Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Zur Begrifflichkeit und Definition
3. Code-Switching vs. Entlehnung
4. Das Code-Switching bei russischsprachigen Migranten
4.1 Wie entsteht Code-Switching? – Soziolinguistischer Ansatz
4.2 Wie entsteht Code-Switching? – Psycholinguistischer Ansatz
4.3 Wie entsteht Code-Switching? – Grammatikalischer Aspekt
5. Schlussfolgerung
6. Bibliographie
7. Glossar
1. Einleitung
In den letzten fünfzig Jahren hat sich die Gesellschaft der westlichen Welt stark verändert. Neue Technologien und Massenmedien bringen unterschiedlichste Völker und Kulturen näher zu einander. Die Globalisierung verschafft uns Mobilität, und die Möglichkeit uns in anderen Ländern niederzulassen. Millionen von Menschen verlassen ihre Heimat, um aus wirtschaftlichen Gründen in einem wohlhabenden Land eine neue, bessere Zukunft für sich und ihre Familie aufzubauen. Die Migration in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ist so stark gewachsen wie nie. Westliche Großmächte wie Deutschland, Großbritannien und die USA sind die beliebtesten Einwanderungsländer für Familien aus meist ärmeren Regionen wie Afrika, Asien und der ehemaligen Sowjetunion. Allein in Deutschland sind seit 1955 33.000.000 Menschen eingewandert (ACHTERBERG, 2005). Solch starke Migration erzeugt nicht nur eine multikulturelle Gesellschaft, sondern auch eine Gesellschaft, in der viele unterschiedliche Sprachen nebeneinander existieren und miteinander in Kontakt treten. In Deutschland lebende Migranten aus aller Welt benutzen tagtäglich neben ihrer Erstsprache auch die deutsche Sprache als Zweitsprache, da dies die offizielle Sprache des Landes ist. Je nach Aufenthaltsdauer, Alter des Spracherwerbs, Arbeitsstelle und Kontakt mit diversen Institutionen und monolingualen Deutschsprechern beherrschen Migranten deutsch auf unterschiedlichen Ebenen. Jedoch haben sie eins gemein: Alle sind sie bilinguale Sprecher, die je nach Situation und Gesprächspartner wählen können, welche der beiden beherrschten Sprachen sie zum Kommunizieren benötigen. So spricht ein aus der ehemaligen Sowjetunion stammender Jugendlicher in der Schule und in seinem deutschen Freundeskreis deutsch, jedoch wird zu Hause in der Familie und mit russischsprachigen Freunden russisch gesprochen. Durch die Bewahrung und Benutzung der Erstsprache wird der Erhalt der eigenen kulturellen Identität in einem Land mit anderer Kultur ermöglicht. Die Möglichkeit bilingualer Sprecher je nach Konversation und Angemessenheit zwischen beiden Sprachen zu wählen ist nicht das einzige Phänomen in der Sprachkontaktforschung. Wer einen bilingualen Sprecher in seinem Freundeskreis hat, dem wird schon die eine oder andere Situation aufgefallen sein, in der dieser im Gespräch (z.B. Telefonat) mit einem anderen bilingualen Sprecher in derselben Konversation oder gar im selben Satz beide seiner beherrschten Sprachen verwendet. Oft hört man beispielsweise Russlanddeutsche, die nach Zerfall der Sowjetunion zurück nach Deutschland immigriert sind, in einer „Mischsprache“ miteinander reden, und innerhalb einer Äußerung deutsch und russisch abwechselnd verwenden. Dieses interessante Phänomen nennt sich in der Linguistik Code-Switching. Dieses Code-Switching, insbesondere im Bezug auf russischsprachige Migranten, die in Deutschland leben, soll nun der Gegenstand dieser Arbeit sein. Im Folgenden soll der Begriff und die Definition des Code-Switching in der Forschung untersucht, eine Abgrenzung zur Entlehnung geschafft und geklärt werden, welche Auslöser es für dieses Phänomen gibt, und wie Konstruktionen der deutsch-russischen Mischsprache zustande kommen.
2. Zur Begrifflichkeit und Definition
Die Sprachkontaktforschung und Untersuchungen im Themengebiet des Bilingualismus sind relativ neue Forschungsgebiete in der Linguistik. Vor allen Dingen auf das Sprachverhalten bilingualer Sprecher, mit russisch als Erst- und Familiensprache und deutsch als Zweit- und Institutionssprache, bezogene Studien sind immer noch rar in der Forschung, und dies obwohl „approximately half of the world’s population use more than one language in their everyday life.“ (FRANCESCHINI in AUER, 1998:52)
Dieser Fakt qualifiziert die Sprecher für den Status von Bilingualen. Bilinguale Sprecher kommen im Gespräch mit anderen Bilingualen nicht umher, in das Code-Switching zu verfallen. Dies geschieht aus unterschiedlichen Gründen, auf welche diese Arbeit noch zu sprechen kommen wird.
