Die Politik der Girondins in der Legislative und im Konvent (1. Oktober 1791 - 2. Juni 1793)


Dossier / Travail de Séminaire, 1982

51 Pages, Note: 3,0


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Girondins in der Assemblée nationale législative

3. Die Girondins in der Convention nationale

(20.9.1792-2.6.1793)

4. Resümee

Literaturverzeichnis
a) gedruckte Quellen:
b) Sekundärliteratur:

1. Einleitung

Michael John Sydenham untersucht in seiner Monographie „The Girondins“ typische Merkmale, durch die sich die Politik der Girondins von der der Montagnards unterscheiden lassen.[1] Weiter beschäftigt ihn die Frage, ob es sich bei den sogenannten Girondins um eine Partei oder eher um eine Gruppe von Politikern handelte, die sich das Recht nahm, individuell und nicht modern gesprochen fraktionsgemäß abzustimmen. Sydenham macht darauf aufmerksam, dass es Parteien im modernen Sinne während der französischen Revolution noch nicht gab. Die Deputierten trafen sich in ihren Klubs, Komitees, Salons oder in Gesellschaften. Arbeitervereinigungen im engeren Sinn waren der Zensurbourgeoisie suspekt und wurden mit dem Gesetz Le Chapelier vom 14.6.1791 verboten. Erst im Jahre 1884 wurde das Koalitionsverbot des Code Civil aufgehoben. Mitglieder- oder Wählerparteien konnten sich in der revolutionären und jungen, der angeblich einen und unteilbaren Republik noch nicht ausbilden: denn erstens war das Wahlrecht nach Beschluss vom 22.12.1789 auf ca. 4 Millionen männliche Aktivbürger beschränkt bei einer Gesamtbevölkerung von 20-25 Millionen Franzosen. Sie mussten über 25 Jahre alt sein, einen festen Wohnsitz haben und eine Mindeststeuer im Gegenwert von drei Arbeitstagen zahlen. Die 50.000 Wahlmänner waren Grundbesitzer und zahlten eine Mindeststeuer von 1 marc d’argent. Sie mussten einen Besitz im Wert von 100-400 Arbeitstagen nachweisen. Zweitens galt z.B. im Konvent unter den Deputierten das Postulat der „unanimité“ (dt. Einmütigkeit), der man sich verpflichtet fühlte angesichts zahlreicher innerer und äußerer Probleme.[2]

Doch trotz des Bekenntnisses der Deputierten zu der einen, unteilbaren Republik sollten sich spätestens in der Zeit des Konventes drei politische Hauptgruppierungen ausdifferenzieren:

1. die Brissotins oder sog. Girondins, die den freien Handel und die freie Produktion unterstützten, die Handelsstädte außerhalb von Paris repräsentierten und die freie Entfaltung der Bourgeoisie in einer Atmosphäre der Rechtssicherheit anstrebten.
2. Die Montagnards, die eher die Konsumenten und Kleinbürger repräsentierten und den Druck der Pariser Commune und den der Sektionen vorteilhaft für ihre Machtsicherung verwerten wollten.
3. Die Ebene, der Sumpf, der sich nicht risikoreich profilieren wollte, sondern sich den jeweiligen Machtverhältnissen zwecks Existenzsicherung anpasste.

Condorcet, der Verfassungsfachmann der Gironde, fasste die Diskrepanz zwischen politischer Wirklichkeit und revolutionärem Einheitsbestreben so zusammen: ‘Les constitutions fondées sur l’équilibre des pouvoirs supposent ou amènent l’existence de deux partis; et un des premiers besoins de la République française est de n’en connaître aucun.’[3]

Jean-Baptiste Louvet de Couvray, der ebenfalls zur Gironde gerechnet wurde, drückte in einem Pamphlet gegen Robespierre den Unterschied zwischen seiner Partei und den Montagnards polemisch aus: ‚In politics there exist onless (sic) two parties in France, the first composed of philosophers, the second of robbers and murderers.’[4]

Und Robespierre soll im Mai 1793 im Jakobiner Klub gesagt haben, dass er nur das Volk und die Feinde des Volkes kenne.[5]

Nachfolgende Arbeit soll nun untersuchen, welche Positionen die Girondins in der Zeit vom 1. Oktober 1791 bis zum 2. Juni 1793 zu den Tagesfragen bezogen, welche Diplomatie sie im Verhältnis zu England, Preußen und Österreich erdachten und umsetzten, und wie zu erklären ist, dass sie sich während der Zeit der Legislative an der Macht halten konnten, während sie später während der Zeit des Konvents unpopulärer wurden und ihre prominentesten Vertreter schließlich ganz aus dem Theater der Tuilerien entfernt wurden.

