Meister Eckharts Grundstrukturen des theologischen Denkens


Hausarbeit, 2017

15 Seiten, Note: 12


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Biographie Meister Eckharts

3. Werke des Meister Eckhart

4. Theologische Grundstrukturen Meister Eckharts
4.1 Abegescheidenheit
4.2 Gelâzenheit

5. Wirkung und Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Anhang 1: (lateinische) Werke Meister Eckharts

1. Einleitung

„Man müßte eine Geschichte derjenigen schreiben, […] die verschüttete Seinsbestimmung des Menschen freizumachen versuchten. […] In dieser Reihe steht Meister Eckhart. Er ist eine Schlüsselgestalt in der Geschichte des Menschen. Mit ihm oder gegen ihn werden Entscheidungen getroffen, die den Sinn oder Unsinn unserer Existenz betreffen.“ [1]

Der Altgermanist und Mystikforscher Kurt Ruh stellt in diesem Zitat über Meister Eckhart sehr deutlich die immense Bedeutung, die dieser u.a. als Mystiker, Theologe und Prediger bezeichnete Mann immer noch für unzählige Menschen besitzt, heraus. In der Tat ist die Faszination, die Eckhart auf die Menschen ausübt, bis heute ungebrochen. Und dies, obwohl seine im 13. Jhd. verfassten Texte auf den ersten Blick etwas holprig erscheinen mögen. Er beeinflusste u.a. Johannes Tauler, Heinrich Seuse, Luther, Hegel und Schopenhauer – die Liste ließe sich noch fortsetzen. Liest man z. B. Luthers Schrift Theologia deutsch, die er 1516/1518 verfasste, so findet man deutliche Spuren von Eckharts Denken.[2] Meister Eckhart wird oft als der bedeutendste deutschsprachige Mystiker angesehen. Seine Schriften besitzen eine ungeheure Sprachgewalt und beeinflussten Sprache und Literatur nachhaltig. Eckhart verknüpfte darin Theologie und Philosophie auf das Kunstvollste miteinander. Aufgrund einer päpstlichen Bulle, die ein Jahr nach seinem Tod erlassen wurde, gerieten seine Schriften vorübergehend in Vergessenheit. Im 19. Jahrhundert erlebten sie jedoch eine Renaissance.

Als Ausgangspunkt dieser Ausarbeitung dient die Biographie Meister Eckharts. Im Anschluss daran werden die lateinischen und deutschen Werke Eckharts kurz vorgestellt, da sein Gesamtwerk höchst umfangreich ist. Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit liegt auf den Grundstrukturen des theologischen Denkens Meister Eckharts. Besonders zwei dieser Grundstrukturen, die gelâzenheit und abegescheidenheit, sollen näher betrachtet werden. An diesen beiden für Eckhart wichtigen Begriffen soll seine theologisch-mystische Denkweise beleuchtet werden. Abschließend wird die Wirkungsgeschichte Meister Eckharts betrachtet sowie eine Schlussbetrachtung formuliert.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, einen Überblick über das Leben, die Person und die Werke von Meister Eckhart zu geben und anhand der Grundstrukturen seines theologischen Denkens sowohl die Position Eckharts als auch die Faszination, die ihm immer noch anhaftet, zu klären.

Als wichtige Quellen dieser Ausarbeitung sind vor allem die Werke der Schweizer Germanistikprofessoren und Eckhartforscher Alois M. Haas und Kurt Ruh, des Moraltheologen und Präsidenten der Meister Eckhart Gesellschaft Dietmar Mieth, sowie die des Theologie- und Religionspädagogen Günter Stachel zu nennen. Sie alle tragen mit ihren umfangreichen Studien zu Meister Eckhart wesentlich zur Forschung bei.

