Die Bedeutung von Religion und Tradition für Studierende mit Migrationshintergrund in ihrem Einfluss auf transkulturelle Identitätsbildung


Proyecto/Trabajo fin de carrera, 2003

120 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Inhalt

1. Einleitung

2. Aufbruch zu neuen Ufern: Integration von Migranten
2.1 Migration: Historischer Exkurs und Hintergründe
2.2 Unterschiedliche Kulturen prallen aufeinander: Ideen und Theorien für eine erfolgreiche Integration
2.2.1 Was ist eigentlich Kultur? Eine Annäherung an einen Begriff
2.2.2 Von der multikulturellen zur interkulturellen Gesellschaft
2.2.2.1 Exkurs: Interkulturalität und Schule
2.2.3 Transkulturalität
2.2.4 Die Begriffe im zusammenhängendem Kontext
2.3 Interreligiosität
2.3.1 Was ist Religion?
2.3.2 Worum geht es in den Religionen?
2.3.3 Das Judentum
2.3.3.1 Strömungen des Judentums
2.3.3.2 Der Sabbat
2.3.4 Das Christentum
2.3.4.1 Die Bibel
2.3.4.2 Östliche und westliche Kirche
2.3.4.3 Das Kirchenjahr der Christen
2.3.4.4 Die Feste und ihre Bedeutung
2.3.5 Islam
2.3.5.1 Der Koran
2.3.5.2 Die Moschee
2.3.5.3 Die Fünf Säulen
2.3.6 Buddhismus
2.4 Tradition
2.4.1 Religiöse Traditionen
2.4.2 Alltagstraditionen
2.5 Zusammenfassung

3. Praktischer Abschnitt
3.1 Vorstellung des Projekts
3.1.1 Die Interviews
3.1.1.1 Das Problemzentrierte Interview
3.1.2 Auswertungsverfahren
3.2 Religion
3.2.1 Deskriptiver Auswertungsschritt
3.2.1.1 Studenten mit Migrationshintergrund
3.2.1.2 Kontrollgruppe
3.2.2 Zusammenfassende Interpretation
3.3 Familie
3.3.1 Deskriptiver Auswertungsschritt
3.3.2 Zusammenfassende Interpretation
3.4 Traditionen
3.4.1 Deskriptiver Auswertungsschritt
3.4.1 Zusammenfassende Interpretation
3.5 Kultur
3.5.1 Deskriptiver Auswertungsschritt
3.5.2 Zusammenfassende Interpretation
3.6. Auswertung der Ergebnisse

4. Zusammenfassung der Ergebnisse

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Deutschland ist ein Land, in dem viele unterschiedliche Kulturen und Nationalitäten vertreten sind. Da stellt sich die Frage, wie ein Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und Nationen ohne rassistische und gewaltsame Auseinandersetzungen möglich sein kann und wie es sich gestaltet.

Wissenschaftler und Pädagogen haben sich aufgrund des starken Anstiegs von Migranten in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg mit der gesellschaftlichen Auswirkung von Einwanderung beschäftigt. Sie stellten Theorien wie die der Multikulturalität und die der Interkulturalität auf. Durch die zunehmende Durchmischung von Migranten und Einheimischen in Deutschland sind die Theorien des Multikulturalismus und des Interkulturalismus überholt. Die Transkulturalität, die traditionelle Grenzen durchdringend, entwickelte sich als neue Theorie des 21. Jahrhunderts. Diese Theorie soll den Folgen der Migration offener und kooperativer entgegen treten und für eine Kultur der Integration stehen.

Die wissenschaftliche Arbeit soll herausfinden, ob die Theorie der Transkulturalität umsetzbar ist und somit ein offeneres Miteinander von Einheimischen und Migranten ermöglichen kann. Dabei ist die Identitätsbildung der Migranten ein wesentlicher Bestandteil.

Durchleben die Migranten eine transkulturelle Identitätsentwicklung aufgrund ihrer Vergangenheit? Entwickelt sich ihre Identität und somit ihre Lebenseinstellung auf der Ebene von zwei Kulturen? Und sind schließlich die Probandinnen und Probanden mit Migrationshintergrund in den pädagogischen Berufen eher in der Lage auf die Problematik der Integration in den Schulen einzugehen, als die Pädagogen ohne Migrationshintergrund?

Diese empirische Arbeit versucht, Antworten auf noch immer offene Fragen zu finden. Dafür werden 37 Studentinnen und Studenten mit Migrationshintergrund und 14 Studentinnen und Studenten ohne Migrationshintergrund befragt und ausgewertet. Dabei nimmt diese Arbeit besonderen Bezug zu den Themen „Religion“ und „Tradi-tion“. Ergänzend werden die Themen „Familie“ und „Kultur“ hinzugezogen, um die Auswertung zu vertiefen.

Um einen Einblick in diese Thematik zu bekommen und, hat sich diese Examsarbeit im theoretischen Teil mit Migration, unterschiedlichen Theorien der Bewältigung von Migration, Kulturen, Religionen und Traditionen beschäftigt.

Als Quellen für den theoretischen Teil dienen Bücher, Zeitschriften und auch die neuen Medien wie das Internet. Georg Auernheimer beschäftigte sich in seinem Standardwerk „Einführung in die interkulturelle Pädagogik“ mit Migration. Hans H. Reich ist in seinem Artikel “Interkulturelle Pädagogik – eine Zwischenbilanz“, auf Interkulturalität an Schulen eingegangen. Das Kapitel „Religionen“ basiert vor allem auf Peter B. Clarkes „Atlas der Weltreligionen“.

Religionen und Traditionen sowie Familie und Kultur nehmen Einfluss auf die transkulturelle Identitätsbildung der Studierenden mit Migrationshintergrund des Erziehungswissenschaftlichen Instituts. Durch ihre eigene Erfahrung in einem fremden Land fällt es ihnen leichter, auf die Problematik der Identitätsbildung von Migrantenkindern in der Schule einzugehen.

2. Aufbruch zu neuen Ufern: Integration von Migranten

Das Aufbrechen in ein neues Land ist für die Migranten genau so schwierig wie für die Einheimischen der neuen Heimat. Beide Seiten werden mit neuen und fremden Lebensformen und Lebenseinstellungen konfrontiert. Aus dieser Sicht werden die Migranten sowie die Einheimischen zu einem offenen und toleranten Miteinander aufgefordert.

In dem theoretischen Teil geht die Arbeit zunächst auf Migration ein. Dieser Teil soll Verständnis dafür zu wecken, was es für Menschen bedeutet, in ein fremdes Land zu gehen und sich dort zu integrieren. Dabei soll auf die besonderen Bereiche hingewiesen werden, mit denen sich die Migranten, als auch die Einheimischen auseinander setzen müssen. Diese Probleme geben Anlass, mögliche Strategien zu entwickeln, die die Integration von Migranten erleichtern. Um nützliche Theorien zu entwickeln ist es zunächst nötig, sich einen Einblick in den Begriff Kultur zu verschaffen und was dieser Begriff für eine Integration bedeutet. Daraufhin wird zunächst die Theorie der Multikulturalität entwickelt. Da sie schon bald ihre Wirkung verlor, wurde eine neue Theorie von Wissenschaftlern und Pädagogen entdeckt: die der Interkulturalität. Diese Theorie fand für einige Zeit in Schulen sämtlicher Länder Anklang. Doch wie auch schon ihre Vorgängerin, die Multikulturalität, wurde sie bald der Lage in den Ländern nicht mehr gerecht. Heute beschäftigen sich die Wissenschaftler und Pädagogen mit einem neuen Phänomen: der Transkulturalität. Ob diese Theorie in der heutigen Gesellschaft Deutschlands anwendbar und tragfähig ist, wird mit dieser wissenschaftlichen Arbeit untersucht.

2.1 Migration: Historischer Exkurs und Hintergründe

Der Brockhaus definiert „Migration“ wie folgt: „Wanderung oder Bewegung bestimmter Gruppen von Tieren oder Menschen“ (Brockhaus, 1995, S. 2257). Münz versteht unter „Migration“ die Bedeutung eine räumliche Bewegung von Individuen oder Gruppen, wobei es bei dem Wechsel des Wohn- und Lebensortes um einen relativ dauerhaften Wechsel gehe (vgl. Münz, 2003, A. 1). Somit sind Touristen, Tages- und Wochenpendler mit Arbeitsplatz von der Bezeichnung des internationalen Migranten ausgeschlossen, da sie sich nur kurzfristig in einem anderen Land aufhalten (vgl. Münz, 2003, A. 1). Wann und ob ein Mensch als Migrant bezeichnet wird, ist in jedem Land unterschiedlich und hängt von seiner Aufenthaltsdauer ab. In Deutschland gilt ein Ausländer schon nach einem dreimonatigen Aufenthalt als Migrant, während in der Schweiz dies erst nach 20 Monaten der Fall ist. In den USA ist es sogar möglich als Studentin, Student oder temporäre Arbeitskraft über mehrere Jahre sich dort aufzuhalten, ohne als Einwanderer zu gelten (vgl. Münz, 2003, A. 2).

