Sprache, Bewusstsein, Unendlichkeit. Hegels Begriff der Erfahrung in den ersten drei Kapiteln der "Phänomenologie des Geistes"


Tesis, 2006

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Extracto


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die Einleitung der Phänomenologie des Geistes
1.1 Kritik der "Werkzeug"-Theorien
1.2 Der Weg der Seele

2. Die sinnliche Gewissheit
2.1 "Dieser" und "Diese"
2.2 Das Wesen des Gegenstandes
2.3 Das Allgemeine als Wesen der "sinnlichen Gewißheit"
2.4 Die Bewegung der sinnlichen Gewissheit
2.5 Die Nichtigkeit der individuellen Dinge
2.6 Diskussion
2.7 Sprache und Vernunft

3. Die Wahrnehmung
3.1 Das Ding
3.2 Das Wahrnehmen des Bewusstseins
3.3 Die Reflexion des Bewusstseins
3.4 Das gedoppelte Wesen des Gegenstandes
3.5 Diskussion

4. Kraft und Verstand
4.1 Die Kraft
4.2 Die übersinnliche Welt
4.3 Die verkehrte Welt
4.4 Diskussion

5. Bibliographie

Einleitung

Hegels erstes großes Werk, die "Phänomenologie des Geistes", steht seit ihrem Erscheinen 1807 im Mittelpunkt einer intensiven philosophischen Diskussion. Die hier vorliegende Arbeit soll sich mit einem Aspekt der Phänomenologie beschäftigen, der bislang wenig im Vordergrund stand, nämlich mit Hegels Begriff der "Erfahrung". Die Auseinandersetzungen der neuzeitlichen Philosophie seit Descartes drehen sich hauptsächlich um diesen Begriff und versuchen zu klären, ob Erfahrung die Quelle der Erkenntnis ist oder ein überschätztes psychologisches Phänomen. Hegel, dessen Philosophie ein Höhepunkt des Idealismus ist, beginnt die Phänomenologie mit einer ganz eigenen Theorie der Erfahrung und stellt die Entwicklung des Geistes, besonders in den ersten drei Kapiteln, als Resultat von "Erfahrungen" dar. Es soll daher versucht werden, aufzuklären, was Hegel mit "Erfahrung" meint und wie diese Erfahrung zur Entwicklung des Bewusstseins beiträgt. Dabei wird sich zeigen, dass Hegels Begriff der Erfahrung von den bisherigen Auffassungen stark abweicht und einen besonderen Bezug zur Sprache besitzt.

1. Die Einleitung der Phänomenologie des Geistes

1.1 Kritik der "Werkzeug"-Theorien

Heqel1 leitet die "Phänomenologie des Geistes" mit einem philosophischen Topos ein: Es sei eine "natürliche Vorstellung", dass, bevor man "an das wirkliche Erkennen" [PhdG S.57] gehe, es notwendig sei, sich über das Erkennen selbst zu verständigen, denn das Erkennen selbst werde als ein "Werkzeug" oder "Mittel" betrachtet. Diese "natürliche Vorstellung" wird dann als "Besorgnis" bezeichnet, da es verschiedene Erkenntnisformen gibt - deren geeignete man wählen müsse - und da es möglich sei, ohne genaue Kenntnis des Erkennens selbst "Wolken des Irrtums" zu erfassen. Durch diese Hindernisse wird aus der Besorgnis die Überzeugung, dass "das ganze Beginnen ... in seinem Begriffe wiedersinnig sei" [PhdG; S. 57]. Die "natürliche Vorstellung" sich über das Erkennen zu verständigen, erweist sich also als "widersinnig", da die Vorstellung selbst bereits die Grenzen bzw. den Misserfolg der Erkenntnis impliziert. Die von Hegel kritisierte "natürliche Vorstellung" fußt weitgehend auf dem Faktum, dass das Bewusstsein nur durch die Sinne Wissen über die Welt erhält. Hegel leugnet dies nicht, aber er will der einseitigen Fokussierung auf diese Tatsache entgegentreten und vor allem der Tendenz, Wahrnehmung und Erkenntnis völlig vom Objekt abzutrennen. Denn durch diese Trennung von Erkenntniswerkzeug bzw. Erkenntnisform und Erkenntnisobjekt verselbständigt sich die Form der Erkenntnis gegenüber dem Inhalt, da die Form des Erkennens aktiv auf den möglichen Inhalt der Erkenntnis einwirkt. Durch die postulierte Einwirkung einer Erkenntnisform auf den Inhalt wird aber die Absicht jeder Erkenntnistheorie, aufzuzeigen, wie wahres Wissen erlangt werden kann, von vornherein nicht erreicht, so Hegel. Ist die Erkenntnis nämlich ein "Werkzeug, sich des absoluten Wesens zu bemächtigen, so fällt sogleich auf, dass die Anwendung eines Werkzeugs auf eine Sache sie vielmehr nicht lässt, wie sie für sich ist" [PhdG; S.57]. Zentrale Aufgabe der Erkenntnis ist für Hegel das Wissen um die absolute Wahrheit. Das Absolute, die Gesamtheit der Realität, kann aber nur erkannt werden, wie sie "an sich" ist, nicht so wie sie durch Erkenntnisformen bedingt im Bewusstsein erscheint. Diese Kritik der "Werkzeug"-Theorien kann auf alle Erkenntnistheorien der Neuzeit angewandt werden, wie sie etwa von Descartes, Bacon, Locke oder Kant entwickelt wurden. Denn dadurch, dass die Inhalte der Welt nur in einer bestimmten Form unser Bewusstsein erreichen, scheint gleichzeitig die Unwahrheit mit in diese Inhalte zu gelangen. Diesem Umstand hilft auch die Kenntnis der Wirkungsweise des "Mittels" und "Werkzeugs" nicht ab. Mit einem optischen Gleichnis erläutert Hegel, dass das Erkennen die Erkenntnis "bricht" wie eine Linse den Lichtstrahl, aber so wenig wie uns die Brechungsgesetze etwas genaueres über den Lichtstrahl verraten - denn sie behandeln Eigenschaften der Linse -, sowenig hilft uns die Reflexion über das Erkennen beim wirklichen Erkennen. Das Grundkonzept solcher Erkenntnistheorien ist an sich mit Fehlern behaftet, da sie zwischen Bewusstsein einerseits und der davon getrennten empirischen Welt andererseits unterscheiden, und dazwischen eine vermittelnde Instanz annehmen. müssen, die das Bewusstsein mit der Welt verbindet: "das Widersinnige ist..., dass wir uns überhaupt eines Mittels bedienen." [PhdG, S.57]. Hegel identifiziert drei Voraussetzungen, die in dieses Dilemma der Erkenntnistheorie führen: Erstens die Trennung von Bewusstsein und Erkenntnis, zweitens die Annahme, Erkenntnis sei ein "Werkzeug" oder "Medium", und drittens das ontologische Postulat, "dass das Absolute auf einer Seite stehe, und das Erkennen auf der anderen Seite für sich und getrennt" [PhdG, S.57]. Hegel geht im Folgenden auf diese drei Punkte nicht mehr ein, aber seine Position muss durch die Ablehnung dieser drei Prämissen gekennzeichnet sein. Für Hegel ist die Erkenntnis kein Werkzeug, das auf den Inhalt einwirkt, es gibt keinen Unterschied von Bewusstsein und Erkenntnis, und die Erkenntnis steht nicht außerhalb des Absoluten, also außerhalb der absoluten Wahrheit. Mit den drei genannten Prämissen setzt sich Hegel nur ex negativo auseinander und bestreitet ihre Evidenz, denn sie werden vorausgesetzt, obwohl "vorher zu prüfen ist, ob es Wahrheit sei." [PdG;S.59]. Hegel setzt diesen Annahmen entgegen, dass "das Absolute allein wahr, oder das Wahre allein absolut ist" [PhdG; S.59]. Daraus ergibt sich, dass die Prämisse, die Erkenntnis stütze sich auf ein Werkzeug oder Medium, "auf einen trüben Unterschied zwischen einem absoluten Wahren, und einem sonstigen Wahren hinausläuft" [PdG; S.59]. Damit zeigt sich, dass wahre Erkenntnis die Identität von Wissen und Gegenstand ist. Hegel benutzt den Terminus "Identität" nicht, jedoch wird durch seine Kritik diese Auffassung als einzig sinnvolle nahegelegt. Man kann diese Kritik Hegels so darstellen, dass die wirkliche Erkenntnis eines Gegenstandes x , der die Eigenschaften A besitzt, bedeutet, dieses x mit allen seinen Eigenschaften" an sich" zu erkennen:

a) A(x) = A(x)

Dabei bedeutet eine Seite der Gleichung das Wissen des Bewusstseins, die andere den Gegenstand. Diese Feststellung einer Identität ist für Hegel der zentrale Vorgang der Erkenntnis. Nimmt man nun an, dass es etwas gibt, das notwendig auf den Inhalt der Erkenntnis einwirkt, so kann notwendigerweise der erkannte Gegenstand nicht identisch sein mit dem realen Gegenstand, da der Gegenstand im Bewusstsein zusätzlich zu den Eigenschaften des realen Gegenstandes noch Eigenschaften besitzt, die ihm die

Erkenntnisform aufprägt, also:

b) A(x) → E(x)

Der reale Sachverhalt ist damit zwar die Bedingung dafür, dass überhaupt Wissen entsteht, aber es existiert keine eineindeutige Abbildung des Gegenstandes im Bewusstsein. Damit ist keine Identität von Wissen und Welt gegeben. Rationalisten wie Descartes versuchten diesen Konsequenzen durch das Postulat von "angeborenen Ideen" zu entgehen oder beriefen sich auf Gott, der für die Wahrheit aller Erkenntnisse bürgen sollte. Jedoch fanden solche Theorien im Zuge der wissenschaftlichen Revolution nach Newton kaum mehr Resonanz, und durch die kritische Philosophie Kants wurden derartige "metaphysische" Theorien allgemein obsolet.

Nach Kant muss sich auch die Philosophie auf Erfahrung gründen, aber genau der von Kant und anderen Philosophen wie Locke oder Hume verwendete Begriff der "Erfahrung" bringt die von Hegel hier kritisierten Konsequenzen mit sich. Denn Erfahrung ist für Kant passives Auffassen der Mannigfaltigkeit der Welt, die dann im Rahmen der Möglichkeiten des Verstandes gedacht werden kann. Erfahrung ist also eine von vornherein begrenzte Quelle der Erkenntnis. Obige Gleichungen sollen den Unterschied der Auffassung Hegels zu der Auffassung

etwa Kants oder Humes verdeutlichen: Kant sieht das Verhältnis von Wissen und Welt im Sinne einer Folgerungsbeziehung, dem Bewusstsein werden Sinneseindrücke vermittelt und es rekonstruiert dadurch einen Begriff des Gegenstandes, der Gegenstand "an sich" gelangt aber nicht ins Bewusstsein:

c) A(x) →E(x)

Daher ist es unmöglich, das absolute Wissen zu erreichen. Für Hegel aber kann Erkenntnis nur in einer Identität von Wissen und Welt bestehen:

a) A(x) = A(x)

Um die Erreichbarkeit eines solchen absoluten Wissens plausibel zu machen wird Hegel in der Folge eine neue Auffassung des Kernbegriffs "Erfahrung" präsentieren, die sich von den bisherigen Auffassungen stark unterscheidet.

1.2 Der Weg der Seele

Nach einer Polemik gegen die bisherigen Erkenntnistheorien, die Hegel als "unnütze Vorstellungen und Redensarten" [PhdG, S.59] geißelt, kontrastiert er diese mit der "Wissenschaft", gegenüber der alle anderen Auffassungen eine "leere Erscheinung des Wissens" [PhdG; S.59] sind. Wissenschaft ist hierbei nicht nur die Naturwissenschaft, wie Hegel in der Vorrede erläutert, sondern er will das "Werden der Wissenschaft überhaupt, oder des Wissens" [PhdG; S.21] darstellen. Der Ausdruck "Wissen" bezieht sich auf das, was man weiß, während die Erkenntnistheorie sich meist mit dem umfänglicheren Problem, was man wissen kann, beschäftigt. Hegel verweist also darauf, dass die Menschheit in diversen Bereichen bereits Wissen besitzt, und dass man daran anknüpfend sagen kann, dass sich ihr Wissen noch erweitern wird. Gleichzeitig ist offensichtlich, dass die Menschen noch nicht das "absolute" Wissen besitzen, daher ist die Wissenschaft selbst noch "eine Erscheinung" [PhdG; S.60]. Während aber die Erkenntnistheorien für Hegel "die Besorgnis, in Irrtum zu geraten" darstellen, die darüber hinaus ein "Misstrauen in die Wissenschaft setzt" [PhdG; S.58], geht es für die.Wissenschaft selbst darum, sich vom "Schein" zu befreien, also die noch vorhandene Unwahrheit auszuräumen. Solange sie dies noch nicht vollständig getan hat, ist sie in ihrer Gültigkeit dem unwahren Wissen ebenbürtig, beide haben keinen Beweis ihrer Wahrheit und können nur "Versicherungen" derselben geben: "ein trockenes Versichern gilt aber gerade so viel als ein anderes." [PhdG;S.60]. Für Hegel bedeutet nun die Tatsache, dass man bereits etwas weiß, dass es auch einen Weg zu diesem Wissen gibt, denn es ist nicht zuletzt durch die

Geschichtsschreibung bekannt, dass dieses Wissen nicht auf einmal vorhanden war. Daher will Hegel nun nicht nur eine "Darstellung des erscheinenden Wissens" [PhdG; S. 60] geben, sondern auch eine gewissermaßen historische Beschreibung des Bewusstseins, nämlich den "Weg des natürlichen Bewusstseins" [PhdG; S.60]. "Weg" ist eine Metapher für etwas Kontinuierliches, das sich gleichzeitig ständig ändert. Die erscheinende, echte Wissenschaft ist daher auf dem Weg, nicht aber am Ziel: Die Seele muss erst durch eine Reihe vorgegebener Stationen zum Geist werden. Sie hat das Wissen des Absoluten noch nicht erreicht, ist daher in ihrem Umfange begrenzt und kann den Beweis ihrer Wahrheit nicht führen, aber diese Grenze ist nicht endgültig. Dagegen ist für Philosophen wie Kant oder Hume die Grenze der Erkenntnis eindeutig bestimmt, und daher kann das Erkennen die absolute Wahrheit nicht erfassen. Grund dafür ist die Form unserer Erkenntnis. Diese Form der Erkenntnis ändert sich nicht, wie ein Werkzeug oder ein Medium sich nicht ändern kann.

Beispielsweise ist die "Methode" Descartes nach dessen Beweisgang das einzige, wodurch wir überhaupt etwas wissen können. Auch Kant spricht in seiner Kritik nicht von Begrenzungen der Erkenntnis, die man überwinden könne, sondern seine Theorie der Vernunft setzt voraus, dass die Mechanismen der Vernunft "Bedingung der Möglichkeit" von Erkenntnis sind. Eine Änderung dieser Bedingungen scheint nicht die Grenzen unseres Wissens zu erweitern, sondern Wissen überhaupt unmöglich zu machen. Damit besitzen diese Theorien auch einen impliziten Ansatzpunkt für den Skeptizismus, denn wenn die Form die absolute Erkenntnis einschränkt, kann es auch sein, dass Erkenntnis überhaupt unmöglich ist2. Neben Berkeley unternahm zur Zeit Hegels der Philosoph G.E. Schulze mit dem "Aenesidemus" den Versuch, aus den von Kant aufgezeigten Grenzen der Erkenntnis die Unmöglichkeit von Erkenntnis zu beweisen.

Nimmt man jedoch an, dass das Absolute unbegrenzt erkennbar ist, so muss man auch keine begrenzende, statische Erkenntnisform annehmen. Ist die Form der Erkenntnis dynamisch und schränkt daher den möglichen Inhalt der Erkenntnis nicht ein, so verschwindet prinzipiell auch die Möglichkeit einer totalen Skepsis: Denn Zweifel an einem sich entwickelnden Wissen wären nur punktuell , sie würden nur den augenblicklichen Zustand des Wissens als das zeigen, was er ist, nämlich begrenzt. Aber diese Begrenzung würde sich in der Entwicklung der Seele aufheben. Dadurch erhielte auch der Skeptizismus eine andere Wendung: Will der Skeptiker bisher auf der Grundlage gegebener, endgültiger Erkenntnistheorien ebenso "endgültig" beweisen, dass man nichts wissen kann, so würde bei einem dynamischen Wissen der Skeptiker nur zeigen können, dass der aktuelle Entwicklungsstand noch nicht das absolute Wissen erreicht hat. Ausgangspunkt für Hegels Darstellung ist das "natürliche Bewusstsein", das auch als "Begriff des Wissens" [PhdG; S.60] definiert wird. Das Wesen des "natürlichen Bewusstseins" ist es, "Begriff des Wissens" zu sein.

Denkt man an die drei Kritikpunkte Hegels zurück, so soll damit die Forderung, das Erkennen nicht vom Bewusstsein zu trennen, erfüllt werden. "Wissen" ist nach dieser Definition also keine Eigenschaft, die dem Bewusstsein neben anderen zukommt, sondern das Bewusstsein ist idealerweise Wissen. Zwar ist das "natürliche Bewusstsein" selbst nur der "Begriff des Wissens" und "nicht reales Wissens", aber in der Definition steckt bereits die mögliche Identität beider.

Es gäbe nun zwei mögliche Wege, wie das Bewusstsein seinen Begriff realisieren könnte: Entweder indem es rein quantitativ dazulernt, oder indem es sich qualitativändert, also seine Form verändert. Hegel nimmt eine qualitative Veränderung des Bewusstseins an, die mit einer quantitativen Erweiterung des Wissens einhergeht. Dies scheint zuerst einmal ein der Aufklärung nicht fremdes Fortschrittskonzept des Geistes zu sein, wie es etwa auch Lessing, Vico, Rousseau oder Herder postulieren. Neu scheint zu sein, dass sich bei Hegel das Bewusstsein nicht als ein Fortschreitendes betrachtet, sondern auf "diesem Wege seine Wahrheit" [PhdG; S.61] verliert. Es geht den "Weg des Zweifels ..., oder eigentlicher…den Weg der Verzweiflung" [PhdG; S.61]. Das Bewusstsein erkennt das Defizit seiner selbst und negiert seinen defizitären Zustand. Es geht bei diesem Weg des Bewusstseins um die "bewusste Einsicht in die Unwahrheit des erscheinenden Wissens" [PhdG; S.61].

Welcher Art ist aber dieser Zweifel? In der Philosophiegeschichte gibt es zwei Arten des Zweifels. Die erste Art ist die Methode des "wissenschaftlichen" Zweifels, wie Descartes ihn praktiziert hatte. Davon distanziert Hegel sich. Es gehe nicht darum zu zweifeln, um wieder zu der alten Meinung zurückzukehren, so Hegel, denn Descartes bewies auf Grund seines Zweifels, dass die Welt genauso ist, wie er es vor dem Zweifel schon annahm. Dieser "wissenschaftliche" Zweifel sei daher nur ein "Vorsatz", der darauf hinaus laufe, sich einer inneren statt einer äußeren Autorität zu unterwerfen, was lediglich einen Unterschied in der Eitelkeit ausmache. Der Zweifel des natürlichen Bewusstseins richte sich auf "den ganzen Umfang des erscheinenden Bewusstseins" [PhdG; S.61]. also nicht nur auf einzelne Inhalte des Wissens, sondern auf das Bewusstsein selbst. Das Bewusstsein bezweifelt also sich selbst, seine Fähigkeiten, seine Natur usw., und diesem Zweifel ist mit der Berufung auf Autoritäten nicht abzuhelfen. Diese zweite Möglichkeit des Zweifelns ähnelt dem skeptischen Zweifel.

Doch für einen Skeptiker führt jede Erkenntnisanstrengung zu "Nichts". Der Skeptiker argumentiert: Wenn echtes Wissen nicht erreicht wird, so muss man die Möglichkeit von Wissen überhaupt negieren. Die Negation ist für den Skeptiker eine absolute: Es wird nicht eine Form des Wissens negiert, sondern das ganze Wissen. Das ist der Zweifel David Humes oder der antiken Skeptiker. Die Auseinandersetzung Hegels mit dem Skeptizismus führt nun in das Gebiet der Logik, denn die Grundlage der skeptischen Haltung ist eine bestimmte Auffassung der Negation.

Die formale Analyse des Begriffs der Negation beinhaltet, dass die Negation eines Sachverhalts das genaue Gegenteil dieses Sachverhalts bedeutet, die Negation von "Wissen" ist also "Nicht-Wissen". Dieses Gegenteil wird von den Skeptikern nun einfach als "Nichts" interpretiert, als absolute Leerstelle. Doch Hegel hält das für eine "einseitige Ansicht", denn um nur "Nichts" zu sehen, muss der Skeptiker aktiv davon abstrahieren, "daß dies Nichts, bestimmt, das Nichts dessen ist, woraus es resultiert. Das Nichts ist aber nur, genommen als das Nichts dessen, woraus es herkömmt, in der Tat das wahrhafte Resultat; es ist hiemit selbst ein bestimmtes und hat einen Inhalt." [PhdG; S.62]

Hegel hatte das Bewusstsein definiert als "Begriff des Wissens". Würde Wissen überhaupt negiert, so würde auch das Bewusstsein negiert, das aber wäre gleichbedeutend mit einem "Tod" des Bewusstseins. Wenn aber das Bewusstsein durch den skeptischen Zweifel nicht ausgelöscht wird, so kann die Negation keine absolute oder totale sein, sondern muss eine bestimmte Negation sein. Eine solche Negation verneint nicht die Möglichkeit von Wissen überhaupt, sondern nur die Möglichkeit von Wissen für eine bestimmte Form des Bewusstseins. Dass aber der Skeptiker fälschlich glaubt, mit seiner Negation Wissen überhaupt zu negieren, kann man nach Hegel daran erkennen, dass der Skeptiker warten muss "ob, und was ihm etwa Neues sich darbietet, um es in denselben leeren Abgrund zu werfen." [PhdG; S.62]

Bereits oben wurde angesprochen, dass für Hegels Konzeption des "Weges der Seele" der Skeptizismus keine radikale Gegenposition mehr darstellt, sondern ein quasi zeitweiliges und auch verständliches Phänomen, das notwendigerweise im Verlauf der Entwicklung des Bewusstseins auftritt. Der Skeptizismus selbst, so macht Hegel deutlich, unterliegt einer Fehlinterpretation, da die Skeptiker selbst glauben, das "Nichts" beweisen zu können, indem sie alles negieren.

Aber in Wirklichkeit, so Hegel, beweisen sie höchstens die Unwahrheit einer gegenwärtigen, nicht endgültigen Auffassung, und die Negation dieser Auffassungen führt einfach zu einer neuen. Denn sieht man die Negation als bestimmt an, so ergibt sich eine "neue Form" des Bewusstseins und dadurch "der Fortgang durch die vollständige Reihe der Gestalten [PhdG, S. 62] des Bewusstseins.

Der Zweifel des Bewusstseins im Laufe seiner Entwicklung ist also ein skeptischer Zweifel, dessen Funktion aber nicht darin liegt, aufzuzeigen, dass es kein wahres Wissen gibt, sondern "eine Verzweiflung an den sogenannten natürlichen Vorstellungen, Gedanken und Meinungen zustande" [PhdG; S.61] zu bringen und damit den Geist erst zu wissenschaftlichem Denken und Prüfen motivieren. Die "Verzweiflung" der Seele ist damit der Ausgangspunkt ihrer Entwicklung. Die von Hegel postulierte Entwicklung der Seele spielt sich nicht auf der Ebene des Individuums ab, da für ein einzelnes Wesen die Negation seines Bewusstseins gleichbedeutend ist mit seinem Tod. Ein lebendes Wesen wird aber den Verlust seiner selbst aus egoistischen Gründen abzuwenden versuchen, denn "was auf ein natürliches Leben beschränkt ist, vermag durch sich selbst nicht über sein unmittelbares Dasein hinauszugehen" [PhdG; S:62]. Es wird aber durch ein anderes darüber "hinausgerissen", durch den eigenen Tod und die Entstehung eines neuen lebenden Wesens. Nur das Bewusstsein selbst ist Begriff des Wissens und geht daher über das Beschränkte hinaus.

Dies heißt, dass die Individuen selbst nicht über sich hinausgehen, sondern zugrunde gehen, und nur das Bewusstsein, Merkmal jedes Menschen, bleibt auch in den nachfolgenden Menschen erhalten und entwickelt sich dabei. Subjekt der hegelschen Entwicklung ist also das abstrakte Bewusstsein, unabhängig vom Leben der Einzelnen. Getrieben wird diese Entwicklung vom Zwang des Bewusstseins, über sich hinauszugehen, da es seine eigene Unwahrheit erkennt. Indem es aber über sich hinausgeht, gelangt es zu immer neuen Stationen, deren Vorläufigkeit es durch skeptische Prüfung einsieht, um wiederum über sich hinaus zu gehen. Hegel ist damit am Ende seiner Diskussion des "Erkennens", das er nicht als statischen Mechanismus eines einzelnen, beschränkten Bewusstseins verstanden wissen will. Erkennen ist vielmehr ein historischer Entwicklungsprozess des Bewusstseins "an sich", unabhängig vom Denken und Handeln einzelner Individuen. Da es ein historischer Prozess ist, kann das Bewusstsein aber erst am Ende dieses Weges den Schein überwinden, so lange ist es selbst noch erscheinendes Wissen, also Unwahrheit. Darum ist aber auch jede Analyse des Erkennens nur vorläufig und wird in der Entwicklung der Seele überwunden. Kurz soll noch angemerkt werden, dass Hegel von "Bewusstsein" und "Seele" in der Einzahl spricht. Die "Wahrheit" kann als eine Einzige für alle Menschen angesprochen werden, während in jedem Menschen ein Bewusstsein existiert. In seiner Schilderung des "Hinausgerissen"- Werdens des Bewusstseins sagt Hegel, dass das Bewusstsein über den Tod der einzelnen Individuen hinaus existiert. Das Bewusstsein ist also einerseits unabhängig von den Individuen, kann sich aber nur durch sie realisieren . Daher kann man den Terminus "Bewusstsein" hier durchaus als gleichrangig mit dem Ausdruck "Menschheit" ansehen. Dies ist insofern wichtig, als das "Bewusstsein" von dem Hegel in der weiteren "Phänomenologie" reden wird, sich von dem transzendentalen Bewusstsein, wie es Kant oder Fichte darstellen, unterscheidet. Das transzendentale Bewusstsein, das sinnvoll nur in der Einzahl stehen kann, denkt und handelt autonom aus sich heraus, entweder auf Grund der Bestimmungen der Vernunft (Kant) oder aus Freiheit (Fichte). Hegels "Bewusstsein" erliegt Täuschungen, macht Fehler, hält an falschen Überzeugungen fest und kann sich, wie die "Phänomenologie" es darstellen wird, nur durch "Erfahrung" davon befreien. Der Terminus "Bewusstsein" meint also das Handeln, Denken und Sprechen von Generationen real existierender Menschen. Die Bestimmungen, die Hegel über das Bewusstsein macht, müssen daher weder notwendig auf ein noch unbedingt auf alle realen Individuen zutreffen. Die Bestimmungen eines transzendentalen Bewusstseins wie es Kant charakterisierte, müssen demgegenüber auf jedes einzelne Bewusstsein zutreffen. Hegels breiter Begriff des Bewusstseins führt dazu, dass Hegel auf Fähigkeiten des Bewusstseins Bezug nehmen wird wie Sprach- und Handlungsfähigkeit, ohne diese "transzendental" zu verankern.

1.3 Der neue Begriff der Erfahrung

Hegel hat in den vorhergehenden Abschnitten die allgemeinen Ziele seines Projektes einer "Darstellung des erscheinenden WissenS" [PhdG; S.60] erläutert und die Bedeutung des Zweifels für die Entwicklung des natürlichen Bewusstseins hervorgehoben. Zwei Fragen scheinen aber noch ungelöst: Wie soll diese Entwicklung vor sich gehen, und wie kann man den Fortschritt im Wissen feststellen? "Diese Darstellung ...scheint nicht ohne irgend eine Voraussetzung, die als Maßstab zugrunde gelegt wird, stattfinden zu können" [PhdG; S.63]. Dieser Maßstab soll "die Realität des Erkennens [PhdG, S. 63] zeigen.

Den benötigten Maßstab entnimmt Hegel dem Bewusstsein: Das Bewusstsein bezieht sich im Wissen auf einen Gegenstand, den es dadurch "weiß", der Gegenstand ist damit "für dasselbe", also "für das Bewusstsein". Gleichzeitig unterscheidet das Bewusstsein diesen Gegenstand von der Beziehung, den es zu ihm hat und setzt ihn als eigenständiges, unabhängiges Wesen, als "an sich". Das "an sich"-Sein kommt dem Gegenstand also nicht zu, weil er unabhängig vom Bewusstsein existiert, sondern weil das Bewusstsein ihn als "an sich" von seinem Wissen unterscheidet. Diese Unterscheidung wird vom Bewusstsein vorgenommen, weil es für das Wissen einen Prüfstein braucht, an dem sich die Wahrheit des Wissens zeigt. Wissen das nicht geprüft werden kann, ist kein echtes Wissen. Denkt man dabei an Kants Verwendung von "an sich", so fällt auf, dass das Kantische "an sich" kein Prüfstein des Wissens ist, sondern ein Ideal, und dass für Kant die Problematik, wie sich althergebrachtes Wissen ändern soll, wenn man es nicht am "an sich" falsifizieren kann, kaum relevant ist.

Für Hegel ist die Änderung dessen, was man weiß, zentral, daher muss es für das Bewusstsein eine Möglichkeit geben, Wissen ganz objektiv als falsch zu erweisen. Die Möglichkeit dazu soll der besprochene Maßstab, also die Unterscheidung "an sich" und "für etwas", an die Hand geben. Da hier aber sowohl das Wissen als auch das "an sich" einen Bezug zum Bewusstsein haben, scheint Hegel hier den Menschen selbst zum Maß aller Dinge zu machen. Doch Hegel erläutert seine Idee am Beispiel des menschlichen Wissens: Die Untersuchung des Wissens scheint das "an sich" zu betreffen, doch auch auf das Wissen können wir uns nur beziehen, wie es "für uns" als Erscheinung ist: "was wir als sein Wesen behaupten würden, [wäre] vielmehr nicht seine Wahrheit, sondern nur unser Wissen von ihm." [PhdG;S.64] Es ist also nur möglich, unser Wissen mit unserem Wissen als Maßstab zu vergleichen, und damit wäre die Prüfung hinfällig.

Wir scheinen also weder Zugang zu dem "an sich" der Dinge zu haben, noch das "an sich" unseres Wissens zu kennen. Also scheint es gar keinen Maßstab für wahres Wissen zu geben. Aber gerade dieses Dilemma, dass das Bewusstsein weiß, dass sein eigenes Wissen nicht das "an sich" ist und damit kein absoluter Maßstab, ist für Hegel der entscheidende Punkt. Denn dadurch gelangt das Bewusstsein auf den "Weg der Verzweiflung": Das Bewusstsein muss nicht nur sein Wissen an einem Maßstab überprüfen, sondern auch immer den Maßstab selbst. Beide Pole der Erkenntnis sind unsicher und vorläufig.

Das Bewusstsein trennt selbst zwischen seinem Wissen bzw. dem Begriff und dem Gegenstand "an sich": "Man sieht wohl, dass beides dasselbe ist; das Wesentliche aber ist,...,dass diese beiden Momente, Begriff und Gegenstand, ..., in das Wissen das wir untersuchen selbst fallen, und hiemit wir nicht nötig haben, Maßstäbe mitzubringen" [PhdG;s.65]. Hegel sieht im Bewusstsein Begriff und Gegenstand als identisch an, denn beide unterscheiden sich inhaltlich gar nicht, was sie unterscheidet ist eine "Beziehung" des Bewusstseins zu ihnen, indem eines als "an sich" und ein anderes als "für etwas" angesehen wird. Diese Unterscheidung wird auch angewendet, wenn das Bewusstsein eigentlich gar keinen Unterschied zwischen "für etwas" und "an sich" bemerkt: "Der Gegenstand scheint zwar für dasselbe nur so zu sein, wie es ihn weiß, es scheint gleichsam nicht dahinter kommen zu können, ...,wie er an sich ist, und also auch sein Wissen nicht an ihm prüfen zu können. Allein gerade darin, dass es überhaupt von einem Gegenstande weiß, ist schon der Unterschied vorhanden, dass ihm etwas das an sich, ein anderes ... aber das Wissen...ist." [PhdG;S.66] Um diese Auffassung zu verdeutlichen, scheint es sich anzubieten, formale Sätze zu benutzen: Hegel hatte an Anfang bereits erläutert, dass echtes Wissen in der Identität von Gegenstand und Wissen besteht. Weiß das Bewusstsein also von einem Gegenstand "x" mit den Eigenschaften "A" so weiß es, dass:

A(x) = A(x)

Beide Seiten der Gleichung zeigen dasselbe, aber, so Hegel, das Bewusstsein hat zu jeder Seite dieser Identitätsgleichung eine andere Beziehung, denn eine Seite ist für das Bewusstsein das "an sich", die andere das "für etwas". Dieses Wissen wie es in der Gleichung ausgedrückt ist, scheint unhintergehbar, das Bewusstsein kann nicht dahinter kommen, wie es anders sein sollte. Trotzdem ist das Bewusstsein bereit anzuerkennen, dass es anders sein könnte, indem es eben eine Unterscheidung beider Seiten vornimmt. Die Prüfung des Bewusstseins besteht nun im Vergleich beider Seiten und entspricht sich beides nicht, so muss "das Bewusstsein sein Wissen ändern...,aber in der Veränderung des Wissens ändert sich ihm auch der Geqenstand“ [PhdG, S. 66].

