einer Gegebenheit freimachen und mit ihr kombinieren zu können.“[55] Das gelingt Frisch, denn er fügt seine neuen Erfahrungen und Erkenntnisse mit Themenkomplexen zusammen, die bereits Inhalt seines Schaffens waren. Nur, dass sie an Eindeutigkeit gewonnen haben. Auch hier greift Plessners Überzeugung: „Die sinnliche Anschauung wird Hilfsmittel, und die Phantasie erhält zu ihrer Funktion im theoretischen Aufbau des Verstehens zugleich den Auftrag, die Wirklichkeit stets neu zu vergegenwärtigen [ . . . ].“[56] Amerika hat für Frisch Wirklichkeit neu vergegenwärtigt.

2.4 Ambivalenz gegenüber Amerika

Aufgeschlossen und voller Neugierde begegnet Max Frisch dem amerikanischen Kontinent. Dies ist eine Grundhaltung seinerseits, wie Günther Bicknese treffend formuliert: „Sein Schaffen [ . . . ] wird geprägt vom Verantwortungsbewußtsein eines um die Gesellschaft seiner Zeit besorgten Dichters, der mit Scharfblick und Entschiedenheit Stellung nimmt. Wenngleich oft leidenschaftlich in seiner Kritik, genießt er als Schweizer den Ruf, den Problemen des Jahrhunderts politisch neutral und menschlich unvoreingenommen entgegenzutreten.“[57] Frisch betritt das unbekannte Land mit einer ambivalenten Grundhaltung, die er in seinem Aufsatz Unsere Arroganz gegenüber Amerika zwei Jahre nach seinem ersten USA-Aufenthalt formuliert. Er beginnt mit dem für ihn typischen Hinweis auf die sich einem eindeutigen Urteil entziehende Vielschichtigkeit Amerikas: „Amerika ist ja kein Land [ . . . ] sondern ein Kontinent, nicht von einem Volk bewohnt, sondern von einer Völkerwanderung.“[58] Allgemeine Urteile als aus Unkenntnis entstandene Vorurteile wertend[59], verweist Frisch auf die der kulturellen Arroganz Europas zugrundeliegende Trennung von Politik und Kunst. Er konfrontiert den enggefassten europäischen Kulturbegriff mit einem Kulturbegriff im Sinne gesellschaftlicher Ethik, wie er sie von der amerikanischen Verfassung[60] verkörpert sieht.

Zugleich betont der Autor die sich in technischen Leistungen beweisende Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit des jungen Amerika[61], das die Errungenschaften des alten Europa nicht nachahmen dürfe, sondern allenfalls benutzen müsse, um eigene Wege zu gehen. Die angebliche Kulturlosigkeit der USA werde nach wie vor vielfach mit dem Fehlen eines Ursprungsmythos begründet. Gegen diese eurozentristische Position wehrt sich Frisch durch die im Text unterschwellig gestellte Frage, ob eine Gesellschaft eine jahrhundertealte Historie im Gegensatz zur Moderne überhaupt brauche. Basis dieser Überlegung ist wohl die Tatsache, dass die Amerikaner nicht über ein gewachsenes Geschichtsbewusstsein verfügen können, wie das, welches sich in Europa im 17. und 18. Jahrhundert durch sie Auseinandersetzung mit der antike (Stichwort: Muster des Alten) ausgebildet hat. Daraus aber eine grundsätzliche Geringschätzung der amerikanischen Lebens- und Denkweise ableiten zu wollen, widerspricht Max Frisch. Er sieht die Stärken dieses Kontinents in seiner Multikulturalität.

Zwar sei die „[ . . . ] Unbildung des durchschnittlichen Amerikaners [ . . . ] womit der Europäer sich selber schmeichelt [ . . . ] nicht zu leugnen“, doch dafür gebe es auch „kein Bildungsbürgerspießertum.“[62] Wer weniger bildungslos sei, sei auch weniger verbildet und somit unbefangener, aufgeschlossener, weniger snobistisch, was Frisch gefällt, „eher erfrischend.“[63]

Er prägt einen umfassenderen Kulturbegriff als den europäischen und stellt ihm die amerikanischen Lebensnotwendigkeiten am rückblickenden Beispiel der Pionierzeit im Westen der USA gegenüber. Regeln der Pionierzeiten seien zwar überholt, als ein Mensch noch tatsächlich soviel verdiente, wie er leistete. Doch im Sinne des überheblichen Europäers[64], der meint, die Amerikaner hingen an ihrem materiellen Reichtum, stimme der Begriff nicht. Frisch hat Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft erfahren und meint:

„Der Dollar ist für sie etwas Geistigeres als für uns, ja, es kann sogar eine naive Frömmigkeit dahinter sein, die unsere Fähigkeit, Dollar zu machen, als ein Zeichen betrachtet, dass Gottes Segen über uns ist.“[65]

Am Beispiel der Pionierzeit und der daran geknüpften „Übermacht der vitalen Bedürfnisse“[66] veranschaulicht er, warum sich Kultur nach europäischem Verständnis nicht ausprägte. Diese Amerikaner hätten weder Zeit noch Interesse für Musik oder Literatur gehabt. Und diese Vergangenheit stecke noch heute im amerikanischen Mann.

„[ . . . ] das nächste wird sein: die Eroberung der Muße – die meisten Amerikaner kennen erst die Langeweile.“[67]

Vermutlich argumentiert Frisch blauäugig, denn in den 50er und 60er Jahren prägt sich bereits der Weltmacht-Anspruch Amerikas aus, sowie ein zunehmend verzweifelter Konkurrenz- und Existenzkampf, worauf Hans Habe[68] in seiner Erwiderung hinweist. Noch erwartungsvoll angesichts amerikanischer Entwicklung meint Frisch, Amerikaner sollten, anstatt das arrogante Europa zu kopieren, sich lieber auf ihre eigenen Fähigkeiten besinnen. Frisch legt in diesem Aufsatz noch ganz im Sinnes des „American Dream“ große Hoffnungen in den Kontinent, da er seine Zukunft noch vor sich habe, in Erwartung auf den „Typus des globalen Menschen“[69], der erst noch geboren werde. Diese grundsätzlich aufgeschlossene Haltung entspringt einem Grundbedürfnis Frischs, die Vielfalt der Welt zu erfahren. In einem Interview 1972 bringt er dieses Bedürfnis mit seinem Schreibwunsch zusammen – „[ . . . ] um unsere Welt auszuhalten, möchte ich erkennen, wie sie sich für mich darstellt.“[70]

In diesem Gespräch macht er auch sein Festhalten am Amerika-Thema deutlich, nämlich aus seiner persönlichen Betroffenheit resultierend:

„Schreiben ist Rechenschaft gegenüber sich selbst, in dieser Zeit, an diesem Ort – was beschäftigt einen, was beschäftigt einen nicht, wie beschäftig es einen, wieviel erkennt man, wieviel nicht? – und eine Zeugenschaft; denn die Literatur ist natürlich unter anderem auch Augenzeuge ihrer Zeit.“[71]

3. Amerika-Erfahrung als Auslöser einer Roman-Trilogie

Als „ins Künstlerische umgesetzte Kommentare eines kritischen Zeitgenossen“ betrachtete Tildy Hanhart[72] Max Frischs Tagebücher, Stücke und Romane. Sein Denken sei entscheidend durch die Ereignisse geprägt worden, die zum Durchbruch des Nationalsozialismus führten und schließlich zur Katastrophe des Zweiten Weltkrieges. Erschütternd scheint für ihn das Erlebnis gewesen zu sein, dass ein Kulturvolk von hoher Begabung schlimmste Menschenverfolgung und –ermordung betrieb, aber sich dennoch bedenkenlos von Kunst inspirieren ließ.[73] Frisch fühlt sich dadurch existenziell erschüttert.

Für ihn ist Schreiben ein Weg zum Überleben und Bestehen in der Welt.[74] Bereits im ersten Tagebuch heißt es:

„Man hält die Feder hin, wie eine Nadel in der Erdbebenwarte, und eigentlich sind nicht wir es, die schreiben; sondern wir werden geschrieben.“[75]

Der Feuilletonist und Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki charakterisiert Frisch als einen Schriftsteller, der sich der Realität, die auf ihn einstürmt, erwehren will. „Er fordert die Welt nicht heraus – er fühlt sich von ihr herausgefordert.“[76] Amerika bedeutet eine solche Herausforderung, eine so große, dass er sich in drei Romanen (in zweien konkret und im dritten mehr formal) dieser Realität erwehren muss. „[ . . . ] er wird von der Zeit, in der er lebt, zu bestimmten Fragen und Themen gezwungen. Er agiert nicht, er reagiert.“[77] Die Begegnung mit der Neuen Welt löst eine heftige Reaktion in Frisch aus, die sich nie wieder ganz beruhigen wird. Walter Hinderer ist einer der wenigen Frisch-Forscher, die ihr Augenmerk auf dieses Phänomen lenken: „Der Schweizer Autor reiste in Europa, notierte Erlebnisse in der Tschechoslowakei, in Rußland, aber nur die Reminiszenzen seiner Aufenthalte in den Vereinigten Staaten und Mexiko durchziehen wie ein Leitmotiv sein Werk.“[78]

Um zu ergründen, warum Frisch sich dermaßen vom amerikanischen Kontinent beeindrucken und bedrücken ließ, was sich maßgeblich auf sein Erzählen auswirkte, ist es notwendig, einen Blick auf die Bedingungen und Anfänge seines Schreibens zu werfen. Frisch benötigte für seine insgesamt sechs Romane jeweils einen entscheidenden Impuls. Er befand sich immer in einer Art persönlicher Notsituation. Deshalb soll zunächst der Beweis geführt werden, dass Frisch zwei Roman-Trilogien verfasste.