Derzeit leben weltweit etwa 120 bis150 Millionen Migranten außerhalb des Landes, in dem sie geboren wurden (vgl. Münz, 2003, A. 19). Das entspricht zwei bis fünf Prozent der Weltbevölkerung. Im Jahr 1970 lebte in Deutschland die größte Zahl wohnhafter Ausländer, darunter bildeten die Arbeitsmigranten die Mehrheit (vgl. Münz, 2003, A. 25). Im Jahr 2000/01 lebten in Deutschland 7,3 Millionen Ausländer, das entsprach 8,9 Prozent der Bevölkerung.

Migrationen ist ein altes Phänomen. Im wesentlichen wird zwischen zwei Arten unterschieden: der Siedlungs- und der Fluchtmigration (vgl. Auernheimer, 2003, S. 16). Um Siedlungsmigration handelt es sich zum Beispiel bei den Menschen, die in die Vereinigten Staaten auswanderten. Religiöse Konflikte lösten häufig Fluchtbewegungen aus (vgl. Auernheimer, 2003, S. 16). Der Kapitalismus schürt die Arbeitsmigration, weil Migranten als billige Arbeitskräfte missbraucht werden können (vgl. Auernheimer, 2003, S. 17).

Einwanderungspolitik ist primär Arbeitsmarktpolitik. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Deutschland einen großen Bedarf an Arbeitnehmern, der auf günstige Weise gedeckt werden konnte. Arbeitsmigranten füllten durch ihre Flexibilität die Bedarfslücke der zeitlich befristeten Arbeiten aus wie zum Beispiel in der Landwirtschaft, bei der nur saisonal Arbeitskräfte gebraucht wurden oder beim Eisenbahnbau (vgl. Auernheimer, 2003, S. 17). Heutzutage spielt auch die mangelnde Qualifikation der Gesellschaft eine Rolle. Es ist wichtig, besonders im Bereich Forschung und Entwicklung, qualifizierte Arbeitskräfte zu haben, die beide Bereiche vorantreiben. Zudem folgt als drittes Motiv für Einwanderungspolitik als Arbeitsmarktpolitik die Abnahme der arbeitsfähigen Personen durch Überalterung. Schnell überschritt in Deutschland die Zahl der ausländischen Arbeiter aus Österreich-Ungarn, Italien und Russland die Millionengrenze (vgl. Auernheimer, 2003, S. 17).

Häufig kommt es zu Problemen bei der Integration von Vertriebenen und anderen Einwanderern. Für eine erfolgreiche Eingliederung sind massive Integrationshilfen, auch finanzieller Art, erforderlich. Ferner müssen den Migranten staatsbürgerliche Rechte zuerkannt werden. Auch das Lernen der Sprache ist entscheidend, damit sie ihre Interessen politisch vertreten können (vgl. Auernheimer, 2003, S. 19). Wer die Sprache des fremden Landes spricht, kann seine Interessen besser vertreten und gar eine politische Lobby bilden.

Früher verursachten vor allem ethnische Verfolgung, Vertreibung oder Völkermord Fluchtbewegungen. Heute kommen weitere Gründe hinzu: die Zerstörung der Naturressourcen wie zum Beispiel Dürrekatastrophen, die Zerstörung sozialer Strukturen sowie die Unterdrückung von Frauen (vgl. Auernheimer, 2003, S. 19). Diesen neuen Fluchtgründen wird unser Asylrecht nicht mehr gerecht. Es bezieht sich einzig und allein auf die staatliche Verfolgung und nicht auf die neuen, heute relevanten Gründe (vgl. Auernheimer, 2003, S. 19).

Interkulturelle Bildung und Erziehung ist wichtig: weil die Menschen in fremde Länder ziehen, aber auch, weil durch moderne Technik geographisch weit voneinander entfernte Gesellschaften sich austauschen – durch Kommunikation oder Verkehrsmittel (vgl. Auernheimer, 2003, S. 19). Es handelt sich um eine Weltgesellschaft, weil eine weltweite Abhängigkeit besteht. Gemeinsam muss Sorge getragen werden, zum Beispiel beim Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (vgl. Auernheimer, 2003, S. 20). Auch in der Produktion und Entwicklung wird eng Hand in Hand zusammen gearbeitet, Länder geraten in Abhängigkeit.

Für die Migranten und Migrantinnen ergeben sich im fremden Land Konsequenzen: Sie mussten lernen, sich in einer ihnen fremden Kultur, einer unbekannten Gesellschaftsstruktur und auf einem fremden Arbeitsmarkt zurechtzufinden (vgl. Auernheimer, 1994, S. 29). Auernheimer setzt den Begriff „Kultur“ symbolisch mit einem fundierten Orientierungssystem gleich (vgl. Auernheimer, 1994, S. 30). Mit diesem Vergleich weist er auf die Bedeutung der eigenen Kultur hin. Er zeigt, wie wichtig Kultur für jeden Menschen ist, denn sie ist für ihn ein Wegweiser für das Leben. Der Mensch hat somit stets eine Richtlinie. Solange er sich danach richtet, kann er sicher sein nichts falsch zu machen. Gerade den Migrantinnen und Migranten ist sie eine wichtige Stütze. Den Migranten sollte die „Möglichkeit einer eigenen kulturellen Antwort auf strukturell bedingte Handlungsanforderungen eingeräumt werden“ (Auernheimer, 1994, S. 30). Dazu ist es wichtig, eine analytische Differenzierung von Struktur und Kultur durchzuführen. Schließlich beeinflussen kulturelle Lösungen die Struktur eines jeden Landes und machen die kleinen Unterschiede zwischen den Ländern aus. Wird den Migrantinnen und Migranten dieser Freiraum nicht eingeräumt, haben sie nur noch die Wahl, Widerstand zu leisten oder sich der Aufnahmekultur anzupassen (vgl. Auernheimer, 1994, S. 30). Aus einer Untersuchung mit türkischen Migranten schlussfolgert Mihciyazgan, dass es sich um eine Konkurrenz zweier Weltbilder handelt. Die Konkurrenz bestehe zwischen dem westlich-europäisch-deutschen und dem türkischen Weltbild. Die Migranten glauben an das türkische Weltbild, das westlich-europäische sehen sie jedoch als allgemeingültig. Wohl aus genau diesem Grund handeln einige der Migranten mit Verteidigungsstrategien wie beispielsweise das Verweigern des Erlernens der deutschen Sprache (vgl. Auernheimer, 1994, S. 34). Wenn die Erwachsenen sich verweigern, verschließen sich auch die Migrantenkinder.

2.2 Unterschiedliche Kulturen prallen aufeinander: Ideen und Theo- rien für eine erfolgreiche Integration

2.2.1 Was ist eigentlich Kultur? Eine Annäherung an einen Begriff

„Kultur“ bedeutet Abgrenzung nach außen, zu einer anderen Kultur. Merkmale wie Religionen, Sprache und Volkszugehörigkeit lassen diese Grenzen entstehen. Der Brockhaus definiert „Kultur“ als „die Gesamtheit der geistigen und künstlerischen gestaltenden Leistungen einer Gemeinschaft als den Ausdruck menschlicher Höherentwicklung“ (Brockhaus, 1995, S. 2019).

Die menschliche Entwicklung erstreckt sich über viele Generationen von Kultur. So unterschiedlich die Menschen sind und waren, so unterschiedlich sind auch die Kulturen. Aber es gibt auch Übereinstimmungen, was gewisse zentrale Aussagen über Wesen, Identität und Dynamik von Kulturen zulässt (vgl. Huntington, 1997, S. 49).

Alle Länder, außer Deutschland, setzen Zivilisation mit Kultur und Zivilisationen mit Kulturkreisen gleich. Zivilisiert bezeichnet die Menschen, die sesshaft, städtisch und alphabetisiert sind. Somit wird Zivilisation als Maßstab zur Beurteilung von Gesellschaften genutzt. Zivilisation scheint eine kulturelle Größe in allen Ländern außer Deutschland darzustellen (vgl. Huntington, 1997, S. 50). Die Deutschen trennen Zivilisation von Kultur. Während in Deutschland Werte, Ideale und die höheren geistigen, künstlerischen und sittlichen Eigenschaften einer Gesellschaft als Kultur bezeichnet werden, verstehen Anthropologen eine primitive, statische, nichtstädtische Gesellschaft darunter. An diesen Sichtweisen ist klar zu erkennen, dass eine einzige allgemeingültige Definition von Kultur nicht möglich ist. Huntington vergleicht Zivilisation mit Kultur und kommt zu dem Schluss, dass beide die gesamte Lebensweise eines Volkes bestimmen (vgl. Huntington, 1997, S. 51). In Deutschland ist eine Kultur eine Zivilisation in großem Maßstab, während es in den anderen Ländern umgekehrt ist. Zivilisation sowie Kultur umfassen die von aufeinander folgenden Generationen gegebenen Werte, Normen, Institutionen und Denkweisen (vgl. Huntington, 1997, S. 51). Huntington meint, Kultur wird mit der Generationsentwicklung innerhalb einer Kultur weitergegeben und wächst und verändert sich dadurch. Kultur ist also generationsbegleitend.

