Die Auflösung des Normalitätsmusters der Arbeit. Entwicklung der Erwerbsarbeit in der Nachkriegszeit bis zur Jahrtausendwende


Essay, 2016

11 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Einleitung

Im folgenden Essay wird die Frage geklärt, wie sich die Erwerbsarbeit in der Nachkriegszeit bis zur Jahrtausendwende hin entwickelt hat. Wir beleuchten dabei insbesondere die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen in den 1980er Jahren.Wie wandelt sich das System der Erwerbsarbeit? Wir klären hierzu mehrere Begriffe, wie das Normalitätsmuster der Arbeit, und analysieren die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitnehmer, sowie die Auswirkungen und Entstehung der prekären Beschäftigungen.

Das Normalarbeitsverhältnis

Wie ist das Beschäftigungssystem nach dem Ende des zweiten Weltkrieges bis hin in die achtziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts beschaffen?Der Trend zeigt deutlich, dass nach dem zweiten Weltkrieg viele aus dem Sektor der Bauern, Feldarbeiter und Selbstständigen in geregelte industrielle Betriebe übergehen. In diesen Betrieben unterlagen die Arbeiter somit einem allgemeingültigen Arbeitsrecht. Sie waren festangestellt und sozial abgesichert und verbrachten im Idealfall die meiste Zeit im selben Betrieb. Viele der vertraglichen Regelungen wurden vereinheitlicht. DieseForm wird auch als abhängige Erwerbsarbeit bezeichnet.(Vgl. Dombois 1999: 1f.)

Eine derartige Standardisierung führte zu einem standardisierten Ablauf der Erwerbsarbeit und zu einheitlichen Erwerbsbiografien. Es ergab sich jenes „Normalitätsmuster“ der Arbeit. (Vgl.ebenda.: 13)

Dies klingt durchaus nach einem Paradies, in dem jeder lange in einer Firma etc. arbeitet, über seinen Ruhestand hinaus finanziell abgesichert ist und seine gesamte Familie ernähren kann. Doch aus letzterem Punkt ergibt sich bereits ein erstes Problemfeld. Der Begriff der Normalität ist hier in keinster Weise universell gültig. Der Mann konnte durch die abhängige Erwerbsarbeit seine Familie ernähren und das bis dato gültige Bild forderte dies zudem ein. (Vgl. ebd.: 3) Heutzutage sehen wir dieses traditionelle Bild nicht mehr, doch was die zunehmende Arbeitsaufnahme der Frauen für Auswirkungen hatte, behandeln wir ebenfalls im folgenden Teil.

Abseits der Frau waren ebenfalls Ausländer oder Personen ohne normale Erwerbsbiographie –heißtz.B. dass diese nicht Ihr gesamtes Leben im selben Beruf/Betrieb gearbeitet haben - in diesem System zum Teil nicht berücksichtigt. Schon hier sind soziale Ungleichheiten zu erkennen, die sich aus der Konstruktion des Normalarbeitsverhältnisses ergeben. Dieses Verhältnis setzt ergo auch normative Standards oder schafft anders gesagt ein institutionelles Normengefüge. Eine Vollbeschäftigung ist also ein wichtiger Punkt der gesellschaftlichen Anerkennung. (Vgl. ebd.: 3)

Doch was ist mit der „Erosion des Normalarbeitsverhältnisses“ (Ebd. 1999: 13) gemeint?

„‘Normarbeitsverhältnisse’, d.h. mit unbefristeten Vollzeitverträgen“ (ebd.: 4) gingen deutlich zurück und wichen Erwerbsformen, die sich von dem normalen Verhältnis unterscheiden. Der Begriff Normal gilt aufgrund der zahlreichen neuen Formen der Erwerbsarbeit nun nicht mehr. „Die Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen“ beispielsweise kam für sich zudem Ergebnis, „daß der Anteil von Personen in ‘Normarbeitsverhältnissen’, d.h. mit unbefristeten Vollzeitverträgen, in Westdeutschland zwischen 1970 und 1995 von fast 84% auf 68% aller abhängig Beschäftigten zurückgegangen ist“. (Ebd.)