2. Die Girondins in der Assemblée nationale législative

(1.10.1791-19.9.1792)

Die Assemblée nationale Législative trat am 1. Oktober 1791 mit 745 Deputierten zusammen. Bemerkenswert war das Durchschnittsalter der Abgeordneten: es lag unter 30 Jahre. Auf der rechten Seite[6] saßen 264 Abgeordnete des konservativen, mit dem Hof in Verbindung stehenden Klubs der Feuillants. Die Linken, die sich auch im Jakobiner Klub sehen ließen, sollen 136 Abgeordnete ausgemacht haben. Zwischen Feuillants und Brissotins mischte sich noch ein Zentrum von 345 „Unabhängigen“ oder „Konstitutionellen“.[7] Ganz links war das Trio der Cordeliers angesiedelt mit Basire, Merlin de Thionville und Chabot. „Die Gesetzgebende Nationalversammlung tagte zuerst im erzbischöflichen Palais in Paris, dann im Saal der Manege neben dem Palais des Tuileries, wobei die zwei benachbarten Klöster der Kapuziner und der Feuillanten miteinbezogen wurden. Die Versammlung blieb bis zu ihrer Auflösung am 21. September 1792 in diesen Räumlichkeiten. Während des Tuileriensturms am 10. August 1792 musste die französische Königsfamilie aus dem benachbarten Tuilerienpalast fliehen und bei der Versammlung Schutz suchen. Ihre Nachfolgeinstitution, der Nationalkonvent, zog am 9. Mai 1793 in die Tuilerien um.“7b

Sydenham, der sich auf Proskriptionslisten, Protestlisten, die Liste der Mitglieder der 12er Kommission vom 20.5.1793 und auf die Listen von Aulard und Morse Stephens stützt, entwirft eine Liste von 200 Deputierten, die zur Gironde gezählt wurden.[8] Zu ihren prominentesten Rednern gehörten: Jacques-Pierre Brissot, Marie Jean Antoine Nicolas Caritat Marquis de Condorcet, Jean Debry, Roger Ducos, Claude Fauchet, Armand Gensonné, Jean-Antoine Lafargue de Grangeneuve, Marguerite Élie Guadet, Maximin Isnard, Lasource und Pierre Vergniaud.

Zum besseren Verständnis der Abgeordneten Brissot und Condorcet seien einige biographische Ausführungen erlaubt.

Jacques-Pierre Brissot8b (14.1.1754-31.10.1793) wurde in Ouarville bei Chartres geboren als dreizehntes von siebzehn Kindern. Sein Vater war ein Gastwirt. Fünf Jahre diente er als Gehilfe bei einem Anwalt in Chartres, ging mit 18 Jahren nach Paris und studierte dann eine Zeitlang Rechtswissenschaft. 1776 gab er das Studium auf und wurde Schriftsteller. 1781 erschien sein Buch „Théorie des lois criminelles“. 1782-85 wurden in zehn Bänden eine „Bibliothèque philosophique du législateur, du politique et du jurisconsulte“ veröffentlicht. Darin enthalten waren seine «Recherches philosophiques sur le droit de propriété et sur le vol considérés dans la nature et dans la société» sowie «Plan de législation criminelle» von Jean Paul Marat.