2. Biographie Meister Eckharts

Meister Eckharts Biographie ist nicht klar einzugrenzen, obgleich einige seiner Lebensdaten zweifelsfrei belegt sind. Die Schwierigkeit, ihm ein genaues Geburtsdatum zuzumessen, ist laut Haas darauf zurückzuführen, dass man jenem im 13. Jahrhundert keine große Bedeutung zugemessen habe. Dies sei im Mittelalter durchaus nicht ungewöhnlich gewesen, deswegen wurden gewisse Daten allerdings auch nirgends vermerkt. Ein detaillierter Lebenslauf sei zu dieser Zeit schlicht nicht interessant gewesen, da sich die Individualität eines Menschen nicht in seinen Lebensdaten, sondern vielmehr in seiner vorbildlichen Existenz zeigte.[3] Stachel z.B. vermutet, Eckhart sei um 1260 in Hochheim bei Gotha geboren.[4] Binotto spricht von Eckhart von Hochheim[5], eine Bezeichnung, die im Mittelalter sowohl auf den Geburtsort als auch auf das Geburtsgeschlecht hinweisen kann. Mieth weist hingegen ausdrücklich darauf hin, der Name Hochheim sei kein Orts- sondern ein Geschlechtername.[6] Dies führt auch Ruh aus, der die einmalige Nennung eines Herkunftsnamens in einer Rede Meister Eckharts erwähnt. In dieser bezeichnet sich Meister Eckhart als „Eckardi de Hochheim“. Es existierten zwei Orte, die Hochheim hießen; einer bei Erfurt, einer bei Gotha. Ruh sieht durch Trusens Untersuchungen, aus denen hervorging, Meister Eckhart, der aus niedrigem Adel stammte, sei in Tambach südlich von Gotha oder in der dortigen Umgebung geboren, die Heimatfrage Eckharts als endgültig geklärt.[7] Meister Eckhart tritt früh in den Erfurter Konvent der Dominikaner ein und beendet sein Noviziat noch vor 1277. Er ist viel auf Reisen; das erklärte Ziel der von den Dominikanern geführten Lebensform war die radikale Zuwendung zur Welt. Anstatt sich in die Abgeschiedenheit zurückzuziehen und dort den Kontakt mit Gott zu suchen, wurde das Weltliche zu ihrem Wirkungsraum. Hier wollten sie Gott und den Menschen gegenübertreten. Ihr Ordensleben war deshalb von Studium und Bildung, Gebet und Seelsorge geprägt.[8] Eckhart studiert die Artes liberales als Grundlage des akademischen Studiums in Paris.[9] Die Fächer bestehen aus einem trivium (Grammatik, Rhetorik, Logik od. Dialektik) und einem quadrivium (Arithmetik, Musik, Geometrie und Astronomie). Noch vor 1280 beginnt er das Theologiestudium in Köln.[10] 1293-94 weilt Eckhart in Paris - er liest dort die Sentenzen.[11] Nach seiner Rückkehr aus Paris wird Meister Eckhart Prior von Erfurt und Vikar von Thüringen.[12] Spätestens 1300 muss Eckhart jedoch sein Amt als Prior zugunsten seines Vikariats aufgeben, um die damit verbundenen ausgedehnten Wanderungen zu den ihm anvertrauten Klöstern bewältigen zu können. 1302-03 lehrt Eckhart als magister actu regens (als Professor für Theologie) in Paris; ein den Nichtfranzosen vorbehaltener Lehrstuhl. 1303 – 1311 kehrt Eckhart nach Erfurt zurück und übernimmt das Provinzialat der Provinz Saxonia.[13] 1311 widerfährt ihm eine große Ehre; er wird zum zweiten Mal auf das Pariser Magisterium berufen und lehrt dort bis zum Jahr 1313. Außer Eckhart wird nur Thomas von Aquin diese Ehre zweimal zuteil.[14] 1313/14 – 1322 erhält Eckhart mit der Aufsicht über die süddeutschen Schwesternkonvente einen Sonderauftrag in Straßburg. Sein Ruf als fähiger Seelsorger und kluger Administrator dürften dazu beigetragen haben, dass er dort mit der Beginenmystik in Kontakt kam und sich mit ihr auseinandersetzte. Dort lernte er vermutlich auch Heinrich Seuse kennen.[15] Was Eckhart hervorstechen lässt, ist die Tatsache, dass er seine Predigten nicht nur in lateinischer, sondern auch in (mittelhoch-) deutscher Sprache verfasst. Um 1323 wird Eckhart vom Ordensgeneral als magister in theologia ans Generalstudium nach Köln geschickt und führt dort eine lebhafte Predigertätigkeit. Sein mystisches Konzept und seine Äußerungen in deutscher Sprache mögen jedoch Aufsehen erregt haben[16] – und so erfolgt 1326 ohne genauen Grund eine Maßnahme des Kölner Erzbischofs Heinrich von Virneburg gegen Eckhart. Er verfügt die Prüfung von Eckharts Schriften auf Häresien und Irrtümer durch eine Kommission. Ob diese Anklagen durch interne Streitigkeiten zwischen Dominikanern und Franziskanern erwachsen sind oder auf die persönlichen Rachegefühle des Erzbischofs zurückzuführen sind, bleibt unklar.[17] Insgesamt vier oder fünf Listen werden Eckart zugestellt, auf die er mit einer Rechtfertigungsschrift reagiert, indem er zunächst die Kompetenz der Richter in Frage stellt sowie später auch deren Befähigung. 1327 verliest Eckhart in lateinischer und deutscher Sprache eine Erklärung in der Dominikanerkirche vor dem Volk, in der er jeden allfälligen Irrtum in Glaubenssachen verwirft. Schließlich reist er nach Avignon, um dort am päpstlichen Hof seine Sache selbst zu vertreten. Dann verliert sich seine Spur - er muss vor April 1328 gestorben sein – noch in Avignon oder auf der Rückreise.[18] Sein Tod wird in einem Brief des Papstes an den Erzbischof von Köln vermeldet. Die Bulle „In agro dominico“ ergeht posthum 1329.[19] Mit dieser Bulle verurteilt Johannes XXII mit seiner Unterzeichnung alle 28 zur Diskussion stehenden Sätze Eckharts und verkehrt somit die Rechtsgläubigkeit Eckharts in bewusste Häresieverbreitung.[20] Dies sollte dem Zweck dienen, Eckhart zu vernichten. Denn war die naratio der Bulle auch rechtlich nicht relevant, so bedeutete sie doch die bewusste Diffamierung seiner Person als Spirituale und Prediger.[21]