Das Phänomen Code-Switching an sich beschäftigte im Laufe der Jahre viele Forscher, die im Bereich des Bilingualismus arbeiteten. Im Lexikon der Sprachwissenschaft von BUßMANN (2002) wird dieses Phänomen definiert als der
„Wechsel zwischen verschiedenen Sprachen […] oder Varietäten eines Sprachsystem […] bei bi-/ multilingualen bzw. bi-/ multidialektalen Sprechern innerhalb einer Konversation.“
Die vorliegende Arbeit soll sich allerdings nur mit dem Wechsel zwischen Sprachen beschäftigen und Varietäten und Dialekte außen vor lassen. Um die Definition zu verstehen, muss erst deutlich gemacht werden welche Sprecher als bilingual angesehen werden können, denn Bilingualismus ist eine unumgängliche Voraussetzung für das Code-Switching. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wurde der Bilingualismus nur als „perfekter Bilingualismus“ angesehen. BLOCHER (1909) und BLOOMFIELD (1933) entwickelten Theorien, die jemanden als bilingual bezeichneten, wenn seine Sprachkompetenz in beiden Sprachen ausgeglichen war. Dies bedeutet, dass sowohl Erst- als auch Zweitsprache auf gleicher Ebene beherrscht werden. Bis ungefähr 1950 war auch die Pathologiehypothese sehr populär, welche besagte, dass der Zustand des Bilingualismus „etwas Krankhaftes; nicht Natürliches“ (BANAZ, 2002:9) sei. Seit den Fünfziger Jahren hat sich hat sich die Sichtweise der Linguisten verändert. HAUGEN (1953) stellte fest, dass minimale Fähigkeiten genügen, um einen Sprecher als bilingual zu bezeichnen. „Er spricht von der Fähigkeit, vollständige, sinnvolle Äußerungen in der anderen Sprache zu formulieren.“ (BANAZ, 2002:9)
Obwohl die „Sprachkompetenz und das Sprachverhalten der einzelnen Sprecher sehr unterschiedlich [ist und] von außersprachlichen Faktoren abhängt wie biographischen Hintergrund, Art des Spracherwerbs, Wohnort, Familienzusammensetzung, Bildung und Beruf, “ (BLANKENHORN, 1999:42)
sind diese „minimalen Fähigkeiten“ schon ausreichend für die Entstehung von Code-Switching. Auch hier sind sich die Forscher nicht einig was genau der Begriff Code-Switching bezeichnet. Einige sagen Code-Switching tritt nur auf, wenn die einzelnen Codesequenzen ganze Sätze bzw. Satzteile darstellen, andere sind der Meinung auch wenn einzelne Wörter in der anderen Sprache eingebettet werden kann man dies als Code-Switching definieren. Klar ist, dass als Code-Switching der Wechsel zwischen zwei Sprachen innerhalb einer Äußerung bezeichnet werden kann. Es wird unterschieden zwischen satzinternem und satzexternem Code-Switching. Satzextern beschreibt den Sprachwechsel zwischen zwei ineinander abgeschlossenen Sätzen, satzintern beschreibt den Wechsel innerhalb eines Satzes. Viele Forscher steuern eigene Definitionen des Code-Switching bei. So sagt zum Beispiel HAUGEN (1956) folgendes:
„Code-Switching occurs when a bilingual introduces a completely unassimilated word from another language into his speech.” (BANAZ, 2002:65)
APPEL/MUYSKEN stellen die Behauptung auf, dass nur der Wechsel zwischen den Sätzen als Code-Switching bezeichnet werden kann, das satzinterne Code-Switching benennen sie als Code-Mixing. Der Begriff Code-Mixing wird auch von anderen Forschern aufgegriffen, allerdings anders definiert. AUER (1999) widerspricht APPEL/MUYSKEN und spricht beispielsweise von „Code-Switching, wenn eine bestimmte Sprache dominiert und man auch eine Funktion des Sprachwechsels erkennen kann, und von Code-Mixing, wenn man nicht feststellen kann, welche Sprache nun Sprache der Interaktion ist.“ (RIEHL, 2004:22)
Durch die Uneinigkeit bei der Definition konnte sich der Begriff Code-Mixing in der Sprachkontaktforschung allerdings nicht durchsetzen. MYERS-SCOTTON definiert Code-Switching am treffendsten:
„Classic codeswitching is defined as the alternation between two varieties in the same constituents by speakers who have sufficient proficiency in the two varieties to produce monolingual well-formed utterances in either variety.” (MYERS-SCOTTON in JACOBSON, 2001:23)[1]
Somit kann man festlegen, dass Code-Switching der satzexterne, wie auch der satzinterne Wechsel zweier Sprachen, bei Äußerungen eines bilingualen Sprechers ist. Es kann ein Satz, ein Satzteil, oder auch ein einzelnes Wort sein. Was jedoch unterscheidet ein Code-Switching Element von einer lexikalischen Entlehnung? Dies soll im Folgenden geklärt werden.