3.1 Existenzielle Not als Schreibimpuls

Zusammen mit einigen Kurzgeschichten veröffentlichte Frisch 23-jährig 1934 seinen ersten Roman Jürg Reinhart. Eine sommerliche Schicksalsfahrt, der nahezu ohne Resonanz blieb. 1936 entschloss er sich, die Schriftstellerei aufzugeben und wählte den Beruf des Architekten.[79] Trotzdem erschien 1937 Antwort aus der Stille. Eine Erzählung aus den Bergen; ebenfalls erfolglos. Nach sechs Jahren versuchte sich Frisch ein drittes und zunächst letztes Mal an der Romanform mit J’adore ce qui me brule oder Die Schwierigen (1943). Alle drei Romane behandelten im weitesten Sinne eine Künstler- und Heimatproblematik und unterschieden sich wenig von der traditionellen Form der „epigonalen und provinziellen“[80] Schweizer Literatur in den 30er und 40er Jahren. Daher sind sie als Roman-Trilogie zu verstehen.

Bemerkenswert sind die Umstände, die Max Frisch dazu bewegten, sich wieder der Literatur zuwenden. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs erschien 1939 unter dem Titel Blätter aus dem Brotsack das Tagebuch eines Soldaten, von dem Frisch selbst sagte:

„Nach den ersten Anfängen, die sehr ungenügend waren, [ . . . ] gab [ich] mir das Versprechen, nie wieder zu schreiben, und dann brach der Krieg aus, und unter dieser Bedrohung, die ich damals sehr ernst nahm, [ . . . ] hab ich sozusagen für die letzte Zeit, die noch blieb, nochmals für mich diese Notizen gemacht [ . . . ].“[81]

Rolf Kieser weist darauf hin, dass am Anfang dieser neuen Schriftstellerphase „ein existentielles Endzeitbewußtsein steht.“[82] Krieg und Faschismus hatten den politischen, engagierten Menschen in Frisch geweckt. Er versuchte in dem wenige Wochen vor Kriegsende aufgeführten Stück Nun singen sie wieder[83] seine Kriegserfahrung zu verarbeiten. Das Stück wurde von der Öffentlichkeit und Presse sowohl fehlinterpretiert als auch entpolitisiert. Frisch fühlte sich angegriffen, weil er spürte, seine innere Bewegtheit angesichts des faschistischen Einflusses auf die Schweiz nicht (meinungs)frei mitteilen zu können. Der Bruch mit der Heimat war da, und er nutzte die erste sich bietende Gelegenheit, um sich ein eigenes Urteil zu bilden, reiste bereits im Frühjahr 1946 nach Deutschland. Ist nicht anzunehmen, dass Max Frisch angesichts der amerikanischen Fortschrittsgläubigkeit und Lebensweise ein ähnliches „existentielles Endzeitbewusstsein“ befiel? Das Bewusstsein vom Ende einer Zeit, deren Entwicklungen man noch folgen konnte, die sich rational noch erfassen ließ, die dem Menschen noch Entfaltungsmöglichkeiten bot?

Wichtig ist der gesellschaftshistorische Zusammenhang dieses Lebensabschnitts. Seit den dreißiger Jahren bildete sich in der Schweiz eine Art „Devise der nationalen Einigung: der geistigen Landesverteidigung“[84] aus. Auf kultureller Ebene bedeutete das staatlicherseits einen zunehmenden Druck auf alle Kulturschaffenden, die sich nicht auf die Schweiz beschränken wollten oder sogar meinten, sie kritisieren zu müssen,[85] denn die „ [ . . . ] im Zeichen der geistigen Landesverteidigung als sakrosankt erklärte nationale Einheit“[86] durfte nicht hinterfragt werden. Künstlerische Produktion sollte Kultur und Volkswirtschaft dienstbar gemacht werden. Aufgabe der Literatur sollte sein, eine (realitätsfremde) soziale und geistige Einheit zu inszenieren.

Frisch entsprach diesem Anspruch mit Jürg Reinhart und auch noch Antwort aus der Stille durchaus, da beide Romane nicht politisch sind, vielmehr ein Arrangement mit dem bürgerlichen Leben beschreiben. Frisch wurde als Talent von der damals einflussreichen Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) gefördert. Erst als er zunehmend Kritik an der Schweiz äußerte, kam es zum Zerwürfnis. Man nannte ihn einen Psychopathen und auch Landesverräter, bedauerte, dass schon wieder ein Poet verlorengegangen sei.[87] Wo Frisch politische Auseinandersetzung erhofft hatte, erhielt er diskreten Boykott.

3.2 Schreiben aus Angst (Amerika als Dämon?)

Nicht nur Reich-Ranicki ist der Überzeugung, Max Frisch sei „ein Dichter der Angst“[88]. Er sei getrieben und gequält von der „Angst vorm Alleinsein im Dschungel der Unsagbarkeiten“, wie er es 1958 selbst formuliert.[89] Da er aber ein Autor sei, der darüber schreibt, was ihn am meisten bedrängt, „ [ . . . ] ist das Leitmotiv seiner literarischen Arbeit [ . . . ] wiederum die Angst.“[90]

Der Roman Stiller lässt sich als „Bericht der Angst“[91] lesen, denn Stiller ist von einer existenziellen Lebensangst geprägt. Julika hat Angst als Frau im Vergleich mit anderen Frauen, als Künstlerin, sie kann ihre Angst nur auf der Bühne verbergen usw. Stiller charakterisiert auch die schweizerische Gesellschaft als angstvoll vor dem Wagnis, vor dem denkbaren Verlust ihres Reichtums und ihrer Sicherheit. Selbst Rolf, der Ruhe und Freiheit in seinem Glauben zu finden vorgibt, hat Identitätsangst. Jurgensen meint: „die vier Hauptgestalten des Romans sind alle miteinander durch Angst verbunden.“[92] Frisch selbst erklärt:

„[ . . . ] aus jener Angst, die schon die Höhlenbewohner zu Bildnern machte: man malt die Dämonen an die Wand seiner Höhle, um mit ihnen leben zu können [ . . . ].“[93]

Ein solcher Dämon war Amerika. Auch Norbert Honsza („Er schreibt aus Angst.“[94] ) bezeichnet die Furcht, die Frisch mit einer Vielzahl großer zeitgenössischer Schriftsteller teile, als eigentlichen Antrieb zu seinem Werk. „Es ist eine zweifache Angst: Furcht vor der Gesellschaft und Furcht vor sich selber.“ Man könnte ergänzen: Furcht vor der amerikanischen Gesellschaft. Dann was ist Angst anderes als eine existenzielle Notlage? Was zunächst der Zweite Weltkrieg auslöste, mag später Frischs Amerika-Erfahrung ausgelöst haben. Beschreibt Frisch nicht gerade im Homo faber seine Angst davor, dass die Realität der USA sich auf Europa übertragen wird? Oder die Angst vor der Entmenschlichung des Daseins angesichts der sich entwickelnden technischen Allmacht?

Für Frisch entscheidet sich das komplexe Geschehen menschlicher Existenz am konkreten Verhalten des Einzelnen. In Dramaturgisches[95] schreibt er:

„Was die Soziologie nicht erfaßt, was die Biologie nicht erfaßt: das Einzelwesen, das Ich, nicht mein Ich, aber ein Ich, die Person, die die Welt erfährt als Ich [ . . . ] also die Darstellung der Person, die in der Statistik enthalten ist, aber in der Statistik nicht zur Sprache kommt und im Hinblick aufs Ganze irrelevant ist, aber leben muß mit dem Bewußtsein, daß sie irrelevant ist – das ist es, was wenigstens mich interessiert, was mir darstellenswert erscheint: alles, was Menschen erfahren, Geschlecht, Technik, Politik als Realität und als Utopie, aber im Gegensatz zur Wissenschaft bezogen auf das Ich, das erfährt.“

Seine Romane und Stücke sind Versuche, das Verhalten einzelner Menschen in ihrer Alltagswelt sichtbar zu machen und ihr Bewusstsein an ihren Entscheidungen zu erschließen. Dabei erscheint diesen Einzelwesen ihre Umwelt zumeist feindlich. Sie versuchen, ihr zu widerstehen, fliehen aus ihrem Lebensbereich, gehen aber aus Angst vor Vereinsamung oder Strafe doch Kompromisse ein und kapitulieren. Von daher ist die Auseinandersetzung mit den politischen und gesellschaftlichen Geschehnissen in Frischs Werk immer entweder auslösendes Thema oder Bezugshintergrund. „Seine Figuren erfahren sich aus der Spannung zwischen ihren privaten Erlebnissen und dem Gang der Zeitgeschichte“[96]. Diese Spannung löst Ängste aus, und für Frisch bedeutet Kunst „[ . . . ] eine Möglichkeit, die Angst zu überwinden“[97]

3.3 Zwei Roman-Trilogien

Seine Dramen machten ihn bekannt. Berühmt wurde Frisch durch seine drei späten Romane. Doch auch frühe Inhalte der erzählenden und der Bühnen-Werke Frischs gleichen sich teilweise bis ins Detail des Motivs, des Konflikts, der Ideen und Fragen. Walter Schmitz beschreibt die Entwicklung von Frischs Gesamtwerk als in einer Spirale verlaufend. Das hänge damit zusammen, dass er seinen Figuren die undankbare Aufgabe zuteile, als Lebensprogramm zu erproben, was ihr Schöpfer einmal als das ‚wirkliche Leben’ beschrieben hatte. Don Juan und Stiller lebten nach Maximen, denen Frisch eigentlich längst misstraue, wie bereits im ersten Tagebuch formuliert. Dieses Delegationsschema sei eine Ursache dafür, dass Themen und Motive erstaunlich konstant bleiben.[98]

Dem ist nur bedingt zuzustimmen. Denn immerhin in zwei Romanen müssen die Figuren auch das ‚Lebensprogramm Amerika’ erproben, womit ein neues Thema in Frischs Werk Einzug hält, und vor dessen Hintergrund sich seine spiralförmig wiederholten Anliegen neu gestalten. Denn auch die grundsätzliche Frage aller Einzelwesen in seinen Romanen, das „Wer bin ich?“, „Was soll ich?, „Was kann ich?“, stellt sich angesichts dieser Erfahrung neu. Frisch geht auf der Suche nach Antworten weiter, fasst zusammen, wandelt ab, vertieft und steigert, doch eine Lösung findet er nie. Kieser nennt dies „eine eigentümliche Stagnation, Beharrung im Wandel.“[99] Dabei stellen sich seine unbeantworteten Fragen in der Neuen Welt vehementer und existenzieller.