3. Werke des Meister Eckhart

Das Gesamtwerk Eckharts gliedert sich in zwei Teile; in einen deutschen und einen lateinischen. Dies macht ihn aus und hebt ihn in einer Zeit hervor, in der die Mehrheit der Lehrwerke ausschließlich in lateinischer Sprache verfasst werden; er lehrt und schreibt nicht nur lateinisch, sondern verfasst Traktate und Predigten in seiner Muttersprache.[22] Dem lateinischen Teil sind vornehmlich seine wissenschaftlichen Interessen zuzuordnen; der deutsche Teil, welcher die Predigten und Traktate umfasst, kann als Ausdruck seiner seelsorgerischen Absichten gesehen werden. Das lateinische Werk ist in lediglich vier Handschriften überliefert.[23]

Sein Ziel ist es, ein Opus tripartitum zu schaffen, in welchem er eine theologische Absicht mit einer philosophischen Methodik verbinden will. Eckharts Intention hierbei ist, Gehalte des christlichen Glaubens und der Heiligen Schrift durch die natürlichen Vernunftgründe der Philosophie auszulegen. Als ersten Teil ist das Opus propositum (Werk der Sätze) mit 1000 Thesen; als zweiten Teil das Opus quaestionum (Werk der Fragen) und als dritten das Opus expositionum (Werk der Entfaltungen) geplant. Verwirklicht von diesem Plan wurde eine Anzahl von Vorreden, eine Vielzahl von Predigtentwürfen sowie einige Schriftkommentare zu Genesis, Exodus, Sapientia und Johannesevangelium. Eckhart selbst muss sich der Neuheit dieses von ihm geplanten Werkes durchaus bewusst gewesen sein. Er erklärt selbst im Prolog, seine Mitbrüder hätten ihn zur Verfassung gedrängt, Neues und Ungewöhnliches in seine Schriftkommentare mit aufzunehmen. Auf diese Weise stellt sein Werk einen Gegenpol zu der sonst im Mittelalter verbreiteten Absichtserklärung, im vorliegenden Werk werde bekannter Stoff neu aufbereitet. Sein deutschsprachiges Werk umfasst drei Traktate und etwa 150 Predigten, von denen ungefähr 100 als eindeutig echt erwiesen sind.[24] In seinem deutschsprachigen Œuvre sind die Reden der Unterweisung Eckharts Hauptwerk. Sie entstehen vermutlich zwischen 1294 und 1298 und er spricht durch sie zu seinen „Kindern“[25]. Trotzdem handelt es sich hier keinesfalls um eine Erziehungslehre, sondern eher um eine christliche Lebenslehre. Die Reden der Unterweisung beginnen in Kapitel 1 mit der Unterweisung über ein Ordensgelübde, dann wird über das Gebet, über die abegeschiedenheit und gelâzenheit, auf die in Punkt 4.1 und 4.2 noch näher eingegangen wird, bis hin zur Neigung des Menschen zur Sünde, über den Willen und die Liebe.[26]