3. Code-Switching vs. Entlehnung
Ein Element des Code-Switching kann unterschiedlich aussehen. Es kann ein ganzer Satz sein (bei intersententiellen[2] Code-Switching), oder auch einzelne Satzteile, sowie einzelne Wörter, die in die, im Satz dominierende Sprache eingebettet werden (bei intrasententiellem[3] Code-Switching). Dieses Kapitel soll sich mit diesen einzelnen Wörtern befassen, und damit, wie bei diesen das Phänomen Code-Switching von einer Entlehnung unterschieden werden kann. BLANKENHORN (2000) definiert das Code-Switching als „einen situativ bedingten Wechsel von einer Sprache in die andere mit kommunikativ-pragmatischer Funktion, wobei die Elemente den Regeln zweier getrennter grammatischer Systeme folgen.“ (BLANKENHORN, 2000:18)
Außerdem entsteht ein Wort als Element des Code-Switching zufällig und unvorhersehbar; die Benutzung ist je nach Sprecher und Gesprächssituation unterschiedlich. Eine Entlehnung hingegen ist ein aus einer anderen Sprache übernommenes Wort, welches bereits fester Bestandteil des Lexikons geworden ist und von der ganzen Sprachgemeinschaft akzeptiert wird. In der Regel sind Entlehnungen „morphologisch und syntaktisch in die Nehmersprache […] integriert.“ (RIEHL, 2004:21) Im Gegensatz zu Code-Switching Elementen, die unassimiliert übernommen werden und spontan entstehen.
Oft ist es allerdings dennoch nicht einfach Code-Switching von Entlehnungen zu unterscheiden. Im Jahre 1980 führte POPLACK in diesem Zusammenhang zusätzlich den Begriff „ad-hoc Entlehnung“ ein. Dies sind Wörter, die zwar wie klassische Entlehnungen morphologisch und syntaktisch in die grammatikalische Satzstruktur der Nehmersprache integriert sind, allerdings einen sehr wichtigen Unterschied zu Entlehnungen aufweisen. Sie sind, genau wie Elemente des hier behandelten Code-Switching, spontane Konstruktionen, die je nach Sprecher und Situation auftreten können, oder auch nicht. Diese ad-hoc Entlehnungen sind nicht Bestandteil des allgemeinen Lexikons und werden nicht von der ganzen Sprechergemeinschaft, sondern nur von dem jeweiligen bilingualen Individuum akzeptiert und benutzt. Bei ad-hoc Entlehnungen gilt auch POPLACK’s Theorie der Morphemrestricktion nicht, welche besagt, dass Code-Switching nur zwischen freien Morphemen auftreten kann und nicht zwischen gebundenen Morphemen, was nach POPLACK grammatikalisch falsch wäre. (BANAZ, 2002) Da in der Realität jedoch morphologisch und syntaktisch integrierte Wörter auftreten können, nennt POPLACK sie ad-hoc Entlehnung und definiert sie somit als kein Code-Switching.
„Poplack seems to reserve the term Code-Switching for those examples showing no integration of any type.” (MYERS-SCOTTON, 1997:22)
Es ist eindeutig, dass unter heutigen Linguisten diesbezüglich keine Einigkeit herrscht. Deswegen werde ich in dieser Arbeit die Definition der ad-hoc Entlehnung nach POPLACK außen vor lassen und sowohl unassimilierte als auch in die grammatikalische Struktur der dominierenden Sprache eingefügten Lexeme als Code-Switching bezeichnen, sofern sie nicht als Entlehnung definiert werden können und fester Bestandteil des allgemein akzeptierten Lexikons sind.