Die Problematik der Identitätssuche und –verwirklichung im Stiller ist also nicht überraschend. Auch Jürg Reinhart, J’adore... oder Bin oder Die Reise nach Peking (1945) haben sie zum Inhalt. Sonderling Jürg hält sich aus Angst vor Verpflichtung und Verantwortung, vor allem aber dem Versagen (was ihn zum Vorläufer Stillers macht) von jeglichen Bindungen fern. Er meint, durch Fort-Bewegung zu sich zu finden. Der Held in Bin... geht wie der Bildhauer auf Reisen, um sich in einer fremden Welt zu entdecken, um das Bild abzuwerfen, das andere sich von ihm gemacht haben. Reinhart in J’adore... findet nur im Selbstmord einen Ausweg aus der Konfrontation mit sich selbst. Bei Walter Faber kommen beide Aspekte zusammen – seine Innerlichkeit in Abhängigkeit von der Außenwelt. Was hat den Anstoß für diese Entwicklung gegeben? Die Antwort kann heißen: Amerika. Frischs Amerika-Erfahrung könnte die Funktion eines Prismas besitzen, das die erst angerissenen Themen gebündelt zurückstrahlt.

Was allen Romanen gleich ist, ist das Porträt, dass der Autor nebenbei von sich zeichnet. Es zeigt einen Menschen, der sich selbst immer wieder als Scheiternden erlebt, sich mit seiner (Um-)Welt intensiv auseinandersetzt, oft an ihr leidet und sich dieses Leid von der Seele schreibt. Amerika war auch eine leidvolle Erfahrung. Denn, wie Reich-Ranicki es treffend sagt, der Frisch einen „leidenden Diagnostiker“ und „mitleidenden Ankläger“ nennt, in seinem Werk „[ . . . ] wird unsere Welt gedichtet.“[100]

3.4 Erlebnis der Fremde führt in Roman-Trilogie

Die drei zusammenhängenden und einander bedingenden Romane entstehen in der Zeit zwischen 1954 und 1964. „Daß Max Frisch [ . . . ] mit seinen Romanen Stiller, Homo faber und Mein Name sei Gantenbein eine ‚Zürcher Trilogie’ verfasste, ist selbst in literaturkritischen Kreisen kaum bekannt, bestenfalls umstritten“, erkennt Frederick Alfred Lubich.[101] Frischs Roman-Trias mit ihren drei Zürcher Protagonisten könne auf Grund ihrer Kontextstruktur den Titel Trilogie mit innerster Berechtigung beanspruchen, was Jürgen Hennigsen[102] kommentarlos dahinstellt. Therese Poser[103] sieht ebenfalls eine „künstlerische Einheit“, da die drei Romane durch ihre Problematik miteinander verbunden seien, „[ . . . ] wobei Gantenbein einen gewissen Höhe- und Endpunkt darstellt, was Frisch wohl veranlasst haben mag, in Montauk einen anderen Weg einzuschlagen.“ Wenn Frisch auch kaum eine Trilogie geplant haben mag, so ist doch dem Trilogie-Begriff zuzustimmen. Allerdings unter dem Aspekt, daß ein Zusammenhang in Frischs verarbeiteter Amerika-Erfahrung zu finden ist.

Frisch hat offensichtlich das gleiche Bedürfnis wie diese drei Helden, Bericht zu geben. Das Bedürfnis, Gespräch aufzunehmen und von seiner Innerlichkeit zu berichten, führt Anatol Stiller zu seinem Tagebuch, Walter Faber zu seinem Bericht und das Erzähler-Ich Gantenbein zum Fabulieren. Alle drei werden an einem bestimmten Punkt ihres Lebens zur Rückschau herausgefordert und versuchen, in der ihnen jeweils charakteristischen Weise, sich Klarheit über sich selbst zu verschaffen. Getreu dem Frisch-Satz aus dem ersten Tagebuch: „Schreiben heißt: sich selber lesen.“[104]

Gleichzeitig geht es in den drei Werken um die Suche nach der literarischen Form, wobei sich das strukturelle Prinzip des Tagebuchs[105] durchsetzt, weil es ermöglicht, den Prozess der individuellen Auseinandersetzung zu zeigen. Verläuft die Erzählweise im Stiller noch sehr stringent und wird nur durch Rückblenden (Stillers Leben in Amerika) durchbrochen, mischen sich beim Homo faber bereits Gegenwart, Vergangenheit und Vorvergangenheit so stark, dass sich ein Zusammenhang erst allmählich ergibt. Im Gantenbein weicht eine kausal-logische Verknüpfung des Handlungsverlaufs gänzlich dem fragmentarischen Erzählen. Gemeinsam wiederum ist allen dreien die offene Form. Geschehnisse werden nicht als Handlungskontinuum dargestellt, sondern reflektorisch gebrochen als fiktionale Varianten der Wirklichkeit.

Trotz unumstrittener formaler und stilistischer Differenzen liegt zwischen beiden Romantrilogien kein gedanklicher Bruch vor. „Allein die jeweilige Durchführung des Themas bezeugt die Entwicklung des Autors.“[106] Eine Entwicklung, die nicht unabhängig vom ‚Erlebnis Amerika’ gesehen werden kann. Auch Eduard Stäuble erkennt in bezug auf Stiller, dass kein „neuer Frisch“[107] zu Beginn der zweiten Romanreihe auftritt, sondern Stiller „fugenlos ans bisherige Schaffen des Dichters an[schließt] und [ . . . ] lediglich seine vorangegangenen Werke weiter und tiefer [führt].[108]

3.5 Inhaltliche Verknüpfung

Bereits im Erstling Jürg Reinhart, der Geschichte eines unreifen Jünglings, der durch die Liebe zu einer todkranken Frau und die Erfahrung des Todes zum Mann wird, sind die meisten Motive und Themenkomplexe genannt, die beide Trilogien kennzeichnen. Im Zentrum des Textes steht die Frage nach unverwechselbarer Identität des Protagonisten. Reinhart erreicht sie durch seine permanente Selbstreflexion und die Zweierbeziehung. An diesem einmal entworfenen Schema der progressiven Entwicklung hält Frisch fest, wenn er auch später das Entwicklungsproblem komplizierter gestaltet (Stiller, Gantenbein) oder sogar umkehrt (Homo faber), so dass der Protagonist an seiner Entwicklung zugrunde geht.

Reinharts Entwicklung verläuft weitgehend unabhängig von seinem sozialen Umfeld. Eine dauerhafte Anpassung an die bürgerliche oder künstlerische Existenzform mit ihren Werten und Zwängen bleibt aus. Helden Frischs bewegen sich weitgehend in einem privaten, oft psychologisch determinierten Raum, wobei historische und gesellschaftliche Zusammenhänge vielfach nur den Hintergrund ihrer Persönlichkeitsstruktur bilden oder verdeutlichen. Homo faber ist eine Ausnahme, die Titelfigur ist nicht nur (freiwillig) Produkt der Gesellschaft, in der sie lebt, sondern wird durch sie zum Opfer einer unwahrscheinlichen, aber denkbaren Kausalkette.

Ein weiteres Leitmotiv heißt Sehnsucht. Der verhinderte Künstler Leuthold in Antwort aus der Stille versucht einen utopischen Raum, einen utopischen Seinszustand zu erreichen. Auch in Santa Cruz (1944), Bin oder die Reise nach Peking[109] sowie Graf Öderland gibt es einen solchen utopischen Bezirk, ein unerreichbares gelobtes Land, das handlungsauslösende Funktion hat. Alle Figuren versuchen, an einem bestimmten Punkt ihres Lebens, ihre Biographie zu revidieren, ihr Leben rückwirkend von neuem und anders aufzunehmen. „Anders leben, Aufbruch zu immer neuen Ufern – dies erweist sich als eine Generaldevise im frühen Schaffen Max Frischs.“[110]

J´adore ce qui me brule knüpft an Jürg Reinhart an, einige Passagen sind übernommen. Der gleichnamige Held (wieder ein scheiternder Künstler) wird durch zwei unglückliche Liebesbeziehungen aus der Bahn geworfen und begeht Selbstmord.[111] Frisch lässt – ähnlich wie später im Stiller – den Helden seinen als gefunden geglaubten Lebenssinn wieder verlieren. Seine unter schwierigen Bedingungen erworbene Existenzbasis zerbricht. Eine konstruktive Lösung des Konflikts zwischen bürgerlicher Welt und Individuum scheint unmöglich. Der Selbstmord Reinharts kann als „[ . . . ] ein klares Verdikt über diese bürgerliche Welt und ihre Wertvorstellungen, an denen der Außenseiter offenbar notwendig zugrunde gehen muß [ . . . ]“[112] betrachtet werden. Die Kritik am Bürgertum steigert sich von Werk zu Werk und gipfelt in Fabers Abrechnung mit dem American Way of Life.

Gedankenführung und ihre stilistische Umsetzung in der frühen Trilogie (1934-1943) überzeugen noch nicht. Teilweise wirken Formulierungen zaghaft oder schwammig, immer wieder baut Frisch Erklärungen für Situationen ein, die den Textfluss zum Stocken bringen. Seine Wortwahl ist oft reißerisch, seine Symbole wiederholen sich (Monde, Frühlingserwachen, Herbstzeitlose), Aussagen haben vielfach etwas Effektheischendes, Kitschiges und auch Belehrendes. Frisch wendet sich elf Jahre lang ab von der Romanform. Doch das Thema für die drei späteren Romane ist formuliert – Verlust gewählter oder aufgedrängter Existenzgrundlage eines Menschen in einer Gesellschaft, die Sonderlinge, Schwierige, Sensible nicht auffängt.