Meister Eckhart verfasst einen großen Teil seiner Predigten und Traktate auf (mittelhoch-) deutsch, weil sie für ihn eine schöpferische Sprache ist, eine in der er sich ausdrücken und einer großen Gemeinde verständlich machen kann. Und so stellen seine Reden der Unterweisung hohe Ansprüche an den, der sich richtig verhalten möchte, sie tun dies jedoch ohne jede Härte. Gott ist immer nah und so nimmt Eckhart den Menschen die Daseinsangst.[27]

4. Theologische Grundstrukturen Meister Eckharts

„Wie alle große christliche Mystik kreist auch die Mystik Eckharts um die in Christus grundgelegte und gnadenhaft ermöglichte Vereinigung des Menschen mit Gott.“ [28]

Meister Eckhart ist stark durch die Schriften von Peter Lombardus beeinflusst. Im Mittelalter musste jeder angehende Theologe diese Lehrsätze studieren und kommentieren und so beschäftigt er sich im Zuge seines Studiums besonders intensiv mit ihnen. Auch die Werke von Thomas von Aquins sowie die Schriften von Moses Maimonides üben eine große Faszination auf ihn aus. So ist er durch viele Neuplatoniker beeinflusst. Im Zentrum seines Denkens stehen vor allem Gott und Mensch oder genauer gesagt, Gott und Seele sowie ihre Vereinigung.[29] Meister Eckhart möchte den Menschen Gott begreifbar machen und ihnen so den Weg zum christlichen Glauben ebnen. Für ihn ist das Heilige eine Quelle der Vernunft, mehr noch, das Heilige selbst ist die Vernunft. Ein Schlüsselwort bei ihm ist daher die „ vernünftichkeit “; er meint damit, dass die Basis seiner Argumentation ganz natürliches Denken ist, also etwas, was mit reiner Vernunft erkennbar und verständlich ist. Von dieser Basis aus entfaltet er einen übernatürlichen Sachverhalt, damit er einsehbar und verständlich wird und um seine Zuhörerinnen und Zuhörer auf diese Weise von der Wahrheit zu überzeugen.[30] Um sein Publikum zu erreichen versucht er, in immer neuen Worten dieses „Unfassbare des Menschen“ zu beschreiben. Er nennt es das Haupt der Seele, das Licht des Geistes, die vernüftichkeit oder auch das vünkel în der Seele. Im Abschied von der Welt, der abegescheidenheit, wird erst das Innerste des Menschen, dem Grunde der Seele die Möglichkeit gegeben, zum Vorschein zu kommen.[31]

Bei Eckhart besteht kein Dualismus zwischen Irdischem und Himmlischen. Er ist von der Einheit sämtlichen Wissens und davon, dass alles aus einer einzigen Quelle kommt, überzeugt. „Erkenntnis und Vernunft vereinigen die Seele mit Gott“.[32] So erkennt er eine Einheit des gesamten Seins in Gott. Für ihn existiert schlichtweg kein Raum neben Gott. Alles entspringt aus Gott und bleibt in Gott, weil nichts außerhalb von Gott existiert.[33]

Im Mittelalter sind die Übergänge zwischen Philosophie und Theologie fließend; so sind Theologen auch immer gleichzeitig Philosophen und die Philosophen immer Theologen. Erst im 13. Jhd. kommt es zur Differenzierung. Meister Eckhart spiegelt auf seine eigene besondere Art und Weise Theologie und Philosophie ineinander und versucht sie nochmals als Einheit zu sehen und zu denken.[34] Er versucht, das philosophische Studium mit der geistlichen Erfahrung in Einklang zu bringen: der Denkende, der die unendliche Einheit Gottes gedanklich zu erfassen sucht, kann nicht außerhalb gedacht werden. Daher ist es unbedingt notwendig, sein deutschsprachiges und sein lateinisches Werk stets zusammen zu betrachten und mit- und ineinander zu deuten.