1778/79 wurde Brissot in Boulogne-sur-mer Redakteur der französischen Ausgabe der in London erscheinenden Zeitschrift „Courrier de l’Europe“, die die Aufständischen in Amerika unterstützte. Von Dezember 1782 bis November 1783 brachte er die „Correspondance universelle“ heraus. Brissot heiratete im Herbst 1782 Félicité Dupont (1759–1818), aus der Verbindung gingen drei Kinder hervor. Von Februar 1783 bis Mai1784 soll er mit seiner Frau in London gelebt haben und gab dort das „Journal du Lycée des Londres“ heraus. Sein Plan war, eine Akademie für Künste und Wissenschaften zu gründen mit einem Büro für allgemeine Korrespondenz. Er mietete Räume in einem Haus Ecke Newman/Oxford Street und veröffentlichte einen Prospekt. Wegen einer nicht sofort beglichenen Druckrechnung wurde er im Mai 1784 arretiert und verbrachte einige Tage in einem Gefängnis in der Gray's Inn Lane. Dann reiste er nach Frankreich aus und ließ seine Frau und seinen Bruder zunächst zurück. Von Juli bis September 1784 musste Brissot wegen einer Intrige eines publizistischen Konkurrenten und Polizeiagenten von Paris, der es auch auf eine Belohnung abgesehen und behauptet hatte, dass Brissot antifranzösische Pamphlete in England verfasst hätte, in der Bastille verbringen. Durch Fürsprache des Duc d'Orléans wurde Brissot freigelassen. 1785-88 nahm er einen Posten als „lieutenant-général de la chancellerie“ beim Duc d’Orléans an. Im Oktober 1787 nahm er am Brabanter Aufstand teil. Er musste erneut nach England fliehen, weil die Kanzlei des Herzogs angeblich in einem Komplott verwickelt war. In England lernte er führende Abolitionisten kennen. Im Februar 1788 gründete er – nun wieder in Paris – zusammen mit dem Genfer Bankier Étienne Clavière und Graf Mirabeau und neun anderen Interessenten die „Société des Amis des Noirs“. Von 1790-91 fungierte Brissot als Präsident dieser Gesellschaft. Zu den zwölf Gründungsmitgliedern gehörte auch der zukünftige Finanzminister Clavière. Später wurde Condorcet ebenso Mitglied und zur Zeit der Nationalversammlung der Rechtsanwalt und zukünftige Bürgermeister von Paris, Pétion.[9] Im Auftrag dieser Gesellschaft unternahm Brissot begleitet von Clavière im Mai 1788 eine viermonatige Reise nach Nordamerika, „um sich dort über die Möglichkeiten der Emanzipation der farbigen Bevölkerung zu informieren.“9b In Amerika hörte er von der Einberufung der Generalstände und kehrte nach Paris zurück. Über die amerikanische Revolution, die er sehr bewunderte, verfasste er zwei Bücher mit den Titeln „Examen du voyage du Marquis de Chastellux“ (1786) und „De la France et des États-Unis“ (1787). Brissot wurde 1789 in die American Academy of Arts and Sciences gewählt.

Die erste Ausgabe seiner Zeitung „Le Patriote français“ vom 6. Mai 1789 wurde verboten. Am 28. Juli nahm er die Herausgabe der Zeitung zusammen mit Girey-Dupré bis zum Juni 1793 wieder auf. Brissot wurde in die erste Pariser municipalité gewählt, auch wegen seiner Reden im Jakobiner Klub. Nach dem Sturm auf die Bastille am 14.7.1789 wurden ihm als Vertreter des Stadtrats in einem symbolischen Akt die Schlüssel überreicht.[10] Am 12. Juli 1789 war er zum Präsidenten der Sektion Filles-Saint-Thomas gewählt worden. Von derselben Sektion wurde er auch zweimal in den Stadtrat gewählt und nutzte dort seine Funktion im Comité des recherches, um z.B. die Minister des 14. Juli anzuklagen. Weiterhin rühmte er sich, die Strafverfolgung der Teilnehmer der journée vom 5. Oktober 1789 zusammen mit seinen Kollegen verhindert zu haben.[11] Brissot wurde auch als Publizist in den Verfassungsausschuss der Nationalversammlung berufen.