Gründe der Auflösung

Warum ist dieses Normalitätsmuster der Arbeit - besonders in den 1980er Jahren - so massiv erodiert?Es kristallisieren sich mehrere zentrale Gründe für die Auflösung der Normalitätsmuster heraus, die im Nachkommendenmit ihren genauen Folgen aufgeführt werden:

Deregulierung und die daraus resultierende Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen

Seit dem Amtsantritt Helmut Kohls Anfang der 1980er Jahre, trieb die Regierung eine rechtliche Deregulierung voran, um im internationalen Rennen wettbewerbsfähig zu bleiben. Technische Neuerungen in immer kürzer werdenden Zeiträumen und der Zwang, sich an die Regularien des internationalen Marktes anzupassen, führen zu einer Notwendigkeit der Produktionssteigerung und Dienstleistungen, die sich flexibel und effizient gestalten müssen. (Vgl. Kratzer, Nick et al. 1998: 180)

Die Deregulierung hatte u.a. „die Ausweitung der rechtlichen Spielräume für Leiharbeit und für befristete Arbeitsverträge; die Einschränkung des Kündigungsschutzes und der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall; Verminderung von Transferzahlungen an Arbeitslose und Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen“ (Dombois 1999: 5)zu folge.

Die Betriebe haben nun die Möglichkeit Ihre Standards in puncto sozialer Absicherung gelinde gesagt selbst zu steuern. Ebenso wie die Vertragslängen. Der Arbeiter wird austauschbar. Diese Entwicklung bedurfte allerdings keiner Umwälzung des gegebenen Rechts. Vielmehr wurden die Spielräume des gegebenen eingehalten. Die Möglichkeiten für die Entstehung sozialer Ungleichheiten und prekärer Beschäftigungen war also bereits im Rechtssystem verankert. (Vgl. ebd.: 5f)

All dies sind Veränderung, die zu Lasten des Arbeitnehmers fallen. Beispielsweise durch die Flexibilisierung der Tarifverträge. Die allgemeine Universalität von Tarifverträgen geht verloren und wird den einzelnen Bereichen und Branchen entsprechend angepasst. Es gibt kaum noch einen einheitlichen Standard. Dies führt wiederum dazu, dass in jedem wirtschaftlichen Bereich ein anderer und betrieblich bestimmter Tarifvertrag gilt, der den Arbeitgebern eine erhöhte Flexibilität gewährt. (Vgl. ebd. 7f)

Folgen: Die Arbeitgeber können in einem höheren Maße die Arbeitsbedingungen bestimmen und sind immer weniger von standardisierten und universell gültigen Regelungen abhängig. Eine Entstehung von flexibler einsetzbaren Typen der Beschäftigung scheint vorgezeichnet. Betriebe können nun ihre Mitarbeiter nach für sie bestmöglichsten Kriterien auswählen und beispielsweise mehrere Stellen mit Leiharbeitern und Teilzeitkräften besetzen, die nicht mehr dem Normalitätsmuster der Arbeit entsprechen.

Demografie, Individualisierung und absinkendes Arbeitsvolumen

Mehrere Faktoren führten insbesondere in den 1980er Jahren zu einer Zunahme an Erwerbsfähigen. Unter anderem, dass sich mehrere weibliche Personen durch den Individualisierungsprozess selber finden wollen und die Arbeit als neuen Lebensmittelpunkt definieren. Außerdem bedingen Migranten und ein Anstieg der Geburtenzahl diese Steigerung. (Vgl. ebd.: 2)

Dem gegenüber gestellt sinkt „das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen, also die gesamte, für abhängige Arbeit aufgewendete Arbeitszeit der Gesellschaft in Westdeutschland, beträchtlich“. (Ebd.: 6) Folglich gibt es insgesamt weniger Arbeit für mehr Erwerbsfähige.