Man kann diese Veränderung des Gegenstandes mit dem Wissen vielleicht so verstehen, dass kein Mensch von einem Gegenstand etwa den Satz "A(x)" glaubt, wenn er gleichzeitig von dem Gegenstand denkt, dass für ihn gilt "---, A(x)": Niemand glaubt etwas zu wissen, wenn er gleichzeitig glaubt, dass es sich eigentlich anders verhält. Wissen, so fern es diese Bezeichnung verdient, darf nicht im Widerspruch mit der Realität stehen, daher ist anzunehmen dass jeder, der etwas weiß, unterstellt, dass die Realität auch genauso ist.

Gibt es demnach eine Änderung im Wissen, so muss sich auch die Auffassung der Welt ändern, denn Welt und Wissen müssen sich entsprechen. Denkt man dabei an "wissenschaftliche Revolutionen" wie die Einführung des kopernikanischen Weltbildes oder die Relativitäts- und Quantentheorie, so scheint es einleuchtend, wie sich die Welt mit dem Wissen verändert. Diese Veränderung könnte aber nicht eintreten, wenn man entweder das Wissen selbst oder die Welt als unveränderlich ansieht, daher erklärt Hegel, dass das Bewusstsein sein Wissen als "an sich" und "für etwas" qualifiziert, und dass diese Unterscheidung dynamisch d.h. veränderlich ist. Beide Pole, Wissen wie Gegenstand, können sich durch eine neue Betrachtung ändern, und diese Änderung wirkt sich auf das jeweils andere aus. Diese Unterscheidung des Bewusstseins ist damit die Grundlage der negativen, skeptischen Bewegung, wie sie Hegeloben für das Bewusstsein als Wesensmerkmal postuliert hatte. Glaubte das Bewusstsein zuerst "A(x) = A(x)", so erbrächte die Erkenntnis der Nichtübereinstimmung zuerst das Ergebnis "¬A(x) = ¬A(x)", denn Wissen und Gegenstand sind identisch, und alle Veränderungen einer Identitätsgleichung müssen symmetrisch sein.

Hegels Ausführungen über den Skeptizismus folgend, sähe ein Skeptiker darin den Beweis, dass Wissen über die Welt bzw. über den Gegenstand "Nichts" ist, denn beides muss negiert werden. Da Hegel die skeptische Interpretation der Negation nicht teilt, entspringt für ihn aus der Negation, die "das Nichts dessen ist, woraus es resultiert" [PhdG ;S.62], ein neuer Gegenstand bzw. ein neues Wissen. Hegel geht auf die Rolle der "bestimmten Negation" an dieser Stelle nicht ein, da er jedoch postulierte dass die bestimmte Negation jeweils zu einer "neuen Form" des Bewusstseins führt, muss sie mit der Veränderung des Wissens in engem Zusammenhang stehen. Denn ergibt die Überprüfung keine Übereinstimmung, so folgt die bestimmte Negation und es ergibt sich eine neue Form des Bewusstseins, bei der wieder eine Prüfung stattfindet. Der Grundvorgang der Erkenntnis ist damit die Identitätsprüfung.

Wie sich aus der Nichtübereinstimmung von Begriff und Gegenstand ein neues Wissen bzw. ein neuer Gegenstand ergibt, wird sich im Verlauf der Phänomenologie zeigen. Hegel schildert allgemein, wie aus einem für wahr gehaltenen Wissen und dem ihm entsprechenden Gegenstand durch Prüfung ein neues Wissen und ein neuer Gegenstand entspringen können. Diesen Vorgang bezeichnet Hegel als "Erfahrung". Erfahrung, so definiert Hegel, ist eine "dialektische Bewegung" des Bewusstseins " insofern ihm der neue wahre Gegenstand daraus entspringt" [PhdG; S.66]. Das Entstehen eines neuen Gegenstandes ist also das Kennzeichen der Erfahrung, und zudem ist Erfahrung etwas, was das Bewusstsein praktisch "ausübt".

Diese Definition scheint nicht selbstverständlich zu sein, da Erfahrung etwa bei Hume, Locke oder Kant dadurch definiert ist, dass Gegenstände oder Prozesse wiederholt sinnlich wahrgenommen werden. Als Paradebeispiel für Erfahrung galt und gilt etwa die sinnliche Beobachtung, dass jeden Morgen die Sonne im Osten aufgeht. Dabei entspringt aber weder ein neuer Gegenstand, noch scheint das Bewusstsein dabei eine "dialektische Bewegung" auszuführen. Hegel gibt also offensichtlich eine ganz neue Definition von "Erfahrung", jedoch scheint aus dem bisher Gesagten nicht völlig hervorzugehen, was genau damit gemeint ist. Das Adjektiv "dialektisch" in Hegels Definition der Erfahrung ist in seiner Bedeutung hier unklar. Ebenso warum daraus ein neuer Gegenstand entspringen muss. Die Hegelsche Dialektik aus der "Wissenschaft der Logik" wird erst später entstehen, Hegel kann sich damit also noch nicht auf sich selbst beziehen. Dass er sich mit dem Terminus "dialektisch" als Vertreter einer von Kant als "Logik des Scheins" kritisierten metaphysischen Dialektik zeigen will, passt nicht zum Kontext, da Hegel hier über "Erfahrung" spricht und nicht über Metaphysik.

Daher kann man das Wort "Dialektik" hier mit der Methode des Platonischen Sokrates in Verbindung bringen, bei dem Dialektik noch kein Spiel mit Worten ist, sondern "Erfahrung", wie hier kurz an dem Dialog "Euthyphron'" gezeigt werden soll: Das Gespräch beginnt dort mit der Feststellung, dass Euthyphron seinen Vater wegen Mordes an einem Sklaven anklagen will, weil dies "gottloses" Verhalten ist. Der Vater hatte den Mörder eines anderen Sklaven in ein Verließ gesperrt, um ihn bestrafen zu lassen, im Verließ aber starb der Sklave. Euthyphron nun, "weiß", dass sein Vater "gottlos" gehandelt hat und sieht gleichzeitig die Realität, also seinen Vater und dessen Handlung, diesem Wissen entsprechend.

Sokrates versucht nun Euthyphron zu zeigen, dass er einen falschen Begriff von "fromm" und "gottlos" besitzt, da "Töten" nicht gleich "Gottlosigkeit" impliziert. Damit versucht Sokrates dem Euthyphron einsichtig zu machen, dass sein Wissen und der Gegenstand sich nicht entsprechen.

Sokrates diskutiert daher mit Euthyphron verschiedene Definitionen des "Frommen" als Gegenteil des "Gottlosen": "Das Fromme ist Wissen vom Gebet" und "Das Fromme ist das Gerechte". Da Euthyphron das "Fromme an der Gerechtigkeit" aber als das "Gerechte gegenüber den Göttern" definiert, endet der Dialog in der Aporie. Euthyphron kann sein Bild der Realität nicht ändern und daher auch nicht sein Wissen, er bleibt davon überzeugt, dass das, was er "weiß" auch die Realität ist.

Der Leser erkennt aber, dass "Gerechtigkeit gegenüber den Menschen" die richtige Definition sein sollte, dass der Vater unschuldig ist und dass Euthyphrons Begriff von "fromm" dem Sachverhalt nicht gerecht wird.

Damit macht zumindest der Leser die "Erfahrung", dass die vermeintliche Realität sich unter dem Blickwinkel eines veränderten Wissens neu darstellen kann. Sokrates bestätigt den Leser durch den ironischen Satz: "Denn kenntest du nicht ganz bestimmt das Fromme und das Ruchlose, so hättest du auf keine Weise unternommen, um eines Tagelöhners willen einen betagten Vater des Totschlags zu verklagen, sondern vor den Göttern hättest du dich gefürchtet,..., falls es doch nicht recht getan wäre, als auch die Menschen hättest du qescheut.:" Dadurch zeigt sich, dass eigentlich das Gegenteil dessen, was Euthyphron denkt, richtig ist. Dieser Dialog kann vielleicht illustrieren, wie sich der Platon-Kenner Hegel "Erfahrung" vorstellt, und warum Hegel entgegen der neuzeitlichen Tradition, Erfahrung nicht mit sinnlicher Erkenntnis in Verbindung bringt, sondern mit einer praktischen und "dialektischen" Tätigkeit des Bewusstseins. Hegel selbst gibt in der Einleitung eine abstraktere Darstellung des Vorgangs der Erfahrung. Er führt drei Beschreibungen des „Erfahrunqsvorqanqs" an [PhdG, S. 66]. Zentral ist dabei der Vergleich von Wissen und Gegenstand, also die Feststellung ihrer Identität, die Erkenntnis der Nichtidentität und die darauf folgende Änderung sowohl des Wissens, als auch des Gegenstandes. Zur übersichtlicheren Beschreibung sollen hier formale Satzbeispiele herangezogen werden. Ausgangspunkt ist dabei das Wissen des Bewusstseins, dass - wie oben erläutert - durch eine Identitätsgleichung ausgedrückt wird:

a) A'(x) = A(x)

Zur Übersichtlichkeit erhält die linke Seite einen Strich, sie bezeichnet das "Wissen" bzw. das "für etwas", die rechte Seite stellt das "an sich" bzw. den Gegenstand dar: "Wir sehen, dass das Bewusstsein itzt zwei Gegenstände hat, den einen, das erste an sich, den zweiten, das für es sein dieses an sich"[PhdG;S.66). Das Bewusstsein prüft nun die Identität beider Gegenstände. Das Wissen scheint dabei "nur eine Reflexion des Bewusstseins in sich selbst zu sein, ein Vorstellen ...seines Wissens" [PhdG.S.66]. Das Wissen scheint also keinen Einfluss auf den Gegenstand zu haben, denn es ist ja Wissen von diesem Gegenstand, und nur das "an sich" dieses Gegenstandes scheint das Wissen beeinflussen zu können. Aber dies ist nicht der Fall, so Hegel, denn während dieser "Reflexion" "ändert sich ihm [dem Bewusstsein] dabei der erste Gegenstand"[PhdG; S.66]. Der Gegenstand wird vom "an sich" zum "für etwas", also von einem Sein zu einem bloßen Wissen. Zuerst ändert sich also das Wissen und "in der Veränderung des Wissens ändert sich ihm...der Gegenstand selbst"[PhdG; S.66). Der erste Schritt scheint demnach zu sein, dass das Wissen negiert wird und damit der ihm entsprechende Gegenstand, denn beide sollen ja identisch sein:

b) ¬A'(x) =¬A(x)

Da nun das Wissen des Gegenstandes falsch ist, kann auch der vorher gewusste

Gegenstand nicht so sein, denn Wissen ist immer das Wissen von etwas. Dass sich nun der Gegenstand in Abhängigkeit vom Wissen ändert, ist neu, denn in der traditionellen Auffassung der Erfahrung ändert sich das Wissen durch einen neuen Gegenstand. Hegel sagt daher, dass "es sonst scheint, dass wir die Erfahrung von der Unwahrheit unseres ersten Begriffes an einem anderen Gegenstand machen" [PhdG; S.67]. Diese traditionelle Auffassung von Erfahrung lässt sich mit dem Beispiel erläutern, dass man den Satz "Alle Schwäne sind weiß" solange für wahr hält, bis man einen schwarzen Schwan entdeckt. Das Beispiel ist zwar von Karl Popper, aber es illustriert die Auffassung von Erfahrungswissen die bereits Locke, Hume und Kant teilten.

Daher sagt Hegel, "an dieser [Hege/s] Darstellung des Verlaufs der Erfahrung ist ein Moment, wodurch sie mit demjenigen nicht übereinzustimmen scheint , was unter der Erfahrung verstanden zu werden pflegt." [PhdG;S.67] Denn dem Hegelschen Bewusstsein wird kein neuer Gegenstand gegeben, an dem es sein Wissen ändern könnte. Das Wissen selbst ändert sich. Hegel verweist in diesem Zusammenhang auf seine Darstellung des Skeptizismus und betont, dass eine Negation "als Nichts desjenigen, dessen Resultat es ist, aufgefasst werden müsse; ein Resultat, welches das enthält, was das vorhergehende Wissen Wahres an ihm hat." [PhdG;s.76] Das alte Wissen wird also zuerst negiert, und dann entsteht durch bestimmte Negation ein neues Wissen, gleichzeitig muss sich der Gegenstand ändern, denn der Gegenstand ist ja das als "an sich" gesetzte Wissen.

Im formalen Beispiel soll die bestimmte Negation als ein eigenständiger Schritt dargestellt werden, der auf die erste Negation, die die Unwahrheit des alten Wissens bezeichnet, folgt. Also so, dass die Negation des unwahren - negierten - Wissens ein neues Wissen ergibt. Aus diesem neuen Wissen ergibt sich dann der neue Gegenstand: "Der Übergang ...wurde so angegeben, dass das Wissen vom ersten Gegenstande,..., der zweite Gegenstand werden soll." [PhdG;S.67]

c) ¬¬A'(x) = B(x)

Dieser neue Gegenstand entspricht dem neuen Wissen, der Vorgang endet also mit der erneuten Identität von "für etwas" und "an sich":

d) B'(x) = B(x)

Die formale Fassung des Erfahrungsvorganges noch einmal im Überblick:

a) A'(x) = A(x) Zustand des Wissens

b) ¬A'(x) =¬A(x) Negation des Wissens und damit des Gegenstandes

c) ¬¬A'(x) = B(x) Negation der Negation und daraus entsteht:

d) B'(x) = B(x) Zustand des neuen Wissens

In der traditionellen Auffassung muss erst ein neuer Gegenstand B auftauchen, damit sich das Wissen ändert. Hegel dagegen sieht den Gegenstand in völliger Abhängigkeit vom Wissen, man kann also nichts neues Wissen, ohne dass damit ein neuer Gegenstand entsteht.

Wie kann aber ein "neuer" Gegenstand einfach so entstehen? Im weiteren Verlauf der "Phänomenologie" wird sich zeigen, dass kein Gegenstand neu entsteht, dass aber die existierenden Gegenstände eine jeweils "neue" Seite offenbaren, die sie von der bisherigen Betrachtung abheben.

In moderner Diktion kann man vereinfachend sagen, dass extensional keine neuen Gegenstände entstehen, sich aber neue Begriff ergeben und dabei die Intension der bisherigen Begriffe ändert. Eine prominente Rolle wird dabei der Begriff des Widerspruchs spielen, denn es wird sich zeigen, dass ein und derselbe Gegenstand, mit jeweils intensional verschiedenen Begriffen betrachtet werden kann und das diese Begriffe im Widerspruch zu einander stehen.

Diese verschiedenen intensionalen Bestimmungen eines Gegenstandes gehen nach Hegel durch "bestimmte Negation" auseinander hervor. In den formalen Beispielen wird diese Art der Negation durch zwei Negationszeichen wiedergegeben. Die "bestimmte Negation" gehört zu den Elementen der hegelschen Philosophie, die später am wenigsten Anklang gefunden haben. Lediglich in der marxistischen Dialektik findet sich eine Reminiszenz daran, die aber dem ursprünglichen Gedanken Hegels wohl kaum gerecht wird. Die genaue Funktion der bestimmten Negation soll später anhand der hegeIschen Beispiele näher betrachtet werden.

Da hier Hegels Philosophie der Logik nicht betrachtet werden kann, soll nur darauf hingewiesen werden, dass sich bereits Platon im Dialog "Sophistes'" mit dem Problem der Negation befasst hat. Dort geht es um die Auffassung des Parmenides, dass das Falsche gleichbedeutend mit dem Nicht-Seienden ist. Danach würde aber jeder, der etwas Falsches sagt, Nichts sagen. Da er aber trotzdem sinnvolle Sätze bildet, muss es eine andere Auffassung der Negation geben, die nicht beinhaltet, dass das Negierte "Nichts" ist. Die dort gefundene Lösung soll hier kurz zitiert werden: "Fremder. Wenn wir Nichtseiendes sagen, so meinen wir nicht, wie es scheint, ein Entgegengesetztes des Seienden, sondern nur ein verschiedenes." Die Negation muss jedenfalls auch hier nicht mit dem "Nichts" gleichgesetzt werden.

Hegel geht nun noch weiter und deutet an, dass die Negation des Falschen der erste Schritt zur Wahrheit ist. Der neue Gegenstand ergibt sich also aus der bestimmten Negation des alten Wissens. Damit ist der Gegenstand nicht mehr nur etwas, das passiv rezipiert werden kann, sondern er ist für das Bewusstsein dynamisch. Der Gegenstand hat sich nach Hegel also nicht deshalb geändert, weil der echte, reale Gegenstand sich plötzlich anders verhält, sondern weil wir durch die Änderung des Wissens oder der Form des Bewusstseins eine qualitativ neue Seite des Gegenstandes sehen.

Als reales Beispiel für eine solche Änderung von Wissen und Gegenstand wird gerne der Paradigmenwechsel in der Physik des 16.Jahrhunderts zitiert, der die Ablösung des ptolemäischen Weltbildes durch Kepler und Kopernikus erbrachte: Die neuen Theorien führten erst dazu, dass man die astronomischen Beobachtungen neu interpretierte. Auch das Mikroskop, ausgehend von den Begriffen der Optik, erschloss qualitativ neue Seiten der Welt.

Aber Hegel hat nicht nur naturwissenschaftliche Erkenntnis mit seinem Erfahrungsbegriff im Auge, sondern den ganzen Geist, der über verschiedene Stufen der Unvollkommenheit weiter voran schreitet. Dieser Bewegung ist keine Grenze gesetzt, jedes falsche "an sich" kann negiert werden, immer kann sich der Gegenstand als ein anderer herausstellen, als man bisher dachte und so ist - wie Hegel am Anfang der Einleitung immer wieder sagt - eine Grenze unseres Wissens nicht gegeben, und diese Bewegung "wird einen Punkt erreichen, auf welchem es seinen Schein ablegt,..., oder wo die Erscheinung dem Wesen gleich wird..., und endlich indem es selbst dies sein Wesen erfasst, wird es die Natur des absoluten Wissens selbst bezeichnen." [PhdG;S.68].

1.4 Diskussion

Hegel hat sich in der Einleitung gegen die These gewandt, dass das Erkennen von vornherein durch ein "Medium" oder ein "Werkzeug" beschränkt ist. Nun gibt es kaum Vertreter der neuzeitlichen Philosophie, die mit derartigen Begriffen das Erkenntnisvermögen des Menschen analysiert haben. Was meint also Hegel im Detail mit seiner Kritik, außer dass er eine bessere Theorie hat? Kernbegriff der Einleitung ist neben dem "Bewusstsein", das als "Begriff des Wissens" definiert wurde, die "Erfahrung".

Allgemein ist "Erfahrung" ein psychologisches Ereignis, bei dem neues Wissen erworben wird. Zusätzlich ist es aber auch der methodische Kernbegriff der seit Newton sich rasant entwickelnden Naturwissenschaften, in denen Erfahrung sowohl mit Beobachtung als auch mit dem Durchführen von Experimenten gleichgesetzt wird. Unabhängig davon, dass diese Weisen der Erfahrung unterschiedlich sein können, ist der Begriff "Erfahrung" dabei eng mit dem Gebrauch der Sinnesorgane verbunden. Das, was "erfahren" wird, muss dazu gesehen, gehört, betastet oder auf sonst eine Art wahrgenommen werden. Die gemachte Erfahrung kann dann zwar reflektiert, interpretiert usw. werden, aber als Hauptelement der Erfahrung gilt das sinnliche Erlebnis, wie sich in den verschiedenen Definitionen der Erfahrung zeigt.

Zwar argumentierten sowohl Descartes als auch Leibniz dafür, dass es "angeborene" Ideen gibt, aber mit Locke setzte sich die zuerst in den Wissenschaften entwickelte Vorstellung, das alle unsere Ideen von "außen" durch die Sinnesorgane zu uns gelangen, durch: "Let us then suppose the mind to be, as we say, white paper, void of all characters, without any ideas - How comes it to be furnished ?[...]To this I answer in one word , from EXPERIENCE.”3 (Hervorhebung im Original).

Zwar leugnet Locke nicht das Denken, aber Denken bezieht sich nur auf das, was die Sinne erfassen. Hume wird diese Auffassung von Erfahrung beibehalten und darin das Induktionsproblem finden, also das Problem, wie durch Erfahrung überhaupt sicheres Wissen gewonnen werden kann. Das Induktionsproblem ist das Problem der Erkenntnistheorie und Wissenschaftsphilosophie der Neuzeit und es wird in seiner Beziehung zu Hegel noch später besprochen werden.

Die Tatsache, dass dieses Problem Kant aus seinem "dogmatischen Schlummer" weckte, zeigt seine Bedeutung für die Philosophie insgesamt. Denn seit Hume muss jeder Philosoph, der über "Erfahrung" spricht und daraus Wissen ableiten will, eine Antwort auf dieses Problem suchen. Da sich für Kant und gewissermaßen auch für Hegel, die Frage, ob "Erfahrung" überhaupt die Quelle unseres Wissens ist, gar nicht mehr stellt, zeigt, dass sich diese Auffassung bereits in Kants Zeit auf breiter Ebene durchgesetzt hat.

So kann man Hegels Kritik der Erkenntnistheorien zwar auch auf nicht-empiristische Philosophen gemünzt sehen, zur Debatte steht jedoch der bisherige Begriff der "Erfahrung", wie er von den Empiristen definiert wurde. Der empiristische Begriff der Erfahrung hat nun zwei wesentliche Komponenten:

Einmal hängt "Erfahrung" mit der Tätigkeit der Sinnesorgane zusammen, die das "Medium" oder "Werkzeug" bilden. Dies scheint an sich noch unproblematisch, aber der Empirismus betrachtet die Sinnesorgane nicht einfach als "Fenster zur Welt", das uns die Dinge zeigt, wie sie sind. Denn schon seit Descartes wurden die Sinnesorgane mit dem physikalischen Weltbild der Zeit in Beziehung gesetzt - die Sinnesorgane funktionieren

nach einem materialistischen Kausalzusammenhang:

Ein Körper der Außenwelt verursacht durch Einwirkung auf die Sinnesorgane eine Reaktion im Bewusstsein. Als Beleg dafür sei Newtons "Optik" angeführt, in der er die Teilchenauffassung des Lichts begründet und damit den Vorgang des "Sehens" auf eine rein mechanistische Grundlage stellt.

Aus der mechanistischen Sicht der Sinnesorgane ergibt sich die Passivität der Wahrnehmung, denn das Wahrgenommene muss mechanische Ursache der Wahrnehmung sein. Das was dann durch sinnliche Wahrnehmung gewusst wird, ist nach diesem Bild identisch mit dem, was wahrgenommen wurde. Auf diesen Punkt des "üblichen" Erfahrungsbegriffes weist Hegel selbst hin (vgl. PhdG S.67), denn er führt dazu, dass neues Wissen nur durch neue Sinneswahrnehmungen entstehen kann. Das Bewusstsein kann sich nach dieser Auffassung nur noch ordnend und interpretierend betätigen.

Die wichtigsten Charakteristika des empirischen Erfahrungsbegriffssollen hier kurz aufgeführt werden:

1. Erfahrung geschieht durch die Sinnesorgane und damit passiv.

2. Die Sinnesorgane werden nur durch physikalische Ursachen angeregt.

3. Das Wissen aus der Erfahrung ist identisch mit der Sinneswahmehmung.

4. Das Wissen ändert sich nur, wenn sich die Wahrnehmung ändert .

Beschäftigt man sich daher zur Zeit Hegels mit "Erfahrung", so handelt es sich nicht nur um die These, dass alles Wissen aus den Sinnen herrührt, was bereits Aristoteles lehrte, sondern auch um die Auffassung, dass dies auf materialistische Weise geschehen muss.

Hegel lehnt nun in seiner Einleitung das gesamte Konzept von "Erfahrung" wie es dargestellt wurde, ab. Er führt kaum Argumente gegen diese Auffassungen an, sondern verweist nur daraus, dass sie der "wahren Wissenschaft" im Wege stehen. Diese Pauschalität hat ihren Grund wohl im Werk Immanuel Kants. Denn die Kantische Philosophie ist der Versuch auf der Grundlage des traditionellen Erfahrungskonzeptes den ganzen Bereich des Denkens und Handelns einheitlich zu erklären. Die sich für Kant etwa in der "Kritik der reinen Vernunft"4 daraus erqebenden Schlussfolgerungen, wie etwa die Unmöglichkeit von Metaphysik, die Antinomie der Freiheit und das ungelöste Problem des

Dinges "an sich", können daher leicht als Argumente gegen die empiristische Auffassung von "Erfahrung" angesehen werden. Daher soll hier kurz auf Kants Werk eingegangen werden. Kant definiert die Grundlage allen Denkens so: "Die Fähigkeit, (Rezeptivität), Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen, heißt Sinnlichkeit. Vermittelst der Sinnlichkeit also werden uns Gegenstände gegeben...; durch den Verstand aber werden sie gedacht, und von ihm entspringen die Begriffe. Alles Denken aber muß sich,...,auf Sinnlichkeit beziehen, weil uns auf andere Weise kein Gegenstand gegeben werden kann." [KdrV

A19]. Dieses Zitat deckt sich inhaltlich mit dem, was bereits Locke über den Ursprung unserer Gedanken sagte, und es fällt auf, dass Begriffe hier nichts direkt mit Gegenständen zu tun haben, sondern Rekonstruktionen des Verstandes auf der Grundlage von Wahrnehmungen sind: "Uns ist wirklich nichts gegeben, als die Wahrnehmung und der empirische Fortschritt von dieser zu anderen möglichen." [KdrV;A492] Die Wahrnehmung wird jedoch nicht rein empfangen, sondern auf der Grundlage der Anschauungsformen, Kategorien und Grundsätze. Diese prägen die Wahrnehmung, so dass sich zwischen den realen Dingen "an sich" und unseren Anschauungen und Begriffen folgendes Verhältnis ergibt:5

a) A(x) → E(x)

Das Ding "an sich" wird in der Wahrnehmung zur Erscheinung, es selbst bleibt die unerkennbare Ursache. Daher kann man von den empirischen Begriffen nie auf das Ding "an sich" schließen, sondern nur wieder auf Erscheinungen:

b) E(x) → E(x)

Dieser für Kants "Kritik der reinen Vernunft" grundlegende Zusammenhang von Ding "an sich" und "Erscheinung" ergibt sich aus dem traditionellen Erfahrungsbegriff. Der Zusammenhang von Gegenstand und Wahrnehmung wird bei Kant jedoch noch schwächer als bereits bei Hume und Locke, da Kant annimmt, dass bereits bei der Wahrnehmung die Anschauungsformen und Verstandesbegriffe apriori tätig werden und die Wahrnehmung formen.

Damit schränkt sich zwar die Erkenntnis ein, aber man muss nicht mehr annehmen, dass Begriffe wie "Kausalität" oder auch "Gegenstand" nur Angewohnheiten des Geistes sind,

wie Hume behauptete. Doch nur den Verstandesbegriffen apriori kann eine Erfahrung

entsprechen, sie sind "empirische" Begriffe und daher unterscheidet Kant sie von den Begriffen der Vernunft.

Erfahrung ist identisch mit der Wahrnehmung und in der Wahrnehmung tauchen nur "primäre" Qualitäten, also die geometrischen Formen der Objekte und "sekundäre" Qualitäten, Farben, Gerüche etc., auf. Aus diesen "Sinnesdaten" erschließt der Verstand Gegenstände und wendet darauf Verstandesbegriffe an. Die Begriffe der Vernunft stehen in einem schwierigeren Verhältnis zur Erfahrung , denn per definitionem sind sie nach Kant die Begriffe, die über die Erfahrungsgrenzen hinausgehen, d.h. sich auf Tatsachen beziehen , die nicht physikalisch materiell sind.

Vernunftbegriffe sind Prädikate wie "frei", "wahr', "schön", "gut" und "gerecht" und Begriffe wie "Gott", "Freiheit" und "Seele". Keiner dieser Begriffe ist aus einer Erfahrung bzw. einer Erscheinung abzuleiten, denn die Wahrnehmung enthält nur physikalische Qualitäten. Daher kann von keiner Erscheinung darauf geschlossen werden, was diese Begriffe beinhalten und worauf sie angewendet werden, bzw. von Erscheinungen kann man nicht auf Vernunftbegriffe schließen:

a) E(x) →¬V(x)

Dieser Zusammenhang entzieht nun allen Vernunftbegriffen ihren objektiven Inhalt und ihre Grundlage. Da nach Kant alle Vernunftprädikate nicht aus Erscheinungen hervorgehen, kann man von ihnen auch nicht umgekehrt auf Erscheinungen schließen. Daher kann man nicht sagen, dass Begriffen wie "gut", "frei" und "wahr" etwas zugrunde liegt, bzw. auf was sie zutreffen. Also gilt: Von Vernunftbegriffen kann man nicht auf Erscheinungen schließen:

b) ¬E(x) ←V(x)

Kann man aber von Vernunftbegriffen nicht auf Erscheinungen schließen, so auch nicht auf das, was diesen zugrunde liegt, also auf die Dinge "an sich".

c) ¬A(x) ←V(x)

Alle Prädikate wie "gut", "frei", "wahr" usw. und die Begriffe "Gott" und "Seele" entbehren damit jeder Grundlage. Um diese grundlegenden Begriffe nicht ganz verbannen zu müssen, versuchte Kant sie daher als "Regulativ" oder als Ideale der Vernunft zu begründen, die aber in der realen Welt nicht verwirklicht werden können. Zu welchen Problemen ganz anderer Art dieses Vorgehen Kants führte, lässt sich vielleicht am deutlichsten an der Antinomie der Freiheit sehen, denn viele Menschen betrachten ihre "Freiheit" als eine objektive Tatsache, was nach Kant aber nicht ganz so sein kann: "Alle Menschen denken sich dem Willen nach frei. ( )Gleichwohl ist diese Freiheit kein Erfahrungsbegriff und kann es auch nicht sein Auf der anderen Seite ist es ebenso notwendig, dass alles, was geschieht, nach Naturnotwendigkeit unausbleiblich bestimmt sei, und diese Naturnotwendigkeit ist auch kein Erfahrungsbegriff..." [MdS;S.86]6 Dieses abstrakte Dilemma der Freiheit wirkt sich eminent auf die praktische Ethik aus, denn es gibt ohne "Freiheit" auch kein "Gutes". Da man auch über das Gute in einer physikalischen Welt keinerlei Aufschluss erlangen kann, so kann man es nur zur Maxime des eigenen Handelns machen und dann nur das wollen und tun, was allgemeines Gesetz werden könnte. Es ist aber schwer begründbar, wie man ohne Erfahrung etwas "Gutes" wollen soll. Denn der Kategorische Imperativ setzt Wertungen voraus, die dann verallgemeinert werden. Somit muss sich in der Erfahrung etwas über das "Gute" zeigen, denn "gut" setzt genaues Wissen von Sachverhalten, Menschen usw. voraus. Kant sind aus seinem Ansatz jedenfalls zwei Probleme erwachsen: Einmal spielen die Begriffe der Vernunft in der Erfahrung und damit in der Praxis keine Rolle, denn es gibt nichts in der Realität was objektiv "gut", "frei" oder "wahr" ist. Gleichzeitig besitzt der Mensch diese Begriffe, aber nach Kant kann er sie unmöglich aus der Erfahrung entnehmen. Damit befindet sich nach Kant der Geist in der seltsamen Situation, in sich Begriffe zu finden, die mit keiner Wahrnehmung und Erfahrung in Zusammenhang stehen, die nichts objektiv zu bedeuten scheinen, die aber sein Handeln und Denken leiten sollen.

Für Kant war die Trennung von Vernunft und realer Welt jedenfalls objektiv, und er trennte die Verstandes- und Vernunftbegriffe, sowie ihre Inhalte auch als "Phänomena" und "Noumena" voneinander.

Hegels Buchtitel "Phänomenologie des Geistes" (nous= Geist) enthält nun genau diese beiden Bereiche des menschlichen Denkens, aber nicht getrennt, sondern vereint. Aber wie soll die Trennung von Phänomenon und Noumenon aufgelöst werden? Die Ursache dieser Trennung ist eben in Kants Werk selbst dargestellt, und es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass sich Hegels Kritik in der Einleitung hauptsächlich auf Kant bezieht, denn die Anschauungsformen Raum und Zeit sind das "Medium" der Wahrnehmung und die Verstandesbegriffe bzw. die Transzendentale Logik bezeichnet Kant selbst als "Organon" also als "Werkzeuq"7.

Der erste Schritt zu einer neuen Philosophie ist damit die Ablehnung der Folgerungen aus der Philosophie Kants und vor allem die Ablehnung des traditionellen Erfahrungsbegriffes. Damit ist nun die negative Seite des Ansatzes klar. Wie kann aber eine positive Seite, die den Gehalt anderer Erfahrungen und Begriffe verbürgt, aufgezeigt werden? Für Hegel steht durch Kant fest, dass Erfahrung die Grundlage allen Wissens sein muss, und dass es kein Zurück zu angeborenen Ideen oder einer direkten, göttlichen Inspiration gibt. Andererseits ist die Analyse der Erfahrung durch Kant für Hegel unzureichend. Es muss also eine neue Theorie der Erfahrung gefunden werden, die nicht auf kausal empiristischen Annahmen beruht.

Der Ausgangspunkt einer solchen Theorie findet sich ebenfalls im Werk Kants und zwar im Subjekt aller Erkenntnis, dem, was Kant die "Einheit des Bewusstseins" oder "transzendentale Apperzeption" nannte. Diese transzendentale Einheit ist der eigentliche Grund, warum Erkenntnis möglich ist, da alle Erkenntnisse durch den Bezug auf ein selbstidentisches Bewusstsein verbunden werden.

Darüber hinaus ist diese Einheit der Grund dafür, dass überhaupt Gegenstände gedacht werden können: "Nun können keine Erkenntnisse in uns stattfinden, ..., ohne diejenige Einheit des Bewusstseins, welche vor allen Datis der Anschauung vorhergeht, und, worauf in Beziehung, alle Vorstellung von Gegenständen, allein möglich ist." [KrdrV A107] Durch diese Einheit ergibt sich für Kant der Begriff des Gegenstandes: "der Begriff dieser Einheit ist die Vorstellung vom Gegenstande = X..." [KdrV;A105]. Die Einheit des Bewusstseins ist damit der eigentliche Grund, dass es für das Bewusstsein eine Welt mit bestimmten Gegenständen gibt.

