Zwischen Autonomie und Nationalismus - Kosovo und Vojvodina 1974-1990


Dossier / Travail de Séminaire, 2004

16 Pages, Note: 2,0


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Geschichtlicher Rückblick - Kosovo und Vojvodina nach 1945

3. Die Verfassungsänderung von 1974

4. Exkurs: Die wirtschaftliche Situation Jugoslawiens

5. Die Situation nach Titos Tod: 1980-1989

6. Entwicklungen nach 1989

7. Fazit

8. Literatur

1. Einleitung

Um die komplexe und auf den ersten Blick nicht leicht durchschaubare Konfliktsituation auf dem Territorium Jugoslawiens seit den 1990er Jahren auch nur ansatzweise begreifen und angemessen bewerten zu können, ist es immer wieder vorteilhaft und sogar notwendig, einen Blick zurück in die Geschichte zu werfen. Viele der Auseinandersetzungen haben ihre historischen Wurzeln im Zweiten Weltkrieg, im „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“, in den Balkankriegen von 1912/13 oder reichen gar noch weiter in die Vergangenheit, in die Zeit vor dem Zerfall des Osmanischen Reiches (vgl. Köpf 1994: 54ff). So weit zurück soll der Blick hier jedoch nicht geworfen werden; es ist eine Periode von 15 Jahren im 20. Jahrhundert, die Gegenstand dieser Arbeit sein soll:

Um den Ereignissen im Kosovo, die 1999 im Luftkrieg der Nato gegen (Rest-)Jugoslawien gipfelten, auf den Grund gehen zu können, ist es unumgänglich, sich auch mit dem Zeitraum zwischen 1974 und 1989 zu beschäftigen, in welchem den serbischen Provinzen Vojvodina und Kosovo „das größte Maß an Autonomie, dessen sie sich seit Zerschlagung des Osmanischen Reiches erfreuen konnten“ (Lange 1999: 16), zukam.

Neben der chronologischen Darstellung dieser Zeitspanne stellen sich in dieser Arbeit Fragen, denen nachgegangen werden soll: Warum war es Tito wichtig, dem Nachkriegsjugoslawien eine derart föderale Struktur zu geben, und welche Auswirkungen hatte das für Serbien und seine Provinzen? Hat die Verfassungsänderung von 1974, mit der neben erweiterten Rechten für die Republiken auch den beiden Provinzen Kosovo und Vojvodina ein weitgehender Autonomiestatus eingeräumt wurde, dem Nationalismus in die Hände gespielt? Welche Folgen hatte sie auf die weitere Entwicklung Jugoslawiens?

2. Geschichtlicher Rückblick - Kosovo und Vojvodina nach 1945

Nach dem Sieg der Jugoslawischen Volksbefreiungsarmee und der Roten Armee über die faschistischen Okkupanten und der Abschaffung der Monarchie 1944/45 stand die provisorische Regierung unter dem Partisanenkommandanten Josip Broz Tito vor der Frage, wie das neue Jugoslawien aussehen und auf welcher Grundlage der Zusammenhalt des Vielvölkerstaates[1] basieren sollte.

Tito sah den „Jugoslawismus“ (Libal 1991: 97) politisch durch das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (1914-1941) diskreditiert, in dem „die anderen Völker durch die hegemoniale Führungsposition der Serben innerhalb des Königreiches politisch unterdrückt wurden“ (Labitzke; vgl. auch Libal in: Die Zeit 17/1999). Um ein erneutes serbisches Übergewicht zu vermeiden, schaffte er einen Bundesstaat, eine sozialistische Föderation[2] Jugoslawien, auf der Grundlage von „bratstvo i jedinstvo[3] “ - „Brüderlichkeit und Einheit über alle Nationalitätenunterschiede hinweg[4] “ (Elsässer in: jW, 11.06.2004). 1944/45 erfolgte die Abgrenzung der einzelnen jugoslawischen Teilrepubliken, 1946 wurde die erste Verfassung der jugoslawischen Föderation verabschiedet, „die das Land in 6 Republiken (Slowenien, Kroatien, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Montenegro) und zwei zur Republik Serbien gehörende autonome Gebiete[5] (Vojvodina, Kosovo[6] ) gliederte“ (Hartmann 1999: 242).