Das Motiv des Aufbruchs und des Ausbrechens aus gesellschaftlichen Ordnungen und aus der eigenen Lebensordnung, wie es Stiller bestimmt, dominiert bereits Frischs dramatischen Erstling Santa Cruz[113]. Der Rittmeister ist „ein Mann der Ordnung“[114], der seine Pflichten erfüllt, aber irgendwann Langeweile und Ereignislosigkeit seines Daseins nicht mehr ertragen kann und ausbricht, was ihn mit Stiller und dessen Wärter Knobel verbindet. Ähnlich ist auch, dass sich der von Santa Cruz träumende Rittmeister in einem Schloss befindet, das zwar ein prunkvolles Gebäude ist, ihm aber das Gefühl vermittelt, hinter Schloss und Riegel zu sein. Er ist Gefangener seines Daseins, wie Anatol Stiller später tatsächlich ein Gefangener ist. Gefangen fühlen sich Frischs Protagonisten immer, vor allem in der geographischen und geistigen Enge der Schweiz.

Stiller misslingt die Verwirklichung seiner Identität, weil er sich einer Festlegung seines Ichs beharrlich verweigert. Eine egoistische Haltung, denn ihm geht es vorrangig um persönliche Selbstfindung. Darin unterscheidet er sich von Walter Faber, der bemüht ist, seine Identität unwiderruflich festzulegen. Parallelen befinden sich in den Zweierbeziehungen. Stiller flüchtet aus allen Verbindlichkeiten, ein Verdrängungsprozess, wie er auch bei Walter Faber funktioniert. Beide haben Probleme mit Frauen, wie auch schon Reinhart, Hinkelmann und Don Juan.

Viele Aspekte des Homo faber sind im Erscheinungsjahr 1957 in Frischs Werk keinesfalls neu. Zivilisationsflucht und –furcht prägen das Gesamtwerk. Fast alle Gestalten versuchen in einer mehr und mehr technisierten und verwalteten Welt ihren eigenen Standpunkt zu behaupten oder zu verteidigen, meistens erfolglos. Manche Motive sind in dem Roman J’adore ce qui me brule oder Die Schwierigen von 1943 angelegt. Der Wissenschaftler Heinrich Hinkelmann, Archäologe (wie Hanna), ist gebildet, konservativ erzogen, gewissenhaft, peinlich genau in allem, was er tut. Er ist als Wissenschaftler erfolgreich und akzeptiert, strahlt aber keinerlei Emotionalität aus, seine Ehe scheitert, Er zeigt ein optimistisches Selbstvertrauen, das nicht seiner Innerlichkeit entspricht, versagt gegenüber der Mitteilung, dass er Vater wird[115] und zerbricht daran, dass sich seine Frau Yvonne von ihm trennt[116]. Auch das Motiv der Abtreibung[117], damals noch weitgehend ein Tabu-Thema[118], und das des Ersatzvaters sind vorhanden, jedoch noch nicht in der Komplexität wie im Homo faber. Hinkelmann erkennt die Naturentfremdung des Menschen, wertet sie jedoch positiv, unumgänglich und als Phänomen der Zeit.

In der Farce Die Chinesische Mauer (1946) lässt Frisch den Jungen Mann und späteren Heutigen die Konsequenzen aussprechen, die aus der Herstellung der Atombombe resultieren[119]. Reflexionen des als Warnenden auftretenden Heutigen sind jedoch intellektueller Natur und nicht Persönlichkeitsstruktur wie bei Faber. Frisch geht also mit der Figur des Ingenieurs einen Schritt weiter. Er diskutiert nicht mehr eine Problematik, sondern zeigt ihre Folgen.

Im ersten Tagebuch formuliert Frisch diverse Phänomene, die im Homo faber bedeutsam sind. Im Abschnitt Nach einem Flug finden sich Bemerkungen über „[ . . . ] Entbindung aus dem erlebbaren Verhältnis, das uns die Technik in zahllosen Spielarten ermöglicht“[120] und über ein „Tempo, das die Natur uns nicht zudachte“[121], was Hanna ähnlich formuliert.[122] Technischer Fortschritt erscheint Frisch als das

„[ . . . ] luziferische Versprechen, das uns immer weiter in die Leere lockt. Auch der Düsenjäger wird unser Herz nicht einholen. Es gibt [ . . . ] einen menschlichen Maßstab, den wir nicht verändern, sondern nur verlieren können. Daß er verloren ist, steht außer Frage; er fragt sich nur, ob wir ihn noch einmal gewinnen können und wie?“[123]

Im Homo faber konstruiert Frisch die Klärung dieser Frage. Faber hat den Maßstab verloren, findet ihn kurzfristig wieder, um ihn kurz darauf endgültig zu verlieren.

Zahlreiche Parallelen führen zur Komödie Don Juan oder die Liebe zur Geometrie (1952). Juan und Faber treffen sich im Beharren auf einem „Wissen, das stimmt“[124] und der Abneigung gegen alles Flüchtige, Uneindeutige, gegen den „Sumpf unserer Stimmungen“[125] und gegen die Abhängigkeit des Mannes als Geschlechtswesen von der Frau. Don Juan sucht als Intellektueller nach Klarheit. In der Geometrie scheint sich das Problem der Identität zu lösen, denn jede geometrische Figur ist identisch mit sich selbst. Für Emotionen fehlt Juan jedes Handlungsmuster. Unberechenbarkeit macht ihm Angst.

Dieser Don Juan ist kein Frauenheld. Frauen erscheinen ihm als etwas Wildes, Unberechenbares, vor dem sich der intellektuelle Mann schützen muss. In Nachträgliches zu Don Juan schreibt Frisch:

„Liebe, wie Don Juan sie erlebt, muß das Unheimlich-Widerliche der Tropen haben, etwas wie feuchte Sonne über einem Sumpf voll blühender Verwesung, panisch, wie die klebrige Stille voll mörderischer Überfruchtung, die sich selbst auffrißt, wie Schlingengewächs.“[126]

Dieses Motiv wiederholt sich bei Fabers erstem Dschungel-Besuch. Immer wieder lässt Frisch seine Romanhelden der zweiten Trilogie in Kleider schlüpfen, die er bereits geschneidert hat. Als hätten ihm nur noch die Kostümträger gefehlt.

Die Verwandtschaft der Helden Don Juan und Faber liegt in Hinwendung zur Geometrie und Technik (als weiterentwickelte Mathematik), die Gott ersetzt, und in der Rückentwicklung zwischenmenschlicher Beziehungen. Beim Don Juan ist das die Liebe und Trennung von Anna aus dem Irrtum heraus, sie sei austauschbar. Bei Walter Faber ist es die Liebe und Trennung von Hanna[127] aus Ablehnung ihres erwarteten Kindes. Beide Helden machen sich vor ihren (ungewollten) Kindern schuldig, fliehen vor der Wahrheit, erleben sexuelle Episoden ohne Liebe, erkennen spät, dass ihr Weg in die Sackgasse führt und wenden sich schließlich von der Geometrie/Technik ab. Ähnlichkeiten sind auch beim fortschreitenden Sieg des Weibes (Natur) zu erkennen. Beide Männer reiben sich an der Auseinandersetzung mit einer einzigen wichtigen Frau[128] und erfahren ihr Kind als existenzielle Daseinswende.

Bedeutsam ist, dass „Frisch die [ . . . ] Probleme, die Widersprüche der reflektierenden Intellektuellen, weitergedacht und neu formuliert hat.“[129] Eine persönliche Weiterentwicklung ist offensichtlich, die nicht nur mit seinem individuellen Werdegang zu erklären ist, sondern auch mit seiner Erfahrung des amerikanischen Kontinents. Dadurch kann Frisch die angedeuteten Themenkreise in größerer Zusammenhänge stellen und Konsequenzen nicht nur spekulieren, sondern einschätzen. Während Don Juan beispielsweise seine intellektuelle Suche nach Erkenntnis dem Wunsch nach Liebe unterwirft, lebt Faber bereits (bis zur Begegnung mit Sabeth) in Lieblosigkeit. Don Juan benutzt seine Geometrie-Faszination, um ins Zentrum der Dinge zu gelangen, das Sein der Dinge zu erkunden. Faber benutzt die physikalischen Gegebenheiten, ohne sie zu hinterfragen. Erreicht Don Juan am Ende des Stücks durchaus eine neue Erkenntnis, ein neues Schöpfungsverständnis, resigniert Faber. „Motivkonstanz und Motiv-Intention der beiden Werke verhalten sich für den Bereich der Mathematik nicht analog, sondern antithetisch“[130], was ihre Verbindungslinie nicht unterbricht. Mein Name sei Gantenbein kann als „Kulminationspunkt aller früheren Entwicklungen“[131] gewertet werden. Dort wird Frischs ständige Frage nach Definierbarkeit, Entwicklungs- und Veränderungsmöglichkeiten eines Menschen eindeutig verneint.

Die Verweise auf Parallelstellen, beziehungsweise Fortführung bestimmter Themenkomplexe kann und soll nicht umfassend sein, zeigt aber die frühe Ausbildung von Frischs Zentralthemen: Die Frage nach einer existentiellen Entscheidung für die eigene Identität, Bildnisproblematik, Unmöglichkeit der Selbstfindung, Dialektik von Zufall und persönlichkeitsgebundener Vorbestimmung, sowie zwischenmenschliche Beziehungen und Rollenproblematik.