Es gibt objektive Kriterien, die Kultur definieren. Die Religion das dabei das wichtigste Kriterium. Die großen Kulturen werden eher an den großen Religionen gemessen als an Ethnizität und Sprache (vgl. Huntington, 1997, S. 52). Menschen gleicher Größe und Hautfarbe sind dennoch fähig, gegeneinander Krieg zu führen. Menschen werden nach kulturellen Merkmalen in die unterschiedlichen Kulturkreise eingeteilt, nicht nach Ethnien. Ein gutes Beispiel bieten die großen Religionen, das Christentum und der Islam, die verschiedenen Ethnien umfassen und trotzdem einen Kulturkreis bilden. Der Kulturkreis bezeichnet die größte kulturelle Einheit. Unter ihm bilden sich eigene Kulturen wie etwa in Dörfern, Regionen oder ethnischen Gruppen und vielen mehr (vgl. Huntington, 1997, S. 53). Diese Kulturen sind nicht identisch, haben aber im Großen und Ganzen Ähnlichkeiten, die sie von anderen Kulturen und Kulturkreisen unterscheiden. So unterscheidet sich die Kultur eines norddeutschen Dorfes von dem eines süddeutschen und dennoch unterliegen sie der gesamtdeutschen Kultur und unterscheiden sich von der Kultur spanischer Dörfer. Huntington bezeichnet den Kulturkreis als die „höchste kulturelle Gruppierung von Menschen und die allgemeinste Ebene kultureller Identität des Menschen unterhalb der Ebene, die den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet“ (Huntington, 1997, S. 54). Seiner Definition nach ähneln innerhalb eines Kulturkreises Sprache, Religion, Geschichte, Sitten und Institutionen einander. Dabei haben Kulturkreise keine klar umrissenen Grenzen. Ein Einwirken und Überlagern anderer Völker ist nicht auszuschließen (vgl. Huntington, 1997, S. 54).

Laut Herder ist Kultur vereinheitlichend, volksgebunden und separatistisch. Vereinheitlichend in dem Sinne, dass Kultur das Leben des betreffenden Volkes prägt und Handlungen und Objekte nur dieser Kultur zugeschrieben werden können. Volksgebunden meint, dass die Kultur nur Kultur des einen Volkes ist. Er bezeichnet sie als Blüte des Daseins eines Volkes. Damit spricht er zugleich den dritten Punkt an, indem er dem Volk Separatismus zuspricht, da sich die Völker spezifisch von einander unterscheiden (vgl. Welsch, 1997, A. 5) .

„Kultur als Gegensatz zur Natur oder als unsere zweite Natur umfasst die Gesetze, nach denen menschliches Leben geregelt ist“, definiert Auernheimer Kultur (Auernheimer, 2003, S. 73). Er führt zwei Aspekte bezüglich Kultur aus - ihre symbolische Bedeutung und ihre Orientierungsfunktion (vgl. Auernheimer, 2003, S. 73). Den symbolischen Teil charakterisiert ein gewisses Repertoire an Kommunikations- und Repräsentationsmitteln. Es geht dabei um die Art des Kommunizierens, der Wohnform und des Wohnstils, sozialer Bindungen, der gesellschaftlichen Selbstzuordnung und der Art, Lebensweisen zu markieren (vgl. Auernheimer, 2003, S. 74). Den Menschen ist es möglich, sich durch Kleidung, Verhaltensmuster, Wohnungseinrichtung und Sprache darzustellen und zu repräsentieren. Jede Kultur hat dabei ihre eigene bestimmte Art von Kleidung, von Verhalten oder Sprache. Während Frauen in Deutschland Hosen oder kurze T-Shirts tragen, müssen sich Frauen im Iran bis auf die Augen verschleiern. Bei der Verallgemeinerung dieser Aspekte lässt sich neben der Orientierungsfunktion eine Identifikationsfunktion von Kulturen feststellen (vgl. Auern-heimer, 2003, S. 74). Die Menschen wollen so, wie sie sich zeigen und kleiden, gesehen werden.

Ähnlich wie Georg Auernheimer so setzen Dieter Kramer und Jürgen Dumke Kultur mit Orientierung gleich. Kramer sagt, Kultur sei ein Bollwerk und eine Zufluchtstätte (vgl. Kramer, 1998, S. 9). Er spricht auch davon, dass sich die Individuen im Rahmen ihrer Kultur und Gruppe entfalten. Kramer stellt die Wichtigkeit der kulturellen Identität, die durch Orientierung in der Gesellschaft und der Geschichte zu finden sei, gleich mit der Geschlechtsidentität (vgl. Kramer, 1998, S. 12). Wieder wird die Orientierung angesprochen und gleichzeitig auf den unvermeidbaren Bedarf einer kulturellen Identität hingewiesen. Dumke spricht von einer „notwendigen Ergänzung gesellschaftlicher Entwicklungsbedingungen, die wesentlich über private und öffentliche Merkmale der gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt“ (Dumke, 2001, S. 38). Er erklärt die Angleichung der Menschen an ihre Kultur damit, dass es eine geistige Grenzüberschreitung ihrer Normen wäre, würden sie nach anderen Regeln handeln (vgl. Dumke, 2001, S. 38). Sie halten sich an bestimmte Regeln ihrer Kultur und wissen, wie sie es vermeiden können, etwas falsch zu machen. Der Kulturbegriff wird heute als ein Begriff der Vielfalt und Differenziertheit, Dynamik und Offenheit von Kultur gesehen (vgl. Roth, 2000, S. 44). Genau durch diese Vielfalt können ethnisch-kulturelle Spannungen entstehen. Im Anerkennen unterschiedlicher Kulturen sieht Kramer die Gefahr von Ghettobildungen (vgl. Kramer, 1998, S. 9). Die Kulturen respektieren sich untereinander, gleichen sich aber keineswegs an oder betrachten die andere Kultur als eine bessere Lebensweise. Kein Individuum, das sich in einer fremden Kultur befindet, wird sich der fremden Kultur angleichen und sie annehmen wollen. Kramer hebt die Interkulturalität hervor, denn danach leben die Menschen, die ihre Heimat verlassen und in ein neues Land ziehen, zwischen zwei Kulturen. Sie legen weder die alte Kultur komplett ab, noch nehmen sie die neue vollständig an. Es ist schwer für Menschen eine neue Lebensweise anzunehmen. Die Freiheit, die sie in ihrer alten Heimat hatten, ihre Lebensweise selbst zu bestimmen, wird ihnen dadurch genommen, dass diese Lebensweise in der neuen Heimat nicht als normal angesehen und vielleicht sogar gar nicht akzeptiert wird (vgl. Kramer, 1998, S. 9). Die Menschen können in dem neuen Land nach ihren alten Gewohnheiten leben, laufen aber Gefahr, von der Umwelt nicht angenommen zu werden. Menschen geben freiwillig kaum eine Stütze auf, die sie bislang sicher durch ihr Leben geführt hat. Solange sich der Mensch an die Regeln und angelernten Lebensweisen seiner Kultur hält, hat er die Sicherheit, von seiner Gesellschaft angenommen zu werden. Die Kulturen jedes Landes sind über Jahrtausende in ihrem geographischen, politischen und historischen Umfeld aufgebaut worden und bilden ein Symbolsystem, innerhalb dessen Menschen ihre Lebensweise gestalten (vgl. Kramer, 1998, S. 11). Eine Angleichung der unterschiedlichen Kulturen ist auch zukünftig nicht möglich, nur weil sich materielle Lebensverhältnisse ähneln. Der Austausch von neuen Erfindungen zwischen den unterschiedlichen Kulturen muss nicht zur Zerstörung von Traditionen führen. Moderne Technologien können kulturspezifisch integriert werden (vgl. Kramer, 1998, S. 11).

Menschen unterschiedlicher Kulturen treffen häufig aufeinander - sei es beim Urlaub, beim Schüleraustausch oder durch Einwanderung. Dabei stoßen die unterschiedlichen Kulturen mit ihren unterschiedlichen Lebensweisen aufeinander. Das muss nicht gleich zu einer Aufgabe der eigenen Kultur und Tradition führen, sondern kann auch das Bewusstsein erweitern. Kulturen können sich gegenseitig bereichern. Die jüngere Generation ist eher bereit zu diesem Schritt als die ältere. Die Kultur eines Landes befindet sich permanent in einer Entwicklung. Die jüngeren Menschen weisen andere Verhaltensmuster auf als die Generation vor ihnen. Sie sehen andere Dinge als verboten und illegal an, als es die Generation vor ihnen getan hat. Somit ist keine Kultur homogen (vgl. Kramer, 1998, S. 15) und geschlossen, sondern heterogen, prozesshaft und dynamisch (vgl. Auernheimer, 2003, S. 75).

Zusammenfassend lässt sich Kultur als ein Wertesystem einer Gemeinschaft bezeichnen. Menschen stellen ihre Regeln und Verbote nach diesem System auf und erleichtern sich somit ihr Leben. Zwar bleibt jede Person ein Individuum in ihrer Gesellschaft, doch haben alle ein bestimmtes Raster, an dem sie sich ausrichten. Dieses Raster bestimmt unter anderem die Kleidung und das Sozialverhalten. Kultur ist in keinem Buch festgehalten, sondern lebt durch Menschen.

2.2.2 Von der multikulturellen zur interkulturellen Gesellschaft

In einer multikulturellen Gesellschaft leben unterschiedliche Lebensformen miteinander. Diese Gesellschaft besteht aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Häufig handelt es sich dabei um Asylbewerber, aber auch um Menschen, die in einem anderen Land nach Arbeit oder einem besseren Leben suchen.