Nun muss die Frage beantwortet werden, welche Faktoren den bilingualen Sprecher dazu bewegen Code-Switching zu betreiben und nach welchen Regeln es konstruiert wird.
4. Das Code-Switching bei russischsprachigen Migranten
In der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wurde die „Mischsprache“, welche durch das Code-Switching entsteht, als Zeichen für mangelnde Bildung und mangelnde Sprachkompetenz angesehen. So ist BLOOMFIELD (1927) der Meinung, dass „speakers who mix languages know neither language adequately.“ (MILROY/ MUYSKEN, 1995:3)
Erst mit GUMPERZ und mit POPLACK in den 1980er Jahren hat sich diese Meinung geändert. Beide sahen das Benutzen des Code-Switching als zusätzliche Ressource für den bilingualen Sprecher an und als Möglichkeit sein sprachliches Repertoire optimal auszunutzen. (BANAZ, 2002) So hört man oft russischsprachige Migranten, die in Deutschland leben, augenscheinlich sowohl deutsch als auch russisch gleichzeitig in ihrer Konversation benutzen. Vor allem in Städten wie Berlin, wo die Gemeinde Russischsprachiger sehr groß ist, hat sich das Code-Switching in der Rede der Migranten etabliert. Diese „Mischsprache“ ist für andere bilinguale Sprecher durchaus verständlich, während die jeweilige Konversationssprache für monolinguale Teilnehmer derart verformt wird, dass diese nicht mehr verstehen, und dem Gesprächsverlauf nicht mehr folgen können. (BLANKENHORN, 2000) Dabei kommen oft sehr kreative und für den monolingualen Zuhörer als recht „waghalsig“ empfundene Konstruktionen heraus. Als Beispiel kann ich einen Satz einer 20jährigen Studentin bei einem Telefonat mit ihrer Mutter anbringen:
1) „Я сегодня вечером посмотрю, wann der Zug kommt.“[4]
oder
2) „Aber я ему сказала! “[5]
Russischsprachige Migranten sprechen selbst in Deutschland russisch, wenn sie sich mit anderen russischsprachigen Migranten unterhalten. Dies kommt daher, dass sie als Immigranten den Druck verspüren, sich der Gesellschaft und Kultur anzupassen, welcher von Deutschland ausgeht. Durch die Kommunikation mit anderen Russischsprachigen kann die russische Identität dennoch erhalten werden. Sprache hat einen sehr hohen Einfluss auf die Kultur und Mentalität der Menschen. Durch die Benutzung der russischen Sprache, können sich die in Deutschland lebenden Menschen ihre Wurzeln erhalten. (MILROY/MUYSKEN, 1995) Da jedoch deutsch Sprache der Institutionen und der Öffentlichkeit kommt es selbst in der russischen Rede der Migranten untereinander zu Code-Switching. Allerdings sind auch die Code-Switching Anteile von Sprecher zu Sprecher unterschiedlich, denn die jeweilige Sprachkompetenz ist bei Sprechern abhängig von der jeweiligen Domäne verschiedenartig. Am meisten wird diese „Mischsprache“ von Jugendlichen verwendet. (APPEL/MUYSKEN, 1997) Diese befinden sich nämlich „zwischen den Welten“. Sie sind sowohl Teil der deutschen Gesellschaft, als Schüler, Studenten oder Auszubindend mit großem Kontakt zur deutschen Sprachgemeinschaft, da sie oft viele deutsche Freunde haben, als auch Teil der Gemeinde der russischsprachigen Migranten, denn russisch wird in der Familie und unter russischsprachigen Freunden gesprochen. Viele Familien machen auch Gebrauch von den in Deutschland verfügbaren, russischsprachigen Medien, wie Zeitungen, Fernsehsender u.ä. Durch die russische Sprache können die Jugendlichen also ihre russische Identität beibehalten, durch das Code-Switching werden die doppelte Identität und die Zugehörigkeit zu zwei Gemeinschaften, sowohl zur russischen als auch zur deutschen, ausgedrückt.
[...]
[1] Hier unterstreicht MYES-SCOTTON die Voraussetzung des Bilingualismus und defieniert die notwendige Sprachkompetenz des bilingualen Sprechers, der Code-Switching benutzt.
[2] satzexternem
[3] satzinternem
[4] Im Folgenden werden in den Beispielen die russischen Lexeme fett geschrieben, um sie schnell von den Deutschen unterscheiden zu können.
[5] Alle Beispiele mit Übersetzungen sind in Glossar im Anhang zu finden. Sie sind meist meiner persönlichen Umgebung entnommen und basieren auf tatsächlichen Situationen.