3.6 Veränderte Rollenproblematik nach USA-Aufenthalt

Für Frisch besteht das Einzelwesen nicht nur aus dem, was es (er)lebt, sondern auch aus Nichtgelebtem. Aus der Konfrontation mit seiner privaten und öffentlichen Umgebung spielt es sich auf eine Verhaltensweise ein und wird zum Rollenwesen.

Der Begriff „Rolle“ gehört zur Identitätsproblematik. Nahezu alle Figuren Frischs – vor allem die drei Protagonisten der zweiten Roman-Trilogie – haben Probleme mit ihrer Rolle.[132] Es fällt ihnen schwer oder misslingt ihnen, sich in einen Gesellschaftsbezug einzuordnen (Stiller, Gantenbein) und die von ihnen erwarteten Rollen zu spielen, oder scheitern an der totalen Rollenübernahme (Faber). Frischs Protagonisten erkennen, dass ihr Wunsch nach Selbstwahl auf Ablehnung der Welt stößt, resignieren. Doch Erfahrungen, die diese erfundenen Personen machen, sind übertragene Erfahrungen. Siegfried Lenz nennt sie daher Werkzeuge des Autors, „[ . . . ] geschaffen zur Erkundung und Auslegung der Wirklichkeit.“[133] Stiller, Faber und ihre Dialogpartner dienen Frisch zur Auslegung der amerikanischen Wirklichkeit. Nach den Amerika-Aufenthalten scheinen sich Fragen geklärt zu haben. Später sagte Frisch einmal, was sich geändert hatte:

„[ . . . ] das fing erst gegen Kriegsende an, daß ich die Welt, die mich bedrängt, darzustellen begann und die Literatur nicht mehr als Fluchtgefilde betrachtete.“[134]

Rollenmetaphorik gewinnt immer dann besondere Bedeutung, wenn soziale Umwälzungen innerhalb eines Gesellschaftssystems stattfinden und individuelles Verhalten nicht mehr als stimmig mit den äußeren Bedingungen empfunden wird. So mag es Frisch empfunden haben, als er Konsequenzen amerikanischer Gesellschaftszusammenhänge beobachtete.

Stiller und Gantenbein brechen mit dem passiven Sich-Fügen und wählen ihre (neuen) Rollen bewusst. Wenn sich auch einerseits nie das gesamte Spektrum eines Individuums ausleben lässt, so ist es doch andererseits möglich, sich durch Rollenwechsel umfänglicher zu realisieren, wie Faber es kurz vor Ende seines Lebens tut. Somit erhält das menschliche Dasein einen Variantencharakter und wird nicht nur vom Schicksal bestimmt.

Erkennt ein Mensch seine Rollenhaftigkeit, kann er sich neu wählen oder seine Rolle weiterspielen, doch ist ihm dann bewusst, dass seine gewählte Rolle nicht absolut und unüberwindlich ist. Es ist lediglich die gelebte Version anderer, möglicher Versionen, auf die Spitze getrieben im Gantenbein. Alle drei Romanhelden sind aufgefordert, zu agieren, sich zu entscheiden. Dass sie das auch tun, lässt vermuten, dass Frische eine alternative Möglichkeit nicht nur erdacht, sondern auch erlebt hat. Wenn er Amerika als einen Kontinent bezeichnet, der von einer Völkerwanderung bewohnt ist, lässt das schließen, dass ihm hier ein Land ohne feste, unerschütterliche Ordnung begegnet ist, dass das Zusammenleben verschiedenster Mentalitäten mit unterschiedlichsten Traditionen möglich ist[135]. Die Utopie vom Schmelztiegel USA lässt ihn Anfang der 50er Jahre noch hoffnungsvoll in die Zukunft blicken.

Deutlich wird der Einfluss amerikanischer Wirklichkeit auch bezüglich der Erzählhaltung in allen drei Romanen. Die Position eines allwissenden Erzählers ist Frisch unmöglich geworden angesichts einer „in lauter Einzelteile zerfallenen Welt.“[136] Und wo mag diese Unübersichtlichkeit größer sein als im boomenden Amerika? Mir der Ich-Position hebt Frisch (wie zahlreiche Kollegen seiner Zeit) die auktoriale Erzählhaltung zugunsten einer subjektiven Erzählhaltung auf, die die Relativität des Erzählten betont, wobei dieses Ich „[ . . . ] das Kristallisationszentrum eines sich ständig verändernden Bewußtseins [ist]: sein Name sei Frisch.“[137]

4. Stiller – ein Roman mit amerikanischen Wurzeln

1943 hatte Max Frisch mit seiner Ehefrau[138], der Architektin Constanze von Meyenburg, sein Architekturbüro eröffnet. 1946 bereiste er Deutschland, Italien und Frankreich, 1948 besuchte er Prag, Berlin, Breslau, Warschau. Er war nicht nur als Architekt erfolgreich, sondern auch als Stückeschreiber. Doch der gewollte Schritt in die Bürgerlichkeit, als Ehemann einer Tochter aus dem Großbürgertum, als Vater und Büroleiter, bereitete ihm Schwierigkeiten. 1949 verarbeitete er seine Selbstzweifel im Stück Graf Öderland. Die Moritat beschreibt den brachialen Ausbruch aus der Bürgerlichkeit.[139] Die Premiere des Stückes (10. Februar 1951) war ein Misserfolg. Frisch fühlte sich gescheitert, von der Öffentlichkeit (vor allem der Zürcher Presse) missverstanden. Aus dieser Krise half ein ihm ein Impuls von außen. Anfang 1951 wurde ihm das amerikanische Stipendium „Rockefeller Grant For Drama“ (330 $ monatlich) zugesprochen. Von April 1951 bis Mai 1952 lebte er in New York, Chicago, San Francisco, Los Angeles und Mexiko. Das bedeutet für Frisch einen entscheidenden Abstand zu Europa und zu seinem bisherigen Leben.[140]

Während seines Amerika-Aufenthaltes arbeitete Max Frisch an einem Roman Was macht ihr mit der Liebe?. In einem Brief an seinen Verleger Peter Suhrkamp, datiert 11.09.51, schrieb er aus Berkeley/Kalifornien: „Viel Arbeit an dem Roman, ich packe heute 200 sauber geschriebene Seiten zusammen in dem Bewußtsein, daß sie nicht stehen bleiben.“[141] Lange Zeit hat sich Max Frisch mit der Frage[142] gequält, wie nach den furchtbaren Schrecken des Zweiten Weltkrieges das Schreiben überhaupt noch möglich sei. In den Nachkriegsjahren schien die Tagebuch-Form die einzige Antwort auf seine Frage. Umsetzung der Antwort in Romanform war ihm noch nicht möglich. Frisch gab das Romanprojekt auf. Erst in einem Brief an Suhrkamp vom 23. August 1953 berichtet er:

„[ . . . ] von der Arbeit, die mich jetzt wieder einmal fesselt. . . Es ist das Thema, das mich seit langer Zeit immer wieder beschäftigt, aber es hat sich verwandelt, es sind Stufen hinzugekommen. . . Also: Ich bin wieder dabei, ein Prosa-Buch zu versuchen“[143]

Von seiner ersten Amerika-Reise zurückgekehrt und Don Juan erfolgreich auf die Bühne gebracht, begann Frisch nach elf Jahren wieder einen Roman. „Das war ein Wegschreiben, ein rasches, ich stand unter Aussagedruck damals“, erklärte Frisch viele Jahre später[144]. Er griff dabei auf das Material des in New York verworfenen Romanvorhabens zurück. Nach nur knapp einem Jahr erschien Stiller.[145]

Auffällig und in seiner Zeit ungewöhnlich ist die Konstruktion dieses Romans. Er beginnt mit dem Satz „Ich bin nicht Stiller!“[146], was zugleich wahr und falsch ist. Der Erzähler ist der sechs Jahre lang verschollene Bildhauer Anatol Ludwig Stiller. Er ist aber nicht mehr derselbe, will nicht mehr der sein, für den ihn seine Umwelt hält. Deshalb hat er sich ein anderes Leben wie einen Schutzmantel umgelegt, eine neue Identität (die des Amerikaners James Larkin White) angenommen. Er erfindet sich eine Geschichte, um seine eigene zu verbergen, die ihm als gescheitert erscheint. Er wird aber bei seinem Grenzübertritt als der Zürcher Bildhauer erkannt, den man wegen des Verdachts der Sowjetspionage polizeilich sucht, da man annimmt, dies sei seinerzeit der Grund für seine Flucht ins Ausland gewesen. Man erkennt seinen Pass als gefälscht, er kommt ins Gefängnis.

In Untersuchungshaft wird Stiller aufgefordert, über sich Bericht zu erstatten. Diesen Schreibbefehl benutzt er, um sich als Mr. White zu manifestieren, außerdem protokolliert er, was ihm seine Besucher über den verschollenen Bildhauer berichten. Durch diese kategorische Identitätsverweigerung[147] wird der Erzählraum erweitert. Zunächst wird der Leser im Unklaren gelassen, ob es sich um eine Verwechslung handelt. Immer mehr Indizien sprechen jedoch gegen die Behauptungen des Mr. White[148], er gibt schon bald zu: „Ich bin nicht ihr Stiller.“[149] Der Einfall des geforderten Berichts erlaubt Frisch, dass ein Ich in Gestalt einer fremden Person schreibt, also sich selbst nur von außen betrachtet. Die Figur White analysiert den realen Stiller. Seine Doppelexistenz drückt er dadurch aus, dass die Hefte wechselweise von White und Stiller berichten[150]

Der Gefangene weiß, wie er aus dem Gefängnis herauskommen kann, nur eine einzige Lüge wäre nötig, die Lüge, zu sagen „Ich bin Stiller.“ Doch diese Freiheit hieße für ihn:

„[ . . . ] dazu verdammt, eine Rolle zu spielen, die nichts mit mir zu tun hat. Anderseits: wie soll einer denn beweisen, wer er in Wirklichkeit ist? Ich kann’s nicht. Weiß ich es denn selbst, wer ich bin? Das ist die erschreckende Erfahrung dieser Untersuchungshaft: ich habe keine Sprache für die Wirklichkeit.“[151]

Stiller möchte ein neues Leben beginnen, misst aber ein Gelingen an einer harmonischen Zweisamkeit, wofür Julika die Falsche ist. Er möchte die Gegenwart und denkt an die Zukunft, gesteht Julika seine neue Liebe, doch sie verharrt in der (missglückten) Vergangenheit.[152] Somit kann Stiller sich selbst nicht finden und unterliegt dem Trugschluss, dass er durch seine misslungene Flucht sein Versagen noch vergrößert hat. Dass er aber überhaupt zurückgekehrt ist, zeigt, dass er die Auseinandersetzung mir sich selbst und auch seiner Umwelt sucht.[153] Er hat in Amerika erkannt, dass Flucht nicht sein Weg ist, was sich darin äußert, dass er sie nicht wiederholt. Bei den Ausflügen mit Frau Stiller-Tschudy böten sich Flucht-Möglichkeiten, die er ungenutzt lässt. Er weiß, was er in Amerika gesucht hat, und was er nun zu realisieren versucht:

[...]