Für Kant stand fest, dass die Dinge "an sich" auch ohne Bewusstsein existierten, und dass ihre Einheit auch ohne ein Bewusstsein gegeben ist, nur die Erkenntnis dieser Gegenstände bedurfte der Einheitsfunktion des Bewusstseins. Die formale Grundlage für diese Einheit ist, wie es Fichte dann deutlicher herausstellte, die logische Identität "A=A".8 Fichte9 war der Erste, der erkannte, dass diese Eigenschaft des Bewusstseins entscheidend zur Lösung der Kantischen Antinomien beitragen könnte. Statt anzunehmen, dass die Einheit des Bewusstseins nur der Grund dafür ist, dass Gegenstände gedacht werden können, postulierte er, dass Gegenstände nur existieren können, wenn es ein transzendentales Selbstbewusstsein gibt.

Fichtes Thesen in der Wissenschaftslehre von 1794/95 besagen, dass das Ich sich selbst setzt, durch die Identität: A = A. Die zweite Setzung ist die Nichtidentität von Ich und Nicht- Ich: A ≠¬A.

Durch die Einheit des Bewusstseins ergibt sich die Vorstellung vom Gegenstande als einem anderen, und in der Setzung dieses anderen besteht die Existenz des Gegenstandes. In der dritten Setzung des Ich. klingt Hegels "bestimmte Negation" an, denn das Ich betrachtet das Nicht-Ich nicht als Nichts, sondern als Teilbares, Unterschiedenes.

Fichte nahm aber keinen Bezug des Bewusstseins auf eine äußere Welt mehr an, sondern ein transzendentales Bewusstsein, dass die Welt und damit ihr Sein "setzt". Dabei begreift Fichte die Entwicklung des Bewusstseins als fortschreitende Unterteilung der allgemeinen Setzungen.

Die Konzeption Fichtes wird eine Rolle im ersten Kapitel der Phänomenologie spielen,

denn auch bei Hegel wird das Bewusstsein nicht von außen bestimmt, sondern muss sein "Wissen" selbst setzen. Dies geschieht aber nicht so metaphysisch wie in der Fichteschen Konzeption.

Diese Ausführungen über Empirismus, Fichte und Kant sollen die ungefähre philosophische Situation skizzieren, innerhalb der Hegel sein neues Konzept der Erfahrung entwickelte.

Das bisherige Konzept der Erfahrung ist also unzureichend, da es keinerlei Grundlage zur Erklärung aller Leistungen des Menschen bildet. In der Philosophie Fichtes ist zwar ein neuer Ansatzpunkt für das Philosophieren gefunden worden, nämlich das "Bewusstsein" bzw. das "Ich" anstelle der "Vernunft".

Statt also wie Kant von der Wahrnehmung zum Bewusstsein überzugehen und letzteres von ersterem abhängig zu machen, wird - Dank Fichte - der umgekehrte Weg beschritten. Aber für Hegel kann der Ausgangspunkt kein transzendentales Bewusstsein darstellen, wie eben für Fichte. Hegel nimmt daher das "natürliche Bewusstsein" zum Ausgangspunkt. Dieses natürliche Bewusstsein hat seine Grundlage ebenfalls in der Funktion der Einheit, oder, wie Fichte es ausdrückte, im Grundsatz "A=A".

Mit diesem Grundsatz des Bewusstseins sind für Hegel dreierlei Dinge gegeben: einmal die Selbstidentität des Bewusstseins, dann ein immanenter Wahrheitsbegriff, denn Wahrheit ist die Identität von Wissen und Welt, und schließlich eine neue Grundlage für den Begriff der Erfahrung.

Dass das Bewusstsein Selbstidentität besitzt, muss Hegel nicht zeigen, dass aber die Identitätsfunktion Grundlage für Wahrheit und Erkennen darstellt, ergibt sich einmal aus Hegels Kritik an allen Theorien, die unter wahrer Erkenntnis nicht absolute Erkenntnis verstehen und zum anderen aus seinen Ausführungen über die "abstrakten Bestimmungen des Wissens" [PhdG,S.64]. Da das Bewusstsein selbst Begriff des Wissens ist, sind diese Bestimmungen die Bestimmungen des Bewusstseins.

Diese Bestimmungen wurden so dargestellt, dass das Bewusstsein etwas weiß, dass also etwas "für es" ist, und dass das Bewusstsein gleichzeitig dieses Wissen von sich unterscheidet als "an sich". Damit ist die Trennung von objektiver Welt und Bewusstseinsinhalten für das Bewusstsein grundlegend, auch wenn, wie Hegel bemerkt, das Bewusstsein nicht immer dahinter kommt worin denn der Unterschied besteht (vgl. PhdG, S.65).

Denn auch wenn der Unterschied nicht feststellbar ist, weiß das Bewusstsein, dass das "für es" nicht notwendig das "an sich" sein muss. Damit ist ein immanenter Zweifel begründet, der dazu führt, dass das Bewusstsein versucht, dahinter zu kommen, ob sich "an sich" und "für es" decken, und dieser Zweifel ist die Grundlage der Erfahrung. Denn der neue Begriff der "Erfahrung" beruht nun darauf, dass das Bewusstsein das "für es" ändert, es quasi neu "setzt" und dann erkennt, dass das alte, beschränkte Wissen der Grund dafür war, dass es das eigentliche "an sich" der Welt nicht erkennen konnte.

Hegel lehnt die Vorstellung, dass alles, was man über die Welt wissen kann, rein passiv über die Sinne ins Bewusstsein gelangt, ab. Es gelangt vielmehr nur das ins Bewusstsein, was zu dem gegenwärtigen Wissen bzw. der jeweiligen Form des Bewusstseins passt. Das Bewusstsein formt dasjenige, was es wahrnimmt - hierin folgt Hegel Kant. Nur weiß das Bewusstsein implizit von dieser Schranke und versucht sie zu überschreiten. Indem das Bewusstsein aber nicht die Welt oder die Organisation seiner Wahrnehmung verändern kann, muss es an sich selbst ansetzen, seine innere Beschränkung erkennen und ändern. Dies geschieht durch die "dialektische Bewegung", die Hegel als Kennzeichen der Erfahrung nennt, und durch diese Änderung des Inneren "ändert sich ihm der Gegenstand."[PhdG;s.66]

Die Beschränkung der Erkenntnis hat also keine externen Gründe wie etwa bei Kant oder Hume, wo vorausgesetzt wird, dass die Welt eben nur physikalisch ist, und daher nur Wissen über physikalische Tatsachen ins Bewusstsein gelangt.

Die Beschränkung ist vielmehr intern: um es vereinfacht zu sagen, der Mensch nimmt nur physikalische Tatsachen wahr, weil er eben nur etwas von Physik weiß. Die Veränderung des Wissens geschieht aber nicht auf der Ebene des einzelnen Bewusstseins, sondern schleichend in jedem Bewusstsein aller Menschen der Zukunft, Gegenwart und der Vergangenheit.

Daher kann man auch nicht, wie Kant es tat, behaupten, die Vernunft des Menschen bereits zu kennen, denn nach Hegel ist die Vernunft und damit das Bewusstsein in kontinuierlicher Entwicklung begriffen.

Gleichzeitig bedeutet Hegels These jedoch auch, dass sich alle Begriffe und alle Entwicklungsstufen des Bewusstseins irgendwann als objektive Realität zeigen müssen, denn Wahrheit besteht in der Identität von Wissen und Welt. Es muss sich also irgendwann die Objektivität von Religion, Moral und Recht in der Welt selbst zeigen. Daher spricht Hegel auch von der "Notwendigkeit" dieses Weges (vgl. PhdG, S.68). Dass dies aber so sein wird, kann Hegel nicht beweisen. Daher konzipiert er seine Phänomenologie als Gegenentwurf, die keinen endgültigen Beweis ihrer Wahrheit geben kann und schildert quasi als Indizienbeweis die bisherige Geschichte des menschlichen Bewusstseins so, dass sich jede Entwicklung als Realisierung seines Begriffes der Erfahrung erweist, wie er oben dargestellt wurde.

Hegel selbst gibt auch zu, dass "diese Betrachtung der Sache...unsere Zutat [ist]" [PhdG;S.67]. Man kann dies als Grundproblem des ganzen Werkes ansehen, jedoch ist es möglich Hegels Konzept der Erfahrung von seiner Darstellung der Geschichte des Bewusstseins zu trennen.

Denn ob das Bewusstsein sich immer genau so entwickelt hat, wie Hegel es darstellt, oder ob sich irgendwann wirklich bestimmte Begriffe realisieren, ist unabhängig von der Tatsache, dass Hegel einen wichtigen Aspekt dessen, was man "Erfahrung" nennt, darstellt.

Wie Recht Hegel mit seiner Behauptung hat, dass unser Wissen unsere Sicht der Welt formt, konnte nicht zuletzt im Zeitalter der Ideologien und wissenschaftlichen Revolutionen, also im 20.Jahrhundert, festgestellt werden.

Obwohl Hegels Begriff der Erfahrung darauf ausgelegt ist, den geistigen Fortschritt der ganzen Menschheit zu erklären, muss sich die Gültigkeit seiner Idee auch in der sinnlichen Erfahrung zeigen.

Die ersten drei Kapitel der Phänomenologie sollen die Entwicklung des Bewusstseins zum Selbstbewusstsein darstellen, sie sollen aber auch zeigen, wie grundlegende Begriffe und Kategorien der Erkenntnis aus der Art von Erfahrung entspringen, die Hegel postuliert.

2. Die sinnliche Gewissheit

2.1 "Dieser" und "Diese"

Hegel beginnt die Erfahrung des Bewusstseins mit dem unmittelbaren Wissen. In der "sinnlichen Gewissheit", dem "Wissen vom Unmittelbaren", weiß das Bewusstsein nur das, was nicht durch eine dialektische Bewegung "vermittelt" werden muss. Es gibt noch keine Trennung von "Ich" und "Sache", da das Bewusstsein, wenn es sich ganz rezeptiv bzw. "aufnehmend" verhält, keinen anderen Inhalt hat, als das in sich aufgenommene Bild des Seins.

Die "sinnliche Gewissheit" ist "unmittelbar reine Beziehung" [PhdG;S.70], und auf der einen Seite das "wahrhafteste", jedoch gleichzeitig auch die inhaltlich "ärmste" Wahrheit, denn die "sinnliche Gewissheit ...sagt von dem, was sie weiß, nur dies aus: es ist." [PhdG;S.69].

Die sinnliche Gewissheit beschreibt den Zustand rein sinnlicher Rezeptivität, ohne dass darin Reflexion oder Denken auftritt. Dieser Zustand ist damit ungefähr das, was Empiristen wie Locke, aber auch Kant als Quelle aller Bewusstseinsinhalte auffassen. Kant etwa beschreibt "Sinnlichkeit" als "die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden." [KrdrV,A19]. Hegel dagegen beginnt dieses Kapitel über Sinnlichkeit mit der Feststellung, dass in der sinnlichen Gewissheit keinerlei Inhalte gegeben werden. Die beiden Hauptelemente fallen dann aus dieser inhaltslosen Gewissheit heraus, indem sie mit indexikalischen Ausdrücken wie "Ich", "Diese" und "Dieser" angesprochen werden. Die Teile und Inhalte der sinnlichen Gewissheit können nur sprachlich bestimmt werden, aber die Sprache selbst stammt nicht aus dieser Gewissheit. Dies führt dazu, dass es in diesem Kapitel wenig um sinnliche Inhalte geht, sondern um Sprache: Denn die sinnliche Gewissheit "sagt" etwas, noch bevor sie überhaupt etwas anderes weiß, als dass "es ist". Grundsätzlich kann man fragen, ob Hegel annimmt, dass das Bewusstsein, über das er schreibt, mit diesen Worten operiert, oder ob er sich nur dieser Worte bedient, um das Bewusstsein zu beschreiben.

Da im Folgenden aber dargestellt wird und werden soll, wie das Bewusstsein selbst eine Erfahrung macht, so muss man annehmen, dass dieser Sprachgebrauch dem Bewusstsein selber zukommt und nicht nur dazu dient, Hegel die Beschreibung zu erleichtern.

Hegel setzt also, ohne dies näher zu erläutern und zu begründen, die Sprachfähigkeit des Bewusstseins voraus. Diese Voraussetzung scheint jedoch dadurch erklärbar, dass Hegel nicht über ein transzendentales Bewusstsein, sondern über das "natürliche Bewusstsein" sprechen will, also über das Bewusstsein realer Menschen. Dem Menschen kommt in der philosophischen Anthropologie der Sprachgebrauch zu. Somit scheint diese Voraussetzung nur scheinbar unbegründet.

Gleichzeitig erweist sich die Sprache in diesem Kapitel als Erkenntnisinstrument - ein Aspekt, der noch weiterer Diskussion bedarf. Ein weiterer Grund für die Verwendung der Sprache ergibt sich, wenn man an

Fichtes Ideen über die Selbstsetzung des "Ich" denkt. Dort ist der Ausgangspunkt ein reines, transzendentales Bewusstsein, dass sich selbst und ein Nicht-Ich setzen muss, um sich selbst zu "vermitteln". Das Wort "vermitteln" taucht auch in diesen Kapitel der Phänomenologie auf, denn die beiden Elemente der sinnlichen Gewissheit, "Ich" und "Gegenstand", sind darin nicht einfach unmittelbar, sondern "vermittelt". Bei Fichte ist diese Vermittlung von Subjekt und Objekt möglich, weil das transzendentale Bewusstsein das Nicht-Ich einfach ontologisch setzt.

Diese Operation ist dem natürlichen Bewusstsein Hegels nicht möglich, zumal Subjekt als auch Objekt als bereits existent angenommen werden. Beide Elemente sind jedoch in der sinnlichen Gewissheit nicht zu erkennen, da sich diese nur auf das "Unmittelbare" bezieht: "Weder Ich, noch die Sache hat darin die Bedeutung einer mannigfaltigen Vermittlung; Ich, nicht die Bedeutung eines mannigfaltigen Vorstellens..., noch die Sache die Bedeutung mannigfaltiger Beschaffenheiten; sondern die Sache ist" [PhdG;S;69].

Erst die Tätigkeit des Sprechens, des "Setzens" von Worten, bricht diese Beziehung auf und vermittelt Inhalte. Das Bewusstsein bei Hegel muss also, ähnlich wie bei Fichte, in irgendeiner Form tätig werden, damit Inhalte und Begriffe entstehen, denn diese kommen nicht von außen bzw. aus der sinnlichen Gewissheit.

Es gibt also in der sinnlichen Gewissheit keine Informationen über ein Bewusstsein oder einen Gegenstand, sondern das Bewusstsein fällt aus dieser Beziehung heraus, indem es "Ich" sagt, bzw. sich als "Dieser" bezeichnet und die Sache als "Diese", Hegel beschreibt dies so, dass "nämlich in ihr sogleich aus dem reinen Sein die

beiden schon genannten Diesen, ein Dieser als Ich und ein Dieses als Gegenstand herausfallen" [PhdG,S.70]. Die Wörter haben dabei die Funktion einen Teil aus dem Ganzen der sinnlichen Gewissheit zu bestimmen, denn dass die sinnliche Gewissheit aus den zwei Elementen "Dieser" und "Dieses" besteht, geht aus ihr selbst nicht hervor: "Weder das Eine noch das Andere [ist] nur unmittelbar, in der sinnlichen Gewissheit, sondern zugleich als vermittelt, ich habe die Gewissheit durch ein anderes, nämlich die Sache; und diese ist eben so in der Gewissheit durch ein anderes, nämlich durch Ich" [PhdG,S.70).

Die Sache ist vermittelt durch das "Ich", das "Ich" durch die Sache, aber die sinnliche Gewissheit sagt ja nur "es ist", also kann das Wissen um beides nicht aus ihr stammen. Das Wissen muss durch das Sprechen des "Ich" entstehen.

Hegel schreibt dem Bewusstsein nur die Verwendung von indexikalischen Ausdrücken zu, d.h. von Wörtern, die selbst keine Bedeutung tragen:

"Worauf durch sie referiert wird, ist vom Kontext des jeweiligen Vorkommnisses abhängig, vornehmlich vom konkreten Sprecher.“10 Wörter wie "Dieser" oder "Diese" scheinen nur deiktisch auf vom Sprecher gemeinte Objekte zu verweisen, ohne zusätzlich eine sprachimmanente Bedeutung mit sich zu bringen.

Doch durch die Verwendung der Sprache wird die "einfache Unmittelbarkeit" der sinnlichen Gewissheit doppeldeutig. Denn primär ist die sinnliche Gewissheit ja eine sprachlose Beziehung zwischen einem Bewusstsein und einem Gegenstand. Beschreibt man diese Beziehung, so ergibt sich: "das Bewusstsein ist Ich, weiter nichts, ein reiner Dieser, der Einzelne weiß reines Dieses oder das Einzelne" [PhdG, S.70). Dieses Wissen um die Teile und Relationen dieser Beziehung ist aber bereits durch Sprache vermittelt. Die Vermittlung verändert die Beziehung, wie sich am Grad der Gewissheit zeigt: In der sprachlosen Beziehung gibt es "unmittelbares" Wissen, das als das "wahrhafteste" Wissen erscheint.

In der vermittelten Erkenntnis treten nun zwei Elemente auf, aber mit einem unterschiedlichen Grad an Wahrhaftigkeit, denn ein Element ist wesentlich und eines unwesentlich: "Es ist in ihr eines als das... unmittelbar Seiende ... gesetzt, der Gegenstand; das andere aber als das Unwesentliche...lch, ein Wissen ..." [PhdG, S.70]. Die Gewissheit schwindet, obwohl das Bewusstsein als ein Wissendes charakterisiert wurde: "der Einzelne weiß reines Dieses"[PhdG,S.70]. Durch die Verwendung von indexikalischen Ausdrücken deckt das "Ich" die Existenz seiner selbst, dem "Dieser" und die Existenz der Sache, dem "Diese" auf. Außer den Ausdrücken "Dieser" und "Diese" tauchen noch weitere Bestimmungen auf, die sich jeweils aufeinander beziehen. Sie markieren das begriffliche Wissen, dass das Bewusstsein in seiner Entwicklung bisher erworben hat, und auf das die weitere Entwicklung aufbaut.

Diese sprachlichen Bestimmungen sollen hier auch "Setzungen" genannt werden. Bisher ergab sich:

1. "es ist" = "Ich" und "Sache"

2. "Sache" = "Diese"

3. "Ich" = "Dieser'

4. "Diese" = "das Einzelne"

5. "Dieser" = "der Einzelne"

Diese Bestimmungen, die Hegel im Text gibt, stellen dar, was das Bewusstsein zu Beginn weiß. Das Bewusstsein weiß, dass die zuerst unmittelbar rezipierte Einheit des "es ist" aus den zwei Entitäten "Ich" und "Sache" besteht, auch "Dieser" und "Diese" genannt, und das Bewusstsein spricht beide als Einzeldinge an.

Die indexikalischen Ausdrücke wurden von Hegel auch gewählt, weil sie scheinbar auf etwas Bestimmtes, individuelles referieren. Im Laufe der Erfahrung, die in diesem Kapitel gemacht wird, stellt sich dann die Frage, worauf sie referieren und es wird sich ergeben, dass das Bewusstsein die Referenz nicht angeben kann.

Obwohl Hegel "Sache" und "Ich" fast nur beiläufig als Einzeldinge quantifiziert, ist diese Feststellung die Grundlage der weiteren Erfahrung. "Dieser' und "Diese" treten hier zuerst als individuelle Entitäten auf, sie erscheinen als beziehungslos zu Kategorien wie "Mensch" oder "Baum".

2.2 Das Wesen des Gegenstandes

Der Gegenstand war aufgewiesen worden, ohne dass durch nähere Bestimmungen charakterisiert wurde, was er ist. Er wurde als "ein reiner Dieser" aufgewiesen. Dabei wurde zwar auch die Existenz des Bewusstseins vermittelt, aber auch hier gibt es keine nähere Bestimmung, was das "Ich" eigentlich ist.

Durch seine Verschiedenheit von der Sache erweist sich das Bewusstsein als Betrachtungsstandpunkt, der scheinbar abhängig von der Sache ist. Denn das Bewusstsein sieht sich nicht selbst, es besitzt nur die Gewissheit, dass der Gegenstand ist: "der Einzelne weiß reines Dieses, oder das Einzelne." [PhdG;S.70] Subjekt der "sinnlichen Gewissheit" ist immer nur der Einzelne, denn nur ein einzelner "Dieser" kann in einer reinen Beziehung zu "Diese", der Sache, stehen. Daher hat das Bewusstsein kein Wissen von sich selbst als Gegenstand, d.h. als objektiv existierendem Seiendem, da sich seine Gewissheit nur auf die Sache bezieht.

Hegel charakterisiert das "Ich" als "ein Wissen, das den Gegenstand nur darum weiß, weil er ist" [PhdG; S.70]. Nach den in der Einleitung gegebenen Erläuterungen ist das "Ich" also nur "für sich". Dem Wissen wurde als abstrakte Bestimmung die Wahrheit gegenübergestellt, da das Bewusstsein nur Wissen ist, ist der Gegenstand das Wahre und damit das "an sich". Es soll nun also das "Wesen" dieses "Wahren" gefunden werden. Um das Wesen des Gegenstandes aufzeigen zu können, muss sich das Bewusstsein wieder sprachlich betätigen, denn ein rein rezeptives Verhalten kann nach Hegels Erfahrungsbegriff kein Wissen hervorbringen. Die Sache selbst sagt nicht, was sie ist, sie wird nicht erfasst, weil sie "nach einer Menge unterschiedener

Beschaffenheiten, eine reiche Beziehung an ihr selbst, oder ein vielfaches Verhalten zu anderen wäre" [PhdG; S.69]. Die Sache ist passiv, daher muss das "Ich" aktiv sein. Das "Ich" betrachtet aber nicht den Gegenstand selbst, sondern untersucht sein eigenes Wissen und das heißt, seine Art über den Gegenstand zu sprechen. Denn in der folgenden Untersuchung geht es nicht um einen Gegenstand, sondern um die Verwendung eines indexikalischen Zeitausdrucks. Es wird also das Wissen geprüft und nicht der Gegenstand und das neue Wissen wird dann einfach auf den Gegenstand übertragen.

Hegel gibt damit das erste konkretere Beispiel für eine "Erfahrung", aber die hier dargestellte Erfahrung enthält keine "dialektische Bewegung" und es entspringt kein. neuer Gegenstand. Daher bringt diese Erfahrung noch kein neues Wissen, sondern stellt lediglich einen Teilschritt dar. Es ist der erste von drei Versuchen, in denen das Bewusstsein sein Wissen überprüft.11

Das Ich beginnt seine Untersuchung des Gegenstandes mit der Frage: "Was ist das Diese?" [PhdG;S.71]. Mit dem "Diese" bezeichnet das Bewusstsein seinen augenblicklichen Inhalt, das was "itzt und hier" ist. Die Frage nach dem Gegenstand wird hier gleichgesetzt mit der Frage nach dem Inhalt des Bewusstseins, denn was ein Gegenstand ist, wird erst im nächsten Kapitel thematisiert.

In der Untersuchung des "Diese" spielt die Sprache eine zentrale Rolle, denn das "Diese" wird als raumzeitlich Seiendes angegeben und mit den Ausdrücken "Hier" und "Itzt" identifiziert. Daher formt sich die Frage "was ist das Diese ?" zu den Fragen "was ist das Itzt?" [PhdG;S.71] und "was ist das Hier?" [PhdG,S.72] um.

Dass das "Ich" nach dem "jetzt" fragt, heißt noch nicht, dass es weiß, dass damit etwas Zeitliches gemeint ist. Der zeitliche Aspekt des "itzt" wird erst später im Mittelpunkt stehen, denn in dieser Erfahrung geht es darum zu erkennen, worauf sich das Wort "itzt" bezieht. Hegel beschreibt dies als individuelles Experiment.

Das Wort "Itzt" wird mit einem Inhalt des Bewusstseins verbunden, von dem das "Ich" meint, dass er "itzt" sei. Im Beispiel sagt das "Ich": "Das Itzt ist die Nacht" [PhdG.s.71]. Diese falsche Formulierung soll wohl darauf hindeuten, dass das "Ich" den zeitlichen Aspekt des Wortes nicht genau kennt, denn man sagt sonst "Itzt ist Nacht." Die Proposition "Das Itzt ist die Nacht" wird daraufhin aufgeschrieben und mit einem späteren Zeitpunkt verglichen: "Sehen wir Itzt, diesen Mittag, die aufgeschriebene Wahrheit wieder an, so werden wir sagen müssen, sie sei schal geworden" [PhdG;S.71]. Das, was als "itzt" bezeichnet wurde, hat sich geändert, nur die Verwendung des Wortes "itzt" bleibt, es gilt in beiden Fällen. Durch diese Veränderung nun macht das "Ich" keine Erfahrung über "Tag" oder "Nacht" oder den Lauf der Sonne, sondern eine Erfahrung über das Wort "itzt". Denn das Wort "itzt" ist einfach, es besitzt keine gegenständliche Bedeutung: "Dabei ist es eben noch so einfach als zuvor, Itzt, und in dieser Einfachheit gleichgültig gegen das, was noch bei ihm herspielt; so wenig der Tag und die Nacht sein Sein ist, ebensowohl ist es auch Tag und Nacht" [PhdG,s.71].

"Itzt" ist dabei ein Index wie "Dieser", aber ein Index der seine Indexikalität selbst zeigt: Denn jeder Index wird von einem Bewusstsein auf einen individuellen Zeitpunkt oder Gegenstand angewandt. Der Gegenstand, wie der Zeitpunkt sind vergänglich und dadurch wird zwar das jeweils Ausgesagte zu einem "Nicht-Seienden", aber die Verwendung des Index wird dadurch nicht berührt, man kann ihn weiter verwenden, für alles und jedes. Die Intension des Wortes "itzt" ist immer diesselbe, denn es soll ein bestimmter Moment damit bezeichnet werden, aber, durch den Ablauf der Zeit, ändert sich beständig die Extension dieses Ausdrucks.

Die Dialektik des "Itzt" besteht darin, dass der individuelle Sprecher "meint", durch seine Verwendung etwas bestimmtes, individuelles "Dieses" zu bezeichnen. Aber "Itzt" bezeichnet nichts bestimmtes, sondern einfach jeweils den Zeitpunkt, zu dem es ausgesprochen wird. Diese Absicht des Sprechers, der mit "itzt" etwas Bestimmtes aussagen will, bezeichnet Hegel als "Meinung": Das Bestimmte, was der Sprecher aussagen wollte, existiert irgendwann nicht mehr, und das Wort, also das "Itzt", womit der Sprecher das Bestimmte aussagen wollte , trifft genauso auf alle anderen Zeitpunkte zu. Diese Situation zeigt nach Hegel, dass es unmöglich ist, etwas bestimmtes, individuelles, sprachlich zu erfassen. Hegel nennt das "Itzt" daher ein "Negatives", da es auf nichts Bestimmtes zutrifft, und da das "Itzt" auch keine Teile hat, ist es auch ein "Einfaches". Ein Einfaches und Negatives ist aber ein "Allgemeines".

Statt der Zeitlichkeit des "Diese" hat das "Ich" also die Allgemeinheit der Worte erfahren. "Die Sprache aber ist, wie wir sehen, das Wahrhaftere"[PhdG; S.72], so kommentiert Hegel die Erfahrung des Bewusstseins. Denn das Bewusstsein versucht aktiv die einzelnen Elemente der Welt durch die Sprache "aufzubewahren", aber dies gelingt nicht, es bleibt nur das Allgemeine. Das Wort erfasst das einzelne "Diese" nicht.

Neben dem "Itzt" zeigt Hegel auch vom "Hier", dass es ein "einfaches Negatives" ist, analog zum "Itzt". Auch dabei muss das "Ich" das "Hier" aktiv aufweisen, es muss es zunächst bestimmen: "Das Hier ist zum Beispiel der Baum. Ich wende mich um, so ist diese Wahrheit verschwunden." [PhdG;S.72] Das Umwenden ist wie das Aufschreiben des "Itzt" eine aktive Handlung, in der das "Ich" sein Verhältnis zu der "Sache" aufweist, nämlich, dass es nicht die einzelne Sache bestimmen kann, sondern nur auf das Allgemeine referieren.

Die hier geschilderte Erfahrung hat das Ergebnis, dass die Wörter, die das "Ich" benutzt um das unmittelbar gegebene Sein zu bezeichnen, dieses nicht erfassen, denn die Wörter bleiben, aber das gemeinte Sein verschwindet.

Die hier gemachte Erfahrung ergänzt nun die sprachlichen Bestimmungen, die zu Anfang gemacht wurden. Denn dort wurde "Dieser" als "der Einzelne" und "Diese" als "das Einzelne" angesprochen. Kehrt man nun zur Ausgangsfrage "Was ist das Diese?" zurück, so ergibt sich aus den Setzungen dieses Abschnitts folgendes Ergebnis:

6. "Diese" = "Das Einzelne"

7. "Diese" = "hier" + "Itzt"

8. "Itzt" = "Einfaches" + "Negatives"

9. "Hier" = "Einfaches" + "Negatives"

1O. "Einfaches" + "Negatives" = "Allgemeines"

11. "Diese" = "Allgemeines"

Das "Diese" so hat sich erwiesen, ist also gar nicht "das Einzelne", sondern das "Allgemeine". Es hat sich herausgestellt, dass das "Diese" nicht das "Wesen" ist, sondern nur ein Beispiel des Wesens.

Das Bewusstsein hat nun die Erfahrung gemacht, dass das, was es als etwas Bestimmtes, Einzelnes ansprechen wollte, nämlich das was "itzt" ist, von der Sprache gar nicht getroffen wurde, und statt dessen das Gegenteil von etwas Einzelnem, nämlich etwas Allgemeines ausgesagt wurde. Der genaue Bezug zu Hegels Erfahrungsbegriff soll später ausgeführt werden.

2.3 Das Allgemeine als Wesen der "sinnlichen Gewißheit"

War der Gegenstand zu Beginn der Betrachtung noch das "Wesen" und das "Ich" das "Unwesentliche", so wird das "Ich" nun wesentlich, denn die Bestimmungen "Diese", "Itzt" und "Hier" gingen vom ihm aus. Das Bewusstsein unternimmt nun den zweiten Versuch der Wissensprüfung.

Das "Ich" selbst beantwortete die Frage "Was ist das Diese?", indem es das "Diese" als "itzt" und "hier" bestimmte. Indexikalische Ausdrücke hängen in ihrer Bedeutung vom Sprecher ab, es macht daher keinen Sinn zu sagen, etwas sei "hier und jetzt", ohne dass es ein Bewusstsein gibt, dass dieses "hier und jetzt" wahrnimmt.

Beide Bestimmungen benötigen ein Bewusstsein, das ihre Referenz festlegt: "das Verschwinden des Einzelnen Itzt und Hier, das wir meinen, wird dadurch abgehalten, daß ich sie festhalte" [PhdG; S.73].

Das Bewusstsein scheint nun nicht mehr vom Gegenstand abzuhängen, sondern der Gegenstand vom Bewusstsein: "er ist, weil ich von ihm weiß" [PhdG, S.72]. Die Betrachtung nimmt nun den anderen extremen Standpunkt ein, und wie bei der vorherigen Untersuchung könnte Hegel mit der Frage beginnen: Was ist das Ich? Vom "Ich" scheinen nun die indexikalischen Bestimmungen abzuhängen, aber gleichzeitig beziehen sie sich auch immer auf das "Ich" selbst. Betrachtet das "Ich" ein "Diese" und bestimmt es als "hier und itzt", so ist auch das "Ich" selbst als "hier und itzt" bestimmt. Das "Ich" ist also auch allgemein, aber diese Allgemeinheit erfährt das "Ich" nicht durch die Dialektik von "Itzt" und "Hier", sondern durch die soziale Dimension seiner Existenz: "Ich, dieses, sehe den Baum, und behaupte den Baum als das Hier; ein anderer Ich sieht aber das Haus und behauptet, das Hier sei. ..das Haus." [PhdG,S.73]

Beide Behauptungen heben sich als widersprechend auf, wie bereits die Aussagen "Das Itzt ist die Nacht" und "itzt" ist Tag. Das Subjekt der Behauptung "Ich" wird von beiden behauptet. Es bleibt bestehen: "Was darin nicht verschwindet ist Ich als Allgemeines, dessen Sehen weder ein Sehen des Baumes noch diese Hauses, sondern ein einfaches Sehen iSt"[PhdG; S.73]. Das "Ich" zeigt sich damit auch als Allgemeines, als unabhängig von dem einzelnen "Ich", also auch als Beispiel des Wesens.

Die Betrachtung ist damit an den Punkt gelangt, wo sich erweist, dass alle Wörter, die benutzt wurden um etwas Bestimmtes aus der individuellen sinnlichen Gewissheit herauszugreifen, dies gar nicht leisten können: "Indem ich sage, dieses Hier, Itzt oder ein einzelnes, sage ich Alle diese, alle hier, itzt, einzelne" [PhdG;s.73]. Das Bewusstsein hat damit die dialektische Erfahrung gemacht, dass alles, was als individuelles Einzelnes angesprochen wurde, eigentlich etwas Allgemeines ist. Die Stationen dieser Erfahrung seien hier noch einmal anhand der Bestimmungen kurz aufgeführt:

a) "es ist" ="Dieser' und "Diese"

b) "Dieser" und "Diese" = "Einzelne"

c) "Diese" und "Dieser" = "hier" und "itzt"

d) "itzt" und "hier" = "Einfaches" und "Negatives"

e) "Einfaches" und "Negatives" = "Allgemein"

f) "Diese" und "Dieser" = ¬ Einzelne = Allgemeine

Das dialektische daran ist, dass "Dieser" und "Diese" anfangs ja auf einzelne Dinge bezogen wurden, es zeigte sich dann aber, dass der Bezug nur scheinbar ist, weil alle diese sprachlichen Ausdrücke "allgemein" sind. Das Paradox, dass sich der einzelne "Diese" als allgemein erweist, wird auch im nächsten Kapitel wiederkehren. Alle Elemente der sinnlichen Gewissheit erweisen sich als etwas "Allgemeines". Die ursprüngliche Gewissheit, "der einzelne weiß reines Dieses" [PhdG; S.70], erweist sich als falsch, denn das "Diese" ist kein Einzelnes, der "Dieser" auch nicht. Sinnliche Gewissheit selbst bezieht sich auf das Verhältnis des Einzelnen zu einer Sache, indem das Bewusstsein aber anfängt zu sprechen, wird dieses Verhältnis durchbrochen. Das Bewusstsein kann nur allgemeine Hinweise auf das "Diese" geben, obwohl es sich dessen als einzelnes Bewusstsein ganz gewiss ist.