Die soziale Schichtskala eines Einwanderungslandes gibt Aufschluss darüber, ob Angehörige einer ethnischen Gruppe häufig auch der gleichen sozialen Klasse angehören. In den unteren Schichten der sozialen Skalen finden sich eingewanderte Gruppen, Ureinwohner Nord- und Südamerikas, Aborigines in Australien oder nicht-russisch ethnische Minderheiten in Russland wieder (vgl. Jäggi, 1994, S. 24). Der oberen Schicht gehören in Nord- und Südamerika vor allem „Weiße“ an. Den Weißen wird meist ein höherer Rang in der sozialen Schicht eingeräumt als den Dunkelhäutigen. Die ethnische Zugehörigkeit bestimmt somit die soziale Stellung (vgl. Jäggi, 1994, S. 24). Die Weißen besetzen die höheren Positionen, je dunkler die Hautfarbe wird, desto niedriger fällt die soziale Stellung aus.

Peter Waldmann stellt fest, dass die Menschen in einer multikulturellen Gesellschaft mit drei Schichtgefügen konfrontiert werden. Zum einen mit dem Schichtungsgefälle innerhalb der einheimischen, dominierenden Bevölkerung. Zum anderen mit der sozialen Schichtung innerhalb der marginalisierten Gruppen und drittens mit dem sozioökonomischen Schichtungsgefälle zwischen den beiden Ethnien (vgl. Waldmann, 1989, S. 260). Die Schichten eines Landes werden durch Schichtungen der Zugewanderten ergänzt. Diese Ergänzung kann zu einer Überdeckung der herkömmlichen sozialen Unterschiede führen. Den Einwanderern fällt es schwer in einem neuen Land eine höhere soziale Stellung einzunehmen. Ihnen bleiben Rechte wie das Stimm- und Wahlrecht vorenthalten (vgl. Jäggi, 1994, S. 25). Sie bilden die Minderheit in dem fremden Staat. Waldmann bezeichnet jene als Minderheit, die nicht den herrschenden Normen und Verhaltenstypen entsprechen, deren Gruppe weniger als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen und weniger Macht haben als der Rest der Bevölkerung (vgl. Waldmann, 1989, S. 16). Das Aufnahmeland bestimmt, wie leicht oder schwer sich die Einwanderer in ihrem neuen Land eingliedern können und ob sie sich halbwegs zu Hause fühlen. Meist sind die Einheimischen in den Industrieländern mit der Flüchtlings- und Asylpolitik ihrer Regierung nicht einverstanden und fordern sogar mehr Einschränkungen. Sie fühlen sich verunsichert und reagieren den Ausländern gegenüber aggressiv (vgl. Jäggi, 1994, S. 21). Die Vorstellung, dass es zu keinem Einlassstopp kommen könnte und sie selbst bald die Minderheit bilden könnten, verstärkt Ängste und Aggressionen.

Schwer ist es für Einwanderer in den Nationalstaaten, in denen mono-ethnische Ansprüche erhoben wurden. Ganz im Gegensatz zu multi-ethnischen Staaten wie den Vereinigten Staaten oder früher auch dem römischen Imperium oder dem osmanischen Reich (vgl. Jäggi, 1994, S. 27). Sie öffneten sich den Minderheiten und duldeten, ihre Art zu leben. Den Minderheiten bleiben sechs Möglichkeiten, wie sie ihr Verhältnis zur Mehrheit gestalten können (vgl. Jäggi, 1994, S. 28). Eine Möglichkeit, die vor allem kleineren ethnischen Gruppen Schutz bietet, ist die komplette Isolierung von der Mehrheit. Die Anpassung und ein Verzicht auf die eigene Identität und der Kommunalismus, der den Versuch der Selbstbehauptung auf lokaler Ebene unterstreicht, sind weitere Möglichkeiten. Als viertes zählt Anthony D. Smith die Durchführung von Autonomie in kulturellen Bereichen, im Bildungsbereich und in den Medien auf. Ein etwas größerer Schritt wäre die Möglichkeit des Separatismus, bei dem sich die Minderheit dazu entschließt, von dem bisherigen Staatenverband zu lösen und einen eigenen souveränen Staat zu bilden. Als letztes führt er die Möglichkeit des Irredentismus auf, der einen Anschluss an einen anderen Staat, in welchem Angehörige der eigenen Ethnien die Mehrheit bilden, vorsieht (vgl. Jäggi, 1994, S. 26). Seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts wird der Minderheitenschutz in Deutschland rechtlich und gesetzlich geregelt. Es wird seither immer wieder diskutiert und verhandelt wie die Rechte aller Menschen in einem Land gestaltet werden sollen. Dabei wird auch die Frage aufgeworfen, ob sich die Rechte von Einheimischen und Einwanderern unterscheiden sollen oder nicht (vgl. Jäggi, 1994, S. 28).

Erstmals wurden die ethnischen und kulturellen Minderheiten im Jahr 1990 offiziell als Reichtum eines Staates angesehen. Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) meint, dass demokratische Länder Vorzügen gegenüber Minderheiten besäßen. Die Demokratie sei der beste Schutz für eine freie Meinungsäußerung, wecke Toleranz gegenüber allen gesellschaftlichen Gruppen und biete Chancengleichheit für alle (vgl. Jäggi, 1994, S. 29). Eine Kommission des Europarats entwarf eine europäische Konvention für den Schutz von Minderheiten. Die Konvention legt jedem Staat nahe, den Schutz von Minderheiten und die Erhaltung ihrer kulturellen Identität zu gewähren. Die ethnischen Minderheiten sollen gegenüber dem Gesamtstaat loyal sein. In der KSZE-Konvention sind Forderungen enthalten wie den Unterricht in der Muttersprache durchzuführen oder die Kultur und Geschichte der Minderheiten zu lehren (vgl. Jäggi, 1994, S. 30). Aus einer Konvention geht hervor, dass die KSZE statt eines Nebeneinanders ein Miteinander anstrebt.

Damit Migranten und Einheimische erfolgreich miteinander leben können, müssen einige Voraussetzungen erfüllt werden: 1. Zugang zu den Jugendlichen in der Schule suchen. 2. Wenn Migranten über eine Lebensweise und -einstellung verfügen, die von den Einheimischen angenommen werden kann, fällt das Miteinander leichter. 3. Als Appell an die ansässige Bevölkerung gilt die Bereitschaft, die Zugewanderten mit ihren kulturellen und ethnisch-sozialen Besonderheiten auf- und anzunehmen (vgl. Jäggi, 1994, S. 31). Diese drei Bedingungen machen deutlich, dass nur mit Veränderungen beider Gruppen eine erfolgreiche Integration gelingen kann. Die Integration sollte ausbalanciert sein. Institutionalisierte Kommunikationsmechanismen und Interaktionsformen sollten die Balance dauerhaft stabilisieren. Laut Jäggi ist die Kommunikation zwischen den Gruppen wesentlich, um auf einer interkulturellen Ebene miteinander leben zu können (vgl. Jäggi, 1994, S. 31). Sobald auch ein Mitspracherecht aller ethnischen Gruppen an politischen Entscheidungsprozessen gesichert ist, ist die Gesellschaft stabil. Es ist wichtig, dass alle Gruppen einer Gesellschaft gleich behandelt werden und über gleiches Recht verfügen. Erst dann können fremdenfeindliche Aktionen und Rassismus vermieden werden. Anspannungen durch Benachteiligungen und Diskriminierungen einzelner sozialer und ethnischer Gruppen verursachen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus (vgl. Jäggi, 1994, S. 32).

Während unter Multikulturalität das Zusammenleben unterschiedlicher Lebensformen zu verstehen ist, steht die Interkulturalität für den Austausch zwischen Personen oder Gruppen mit unterschiedlichem Kulturhintergrund. Interkulturalität bedeutet damit: Das Leben Miteinander. Migranten können im neuen Land ihre Kultur nicht uneingeschränkt weiter ausleben, sind aber auch nicht in der Lage, in der Kultur der Einheimischen aufzugehen. Sie stehen zwischen den beiden Kulturen. Welsch kritisiert deswegen die Definition der Interkulturalität. Er glaubt nicht, dass interkulturell gehandelt werden kann, so lange der traditionelle Kulturbegriff gültig ist (vgl. Welsch, 1998, S. 50). Seine Vorstellung von Kultur ist, dass jede Kultur eine Kugel oder Insel darstellt, die nicht einfach mit einer anderen Kugel oder Insel kooperieren kann. Laut Welsch muss die Ursache erörtert werden, um dann eine neue Theorie zu entwickeln (vgl. Welsch, 1998, S. 50).