„Eine wachsende und zunehmend internationale Konkurrenz, ein steigender Kostendruck, der Zwang, rasch auf sich wandelnde Marktanforderungen zu reagieren, eine drastische Verkürzung der Innovationszyklen u.a. machen es erforderlich, daß die Organisation der Güterproduktion und die Erbringung von Dienstleistungen nicht nur effizient, sondern zugleich auch flexibel sind.“ (Kratzer, Nick et al. 1998: 180)

Folgen:

Diese Entwicklung führt zwangsläufig zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit, sowie zu allgemein weniger Arbeitszeit pro Erwerbstätigen. Die Situation gewinnt damit an Dramatik. Je mehr Menschen auf dem Arbeitsmarkt sind, desto austauschbarer erscheint der Einzelne. Ein solcher Austausch lässt sich durch die Deregulierungsmaßnahmen zudem einfacher erfüllen. Der normale Arbeitnehmer muss sich flexibler den Anforderungen des Marktes und der Betriebe anpassen. Die Sorge um seinen Arbeitsplatz steigt, sowie die Angst vor jenen, die ihnen diese wegnehmen könnten steigt, doch dazu später mehr. Es passt in das bewahrende Bild einer konservativen Regierung.

Bedeutung der Arbeit

Die Belange der gesamten Gesellschaft spielt ebenfalls eine Rolle. Die individuellen Interessen steigen und der Drang zur Selbstverwirklichung wächst. Die Teilzeitarbeit bietet dabei eine große Chance. Zum einen ermöglicht sie durch verminderte Arbeitszeit individuellen Neigungen außerhalb des Berufes stärker nachkommen zu können. Zum anderen können Frauen aus veralteten Geschlechterbildern ausbrechen und sich auf dem Arbeitsmarkt etablieren, in dem sie den erleichterten Einstieg der Teilzeitarbeit in Anspruch nehmen. Traditionelle und geschlechterspezifische Aufgaben, wie die Organisation des Haushaltes oder die Kinderbetreuung können somit weiterhin erledigt werden.(Vgl. Dombois 1999: 8)

Die neuen Strukturen bilden sich also nicht nur aus kapitalistischen und den Arbeitnehmer benachteiligenden Gründen, sondern entstehen und bedingen auch eine Chance der Emanzipation.

Ein weiterer„positiver Aspekt“ der Teilzeit bietet sich Personen, die sich nebenberuflich weiterbilden oder sich anderweitig arrangieren. „Insgesamt entspricht das traditionelle Normalarbeitsverhältnis immer weniger den vielfältigen Notwendigkeiten, Bedürfnis- und Interessenlagen in einer Gesellschaft, in der traditionelle kollektive Lebenszusammenhänge, -stile und - rhythmen aufbrechen und sich differenzieren und mit ihnen Lebensplanung und Erwerbsstrategien der Individuen.“ (Ebd.: 8f.)

Folgen: Die soziostrukturellen Veränderungenbewirken eine Zunahme der Teilzeitarbeit. In diese Erwerbsform wird man allerdings nicht notwendig gezwungen. Sie birgt wie beschrieben viele Chancen und kann als Möglichkeit der Weiterbildung oder Einstieg in die Berufswelt genutzt werden. Individualisierungsprozesse und ausdifferenzierte Lebensstile sind also ebenfalls ein Teil der Erosion des Normalarbeiterverhältnisses. Die Entstehung neuer Erwerbsformen lässt sich also nicht nur auf die Imperative des Marktes zurückführen.

Individualisierungsprozess durch ein deutlich höheres Bildungsniveau, mehr freie Zeit durch die insgesamt niedrigeren Arbeitszeiten und den insgesamt gestiegenen Wohlstand. Es entstehen eine Vielzahl von nebeneinander liegenden Lebensformen.(Vgl. Uwe Schimank 2012) „Die Strategie der Übergangsarbeitsmärkte zielt auf eine spürbare Verminderung der Arbeitslosigkeit, zugleich aber auch auf eine flexiblere, den differenzierten Lebenslagen und -Interessen entsprechende Gestaltung des Erwerbssystems mit einer Vielzahl unterschiedlicher Formen, die aber in höherem Maße als 'abweichende Erwerbsformen' im Regime des herkömmlichen Normalarbeitsverhältnisses sozial abgesichert sind.“ (Dombois 1999: 8)