Hier verweist Hegel nun auf die soziale Dimension der Erfahrung, so machen wir als einzelne Menschen eine individuelle Erfahrung, die wir selbst kontrollieren können: "Ich dieses behaupte also, das Hier als Baum, und wende mich nicht um, so daß mir das Hier zu einem Nicht-Baum würde." [PhdG;S.74]

Diese individuelle Erfahrung ist das für das individuelle Bewusstsein ganz Gewisse. Die Individualität der Erfahrung und die Gewissheit derselben heben sich auf, wenn das Bewusstsein darüber sprechen muss. Die individuelle Erfahrung kann nicht kommuniziert werden, sondern gegenüber dem anderen muss sie sprachlich aufgezeigt werden. Sie verliert damit ihre individuelle Gewissheit, denn Sprechen geht nicht anders als in allgemeinen Begriffen.

Jedes Bewusstsein, das etwas aufweisen will, benutzt dieselben Wörter dafür, und für jede Erfahrung eines jeden Bewusstseins treffen dieselben Wörter zu, damit transzendieren sie die individuelle Situation der Gewissheit. Somit zeigt die Sprache das Wahre der sinnlichen Gewissheit auf: "Die Sprache aber ist, wie wir sehen, das Wahrhaftere; in ihr widerlegen wir selbst unmittelbar unsere Meinung" [PhdG; S.72]. Denn: "Indem ich sage, dieses Hier, Itzt oder ein Einzelnes, sage ich alle diese, alle Hier, alle Itzt." [PhdG;s.73] Die Sprache, die notwendig auf Intersubjektivität angelegt ist, ist nicht in der Lage Individuelles zu bezeichnen, wie Hegel erläutert, denn "ein sogenanntes dieses Ding, oder einen diesen Menschen, zu deduzieren", scheitert daran, zu sagen, "welches dieses Ding oder welchen diesen Ich sie meine" [PhdG; S.73]. Das Wesen der sinnlichen Gewissheit ist also nicht die Kenntnis des Einzelnen, denn das Einzelne lässt sich nicht festhalten, sondern man muss "das Ganze der sinnlichen Gewissheit selbst als ihr Wesen setzen“ [PhdG, S.74].

Nur durch die Sprache ist das Bewusstsein fähig, sich auf das Einzelne und damit auf die Sinnlichkeit zu beziehen. Die Sprache ist aber nicht fähig, etwas als "wirkliche, absolut einzelne, ganz persönliche, individuelle Dinge" [PhdG; S.77] zu markieren. Man kann sich nur selbst, als Bewusstsein, einem einzelnen Ding gegenüber stellen und es "festhalten", indem man es ununterbrochen betrachtet. Durch diese äußerliche, physische Beziehung zwischen einem individuellen Ding und einem individuellen Ich wird "reine Unmittelbarkeit" hergestellt. Sobald das Bewusstsein jedoch den Versuch macht, das Bleibende, Wesentliche an dieser Beziehung sprachlich zu erfassen, verschwindet das Einzelne und nur eine allgemeine Eigenschaft, nämlich ein "Dieser" oder ein "Itzt" zu sein, bleibt übrig . Hegel erläutert diesen Gedanken an einem "Stück Papier, worauf ich dies schreibe" [PhdG; S.77]. Es bedürfte einer endlosen Beschreibung, um dieses Blatt Papier vor allen anderen Blättern als individuelles Papier auszuzeichnen. Auch nach modernen Grundsätzen, müsste man eine unendliche molekulare Beschreibung dieses Blattes erstellen und auch aller anderen Blätter, denn man müsste ja die Differenz zwischen diesem und allen anderen Blättern feststellen: "Unter dem wirklichen Versuche, es zu sagen, würde es daher vermodern" [PhdG; S.77].

Der Grund dafür ist, dass "das sinnliche Diese, das gemeint wird, der Sprache, die dem Bewusstsein, dem an sich Allgemeinen, angehört, unerreichbar ist" [PhdG; S.77]. Doch trotz der Allgemeinheit der Sprache, die das Instrument der Erkenntnis ist, bleibt die Erfahrung des einzelnen Bewusstseins individuell. Und dennoch geht aus dieser individuellen Erfahrung nur hervor, dass alles, was erkannt wird, etwas "Allgemeines" ist. Zugespitzt formuliert, kann der Einzelne im Denken und Sprechen kein Einzelner bleiben, denn die Sprache weist nur das Allgemeine auf, und kein Gegenstand und kein Bewusstsein kann diesen Umstand ändern, deshalb sind beide unwesentlich in Bezug auf die Wahrheit der sinnlichen Gewissheit:

"Die sinnliche Gewissheit erfährt also, dass ihr Wesen, weder in dem Gegenstande, noch in dem Ich...ist" [PhdG;S.73].

2.4 Die Bewegung der sinnlichen Gewissheit

Hegels bisherige Ausführungen hatten ergeben, dass sich die individuelle Gewissheit nicht als solche aufzeigen lässt. Das einzelne Individuum besitzt zwar "sinnliche Gewissheit", aber diese besteht in einem Zustand, der sich nicht versprachlichen lässt, denn die Sprache kennt nur das Allgemeine. Somit kommt der Sprache die Funktion des Aufzeigens zu, die den Inhalt des individuell Gewissen intersubjektiv verfügbar machen muss. Das "itzt" im Bewusstsein kann nicht kommuniziert werden, sondern nur aufgezeigt werden: "Zeigen müssen wir es uns lassen, denn die Wahrheit dieser unmittelbaren Beziehung ist die Wahrheit dieses Ich" [PhdG; S.74]. Nur durch die Sprache kann ein anderes "Ich" an dieser Erfahrung teilhaben und sie nachvollziehen, denn ohne Kommunikation bleibt jedes "Ich" auf seine individuelle Gewissheit beschränkt: "Ich, dieses sehe den Baum und behaupte den Baum als das Hier; ein anderer sieht aber das Haus" [PhdG; S.73].

Die "Erfahrung", dass das Individuelle sich nicht versprachlichen lässt, wurde bislang aus einer externen Perspektive geschildert. Unter der Voraussetzung, das sich das "Ich" sprachlich betätigen muss, um überhaupt etwas von sich selbst und der Welt wissen und erfahren zu können, ließ Hegel das "Ich" einige Setzungen vornehmen und zeigte daran die Dialektik von Sprache und Welt.

Dabei wurde geschildert wie das "Ich" von bestimmten Thesen zu anderen Thesen überging, also etwa von der Setzung "Dieser" ="Der Einzelne" zu der Setzung "Dieser" ="Allgemein". Als Grund dieser Wissensveränderung nannte Hegel die der Sprache immanente Wahrheit.

Aber es scheint klar, dass diese Begründung nur aus der Metaperspektive des Betrachters zulässig ist. Hegel hat also den eigentlichen Vorgang der Erfahrung noch gar nicht dargestellt.

Hegel stellt den Vorgang der Erfahrung gesondert dar (PhdG; S.75), und dabei schildert er nicht den ganzen Vorgang der Erfahrung vom "es ist" zur Erkenntnis des Allgemeinen, sondern nur die Weise, wie ein "Ich" erkennt, dass das "Itzt" ein Allgemeines ist. Dabei ist die Grundlage, dass das "Itzt" im Sinne eines Namens für ein Einzelding, einen bestimmten Augenblick benutzt werden soll.

Hegel will hier exemplarisch zeigen, wie sich in der Erfahrung die bestimmte Negation einer Sache ergibt. Die bestimmte Negation erbringt das Gegenteil dessen, was vorher behauptet wurde. Die Situation dieser Erfahrung wird so dargestellt, dass "wir" als Betrachter zu einem "Ich" hinzutreten und uns dessen sinnliche Gewissheit aufzeigen lassen bzw. das, was "itzt" ist. Vorher hatte Hegel den Aufweis der Allgemeinheit des "Itzt" als Experiment dargestellt. Nun wird das Aufzeigen des "Itzt" als "Bewegung" gezeigt, denn nach Hegel ist die Erfahrung eine geistige Bewegung, bei der sich der Begriff verändert.

Das Wort "Bewegung" diente Hegel bereits in der Einleitung dazu, den Vorgang der Erfahrung zu beschreiben. Hegel fasst nun diese "Bewegung" zusammen:

a) "Ich zeige das Itzt auf, es ist als das Wahre behauptet“ [PhdG, S.75]

Dies ist der anfängliche Zustand des Wissens, bei dem etwas behauptet wird, was der Welt entspricht, also:

A'(x) = A(x) bzw. Itzt' = Itzt

b) "Ich zeige es [itzt] aber als gewesenes oder als aufgehobenes, hebe die erste Wahrheit auf und...ltzt behaupte ich als die zweite Wahrheit,daß es gewesen, aufgehoben ist" [PhdG,S.75]. nach PhdG, S.80 bedeutet "aufheben": "ist also gesetzt als nicht dieses". Das Itzt und die ihm entsprechende Situation muss also negiert werden:

¬A'(x) = ¬A(x) bzw. ¬Itzt' = ¬Itzt

c) "Aber das Gewesene ist nicht; Ich...negiere damit die Negation des Itzt" [PhdG,S;75], also:

¬¬A'(x) = B(x) bzw. ¬¬Itzt'= Itzt²

d) "...und kehre so zur ersten Behauptung zurück; daß Itzt ist" [PhdG, S.75]. Aus der Negation der Negation soll sich das neue Wissen ergeben, also gilt zwar "Itzt", aber ein anderes "Itzt":

B'(x) = B(x) bzw. ltzt² = Itz²

Dass das neu behauptete Itzt nicht identisch mit dem ersten "Itzt" ist, erläutert Hegel selbst: "es wird dieses gesetzt, es wird aber...aufgehoben: und dieses Anderssein oder Aufheben des Ersten wird selbst wieder aufgehoben und so zu dem ersten zurückgekehrt. Aber dieses in sich reflektierte Erste ist nicht genau dasselbe, was es zuerst... war." [PhdG,S.75] Das Wort "Itzt" bleibt intensional gleich, es wird immer "itzt" gesagt zu jedem Zeitpunkt, doch der Zeitpunkt, der durch das erste "itzt" bezeichnet wurde ist vergangen, nicht- seiend. Dass durch das Beispiel nicht nur die Vergänglichkeit von Zeitpunkten erwiesen werden soll, zeigt der weitere Text: Auch das "Hier" bezeichnet nichts Festes, sondern nur eine Relation im Raum, die sich ständig ändert. Denn der mit "hier' bezeichnete Raumpunkt ist je nach Ort des Betrachters ein anderer, "ein Vorn und Hinten, ein Oben und Unten, ein Rechts und Links" [PhdG.S.73].

Trotzdem vermittelt die Erfahrung auch einen Begriff der Zeit, denn das "Ich" erkennt durch die Bewegung, dass Zeit eine Abfolge von Zeitpunkten ist. Hegel zeigt damit, dass der Begriff der Zeit keine Anschauungsform ist, sondern einer Erfahrung entspringt. In der "Bewegung" erfährt das "Ich", dass jedes .Jtzt" unwiederbringlich vergänglich ist, sofern man das "Itzt" als bestimmt, das heißt bezogen auf einen genauen Zeitpunkt ansieht. Der Zeitpunkt "itzt" ist seiend im Moment, wo "itzt" behauptet wird, aber schon in der nächsten Sekunde ist er vorbei, das behauptete "Itzt" ist also nicht mehr. Stattdessen ist wiederum "itzt", aber ein anderes Itzt. Wiederholt man diese Bewegung mehrmals, so zeigt sich das "Itzt" als das, "was es ist; ein Itzt, welches absolut viele Itzt ist; und dies ist das wahrhafte Itzt; das Itzt als einfacher Tag, das viele Itzt in sich hat, Stunden“ [PhdG, S.75].Es ergibt sich damit, dass das, worauf das "itzt" angewendet wird, der Begriff der Zeitfolge ist. Die Zeit muss also nicht als Anschauungsform vorausgesetzt werden, sondern erschließt sich dem "Ich" durch einen einfachen Versuch mit dem indexikalischen Ausdruck "itzt". Ebenso ist es mit dem Raum, der als Nebeneinander vieler verschiedener "Hier" erfasst wird. Die Erfahrung des "Itzt" ist nur ein Beispiel für die Erfahrung, die das Bewusstsein insgesamt macht. Denn zuerst setzte das Bewusstsein den Gegenstand als Einzelnen, nun "erfährt" es, dass das Einzelne eigentlich Allgemein ist. Die obige Erfahrung dient nicht zum Beweis der trivialen Tatsache, dass ein Zeitpunkt verschieden von einem anderen Zeitpunkt ist, sondern es soll gezeigt werden das ein Wort, das extensional und intensional dazu eingesetzt werden soll eine individuelle Tatsache zu bezeichnen, dies nicht leisten kann, sondern das dieses Wort "itzt", so wie jedes andere Wort, nur allgemeine Inhalte vermittelt. Das "itzt" erbringt das Gegenteil dessen, was es bringen sollte, denn es bezeichnet nicht den Augenblick, sondern alle Elemente der unendlich ablaufenden Zeit. "Itzt" bezeichnet jeden Zeitpunkt, aber nicht den einzelnen den man damit zu bezeichnen meint. Hier kommt auch zum ersten Mal das Moment des Widerspruchs zur Geltung, denn das Einzelne ist das Gegenteil des Allgemeinen. Durch die Erfahrung zeigt sich jedoch im Einzelnen "itzt" das Gegenteil dieses Einzelnen, das Allgemeine. Nimmt man das in der Einleitung gegebene Erfahrungsschema und setzt als "Wissen" den Begriff des "Einzelnen Gegenstandes" (E(g)) ein, so ergibt die bestimmte Negation des Einzelnen das Allgemeine.

a) A'(x) =A(x) E(g) =E(g)

b) ¬A'(x) = ¬A(x) ¬ E(g) = ¬E(g)

c) ¬¬ A'(x) = B(x) ¬¬ E'(g) = A(g)

d) B'(x) = B(x) A(g) = A(g)

So zeigte die Erfahrung des "Itzt", dass das Einzelne, das einzelne "Itzt" wie der einzelne Gegenstand, gar nicht einzeln ist, und daher muss dieses Wissen negiert werden. Da aber die Negation nicht Nichts ergibt, so erhält man als Ergebnis, dass der Gegenstand Allgemein (= A(g)) ist. Dies ist die Grunderfahrung des ersten Kapitels: Die Dinge, die sich als Einzelne zeigen, sind nicht einzeln, sondern im Gegenteil allgemein.

Im folgenden Kapitel wird dieser Zusammenhang zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen deutlicher hervorgehoben. Das Allgemeine wiederum zeigt sich nun als die bestimmte Negation des Einzelnen. So zeigt sich, dass der Sprecher, der "Itzt" sagt, eine falsche Auffassung von der Intension des Wortes besitzt, denn es sollte ja das Individuelle damit bezeichnet werden. Intension und Extension, Begriff und Gegenstand müssen sich aber entsprechen und die obige Erfahrung zeigt, dass jeder Zeitpunkt "itzt" ist, dass alsodie Intension des Wortes "itzt" so allgemein ist, dass es auf alle Zeitpunkte passt.

2.5 Die Nichtigkeit der individuellen Dinge

Die eben dargestellte Bewegung erweist nun zweierlei, einmal das Raum und Zeit Erfahrungsbegriffe sind, und zum anderen dass die "Erfahrung", wie Hegel sie versteht, nicht auf individuellen Dingen beruht, sondern auf Sprache: "Die Sprache aber ist,..., das Wahrhaftere“ [PhdG, S.71]

In der Sprache ist es aber nicht möglich, etwas einzelnes bestimmtes auszusagen, und daraus ergibt sich die "Wahrheit" der sinnlichen Gewissheit, dass nämlich das, was zuerst in einer "reinen Beziehung" als gewiss und wahrhaft erscheint, nichtig ist: "Wird von etwas weiter nichts gesagt, als dass es ein wirkliches Ding...ist, so ist es nur als das Allerallgemeinste"[PhdG;S.78]. Die individuelle Gewissheit, die reine Beziehung, wie Hegel sie schildert, besteht zwar darin, dass ein individuelles Bewusstsein sich eines individuellen Gegenstandes ganz gewiss ist, aber der gewusste Gegenstand lässt sich nur als "Diese" aufzeigen und wird damit zu einem Allgemeinen. Von allgemeinen Gegenständen gibt es aber keine individuelle sinnliche Gewissheit. Die individuellen Eindrücke der sinnlichen Gewissheit erweisen sich, indem das Bewusstsein versucht, sie sprachlich festzuhalten, als etwas Allgemeines:

"Will ich aber dem Sprechen, ..., dadurch nachhelfen, dass ich dies Stück Papier. aufzeige [oder das "itzt" aufzeige], so mache ich die Erfahrung, was die Wahrheit der sinnlichen Gewissheit in der Tat ist; ich zeige es auf, als ein Hier, das…ein Allgemeines ist;" [PhdG;S.78].

Das Wissen um Ausdrücke wie "Itzt", "hier", "Dieser", "Dieses" usw. geht also aus einer Erfahrung hervor, aber nicht aus der Erfahrung "äußerer Gegenstände", genommen als "einzelne, ganz persönliche, individuelle Dinge" [PhdG:S.77), sondern aus der Erfahrung, dass die Sprache gegenüber den Einzeltatsachen der Welt gleichgültig ist. Durch den sprachlichen Umgang mit der Welt erkennt das Bewusstsein den "Unterschied des Wesens und des Beispiels, der Unmittelbarkeit und der Vermittlung" [PhdG,S;70]. Jedes sprachlich explizierte "Diese" oder "Itzt" ist nur ein Beispiel des Allgemeinen. Das einzelne Beispiel, also die singuläre Tatsache, zeigt sich "unvermittelt" in der Sinnlichkeit, aber durch die Erfahrung, dass alles als "Diese", "Itzt", "Hier" usw. bezeichnet werden kann, wird dem Bewusstsein "vermittelt", dass die eigentliche Wahrheit das Allgemeine ist: "das sinnliche Diese, das gemeint wird, [ist] der Sprache, ..., unerreichbar" [PhdG;S.77]. Damit ist aber nicht nur etwas über Sprache gesagt, sondern auch über "wirkliche, absolut einzelne, ganz persönliche, individuelle Dinge" [PhdG,S.77], denn die Argumentation dieses Kapitels soll auch zu der "Gewissheit ihrer Nichtigkeit" [PhdG,S.77] führen, wie sie selbst die Tiere besitzen.

Da das Unmittelbare der sinnlichen Gewissheit nicht auf die sprachliche Ebene gelangen kann, ist damit bewiesen, dass Sinnlichkeit nicht die Quelle des Wissens ist. Hegel hat damit ein entscheidendes Argument gegen den Empirismus entwickelt und darüber hinaus auch noch versucht zu zeigen, dass dieses Argument in der Erfahrung überprüfbar ist. Damit würde der Empirismus, die Philosophie der Erfahrung, durch eine Erfahrung widerlegt. Das noch zu diskutierende Problem ist aber, dass die Empiristen eine andere Auffassung von Sprache haben als Hegel, und die Auffassung der Sprache ist in Hegels Argumentation das Entscheidende.

2.6 Diskussion

Hegel beschreibt in der "Sinnlichen Gewissheit" einmal eine Art Grundzustand des Bewusstseins, in dem es hauptsächlich auf äußere Dinge bzw. auf seine Sinnlichkeit bezogen ist. In der Sinnlichkeit treten einzelne, individuelle Dinge hervor, die dem einzelnen Bewusstsein als unmittelbar gewiss erscheinen. Mit Hilfe der inhaltlich am wenigsten bestimmten Wörter, nämlich der bestimmten Artikel und indexikalischen Ausdrücke, zeigt Hegel, dass der scheinbar reiche Inhalt der Sinnlichkeit nicht Gegenstand des Wissens sein kann, weil die Sprache diese Inhalte nicht ausdrücken kann. Neben diesem Argumentationsstrang finden sich auch Anklänge an den Versuch, Raum und Zeit als Erfahrungsbegriffe aufzuzeigen, und damit der kantischen Auffassung der Anschauungsformen entgegenzutreten. Der Begriff der "Erfahrung" steht dabei vermittelnd zwischen Sprache und Sinnlichkeit, denn der Versuch, eine individuelle Tatsache zu erfassen, endet mit der "Erfahrung", dass alles Wissen sprachlich und daher allgemein ist.

Hegel scheint damit ein Argument gegen den auf sinnlicher Gewissheit basierenden Empirismus gefunden zu haben, der "meint", sich auf einzelne Tatsachen beziehen zu können. Der Untertitel des Kapitels "Das Diese und das Meinen" deutet darauf hin, dass die individuelle Tatsache nur in der individuellen Meinung Bestand hat, letztendlich jedoch nur das Allgemeine als "Wahrheit" gelten kann. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung Hegels mit dem Empirismus steht jedoch eine bestimmte Sprachauffassung. Für Hegel zeigt die Sprache nur das Allgemeine und genau darin widersprechen ihm die Empiristen. Daher soll hier zuerst gezeigt werden, was Empiristen über Sprache denken und als Beispiel soll Locke dienen, der die empiristische Sprachtheorie begründet hat. Danach soll besprochen werden, wie Hegel seine entgegengesetzte Auffassung begründet.

Für Locke steht die einzelne "sinnliche Gewissheit" am Ursprung jeder intellektuellen Tätigkeit, denn sie ist die Quelle der "ideas": "First, our senses,..., do convey into the mind several distinct perceptions of things. And thus we come by those ideas we have of yellow,white, heat, cold, soft"12. Für Locke steht fest, dass die Quelle dieser Ideen "wirkliche, absolut einzelne, ganz persönliche, individuelle Dinge" [PhdG; S.77] sind, wie Hegel sie beschreibt.

Folgt man nun Locke weiter, so ergeben sich alle allgemeineren Ausdrücke aus Kombinationen dieser Ideen: "The acts of the mind... are chiefly these three:

1) Combining several simple ideas into compound one; and thus all complex ideas are made.

2)...bringing two ideas together...; by which way ist gets all ist ideas of relations.

3) The third is seperating them from all other ideas...this is called abstraction."13

Dabei werden nach der Konzeption Lockes einzelne "simple ideas", also Qualitäten, zu "complex ideas" zusammengefügt. Alle Ideen setzen sich aus den einfacheren Ideen zusammen, also der Gegenstand "Baum" etwa aus den Ideen: grün, hart, groß, etc.

Der Nachfolger Lockes, David Hume, hat das Prinzip, dass unser Wissen aus Kombinationen von Sinneseindrücken entsteht, sehr kritisch untersucht. Die Problematik ist nun, dass nach Hume der Vorgang des Kombinierens von Sinneseindrücken eine gewisse Beliebigkeit besitzt. Wir müssen diese Ideen kombinieren, um überhaupt etwas wahrzunehmen. Aber die Wahrnehmung beschränkt sich auf einzelne "ideas". Die

Zusammensetzung einzelner Ideen zu einer komplexen Idee muss daher durch Erfahrung

gerechtfertigt werden: "What is the foundation of all our reasonings ...? it may be replied in one word, experience What is the foundation of all conclusions from experience ?”14 Was, so Hume, stützt nun eine Erfahrung, beispielsweise die Erfahrung , dass alle Bäume Blätter haben?

Nach Hume stützt sich die Erfahrung auf Analogien: ''[...] I have found that such an object has always been attended with such an effect, and I foresee, that other objects, which are, in appearance, similar, will be attended with similar effects 1desire you to produce that reasoning. The connexion between these propositions is not intuitive.”15 Der erste Satz bezieht sich auf eine individuelle Beobachtung, der zweite ist eine Generalisierung, die besagt, dass sich alle Objekte einer Art so verhalten, wie man es an einem Objekt dieser Art gesehen hat. Für Hume ist das aber kein valider Schluss: "If I ask why you believe any particular matter of fact, which you relate, you must tell me some reason; and this reason will be some other fact. But as you cannot proceed after this manner in infinitum, you must at least terminate in some fact.or you must allow that your belief is entirely without foundation.”16

Nach Hume begründet man jede Aussage mit dem Verweis auf ein Faktum, also etwa die Aussage "Alle Bäume haben Blätter" mit dem Hinweis, dass irgendwelche Bäume, die man sieht, Blätter haben.

Das ist nun das Induktionsproblem Humes: Egal wie viele Einzeltatsachen eine bestimmte Idee oder Aussage stützen, so ist die Wahrheit höchstens wahrscheinlich, aber nie gesichert. Was für Aussagen gilt, gilt nach Hume auch für Begriffe, alle Begriffe wie "Kausalität", "Mensch" usw. haben keine absolute Begründung. Sie sind "effects of custom“17, denn da eine absolute Begründung dieser Begriffe nichtmöglich ist, besteht die Grundlage ihrer Verwendung aus "Gewöhnung".

Dieses erkenntnistheoretische Problem mit allgemeinen Aussagen bzw. allgemeinen Begriffen, wirkt sich nun auch in der Sprache aus. Denn nach Locke sind Worte nur Namen für Ideen: "words, in their primary or immediate signification, stand for nothing but the ideas in the mind.,,25 Dies hat zur Folge, dass für Empiristen die von Hegel postulierte Allgemeinheit der Sprache nur scheinbar ist, denn jeder referiert mit seinen Worten auf etwas Individuelles, nämlich auf die Ideen in seinem eigenen Bewusstsein. So wendet sich Locke gegen die Auffassung, dass Worte irgendetwas anderes bezeichnen als die individuellen Ideen im Kopf des Sprechers: "it is a perverting the use of words ...whenever we make them stand for anything but those ideas we have in our own mind.”18

Aber nicht nur die Allgemeinheit der Sprache ist für die Empiristen scheinbar, sondern vor allem die von Hegel postulierte "Wahrhaftigkeit", denn wie das Induktionsproblem zeigt, sind allgemeine Aussagen und Begriffe nur so "wahrhaft" wie die ihnen zugrunde liegenden Ideen. Die allgemeinen Ideen sind aber nach Hume nur Produkt der Gewöhnung. Die Empiristen würden Hegel also entgegenhalten, dass er eine falsche Auffassung von Sprache hat, denn Worte referieren nur auf Ideen, und Ideen sind individuell.

Nun wendet sich Hegel einmal gegen die Auffassung, dass Wörter auf individuelle Ideen referieren. Denn die exemplarischen Sprecher in diesem Kapitel versuchen, das "Hier" als "Baum" oder als "Haus" zu bestimmen, es also auf ihren jeweiligen Bewusstseinsinhalt zu beziehen, aber das "Hier" erweist sich weder als "Haus" noch als "Baum", sondern als "Allgemeines" und damit als unabhängig von Bewusstseinsinhalten. Hegels Argumentation geht noch darüber hinaus, denn der Empirismus behauptet ja, dass die Ideen sich von irgendwelchen realen physikalischen Objekten herleiten. Die Eigenschaften realer Objekte sind die Ursache der "ideas".

Hegel zeigt nun an dem Beispiel des "Papiers", dass auch der reale physikalische Gegenstand nicht das Referenzobjekt des Wortes sein kann. Hegel fordert den Leser oder einen imaginären Gesprächspartner auf, zu zeigen, worauf der Ausdruck "dieses Stück Papier" referiert: "Sie meinen dieses Stück Papier, worauf ich dies schreibe"[ PhdG,S.78]. Das fragliche Stück Papier existiert im Sinne des Empirismus also einmal als reales Objekt, zum anderen ist es auch als "Idee" dem Bewusstsein Hegels präsent. Hume oder Locke würden also zugeben, dass Hegel durch den Ausdruck "dieses Stück Papier" tatsächlich auf eben dieses Stück Papier referiert.

Hegel erwidert darauf:

"Wenn sie wirklich dieses Stück Papier, das sie meinen, sagen wollten und sie wollten sagen, so ist dies unmöglich, weil das sinnliche Diese, das gemeint wird...,der Sprache, dem an sich Allgemeinen, angehört, unerreichbar ist" [PhdG;S.77].

Dies ist der erste Grund, warum man mit Wörtern nicht auf einzelne Objekte referieren kann, denn Gegenstände sind individuell, Wörter nur allgemein. Es besteht also ein kategorischer Unterschied. Dieser Unterschied kann nur subjektiv überwunden werden, nämlich durch das "Meinen" des Sprechers. Im "Meinen" bezieht ein Sprecher seine Worte auf individuelle Objekte und "meint" dann, genau diese bezeichnet zu haben. Hegel erläutert, dass der Sprecher dann aber in Wahrheit etwas Allgemeines gesagt hat, was mit den individuellen Umständen, die der Sprecher meinte, gar nichts zu tun hat. Nach Hegel ist die Sprache also das Allgemeine und bezieht sich daher weder auf einzelne Ideen noch auf einzelne Objekte. Da Hegel die Allgemeinheit der Sprache nur negativ aufweist, denn er zeigt nur, dass

das Bemühen, einen einzelnen Gegenstand sprachlich zu erfassen sinnlos ist, bleibt unklar worauf nach Hegels Meinung Wörter referieren, denn es wird nicht erklärt, was das "Allgemeine" selbst wieder ist. In dem Beispiel mit dem "Papier" erläutert Hegel nur, dass "alles und jedes Papier, ein dieses Stück Papier“ [PhdG, S.78] ist.

Dies legt nahe, anzunehmen, dass "Papier" auf die Idee oder den Begriff des Papiers referiert, und dass diese Referenz unabhängig ist von irgendeinem realen Papier. Deutlich wird Hegel nur in seiner Ablehnung der Auffassung, dass Sprache und die Wahrheit der Sprache in irgendeiner Verbindung mit physikalischen Objekten steht. Hegel gibt noch einen zweiten Grund an, warum Sprache und Einzeltatsache getrennt zu betrachten sind. Dieser Grund zeigt sich in der "Bewegung" der Erfahrung. Im Kapitel "Sinnliche Gewissheit" wird nur eine Erfahrung in dem Sinne, wie Hegel sie definierte, dargestellt. Diese Erfahrung bezieht sich auf den Umgang mit dem Zeitindex "Itzt". Es sieht auf den ersten Blick so aus, als ob eine Erfahrung mit diesem Wort nicht unbedingt auf die ganze Sprache übertragbar ist, denn "itzt" ist ein inhaltsarmes Wort. Gleichzeitig bedient sich Hegel l dieses Wortes, da es scheinbar auf reale physikalische Sachverhalte angewendet wird.

Die "Bewegung" der Erfahrung besteht nun darin, das "Itzt" aufzuzeigen, also die Tatsache, auf die das Wort referiert, einem anderen "Ich" zu zeigen. Das Resultat dieser Erfahrung war, dass das fragliche "Itzt" nur als Nicht-Seiendes aufgezeigt werden konnte, und statt diesem "Izt" nun ein anderes, "reflektiertes" "Itzt" gilt. Es ist nun von vornherein klar, dass Zeit vergänglich ist, aber das ist wohl nicht die These, die Hegel damit beweisen wollte. Das zeigt der Vergleich mit dem Beispiel des "Papiers", denn dort wird gesagt: "Sie meinen also wohl dieses Stück Papier, das hier ein ganz anderes als das obige ist"[PhdG, S.78].

Das Stück Papier scheint für Hegel demnach genauso vergänglich zu sein wie das "Itzt". Dem Vergleich ist also zu entnehmen, dass Hegel alle "äußern Dinge" in einer Weise als vergänglich anzusehen scheint, wie es Platon oder Heraklit taten. Denn das Papier ist ein anderes in jeder Sekunde. Dies wiederum kann begründen, warum Hegel als prominentestes Beispiel der sprachlichen Erfahrung immer wieder das "Itzt" anführt. Das "Itzt" ist eine Seinsweise des "Diesen", denn alle Dinge sind zeitlich, die Zeit ist vergänglich und genauso schnell wie die Zeit verändern sich auch die physikalischen Objekte.

Hegel stellt das Verhältnis von Sprache und Welt also so dar, dass sich die Sprache gar nicht auf einzelne Gegenstände beziehen kann, weil diese in der Zeit "verfließen". Die Sprache kann daher nur das Allgemeine fassen und bezieht sich auch nur auf das Allgemeine. Demgegenüber steht die Meinung des einzelnen Sprechers, der glaubt, mit seinen Worten auf bestimmte Tatsachen zu referieren. Hegel wendet sich in diesem Zusammenhang direkt gegen Hume, der sich selbst ja als Skeptiker bezeichnete:

"Es ist daher zu verwundern, wenn gegen diese Erfahrung, als allgemeine Erfahrung, auch als philosophische Behauptung, und gar als Resultat des Skeptizismus aufgestellt wird, die Realität oder das Sein von äußeren Dingen als diesen, oder sinnlichen, habe absolute Wahrheit für das Bewusstsein" [PhdG,s.76].