[1] Geboren am 15. Mai 1911 in Zürich, gestorben in der Nacht zum 4. April 1991 in Zürich

[2] Eduard Stäuble: ‚Max Frisch. Ein Schweizer Dichter der Gegenwart. Versuch der Gesamtdarstellung seines Werkes’. Amriswil 1957, Seite 21.

[3] Hermann Kähler: ‚Max Frischs >Mein Name sei Gantenbein<’ (1965). In: Thomas Beckermann: ‚Über Max Frisch’. Frankfurt am Main 1974, Seite 198-204. Hier Seite 200.

[4] Heinz Bänzinger: ‚Frisch und Dürrenmatt’, Bern 1976, Seite 125.

[5] Hans Heinz Holz: ‚Max Frisch – engagiert und privat’(1968). In: Thomas Beckermann, 1974, Seite 235-260. Hier: Seite 238.

[6] Vgl. ebd., Seite 246.

[7] Gerhard Kaiser: ‚Max Frischs >Homo Faber<’. In: Walter Schmitz: ‚Max Frisch. Materialien.’ Frankfurt/Main 1987, Seite 200-213. Hier: Seite 200.

[8] Peter Bichsel: ‚Als uns Primo Rabdazzo >Bin< befahl’. In: ‚Begegnungen. Eine Festschrift für Max Frisch – Zum siebzigsten Geburtstag’. Hrsg. vom Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1981. Seite 20-26. Hier: Seite 23.

[9] Vgl. Walter Obschlager: ‚Zeitgenossenschaft – Ein Nachwort’. In: Max Frisch- Schweiz als Heimat? Versuch über 50 Jahre. Frankfurt/Main 1990. Seite 562.

[10] Ludwig Arnold: ‚Gespräch mit Max Frisch’. Zürich 24. bis 27. November 1974. In: Ders: ‚Gespräche mit Schriftstellern’. München 1975. Seite 205-288. Hier: Seite 265.

[11] Zur Zitierweise: Sekundärliteratur wird einmal ausführlich genannt und erscheint daraufhin reduziert auf Name, Erscheinungsjahr und Seitenangabe. Werkimmanente Analysen sind in narrativer Gegenwart verfasst.

[12] Die Passage ist der Einfachheit halber in narrativer Gegenwart verfasst.

[13] Wilfried Malsch: ‚Einleitung. Neue Welt, Nordamerika und USA als Projektion und Problem’. In: Sigrid Bauschinger, Horst Denker und Wilfired Malsch (Hrsg): ‚Amerika in der deutschen Literatur. Neue Welt – Nordamerika – USA’. –Stuttgart 1975, Seite 9-16. Hier Seite 15.

[14] Sigrid Mayer: ‚Zur Funktion der Amerikakomponente im Erzählwerk Max Frischs’. In: Gerhard P. Knapp (Hrsg.): ‚Aspekte des Prosawerks. Studien zum Werk Max Frischs’. Bern, 1978, Seite 205-235.

[15] Anita Krätzer: ‚Studien zum Amerikabild in der neueren Literatur – Max Frisch, Uwe Johnson, Hans Magnus Enzensberger und das Kursbuch’. Europäische Hochschulschriften, Band 601. Bern, Frankfurt am Main, 1982. Hier: Seite 5.

[16] Anita Krätzer, 1982, Seite 7.

[17] „Die Stilisierung Amerikas als >>Vater-Nation westlicher Demokratien<< wird um die Mitte der sechziger Jahre systematisch durch ein Feindbild ersetzt, was deutlich auch die politischen und ideologischen Veränderungen in der Bundesrepublik symbolisiert.“ Walter Hinderer: ‚>>Ein Gefühl der Fremde<<. Amerikaperspektiven bei Max Frisch.’ In Bauschinger, Denkler und Malsch Stuttgart 1975. Seite 353-367. Hier: Seite 353.

[18] Gabriela Wettberg: ‚Das Amerika-Bild und seine negativen Konstanten in der deutschen Nachkriegsliteratur’. Heidelberg 1987, Seite 15.

[19] ebd.

[20] Günther Bicknese: ‚Zur Rolle Amerikas in Max Frischs >Homo faber<’. In: Alexander Ritter (Hrsg.): ‚Deutschlands literarisches Amerikabild – Neuere Forschungen zur Amerikarezeption der deutschen Literatur’. Germanistische Texte und Studien Band 4. Hildesheim/New York 1977, Seite 525-537. Hier: Seite 525.

[21] Gabriele Wettberg, 1987, Seite 206.

[22] Frisch widmet sich diesem Aspekt in Sybilles Manhattan-Aufenthalt.

[23] auswaschen, wegnagen.

[24] Dass Frisch seinen Helden Walter Faber sterben lässt, mag ein Hinweis darauf sein, dass er sich mit diesem neuen Menschenbild nicht identifizieren kann und will.

[25] Ein Thema, das Frisch intensiv (vor allem im zweiten ‚Tagebuch´) beschäftigt.

[26] Gabriele Wettberg, 1987, Seite 206-215.

[27] ebd., Seite 216.

[28] ebd.

[29] ‚Die sechste Schwierigkeit beim Schreiben der Wahrheit’. In: Wolfgang Paulsen (Hrsg.): ‚Die USA und Deutschland. Wechselseitige Spiegelungen in der Literatur der Gegenwart’. Bern und München 1976, Seite 13.

[30] ebd., Seite 11.

[31] Sigrid Bauschinger: ‚Mythos Manhattan. Die Faszination einer Stadt’. In: Bauschinger, Denkler, Malsch, 1975, Seite 382-397. „Max Frisch war unter den ersten deutschen Autoren, die nach dem Zweiten Weltkrieg von der allgemeinen Reiselust ergriffen nach Amerika fuhren, und New York, genauer der Stadtteil Manhattan, wurde für die meisten zur ersten Station“ (Seite 382).

[32] Walter Obschlager, ‚Zeitgenossenschaft – Ein Nachwort’. In: ‚Max Frisch – Schweiz als Heimat? Versuche über 50 Jahre’. Frankfurt am Main 1990, Seite 571.

[33] ‚Das Amerika-Bild in der deutschen Gegenwartsliteratur – Historische Voraussetzungen und aktuelle Beispiele’. Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1979, Seite 138.

[34] Im ersten ‚Tagebuch’ bezeichnet er sich selbst einmal als „Nomade“ (Band 2, Seite 239).

[35] Band 2, ‚Autobiographie, 1948’, Seite 589.

[36] „ [ . . . ] und wenn ich noch einmal aus freien Stücken wählen könnte, was die Geburt schon entschieden hat, möchte ich trotzdem nichts anderes als ein Schweizer sein;“ (Band 2, ‚Café de la Terasse’, Seite 492).

[37] Band 2, Seite 491.

[38] Band 5, Seite 388.

[39] Rede aus dem Jahre 1953. Zuerst erschienen in: Neue Zürcher Rundschau 1953. Einleitung des Vortrages über schweizerische Architektur vor dem Bund Schweizerischer Architekten in Zürich. Band 3. Seite 222-229.

[40] Vgl. Band 6, Seite 290.

[41] Band 6, Seite 291.

[42] Helmuth Plessner: ‚Gesammelte Schriften’. Conditio Humana. Hrsg. von Günter Dux, Odo Marquard und Elisabeth Ströker unter Mitwirkung von Richard W. Schmidt, Angelika Wetterer und Michael-Joachim Zemlin. Frankfurt am Main 1983, Seite 99.

[43] ebd., Seite 88-104.

[44] Band 2, Seite 364.

[45] Plessner, 1953, Seite 92.

[46] ebd., Seite 93.

[47] ebd., Seite 94.

[48] ‚Diese dünne Gegenwart – Bemerkungen zu >>Montauk<<’. In: Manfred Jurgensen (Hrsg.): ‚Frisch-Beiträge zum 65. Geburtstag. Kritik-Thesen-Analysen’. Bern/München 1977, Seite 55-65. Hier: Seite 63.

[49] Hans Bänzinger: ‚Frisch und Dürrenmatt’, Bern 1976, Seite 30.

[50] Plessner, 1953, Seite 95.

[51] ebd., Seite 92.

[52] Rudolf Hartung: ‚Schreibend unter Kunstzwang – Zu der autobiographischen Erzählung Montauk von Max Frisch’. In: ‚Über Max Frisch II’, hrsg. von Walter Schmitz, Frankfurt am Main 1976, 3. Auflage 1981, Seite 435-447. Zitat Seite 445.

[53] Band 2 ‚Portofino Monte’, Seite 451.

[54] Helmuth Plessner, 1953, Seite 99.

[55] ebd., Seite 103.

[56] ebd., Seite 104.

[57] Günther Bicknese in Alexander Ritter, 1977, Seite 525.