Die Wurzel der Theorie der Interkulturalität ist die interkulturelle Pädagogik. Die interkulturelle Erziehung folgte der Ausländerpädagogik, die sie zu Beginn der achtziger Jahre ablöste. Das Wort „interkulturell“ tauchte vermutlich erstmals 1979 im Titel von Publikationen auf (vgl. Auernheimer, 2003, S. 34). Die interkulturelle Pädagogik wird auch als Pädagogik der Anerkennung bezeichnet. Sie bezieht sich nicht nur auf Migranten und Migrantinnen, sondern auch auf andere benachteiligte Gruppen, die eine Anerkennung ihrer Geschichte und Kultur fordern (vgl. Auernheimer, 1998, S. 21). Einen Menschen anzuerkennen bedeutet in der interkulturellen Pädagogik: Differenzen anzuerkennen, das Gegenüber ernst zu nehmen, eine kritische Haltung dem eigenen Orientierungssystem gegenüber einzunehmen, einen geschärften Blick für Rationalitätsdefizite zu besitzen und Widersprüche in der eigenen Kultur und Gesellschaft zu erkennen und gegenüber den eigenen Wahrnehmungsgewohnheiten wachsam zu sein (vgl. Auernheimer, 1998, S. 21). Eine ständige Selbstreflexion und die Reflexion des Anderen, sind nötig. Die Anerkennung sollte nicht nur in der Gesellschaft stattfinden, auch die Politik muss den Minderheiten mehr Aufmerksamkeit und Rechte zugestehen. Dann würden sich Ausländer stärker zugehörig und akzeptiert fühlen. In Deutschland benachteiligt das Ausländerrecht die Migranten bei der Arbeitssuche (vgl. Auernheimer, 1998, S. 19). Zudem wurde von ihnen verlangt, ihre kulturellen Eigenheiten in dem neuen Land aufzugeben. Durch die Reform des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts sind Zugehörigkeitskriterien aufgestellt und ist das ethnische Verständnis von einer Nation infrage gestellt worden. Dennoch werden weiterhin Bürger anderer Staaten nicht gleichberechtigt behandelt (vgl. Auernheimer, 1998, S. 19). Einheimische akzeptieren nach Auernheimer Migranten nur als Gäste, die nicht die gleichen Ansprüche haben dürfen wie sie selbst.

Die interkulturelle Pädagogik versucht diese Einstellung zu verändern, statt Intoleranz will sie mehr Verständnis für die anderen Kulturen wecken und Wissen vermitteln. Auernheimer beschreibt vier Motive, die zum Abbau von Ab- und Ausgrenzung führen: Zum eine geht es um das Motiv der Fremdheit oder die Verstehensproblematik. Für einige Einheimische wird das Fremde als bedrohlich verstanden (vgl. Auernheimer, 1998, S. 20). Sie haben Probleme, auf Fremde zuzugehen oder mit ihnen zu kooperieren. Als zweites nennt er das Motiv der Anerkennung, das auf die Identitätsproblematik verweist. Damit spricht er die Anerkennung vorhandener Grenzen an, die zwischen den Kulturen und Gesellschaften liegen. Ein weiteres Motiv ist das Engagement für Gleichheit, gegen Diskriminierung und Ausgrenzung aufgrund von Ethnisierung oder Rassen-Konstrukten. Nicht die Kulturen sollten einander angeglichen werden, viel wichtiger ist die Entwicklung einer Offenheit und Akzeptanz des Fremden gegenüber. Als viertes wird das Motiv interkultureller Verständigung in globaler Verantwortung genannt (vgl. Auernheimer, 1998, S. 20).

2.2.2.1 Exkurs: Interkulturalität und Schule

In Deutschland war der durchschnittliche Gastarbeiter der sechziger Jahre jung, oft ledig oder hatte seine Familie in der Heimat zurückgelassen, denn er ging davon aus, bald wieder in seine Heimat zurückkehren zu können. Kindern von Migrantenfamilien wurde zunächst keine große Beachtung beigemessen. Im Laufe der siebziger Jahre gewann die Integration der ausländischen Kinder in die deutschen Schulen an Bedeutung, weil die Zuwanderungsrate stieg (vgl. Auernheimer, 2003, S. 34).

Als die Zahl der Gastarbeiterkinder stark anstieg, wurde die Schulpflicht für sie erhoben. Sie sollten Deutsch lernen und den muttersprachlichen Ergänzungsunterricht besuchen. Da Lehrer aus den Herkunftsländern die so genannten Vorbereitungsklassen unterrichteten, ist das Erlernen der deutschen Sprache ausgeblieben und somit der Übergang in die deutschsprachigen Klassen problematisch gewesen. Pädagogische Wissenschaftler beschäftigten sich mit der Situation an den Schulen (vgl. Reich, 1994, S. 10). Es folgten Änderungen im Bildungssystem. Zum einen wurde ein Verständnis für die sozialisatorische Bedeutung des Lernens der Sprache und entsprechende Materialien für den Sprachunterricht entwickelte. Zum anderen forderten die Schulbehörden die Lehrer dazu auf, die Kinder der Vorbereitungsklassen mit deutschen Kindern ein paar Stunden in der Woche zusammen zu unterrichten (vgl. Reich, 1994, S. 11). Nicht alle Schulen machten mit. Die, die es taten konnten erste Erfahrungen des Miteinander- und Voneinanderlernens machen. Frankreich war Vorreiter, was die Integration neuer Migrantenkinder betraf. Bei den französischen Klassen handelte es sich um international zusammengesetzte Klassen. Eine Schule in Paris machte den Projektunterricht zum Schulalltag und hob dabei die Multinationalität ihrer Schülerschaft und der Lerngegenstände hervor (vgl. Reich, 1994, S. 11). In England blieb es Aufgabe der Ausländer, ihre Herkunftssprache und Herkunftskultur zu fördern. In den Schulen Englands gab es dafür keinen Platz. Die Einwanderer bildeten sich tatsächlich selbst weiter. Die ethnische Vielfalt auf britischen Schulen wurde beachtet (vgl. Reich, 1994, S. 12).

Aus dieser Vielfalt wurden die Ansätze eines interkulturellen Unterrichts entwickelt (vgl. Reich, 1994, S. 12). Pädagogen überlegten, wie das Miteinander von einheimischen und eingewanderten Kindern pädagogisch genutzt werden konnte. Dabei sollte die Lebenswelt der Eingewanderten berücksichtigt und den Einheimischen das Fremde nahe gebracht werden (vgl. Reich, 1994, S. 13). Es bestand der Wunsch, dass die Menschen voneinander lernen sollten.

In den siebziger Jahren waren der Aufnahmeunterricht und die Einführung in die Nationalsprache des Einwanderungslandes etabliert. Auch mit dem Unterrichten der Herkunftssprache hatten sich die Schulen arrangiert. Schwierigkeiten bereiteten eher eine mangelnde soziale Integration und das Schulversagen der Migrantenkinder. Auf der Suche nach Lösungen entwickelte Hans H. Reich einen Ansatz: Danach soll die Identität des Kindes geachtet werden, fremden Kulturen offen begegnet und neue Bildungsmöglichkeiten gewonnen werden (vgl. Reich, 1994, S. 13). Der Ansatz war die Basis für die interkulturelle Pädagogik.

In Frankreich wurde die Interkulturalität in den Sachunterricht eingebaut. Kenntnisse und Fertigkeiten aus dem Herkunftssprachunterricht wurden in den gemeinsamen Unterricht aufgenommen (vgl. Reich, 1994, S. 14). Nachteile bestanden darin, dass einige Gruppen mehr Aufmerksamkeit bekamen als andere und dass die Begegnung der Kulturen wichtiger war als die Begegnung von Individuen. Somit geriet die ursprüngliche Aufgabe der Schule, jedes Kind auf das Leben vorzubereiten, in den Hintergrund. Vor allem in den sozialen Brennpunkten zählten Migration und Interkulturalität zu den integralen Bestandteilen von Programmen zur Unterstützung von Schulen (vgl. Reich, 1994, S. 14).

Ganz anders verhielt es sich England. Das Gesetz über Rassenbeziehung und Rassenunruhen schloss ein ausdrückliches Verbot der Diskriminierung im Schulsystem ein (vgl. Reich, 1994, S. 14). Die kommunalen Schulbehörden arbeiteten mit Politikern, Pädagogen und Inspektoren zusammen, um aus den Schulen multikulturelle Einrichtungen zu machen und um die Vereinbarung schulischer Grundlagen zu entwickeln (vgl. Reich, 1994, S. 15). In diesen Vereinbarungen enthalten waren: das Bemühen um faire Prüfungsverfahren, die Intensivierung der Elternarbeit, die „Zusammenarbeit mit den Migrantenorganisationen, das Aufgreifen interkultureller Fragen in den assemblies und die sichtbare multikulturelle und multilinguale Ausstattung der Schulgebäude und Klassenräume“ (Reich, 1994, S. 15). Zudem konnten durch finanzielle Unterstützung bilinguale Hilfskräfte eingesetzt und Lehrerfortbildungen angeboten werden. Es war stets die Vielfalt der Sprache und Kulturen und das Bestreben, dass die Schulen mit dieser Vielfalt zurechtkommen, die im Zentrum der englischen Entwicklung standen. Dabei war nicht das Verschaffen eines Überblickes über die anderen Sprachen oder Religionen, sondern die fünfsprachige Inschrift am Schultor charakteristisch. Während die Herkunftssprachen zwar nicht gelehrt wurden, wurde dennoch im Primarbereich in mehreren Sprachen gezählt und gerechnet oder auch Lieder in Sprachen der Mitschüler gesungen (vgl. Reich, 1994, S. 15). Im anschließenden Sekundarbereich wurde angeboten, unterschiedliche Sprachen kennen zu lernen und sich schließlich für eine der Fremdsprachen zu entscheiden (vgl. Reich, 1994, S. 16).