Vom Departement von Paris gewählt wurde Brissot als Deputierter in die Legislative entsandt. In einer Rede sagte er: „Eternal slavery must be an eternal source of crimes.“11b Am 11.5.1791 forderte Brissot, dass Farbige die Bürgerrechte erhalten sollten. Er half somit, das Dekret vom 15.5.1791 durchzubringen, das vorsah, den Mulatten auf Santo Domingo einige Rechte bei der Regierung der Kolonie einzuräumen. Als man bald darauf von einem Aufstand auf Santo Domingo hörte, nahm Brissot die Verantwortung für die Entwicklung für sich in Anspruch. Von 1791-92 wurden den freien Mulatten und früheren Sklaven die Bürger- und Wahlrechte verliehen, drei Jahre später die Sklaverei abgeschafft und 1798 teilweise wieder eingeführt.[12]

Nach der erfolglosen Flucht des Königs nach Varennes (18.-20.6.1791) und nachdem das Dekret über die Unantastbarkeit des Königs im Jakobiner Klub bekannt geworden war (15.7.1791), bat das Klubmitglied Laclos 12b Brissot, eine republikanische Petition aufzusetzen. Obwohl Brissot mit Laclos in der Mulattenfrage nicht übereinstimmte, schrieb er die Petition. Laclos fügte an ihrem Schluss den Satz an, dass man die Absetzung des Königs und einen Dynastiewechsel verlange. Auf dem Marsfeld empörte dieser Zusatz, und die Petition von Brissot wurde zugunsten derjenigen von Robert und Bonneville verfassten zurückgezogen, als man im Jakobiner Klub hörte, dass der König suspendiert worden sei.[13]

In seinen Memoiren betont Brissot, dass seine Position gegenüber der „faction liberticide“ des königstreuen Generals Marquis de La Fayette, Gründer des Klubs der Feuillants, klar dadurch erwiesen gewesen sei, dass er zu jener Zeit wenigstens weiter zum Jakobiner Klub gehalten habe, am 19.7.1791 Pétion, Buzot und sogar Robespierre in seiner Zeitung „Le Patriote français“ verteidigt habe, obwohl der öffentliche Ankläger Bernard Brissot gerne mit einem Vorführungsbefehl zur Flucht aus Paris bewegt hätte.[14]

Im August 1791 wurde Brissot als einer von 24 Abgeordneten von Paris in die Assemblée législative gewählt und beeinflusste die französische Außenpolitik als Redner im Comité diplomatique.

Während Brissot zu Beginn der Revolution 37 Jahre zählte, war Marie Jean Antoine Nicolas Caritat Marquis de Condorcet (17.9.1743-6.4.1794) 1789 bereits 46 Jahre alt. Der Marquis hatte schon eine akademische und politische Karriere hinter sich, bevor er in der Assemblée législative die Hauptstadt Paris repräsentierte und ihr erster Sekretär wurde.

In der Académie des Sciences wurde Condorcet aufgrund seiner Verdienste als Mathematiker als lebenslänglicher Sekretär und am 7.8.1776 als Mitglied aufgenommen. Nach Reichardt war die Wahl Condorcets zum Mitglied der vierzigköpfigen Académie française am 10.1.1782 seiner Eigenschaft als Philosoph zu verdanken.[15] Typische Merkmale der philosophes und Aufklärer zur Zeit des endenden Ancien Régime waren „eine skeptische Grundhaltung der Kritik gegenüber Traditionen, aber auch neuen Erscheinungen; eine berufungsbewusste, vielfach taktisch-hypokritische Propagierung der zu neuartiger Schärfe entwickelten Denkformen und Maßstäbe der raison, des esprit philosophique, des Naturrechts, der selbstlosen humanité und bienfaisance; ein elitebewusster Anspruch auf Aufklärung und Leitung der Öffentlichkeit, auf möglichst direkten Einfluss im Staat sowie ein Wille zur Durchsetzung gesellschaftspolitischer Reformen.“[16]

Unter dem Reformministerium Turgot wirkte Condorcet zunächst als freier Berater in einer Dreierkommission zusammen mit den von ihm empfohlenen Mitarbeitern d’Alembert und Bossut zwecks Inspektion der im Bau befindlichen Kanäle und Schifffahrtswege im Juli und August 1774. Im Auftrag von Turgot bereiste er die Picardie und Flandern und entwickelte eine Gerichtsbarkeit für den Kanal, der bei St. Omer die Somme und die Schelde verbinden sollte.[17] Ende 1774 gehörte er auch einer Sonderkommission an, die von Turgot beauftragt wurde, „Methoden zur Bekämpfung der grassierenden Rinderseuche zu entwickeln.“[18]