Hegel selbst betrachtet die von ihm gezogene Schlussfolgerung als Resultat einer Erfahrung, während sich Hume oder Locke gar nicht auf Erfahrung berufen können, denn diese zeigt ja nur, dass alles Sprechen "allgemein" ist. Hegel argumentiert also gegenüber den Empiristen, dass sie sich sprachlich nicht auf "ideas" beziehen können, weil es unmöglich ist, anzugeben, von welchem Objekt die Idee herrühren soll. Denn das Objekt ist vergänglich und damit auch die "idea". Die Sprache ist daher nicht deshalb allgemein, weil jeder Sprecher sie auf seine eigenen Ideen beziehen können muss, sondern sie ist allgemein, weil sich einzelne Tatsachen nicht als Referenzobjekte für Sprache eignen. Diese Sprachauffassung Hegels rückt auch das Induktionsproblem Humes in ein anderes Licht. Denn Hume geht davon aus, dass allgemeine Sätze wie "Alle Schwäne sind Vögel" dadurch begründet werden, dass der Sprecher viele Schwäne und viele Vögel untersucht hat und mit dieser Aussage seine "Erfahrung" zusammenfasst. Für Hegel haben reale Einzeldinge aber gar keinen Einfluss auf allgemeine Aussagen, denn es wurde ja gezeigt, dass das einzelne Stück Papier sprachlich nicht fassbar ist, dass man also nur von dem allgemeinen Begriff Papier weiß. Um bei dem obigen Beispiel zu bleiben, sind einzelne Vögel oder Schwäne dem Bewusstsein nicht fassbar, alles was dabei erkannt werden kann ist Allgemein.

Egal wie viele Schwäne etwa ein Bewusstsein betrachtet, es sieht nur allgemein einen "Schwan", der einzelne Schwan trägt zur Erkenntnis nichts bei, es gibt daher auch gar keine Induktion. Die Idee der Induktion beruht nach den hegeIschen Ausführungen auf einem Irrtum, nämlich dem Irrtum zu glauben, inidividuelle Dinge hätten eine Bedeutung für das Bewusstsein bzw. seien für das Bewusstsein überhaupt sprachlich und kognitiv fassbar.

Für Hegel ist "Erfahrung", wie er sie in der "Sinnlichen Gewissheit", aber auch in den nächsten zwei Kapiteln darstellt, vor allem sprachlogische Erfahrung. Erfahrung heißt daher nicht, empirisch zu überprüfen, ob eine bestimmte Aussage zutrifft oder nicht, sondern zu erfahren, wie über die Welt gesprochen werden kann, und in welchem Verhältnis die Dinge zur Sprache stehen. Nach Hegel kann nur das Inhalt einer Erfahrung sein, worüber man sprechen kann, denn die Sprache vermittelt das Verhältnis von Bewusstsein und Welt. Mit dem Mittel der Sprache erfuhr das Bewusstsein, dass das, was als Einzelnes erschien, sein Gegenteil, nämlich eigentlich das Allgemeine ist. Das Allgemeine ist die bestimmte Negation des Einzelnen. Indem das Bewusstsein versuchte, sein Wissen um das Einzelne zu verifizieren, erfuhr es, dass das Gegenteil der Fall ist, nämlich dass die Dinge Allgemein sind. Die eigentliche Erfahrung des Bewusstseins ist damit, dass, was das Empirische auszumachen scheint, dessen individuelle Präsenz, sprachlich nicht ausgedrückt werden kann, sondern nur das Gegenteil dieser individuellen Präsenz, das Allgemeine. Die Sprache bezieht sich also nicht auf das Individuelle und es ist sinnlos, als einzelnes Bewusstsein zu versuchen, das Individuelle sprachlich festzuhalten.

2.7 Sprache und Vernunft

Hegel hat nun dargelegt, dass die Sprache nur das Allgemeine ausdrückt, und Wörter somit auf Begriffe und nicht auf Gegenstände referieren. Was nun eigentlich dafür sorgt, dass Sprache auf die Welt zutrifft, wenn die physikalische Welt dafür keine Bedeutung hat, deutet Hegel nur kurz an, mit der Bemerkung über die "göttliche Natur" des Sprechens. Daher soll hier kurz auf Johann Georg Hamann und seine Sprachphilosophie eingegangen werden.

Die Frage über die "göttliche Natur" der Sprache wurde bereits zur Zeit Kants heftig diskutiert. Neben Hamann und seinem engen Freund Herder bemühten sich Philosophen wie Maupertius und Süßmilch um die Klärung der Frage, was der Ursprung der Sprache sei19. Im Kern der Auseinandersetzung stand die These, dass ohne Sprache Denken und damit Vernunft, unmöglich sei.

Wie oben ausgeführt, verneinen die Empiristen und mit ihnen die meisten Aufklärer diesen Zusammenhang. Für den durch ein mystisches Ereignis wiedererweckten Christen Hamann wurde diese Diskussion der Ansatzpunkt zu einer Kritik der kantischen Philosophie, denn Kant thematisiert die Sprache gar nicht, was darauf hinweist, dass er die empiristische Sprachphilosophie für richtig hielt.

Hegel hat später die erste Gesamtausgabe Hamanns in den "Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik" rezensiert, da er auch mit dem Herausgeber der Hamannschen Schriften, Friedrich Roth befreundet war. Unter den Schriften Hamanns ist in diesem Zusammenhang die "Metakritik über den Purismum der reinen Vernunft" zu erwähnen, die Hegel so vorstellt:

"Der andere Fall, dessen wir noch erwähnen wollen, wo Hamann sich auf Gedanken einlässt, kommt in dem Aufsatze gegen Kant, die Metakritik über den Purismen der reinen Vernunft, vor, nur sieben Blätter, aber sehr merkwürdig. [...] Hamann stellt sich in die Mitte des Problems der Vernunft, und trägt die Auflösung desselben vor; er fasst diese aber in Gestalt der Sprache.“20 Hamann erklärt dort, dass alle Leistungen der Vernunft, die Kant durch Anschauungsformen, Begriffe apriori usw. begründen will, einfach durch die Sprache erklärt werden können.

So sind etwa die Anschauungsformen überflüssig, denn "die älteste Sprache war Musik und...das Urbild alles Zeitmaßes.“21 Ebenso greift er Kants Trennung von Sinnlichkeit und Verstand an, da beides in der Sprache verbunden sei. Auch das Denken begründet sich durch die Sprache und nicht durch die Logik der Begriffe: "Bleibt es also noch die Hauptfrage: wie das Vermögen zu denken möglich sei...so braucht es keiner Deduktion die genealogische Priorität der Sprache vor den sieben heiligen Funktionen logischer Sätze und Schlüsse...zu beweisen“.22

Letztendlich ist also nach Hamann die ganze Vernunft und das ganze Denken in der Sprache begründet, neben der keine Begriffe, Anschauungsformen usw. existieren können:

"Wörter haben also ein ästhetisches und logisches Vermögen. Als sichtliche und lautbare Gegenstände gehören sie mit ihren Elementen zur Sinnlichkeit. .., aber nach dem Geist ihrer Einsetzung und Bedeutung zum Verstand und Begriffen. Folglich sind Wörter sowohl reine und empirische Anschauungen, als auch reine und empirische Begriffe.“23 Hegel scheint, so wie er die Erfahrung des Bewusstseins schildert, eine ähnliche Auffassung zu haben, denn Zeit und Raum sind für ihn keine Begriffe, sondern werden im Umgang mit den Wörtern "itzt" und "hier" erfahren. Aber für Hamann ist klar, dass die Sprache nur dann als Erkenntnisinstrument dienen kann, wenn sie nicht menschlichen Ursprungs ist und nur Bezeichnungssystem für "ideas".

Für Hamann ist die Sprache ein Werk und Geschenk Gottes, die Grundlage der Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott: "Adam war also Gottes; und Gott selbst führte den Erstgeborenen ... ein als den Lehnträger und Erben der durch das Wort seines [Gottes] Mundes fertigen Welt. [...] Jede Erscheinung der Natur war ein Wort, - das Zeichen, Sinnbild und Unterpfand einer neuen, geheimen, unaussprechlichen, aber desto innigeren Vereinigung, Mitteilung ...göttlicher Ideen und Energien. Alles, was der Mensch am Anfange hörte, mit Augen sah...war ein lebendiges Wort; denn Gott war das Wort.“24 Da die Welt das Produkt göttlicher Worte ist, ist Sprechen ein "Rückübersetzen" der Welt in Worte: "Reden ist übersetzen - aus einer Engelssprache in eine Menschensprache, das heißt Gedanken in Worte, Sachen in Namen, Bilder in Zeichen….“25

Hegel sieht in der Sprache ebenfalls eine eigenständige Quelle der Erkenntnis, denn der Mensch bzw. das Bewusstsein erkennt durch die Sprache die Nichtigkeit der realen Tatsachen.

Die Sprache zeigt also mehr über die Welt als die Sinne. Hegels Sprachauffassung scheint daher der Hamanns sehr nahe zu kommen. Das Verhältnis Hamann und Hegel kann hier nicht aufgeklärt werden. Hamann hat jedoch, neben seinem Freund Herder, den entscheidenden Anstoß gegeben, der Sprache bei der Betrachtung des menschlichen Denkens eine größere Rolle zu geben als bisher.

Denn die meisten Philosophen der Neuzeit, wie Bacon, Descartes, Locke und Hume, machten die Sprache hauptsächlich als Quelle von Irrtümern aus.

Die Romantik, die Zeit Hegels, hat die Ideen Hamanns dankbar aufgegriffen, wie sich nicht nur in dem Interesse an Volkssprachen, nicht-europäischen Sprachen und alten Sprache zeigt, dass damals aufblühte. Hegel entwickelte seine Philosophie also in einer Zeit als man in der Sprache bereits mehr sah, als nur ein Bezeichnungssystem für "ideas". In diesem Zusammenhang ließe sich verstehen, warum Hegel der Sprache eine "göttliche" Bedeutung zumisst, ohne dies ausführlich zu begründen.

Denn Hegel ist der erste, der aus der Betrachtung von Wörtern wie "itzt" und "hier" philosophische Schlüsse zieht. Denn hier stehen ausdrücklich Wörter - nicht Begriffe - im Mittelpunkt der Betrachtung. Die Begriffe ergeben sich erst aus der Anwendung der Wörter.

Die Erfahrung , die das Bewusstsein in diesem Kapitel macht, ist also eine Erfahrung über Sprache, über eine Sprache, die einfach gegeben ist und sich nicht aus der Notwendigkeit herleitet, durch Laute Hinweise auf bestimmte Ideen zu geben.

Erinnert man sich an Hegels Logik, in der die Gedanken Gottes - in Worten aufgezeigt werden sollen, so zeigt sich m.E. die tiefe Verbindung der hegelschen Philosophie zur Sprache.

Auch im weiteren Verlauf der Phänomenologie wird das Bewusstsein die Empirie sprachlich verarbeiten, und der Aufstieg des Bewusstseins bis zum absoluten Wissen wird in einer immer feineren Analyse von Welt und Bewusstsein durch Sprechen, das sich auf "Erfahrung" bezieht, bestehen.

So führt Hegel im Kapitel "Die Bildung und ihr Reich der Wirklichkeit" die besondere Bedeutung der Sprache für das Bewusstsein näher aus: "Denn die (Sprache) ist das Dasein des reinen Selbsts als Selbsts.“26

3. Die Wahrnehmung

3.1 Das Ding

In der Dialektik der sinnlichen Gewissheit erfuhr das Bewusstsein, dass es sich nicht auf einzelne, individuelle Tatsachen beziehen kann, sondern nur auf "Allgemeines". Das Wesen dieses Allgemeinen zeigte sich in der Sprache, die z.B. für jedes Bewusstsein nur den Ausdruck "Ich" besitzt und damit die individuellen Unterschiede negiert. Entgegen der Ansicht des Empirismus, dass sich immer nur ein individuelles Bewusstsein auf individuelle Tatsachen beziehen kann, stellt Hegel fest, dass die unmittelbare, sinnliche Gewissheit zwar das "Diese" nehmen will, aber nur das Allgemeine erkennen kann. Dieser Widerspruch macht das "Allgemeine" zum Prinzip des Wahrnehmens.

Der Gegenstand ist nun das "Einfache", und das Bewusstsein ist die "Bewegung des Aufzeigens" bzw. die "Entfaltung" dieses Einfachen und beide sind Allgemeine. Die neue Untersuchung des Verhältnisses von Ich und Gegenstand beginnt Hegel mit einer Wendung, die er bereits im vorhergehenden Kapitel benutzt hat.27

Er bezeichnet den Gegenstand als das "Wesentliche" und das Bewusstsein als das "Unbeständige" und "Unwesentliche" und beginnt daher mit der Untersuchung des Gegenstandes. Der Gegenstand war im vorigen Kapitel das "Diese" und wurde als "Hier und Itzt" erfahren, wodurch sich sein Wesen als "Allgemeines" gezeigt hatte. Die Allgemeinheit des Gegenstandes ist durch seine Einfachheit vermittelt, d.h. dadurch, dass es viele einzelne Gegenstände gibt , zeigen sie sich als "Allgemein", denn kein einzelner Gegenstand ist der "wahre", allein maßgebliche Gegenstand.

Das zeigte sich in der Sprache, deren Wörter auf viele Einzeldinge passen, aber keines dieser Einzeldinge ist genau das, was das Wort ausdrückt. Die Vermittlung beruht nun darauf, dass der Gegenstand, das "Ding von vielen Eigenschaften" [PhdG; S.80] ist. Der Gegenstand stellt sich dadurch zweiseitig dar: einerseits besitzt er "positive Allgemeinheit", aber zum anderen ist er auch "ausschließende Einheit". In seiner Funktion als "Ausschließende Einheit" entspricht der Gegenstand dem "Diese", er ist das einfach Individuelle, dass "auf eine einfache Weise sich auf sich bezieht, und Anderes ausschließt.“ [PhdG, S.81].

Durch seine "ausschließende Einheit" ist der Gegenstand als reales "Ding" bestimmt. Als "positive Allgemeinheit" gesetzt, ist der Gegenstand das "Nicht-Diese" oder "aufgehoben". Der Terminus "aufheben" besitzt die drei Bedeutungen "bewahren", "hinaufheben" und "auflösen". In dieser dreifachen Weise ist also das "Diese" aufgehoben. Was bleibt dann vom "Diese"?

Das "Aufheben" entspricht der "bestimmten Negation" und macht das "Diese" zu einem "Nichts von einem Inhalte", d.h. es existiert nicht mehr als individueller, einzelner Gegenstand. Ist die individuelle Existenz aufgehoben, bleibt vom Gegenstand das, was er mit anderen gemeinsam hat - seine Eigenschaften.

Hegel nimmt zwei Arten von Eigenschaften an, einmal die "gleichgültigen" Eigenschaften und dann die "ausschließenden" Eigenschaften. Mit der positiven Allgemeinheit, die aus dem Aufheben des "Diese" resultiert, sind die gleichgültigen Eigenschaften verbunden, die sich "auf sich selbst" beziehen. Diese Allgemeinheit ist unterschieden von ihren "Bestimmtheiten" und lediglich das Medium, "worin diese Bestimmtheiten alle sind" [PhdG, S.81]

Hegel unterscheidet also Eigenschaften von ihren Bestimmtheiten. Was damit gemeint ist, scheint am klarsten im Beispiel der Eigenschaften des Salzes ausgedrückt. Hegel zählt dort "weiß", "scharf', "kubisch" und "Schwere" als Eigenschaften des Salzes auf. Trennt man diese Eigenschaften von ihren Bestimmtheiten, so ergibt sich, dass das Salz eine Farbe , Form, Schwere, einen Geschmack usw. besitzt. Diese allgemeinen Eigenschaften sind gleichgültig gegeneinander, denn dass etwas eine Farbe hat, schließt nicht aus, dass es auch eine Form usw. besitzt: "das Weiße affiziert oder verändert das Kubische nicht" [PhdG, S.81]. Diese allgemeinen Eigenschaften bestehen im allgemeinen Medium, der Dingheit, nebeneinander, sie sind "Auch" im "Hier und Itzt". Im abstrakten allgemeinen Medium sind die Eigenschaften gleichgültig gegeneinander, aber "wenn die vielen bestimmten Eigenschaften schlechterdings gleichgültig wären, ..., so wären sie keine bestimmte; denn sie sind dies nur, in ofern sie sich unterscheiden, und sich auf andere als entgegengesetzte beziehen." [PhdGS..81]. Den "gleichgültigen" Eigenschaften bzw. den verschiedenen Eigenschaftskategorien stehen daher die bestimmten, d.h. ausschließenden Eigenschaften gegenüber.

Die Farbe kann sich nicht auf die Form als Entgegengesetztes beziehen, aber eine einzelne Farbe wie Weiß kann sich auf Schwarz als entgegengesetzte Farbe beziehen. Während also Farbe und Form im "Auch" der Dingheit nebeneinander existieren, so kann nur eine bestimmte Farbe am bestimmten Gegenstand auftreten, denn "nach dieser Entgegensetzung aber können sie nicht in der einfachen Einheit ihres Mediums zusammen sein" [PhdG, S.81]. Durch diese sich ausschließenden Bestimmtheiten wird das Ding "Eins". Ein echter Gegenstand muss also bestimmte Eigenschaften aufweisen, die ihn von anderen Gegenständen abgrenzen. So müssen sich etwa zwei Salzkörner unterscheiden und sie besitzen daher jeweils bestimmte Eigenschaften. Bestimmt ist etwas - wie etwa in der bestimmten Negation - durch sein Gegenteil, durch das, was es nicht ist. Die Negation einer Eigenschaft kann aber nicht in denselben Gegenstand fallen, sondern nur "außer" ihn.

Zu dem "Allgemeinen" kommt also das "Eins", "wodurch die Dingheit als Ding bestimmt ist" [PhdG;S.81].

Der Gegenstand zeigt nach Hegel daher drei Momente:

1. "Das Eins ist das Moment der Negation, wie es selbst auf eine einfache Weise sich

auf sich selbst bezieht, und anderes ausschließt, und wodurch die Dingheit als Ding bestimmt ist." [PhdG;S.81].Das ist das Moment des "Diese", also die Individualität des sinnlichen Objektes, es zeichnet sich durch den Gegensatz aus, also etwas ist z.B. "grün" und damit die Negation von "rot", "gelb" usw. Diese Entgegensetzung oder Negation macht die Bestimmtheit eines Gegenstandes aus.Dazu kommt:

2. "die gleichgültige passive Allgemeinheit, das Auch der vielen Eigenschaften" [PhdG;S.82]. Dadurch wird das "Diese" erst zu einem Gegenstand überhaupt, denn Gegenstände ohne Eigenschaften gibt es nicht. Gleichgültig gegeneinander sind aber nur die verschiedenen Eigenschaftskategorien, wie Farbe, Form usw.. Der Dritte Aspekt ist nun das Zusammenspiel dieser beiden Pole:

3. "die vielen Eigenschaften selbst, die Beziehung der ersten beiden Momente" [PhdG;S.82.]. Ein Gegenstand hat also einmal Eigenschaften,

die im "Auch" nebeneinander bestehen - Gewicht, Form usw. - und die, die

"Dingheit überhaupt" ausmachen, und zu diesen Eigenschaften treten Bestimmtheiten der jeweiligen Kategorie - eckig, rund, schwer, leicht usw. - die den Gegenstand zu einem "diese" einem individuellen Gegenstand machen. Diese beiden Eigenschaftsebenen sind im realen Gegenstand auf einen "Punkt der Einzelnheit" [PhdG;S.82] bezogen.

Hegel wird die Natur des Gegenstandes noch eingehender untersuchen. Diese drei Momente sollen vor allem die Analyse der Erfahrung des Bewusstseins verstehen helfen. Bereits im Kapitel über die sinnliche Gewissheit zeigte sich der Gegenstand im Spannungsfeld von individueller, sprachlich nicht aussagbarer Existenz und seinen Eigenschaften, die ihn zu einem Allgemeinen werden lassen, denn die Eigenschaften können durch Sprache ausgedrückt werden. Zu diesen beiden Polen des Gegenstandes stellt Hegel noch die Bezogenheit beider als drittes Element des Gegenstandes.

Was Hegel hier über Eigenschaften sagt, erinnert an die aristotelischen Kategorien, als Kategorien jedes Seienden, die aber im realen Objekt nur als Bestimmtheiten auftreten. Der Gegenstand besteht also aus zwei Ebenen von Eigenschaften, den Eigenschaften überhaupt und den bestimmten Eigenschaften, und beide Ebenen vereinen sich um den realen Gegenstand zu bilden.

Analog zum Aufbau der kantischen "Kritik der reinen Vernunft" hatte Hegel im vorigen Kapitel Raum und Zeit, also "Hier und Itzt", aus der Erfahrung abgeleitet und sie nicht wie Kant als Anschauungen apriori aufgefasst. Kant geht danach zur Herleitung der reinen Verstandesbegriffe über. Die Verstandesbegriffe bilden Kategorien apriori, die auf alle Dinge zutreffen, also allgemein sind. Hegel wiederum sieht die Kategorien nicht als apriori an, sondern als reale Eigenschaft der Dinge:

Dies deutlich zu machen ist die Absicht von Hegels Erörterung des "Gegenstand"-Begriffs. Bei Kant ist das Ding ein "x" das durch die Kategorien begriffen wird, bei Hegel ist das Ding die Einheit des Allgemeinen und des Einzelnen.

3.2 Das Wahrnehmen des Bewusstseins

Wie im Kapitel über die sinnliche Gewissheit, so geht Hegel auch hier von der Erörterung des "Wesentlichen" zur Analyse des "Unwesentlichen", also des Bewusstseins über. Oben wurde festgelegt, dass das "Ding" sowohl als Einzelnes,

als auch als Allgemeines existiert, doch muss das Bewusstsein diese Erfahrung erstmachen. Das von Hegel postulierte Bewusstsein lernt nur aus Erfahrung, und Instrument der Erfahrung ist, wie sich im letzten Kapitel zeigte, die Sprache. In der folgenden Erfahrung will das Bewusstsein den Gegenstand in der Wahrnehmung erfassen, dabei gilt es "ihn nur zu nehmen" [PhdG,s.82], denn "wenn es selbst.. .etwas täte, würde es...die Wahrheit verändern" [PhdG,S.82].

Dadurch ist die "Möglichkeit der Täuschung" [PhdG, S.82] gegeben, doch das Bewusstsein sichert sich dagegen durch ein Wahrheitskriterium ab, nach dem es das Auffassen des Gegenstandes prüft: Der Gegenstand muss "Sichselbstgleichheit" [PhdG,S.82] besitzen.

Die Wahrnehmungen verschiedener Aspekte des Gegenstandes müssen verglichen werden, denn sie müssen ein kohärentes Bild des Gegenstandes liefern. Dabei ist die Funktion des Bewusstseins ein "Beziehen verschiedener Momente seines Auffassen auf einander, wenn sich aber bei dieser Vergleichung eine Ungleichheit hervortut, so ist dies ...eine Unwahrheit.. .des Wahrnehmens"[PhdG,s.82].

Die Ergebnisse des Auffassens werden versprachlicht und dann verglichen, wie die von Hegel geschilderte Erfahrung zeigt Die Darstellung dieser Erfahrung, so kündigt Hegel sie an, sei aber auch "die Entwicklung der darin vorhandenen Widersprüche"[PhdG,s.83]. Der Vergleich, der dieser Erfahrung zugrunde liegt, geht davon aus, dass das "Ding" mit seinen Eigenschaften identisch ist, denn es wird immer abwechselnd etwas über den Gegenstand ausgesagt und dann geprüft, ob die Eigenschaften dem entsprechen. Die Erfahrung soll hier wieder formal dargestellt werden, dabei ist "Gegenstand =g", "Einzeln, Bestimmt = E" und "Allgemein, Gemeinschaftlich = A". Die Identifikation von "Gemeinschaft" und "Allgemein" ergibt sich aus [PhdG S.80,35f], die Identifikation von "Einzeln" und "Bestimmt" aus [PhdG S.81 ,31f]. Gemäss der Definition von Erfahrung aus der Einleitung vollzieht das Bewusstsein hier eine dialektische Bewegung, es prüft sein Wissen und ändert es, wenn es nicht mit der Realität übereinstimmt: "Der Gegenstand, den Ich aufnehme, bietet sich als rein Einer dar; auch werde ich die Eigenschaft an ihm gewahr, die allgemein ist, dadurch aber über die Einzelnheit hinausgeht. Das erste Sein des Gegenständlichen Wesens war also nicht sein wahres Sein Ich muss um der Allgemeinheit der Eigenschaft...das gegenständliche Wesen vielmehr als Gemeinschaft überhaupt nehmen."[PhdG,s.83] Der gewusste Gegenstand wird als "Einzeln" gesetzt, jedoch besitzt er viele allgemeine Eigenschaften, also wird das alte Wissen negiert, und daraus ergibt sich ein neues Wissen und dem entsprechend ein neuer Gegenstand.

a) E'(g) = E(g)

b) ¬ E'(g) = ¬ E(g)

c) ¬¬E'(g) = A(g)

d) A'(g) = A(g)

Der Gegenstand als Einzelner wurde negiert, daraus ergibt sich seine Bestimmung als "Allgemeiner" bzw. als "Gemeinschaft". Mit dieser Neufassung scheinen sich nun Gegenstand und Eigenschaft zu entsprechen, beide sind allgemein. Dies ist die erste Erfahrung, jedoch: "Ich nehme...die Eigenschaft wahr als bestimmt, anderem entgegengesetzte Ich fasste das gegenständliche Wesen...nicht richtig auf...und muss...es als ausschließendes Eins setzen. " [PhdG, S.83]

a) A'(g) =A(g)

b) ¬ A'(g) = ¬A(g)

c) ¬¬A'(g) = E(g)

d) E'(g) = E(g)

Nun ist der Gegenstand als allgemeiner aufgefasst, aber die Eigenschaft zeigt sich nun als bestimmte und damit als "Eine". Das gegenständliche Wesen muss also wieder negiert werden, und man kehrt damit zu der Aussage 1 zurück. Doch die weitere Betrachtung des Gegenstandes zeigt:

"An dem getrennten Eins finde ich viele solche Eigenschaften, die einander nicht affizieren ; ich nahm den Gegenstand also nicht richtig wahr..., sondern er ist...ein allgemeines gemeinschaftliches Medium...worin viele Eigenschaften...als bestimmte die anderen ausschließt." [PhdG,S;83]

Die Betrachtung des Gegenstandes ergibt damit einen Zirkelschluss, denn er kann weder nur als Allgemeiner, noch nur als Einzelner aufgefasst werden: "ich bin wieder zu dem Anfang zurückgeworfen, und wieder in denselben, sich in jedem Momente... aufhebenden, Kreislauf hineingerissen." [PhdG,S.84] Setzt das Bewusstsein den Gegenstand als Einen, so widerspricht ihm die Wahrnehmung und es muss ihn als Allgemeinen ansehen, aber dem widerspricht auch die Wahrnehmung. Als Kriterium der Wahrheit des Gegenstandes wurde "Sichselbstgleichheit" angegeben, aber der Zirkelschluss drückt als Wesen des Gegenstandes genau das Gegenteil aus.

Wie im ersten Kapitel sich aus dem "Einzelnen" das "Allgemeine" ergab, so erfährt auch hier das Bewusstsein, wie sein ursprüngliches Wissen, dass der Gegenstand ein Einzelner ist, in die gegenteilige Aussage, dass der Gegenstand ein allgemeines Medium ist, umschlägt. Diese Erfahrung ist ähnlich der aus dem ersten Kapitel, wo sich zeigte, dass das einzelne "itzt" nur allgemein einen Zeitpunkt bezeichnet. Es ergibt sich bei beiden Erfahrungen, dass das scheinbar Individuelle eigentlich Allgemein ist und umgekehrt.

Die Ursache dieser Widersprüche findet das Bewusstsein in sich selbst, denn dadurch, dass es reflexiv in sich zurückkehrt, verändert sich das Wahre.

Dadurch ergibt sich als Erfahrung:

"Es hat sich hiemit für das Bewusstsein bestimmt, wie sein Wahrnehmen wesentlich beschaffen ist, nämlich nicht ein einfaches reines Auffassen, sondern in seinem Auffassen zugleich aus dem Wahren heraus in sich reflektiert zu sein"[PhdG; S.84]. Zu Beginn der Erfahrung dachte sich das Bewusstsein als Wahrnehmendes, das falsch wahrnehmen kann und daher genau auf den Gegenstand achten muss.

Die genaue Erfassung des Gegenstandes in der Wahrnehmung führte jedoch zu dem obigen Zirkelschluss. Das Bewusstsein erfährt dadurch, dass es den Gegenstand nicht einfach "nur zu nehmen"[PhdG, S.82] hat, sondern dass dieses Aufnehmen reflektiert ist und dadurch die Wahrnehmung verändert. Wie sich bereits im ersten Kapitel zeigte, macht das Bewusstsein sprachlich-logische Erfahrungen, indem es seinem Wissen eine propositionale Form geben will und dabei erfährt, was es mit diesem Wissen auf sich hat. Dadurch, dass das Bewusstsein um diesen Fehler weiß, kann es ihn aufheben indem es sein Wissen vom "an sich" unterscheidet. Da das Bewusstsein diese Unterscheidung aber selbst durchführt, legt es selbst fest, was wahr und falsch ist: "insofern es diese Berichtigung selbst vornimmt, fällt die Wahrheit. .., in dasselbe"[PhdG,S.84].

3.3 Die Reflexion des Bewusstseins

Die Wahrnehmung des Gegenstandes hatte ein widersprüchliches Ergebnis, das sich das Bewusstsein nur erklären konnte, wenn es sich selbst als Fehlerquelle ausmacht. Wurde in Bezug auf die Wahrnehmung die Täuschung nur als möglich angesehen, so steht sie jetzt fest: Das Bewusstsein verändert das Wahre durch seine reflexive Bewegung. Die Reflexion des Bewusstseins soll nun erweisen, welcher Aspekt nur von ihr stammt und nicht vom Gegenstand, denn entweder ist der Gegenstand nur Allgemein, dann ist das Bewusstsein die Ursache der Einheit oder umgekehrt.

Welcher Aspekt vom Bewusstsein stammt, legt dieses jedoch selbst fest, indem es Wahrheit von Unwahrheit trennt.

Nach der negativen Erfahrung des reinen Auffassens, die nur ein widersprüchliches Ergebnis hervorbrachte, versucht das Bewusstsein nun in einem zweiten Anlauf eine adäquate Definition des Gegenstandes zu finden. In der folgenden Reflexion wird das Bewusstsein jeweils einen Standpunkt als "an sich" festlegen und versuchen, den anderen als Ergebnis der eigenen Aktivität zu betrachten.

Hegel analysiert nun die Art und Weise dieser Reflexion des Bewusstseins: "Ich werde ...des Dings als Eines gewahr" [PhdG; S.84], dies wird als wahre Proposition, als Beschreibung des "an sich" festgehalten, was dem in der Wahrnehmung widerspricht ist "meine Reflexion"[PhdG, S.85], ist also nur "für" das Bewusstsein. Nun reflektiert das Bewusstsein über die anderen Aspekte, die im Wahrnehmen auftauchen und führt sie auf sich selbst zurück.

Es erscheinen aber in der Wahrnehmung verschiedene Eigenschaften, die Eigenschaften eines einzelnen Dinges sind: "Dies Ding ist in der Tat nur weiß, an unser Auge gebracht, scharf auch, an unsere Zunge" [PhdG; S.85]. Aber "an sich", so bestimmte das Bewusstsein, ist der Gegenstand Eins: "Die gänzliche Verschiedenheit dieser Seiten nehmen wir nicht aus dem Dinge, sondern aus uns" [PhdG; S.85]. Der Gegenstand ist also einer und bestimmt. Die Vielheit der Eigenschaften, das "Auch" von Farbe, Form usw. existiert nur im Bewusstsein. Das Bewusstsein scheint also die Ursache der vielen Eigenschaften zu sein und damit einen Fehler in die Betrde Medium, worin solche Momente sich absondern"[PhdG; S.85]. Damit scheint eine Erklärung der Wahrnehmung gegeben zu sein, und eine Bestimmung dessen, was nicht "an sich" ist. Doch dieser Sichtweise scheint durch die Wahrnehmung selbst widersprochen zu werden: das Ding scheint selbst nicht nur Eins zu sein, sondern auch ein Bestimmtes, also ein verschiedenes von anderen. Diese Verschiedenheit des Dinges ist aber objektiv, und damit sind auch die verschiedenen Eigenschaften objektive Eigenschaften des Dinges, es kann also auch nicht sein, dass die verschiedenen Eigenschaften nur im Bewusstsein existieren: "Es ist in Wahrheit das Ding selbst, welches weiß, und auch kubisch...ist" [PhdG;S.85]. Daher gilt für den Gegenstand dasselbe wie für das Bewusstsein: "das Ding ist das allgemeine Medium, worin die vielen Eigenschaften außer einander bestehen" [PhdG;S.86].

Also scheint die Auflösung der Einheit ihren Grund doch in dem Gegenstand selbst zu besitzen, und die bisherige Reflexion konnte noch keine Auflösung der Widersprüche erbringen. Daher forscht das Bewusstsein weiter.

Ist aber die Vielheit der Eigenschaften objektiv, so muss die Einheit des Dinges auf der Tätigkeit des Bewusstseins beruhen: "Das in eins Setzen dieser Eigenschaften kommt nur dem Bewußtsein ZU"[PhdG; S.86]. Das Bewusstsein nimmt also die unterstellte Einheit des Gegenstandes als eigenes Werk "auf sich". Ist aber die Einheit wiederum ein Werk des Bewusstseins, so ist der Gegenstand nur noch eine "Sammlung von Materien"[PhdG; S.86]. Denn der wahrgenommene Gegenstand ist dann nur eine zufällige Ansammlung von Atomen oder Materie, die im Bewusstsein bestimmte Empfindungen auslöst, deren wesentliche Einheit und Zusammengehörigkeit aber nur im Bewusstsein besteht. Die Reflexion zeigt dem Bewusstsein, dass die Annahme, ein Aspekt des Gegenstandes stamme aus ihm selbst, keine Lösung des Problems ergibt. Denn keine der beiden Theorien scheint besser zu sein: Ist die Einheit Funktion des Bewusstseins, löst sich der Gegenstand auf, sind dagegen die Eigenschaften nur Folge des Bewusstseins, so existiert der Gegenstand zwar als Einer, aber ohne Eigenschaften.