Deutschland distanzierte sich im Gegensatz zu England und Frankreich von der interkulturellen Erziehung. Anklang fand der interkulturelle Gedanke jedoch in der Vorschulerziehung (vgl. Reich, 1994, S. 16). Auch eine Verbindung von schulischer und gemeinwesenorientierter Arbeit versuchte Migrantenkinder zu fördern. Die Pädagogen versuchten durch interkulturelles Material den Migrantenkindern eine Vorstellung vom Leben und Lernen in Deutschland zu vermitteln (vgl. Reich, 1994, S. 16). Auern-heimer beschreibt die erste Hälfte der achtziger Jahre als die Blütezeit der interkulturellen Pädagogik. Neue didaktische Handlungsmöglichkeiten waren gefunden worden. Es schien, als lernten die Einheimischen von den eingewanderten Menschen, ohne die eigene Identität aufgeben zu müssen. Doch leider wurde in Wahrheit alles nur als Muster- und Modellpraxis angesehen. Zudem öffneten sich fast nur Schulen mit höherem Anteil von Immigrantenschülern diesen neuen Konzepten oder die Vorschul- und Primarschulbereiche (vgl. Reich, 1994, S. 17).

Mitte der achtziger Jahre wurden die begonnenen Ansätze fortgeführt, doch der Zweifel an dem Konzept blieb bestehen. Während in Frankreich die Verbindung zwischen interkulturellem Unterricht und der Anwesenheit von Immigrantenkindern gelockert wurde (vgl. Reich, 1994, S. 17), trat in England eine antirassistische Pädagogik als Gegenbewegung zum Multikulturalismus auf (vgl. Reich, 1994, S. 19). Französische Pädagogen glaubten, dass eine erfolgreiche Integration von Migranten dann möglich sei, wenn ihnen nicht übergewichtig Respekt zugeteilt wird, sondern sie die gleiche Aufmerksamkeit wie Einheimische bekommen. Der Schule sollte es möglich sein, sich der internationalen Realität zu stellen und eine weltoffene Bildung zuzulassen (vgl. Reich, 1994, S. 18). Damit einhergehen sollten eine weitere Öffnung gegenüber allen Nichtfranzosen und eine Integration. Dass sich hauptsächlich Bildung mit nationaler Identität beschäftigt, formulierte im Jahr 1990 eine Beamtin des französischen Bildungsministeriums. Sie sprach sich für eine Öffnung gegenüber allen Nationalitäten aus. Doch da die Franzosen einzelne nationale Gruppen nicht aufwerten wollten, folgten Diskussionen über den Verstoß der Beamtin - auch in Grundschulen und dem Sekundarbereich. Schließlich wäre es ein Ausschluss, wenn den Migrantenkindern die Heimatsprache beigebracht würde, statt der Sprache der Einheimischen, argumentierten einige (vgl. Reich, 1994, S. 18). Immer weniger wurde an französischen Grundschulen die Sprache der Migranten gelehrt, auch interkulturelle Themen wurden immer seltener behandelt. Wissenschaftlich setzen sich die französischen Pädagogen stattdessen stärker mit Themen der Identität und Kultur, des Rassismus und Nationalismus und der Geschichte der Immigration auseinander (vgl. Reich, 1994, S. 18).

England wandte sich der antirassistischen Pädagogik zu. Englische Pädagogen kritisieren die Kulturverschiedenheit als bloße Verschleierung realer sozialer Benachteiligung und Vertuschung politischer Auseinandersetzungen. Sie forderten eine Umkehrung der Situationsdefinition indem sie Vorurteile, Gewohnheiten und institutionelle Routine der Mehrheit in den Vordergrund stellen wollten (vlg. Reich, 1994, S. 19). Die antirassistische Pädagogik glaubt, dass vielmehr die gesellschaftliche Mehrheit die Integration der Migranten erschwert, und nicht die Kinder der Minderheiten. Die Mehrheit muss der Minderheit offener begegnen und sie somit in ihr Land einschließen. Lynch nahm sich der antirassistischen Herausforderung an: Er wollte Vorurteile bekämpfen, aber nicht Strukturen verändern. Lynch berücksichtigte dabei Themen wie Kooperation von Menschenrechtserziehung, Friedenserziehung, Umwelterziehung, und noch einige andere (vgl. Reich, 1994, S. 19). Da die verbale Diskriminierung und die rassistisch motivierte Gewalt an Schulen zunahmen, wurden Gegenmittel gesucht. Es folgten antirassistische Richtlinien, vermehrte Einstellungen nicht-weißer Lehrkräfte und Lehrerfortbildungen zu diesem Thema. Es stellte sich heraus, dass die antirassistische Pädagogik weniger erfolgreich war als die interkulturelle Pädagogik (vgl. Reich, 1994, S. 19). Während interkulturelle Pädagogik den Schülern Orientierungsinhalte bot, konzentrierte sich die antirassistische Pädagogik auf das Kennenlernen fremdkultureller Sachverhalte und Ideen, Multiperspektivität, Überwindung von Vorurteilen und Sichtbarmachung des kulturellen Potentials. Die antirassistischen Pädagogen in England konnten sich nicht durchsetzen. Schließlich wurden die Herkunftssprachen zurückgedrängt, die multikulturellen Projekte unter Druck gesetzt und die Finanzierungsmöglichkeiten für zweisprachige Lehrer erheblich vermindert (vgl. Reich, 1994, S. 20).

Deutschland hielt an der interkulturellen Bildung Ende der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts noch einige Zeit fest. Das Lehren der Herkunftssprache wurde durch Materialproduktion und Lehrerfortbildungen unterstützt. Zunehmend wurde aber auch in Deutschland die interkulturelle Bildung kritisiert. Es hieß, dass interkulturelle Bildung eine individuelle Entwicklung und mündige Persönlichkeitsentfaltung verhindere (Reich, 1994, S. 20). Migranten könnten sich nicht frei entfalten, solange sie auf Bestimmungen und Identitäten der Einheimischen angewiesen seien. Außerdem wurden ungelöste politische Aufgaben verschleiert (vgl. Reich, 1994, S. 21). Politiker würden innenpolitische Aufgaben und Problemen vernachlässigen, weil sie sich zu sehr mit der Integration der Migranten beschäftigen würden. Obwohl sich die Deutschen vermutlich viel mit Migranten auseinandersetzten, waren keine Veränderungen in der Praxis der Schulen und Schulbehörden zu erkennen. Da es in den Jahren 1991 bis 1993 zu rassistischen Ausbrüchen in Deutschland kam, waren neue pädagogische Strategien nötig, die zu dem Zeitpunkt aber nicht gefunden wurden (vgl. Reich, 1994, S. 21).

Die Entwicklung der Pädagogik hat deutlich gemacht, dass es wichtig ist, die aufnehmende Gesellschaft auf eine Aufnahme von Migranten vorzubereiten und deren Bereitschaft zu stärken. Erst dann ist es Migranten möglich, sich in der Schule und in der neuen Umgebung einzufinden.

2.2.3 Transkulturalität

Weil Kulturen zu Beginn des 21. Jahrhunderts weder homogen noch separiert, sondern von Mischungen und Durchdringungen gekennzeichnet sind, sind die Theorien des Multikulturalismus und des Interkulturalismus ungültig geworden. Es hat sich eine andere und neue Theorie der Kultur entwickelt. Sie geht über den traditionellen Kulturbegriff hinaus und durch die traditionellen Kulturgrenzen hindurch (vgl. Welsch, 1998, S. 51). Die Transkulturalität ist eine neue Möglichkeit, die Folgen der Migration auf offene und kooperative Weise zu bewältigen. Sie steht für eine Kultur der Integration.

Durch Migration, Kommunikationssysteme und ökonomische Interdependenzen sind die Kulturen vernetzt. Dabei enden die verschiedenen Lebensformen nicht mehr an den Nationalgrenzen (vgl. Welsch, 1998, S. 51). Diesen Übergang verdeutlichen unter anderem Menschenrechtsdiskussionen, feministische Bewegungen oder das ökologische Bewusstsein. Ständig findet ein Austausch zwischen den unterschiedlichen Kulturen statt. Es gibt kein Land, in dem nicht mehrere Kulturen vertreten sind. Auch Produkte sind allerorts verfügbar, wie exotische Früchte, Sojasoße und Coca-Cola. Eigentlich dürfte etwa den Deutschen nichts mehr fremd erscheinen. Es gibt kaum noch etwas, das ausschließlich einem Land gehört. Die Trennschärfen zwischen der Eigenkultur und der Fremdkultur lösen sich auf (vgl. Welsch, 1998, S. 52). Welsch spricht auch davon, dass selbst das Individuum bis auf einige Ausnahmen nicht mehr rein sondern ein kultureller Mischling ist (vgl. Welsch, 1998, S. 53). Auch Soziologen sind zu dem Entschluss gekommen, dass der Mensch mehrfache Anhänglichkeiten und Identitäten besitze, da er in seiner Entwicklung durch verschiedene soziale Welten gehe und immer wieder auf der Suche nach seiner wirklichen Identität sei (vgl. Welsch, 1997, A. 21) .