Das Wort Gottes wird in der Seele geboren. Um dies zu begreifen, ist es hilfreich, gewisse zentrale wiederkehrende Termini aus Eckharts Predigtprogramm näher zu betrachten. Als erster wichtiger Themenbereich ist die Abgeschiedenheit zu nennen: „Dass der Mensch ledig werde in seiner selbst und aller Dinge“. Das Wort, dass in der Seele verborgen ist, ihm muss man zuhören. Als zweiter Themenbereich folgt die Wiedereinbildung in Gott. Die Seele muss vereint und „hinaufgezogen“ sein. Zum dritten folgt nun der „Adel der Seele“; man soll des großen Adels[35] gedenken, den Gott in die Seele gelegt hat und dass dadurch dem Menschen das Wunder geschehe, zu Gott zu kommen. Als vierter wichtiger Themenbereich folgt nun die Lauterkeit der göttlichen Natur und Hinweise auf ihren unaussprechlichen Glanz: „Der himmlische Vater spricht das Wort und verzehrt dabei all seine Macht. Und er spricht zugleich aus seiner göttlichen Natur und allen Kreaturen.“[36]

Ein weiterer zentraler Begriff, mit dem sich Eckhart in seinen Predigten stets auseinandersetzt und der unabdingbar für ein Begreifen seiner Geisteshaltung ist, ist der der „Gottesgeburt in der Seele“. Die Essenz dieses Terminus ist, dass der Mensch dann am meisten Mensch ist, wenn er in seinem inneren Wesen nicht mehr von der Innerlichkeit Gottes zu unterscheiden ist. Gottes Gnade also ist das höchste Sein des Menschen, erst in ihr wird er tatsächlich frei und findet sich selbst. Dies bedeutet also, je näher der Mensch bei Gott ist, desto selbstständiger ist er. Alle Vorzüge des Menschen werden also eins und ein vollkommenes Empfangen von Gott.[37] Oder auch: „Eckhart versteht das Hervorbringen Gottes als einen Vorgang, gemäß dem Gott-Vater das Andere aus sich selbst gebar.“[38] Die Geburt Gottes in der Seele ist in Eckharts Verständnis ein dynamischer Prozess. Gott vermittelt sich also in der Selbstgabe an die Seele mit sich selbst.[39] Ein weiterer Erklärungsversuch besagt, Meister Eckhart betrachte Gott als den Schöpfer, der die Welt aus sich heraus schuf. Er weilt in der Seele des Menschen, der sich seiner göttlichen Schöpfung jedoch nicht mehr wirklich bewusst ist. Indem der Mensch sich nun allem Weltlichen abwendet, kann er seine Seele so vorbereiten, dass eine Einigung mit Gott in ihr stattfinden kann. Diese Einigung ist das Ziel allen weltlichen Seins, denn auf diese Weise kann der Mensch wieder zum Sohn Gottes werden.[40]

4.1 Abegescheidenheit

Zunächst einmal muss erwähnt werden, dass die Bildung des Begriffes abegescheidenheit unmittelbar mit Meister Eckhart in Verbindung gebracht werden muss. Sowohl dieser als auch der Begriff der gel âzenheit sind vor Eckhart in der deutschen Sprache nicht zu belegen. Zudem lässt sich bei beiden Begriffen keine genaue Übersetzung aus dem lateinischen nachweisen, wohl aber eine Herleitung der lateinischen Begriffe seperatus est und abstractus est; sodass davon ausgegangen werden kann, dass es sich bei beiden um Begriffsbildungen Eckharts handelt. Eckhart verwendet die abgescheidenheit, um die Abspaltung des Menschen vom Kreatürlichen herauszustellen. So steht abgescheiden ebenfalls im Kontext der Hinwendung zu und Ausrichtung auf Gott.[41] Der Weg zur Vereinigung mit Gott ist für Eckhart identisch mit dem Pfad der inneren Tugend und der Schlüssel zu ihr ist die abegescheidenheit, die Abgeschiedenheit.[42] Der Mensch soll also seinen eigenen Wünschen entsagen, er soll sich lösen von allem, sogar oder auch gerade von sich selbst. Nur so kann er zu einem Zustand finden, in welchem er frei von allem ist, gleichsam leer und bereit, das Innerste seiner Seele zum Vorschein kommen zu lassen und so die Geburt Gottes in ihr zu ermöglichen.