Das Bewusstsein ist also nicht für die sich widersprechenden Aspekte des Gegenstands verantwortlich: "Das Bewusstsein findet also durch diese Vergleichung, dass nicht nur sein Nehmen des Wahren die Verschiedenheit an ihm hat, sondern das vielmehr das Wahre selbst, sich auf diese gedoppelte Weise zeigt." [PhdG,S.86]

Das Bewusstsein hat damit die Erfahrung gemacht, dass es unmöglich ist, den Gegenstand anders aufzufassen. Es kann, egal wie es sein Wissen manipuliert, den Gegenstand nur in der "gedoppelten Weise" auffassen.

3.4 Das gedoppelte Wesen des Gegenstandes

Das Bewusstsein rückt auf Grund seiner Reflexion daher von seiner Auffassung, dass die Unwahrheit in es selbst fällt, ab und schreibt dem "Ding" zwei Seiten zu: "Das Ding ist ...für sich, und auch für ein anderes , ein gedoppeltes, verschiedenes Sein"[PhdG;S.87]. Damit werden zwar sowohl die Allgemeinheit der Eigenschaften, als auch das Eins sein dem Gegenstand selbst zugeschrieben, aber diese Aspekte existieren nur in einer je anderen Perspektive. Der Gegenstand ist "in sich reflektiert" und daher eins, aber "für ein anderes" stellt sich der eine Gegenstand als "Auch" der allgemeinen Eigenschaften dar. Diese zwei Seiten verleiten das Bewusstsein zu einer Auflösung seiner Wahrnehmung in verschiedene Rücksichten, die Hegel das "Insofern" nennt. Das Ding ist "insofern" es für sich ist, nicht für ein anderes und "insofern" es für ein anderes ist, ist es nicht für sich. Das "für sich" sein bedingt dann die Einheit, und das "für ein anderes" sein die Vielheit. Die Widersprüchlichkeit der Eigenschaften soll durch die Existenz verschiedener, nicht auf einander rückführbarer Perspektiven erklärt werden. Das Ding hat demnach zwei Seiten die jeweils ganz anders sind.

Kants Unterscheidung von "Erscheinung" und "Ding an sich" ist wohl der Zielpunkt dieser Argumentation, denn die Idee der "Rücksichten" ist die grundlegende Dichotomie der kantischen Philosophie. Denn bei Kant wird der Gegenstand "an sich" in der Sinnlichkeit als "Mannigfaltigkeit" aufgefasst und durch die Vielheit der Kategorien des Verstandes begriffen. Die Einheit des Gegenstandes wird also durch den Verstand und die Sinnesorgane aufgelöst, danach aber durch die transzendentale Apperzeption wieder zusammengesetzt.

Auf Grund dieser Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis ist der Gegenstand, "insofern" er "für sich" ist, unerkennbar, "insofern" er aber "für ein anderes" also als Erscheinung existiert, erkennbar. Die Rücksicht des "Insofern" trennt beide Seiten und lässt sie selbstständige Weisen des Gegenstandes sein, ohne ihnen einen inneren Zusammenhang zuzuschreiben: "die Gedanken von diesem Unwesen zusammen zu bringen..., dagegen sträubt er sich durch die Stützen des Insofern und der verschiedenen Rücksichten." [PhdG,S.91]

Durch diese Trennung scheint es aber zwei Gegenstände zu geben: Einen Gegenstand als "Erscheinung" der im Bewusstsein ist und einen Gegenstand "an sich": "der Widerspruch, der an dem gegenständlichen Wesen überhaupt ist, verteilt sich an zwei Gegenstände" [PhdG;S.87].

Dieser Dualismus lässt sich jedoch nicht aufrechterhalten: "Ob nun zwar so der Widerspruch des gegenständlichen Wesens an verschiedene Dinge verteilt ist, so wird er darum doch an das...Ding...kommen" [PhdG, S.87].

Hegel will nun zeigen, dass die beiden Seiten des "für sich" und "für andere" identisch sind, bzw. dass sie in einer Einheit zusammenhängen. Die Ausführungen Hegels erwecken aber, anders als bei der Beschreibung der Wahrnehmung und der Reflexion, nicht mehr den Eindruck, als ob das beschriebene Bewusstsein sie ausführt. Hegel beschließt die Argumentation zwar mit der Aussage, dass sich hier "die Notwendigkeit der Erfahrung für das Bewusstsein"[PdG,s.88] zeigt, .aber wie das Bewusstsein diese Erfahrung macht, wird nicht gesagt, denn bisher wurde das in der Erfahrung begriffene Bewusstsein als ein Vergleichendes oder Experimentierendes beschrieben, und die genauen Stationen der Erfahrung wurden festgehalten.

Hegel erwähnt die genaue Rolle des Bewusstseins gar nicht, sagt nicht, ob es reflektiert, denkt oder Ähnliches, die Tätigkeit des Bewusstseins, bisheriger Leitfaden des Textes, wird geradezu ausgeblendet. Dies soll hier auch als Indiz dafür genommen werden, dass das Ergebnis der folgenden Argumentation für Hegel nicht nur als Station der Entwicklung des Bewusstseins Bedeutung hat, sondern das hier auch ein zentraler Gedanke Hegels ausgedrückt wird.

Aber obwohl Hegel den genauen Vorgang der Erfahrung nicht schildert, ist die von ihm nun gezogene Schlussfolgerung das zwingende Ergebnis der beiden Erfahrungen, die das Bewusstsein bisher machte, als es versuchte den Gegenstand einfach aufzufassen bzw. reflektiert aufzufassen. Da sich dort die Notwendigkeit der gedoppelten Weise des Gegenstandes ergab, ist es also für das Bewusstsein unumgänglich, die beiden Aspekte zu verbinden. Der Gegenstand steht seit Beginn der Phänomenologie im Spannungsfeld seines Auftretens als "Dieser" und als "Allgemeiner". Er ist Einheit und Einzelding, aber auch das Beispiel des Allgemeinen. Als Allgemeiner war er das Wahrhafte der sinnlichen Gewissheit, doch damit ist sein Erscheinen als Einer nicht aufgehoben.

Am Beginn dieses Kapitels charakterisierte Hegel den Gegenstand durch drei Momente: Der Gegenstand besteht aus dem "Auch" der allgemeinen Eigenschaften, die die Dingheit überhaupt bilden, dann besitzt der reale Gegenstand, das "Ding", bestimmte Eigenschaften, deren Vorliegen andere Eigenschaften ausschließt und zum dritten gibt es das Moment der Bezogenheit beider. Im Kapitel über "Sinnliche Gewißheit" wiederum gab Hegel zwei Arten von Eigenschaften des Gegenstandes an: die der Sprache zugänglichen, allgemeinen Eigenschaften und die individuellen Bestimmungen des "Diesen", die sich nicht versprachlichen lassen.

Welche Aspekte des Gegenstandes sind nun "für sich" und welche "für andere"? Es erscheint einmal klar, dass alle allgemeinen Eigenschaften des Gegenstandes nach Hegels Auffassung "für andere" sind, denn der Gegenstand selbst ist ein individuelles Seiendes. Wie ist es aber mit der zweiten Art von Eigenschaften, den ausschließenden Bestimmtheiten? Diese scheinen auch "für andere" zu sein, denn sie dienen dazu, sich von anderem abzugrenzen. Alle Aspekte die "für andere" sind, lassen sich sprachlich ausdrücken, das einzig nicht Aussagbare ist die individuelle Existenz und diese scheint das "für sich" zu sein. Denn wenn sich die Individualität nicht aussagen lässt, wie Hegel im ersten Kapitel argumentierte, so ist sie "für andere" auch nicht erfassbar und damit "für sich".

Der Gegenstand soll nun "in einer und derselben Rücksicht das Gegenteil seiner selbst sein" [PhdG.S.89]. Sind also die allgemeinen und bestimmten Eigenschaften "für andere", so ist der Gegenstand "für sich" eigenschaftslos. In der Bewegung der Reflexion ergab sich auch bereits , dass der Gegenstand dann "Eins" ist, wenn das Bewusstsein alle Eigenschaften "auf sich nimmt" . Was ist dann aber der Gegenstand, wenn er "für sich" ist?

Nimmt man an, so Hegel, zwei Gegenstände seien "für sich" gesetzt, so unterscheidet sie, dass sie einmal als "ein Unterschiedenes bestimmt" sind und dann "den wesentlichen Unterschied von anderen an ihm"[PhdG.S.87] haben. Dieser wesentliche Unterschied beruht aber nicht auf "Entgegensetzung", sondern darauf, dass der Gegenstand "einfache Bestimmtheit"[PhdG.S.87] besitzt. Diese Bestimmtheit macht den "wesentlichen" Unterschied von anderen aus und das "Wesen des Dinges" [PhdG,S.88]. Zu dieser Bestimmtheit tritt die Vielheit notwendig hinzu, die einen "wirklichen" [PhdG, S.88] Unterschied zu anderen ausmacht, aber dieser wirkliche Unterschied ist das "Unwesentliche" [PhdG,S.88]. Der Gegenstand hat also einen wesentlichen und einen wirklichen Unterschied gegenüber den anderen Dingen. Hegel erklärt dann in der Zusammenfassung, dass das "für sich"-Sein die "Negation alles Andersseins" ist und "daher absolute, nur auf sich beziehende Negation" [PhdG, S.88].

In der Reflexion wurde auch die Vielheit der Eigenschaften von dem Gegenstand abgezogen und damit die "Sichselbstgleichheit und Wahrheit des Dinges, Eins zu sein" [PhdG,S.85], erreicht. Die Negation des Andersseins scheint also eine negative Umschreibung der Sichselbstgleichheit zu sein: Was sich selbst gleich ist, ist mit nichts anderem gleich. Der Gegenstand ist im "für sich"-Sein also wesentlich ein selbstidentisches "A=A" und dadurch schließt er sich von allem anderen aus und alles andere von sich aus. Das ist also der "wesentliche Unterschied" des "für sich"-Seins.

Diese Sichselbstgleichheit erscheint aber auch als Eigenschaftslosigkeit, denn seine Selbstidentität scheint nicht von Eigenschaften abzuhängen. Die Eigenschaften machen nur einen wirklichen, keinen wesentlichen Unterschied. Das Einzelding "für sich" ist also wesentlich durch seine Selbstidentität von anderen unterschieden, es ist dadurch "Bestimmtheit". Die Bestimmtheit ist aber negativ: Der Gegenstand ist nicht ein anderer Gegenstand und damit ist er durch seine Selbstidentität Negation aller anderen Gegenstände. Selbstidentität ist eine Relation des Gegenstandes mit sich selbst, indem Hegel aber das Prinzip der Selbstidentität negativ formuliert, als "Negation alles Andersseins", wird die Selbstidentität zur Relation zwischen einem und allen anderen Gegenständen.

Erschien es also zuerst so, dass sich die "einfache Bestimmtheit" der Selbstidentität nur auf den Gegenstand selbst bezieht, ihn dadurch "wesentlich" von anderen unterscheidet und damit den "wirklichen Unterschied", der durch Eigenschaften zustande kommt, "unwesentlich" macht, so ergibt die negative Formulierung der Selbstidentität, dass sich der Gegenstand in seiner Selbstidentität auf alle Gegenstände beziehen muss. Von den Eigenschaften wurde zuerst gesagt, sie seinen "unwesentlich", da sich aber das "für sich"-Sein auf andere Gegenstände beziehen muss, denn das einzelne "für sich"-sein ist ja die Negation dieser Gegenstände, so werden die Eigenschaften plötzlich wesentlich, denn sie stellen die Beziehung zu anderen Gegenständen her: "dies für sich Sein ist ebenso unwesentlich, als dasjenige, was allein das Unwesentliche sein sollte, nämlich die Beziehung zu anderen.“ [PhdG, S.89].

Sollte der Unterschied zuerst durch das Reflektiertsein des Gegenstandes, die Selbstidentität seines "Für sich"-Seins zustande kommen, so zeigt die negative Formulierung der Selbstidentität, dass die Selbstidentität durch Absetzung von allen anderen Gegenständen durch Eigenschaften zustande kommt. Denn die Eigenschaften sind nun die Momente, die den Gegenstand von allem anderen abgrenzen.

Die Eigenschaften sind aber "für andere", daher hebt das "für sich"-Sein sich selbst auf, denn um für sich zu sein, muss es "für andere" sein, sich von anderen abgrenzen durch den "wirkliche[n] Unterschied mannigfaltiger Beschaffenheit" [PhdG, S.88]. Der Begriff der Selbstidentität verschränkt also die beiden Momente des "für sich"- Seins und des "für andere"-Seins: "Ding aber, oder für sich Seinendes ist es nur, insofern es nicht in dieser Beziehung auf andere steht"[PhdG,S.88].

Der Gegenstand ist "für sich" reflektiert, er steht in Beziehung mit sich selbst, nämlich in der Beziehung der Selbstidentität, er ist "A=A", und diese Selbstidentität ist unabhängig von allen Eigenschaften und anderen Gegenständen.

Indem aber der Gegenstand sich nur auf sich selbst als Selbstidentisches bezieht, steht er in der Relation der Negation zu allen anderen Gegenständen und Eigenschaften, er erweist sich als "A = ¬B, ¬C, …¬n.“".

Diese Negation, die die Position seiner Selbstidentität ist, ist aber "für andere": "denn in dieser Beziehung ist vielmehr der Zusammenhang mit anderen gesetzt; und Zusammenhang mit anderen ist das Aufhören des für sich Seins."[PhdG,S.88]. Das Resultat dieser Argumentation ist also die Identität des "für sich"-Seins mit dem "für andere"-Sein: "Er ist für sich...Eins, aber dies ...Eins Sein ist mit seinem Gegenteile, dem Sein für ein Anderes, in einer Einheit...; oder dies für sich Sein ist ebenso unwesentlich, als dasjenige, was allein das unwesentliche sein sollte , nämlich das Verhältnis zu anderen" [PhdG;s.89].

Hegel hat damit den inneren Zusammenhang der beiden Aspekte eines Gegenstandes, sein "Eins"- Seins und seine Allgemeinheit, aufgeklärt. Der obige Übergang von "für sich" zu "für andere" sein hat wieder die Struktur des Erfahrungsschemas, da ja das "für sich" die Negation des "für andere" ist, und da aus der Negation des einen das Andere hervorgeht, so muss es eine bestimmte Negation sein.

a) "für sich" = "für sich"

b) ¬ "für sich" = ¬¬"für sich"

c) ¬¬"für sich" = "für andere"

d) "für andere" = "für andere"

Das "für sich" ist das Gegenteil des "für andere", seine Negation. So wie aus dem Einzelnen das Allgemeine hervorging, so ergibt sich nun aus dem "für sich" des Gegenstandes sein "für andere". Das ist nun die logische Beziehung der beiden Begriffe untereinander, aber in Bezug auf den Gegenstand gilt nach dem vorangegangenen: "für sich" = "für andere".

Extensional sind beide Begriffe identisch, denn sie beziehen sich auf ein und dasselbe Ding, jedoch ist die Intension dieser Begriffe gegensätzlich.

Der Gegenstand ist also die Einheit dieses Gegensatzes. Damit wird auch Hegels These aus dem Kapitel "Sinnliche Gewissheit" verständlicher:

Dort wurde als "Wahrheit" des Diesen das Allgemeine angesehen. Die Frage, die sich dabei ergab, vor allem aus Sicht des Empirismus, war, wie das Allgemeine die Wahrheit sein kann, wenn das Ding doch ein einzelnes, individuelles Wesen ist, also das Gegenteil des Allgemeinen? Hegel gibt nun als Antwort, dass das einzelne, individuelle Wesen, das "für sich" nur auf sich selbst als selbstidentisches einzelnes

Wesen bezogen ist, gleichzeitig, eben weil es "für sich" ist, auf alle anderen Gegenstände bezogen sein muss. Die Mannigfaltigkeit der Eigenschaften, die dem einzelnen "für sich" zuerst nur unwesentlich zukamen, erweisen sich daher als wesentlich, weil der Gegenstand im Zusammenhang mit anderen stehen muss, er muss allgemeine und bestimmte Eigenschaften besitzen, die nur "für andere" sind, denn nur so kann er als "Negation alles Andersseins", als bestimmtes Individuum auftreten. Das Auftreten im "Zusammenhang mit anderem" [PhdG, S.88] ist aber die Negation des "Für sich"-Seins, denn "für andere" wird der Gegenstand damit ein Allgemeines. Denn die "Sinnliche Gewissheit" zeigte, dass die Dinge als "Diese" vorliegen, als einzelne, selbstidentische Wesen.

Da sie auf Grund ihrer Selbstidentität jedoch die Negation alles Andersseins sind, müssen sie als Gegenstand, als "dieser" Baum oder "dieses Haus" "für andere" auftreten, und ihre "Wahrheit" wird damit das "Allgemeine". Damit ist jedes "für sich"-Sein ein Nicht-"für sich"Sein: "das für sich Sein ist mit dem Gegensatz überhaupt behaftet, es ist zugleich ein nicht für sich sein." [PhdG,S.90]

Zu Beginn des Kapitels "Die Wahrnehmung" wurde das "Diese" gesetzt als "nicht Diese" und zeigte damit seine Allgemeinheit, indem nun das "für sich"-Sein ebenfalls eine Nicht- "für sich"-Sein ist, so ist es damit auch kein Einzelnes mehr, sondern auch ein Allgemeines: "das Wahre, das durch diese Logik des Wahrnehmens gewonnen werden soll, erweist sich in Einer und derselben Rücksicht das Gegenteil zu sein und hiemit zu seinem Wesen die unterscheidungs- und bestimmungslose Allgemeinheit zu haben" [PhdG,S.90].

Das "Diese" , das Einzelne, das "für sich"-Sein erweist sich als Allgemeinheit! Die Wahrheit der sinnlichen Gewissheit erwies sich als das Allgemeine, und auch die Wahrheit des Wahrnehmens ist das Allgemeine, das "Diese" ist ein "nicht Diese", das "für sich"-Sein ist ein Nicht-"für sich"-Sein! Der Gegensatz von Einzeln-Allgemein erweist sich als eine Einheit, das Einzelne ist das Allgemeine, und das Allgemeine tritt - im Umkehrschluss - als das Einzelne auf. Hegel selbst skizziert noch einmal den Gang der Erfahrung des Bewusstseins seit dem ersten Kapitel. In der sinnlichen Gewissheit erschien der Gegenstand auch zuerst als "Dieser" oder als "das Einzelne", und darin erblickte das Bewusstsein sein Wesen. Als es dieses Wesen aber bestimmen wollte, in der Dialektik von "itzt" und "hier", zeigte sich, dass der "Diese" nur als Allgemeiner aufzeigbar war: "Aus dem sinnlichen Sein wird er [der Gegenstand] ein Allgemeines" [PhdG;S.89].

Aber auch wenn der Gegenstand nur als "Allgemeiner" aufgefasst werden kann, so bleibt für das Bewusstsein die Erkenntnis bestehen , dass reale Gegenstände nur als "Diese" auftreten, also als Einzelne und nicht als Allgemeine: "dies Allgemeine ist, da es aus dem sinnlichen herkommt, wesentlich durch dasselbe bedingt und daher...mit einem Gegensatz affizierte Allgemeinheit" [PhdG;S.89]. Diesen Widerspruch, dass der Gegenstand nur durch das "Auch" der allgemeinen Eigenschaften als ein bestimmter Gegenstand begriffen werden kann, er sich aber nur als Einzelner zeigt, wollte das

Bewusstsein auflösen, indem es einmal versuchte, sich beim Erfassen des Gegenstandes nicht täuschen zu lassen und danach reflexiv festzustellen versuchte, welche dieser Eigenschaften dem Gegenstand nur von ihm selbst beigelegt wird. Beide Auflösungsversuche des Bewusstseins waren erfolglos. Der Gegenstand zeigte sich dann letztlich als das, als was er die ganze Zeit aufgefasst wurde, nämlich als ein Einzelnes , dass notwendig als allgemeines aufgefasst werden muss: "ein für sich Sein, welches mit dem Sein für ein anderes behaftet ist, indem aber beide wesentlich in einer Einheit sind" [PhdG,S.89].

Der Gegenstand ist das Allgemeine, das sich als Individuelles zeigt. Der Versuch, zu differenzieren, das eine als Wesen, das andere als unwesentlich anzusehen, das eine als Wahres, das andere als Falsches ist, so Hegel, aussichtslos. Der Gegenstand erscheint als widersprüchlich, aber "das Wahrnehmen nimmt den Gegenstand, wie er an sich ist; oder als Allgemeines überhaupt" [PhdG, S.90]. Die Versuche, den Gegenstand anders, denn als Einheit der Gegensätze zu begreifen, "sind die Mächte, deren Spiel der wahrnehmende... Menschenverstand ist." [PhdG,S.90].

3.5 Diskussion

Im ersten Kapitel der Phänomenologie über "Sinnliche Gewissheit" hatte Hegel gezeigt, dass uns das Einzelding in der Sprache nur als Allgemeines verfügbar ist. Der unmittelbare Charakter des Gegenstandes, als einem "Diesen" wurde davon aber nicht berührt. In diesem Kapitel sollte der Widerspruch des Gegenstandes als Allgemeinem und als "Diese" aufgelöst werden, was sich als unmöglich herausstellte.

Die Motivation zu diesem Auflösungsversuch resultierte aus der "Möglichkeit der Täuschung": Wenn der Gegenstand "Eins" ist und ein individuelles Sein, so scheint er nicht richtig erfasst zu werden, wenn man ihn als Summe seiner allgemeinen Eigenschaften begreift, wenn man ihn aber nur als "Eins", als Individuum begreift, so scheint es keine Grundlage mehr für die allgemeinen Eigenschaften zu geben. Diese Erfahrung machte das Bewusstsein in der Reflexion, als es versuchte, je einen Aspekt des Gegenstandes "auf sich" zu nehmen. Dieses Dilemma des Bewusstseins spiegelt auch die weitverzweigte philosophische Diskussion des Gegenstandsbegriffs wieder. Ist der Gegenstand eine individuelle Entität, so sind auch seine Eigenschaften individuell und alle "Universalien" nur eine Abstraktion des Bewusstseins. Sind jedoch die Eigenschaften universell, so ist der einzelne Gegenstand nur Träger dieser Eigenschaften und als individueller Gegenstand bedeutungslos.

In der Geschichte der Philosophie wurde in der Art, wie Hegel die Reflexion des Bewusstseins beschreibt, immer wieder versucht, einen Aspekt des Gegenstandes zum "an sich" zu erklären und den anderen als Täuschung oder Zutat des Bewusstseins. Hume sei genannt als Vertreter der Auffassung, dass die Einheit der realen Gegenstände, auf die die Eigenschaften oder "ideas" zurückgeführt werden sollen, mehr postuliert als bewiesen ist. Leibniz wiederum geht in der "Monadologie" von der Existenz individueller Entitäten aus, deren Eigenschaften als Gegenstand nur eine Emanation Gottes sind. Einmal ist der Gegenstand also das "Auch" freier Materien und ein anderes Mal ist er "Eins", und die Eigenschaften existieren nur im Bewusstsein. Wie in der Reflexion des hegelschen Bewusstseins, so konnte sich auch in der Geschichte keine der beiden Auffassung durchsetzen.

Kant versuchte es mit einem Kompromiss, den Hegel als Sophisterei des "Insofern" angreift: Der Gegenstand sofern er ein individuell Existierendes ist, ist "an sich" und unerkennbar, erkannt wird aber nur das, was gemäß den Anschauungsformen und den Verstandesbegriffen erscheint, und dies sind aber nur die allgemeinen Aspekte. Das damit entstandene "Ding an sich" verursacht diverse Probleme in den praktischen Gebieten der Philosophie, und der Deutsche Idealismus seit Fichte hat es sich zur programmatischen Grundlage gemacht, eine Philosophie auszuarbeiten, in der das "Ding an sich" nicht mehr nötig ist.

Hegel machte als Grundlage der Trennung von "Ding an sich" und "Erscheinung" die Tatsache aus, dass man den Gegenstand von seinen Eigenschaften trennt. Das "Ding an sich" wird als das Wesen angesehen, während die erscheinenden Eigenschaften, auf Grund ihrer Allgemeinheit, in keinem Zusammenhang zu diesem "Wesen" stehen. Unausgesprochen steht dahinter die Vermutung, dass das "Ding an sich" ja ganz andere Eigenschaften haben könnte als die, die erscheinen, und dass zwischen "an sich" und "Erscheinung" kein wesentlicher, notwendiger Zusammenhang besteht. So scheint es, das Ding "ist ein anderes für sich, als es für ein anderes ist" [PhdG, S.87]. Die Eigenschaften des Dings, seine Erscheinung, sind somit nur "für andere", das Ding ist "für sich" ganz anders.

Hegel fragt nun, was der Grund dieser Trennung sein könnte und gibt an, dass das "Ding für sich" eben nur mit sich selbst in einer Beziehung steht, in der Relation der Selbstidentität. Zur Absicherung dieser formalen Relation "A=A" scheint kein Bezug auf anderes nötig zu sein. Die Eigenschaften sind damit unwesentlich, auch wenn sie notwendig dem Ding anhaften.

Wer daher die Eigenschaften eines Dinges erfasst, die notwendig in der Sprache nur als Allgemeine auftreten, scheint vom "für sich" nichts erfasst zu haben, es bleibt außen vor: das Ding als einzelnes, selbstidentisches steht dann beziehungslos neben den allgemeinen Eigenschaften, die es als "Baum" oder "Haus" ausweisen. Aber, so Hegel, das Ding ist nun wesentlich es selbst und damit, negativ formuliert, die "Negation alles Andersseins". Indem es die anderen Dinge negiert, bestimmt es sich selbst als Ding und zwar als "Ding von vielen Eigenschaften" [PhdG, S.80]. Eigenschaften sind aber das, was "für andere" existiert, und damit hebt sich das Ding "für sich" selbst auf. Damit hebt sich auch der Unterschied von "wesentlichem" "für sich"-Sein und "unwesentlichem" "für andere"-Sein auf: "dies ist eine Unterscheidung, welche nur noch in Worten liegt" [PhdG, S.89].

Die Ursache der Individualität, das "für sich", hebt sich selbst auf und erweist sich dadurch als "unterscheidungs- und bestimmungslose Allgemeinheit", denn als Definition des Allgemeinen wurde im Kapitel "sinnliche Gewißheit" angegeben:

"Ein solches Einfaches, das durch Negation ist, weder dieses noch jenes...nennen wir ein Allgemeines" [PhdG, S.71]. Jeder Gegenstand ist "für sich", egal ob er "für andere" ein Baum, Haus, Stein oder Mensch ist, und jedes "für sich" ist die Negation aller anderen und zusätzlich auch "einfache Bestimmtheit"[PhdG, S.87]. Jeder Gegenstand ist ein "für sich" und damit ein "für andere" und damit ein Allgemeines.

Der Gegenstand ist also ein Allgemeines, das "für sich" ist, "in einer und derselben Rücksicht das Gegenteil seiner selbst" [PhdG, S.89]. In Bezug auf die kantische Trennung von "an sich" und "Erscheinung" heißt das, dass die "Erscheinung" zwar das Gegenteil des "an sich" ist, dass das "an sich" aber auch, eben weil es "an sich" ist, das Gegenteil seiner selbst, nämlich "Erscheinung" sein muss, und daraus folgt, dass das "an sich" erkennbar ist und zwar als "Erscheinung".

Die kantische Dichotomie liegt also auch nur "in Worten", denn das "an sich" ist genau das, was erscheint. Hegel hat aus der negativen Formulierung des Prinzips der Selbstidentität die coincidentia oppositorum von Individualität und Allgemeinheit abgeleitet.

Darüber hinaus ergab sich die Beziehung von "für sich" und "für andere" aus dem Erfahrungsschema, denn die Negation des "für sich" führt logisch zum "für andere". Gegenüber der Gegenstandsauffassung von Hume hat Hegel mit diesem Ergebnis belegt, dass der Gegenstand nicht nur als Einzelner, sondern auch als Allgemeiner existiert. Damit ist der von Hume für empirisches Wissen kritisierte Induktionsschluss nicht mehr nötig, denn im Gegenstand zeigt sich nach Hegel auf "gedoppelte" Weise sowohl das Einzelne, als auch der allgemeinere Begriff. Allgemeine Begriffe sind also nicht das Ergebnis einer Induktion, sondern sie werden im Einzelding erkannt. Nach Hume und Locke ist der Gegenstand ein Einzelner, seine allgemeine Seite zeigt sich nur durch induktive Vergleiche mit anderen für ähnlich gehaltenen Gegenständen.

Nach Hegel wiederum könnte der Gegenstand gar nicht wahrgenommen werden, wenn er nicht die allgemeinen Eigenschaften "für andere" besäße, denn das "für sich" ist nicht erkennbar. Dass ein Gegenstand das Allgemeine offenbart, zeigt sich darin, dass er überhaupt Eigenschaften besitzt. Eigenschaften sind allgemein und können nur allgemein sein, da sie "gleichgültig" gegeneinander sind, d.h. eine Eigenschaft hat per se gar keinen Bezug zu einem bestimmten Gegenstand, der in der Wahrnehmung ja als Kombination verschiedener Eigenschaften erscheint. Aber dass der Gegenstand als einzelner, bestimmter Gegenstand erscheint, hängt wiederum nicht an seinen Eigenschaften, sondern an seinem "für sich".

4. Kraft und Verstand

4.1 Die Kraft

Die Wahrnehmung ist auf die außerhalb des Bewusstseins liegenden Gegenstände bezogen, doch ergab die Analyse des Wahrnehmungsgegenstandes, dass dieser ein zweifaches Wesen zeigt, nämlich als Einzelner und Allgemeiner bzw. als Gegenstand "für sich" und "für andere". Die Identität beider Seiten wurde bereits im letzten Kapitel festgestellt, aber nur in Bezug auf den Gegenstand, wie das "Ich" beschaffen ist, blieb offen: "dem Bewusstsein ist der Gegenstand aus dem Verhältnisse zu einem anderen in sich zurückgegangen, und hiemit an sich Begriff geworden; aber das Bewusstsein ist noch nicht für sich selbst der Begriff und deswegen erkennt es in jenem reflektierten Gegenstande nicht sich" [PhdG;S93].

Aber auf der Grundlage der Reflexion über den Gegenstand soll nun auch das "Ich" bestimmt werden: "an diesem ausgebildeten Gegenstande, der dem Bewusstsein als Seiendes sich darbietet, wird es sich erst zum begreifenden Bewusstsein"[PhdG, S.94]. Doch bevor das geleistet werden kann, muss zuerst wieder "das gegenständliche Wesen." [PhdG, S.93] betrachtet werden. Von diesem wurde bereits gezeigt, dass es als "die Einheit, des für sich Seins und des für ein anderes Seins ...gesetzt ist." [PhdG;S.94] Wird das "für sich" und "für andere" Sein nur als Erscheinungsform des Gegenstandes gedeutet, so sind diese Aspekte nicht unbedingt allgemein, denn sie scheinen dann nur die Form des Gegenstandes zu betreffen und von diesem abzuhängen. Es wäre dann die allgemeine Form von Gegenständen "für sich" und "für andere" zu sein. Aber diese Relationen betreffen nicht nur die Form, sondern auch den Inhalt, denn "für sich zu sein und zu anderem sich zu verhalten überhaupt macht seine Natur und sein Wesen aus " [PhdG; S.94].

Damit ist es also das Wesen jeder Entität, "für sich" und "für andere" zu sein. Daher können diese beiden Bestimmungen nicht mehr nur als Relationen aufgefasst werden, sondern sie konstituieren eine eigene Entität. Diese Entität hat nun das "für sich" und das "für andere"-Sein sowohl als Form als auch als Inhalt, es sind ihre beiden Verhaltensweisen: "Jenes ist die Auflösung der Selbstständigkeit des Dinges oder die Passivität, die ein Sein für ein anderes ist, dies aber das für sich Sein." [PhdG;S.94]

Das "für sich" und "für andere" steht hier in demselben Verhältnis, das im vorherigen Kapitel beschrieben wurde - das eine ist die Auflösung des anderen, sie sind selbständig und doch identisch: "die selbständig gesetzten [Unterschiede] gehen unmittelbar in ihre Einheit, und ihre Einheit unmittelbar in ihre Entfaltung über" [PhdG;s.95]. Das "für sich" ist also ein "zurückgehen" und das "für anderes" ist ein "hinausgehen" aus der Einheit. Die Entität nun, die diese beiden Verhaltensweisen zeigt, ist die "Kraft".

"Daß also die Kraft in ihrer Wahrheit sei, muß sie ganz vom Gedanken frei gelassen und als die Substanz dieser Unterschiede gesetzt werden"[PhdG;s.96], denn die "Kraft", zeigt zwei notwendige Verhaltensformen: "erstens die in sich zurückgedrängte Kraft muß sich äußern; und zweitens in der Äußerung ist sie ebenso in sich selbst seiende Kraft, als sie in diesem in sich Selbstsein Äußerung ist" [PhdG;S.94]

Hegel stellt also den vom Verstand erkannten Relationen des "für sich" und "für anderes" nun die Kraft, die sich äußert und zurückdrängt, als Subjekt dieser zwei Relationen gegenüber. Das "gedoppelte" Wesen des Gegenstandes konnte nicht aufgelöst werden, denn die Gegenstände sind Formen der Kraft und die Kraft besteht wesentlich aus diesen Relationen, nun verstanden als Aktivitäten: "In der Tat ist die Kraft das unbedingt Allgemeine, welches, was es für ein anderes, ebenso an sich selbst ist" [PhdG.;S.95]. Wird das "für sich" und "für andere" Sein nur als Erscheinungsform des Gegenstandes gedeutet, so sind diese Aspekte nicht unbedingt allgemein, denn sie scheinen dann nur die Form des Gegenstandes zu betreffen und von diesem abzuhängen.

Es wäre dann die allgemeine Form von Gegenständen "für sich" und "für andere" zu sein. Aber diese Relationen betreffen nicht nur die Form, sondern auch den Inhalt, denn "für sich zu sein und zu anderem sich zu verhalten überhaupt macht seine Natur und sein Wesen aus " [PhdG.,S.94].