Im Frühjahr 1775 nahm der Marquis die freigewordene Stelle eines „Inspecteur général des Monnaies“ an, die er bis August 1790 innehatte. Zu seinen Aufgaben gehörte es z.B., „Denkschriften über Missbräuche vorzulegen, Tariflisten über die Rechnungswerte und –verhältnisse der verschiedenen Edelmetalle aufzustellen, die Methoden der Feingehaltsbestimmungen zu verbessern und die Oberaufsicht über Münzprüfer zu führen.“[19]

Außerdem arbeitete er mit dem Schatzmeister der Académie des Sciences, Tillet, an der Aufstellung eines einheitlichen Maß- und Gewichtssystems, eine Aufgabe, die erst in der Revolutionszeit beendet werden konnte.

Die seit Dezember 1774 betriebene gesetzliche Umwandlung der Wegefron in eine imposition territoriale im Limousin wurde von Condorcet ausdrücklich begrüßt. Obwohl der Klerus nach Verkündigung des Reformedikts vom Januar 1776 weiterhin unbesteuert blieb, verherrlichte Condorcet in einer polemischen Broschüre ohne Titel vom 29. Januar 1776 die Beschneidung der Privilegien des Adels. Der Erfolg war, dass das Parlament und Turgot selbst Condorcets Schrift unterdrückten.[20] Nichtsdestotrotz befürwortete Condorcet weiterhin die Ablösung der Frondienste in Geldabgaben.

Das Edikt vom 13. September 1774, welches die Freizügigkeit des Getreidehandels verkündete, hatte zum Ziel, die Produktion von Getreide attraktiver zu machen, die Ungleichheit lokaler Erträge auszugleichen und die Preise niedrig zu halten. Auch Condorcet lobte den reformorientierten Gesetzgeber, ‚que le bonheur était le seul motif de ses loix.’[21]

Allerdings konnte der gutwillige Gesetzesinitiator nicht voraussehen, dass eine magere Ernte im Jahre 1774 die Brotpreise in die Höhe schnellen ließ. In Dijon kam es am 18. April 1775 zu Brotunruhen. Paris wurde von Versailles her am 3.5.1775 von Unruhen heimgesucht. Als Turgot Repressionsmaßnahmen gegen Gewalttäter einleiten ließ, um die guerre de farine unter Kontrolle zu bringen, büßte der Finanzminister seine Popularität auch bei den breiteren Schichten der Bevölkerung ein. Der Minister wurde auf Druck des Adels und der Magistratur am 12.5.1776 entlassen und sein Gesetz gegen die Fron drei Monate später aufgehoben.

Nachdem schon unter den Finanzministern Necker, Calonne und Brienne das Mittel der provinziellen Selbstverwaltung lokal (unter Necker z.B. in Berry, Dauphiné und Haute-Guyenne) und in verschiedenen Varianten des Zensuswahlrechts gewählt worden war, um das Besitzbürgertum durch Minimalzugeständnisse neu für die Monarchie zu gewinnen, widmete sich auch Condorcet von Mitte 1787-88 in einem 650 Seiten starken Essai diesem Thema. Zeitlich fiel die Arbeit mit den Reformen von Brienne zusammen, der die drei Versammlungstypen Municipal-, Departement- und Provinzialversammlung, deren unterste Stufe auf der Wahl mit dem Zensus von 19 francs für Aktiv- und 30 francs für Passivwähler fußte, in alle pays d’élection einführen wollte. Die Pferdefüße der Reform waren allerdings nicht zu übersehen, da sie zunächst nur in zwei Dritteln der Generalitäten zu wirken begann, die Finanzverwaltung sich „auf das Ausarbeiten von Empfehlungen und Verwalten der taille“ beschränkte, die Wahlen für Stadtvertreter praktisch keine Änderung alter Verhältnisse brachte und allgemein der Einfluss von König und Intendanten von oben nach unten dominierte.[22]

Nach Reichardt befürwortete auch Condorcet „jährlich tagende, jeweils zu einem Drittel neu gewählte Kommunal-, Distrikt- und Provinzialversammlungen mit ständigen Exekutivkommissionen auf jeder Stufe.“[23]