Zudem geht Welsch auf das Zusammenspiel von kultureller und nationaler Identität ein, die für ihn nicht gleichzusetzen sind. Die Nationalität sage nichts über die kulturelle Zugehörigkeit aus (vgl. Welsch, 1998, S. 53). Damit verweist er auf Ausländer, die in einem fremden Land geboren wurden und von Geburt an mit einer ihrer Nationalität fremden Kultur konfrontiert wurden. Wenn das Individuum durch unterschiedliche Kulturen geprägt ist, ist es die Aufgabe der Identitätsbildung, diese transkulturellen Komponenten miteinander zu verbinden (vgl. Welsch, 1997, A. 25). Weil ein Individuum in seinem eigenen Land und in seiner eigenen Kultur mit anderen Kulturen konfrontiert wird, ist es auch im heimischen Umfeld kaum möglich, ohne die Verbindung transkultureller Komponenten seine Identität zu entwickeln. Um den Anschluss an andere Kulturen zu finden ist es nötig, ihnen mit Verständnis zu begegnen. Den Menschen sollte bewusst werden, dass die fremde Kultur nicht die eigene zerstört, sondern eine Bereicherung darstellen kann (vgl. Welsch, 1998, S. 56). Durch diese Offenheit wird es erst möglich, eine gemeinsame Lebensform zu bilden, in der beide Parteien sich wohl fühlen. Nicht nur das Verständnis muss vorhanden sein, sondern auch eine Kompromissbereitschaft. Es ist unmöglich, dass beide Kulturen ihre Sitten und Gebräuche so bewahren, wie sie sie bislang gelebt haben. Es ist nötig, alte Gewohnheiten aufzugeben und sich auf neue einzulassen (vgl. Welsch, 1998, S. 56). Zudem ist die Akzeptanz der fremden Lebensgewohnheiten und des Unbekannten nötig, um mit gesellschaftlicher Transkulturalität zurechtzukommen . Welsch spricht dabei von der internalen und der externalen Transkulturalität, und meint damit, dass nur der das Fremde mögen und akzeptieren kann, der auch sich selbst mag und akzeptiert (vgl. Welsch, 1997, A. 37).

Einen wichtigen Beitrag zur Transkulturalität brachte der Philosoph Wittgenstein mit ein. Er hatte eine ganz andere Vorstellung vom Kulturbegriff. Er definierte den Begriff ohne ethnische Fundierung und Homogenitätszumutungen. Im Gegensatz zur interkulturellen Pädagogik sieht er den Sinn der Interaktion mit dem Fremden nicht im Verstehen fremder Kulturen. Die Verstehensprozesse sind nützlich, aber nur das Miteinander mit dem Fremden bringt die Kulturen einander näher. Die Chance für eine Interaktion steht gut, da es immer zu einigen Verflechtungen, Überschneidungen und Übergängen zwischen den verschiedenen Lebensformen kommt (vgl. Welsch, 1998, S. 58). Wittgenstein gab damit einen guten Einstieg für die heutigen Verhältnisse.

Welsch vergleicht das heutige Transkulturalitätskonzept mit dem Konzept der Globalisierung und dem der Partikularisierung. Er zeigt anhand dieses Vergleichs, dass Transkulturalität die Theorien beider Konzepte miteinander verbindet (vgl. Welsch, 1998, S. 59). Laut der Transkulturalitätstheorie ist es also möglich, eine weltweite Vereinheitlichung durchzuführen, ohne dass die Interessen der Minderheiten übergangen werden und ohne dass ihr Bedürfnis nach Spezifität ignoriert wird. Jeder hat somit gleiches Mitspracherecht und keiner muss sich mehr gegen eine große Mehrheit durchsetzen oder sich ihr fügen.

Transkulturalität meint ein Bild vom Zustand und Verhältnis der Kulturen, die von Verflechtung, Durchmischung und Gemeinsamkeiten geprägt sind. Das Konzept Transkulturalität sieht nicht die unterschiedlichen Kulturen und Gesellschaften gegeneinander spielend, sondern miteinander und voneinander lernend.

2.2.4 Die Begriffe im zusammenhängenden Kontext

Multikulturalismus, Interkulturalismus und Transkulturalismus sind Theorien und Ansätze, mit denen Wissenschaftler und Pädagogen sich dem Zusammenspiel verschiedener Kulturen nähern wollten, um unter anderem Schlüsse daraus zu ziehen, wie Migranten sich in Einwanderungsländern erfolgreich integrieren lassen.

Beispiel Deutschland: Durch die Einwanderung der Migranten nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Ausländeranzahl nach kurzer Zeit immens an. Zunächst gingen die Deutschen davon aus, dass die Gastarbeiter nur solange blieben, bis die Arbeit erledigt war. Schließlich zogen die Familien nach und die Migranten planten länger in dem fremden Land zu leben. Wie das Zusammenleben sich gestaltete, versuchten Wissenschaftler erst mit der Multikulturalität und dann mit der Interkulturalität zu beschreiben. Die Menschen sollten nicht nebeneinander, sondern miteinander leben. Eine Chance wurde damals in der Schule gesehen - die interkulturelle Pädagogik entwickelte sich. Schon bei den Kindern sollte ein interkulturelles Denken und Handeln entwickelt werden. Um miteinander zu leben und nicht gegeneinander zu kämpfen war es wichtig, Verständnis gegenüber dem Fremden zu wecken. Weil Kinder weitestgehend vorurteilsfrei sind, glaubten Pädagogen, dort am erfolgreichsten eine harmonische Gesellschaft zu fördern. Weitreichender als die interkulturelle Gesellschaft war die neue Theorie der transkulturellen Gesellschaft – Sie verlangte nach einem Miteinander ohne Grenzen. Jede Person im Land sollte ein gleiches Mitspracherecht bekommen und keiner sollte sich länger als Minderheit verstehen. Aber gibt es diese Grenzen überhaupt noch? Nicht nur, dass wir ohne Probleme über die ganze Welt miteinander kommunizieren können. Kommunikationsmittel vernetzen die Welt, globalisierte Produktionen überschwemmen mit ihren Waren den Weltmarkt und in den Industrieländern haben die Menschen Zugriff auf Speisen aus aller Welt. Da liegt die Annahme nah, dass sich die Grenzen zwischen den Ländern und Kulturen auflösen. Und dennoch: Es kommt zu Ausgrenzungen von Migranten und auch das politische Mitspracherecht wird ihnen weiter verweigert.

2.3 Interreligiosität

Zu den großen Weltreligionen zählen Judentum, Christentum, Islam und Buddhismus. Das Christentum und der Islam finden ihren Ursprung im Judentum. Diese Arbeit beschäftigt sich im Hinblick auf die Interviews des praktischen Teils mit allen Religionen.

2.3.1 Was ist Religion?

Pollak versucht Religion wie folgt zu definieren: „Als Religion werden Formen angesehen, in denen sich der Glaube an einen Gott oder mehrere Götter ausdrückt“ (Asbrand, 2000, S. 38). Religionen besitzen unterschiedliche Sichtweisen: Einige Religionen rücken das Leben im Diesseits in den Mittelpunkt, andere das Leben im Jenseits. Küng spricht die Vielfältigkeit der Glaubensarten an. Einige würden an viele Götter glauben, andere nur an einen Gott. Manche würden den Gottesglaube ganz ablehnen (vgl. Küng, 1987, S. 12). Bei Religionen ohne Gottesglaube definieren die Wissenschaftler den Glauben als „Beziehung des Menschen zur übersinnlichen und ewigen Welt“ oder als eine „Ausweitung des Lebens bis zu seiner äußeren Grenze“ (Asbrand, 2000, S. 39). Diesen Definitionen nach ist Religion etwas Übersinnliches, etwas nicht Greifbares, das hilft, unerklärliche Dinge zu verstehen oder zu verarbeiten.

Es gibt sehr gläubige Menschen und andere, die sich kaum mit Religion beschäftigen. Für die stark Gläubigen ist Religion eine den Alltag bestimmende Angelegenheit. Menschen leben streng nach ihren Prinzipien und Werten, für sie ist Religion ein individuell-soziales Grundmuster durch das sie sehen, erleben, denken, fühlen, handeln und leiden. Gläubige Menschen untereinander entdecken Gemeinsamkeiten und schaffen sich somit eine Gemeinschaft und Heimat zugleich (vgl. Küng, 1987, S. 13). Religion ist eine unsichtbare Stütze für Menschen, die hilft, dass niemand sich allein gelassen fühlt, und die das Gefühl vermittelt, dass alle gleich sind.

2.3.2 Worum geht es in den Religionen?

Die Weltreligionen unterscheiden sich. Dennoch haben sie ein gemeinsames Ziel: Die Erlösung und das das Heil des Menschen.