[58] Seite 222.

[59] „[ . . . ] werden mir gerade im Gespräch mit Freunden, die Amerika noch nie betreten haben, gewisse Amerika-Erfahrungen bewußt, und zwar daran, dass ich immer wieder über eine europäische Arroganz erschrecke, die mir früher, da sie offenbar auch die meine war, nicht aufgefallen ist“ (Seite 222).

[60] „[ . . . ] als wäre ein Werk wie die amerikanische Verfassung (wohl die beste, wenn sie realisiert würde) keine kulturelle Leistung“ (Band 3. Seite 225).

[61] „Die Arroganz [ . . . ] bezieht sich natürlich nicht auf das Wirtschaftliche (wir wissen, in dieser Hinsicht kann Amerika uns zertreten), nicht auf das Technische (wir wissen, in dieser Hinsicht können wir von Amerika lernen), sondern immer auf das sogenannte Kulturelle“ (Band 3, Seite 223f).

[62] ebd.

[63] ebd., Seite 225f.

[64] „Verstehen wir dieses Wort im dem Sinne, daß der Mensch sich nicht von materiellem Besitz trennen kann und dadurch unfrei ist, so ist die Schweiz [ . . . ] sehr viel >>materialistischer<< als Amerika“ (Seite 226).

[65] ebd., Seite 226.

[66] ebd., Seite 227.

[67] ebd.

[68] Hans Habe: ‚Von der amerikanischen Arroganz.’ In: Süddeutsche Zeitung vom 1./2. August 1953.

[69] Band 3, Seite 229. Konzentriert sich Max Frisch in seinem Prosawerk zunächst darauf, die Vielschichtigkeit des amerikanischen Kontinents beobachtend einzufangen und an ihm die Verhältnisse in der Heimat kritisch zu messen, wobei er seine Parteinahme für die Indios und Schwarzen in den USA nicht verhehlt, ist das Amerikabild in seinen späteren Aufsätzen (beispielsweise zum Vietnam-Krieg und zur Ermordung Martin Luther Kings) eindeutig parteinehmend-politisch und zeigt die Geschichte der USA als Geschichte imperialistischer Machtpolitik (vgl. dazu seinen Aufsatz ‚Politik durch Mord’ in: Die Weltwoche vom 26.4.1968.).

[70] Peter André Bloch und Edwin Hubacher (Hrsg.) zusammen mit einer Arbeitsgruppe des Deutschen Seminars der Universität Basel mit Rudolf Bußmann, Christina Ghionda, Guido Hunziker, Elisabeth Kuhn und Alexander Jon Schneller: ‚Der Schriftsteller in unserer Zeit – Schweizer Autoren bestimmen ihre Rolle in der Gesellschaft: Gespräch mit Max Frisch.’ Bern 1972. Seite 17-35. Hier: Seite 22.

[71] ebd.

[72] Tildy Hanhart ‚Max Frisch: Zufall, Rolle und literarische Form’, Kronberg 1976, Seite 1.

[73] Im ersten ‚Tagebuch’ formuliert Frisch seine Ängste: „Wenn Menschen, die eine gleiche Erziehung genossen haben wie ich, die gleichen Worte sprechen wie ich und gleiche Bücher, gleiche Musik, gleiche Gemälde lieben ich – wenn diese Menschen keineswegs gesichert sind vor der Möglichkeit, Unmenschen zu werden und Dinge zu tun, die wir Menschen unserer Zeit [. . .] vorher nicht hätten zutrauen können, woher nehme ich die Zuversicht, dass ich davor gesichert sei?“ (‚Hamburg, November 1948’, Band 2, Seite 629). Siehe auch ‚Kultur als Alibi’, 1949 (Band 2, Seite 337-343).

[74] In der Zeitung ‚Die Weltwoche’ vom 19. Dezember 1958 antwortet er auf die Frage, warum er schreibe: „Um die Welt zu ertragen [. . .] um am Leben zu bleiben.“

[75] Band 2, Seite 361.

[76] Marcel Reich-Ranicki: ‚Der Romancier Max Frisch’ (1983) In. Ders: ‚Deutsche Literatur in West und Ost’. Stuttgart 1985, Seite 77.

[77] ebd., Seite 78.

[78] Walter Hinderer, 1975, Seite 355.

[79] Siehe ‚Autobiographie’ in Band 2, Seite 585.

[80] Vgl. Hans-Gert Roloff, Mona Knapp und Gerhard P. Knapp (Hrsg. der Reihe ‚Grundlagen und Gedanken zum Verständnis erzählender Literatur’): ‚Max Frisch: Homo faber’. Frankfurt am Main, 1987, Seite 10.

[81] Zitiert bei Rolf Kieser: ‚Max Frisch. Das Literarische Tagebuch’, Frauenfeld 1975, Seite 18. Entnommen: Rolf Kieser: ‚Das Tagebuch als Idee und Struktur im Werke Max Frischs’. In: Gerhard P. Knapp, 1978, Seite 157-189. Hier Seite 157.

[82] Rolf Kieser in: Gerhard P. Knapp, 1978, Seite 159.

[83] ‚Versuch eines Requiems’, Uraufführung 1946 in Zürich

[84] Walter Obschlager, 1990, Seite 555.

[85] 1936 wurde beispielsweise dem Schauspieler-Emigranten Wolfgang Langhoff durch die schweizerische Bundesanwaltschaft verboten, über seine Erlebnisse im Konzentrationslager öffentlich Vorträge zu halten. Als im selben Jahr unter einem Pseudonym das Buch ‚Dachau’ erschien, drohte die schweizerische Regierung dem Europa-Verlag Zürich Konsequenzen an, wenn er weitere unschweizerische und politisch tendenziöse Emigrantenliteratur herausgebe (vgl. ebd.).

[86] ebd., Seite 556.

[87] ebd., Seite 572f.

[88] Marcel Reich-Ranicki, 1983, Seite 78.

[89] ebd.

[90] ebd.

[91] Manfred Jurgensen: ‚Max Frisch – Die Romane’. Bern 1972, Seite 85.

[92] ebd., Seite 87.

[93] Max Frisch in seiner Rede auf der Frankfurter Dramaturgentagung 1964: ‚Der Autor und das Theater’. Band 5, Seite 350.

[94] ‚Auf der Suche nach neuer Ich-Erfassung - Zur Kommunikativität und Applikation der Prosa von Max Frisch’. In: Manfred Jurgensen, 1977, Seite 67-80. Hier Seite 73.

[95] ‚Dramaturgisches. Ein Briefwechsel mit Walter Höllerer’- Hrsg.: Literarisches Colloquium Berlin 1969, Seite 33f.

[96] Tildy Hanhart, 1976, Seite 1.

[97] Bei Marcel Reich-Ranicki, 1983. Seite 79.

[98] Vgl. Walter Schmitz: ‚ Max Frisch: Das Spätwerk (1962-1982) – Eine Einführung.’ Tübingen 1985, Seite 27f.

[99] Rolf Kieser: ‚Mosaik eines Statikers’. In: Gerhard P. Knapp. Seite 196.

[100] Marcel Reich-Ranicki, 1983. Seite 94. Hervorhebung Reich-Ranickis.

[101] Frederick Alfred Lubich: ‚Max Frisch: >Stiller<, >Homo faber< und >mein Name sei Gantenbein<. München 1990, Seite 7. Lubichs Studie bietet zahlreiche neue Interpretationsansätze. Er entfaltet ein Mythen-Modell, das den drei Romanen als Orientierungsmuster die Mythographie des Matriarchats zugrundelegt. Der Autor sieht Frischs Gesamtwerk unter diesem Aspekt. Zudem liefert er eine wegweisende Übersicht der Rezeptionsgeschichte. Seine Analyse ist allerdings derart komplex und auch einseitig, dass sie im Rahmen dieser Arbeit keine herausragende Rolle spielen kann.

[102] Jürgen Hennigsen: ‚>Jeder Mensch erfindet sich eine Geschichte<. Max Frisch und die Autobiographie’. In: ‚Literatur in Wissenschaft und Unterricht’. Hrsg.: Paul G. Buchloh, Dietrich Jäger, Horst Kruse, Peter Nicolaisen. Band IV, Kiel 1971. Seminar der Universität Kiel. Seite 167-175.

[103] ‚Max Frisch – Stiller’. In: Oldenburger Interpretationen. München 1988, Seite 9.

[104] Band 2. Seite 361.

[105] Das Tagebuch ist per definitionem an keine feste Form gebunden, es gliedert episodisch ein Fragment an das andere, erlaubt freies Spiel der Gedanken. Horst Steinmetz bezeichnet in seiner Studie ’Max Frisch: Tagebuch, Drama, Roman’ (Göttingen 1973) sogar Frischs Gesamtwerk als Tagebuch: „Die Kongruenz zwischen Tagebuch und Werk ist so groß, dass schließlich alle literarischen Werke als Bestandteile eines umfassenden Tagebuchs definiert werden müssen“ (Seite 8f). Steinmetz betont, dass ‚Stiller’ zum größten Teil ein in Tagebuchform geschriebener Roman ist. Im ‚Homo faber’ bilde nicht nur die ‚Zweite Station’ ein Tagebuch, sondern auch die erste sei als „eine Art nachträglich geführtes Tagebuch“ aufzufassen. Die Aufzeichnungen des Ichs im ‚Gantenbein’ erschienen zwar nicht direkt in Tagebuchform, können aber als „Spielart der Tagebuchform“ (ebd.) verstanden werden.

[106] Hans-Gert Roloff, Mona Knapp und Gerhard P. Knapp. 1987, Seite 11.

[107] ‚Max Frisch. Ein Schweizer Dichter der Gegenwart. Versuch einer Gesamtdarstellung seines Werkes’ Amriswil 1957, Seite 11.

[108] ebd,

[109] „Die Sehnsucht ist unser Bestes“, sagt der Ich-Erzähler (Band1, Seite 643).