Auflösung von soziostrukturellen Eindeutigkeiten

Wir halten fest. Dem Normalitätsmuster der Arbeit ist einer Vielzahl von alternativer Erwerbformen gewichen. Das gesellschaftliche Bild der Arbeit ist dementsprechend ausdifferenzierter. Die einfache Vorstellung, man befinde sich entweder im System der Normalität oder eben außerhalb scheint deswegen veraltet. (Vgl. Bartelsheimer 2009: 132)

Zum einen entsteht die Zone der unsicheren Erwerbsbeteiligung, in der die Person zwar einer anerkannten Arbeit nachgeht, die soziale Sicherung allerdings nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht. (Vgl. ebd.:134) Gerade diese soziale Sicherung war charakteristisch für die Arbeit in Normalarbeitsverhältnissen. (Dombois 1999: 2) Diese Form der Erwerbsbeteiligung sind „prekäre Beschäftigungen“, also das „direkt erlebte[…] Unterschreiten [von] gesellschaftlichen Schutz und Anerkennungsstandards“(Bartelsheimer 2009: 133) innerhalb einer Arbeit.

Die Wertigkeit der eigenen Arbeit ist in diesem Bereich somit gesellschaftlich nicht als vollwertig anerkannt. Es entsteht die Angst, selber in diese Zone abzurutschen, der Effekt der sogenannten Prekarisierung. (Ebd.) Somit werden immer größere Teile der Gesellschaft von den direkten und indirekten Effekten der Prekarität betroffen.

„Prekarität bezeichnet mit Blick auf die Welt der Arbeit, der Betriebe und der Erwerbsbiographien einen Zustand auf Widerruf und der Vorläufigkeit, eine Lebensform der Ungewissheit und Unplanbarkeit.“ (Vogel 2006: 79)

Auch Berthold Vogel beschreibtsoziostrukturelle Veränderungen nach der Erosion des Normalarbeitsverhältnisses mit dem Eintritt der Prekarität in die Mitte der Gesellschaft.

Dies bürgt Konflikt- und Spaltungslinien zwischen den Erwerbspersonen. Die schiere Zahl der neuen Erwerbsformen, die in dem alltäglichen Arbeitsleben koexistieren, sind eben jener soziostruktureller Wandel. Die einfache Eindeutigkeit - Normalbeschäftig oder eben nicht – hat sich aufgelöst. Anstelle dieser tritt aber keine neue Stufe, die in dasselbe eindeutige Schema passt – Arbeitslos,Prekär und Gesichert –, sondern die Grenzen zwischen den einzelnen Zonen beginnen zu verschwimmen. Beispielsweise sind prekär Beschäftigte nun in den meisten Unternehmen ansässig. Sie arbeiten Seite an Seite mit jenen, die vollbeschäftigt sind. Prekarität ist hier ebenfalls in den Alltag der Mittelschicht eingekehrt. (Ebd.: 88)

„Die Privatisierung öffentlicher Dienste, die Ausgliederung von Arbeits- und Leistungsbereichen, sowie veränderte Beschäftigungsleitlinien der Verwaltungsmodernisierung sorgen für anhaltende Unruhe und stabile Unzufriedenheit unter den Beschäftigten.“ (Vogel 2006: 88)

Schon vor der Erosion waren Ungleichheiten vorhanden. Diese beschränkten sich aber zumeist auf die Gruppen die außerhalb des Normalitätsmusters standen. Die Ungleichheiten sind nicht mehr eindeutig zu erkennen und befinden sich nun in auch im Bereich der Beschäftigten.

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Details

Titel
Die Auflösung des Normalitätsmusters der Arbeit. Entwicklung der Erwerbsarbeit in der Nachkriegszeit bis zur Jahrtausendwende
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Note
1,7
Autor
Jahr
2016
Seiten
11
Katalognummer
V415890
ISBN (eBook)
9783668661288
ISBN (Buch)
9783668661295
Dateigröße
495 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Arbeitmarkt Lessenich Normalitätsmuster Workfare
Arbeit zitieren
Philip Hamdorf (Autor:in), 2016, Die Auflösung des Normalitätsmusters der Arbeit. Entwicklung der Erwerbsarbeit in der Nachkriegszeit bis zur Jahrtausendwende, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/415890

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