Erlösung meint, dass der Gläubige von dem endlichen Leben und Dasein auf dieser Welt erlöst wird. Die Religion ist der Weg zum Ziel des Lebens, Religion ist der Weg des Heils (vgl. Gäde, 1998, S. 294). Heilswege sind Wegweiser aus der Not, dem Leid und der Schuld des Daseins (vgl. Kuschel, 1994, S. 160). Gläubige sehen in ihren Religionen die Vorgaben, um ein friedliches und für ihre Verhältnisse bestmögliches Leben führen zu können. So lang sie glauben und sich nach ihren Religionen richten, ist ihr Lebensweg unanfechtbar. Religionen versprechen der Menschheit, sie Gott nahe zu bringen. Viele Menschen meinen, wenn sie ein Leben ohne Hass und böse Taten führten, kämen sie zu Gott und hätten dort die Möglichkeit, unendlich zu leben, ohne Schmerz und Leid. Die gemeinsame Basis der Religionen ist, dass die Welt die Möglichkeit des Heils nicht geben kann (vgl. Gäde, 1998, S. 294). Damit besteht das Leben aus der Bewältigung von Problemen und Leid. Für viele Menschen ist dies ein unerträglicher und unbefriedigender Zustand. Religionen versprechen, diesen Zustand zu überwinden und hinter sich zu lassen bis hin zur Erfüllung des menschlichen Vollendungsbedürfnisses. Alle Religionen orientieren sich an dieser Vorstellung, nur sind die Wege dorthin teilweise unterschiedlich. Während die einen vom „Paradies“ sprechen, nennen die anderen ihr Ziel „Das Reich Gottes“ oder „Nirwana“. Doch alle Begrifflichkeiten stehen für die Überwindung des leidvollen und hoffnungslosen Lebens, welches sie auf der Welt führen. Die Welt der Gläubigen gleicht einem großen Raum. Die Religionen suchen die Türen, die aus diesem Raum führen. Gäbe es keine Türen, so wäre die Welt ein geschlossenes System, aus dem niemand ausbrechen kann. Diese Vorstellung würde die meisten Menschen ängstigen (vgl. Gäde, 1998, S. 295). Viele Menschen beruhigt der Glaube daran, dass es noch etwas anderes gibt außer der Welt, in der sie leben.

Religionen vermitteln den Eindruck, dass die Welt im Diesseits kein Zuhause ist, in dem sie sich für immer einrichten können (vgl. Gäde, 1998, S. 296). Die Gläubigen suchen ihr Zuhause außerhalb des Raumes, in der Welt übersteigernden Wirklichkeit. Dort erhoffen sich die Menschen, eine unendliche Existenz zu erlangen (vgl. Gäde, 1998, S. 297). Das Jenseits wird im Christentum als das Reich Gottes bezeichnet. Um sich dem Reich zu nähern, bringen die Gläubigen Opfer und versuchen ein moralisch einwandfreies Leben zu führen (vgl. Gäde, 1998, S. 298).

Eine Frage verbindet die Weltreligionen: Und zwar jene, ob die Aufhebung der dem Menschen unerträglichen Gottferne möglich ist oder aber ob sich die Gläubigen einer Illusion hingeben. Alle Religionen erörtern, ob es das Leben hinter den Türen des Raumes wirklich gibt (vgl. Gäde, 1998, S. 298). Hängen Menschen einem Irrglauben an, wenn sie meinen, dass nach dem Leben auf der Erde etwas Unendliches und Erfülltes auf sie wartet? Oder trifft es zu, dass das Leben der Weg in das „Paradies“, in das „Reich Gottes“ oder ins „Nirwana“ ist? Diesen Fragen gehen die Religionen der Welt nach und versuchen, gemeinsam und auch jede für sich Antworten darauf zu finden.

2.3.3 Das Judentum

Da das Christentum und der Islam im Judentum ihren Ursprung finden, wird der kleinsten Weltreligion eine außerordentlich große Bedeutung zugeschrieben. Global gesehen gehören heute nur eine kleine Zahl Anhänger der jüdischen Religion an. Im Jahr 1995 waren es 13,5 Millionen Gläubige, die dem Judentum angehörten. Das entspricht 0,4 Prozent der Weltbevölkerung. Die Hälfte der Juden lebt in Nord- und Südamerika. Ein Viertel ist je in Europa und Asien heimisch (vgl. Eichhorn/ Lukaschewski/ Polter, o.J., A. 11).

Das Judentum beginnt mit der Ankunft einiger Israeliten in Israel, die zuvor als Gefangene im Babylonischen Exil gesessen haben. Sie begannen, ihre Auffassung von Religion in ihrem Land durchzusetzen. Dabei orientierten sie sich an der Thora, dem jüdischen Gesetzbuch (vgl. Wolf, o.J., A.1).

Nachdem sich der römische Vasallenkönig Herodes I., „der Große“, Israels annahm, kam es zu Auseinandersetzungen die 66 nach Christus zum ersten jüdischen Krieg führten. Im Jahr 70 nach Christus besiegten die Römer mit der Zerstörung Jerusalems und des Tempels die Israeliten (vgl. Wolf, o.J., A. 1).

Nach einem wiederholt vergeblichen Versuch der neu organisierten palästinensischen Juden gegen Rom, wurde dem Judentum eine Selbstverwaltung eingeräumt. Das jüdische Oberhaupt des Römischen Reiches wurde Vorsitz dieser Selbstverwaltung (vgl. Wolf, o.J., A. 2).

Ab dem 7. Jahrhundert entstand durch engen Kontakt zur islamischen Umwelt eine jüdische Theologie und Philosophie, eine hebräische Sprach-Wissenschaft und Poetik. Vom 7. bis 8. Jahrhundert wurde das jüdische Recht in Babylonien und im übrigen arabischen Raum systematisiert. Im 14. und 15. Jahrhundert wurden die Juden in Spanien und Frankreich zur Auswanderung gezwungen oder zwangsgetauft. Es folgten immer mehr Einschränkungen der Juden: Erlass von Judenordnungen, die ihre Bewegungsfreiheit einschränkten; Sondersteuern; Kennzeichnung durch Abzeichen und gesondertes Wohnen separiert vom nichtjüdischen Volk. Ihren Unterhalt verdienten sich die Juden häufig durch Waren- und Geldhandel oder durch handwerkliche Berufe (vgl. Wolf, o.J., A. 3).

Ende des 18. Jahrhunderts war die bürgerliche Gleichstellung der Juden in den USA, Frankreich und den Niederlanden erreicht. In Deutschland erfolgte die endgültige rechtliche Gleichstellung der Juden wenige Zeit später. Die Gleichstellung war in Deutschland das Ergebnis einer Erziehungspolitik, in der Berufsumschichtungen und schrittweise Assimilation der Juden vorgesehen war (vgl. Wolf, o.J., A. 4).

Kurze Zeit später kam es zu einer Massenauswanderung der Juden aus Osteuropa nach Amerika, Westeuropa und Australien. Gewalttätige Ausschreitungen gegenüber den Juden und ein schwere Wirtschaftskrise waren die Gründe für die Auswanderung. In Osteuropa bildeten die Juden die nationale Minderheit (vgl. Wolf, o.J., A. 4).

Mitte des 19. Jahrhunderts begann erneut eine Welle der Feindschaft gegen die nun als Rassen definierten Juden. Eine Angleichung an die christlich geprägte Mehrheit wurde ihnen verweigert. Diese Situation sah das national-sozialistische Schreckensregime als eine Gelegenheit, die Juden als rassisch minderwertige und staatsfeindliche Einheit zu verfolgen: Den Juden wurde das Beamtentum untersagt. Die Judengesetze wurden von den Nürnberger Gesetzen legalisiert. Fast alle Synagogen wurden in der Reichsprogromnacht in Brand gesteckt. Letztendlich wurden die Juden aus dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben ausgeschlossen und gezwungen, sich mit einem Judenstern zu kennzeichnen. Dem folgte eine Massentötung der Juden. Im Rahmen der Endlösung wurden zwei Drittel der europäischen Juden von den Nationalsozialisten und ihren Kollaborateuren auf bestialische Weise ermordet (vgl. Wolf, o.J., A. 4).

Seit 1948 besitzen die Juden den Staat Israel als gesicherte Heimstätte. Aufgrund der geschichtlichen Entwicklung sind heute die Juden über die gesamte Welt verteilt (vgl. Eichhorn/ Lukaschewski/ Polter, o.J., A. 12).

2.3.3.1 Strömungen des Judentums

Da die Juden mit anderen Staatsbürgern rechtlich gleichgestellt wurden und der Beginn einer Assimilation geschaffen war, entwickelten sich die traditionell-gläubigen Juden zur Minderheit. Aus dieser Entwicklung heraus entstanden drei aufeinander folgende Strömungen des Judentums: das Reformjudentum, das konservative Judentum und das orthodoxe Judentum (vgl. Eichhorn/ Lukaschewski/ Polter, o.J., A. 6).

[...]

Final del extracto de 120 páginas

Detalles

Título
Die Bedeutung von Religion und Tradition für Studierende mit Migrationshintergrund in ihrem Einfluss auf transkulturelle Identitätsbildung
Universidad
University of Hannover  (FB Erziehungswissenschaften)
Calificación
1,0
Autor
Año
2003
Páginas
120
No. de catálogo
V41376
ISBN (Ebook)
9783638396486
Tamaño de fichero
713 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Bedeutung, Religion, Tradition, Studierende, Migrationshintergrund, Einfluss, Identitätsbildung
Citar trabajo
Svenja Otte (Autor), 2003, Die Bedeutung von Religion und Tradition für Studierende mit Migrationshintergrund in ihrem Einfluss auf transkulturelle Identitätsbildung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41376

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