[...]


[1] Vgl. Ruh, Kurt (1989): Meister Eckhart, S. 16.

[2] Vgl. Haas, Alois M.; Binotto, Thomas (2013): Der Gottsucher, S. 58.

[3] Vgl. Haas (2013), S.29.

[4] Vgl. Stachel, Günter (1992): Einswerden, S.13.

[5] Vgl. Haas; Binotto (2013), S. 29.

[6] Vgl. Mieth, Dietmar (2014): Meister Eckhart, S. 9.

[7] Vgl. Ruh (1989), S. 21.

[8] Vgl. Haas; Binotto (2013), S. 33.

[9] Vgl. Haas (1979): M.E. als normative Gestalt, S. 10.

[10] Vgl. ebd.

[11] das theologische Lehrbuch des Petrus Lombardus

[12] Vgl. Stachel (1992), S.14.

[13] Haas, Alois M (1984): M. E. 1260- 1328, S. 157.

[14] Vgl. Eckhart; Stachel (1992), S. 16.

[15] Vgl. Winkler, Norbert (2011): M.E. Eine Einführung, S. 32.

[16] Vgl. Stachel (1992), S. 15.

[17] Vgl. Haas (1979), S. 11.

[18] Vgl. ebd., S. 158.

[19] Vgl. Stachel (1992), S. 15.

[20] Vgl. Ruh (1989), S. 184f.

[21] Vgl. ebd., S. 185.

[22] Vgl. Stachel (1992), S. 15.

[23] Zu Eckharts lateinischen Werken siehe Grafik Anhang 1.

[24] Vgl. Haas (1984), S. 159.

[25] Hier sind „geistliche Kinder“, also Mönche und Novizen, gemeint.

[26] Vgl. Ruh (1989), S. 33ff.

[27] Vgl. ebd., S. 44ff.

[28] Vgl. Haas (1979), S. 13.

[29] Vgl. Soudek (1973), S. 34f.

[30] Vgl. Haas (2013), S. 43.

[31] Dies wird in Kapitel 4.1 näher erläutert.

[32] Vgl. Haas (2013), S. 52.

[33] Vgl. Sudbrack (1980): Meister Eckhart heute. Fragen, Thesen, Impulse. In: Wolfgang Böhme (Hg.): Meister Eckhart heute. Karlsruhe_ Evang. Akad. Baden ((Herrenalber Texte 20)), S,84.

[34] Vgl. Haas (2013), S. 62.

[35] Vollkommenheit

[36] Vgl. Stachel (1992), S. 42f.

[37] Vgl. Sudbrack (1980), S. 86ff.

[38] Vgl. Winkler (2011), S. 85.

[39] Vgl. ebd., S. 85ff.

[40] Vgl. Soudek (1973), S. 38.

[41] Panzig (2005): Gelâzenheit und abegescheidenheit, S. 111.

[42] Vgl. ebd., S. 39.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Meister Eckharts Grundstrukturen des theologischen Denkens
Hochschule
Universität Kassel  (Institut für evangelische Theologie)
Veranstaltung
Geschichte der christlichen Mystik
Note
12
Autor
Jahr
2017
Seiten
15
Katalognummer
V414139
ISBN (eBook)
9783668648500
ISBN (Buch)
9783668648517
Dateigröße
551 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
christlich, Mystik, Meister Eckhart, Religion
Arbeit zitieren
Christiane Melzer (Autor:in), 2017, Meister Eckharts Grundstrukturen des theologischen Denkens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/414139

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