Damit ist es also das Wesen jeder Entität, "für sich" und "für andere" zu sein. Daher können diese beiden Bestimmungen nicht mehr nur als Relationen aufgefasst werden, sondern sie konstituieren eine eigene Entität. Diese Entität hat nun das "für sich" und das "für andere"-Sein sowohl als Form als auch als Inhalt, es sind ihre beiden Verhaltensweisen: "Jenes ist die Auflösung der Selbstständigkeit des Dinges oder die Passivität, die ein Sein für ein anderes ist, dies aber das für sich Sein." [PhdG;S.94]

Das "für sich" und "für andere" steht hier in demselben Verhältnis, das im vorherigen Kapitel beschrieben wurde - das eine ist die Auflösung des anderen, sie sind selbständig und doch identisch: "die selbständig gesetzten [Unterschiede] gehen unmittelbar in ihre Einheit, und ihre Einheit unmittelbar in ihre Entfaltung über"[PhdG;s.95]. Das "für sich" ist also ein "zurückgehen" und das "für anderes" ist ein "hinausgehen" aus der Einheit. Die Entität nun, die diese beiden Verhaltensweisen zeigt, ist die "Kraft". "Daß also die Kraft in ihrer Wahrheit sei, muß sie ganz vom Gedanken frei gelassen und als die Substanz dieser Unterschiede gesetzt werden" [PhdG;s.96], denn die "Kraft", zeigt zwei notwendige Verhaltensformen: "erstens die in sich zurückgedrängte Kraft muß sich äußern; und zweitens in der Äußerung ist sie ebenso in sich selbst seiende Kraft, als sie in diesem in sich Selbstsein Äußerung ist" [PhdG;S.94].

Hegel stellt also den vom Verstand erkannten Relationen des "für sich" und "für anderes" nun die Kraft, die sich äußert und zurückdrängt, als Subjekt dieser zwei Relationen gegenüber. Das "gedoppelte" Wesen des Gegenstandes konnte nicht aufgelöst werden, denn die Gegenstände sind Formen der Kraft und die Kraft besteht wesentlich aus diesen Relationen, nun verstanden als Aktivitäten: "In der Tat ist die Kraft das unbedingt Allgemeine, welches, was es für ein anderes, ebenso an sich selbst ist." [PhdG.;S.95] Die Kraft ist damit das Wahre und an sich selbst gleiche. Hegel unterstreicht, dass das "für sich" und "für andere" aus der Reflexion des Bewusstseins hervorgingen, die Kraft aber die selbständige Einheit dieser Momente ist: "Die Bewegung, die sich vorhin als das sich selbst Vernichten widersprechender Begriffe darstellte, hat also hier die gegenständliche Form, und ist Bewegung der Kraft, als deren Resultat das Unbedingte Allgemeine als Ungegenständliches, oder als Inneres der Dinge hervorgeht" [PhdG;S.96]. Die Wirkung der Kraft ist das "für uns" der Gegenstände und ihrer Bewegungen, hinter denen sich aber das "für sich" der Kraft als "Inneres der Dinge" verbirgt.

Nachdem nun die Kraft als "unbedingt Allgemeines" und "Einheit von 'für sich' und 'für andere'" erwiesen ist, muss die Kraft selbst untersucht werden. Auch die Kraft zeigt eine dialektische Bewegung: Setzt man die Kraft als "Eine", so ist das Bestehen der "entfalteten Materien" ausgeschlossen, denn die Einheit ist nur "für sich". Da sich die Kraft aber äußern muss, so muss die "entfaltete Materie" zu ihr hinzutreten und sie "sollizitieren", also "bitten". Da sich die Kraft aber notwendig äußert, gehört dies, was sie "sollizitiert" notwendig zu ihr.

Trotzdem wirkt die Kraft nicht auf sich selbst, sondern etwas muss zur Kraft hinzutreten, was sie sollizitiert, also "für" das die Kraft ist, denn die Kraft ist ja wesentlich nicht nur "für sich", sondern auch "für andere": "Es sind also zwei Kräfte vorhanden; der Begriff beider ist zwar derselbe, aber aus seiner Einheit in die Zweiheit herausgegangen" [PhdG;S.97]. Beide Kräfte wirken wesentlich auf einander, wobei nicht eine einfach als passiv und die andere als aktiv angesehen werden kann, denn beide sind "Sollizitierende" und "Sollizitierte": "Das Spiel der beiden Kräfte besteht hiemit in diesem entgegengesetzten Bestimmtsein beider, ihrem füreinander Sein in dieser Bestimmung" [PhdG; S.98].

Dem bisher nur in der Wahrnehmung auftretendem Dualismus von "für sich" und "für andere" hat Hegel nun eine objektive Interpretation als "Kraft" gegeben. Da der Begriff "Kraft" der Grundbegriff der newtonsehen Physik ist, muss sich Hegels Ausführung über die Kraft an dem orientieren, was in der Physik über "Kraft" gedacht wird. So übernimmt Hegel einmal die physikalische Einteilung von potentieller Energie und aktueller Energie.

Beispielsweise übt ein Magnet, in dessen Umgebung keinerlei metallische oder magnetische Gegenstände sind, aktuell keine Kraft aus, er besitzt lediglich "zurückgedrängte" oder potentielle Kraft. Gelangt nun ein metallischer Gegenstand an den Magneten so "sollizitiert" dieser die Magnetkraft, der Magnet "äußert" sich. Betrachtet man die Newtonschen Gesetze, so finden sich dort weitere Vorlagen für Hegels Ausführung über Kraftwirkung:

a) Newtons erstes Axiom besagt: "Every body continues in his state ...unless it is compelled to change that state by forces impressed upon it.”28

Dies ist der Trägheitssatz, der besagt, dass ein Zustand sich nur dann ändert,wenn eine zweite Kraft hinzutritt - in Hegels Worten, eine Kraft muss sollizitiert werden.

b) Newtons drittes Axiom lautet: "The mutual actions of two bodies upon each other are always equal."

Dies entspricht Hegels obigem Zitat, dass sich beide Kräfte gegenseitig bestimmen. Aus beiden Axiomen Newtons folgt auch, dass es nicht nur eine Kraft gibt, sondern mindestens zwei. Durch die Verwendung dieses physikalischen Grundbegriffes ist auch bereits der Weg zum "ruhigen Reich der Gesetze“ [PhdG, S.105] vorgezeichnet, denn das geistige Gegenstück zur real wirkenden Kraft ist das Naturgesetz .

Neben die rein physikalische Lesart des Begriffs "Kraft" stellt Hegel aber auch eine psychologische: "Es erhellt im allgemeinen, dass diese Bewegung [der KraftJ nichts anderes ist als die Bewegung des Wahrnehmens" [PhdG, S.96].

In der Wahrnehmung stehen sich Subjekt und Objekt gegenüber, beide sind "Kraft", d.h. sie sind einmal "für sich". Dieses "für sich" ist, wie im vorhergehenden Kapitel erörtert, das ausschließende, das, was beide zu Unterschiedenen macht.

Das "für sich" muss sich aber im "für andere" aufheben, dazu muss aber ein "anderer" da sein, der das "für sich" sollizitiert, damit es sich "äußert" also "für andere" ist. Wahrnehmender und Wahrgenommenes sind als getrennt "für sich" und in ihren "für andere" mit dem Gegenüber vereint.

Der Betrachter sollizitiert also den Gegenstand dazu "für andere" zu sein, er wird dabei gleichzeitig von Gegenstand sollizitiert, denn als Wahrnehmender ist der Betrachter auch "für andere". Indem beide sollizitieren, sind sie auch Sollizitierte, denn für den Betrachter ist der Gegenstand das, was sich als "Medium der Materien" zeigt, aus der Perspektive des Gegenstand bestehen diese Materien aber nur für den Betrachter, insofern ist er das "Medium der Materien". Ungeachtet der Details dieser Interaktion der Kräfte ist das wesentliche Moment, dass sie eben interagieren: "Diese zwei Kräfte existieren als für sich Seiende Wesen, aber ihre Existenz ist eine solche Bewegung gegeneinander, dass ihr Sein vielmehr ein reines Gesetztsein durch ein anderes ist" [PhdG; S.99). Die "Kraft" zeigt dabei die in Kapitel 11 bereits besprochene Dialektik, dass nämlich die Einheit des "für sich" in der Allgemeinheit des "für andere" aufgelöst wird. Der Betrachter sieht nur die eine Seite der Kraft, das allgemeine "für andere"-Sein und in der Wahrnehmung ist dieses "für andere" ein „wirklicher Geqenstand“ [PhdG, S.100]. Das "für sich" der Kraft ist aber "als das Negative der sinnlich gegenständlichen Kraft bestimmt“ [PhdG, S.100]. Die eine Seite lässt sich daher als "Substanz" beschreiben, denn "für andere" ist die Kraft ein bestimmtes, reales Ding. Aber "für sich" ist die Kraft das "Innere der Dinge" [PhdG, S.100). Die Kraft ist also einmal das, was man als Ding wahrnimmt, zum anderen das Prinzip hinter dieser Erscheinung. Da aber die Äußerung der Kraft sein kann oder auch nicht sein kann, ist sie nicht das wahre Wesen, denn Wahrheit ist Sichselbstgleichheit und sichselbstgleich ist die Kraft nur "für sich", denn das für andere der Kraft hängt ja von den anderen ab. Der Magnet zeigt seine Kraft nur, wenn metallische/magnetische Gegenstände anwesend sind, aber er bleibt "für sich" immer ein Magnet.

Das "für sich" der Kraft ist daher "nicht unmittelbar für das Bewusstsein" [PhdG, S.100). Nur mittelbar, in der Äußerung zeigt sich das Innere der Dinge. Diese Äußerung ist die Erscheinung der Kraft, die vom Bewusstsein auch als Erscheinung erkannt wird, aus der heraus in das "Innere" der Dinge reflektiert werden kann. Wie in den ersten beiden Kapiteln das Wissen um das "Einzelne" in sein Gegenteil, das Allgemeine, verkehrt wurde, so ergibt sich auch hier aus dem "Äußeren" sein Gegenteil, das "Innere". Das "Innere" ist die bestimmte Negation des "Äußeren".

Dieses "Innere" der Dinge bestimmt sich damit aber zugleich als ein "Extrem gegen es [das Bewusstsein]" [PhdG,S.101]. Für das Bewusstsein ist das "Innere" das Wesentliche, es erkennt alle Äußerungen der Kraft als Folge eines "Inneren", aber die Natur dieses Inneren ist dem Bewusstsein unbekannt.

Damit verlässt das Bewusstsein endgültig den Bereich des sinnlich Wahrnehmbaren, denn dort zeigt sich nur die Äußerung der Kraft, also die Erscheinung. In der Erscheinung zeigte sich der Gegenstand als "Einzelner", sowie als "Allgemeiner", je nachdem worauf das Bewusstsein sein Augenmerk legte (vgl. das vorhergehende Kapitel). Das Innere ist "vom Gegensatze des Allgemeinen und Einzelnen gereinigt" [PhdG,S.101), denn das Innere ist das "absolut Allgemeine".

4.2 Die übersinnliche Welt

Das Bewusstsein ist nun vor die Aufgabe gestellt, dass "Innere" der Dinge zu ergründen und dabei letztendlich sich selbst zu erkennen: "Unser Gegenstand ist...der Schluss, welcher zu seinen Extremen, das Innere der Dinge und den Verstand, und zu seiner Mitte die Erscheinung hat" [PhdG,S.102].

Damit macht das Bewusstsein seine dritte Erfahrung, die damit beginnt, dass durch die Entdeckung eines "Inneren" die Welt als eine "gedoppelte" erscheint: "In diesem innern Wahren, als dem absolut Allgemeinen, welches vom Gegensatze des Einzelnen und Allgemeinen gereinigt und für den Verstand geworden ist, schließt sich erst über der sinnlichen als der erscheinenden Welt nunmehr eine übersinnliche als die wahre Welt auf, über dem verschwindenden Diesseits das bleibende Jenseits" [PhdG;S.101].

Aus dem erkenntnistheoretischen Dualismus des sprachlich nicht fassbaren Einzelnen und des Allgemeinen ist nun eine metaphysische Einteilung der Welt in Diesseits und Jenseits erwachsen. Das Bewusstsein muss nun den Zusammenhang dieser beiden Seiten begreifen. Das Jenseits des "für sich" steht dem Diesseits des "für andere" gegenüber. Es ergibt sich daraus die Frage, was das "Jenseits" ist: "es ist leer, denn es ist nur das Nichts der Erscheinung und positiv das einfache Allgemeine." [PhdG;s.102] Das "Jenseits" ist also ein rein negativer Begriff, denn es wird "im Leeren nichts erkannt" [PhdG; S.102]. Damit ist die Möglichkeit gegeben, das "Leere" oder das "Jenseits" als Projektionsfläche zu benutzen, es mit "Träumereien, Erscheinungen...zu erfüllen" [PhdG; S.101]. Dies ist aber nur möglich, wenn man die obige Bestimmung des Inneren ignoriert, denn Kraft "für sich" und "für andere" sind identisch, d.h. das Innere ist wesentlich mit der "Äußerung" verbunden. Man kann das "Leere" nur mit "Träumereien" füllen, wenn man seinen Bezug zur Mannigfaltigkeit der Welt ignoriert, denn: "Das Übersinnliche ist also die Erscheinung als Erscheinung" [PhdG.;S.103].

Bei dieser Formulierung muss man an Hegels Begriff "aufheben" denken. Das Übersinnliche ist das "Nichts von einem Inhalt", es ist das Aufheben der sinnlichen Welt, nicht als einfache, sondern als bestimmte Negation. Die "Leere" der übersinnlichen Welt muss also anhand der Erscheinung entdeckt werden, anstatt es mit "Träumereien" zu füllen. Diese Einstellung charakterisiert die Naturwissenschaft, das Bewusstsein wird also die Welt der Erscheinung, die Äußerung der Kraft, wissenschaftlich zu deuten versuchen. Dazu betrachtet das Bewusstsein die Erscheinung, das "Spiel der Kräfte". Dieses Spiel ist der "unmittelbare Wechsel oder das absolute Austauschen der Bestimmtheit" [PhdG; S.103]. Dabei erscheint es zunächst, als ob viele Kräfte in wechselseitigem Austausch

stehen und sich gegenseitig bestimmen. Aber diese Vielheit muss vereinheitlicht werden auf das ihr zugrunde liegende Allgemeine und dieses stellt sich so dar, dass nur eine Kraft wirkt, und dass die wechselseitige Interaktion auf ihren Unterschieden beruht. Vorausgreifend kann man sagen, dass dabei Unterschiede der Masse, Ladung, Entfernung usw. gemeint sind. Nimmt man diese Unterschiede jedoch nicht mehr als bestimmte Unterschiede, sondern abstrahiert von den jeweiligen Situationen, so erhält man allgemeine Unterschiede. "Hiedurch verschwindet aller Unterschied besonderer Kräfte" [PhdG.;S.104]. Auch hier ergibt sich die allgemeine Kraft als bestimmte Negation der besonderen Kräfte.

Es existiert also nur eine allgemeine Kraft deren Wirken auf allgemeinen Unterschieden beruht: "Dieser Unterschied als allgemeiner...ist das Gesetz der Kraft" [PhdG; S.104]. Bei Hegels Ausführungen sollte man daran denken, dass im Hintergrund die Physik Newtons steht. Die Physik verdankt ihre Entwicklung der Tatsache, dass man verschiedene Kraftwirkungen als Formen einer Kraft erkannte. Man kann aber auch nur dann das "Spiel der Kräfte" vereinheitlichen, wenn man von ihren wahrnehmbaren, besonderen Unterschieden abstrahiert und ein "Inneres" postuliert, das einem allgemeinen Prinzip folgt.

Diese Mannigfaltigkeit der Kraftwirkungen beruht auf besonderen Unterschieden, die in der realen Welt zu Tage treten. Die Kraft selbst jedoch, als "Kraft für sich", ist unabhängig von solchen besonderen Unterschieden, sie bedarf nur des allgemeinen Unterschieds. Dieser Unterschied wird im Gesetz ausgedrückt, und die "übersinnliche Welt", genommen als das "Innere" der Erscheinung, ist damit ein "ruhiges Reich von Gesetzen [PhdG, S.105]. Das Bewusstsein macht in seinem Umgang mit Naturgesetzen nun wieder eine sprachlich-logische Erfahrung, die Hegel aber nicht im Sinne seines Erfahrungsbegriffes detailliert darstellt, sondern nur allgemein schildert. Aber wie in den vorangegangenen Kapiteln ist es die Sprache und der Versuch, die Weltsprachlich zu begreifen, der dem Bewusstsein die entscheidenden Aspekte der Welt vermittelt.

Um Hegels Auffassung von Naturgesetzen zu erläutern, soll hier das Gesetz der Allgemeinen Attraktion, also das Gravitationsgesetz herangezogen werden. Es wird von folgender Formel beschrieben:

K = γ (mM/r)

Darin ist die Anziehungskraft K gleich dem Produkt der Massen m und M geteilt durch das Quadrat der Entfernung r mal der Gravitationskonstante γ. Es ist dabei einmal sehr wichtig zu sehen, dass das Gesetz die Form einer Identitätsgleichung hat, also die Form "A=A".

Diese Form ist Hegels Idealbild der Erkenntnis, weshalb die Formulierung von Naturgesetzen im Zentrum der nachfolgenden Überlegungen stehen wird. Im Gesetz wird von Äußeren auf das Innere geschlossen, die Kraft K ist dabei die erscheinende Kraft, während die anderen Teile das Gesetz, also das Innere selbst, beschreiben, das sich aus der Negation des Äußeren ergeben hat.

Im vorherigen Kapitel ergab sich das "für sich" = "für andere", eine Gleichung dieser Art ist auch das Naturgesetz. Die Teile dieser Gleichung sind demnach auch Gegensätze und damit die bestimmte Negation voneinander:

1. K = K

2. ¬K = ¬K

3. ¬¬K = γ (mM/r²)

4. γ (mM/r²) = γ (mM/r²)

Das Gesetz, so Hegel, enthält den Unterschied als Allgemeinen und im zitierten Gesetz ergeben sich zwei allgemeine Unterschiede, die dem Gesetz zu Grunde liegen: die Unterschiede der beiden Massen und der Unterschied der Entfernung. Das Besondere der Unterschiede, ob etwa eine der Massen ein Apfel, ein Elefant oder Planet ist, hat keine Bedeutung für das Gesetz. Dadurch kommt aber eine Unschärfe in das Gesetz und es "füllt die Erscheinung nicht aus." [PhdG,S.105] Denn das Gesetz beschreibt alle Situationen, aber man kann aus dem Gesetz selbst nicht sagen, welche Situation vorliegt. So kann das Gesetz eben für das Verhalten von Äpfeln untereinander angewandt werden, die auch eine Anziehung aufeinander ausüben oder auch auf Planeten usw.. Die Anwendungsfälle des Gesetzes sind unendlich und können aus dem Gesetz nicht vorhergesagt werden:

"Es bleibt dadurch der Erscheinung für sich eine Seite, welche nicht im Inneren ist" [PhdG, S.105]. Das Gesetz berücksichtigt nur allgemeine Unterschiede, die besonderen Unterschiede, die in der Erscheinung zu Tage treten sind demgegenüber kontingent und werden vom Gesetz nicht erfasst: "Was ihm zu mangeln scheint, ist, daß es zwar den Unterschied an ihm selbst hat, aber als allgemeinen" [PhdG,S.105]. Das allgemeine Gesetz ist also unbestimmt.

Will man nun ein Gesetz für eine bestimmte Art von Situation, so besitzt dieses zwar Bestimmtheit, aber es existieren dann mehrere Gesetze nebeneinander. In Bezug auf das obige Beispiel des Gravitationsgesetzes müsste man, um ihm Bestimmtheit zu verleihen, für alle Situationen in denen zwei Massen in bestimmter Entfernung aufeinander einwirken je ein eigenes Gesetz formulieren. Aber das kann nicht das Ziel der Wissenschaft sein und darum müssen "Die vielen Gesetze in ein Gesetz zusammenfallen'' [PhdG,S;105].

Ziel der gesetzmäßigen Erfassung der Erscheinung ist also die Vereinheitlichung. Hegel zitiert nun konkrete Beispiele, nämlich Galileis Fallgesetze ("Gesetz nach welchem der Stein fällt" [PhdG, S.105]) und Keplers Gesetze der Planentenbewegung ("Gesetz, nach welchem die himmlischen Sphären sich bewegen"[PhdG,S;105] ). Diese beiden Gesetze wurden durch Newtons Gravitationsgesetz vereinigt. Dadurch verliert aber das Gesetz seine Bestimmtheit, denn das Gravitationsgesetz gilt nun für

fallende Äpfel genauso wie für Planetenbahnen. Es wird also von dem Gesetz K = γ (mM/r²) nichts Bestimmtes mehr ausgedrückt außer der Tatsache, dass die Kraft K genau das ist, als was das Gesetz sie definiert: "Die allgemeine Attraktion sagt nur dies, dass Alles einen beständigen Unterschied zu anderem hat."[PhdG,s.106] Nämlich einen Unterschied der Masse und der Entfernung, denn gäbe es diese Unterschiede nicht, so gäbe es auch nicht die postulierte Kraft K. Es muss also diese Unterschiede geben, es muss sie notwendig geben.

Das allgemeine Gesetz K = y (mM/r²) sagt also nicht, was Äpfel oder Planeten tun, sondern nur, dass Kraft auf einem Unterschied der Masse und der Entfernung beruht. Nun deutet Hegel Newtons Gravitationsgesetz nicht als "allgemeines Gesetz" [PhdG,S.106], sondern als "Begriff des Gesetzes“ [ebenda], was sich insofern anbietet, als alle anderen Naturgesetze dieses als Vorbild haben. Das Gesetz sollte nun das Allgemeine sein, aber es enthält auch Bezug auf das Bestimmte, nämlich auf die Eigenschaften Masse und Entfernung: "An dem Gesetz nämlich ist der Unterschied selbst unmittelbar aufgefasst und in das Allgemeine aufgenommen"[PhdG.; S.106]. Denn das Gravitationsgesetz geht von zwei Massen m und M aus. "Diese Teile des Unterschieds am Gesetze sind aber zugleich selbst bestimmte Seiten". [PhdG.;S.106]. Das Allgemeine enthält also wieder etwas Bestimmtes, es zeigt sich wieder ein dialektisches bzw. widersprüchliches Moment an Newtons Gesetz. Daher ist das Gesetz zweimal vorhanden: "das einemal als Gesetz, an dem die Unterschiede als selbstständige Momente ausgedrückt sind, das anderemal in der Form des einfachen in sich Zurückgegangenseins, welche wieder Kraft genannt werden kann." [PhdG;s.106]

Betrachtet man wieder die Gleichung K = y (mM/r²), so drückt die linke Seite der Gravitationsgleichung eine Einheit aus, nämlich die Kraft K, die aber gleich der rechten Seite ist, auf der ein Unterschied der Massen ausgedrückt wird (wobei die Massen gleich groß sein können, aber trotzdem sind sie unterschieden).

Hegel bezieht sich mit dem Ausdruck "gedoppelte Weise" des Gesetzes auf die beiden Seiten der physikalischen Gleichung . Dieses Detail ist sehr wichtig, da alle physikalischen Gesetze diese Asymmetrie aufweisen. Hegel zitiert als Beleg für seine These von der gedoppelten Weise die "einfache Elektrizität", die vom Coulombschen Gesetz ausgedrückt wird. Vergleicht man beide Gesetze, so fällt ihre formale Ähnlichkeit ins Auge:

a) K = y (mM/r²); Newtons Gesetz der Gravitationskraft

b) K =q1q2/ r²; Coulombs Gesetz der elektrischen Kraft

Beide Gesetze drücken eine Kraft "für sich" auf der linken Seite aus, beide Kräfte sind das Ergebnis des Produkts unterschiedener Entitäten - Masse bzw. Ladung geteilt durch das Quadrat des Abstands, lediglich die Gravitationskonstante unterscheidet beide. Man sieht dadurch, dass Hegels These vom "Unterschied" als dem wesentlichen Merkmal des Gesetzes aus den ihm zugänglichen Formulierungen physikalischer Gesetze abstrahiert ist. Hegel analysiert nun das Moment des "Unterschiedes" in beiden Gesetzen: "So ist.. einfache Elektrizität, die Kraft [K]; der Ausdruck des Unterschieds fällt in das Gesetz, dieser Unterschied ist positive und negative Elektrizität" [PhdG;S.107].

Die Coulombgleichung (b) enthält links den Ausdruck der Kraft, rechts postuliert sie die Existenz zweier Ladungen, die in bestimmter Entfernung r aufeinander wirken. Diese nach dem Gesetz gleichwertigen Formulierungen derselben Tatsache, nämlich der Coulombkraft, werfen verschiedene Fragen auf. Wenn links nur der Ausdruck der Kraft K steht, der keine Teile hat, so scheint es, dass "sie als einfache Kraft ist gleichgültig gegen ihr Gesetz, als positive und negative zu sein" [PhdG, S.101].

Die Beziehung des einfachen Ausdrucks K zu der anderen Seite der Gleichung ist unklar: "und wenn wir jenes ihren Begriff [K], dies aber ihr Sein nennen [q1q2/r²], so ist ihr Begriff gleichgültig gegen ihr Sein ." [PhdG,S.101].

Es ist also nicht einsehbar, welche notwendige Beziehung der einfache Ausdruck der Kraft zu den anderen Ausdrücken besitzt, also warum er damit identisch sein soll. Man kann die Betrachtung aber auch von der anderen Seite der Gleichung her beginnen: "Diese Gleichgültigkeit erhält eine andere Gestalt, wenn gesagt wird, dass es zur Definition der Elektrizität gehört, als positive und negative zu sein" [PhdG, S.107]. Aus der Definition der elektrischen Kraft erscheint es als notwendig, dass die Kraft K definiert wird als "q1q2/r²" . Aber woher soll diese Notwendigkeit stammen? Aus dem Ausdruck K lässt sich nichts ableiten, es ist nicht offensichtlich und logisch notwendig, dass die elektrische Kraft K = q1q2/ ~ ist. Dass sie so ist, ist das Ergebnis empirischer Forschung. Nun soll aber ein Gesetz eine Notwendigkeit ausdrücken: "in jener Definition liegt aber nicht die Notwendigkeit ihrer Existenz“ [PhdG, S.107]. Die Existenz der Elektrizität kann aber nicht deduziert werden, sondern sie wird in der Natur gefunden und existiert weil zwei unterschiedene Ladungen sich so und so verhalten. Die Einfachheit des Gesetzes gründet sich also auf eine Vielheit. Genauso verhält es sich bei den Fallgesetzen: "Bei der Bewegung des Falles ist die Kraft das Einfache [K], ..., welche das Gesetz hat, das die Größen der unterschiedenen Bewegung...sich wie Wurzel und Quadrat zueinander verhalten."[PhdG;S.101].

Die Kraft hat also Teile, aber in der Realität findet man nur die Kraft und nicht ihre Teile: "Als einfaches Wesen, oder als Kraft vorgestellt ist sie wohl die Schwere, welche aber diese Unterschiede überhaupt nicht in ihr enthält" [PhdG, S.108]. Der Unterschied der beiden Seiten der Gleichungen "ist in beiden Fällen kein Unterschied an sich selbst; entweder ist das Allgemeine, die Kraft gleichgültig gegen die Teilung, welche im Gesetz ist, oder die Unterschiede, Teile des Gesetzes sind es gegeneinander." [PhdG;S.108]

Wie bei der Dichotomie "für sich" und "für andere" ist auch hier der Unterschied von Einheit und Vielheit lediglich ein gedanklicher. Es gibt nicht einerseits eine Kraft und andererseits unterschiedene Entitäten wie Ladung, Masse oder Zeit und Raum: "dieser innre Unterschied fällt nur erst noch in den Verstand“ [PhdG, S.109].

Dies kann man nun als das erste Resultat der Erfahrung des Verstandes ansehen, dass nämlich in Gesetzen ein Unterschied ausgedrückt wird, der sich in der Welt gar nicht zeigt. Durch diesen Wiederspruch wird dem Bewusstsein die eigene Tätigkeit bewusst, denn die Gleichungen der Naturgesetze sind so, wie sie formuliert sind, gar kein genaues Abbild der Welt, denn diese enthält nur die ungeteilte Kraft.

Das Gesetz dieser Kraft enthält dann aber Teile, von denen gesagt wird, dass sie mit der einen und ungeteilten Kraft identisch sind. Das Bewusstsein erkennt also, dass die im Gesetz gemachten Unterschiede "kein Unterschied der Sache selbst" [PhdG,S.109] sind, sondern ein Unterschied des Verstandes, den er sprachlich macht um sich selbst mit sich über die Kraft zu verständigen: "...sie [die Elemente der Gleichung] werden zwar unterschieden, ihr Unterschied aber zugleich, kein Unterschied der Sache selbst zu sein, ausgedrückt, und daher sogleich wieder aufgehoben; diese Bewegung heißt Erklären." [PhdG;S.108]

Erklären ist wieder eine sprachlich-symbolische Betätigung, und es zeigt sich auch hier, dass die Erfahrung des Bewusstseins auf Sprache beruht. Auf die empirische Arbeit, die dem Aufstellen eines Naturgesetzes vorangeht, geht Hegel nicht ein, sie ist für seinen Erfahrungsbegriff auch nicht relevant.

Relevant ist wieder die sprachliche Form, dass also ein Gesetz als Gleichung dargestellt wird, die eine innere Asymmetrie aufweist und trotzdem die Identität beider Seiten behauptet. Im Erklären wird eine Einheit mit etwas Verschiedenem gleichgesetzt, aber dieses Verschiedene wird als nicht von der Einheit unterschieden gedacht.

Hegel zitiert das Beispiel des Blitzes dessen Kraft durch das Coulombgesetz beschrieben wird: K = q1q2/r². Der Blitz entsteht durch zwei räumlich getrennte Ladungen und erscheint als Kraft. Der Blitz wird also mit Unterschieden erklärt, nämlich dass zwei verschiedene Ladungen in bestimmter Entfernung existieren.

Wenn diese Unterschiede aber bestehen, so heben sie sich gleichzeitig auf, denn das Gesetz sagt: Wenn diese Unterschiede bestehen, so existiert die Kraft K, die Kraft K ist aber nichts, was in sich Unterschiede trägt. Das Gleichheitszeichen im Gesetz zeigt die Identität der Elemente an, ihre Unterscheidung dient der Erklärung

und soll keine eigenständige Vielheit beschreiben, denn was links in einer Gleichung steht ist identisch mit der rechten Seite: "Diese Kraft ist dann so beschaffen, dass wenn sie sich äußert, entgegengesetzte Elektrizitäten hervortreten, die wieder ineinander verschwinden, das heißt, die Kraft ist gerade so beschaffen wie das Gesetz es sagt." [PhdG;S.1 08] Der scheinbare Unterschied innerhalb der Gleichungen geht auf den Verstand zurück, der beide Seiten vergleicht, sie unterscheidet, aber einsehen muss, dass der Unterschied nur scheinbar ist. Die Formulierungen der Gesetze sind tautologisch, sie dienen dem Erklären, beschreiben aber keinen Unterschied an den Dingen selbst. Was bringt dann aber das Erklären durch Naturgesetze, wenn es nur "ein Erklären, das nicht nur Nichts erklärt" [PhdG, S.109] ist?

Vorher wurde gezeigt, dass die Elemente der Gleichungen gleichgültig gegenüberstehen, die Kraft K ist ungeteilt, ihr gegenüber stehen die gleichgültigen Elemente. Erst durch die Tätigkeit des Erklärens werden diese Elemente aufeinander bezogen, erst in der tautologischen Bewegung des Bewusstseins bilden sie eine Einheit. "In ihr [der Bewegung des Erklärens] aber erkennen wir ...dasjenige, was an dem Gesetz vermisst wurde, nämlich den absoluten Wechsel" [PhdG, S.110]. Dieser Wechsel stellt sich folgendermaßen dar: "Es ist nicht nur die bloße Einheit vorhanden, so daß kein Unterschied gesetzt wäre, sondern es ist diese Bewegung, dass allerdings ein Unterschied gemacht, aber weil keiner ist, wieder aufgehoben wird" [PhdG,S.110. Dadurch werden die Gesetze dynamisch und spiegeln die Bewegung der Welt wieder: "Mit dem Erklären also ist der Wandel und Wechsel, der vorher außer dem Innern nur an der Erscheinung war, in das Übersinnliche selbst eingedrungen" [PhdG; S.110].

4.3 Die verkehrte Welt

Zwar ist durch die Bewegung des Erklärens Dynamik in das Naturgesetz gekommen, aber "dieser Wechsel ist so noch nicht ein Wechsel der Sache selbst" [PhdG,S.110], denn da das Naturgesetz für das Bewusstsein das "Innere" der Dinge darstellt, so muss die Bewegung des Naturgesetzes auch in der Welt auffindbar sein. Dem Bewusstsein ergeben sich also aus der Betrachtung der Naturgesetze als dem

"Inneren" der Dinge zwei weitere Gesetze. Der Verstand "erfährt also, dass es das Gesetz der Erscheinung selbst ist, dass Unterschiede werden, die keine Unterschiede sind" [PhdG; S.110]. Dies ist das "Gesetz der Erscheinung", es besagt, dass aus der einheitlichen Kraft K die Unterschiede der Masse, Ladung usw. hervorgehen, die aber keine Unterschiede sind, weil sie nämlich genau diese Kraft K sind. Diesem ersten Gesetz ist ein zweites Gesetz genau entgegengesetzt, denn es behauptet das "Gleichwerden des Ungleichen". Nach dem ersten Gesetz entstehen also Unterschiede aus dem, was eigentlich nicht Unterschieden ist, das zweite Gesetz besagt, dass diese Unterschiede wieder "Gleichwerden". Dieser Vorgang lässt sich nun mit dem Erfahrungsschema vergleichen. Dort zeigte sich, wie Unterschiede werden, etwa an der einheitlichen Kraft K:

a) K = K

b) ¬K =¬ K

c) ¬¬K = γ (mM/r²)

d) γ (mM/r²) =γ (mM/r²)

Die Kraft K wird negiert und so zu etwas Unterschiedenem, nämlich dem mehrteiligen Gesetz. Hier scheint also das erste Gesetz zum Tragen zu kommen, dass Unterschiede werden. Das zweite Gesetz besagt, dass die Unterschiede aufgehoben werden, dass also gilt: K = (mM/,-2). Die Kraft ist dann eins mit ihrem Gegenteil. Es zeigt sich also: "die Kraft zersetzt sich in einen Gegensatz, der zunächst als ein selbstständiger Unterschied erscheint, aber welcher sich in der Tat keiner zu sein erweist" [PhdG, S.111].