Was er mit dieser föderalen Struktur bezwecken wollte, formulierte Tito anläßlich einer Versammlung der Slowenischen Akademie der Wissenschaften im November 1948: „Im alten Jugoslawien bedeutete nationale Unterdrückung seitens der grosserbischen kapitalistischen Clique Verstärkung der wirtschaftlichen Ausbeutung der unterdrückten Nationen. [...] Im neuen sozialistischen Jugoslawien macht die bestehende nationale Gleichberechtigung jede ökonomische Ausbeutung einer Nation seitens der anderen unmöglich. Das ist deshalb so, weil es jetzt bei uns keine Hegemonie einer Nation über die Anderen mehr gibt. [...] Wir haben uns formell entzweit um uns tatsächlich besser zu vereinen. In dieser unserer heutigen Gemeinschaft werden sowohl den grossen, als auch den kleineren Nationen gleiche Rechte zuerkannt. [...] [D]ies ist es was uns stark und monolith macht“ (Tito 1948: 7).

Im Laufe der Zeit wurde die jugoslawische Verfassung zugunsten von mehr Föderalismus mehrfach geändert und versucht, „allen Völkern gleiche Rechte einzuräumen. Nationalistische und separatistische Bestrebungen wurden zugleich durch Androhung militärischer Gewalt bekämpft, so beispielsweise der ‚Kroatische Frühling‘[7] 1971“ (Köpf 1994: 54).

[...]


[1] Die besondere Herausforderung lag ja gerade in dieser Heterogenität: „Kein einziges Land der Volksdemokratien besteht aus so vielen Nationen wie unser Land. Einzig in der Tschechoslowakei bestehen zwei verwandte Nationalitäten, in einigen anderen bestehen nur Minderheiten. Demnach war es in diesen Ländern der Volksdemokratien nicht notwendig derartig grosse Probleme zu lösen wie dies bei uns nötig war. Bei ihnen ist der Weg in den Sozialismus weniger kompliziert als dies bei uns der Fall ist. Bei ihnen ist der Klassenmoment das Grundlegendste, bei uns aber sowohl der nationale, als auch der Klassenmoment. [...] Die Rolle der Kommunistischen Partei besteht heute, in der Phase des Aufbaus des Sozialismus darin, dass die positiven Nationalelemente einen Ansporn für die Entwicklung des Sozialismus in unserem Lande, nicht aber ein Hindernis darstellen. Die Rolle der Kommunistischen Partei besteht heute darin, aufmerksam darüber zu wachen, dass es bei keiner der Nationalitäten zu Erscheinungen von nationalem Chauvinismus und zu dessen Weiterentwicklung komme. Die Kommunistische Partei muss danach trachten und trachtet auch danach, dass alle negativen Erscheinungen von Nationalismus verschwinden und dass die Menschen im Geiste des Internationalismus erzogen werden“ (Tito 1948: 6).

[2] Allerdings blieb die reale Macht trotz Ausweitung der Kompetenzen der einzelnen Republiken und Provinzen bis zum Ende Jugoslawiens zentralistisch in den Händen des Bundes der Kommunisten: „Tito war offensichtlich davon überzeugt, daß sich, getreu seiner Ideologie, im ‚Sozialismus‘ die nationalen Gegensätze sozusagen von selbst verflüchtigen würden, und das besonders dann, wenn einerseits eine monolithische Partei das erste und das letzte Wort hätte und andererseits dem Staatsgefüge eine föderalistische Struktur gegeben werde“ (Libal 1991: 79).

[3] Unter diesem Slogan hatte Tito es innerhalb der kommunistischen Partisanenbewegung im Zweiten Weltkrieg tatsächlich geschafft, alle jugoslawischen Nationen zusammenzubringen und nationale Konflikte bzw. Probleme faktisch zu lösen (vgl. Libal in: Die Zeit 17/1999).

[4] Ungeheuer problematisch daran war jedoch die Tatsache, daß unter diesem Slogan zumindest für die ersten 20 Jahre der Jugoslawischen Föderation jegliche Aufarbeitung der ethnischen Konflikte verhindert wurde: Wer dennoch von der nationalen Problematik sprach, „setzte sich, wenn er Serbe war, sofort dem Vorwurf aus, ‚großserbischen‘ Vorstellungen anzuhängen; als Kroate mußte er damit rechnen, ‚ustaschoider‘ Neigungen verdächtigt zu werden. Dabei spielten natürlich auch die noch immer wachen Erinnerungen an die Greuel während des Zweiten Weltkrieges eine Rolle“ (Libal 1991: 79; vgl. auch Libal in: Die Zeit 17/1999). Dadurch wurden die nationalen Konflikte jedoch praktisch nur auf Eis gelegt. Spätestens mit der beginnenden Demokratisierung der 1990er Jahre tauten und tauchten sie wieder auf, um - „gefördert von opportunistischen, nationalistischen Eliten“ (Marko 2002: 24) - erneut ungehemmt auszubrechen (Nicht umsonst erreichten bei den ersten freien Wahlen 1990 in fast allen Landesteilen die jeweiligen nationalistischen Parteien höchste Stimmanteile. Hinzu kommt, daß bis auf Slowenien keine Republik über eine ethnisch homogene Bevölkerung verfügte (und bis heute verfügt), so daß die extremen nationalistischen Positionen auch innerhalb einzelner Regionen erheblich variierten und sich auf jeweils die „eigene Ethnie“ bezogen.).