Darüber hinaus schlug Condorcet jedoch die Bildung von communautés de campagne von je 5000 Einwohnern und die Schaffung von gleich großen Gemeinden in den großen Städten vor. Zusammen mit der Idee, Pfarrer und Grundherren von den Verwaltungskollegien und die Syndics vom Stimmrecht auszuschließen, hoffte Condorcet, den Einfluss ständischer Interessen zugunsten bürgerlicher Besitzinteressen einzudämmen. Die Mitglieder der Municipalversammlung und der Zwischenkommission mit ihren Präsidenten und die Deputierten der Distriktversammlung sollten aus freier Mehrheitswahl hervorgehen. Besondere jährliche Wahlversammlungen, auf Gemeindeebene von der Generalversammlung der communauté, auf Distrikt- und Provinzebene von Wahlmännern der jeweils unteren Stufe gewählt, sollten sämtliche Gremien und Beamte bestellen. Der Sinn der vorgeschobenen Wahlversammlungen sollte darin bestehen, zu verhindern, dass ein Verwaltungsorgan direkt aus dem darunter liegenden hervorging. Die Wahlmänner würden jährlich von der Gesamtheit der Bürger, in den Distrikten und Provinzen von den Wahlversammlungen der nächst unteren Stufe neu gewählt. Ein solches Verwaltungssystem sollte die Ausbildung eines aristokratischen Corpsgeistes verhindern. Hierzu stellt Reichardt allerdings die Frage, ob es eine größere Zahl von aufgeklärten Repräsentanten, die sich als Wahlmänner hätten qualifizieren können, überhaupt gegeben habe.[24]

Zur Zeit der Konstituante betonte Condorcet seine Ablehnung des Zensuswahlrechtes und damit der Dekrete vom 14. und 22. Dezember 1789. Sicherlich ist Condorcets Haltung dadurch zu erklären, dass er seit September 1789 der Commune angehörte. In einer Pressekampagne warf er der Nationalversammlung vor, die Unterscheidung zwischen citoyen actif und zwei Arten von citoyens passifs verletze die ‚majesté du peuple’.[25]

Nachdem er selbst Mitglied der Assemblée législative geworden war, lobte er die Septemberverfassung, weil ‚tout artisan, tout cultivateur marié peut être citoyen actif.’[26]

Erst die nicht verwirklichte, von Condorcet konzipierte Verfassung der Gironde sah vor, das Wahlrecht jedem männlichen Franzosen zu gewähren, der das 21. Lebensjahr vollendet und seit drei Monaten einen festen Wohnsitz hatte. Das passive Wahlrecht sollte für Bürger ab 25 Jahre gelten.[27]

Soweit der biographische Rückblick auf zwei von nach Sydenham 38 in der Legislative vertretenen Girondins.

Nachdem Brissot als 12. Deputierter für Paris in die Assemblée législative gewählt worden war, wurde er unter 56 Mitbewerbern am 16. Oktober 1791 in das zwölfköpfige Comité diplomatique gewählt. Darunter war auch Gensonné. Das Komitee sollte alle drei Monate erneuert werden.[28]

Die gesetzgeberische Tätigkeit der Assemblée législative erbrachte am 29. November 1791 die ersten beiden Dekrete, die gegen die den Eid auf die Zivilverfassung verweigernden Priester und gegen die Bedrohung Frankreichs durch die Emigranten gerichtet waren. Das erste Dekret sieht Sorel als Ursache für das Protestpotential, welches die Priester der Vendée im Verbund mit den Bauern der unterentwickelten Gegend zum Kampf

[...]


[1] Vgl. Michael John Sydenham: The Girondins. London 1961. Westport 1976, 2. Aufl., S. 180-206.

[2] Vgl. Albert Sorel: L’Europe et la Révolution Française. Deuxième Partie: La Chute de la Royauté. Paris 1885ff, S. 71.

[3] Zitiert nach Sorel, op. cit., S. 70f. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Marie_Jean_Antoine_Nicolas_Caritat,_Marquis_de_Condorcet

[4] Zitiert nach Sydenham, op. cit., S. 182. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Baptiste_Louvet_de_Couvray

[5] Vgl. Sydenham, S. 181. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Maximilien_de_Robespierre

[6] Vgl. Sydenham, op. cit., S. 82, Fußnote 1. Vom Präsidenten aus gesehen saßen die Konservativen links und die radikaleren Abgeordneten rechts.