[110] Markus Werner: ‚Bilder des Endgültigen – Entwürfe des Möglichen. Zum Werk Max Frischs.’ In: Europäische Hochschulschriften Reihe I, Deutsche Literatur und Germanistik Band 111, Bern, Frankfurt/Main 1975, Seite 11-72. Hier: Seite 13.

[111] Vgl. Band 1, Seite 592. Frisch sagt in einer ‚Rede an junge Lehrer’ (Band 4, Seite 212). „ich habe selbst oft an Selbstmord gedacht.“

[112] Markus Werner, 1975, Seite 13

[113] ‚Eine Romanze’. Frischs erstes Theaterstück, obwohl es nach ‚Nun singen sie wieder’ aufgeführt wird. Geschrieben im August/September 1944, Uraufführung 7.März 1946 in Zürich.

[114] Band 2, Seite 11 u.ö.

[115] Band 1, Seite 401, 404.

[116] „Zum ersten Mal in seinem Leben, das ein Leben aus Arbeit und Erfolg war, dämmerte ihm ein Abgrund, Grauen eines anderen und traumdunklen Daseins mit verschwimmenden Fratzen, mit tosender Brandung, mit Gewittern aus dem Unberechenbaren [ . . . ] Hinkelmann nannte es Stimmung, nichts weiter“ (Band 1, Seite 411). Auch Hinkelmann begeht als 35jähriger Selbstmord (Seite 409).

[117] Hinkelmann redet über Abtreibung wie Faber: “Was heißt das? Verbrechen gegen das keimende Leben! Was für eine jämmerliche Halbheit des Urteils, wo man weiß, wie weit wir uns in allem von der Natur entfernt haben, und stolz darauf sind, wir verhindern Seuchen, die Sterblichkeit der Kinder. Ist das Natur?“ (Band 1, Seite 413f, vgl. mit Band 4, Seite 105f).

[118] Es ist anzunehmen, dass er sich hier um Verarbeitung persönlicher Erlebnisse handelt. In ‚Montauk’ schreibt Frisch: “Was er alles nicht beschrieben hat: Vier Abtreibungen bei drei Frauen, die ich geliebt habe. .Drei Mal ohne Zweifel, dass es richtig ist. Nie ohne Schrecken.“ (Band 6, Seite 688).

[119] „Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit [ . . . ] stehen wir vor der Wahl, ob es die Menschheit geben soll oder nicht. [ . . . ] Je mehr wir (dank der Technik) können, was wir wollen, um so nackter stehen wir da, wo Adam und Eva gestanden haben, vor der Frage nämlich: Was wollen wir? Vor der sittlichen Entscheidung“ (Band 2, Seite 206).

[120] Band 2, Seite 391.

[121] ebd., Seite 392.

[122] Vgl. Band 4, Seite 169.

[123] Band 2, Seite 392.

[124] Band 3, Seite 131.

[125] ebd.

[126] Band 3. Seite 169.

[127] Schon die Ähnlichkeit der Namen lässt auf inhaltliche Verwandtschaft schließen.

[128] Eine Quelle für die Figur Hanna ist in der Biographie des Autors zu finden. Siehe ‚Tagebuch 1946-1949’ im Band 2, Seite 461, im ‚Tagebuch 1966-1971’ im Band 6, Seite 163 sowie in ‚Montauk’ im Band 6, Seite 727-729.

[129] Klaus Schuhmacher: ‚Weil es geschehen ist – Untersuchungen zu Max Frischs Poetik der Geschichte’. Hrsg.: Gerhard Kaiser: ‚Diskurs-Forschungen zur deutschen Literatur’, Band 1, Königstein 1979, Seite 58.

[130] ebd., Seite 61.

[131] Hans-Gert Roloff u.a., 1978, Seite 14.

[132] In ‚Bin oder die Reise nach Peking’ setzt Frisch das Problem von der aufgezwungenen Rolle noch bildlich um. Der Held trägt unter dem Arm eine Rolle (Architektenentwurf), die er loswerden will und projiziert die Befreiung nach Peking, das unerreichbar ist: „Eine Rolle, die man in Peking stehen ließe , wäre für immer verloren. [ . . . ] Ohne sie, glaube ich immer, wäre ich selig gewesen“ (Band 1. Seite 608).

[133] Siegfried Lenz : ‚Ruiniert durch Erkenntnis – Bei einer Wiederbegegnung mit Stiller und Faber’, 1981. In: Ders.: ‚Elfenbeinturm und Barrikade – Erfahrungen am Schreibtisch’. Hamburg 1983, Seite 144.

[134] Ludwig Arnold: ‚Gespräch mit Max Frisch. Zürich 24. bis 27. November 1974.’ In: Ders.: ‚Gespräche mit Schriftstellern’, München 1975, Seite 205-288. Hier: Seite 221.

[135] Gleichzeitig mag ihm der Amercan Way Of Life als eine neue Gesellschaftsordnung begegnet sein, die alle übrigen abzulösen imstande wäre und daher durchaus bedrohlich in ihrer Einseitigkeit, was er an Walter Faber demonstriert.

[136] Horst Steinmetz. 1973. Seite 34.

[137] Rolf Kieser in: Gerhard P. Knapp, 1978, Seite 161.

[138] Heirat 1942. Mit ihr hat er drei Kinder: Ursula. Hans-Peter und Charlotte.

[139] Das Stück beginnt mit einem Mord ohne Motiv. Und ausgerechnet ein Staatsanwalt, Hüter bürgerlicher Gesittung, fühlt sich von der Tat inspiriert, greift selbst zur Axt und zieht blutgierig als Graf Öderland durch die Gegend.

[140] Im ‚Tagebuch 1966-1971’ schreibt Frisch eine Liste von A-Z seiner ‚Dankbarkeiten’. Dort notiert er unter q: „ein Rockefeller-Stipendium“ (Band 6, Seite 235). Dies ist der einzige auffindbare autobiographische Hinweis auf die Wichtigkeit dieser frühen Möglichkeit der Amerika-Erfahrung,

[141] Band 3, Seite 865.

[142] Im ersten ‚Tagebuch’ legt Frisch diese Frage seinem Marionettespieler Marion in den Mund: „Was aber, Maestro, wäre statthaft? Schauen wir auf die andorranische Kunst unsrer Tage; wir schreiben Romane, als stünde noch immer eine Sanduhr neben uns, als hätten wir nach allem, was an unheimlicher Erkenntnis zugestoßen ist, einen durchaus sicheren und handlichen Begriff von der Zeit, einen unerschütterlichen Glauben an Ursache und Wirkung.“ (Band 2, Seite 349f).

[143] Band 3. Seite 865.

[144] Interview mit Volker Hage am 30. August in Frankfurt. Zitiert nach Hage, 1990, Seite 68.

[145] Die Buchausgabe erscheint im Herbst 1954. Der Roman erreichte als erstes Buch des Suhrkamp-Verlages eine Millionenauflage. Seitenzahlen zu Stiller beziehen sich auf den dritten Band der Gesamtausgabe.

[146] Seite 361.

[147] Mehr als 20mal dementiert er, Stiller zu sein.

[148] Der Name White kann ein symbolischer Hinweis darauf sein, dass dieses Ich tatsächlich ein geschichtsloses Ich ist, seine Identität ein weißer Fleck.

[149] Seite 401, Hervorhebung d.A.

[150] Die Hefte 1, 3, 5, 7 enthalten Ereignisse, Gespräche, Reflexionen und Beobachtungen White/Stillers in der Haft, sowie seine Erinnerungen an die Amerika-Zeit inklusive der Erzählungen, die seine Problematik veranschaulichen (Geschichte vom Apotheker Isidor, Rip van Winkle). Die Hefte 2, 4, 6 haben die Beziehungsgeschichten und –krisen zum Inhalt (Heft 2: Stiller/Julika, Heft 4: Sibylle/Rolf, Heft 6: Stiller/Sibylle) und stellen die protokollartige Rekonstruktion von Stillers Schweizer Vergangenheit dar, wobei der Erzähler aus der Perspektive seiner wichtigsten Bezugsperson berichtet, nämlich Julikas (Heft 2), Rolfs (Heft 4) und Sibylles (Heft 6).

[151] Seite 435.

[152] Vfl. Seite 434f.

[153] Siehe dazu: Gunda Lusser-Mertelsmann: ‚Selbstflucht und Selbstsuche - >Das Psychoanalytische< in Frischs >Stiller<. In: Walter Schmitz (Hrsg.): ‚Materialien zu Max Frisch - >Stiller<.’ Band 2, Frankfurt am Main, 1978. Seite 594-614. Hier: Seite 602. Die Autorin rechtfertigt ihre nicht uninteressante Studie mit dem Hinweis, dass Max Frisch sich mit Psychoanalyse und vor allem der Tiefenpsychologie Carl Gustav Jungs beschäftigt habe. Außerdem habe er jahrelang in Zürich gelebt, „einer Stadt, in der geradezu ein ‚psychoanalytisches Klima’ herrscht“ (Seite 610). Sie erklärt nahezu alle Verhaltensweisen der Romanfiguren (durchaus schlüssig) mit psychoanalytischen Theorien und Erkenntnissen.

Excerpt out of 113 pages

Details

Title
Max Frischs Amerika-Erfahrung als Ferment seines Erzählens
College
University of Hannover  (Institut für deutsche Literatur und Sprache)
Grade
2,0
Author
Year
1992
Pages
113
Catalog Number
V41277
ISBN (eBook)
9783638395694
ISBN (Book)
9783638704021
File size
1344 KB
Language
German
Keywords
Frischs, Amerika-Erfahrung, Ferment, Erzählens
Quote paper
Ute Witt geb. Hoffmeister (Author), 1992, Max Frischs Amerika-Erfahrung als Ferment seines Erzählens, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41277

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Title: Max Frischs Amerika-Erfahrung als Ferment seines Erzählens



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