[5] Kosovo erhielt in diesem Rahmen 1946 den Status eines autonomen Gebietes (1963 den einer autonomen Provinz), die von einer großen ungarischen Minderheit besiedelte Vojvodina galt von Anfang an als autonome Provinz.

[6] Beide Provinzen - Kosovo und Vojvodina - sind Teil Serbiens: In der nördlich gelegenen Vojvodina leben rund zwei Millionen Menschen, darunter mehr als eine Million Serben, aber auch eine sehr große ungarische Minderheit (sie macht fast 350.000 Einwohner und damit 17 Prozent der Bevölkerung aus), des weiteren Slowaken, Rumänen, Kroaten, Montenegriner, Ruthenen und andere (Die Zahlen beziehen sich - soweit nicht anders angegeben - hauptsächlich auf die Jahre 1989 bzw. 1991 [vgl. Boarov 1999: 88, 93]). Die Vojvodina grenzt im Norden an Ungarn, im Osten an Rumänien, im Süden an das sogenannte engere Serbien (die Republik ohne autonome Gebiete), im Südwesten an Bosnien-Herzegowina und im Westen an Kroatien. Das Kosovo im Süden hat ebenfalls rund zwei Millionen Einwohner, von denen der überwiegende Teil - etwa 86 Prozent (Berechnung nach Zahlen von Köpf 1994: 75) - albanischstämmig ist. Darüber hinaus leben im Kosovo rund 9 Prozent Serben (In den 1950er Jahren bildeten Serben noch etwa 23,5 Prozent der kosovarischen Bevölkerung, Albaner rund 65 Prozent [vgl. Ramet 1992: 188].), aber auch - was oft in der Literatur und in Medien unterschlagen wird - viele Roma, eine türkische Minderheit, Montenegriner und andere. Das Kosovo grenzt im Norden und Osten an das engere Serbien, im Nordwesten an Montenegro, im Westen an Albanien und im Süden an Mazedonien.

[7] Soziale und politische Unruhen in Kroatien, die ursprünglich auf Forderungen nach ökonomischen Reformen bzw. nach Ausweitung der Kompetenzen der Republiken abzielten, in deren Mittelpunkt jedoch bald die kroatische Kulturorganisation „Matica Hrvatska“ stand, die verschiedene nationalistische Publikationen herausgab, in denen Jugoslawien als „Gefängnis Kroatiens“ dargestellt und die jugoslawische Föderation beschuldigt wurde, die kroatische Sprache zu verfolgen sowie die kroatische Wirtschaft auszuplündern, und die mit einem eigenen Verfassungsentwurf Forderungen nach einer Sezession Kroatiens stellte. Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, organisierte die Organisation einen Studentenstreik an der Universität Zagreb, der sich nach ihrem Willen in einen Generalstreik ausweiten sollte. Tito unterzog die kroatische Parteiführung persönlich einer heftigen Kritik und verurteilte ihre Zugeständnisse an die Separatisten. Führende Parteimitglieder traten zurück, studentische Organisatoren des Streiks und leitende Funktionäre der „Matica Hrvatska“ wurden verhaftet, Demonstrationen dagegen unterdrückt (vgl. Hartmann 1999: 102ff.; Libal 1991: 82ff.).

Fin de l'extrait de 16 pages

Résumé des informations

Titre
Zwischen Autonomie und Nationalismus - Kosovo und Vojvodina 1974-1990
Université
Free University of Berlin
Note
2,0
Auteur
Année
2004
Pages
16
N° de catalogue
V41509
ISBN (ebook)
9783638397520
ISBN (Livre)
9783638772570
Taille d'un fichier
520 KB
Langue
allemand
Mots clés
Zwischen, Autonomie, Nationalismus, Kosovo, Vojvodina
Citation du texte
Anna Fehmel (Auteur), 2004, Zwischen Autonomie und Nationalismus - Kosovo und Vojvodina 1974-1990, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41509

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