[7] Vgl. Peter Fischer (Hg.): Reden der französischen Revolution. Nördlingen 1974, S. 31f.

b Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetzgebende_Nationalversammlung

[8] Vgl. Sydenham, op. cit., Appendix A

8b Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Jacques_Pierre_Brissot; siehe auch: A Sketch of the Life of Brissot, in: Jacques Pierre Brissot de Warville; Étienne Clavière: New Travels in the United States of America including the Commerce of America with Europe; particularly with France and Great Britain. Vol. II. London 1794, pp. iii-xvii.

[9] Vgl. Sydenham, op. cit., S. 62f.

b https://de.wikipedia.org/wiki/Jacques_Pierre_Brissot

[10] Vgl. Fischer, Peter (Hg.), op. cit., S. 430f.; vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Jacques_Pierre_Brissot

[11] Mémoires de Brissot publiées par son fils. Paris 1832, Tome 4: Projet de Défense devant le Tribunal Révolutionnaire, En Réponse au Rapport d’Amar, S. 340.

b A Sketch of the Life of Brissot, in: Jacques Pierre Brissot de Warville; Étienne Clavière: New Travels in the United States of America including the Commerce of America with Europe; particularly with France and Great Britain. Vol. II. London 1794, p. xv.

[12] Vgl. David K. Fieldhouse: Die Kolonialreiche seit dem 18. Jahrhundert. Frankfurt a.M. 1965, S. 39f.

b Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre-Ambroise-François_Choderlos_de_Laclos

[13] Vgl. Mémoires de Brissot publiées par son fils. Paris 1832, Tome 4, S. 344.

[14] Vgl. ibidem, S. 346f.

[15] Vgl. Rolf Reichardt: Reform und Revolution bei Condorcet. Ein Beitrag zur späten Aufklärung in Frankreich. Bonn 1973, S. 79.

[16] Ibidem, S. 124f. Begriffe im Original kursiv.

[17] Vgl. ibidem, S. 133

[18] Ibidem, S. 135.

[19] Ibidem, S. 137.

[20] Vgl. Reichardt, S. 140ff.

[21] Zitiert nach Reichardt, S. 160.

[22] Vgl. Reichardt, S. 219f. Unter Generalität verstand man in Frankreich seit dem 15. Jhdt. den Verwaltungsbezirk eines „général des finances“ für die außerordentlichen Einnahmen. Vgl. Haberkern, Eugen; Wallach, Joseph Friedrich. Hilfswörterbuch für Historiker. Mittelalter und Neuzeit. Erster Teil A-K. München 1977, 5. Aufl., S. 234. Die Taille royale war eine Steuer, die im größten Teil des Landes von Personen, im anderen Teil vom Grundbesitz erhoben wurde. Geistlichkeit, Adel, Kirchengüter und adlige Lehen waren frei. Vgl. Haberkern, Eugen; Wallach, Joseph Friedrich, op.cit., Zweiter Teil: L-Z. München 1977, 5. Aufl., S. 610.

[23] Reichardt, S. 222.

[24] Vgl. ibidem, S. 225.

[25] Zitiert nach Reichardt, S. 238.

[26] Zitiert nach Reichardt, S. 239.

[27] Vgl. ibidem, S. 241.

[28] Vgl. Albert Sorel: L’Europe et la Révolution Française. Deuxième Partie. Paris 1885ff., S. 304.

Fin de l'extrait de 51 pages

Résumé des informations

Titre
Die Politik der Girondins in der Legislative und im Konvent (1. Oktober 1791 - 2. Juni 1793)
Université
Bielefeld University  (Fakultät für Geschichtswissenschaft)
Note
3,0
Auteur
Année
1982
Pages
51
N° de catalogue
V414559
ISBN (ebook)
9783668659025
ISBN (Livre)
9783668659032
Taille d'un fichier
602 KB
Langue
allemand
Mots clés
Girondins, Legislative, Konvent, Politik, große französische Revolution
Citation du texte
Dr. phil. Volker Beckmann (Auteur), 1982, Die Politik der Girondins in der Legislative und im Konvent (1. Oktober 1791 - 2. Juni 1793), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/414559

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