Die Bewegung des Erfahrungsschemas bezeichnet das erste "Übersinnliche", dort werden Unterschiede, etwa aus dem Einzelnen das Allgemeine, aus dem Positiven das Negative. Zuerst führt Hegel wieder Beispiele aus der Naturwissenschaft an, wie etwa die dann folgende Identität von Wasserstoffpol (Kathode) und Sauerstoffpol (Anode), oder die Identität von Süß und Sauer. Der Wasserstoffpol ist elektrisch das Gegenteil des Sauerstoffpols und damit seine bestimmte Negation. Wer behaupten würde, als Wissen im Sinne des Erfahrungsschemas, dass nur der Wasserstoffpol der elektrische Strom sei, müsste dieses Wissen negieren und erhielte daraus den neuen Gegenstand, den Sauerstoffpol. In der ersten übersinnlichen Welt sind daher Wasserstoff- und Sauerstoffpol unterschieden, in der verkehrten Welt sind sie eins, d.h. identisch. Nur beide zusammen ergeben Strom, ein Stromkreis ist daher die Einheit dieser Gegensätze. In der einen Welt fallen also die Gegensätze im Sinne des Erfahrungsschemas auseinander und in der zweiten, der verkehrten Welt werden sie wieder gleichgesetzt. Hegel identifiziert die beiden Welten auch als "die eine die Erscheinung, die andere aber das Ansich" [PhdG, S.112].Was dies bedeutet, wenn man sich aus dem Kreis physikalischer Beispiele löst, zeigt Hegel am Beispiel eines moralischen Gesetzes: In der einen Welt der Erscheinung, also in der Welt in der Unterschiede bestehen, ist Rache an dem Feind "die höchste Befriedigung" [PhdG,s.112]. Damit dies so sein kann, muss es einen Unterschied von Freund und Feind geben, überhaupt den Unterschied verschiedener Menschen, denn hebt man den Unterschied zwischen den Menschen auf, so wird die Rache zur "Selbstzerstörung“ [PhdG., S.112].

Wird jedoch der Gegensatz von Freund und Feind aufgehoben, indem gesetzt wird: Begnadigung = Strafe, so würde sich die Strafe der einen Welt im Ansich zur Begnadigung verwandeln. Die Folge dieser "Verkehrten Welt" wäre damit, dass man immer das Gegenteil dessen, was man "an sich" tun will, tun muss. So wäre "eine Handlung, die in der Erscheinung Verbrechen ist,...im Innern eigentlich gut" [PhdG, S.113J, man müsste also Verbrechen begehen, um "Im Innern" gut zu sein.

Sähe man also die Wirkung des Gesetzes der Erscheinung, dass nämlich Unterschiede werden und die Wirkung des zweiten Gesetzes, dass sie sich aufheben, auf zwei Welten verteilt an, so würden sich die Widersprüche nicht aufheben, denn jeder Teil des Widerspruchs würde selbständig in einer der beiden Welten bestehen . Das Süße wäre ja in der Erscheinung das Süße, nur im "Innern" das Saure.

Aber diese paradoxe Welt die im Innern das Gegenteil des Äußeren ist, gibt es nicht: "Allein, solche Gegensätze von Innerem und Äußerem...sind hier nicht mehr vorhanden. Die abgestoßenen Unterschiede verteilen sich nicht von neuem an zwei solche Substanzen.“ [PhdG, S.113]

Statt dass die Widersprüche auf zwei Welten verteilt sind, existieren sie in einer Welt: Das Saure hat sein Gegenteil im Süßen, der Nordpol existiert neben dem Südpol. Der Nordpol wird nicht im "Innern" zum Südpol, sondern es gibt einen Südpol, der das Gegenteil des Nordpols ist. Die Gegensätze existieren in einer und derselben Welt. So hat das Verbrechen sein Gegenteil in der realen Strafe, denn das Verbrechen ist nicht im "Innern" das Gute, sondern durch die Strafe wird das Gute wieder hergestellt.

4.3.1 Die Unendlichkeit und das Selbstbewusstsein

Die Bewegung, die sich im Erklären zeigte, existiert auch in der realen Welt. Es werden Gegensätze wie Nord- und Südpol, Süß und Sauer und sie heben sich selbst wieder auf, eben weil sie Gegensätze sind. Sie heben sich nicht in einer gedachten Weise auf, denn in der verkehrten Welt war das Zusammenfallen der Gegensätze nur gedacht, aber man muss diesen Zusammenfall riicht denken, denn er ist real wie sich aus der Analyse des Begriffes "Gegensatz" ergibt. Um das Verhältnis der Gegensätze zu verstehen, muss man "die Entgegensetzung in sich selbst, [den] Widerspruch... denken" [PhdG,S.114].

Der Nordpol kann nicht ohne den Südpol existieren, der Nordpol kann nur in unmittelbarem Verhältnis zu seinem Gegensatz sein, man muss nicht das Gegenteil des Nordpols im "Innern" suchen, sondern er "ist...das Gegenteil seiner selbst" [PhdG,S.114]. Ebenso hat das Verbrechen sein Gegenteil nicht in einer anderen Welt, sondern die Strafe ist das Gegenteil des Verbrechens. Das, was also an zwei Welten verteilt war, existiert in einer Welt, und daraus folgt die Konsequenz, dass die eine Welt ebenfalls das Gegenteil ihrer Selbst ist, dass sie also aus Gegensätzen besteht, die sich selbst wieder aufheben: "So hat die übersinnliche Welt, welche die verkehrte ist, über die andere zugleich übergegriffen, und sie an sich selbst, sie ist für sich die verkehrte, d.h. die verkehrte ihrer selbst; sie ist sie selbst, und ihre Entgegensetzung in einer Einheit“ [PhdG,S.114]. Der Widerspruch der im Naturgesetz gefunden wurde, nämlich die Einheit der Vielheit, gilt auch in der realen Welt. Die reale Welt besteht aus der einen Kraft K, die sich als unterschiedene Momente wie Zeit, Raum, Ladung, Masse usw. äußert und diese Unterschiede, die das Gegenteil ihrer Einheit bilden, gleichzeitig wieder aufhebt.

Man muss sich daran erinnern, dass diese Aufspaltung bereits in den anderen Kapiteln thematisiert wurde, im ersten Kapitel zeigte sich das einzelne Diese, das dann als Allgemeines erkannt wurde, im zweiten Kapitel zeigte sich der eine Gegenstand, der in die vielen Eigenschaften zerfällt und nun zeigt sich die eine Kraft, die sich in unterschiedene Momente zersetzt - jedesmal ist das Eine gleichzeitig mit seinem Gegensatz und beide heben sich gegenseitig auf.

Aus der Einheit des an sich selbst Unterschiedenen geht nun ein neuer Begriff hervor: Die Unendlichkeit. "Nur so ist der Unterschied als innerer oder Unterschied an sich selbst, oder ist als Unendlichkeit." [PhdG;S.114]

Die Unendlichkeit ist die Einheit der Gegensätze, letztlich also die coincidentia oppositorum.

Das Bewusstsein macht also durch die Naturgesetze die Erfahrung der Unendlichkeit. Hegel führt die drei Momente dieser Erfahrung noch einmal an:

1. Das Naturgesetz ist "ein ... Sichselbstgleiches, welches aber der Unterschied an

sich ist" [PhdG,S.114]. Denn rein logisch ist die Kraft sie selbst, also "K = K", aber sie ist von sich selbst unterschieden oder steht zu sich im Wiederspruch, denn im Gesetz ist die Kraft "K =--. K", denn es gilt "K =S (mM)/~" im Gravitationsgesetz.

2. "Das Entzweite, welches die im Gesetz vorgestellten Teile ausmacht, stellt sichals Bestehendes dar" [PhdG,s.114]. Die Teile sind also echte Teile. Die voneinander unterschiedenen Teile aber, heben sich wieder selbst auf:

3. "und ihr Sein ist dieses vielmehr, sich als Nichtsein zu setzen, und in der Einheit aufzuheben“ [PhdG, S.110]

Durch diese Bewegung wird das Unendliche zum Begriff des Bewusstseins. Das Unendliche ist damit das Sichselbstgleiche, das sich von sich selbst unterscheidet, es ist "das einfache Wesen des Lebens, die Seele der Welt, das allgemeine Blut zu nennen" [PhdG,S.115]. Das Bewusstsein hatte als Kriterium der Wahrheit "Sichselbstgleichheit": "…sein Kriterium der Wahrheit ist daher die Sichselbstgleichheit" [PhdG,S.82] und in der Unendlichkeit findet das Bewusstsein nun das Sichselbstgleiche, das sich aber von sich unterscheidet. Das Bewusstsein erfährt diese Unendlichkeit in seiner eigenen Bewegung, in der Bewegung des Erklärens: "Er hebt die im Gesetze vorhandenen schon reingewordenen, aber noch gleichgültigen Unterschiede auf und setzt sie in einer Einheit der Kraft." [PhdG,s.116]

Es ist also die Bewegung des Bewusstseins, die diese Unterschiede aufhebt, und die Bewegung des Bewusstseins setzt auch die Unterschiede wieder. Dies zirkuläre Setzen von Unterschieden und ihr gleichzeitiges Aufheben nun ist das Bewusstsein selbst. Das Bewusstsein macht "tausend Dinge zu Gegenständen, welche den Inhalt der Momente der Bewegung ausmachen" [PhdG, S.117], aber diese Gegenstände sind keine echten Gegenstände, weil das Bewusstsein, das sie setzt, sie auch gleich wieder aufhebt. Indem nun das Bewusstsein von den Gegenständen, um die es zu gehen scheint, absieht und die reine Bewegung des Setzens und Aufhebens der Unterschiede selbst zu seinem Gegenstand macht, erkennt es sich selbst.

Die Einheit der Unterschiede ist aber die Unendlichkeit und "Indem ihm dieser Begriff der Unendlichkeit Gegenstand ist, ist es also Bewusstsein des Unterschieds als eines unmittelbar ebenso sehr aufgehobenen, es ist für sich selbst, es ist Unterscheiden des Ununterschiedenen, oder SELBSTBEWUSSTSEIN." [PhdG,S.117]

Das Bewusstsein erkennt also, dass es selbst das Unterscheiden ist, denn es unterscheidet die Rücksichten des Gegenstandes, es unterscheidet Einzelding und Allgemeines, es unterscheidet die Kraft und die verschiedenen Momente und hebt selbst

diese Unterschiede wieder auf und diese Tätigkeit übt es nicht nur an Gegenständen aus, sondern auch an sich selbst: "Ich unterscheide mich von mir selbst, und es ist darin unmittelbar für mich, das dieses Unterschiedene nicht unterschieden ist." [PhdG,S.118] Der Hauptunterschied, den das Bewusstsein setzt, ist jedoch seine Verschiedenheit vom Gegenstand. Dies legt nahe, Gegenstand und Bewusstsein im Erfahrungsschema in Beziehung zu setzen, denn das Bewusstsein scheint als bestimmte Negation das Unbewusste, also den Gegenstand, zu haben. Damit sind sie jeweils das Gegenteil von einander, aber deshalb können sie gleichgesetzt werden.

Das Bewusstsein ist damit selbst Unendlichkeit, aber dieser Schluss wird hier noch nicht gezogen. Dem Bewusstsein wird jedoch offenbar, dass das Innere der Dinge nichts anderes ist als es selbst als Unterschiedenes, und dass dieser Unterschied aber aufgehoben ist: "Die beiden Extreme, das eine, des reinen Innern, das andere, des in dies reine Innre schauenden Inneren, sind nun zusammengefallen, und wie sie als Extreme, so ist auch die Mitte als etwas anderes als sie, verschwunden." [PhdG,S.118]

Alles, was das Bewusstsein im Laufe der bisherigen Erfahrung dem Gegenstand zuschrieb, waren Setzungen des Bewusstseins selbst, das sich im Auffassen des Gegenstandes von sich selbst unterschied, aber in Wirklichkeit ist dieser Unterschied nicht. Die Welt ist damit das von sich selbst sich unterscheidende Bewusstsein: "Es zeigt sich, das hinter dem...Vorhange, welcher das Innere verdecken soll, nichts zu sehen ist, wenn wir nicht selbst dahinter gehen"[PhdG, S.118].

4.5 Diskussion

Die Selbsterkenntnis des Bewusstseins schließt nun den ersten Dreischritt der Phänomenologie ab. Doch unterscheidet sich das Kapitel "Kraft und Verstand" deutlich von den vorherigen, denn wurde dort das Bewusstsein in seiner Tätigkeit vorgeführt, und die jeweils grundlegenden Erfahrungen des Bewusstseins im Umgang mit der Welt geschildert, in diesem Kapitel findet sich eine Analyse der Naturwissenschaft, also eines "Phänomens", das die Tätigkeit eines einzelnen Bewusstseins bei weitem übersteigt und sich erst in langen Zeiträumen entwickelte. Die ersten beiden Kapitel stellten ein quasi "einfaches" Bewusstsein dar, das sich ohne Bezug zu irgendwelchen historischen, kulturellen oder sozialen Umständen ganz der Erfahrung der Welt hingibt. In diesem Kapitel nun wird die zur Zeit Hegels schon 200jährige Geschichte der Physik miteinbezogen und der komplexe Begriff eines mathematischen Naturgesetzes.

Da die drei Kapitel trotz dieses Bruches eine Einheit bilden, soll noch einmal die

Gesamtbewegung des Bewusstseins betrachtet werden und die dabei sich ergebenden Erfahrungen.

Ausgangspunkt der ganzen Betrachtung war das "Herausfallen" des Diesen und der Sache aus dem "es ist", wie es das erste Kapitel darstellt. Das war der erste gesetzte Unterschied. Beide, Sache und Dieser, zeigten sich in der sinnlichen Gewissheit zunächst als "Einzelne":

1. "es ist" = "Ich" und "Sache"

2. "Sache" ="Diese"

3. "Ich" = "Dieser"

4. "Diese" ="das Einzelne"

5. "Dieser" ="der Einzelne"

Das Bewusstsein machte seine erste Erfahrung dadurch, dass es versuchte die Sache zu bestimmen als "itzt und hier". Diese raum-zeitliche Bestimmung ergab jedoch, dass das Auffassen des Einzelnen an der Sprache scheitert, und sich nur das Allgemeine aussagen lässt. Sache und Bewusstsein, vorher Einzelne, wurden dadurch zu Allgemeinen:

6: "Gegenstand" = "Allgemeines"

7. "Ich" = "Allgemeines"

Wie sich das Allgemeine in der Sprache zeigt, erfuhr das Bewusstsein durch seinen Versuch, das "Itzt" zu bestimmen und sah dabei, dass das, was "itzt" ist, Vergangenheit wurde, während sich das "itzt" als Bestimmung selbst erhielt und zu einem neuen "Itzt" wurde. Durch diese Erfahrung ergab sich auch der Begriff der Zeitreihe und durch eine ähnliche Erfahrung mit dem "Hier" der Begriff des Raumes.

Raum und Zeit spielten als Begriffe jedoch keine Rolle mehr in der nachfolgenden Betrachtung, so dass sich als Hauptergebnis die Erfahrung zeigt, dass alles Einzelne nur Allgemein aufzufassen ist.

Dadurch war der erste Widerspruch gegeben, denn das offensichtliche Einzelding, etwa das "Stück Papier" aus Hegels Beispiel, ließ sich nicht als Einzelding aufzeigen. Im zweiten Kapitel wurde diese Zweideutigkeit an einem bestimmten Gegenstand dem Salz - untersucht, denn der Gegenstand hatte sich ja sowohl als Einzelner, als auch als Allgemeiner gezeigt:

8. Gegenstand = Einzelner und Allgemeiner

Dieser Widerspruch wurde schon im ersten Kapitel festgestellt, aber als solcher nicht thematisiert. Im zweiten Kapitel ergab sich dieser Widerspruch für das Bewusstsein auf neue Weise, als es versuchte, den Gegenstand "rein" aufzufassen. Es erfuhr dabei, dass sein Auffassen den Gegenstand gar nicht anders darstellen kann als auf die doppelte Weise, dass nämlich der Gegenstand ein Einzelner und durch seine Eigenschaften auch wieder ein Allgemeiner ist. Der Versuch des Bewusstseins, einen der beiden Aspekte "auf sich" zu nehmen, scheiterte, denn es endete in absurden Konsequenzen für den Gegenstand, ihn entweder nur als "Einen" oder als einen "Allgemeinen" darzustellen.

Durch diese Erfahrung, dass es unmöglich ist, die Aspekte des Gegenstandes sinnvoll zu trennen, ergab sich für das Bewusstsein die Notwendigkeit, diese beiden Aspekte zusammen zu denken. Der erste Versuch in dieser Hinsicht war das Aufteilen des Gegenstandes in "Rücksichten", die der Kantischen Dichotomie von "Erscheinung" und "an sich" ähneln. Dadurch ergab sich, dass der Gegenstand zwei Seiten besitzt:

9. "Gegenstand" = "Für sich" und "für andere"

Hegel zeigte nun auf, wie man die beiden Seiten zusammendenken kann. Das Problem dabei war, die beiden Seiten als sinnvoll und intrinsisch zusammengehörig aufzuzeigen und sie nicht, wie Kant es mit "Erscheinung" und "an sich" tat, einfach nebeneinander zu stellen.

Der Gegenstand, so zeigte Hegel, "ist vielmehr in einer und derselben Rücksicht das Gegenteil seiner selbst" [PhdG, S.89]. Dies bedeutet aber nicht, dass beide Seiten beziehungslos nebeneinander stehen, sondern dass sie gerade deshalb miteinander verwoben sind, denn die negative Formulierung des Identitätsprinzips ergab, dass der Gegenstand nur dann "für sich" als Einzelner existieren kann, wenn er alle anderen Gegenstände negiert, sich also von ihnen abhebt. Um dies zu tun, muss er aber "für andere" sein, d.h. sein Unterschied muss für das, wovon er sich unterscheidet, existieren. Dabei ergab sich schon eine erste Identität des Unterschiedenen, denn der Gegenstand kann demnach nur "für sich" sein, wenn er "für andere" ist:

10. Gegenstand "Für sich" = Gegenstand "Für andere" Aus diesem Ergebnis wurden jedoch noch keine Konsequenzen gezogen, Hegel erklärte vielmehr, dass "der gesunde Verstand ...der Raub“ [PHdG, S.91] solcher Überlegungen ist und das Bewusstsein an diesem Punkt noch keine neue Erkenntnis erlangt. Das Zusammendenken der beiden Aspekte des Gegenstands verlangte vielmehr, die Aspekte vom Gegenstand selbst zu lösen und sie als Selbstständig darzustellen. Als Selbstständige Substanz dieser Aspekte erwies sich die Kraft, die genau wie der Gegenstand "für sich" und "für andere" ist. Diese beiden Aspekte wurden jedoch neu gefasst als "zurückgedrängte" und "sich äußernde" Kraft.

1. "zurückgedrängte" Kraft = "sich äußernde" Kraft

Die beide Formen der Kraft sind zwar nicht identisch, hängen jedoch ihrem Wesen nach zusammen, denn die zurückgedrängte Kraft musste sich äußern und zeigte sich dadurch "für andere". Aus den beiden Formen der Kraft ergab sich dann der Gegensatz des "Innern" und "Äußern" für das Bewusstsein. Das Innere konnte vom Bewusstsein mit "Träumereien" gefüllt werden, wenn man den sich schon beim Gegenstand und der Kraft zeigenden Bezug der beiden Seiten außer Acht lässt. Denn das Innere ist wesentlich das "aufgehobene" Äußere, also die negierte Erscheinung. Somit ergab sich folgender Zusammenhang:

2. Inneres = Äußeres

Der genaue Bezug der beiden Seiten wurde nun vom Bewusstsein in der Form des Gesetzes angegeben. Dabei zeigte sich auf der einen Seite die Kraft, die in der Erscheinung existiert und aufder anderen Seite, im "Innern", das Gesetz der Kraft. Als Paradigma für einen solchen Bezug führte Hegel das Gravitationsgesetz an:

3. Kraft = Gesetz

4. K =γ (mM/r²)

Daraus ergab sich nun das Unendliche als die Einheit des Unterschiedenen:

5. Sichselbstgleich = Unterschieden

Im Gravitationsgesetz selbst zeigt sich nun die Situation, die das Bewusstsein schon in der sinnlichen Gewissheit und in der Wahrnehmung vorfand, dass nämlich etwas Einzelnes, Einheitliches wie die Kraft mit einer Vielheit identisch ist. So wie der eine Gegenstand identisch war mit seinen vielen Eigenschaften, oder wie der eine Gegenstand aus der sinnlichen Gewissheit sich als identisch mit allen anderen Gegenständen seiner Art zeigte (vgl. das "Stück Papier“ PhdG, S.77).

Durch das Gesetz zeigte sich aber nun erstmals, dass dieses "gedoppelte" Wesen der Dinge, das in den bisherigen Kapiteln als Problem thematisiert wurde, sinnvoll ist. Denn das Gesetz dient dem Erklären, und Erklären findet nur statt, wenn etwas Einheitliches mit etwas von ihm Unterschiedenen gleich gesetzt wird, mit dem es doch identisch ist. Das Bewusstsein erfährt also durch das Gesetz, dass der Widerspruch sinnvoll ist, und dass die Operation des Unterscheidens des Ununterschiedenen die eigentliche Operation der Erkenntnis ist. So ergibt sich etwa im Hinblick auf das erste Kapitel, dass das Stück Papier nicht alle

Stücke Papier ist, es ist unterschieden, aber doch auch wieder ununterschieden, denn dieses eine Stück Papier ist wie alle Stücke Papier. So ist auch das eine ltzt unterschieden von einem anderen Itzt, und doch sind alle Itzt dieselben. Ebenso zeigt sich am Gegenstand, dass der eine Gegenstand nicht dasselbe ist wie seine allgemeinen Eigenschaften, und doch sind sie dasselbe.

Zuletzt zeigte sich eben am Gesetz, dass die eine Kraft K nicht dasselbe ist wie ihre gleichgültigen Teile Masse, Zeit, Raum usw., und trotzdem sind sie dasselbe. Am Gesetz und am Erklären durch das Gesetz erfuhr das Bewusstsein nun, dass es seine eigene Tätigkeit ist, die Unterschiede sein lässt und sie wieder aufhebt.

Denn die Unterschiede zeigen sich nicht als absolute, d.h. unüberwindliche Unterschiede, sondern als "Unterschied an sich selbst" [PhdG, S.114]. Die Unterschiede, die sich im Gesetz zeigen, sind innere Unterschiede derselben Sache, es sind damit eigentlich keine Unterschiede und durch diese "Bewegung" wird der Widerspruch gedacht und ist somit "Unendlichkeit".

In der Bewegung des Unterscheidens und Aufhebens der Unterschiede zeigt sich nun das Bewusstsein selbst, es erkennt sich und wird dadurch Selbstbewusstsein. Es erkennt sich dadurch als das Wesentliche, als das "Innere" der Erscheinung selbst, denn in allen drei Kapiteln war ja der Gegenstand im Mittelpunkt der Betrachtung als das "Wesentliche". Doch durch seine Versuche, den Gegenstand zu denken, erfuhr das Bewusstsein, dass es selbst das Wesentliche ist. Das Selbstbewusstsein wurde also durch den Gegenstandsbezug und durch die Sprache vermittelt.

Tätigkeit und Erfahrung des Bewusstseins besteht in allen Kapiteln aus Sprechen. Das Bewusstsein erfasst die Welt nur durch Sprache, und nur in der Sprache zeigt sich das Wesen. Erst durch das erklärende Sprechen fiel dem Bewusstsein auf, dass es selbst das Unterscheiden des Ununterschiedenen ist, es ist also so wie Hegel bereits im ersten Kapitel sagte: "Die Sprache aber ist, wie wir sehen, das Wahrhaftere"[PhdG, S.71]. Denn die Sprache ist auch wesentlich das, was Unterschiede setzen lässt, die keine sind. So zeigte sich paradigmatisch im ersten Kapitel, "Indem ich sage, dieses Hier sage ich...alle Hier." [PhdG,S.73]

Das Einzelne Wort steht also sowohl für die individuelle Bedeutung in der jeweiligen Sprechsituation, als auch gleichzeitig für die unendlich vielen möglichen Anwendungen, die es besitzt. Mit einem Wort lässt sich vieles verschiedenes sagen und, wie das Naturgesetzt zeigt, lässt sich durch verschiedene Worte auch dasselbe sagen. Das Bewusstsein, als Sprecher der Sprache, ist damit das, was die Verschiedenheit setzt, etwa indem es ein Ding als "Diese" bezeichnet und den Unterschied auch wieder aufhebt, indem es alles als "Diese" bezeichnet.

Hegel hat damit einen Weg aufgezeigt, den vom Empirismus gemachten Unterschied zwischen dem Allgemeinen als Produkt des Verstandes und dem Einzelnen, als physikalisch gegebenes, unhintergehbares Individuum aufzuheben. Denn das Einzelne ist ja das Gegenteil des Allgemeinen, sie stehen im Widerspruch zueinander, aber der Unterschied von Einzeln und Allgemein ist ein "innerer", d.h. ein aufhebbarer. Das Einzelne ist also genauso das Allgemeine, wie es auch nicht das Allgemeine ist. Das Verhältnis ist ähnlich dem des Bewusstseins zu sich selbst: Das Bewusstsein ist ein sich selbst Ungleiches, aber damit auch wieder sich selbst gleich.

Hegel sieht demnach die Dinge als Koinzidenzen, deren verschiedene, sich wiedersprechende Teile das Bewusstsein auffasst, um sie aber wieder als identisch zu setzen. In Bezug auf Kant heißt dies, dass "Ding an sich" und "Erscheinung" zwar nicht identisch sind, denn das Bewusstsein unterscheidet sie zuerst, dass sie aber doch, im Widerspruch vereint, dasselbe sind, denn die Erscheinung gehört zu dem Ansich, wie das Positive zum Negativen.

Eine der Schwierigkeiten des hegelschen Textes liegt darin, dass neben dieser sachlichen Reflexion über das Verhältnis von Allgemeinem und Einzelnem, auch die Entwicklung des Bewusstseins aufgezeigt werden soll. Hegel verschränkt im Text zwei Ziele, denn einmal will er darlegen, dass die bisherige philosophische Diskussion über Einzeldinge und allgemeine Aussagen Wiedersprüche enthält, eben weil diese Dinge widersprüchlich sind und nur als Wiederspruch richtig verstanden werden können. Zum andern sollen diese Überlegungen als Stufen der Entwicklung des Bewusstseins aufgefasst werden, was dazu führt, dass das am Beginn der Phänomenologie noch sehr einfach wirkende

Bewusstsein, das fast naiv mit deiktischen Ausdrücken versucht die sinnliche Welt zu begreifen, sich im Laufe dieser drei Kapitel als ein Bewusstsein mit beträchtlicher philosophischer Reflexionstiefe erweist. Daraus ergibt sich dann das Paradox, dass genau das Bewusstein, das mit Hilfe der Naturwissenschaft die Unendlichkeit in seiner Reflexion erkannt hat, sich im nächsten Kapitel dem archaischen Kampf um Herrschaft und Knechtschaft unterziehen muss, um danach Stoiker und Skeptiker zu werden. Es ist offensichtlich, dass im Kapitel "Kraft und Verstand" auf Kenntnisse

eingegangen wird , die eigentlich , nach der der Phänomenologie zugrunde liegenden historischen Entwicklung, erst auf der Stufe der Vernunft einem historisch sichentwickelnden Bewusstsein zugeschrieben werden können.

Zuletzt soll hier noch auf die Ähnlichkeit dieses ersten Dreischritts mit Kants "Kritik der Vernunft" hingewiesen werden. Dort findet sich zuerst die "Transzendentale Ästhetik", die ihr Gegenstück im Kapitel "Sinnliche Gewissheit" findet. Bei Kant folgt nun "Die transzendentale Logik" und "Die Analytik der Begriffe", dort werden die Kategorien, die dem Erfassen des Gegenstandes dienen, dargestellt. Hegel greift dasselbe Thema, den Begriff des Gegenstandes, im Kapitel "Die Wahrnehmung" auf. Bei Hegel werden aber weniger die Kategorien selbst behandelt, sondern die Tatsache, dass die Vielheit und Allgemeinheit der Kategorien im Widerspruch zur Einzelexistenz des Gegenstandes stehen, und dass dieser deshalb als "für sich" und "für andere" dargestellt werden muss. Schließlich folgt bei Kant der Abschnitt "Von der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe", bei der Kant die transzendentale Apperzeption, also das transzendentale Selbstbewusstsein als Ursache aller Erkenntnis aufzeigt. Kant schreibt der Apperzeption nur eine Einheitsfunktion zu. Die Analyse des Gegenstandes in Kategorien und Anschauungsformen usw. geschieht ohne Zutun der Apperzeption. Die transzendentale Apperzeption hat ja die Aufgabe auf der Grundlage der Kategorien und Anschauungsformen, die - wie Hegel sagen würde gegeneinander gleichgültig sind, einen Gegenstand zu denken.

Dieselbe Aufgabe hat das Bewusstsein auch bei Hegel, nur sagt Hegel, dass die Vielheit der Eigenschaften keinen subjektiven Grund im Erkenntnisvermögen besitzt, sondern eine objektive Seite des Gegenstandes darstellt, so dass diese Vielheit der Eigenschaften genauso objektiv ist wie die Einheit des Gegenstandes. Daher ist es Aufgabe des hegelschen Bewusstseins, sowohl diese Aspekte des Gegenstandes zu unterscheiden, als auch sie zusammenzudenken.

Für Kant ist die Apperzeption das, was das Mannigfaltige vereinheitlicht, für Hegel bringt das Bewusstsein sowohl die Unterschiede selbst hervor, als es auch die Unterschiede wieder aufhebt. Bei Hegel sind beide Vorgänge Tätigkeiten, während Kant die "passive" Rezeption vom aktiven Handeln des Selbstbewusstseins unterscheidet. Die Erkenntnis, dass das Bewusstsein nicht nur passiv die Mannigfaltigkeit der Welt aufgreift und daraus Gegenstände "denkt", sondern dass es das Bewusstsein ist, das die Welt mannigfaltig sein lässt und diese Vielheit wieder aufhebt, das ist die Essenz aller Erfahrungen, die das Bewusstsein im Laufe dieser drei Kapitel gemacht hat.

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 Runggaldier, Edmund : Analytische Sprachphilosophie, Kohlhammer 1990

 Schmidt, Josef: "Geist", "Religion" und "absolutes Wissens", Kohlhammer 1997

[...]


1 G.W.F. Hegel: Phänomenologie des Geistes; Hrsg. von F.-H. Wessels und H. Clairmont; Felix Meiner Verlag, Hamburg 1988. Im Folgenden als "PhdG" abgekürzt.

2 Berkeley nahm, da die Welt "an sich" nach Locke und Hume sowieso nicht erkannt werden kann, einfach an, dass es sie gar nicht gibt.

3 Lo>20

4 I.Kant: Kritik der reinen Vernunft; Hrsg. J. Timmermann; Felix Meiner 1998, hier abgekürzt als "KdrV"

5 A(x) = Ding "an sich"; E(x)= Ding als "Erscheinung"; V(x) = Vernunftbegriff

6 Metaphysik der Sitten; Hrsg. B. Kraft, D. Schönecker; Felix Meiner 1999

7 Kant: Kritik der reinen Vernunft; a.a.O.; B85 f

8 vgl. Fichte: Über den Begriff der Wissenschaftslehre; Reclam 1997, § 6

9 vgl. Coreth/Ehlen/Schmidt: Philosophie des 19.Jahrhunderts; Kohlhammer 1997; S.19ff

10 E. Runggaldier: Analytische Sprachphilosophie; Kohlhammer 1990; S.133

11 Vgl. Schmidt: "Geist" ,"Religion","Absolutes Wissen" ; Kohlhammer 1997, S.19f

12 J.Lo>

13 Lo>44

14 Hume; Enquiries condernung human understanding ; Ed. Nidditch Oxford 1975; p.33

15 Hume, a.a.O; p.34

16 Hume, a.a.0 . p.46

17 Hume:a.a.O., p.43

18 Locke.a.a.O; book 111 chap. 11 , p.253

19 Sven Aage Jorgensen: Hamann, Metzler 1976; S.66f

20 Hegel:Über "Hamanns Schriften" in: Hegel, Studienausgabe Bd.l; Hg.K. Löwith; Fischer 1968;S.183

21 Hamann: Schriften; Hg. Karl Widmaier, Insel-Verlag 1920, S.249, §368

22 Hamann, a.a.O., S.249 §369

23 Hamann, a.a.O., S.253; § 375

24 Hamann:a.a.O.; S.222 [Des Ritters...Ietzte Willensmeynung über den göttlichen ...Ursprung der Sprache]

25 Hamann: a.a.O., S. 192 [Aesthetica in nuce]

26 Zitiert nach 8chmidt a.a.O., 8.142

27 Hegel, PhdG, S.72

28 Newton: Principia Mathematica;

Final del extracto de 94 páginas

Detalles

Título
Sprache, Bewusstsein, Unendlichkeit. Hegels Begriff der Erfahrung in den ersten drei Kapiteln der "Phänomenologie des Geistes"
Universidad
Munich School of Philosophy
Calificación
1,3
Autor
Año
2006
Páginas
94
No. de catálogo
V415896
ISBN (Ebook)
9783668657342
ISBN (Libro)
9783668657359
Tamaño de fichero
1138 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Hegel Phänomenologie Idealismus Empirismus Negation Hamann, Selbstbewusstsein
Citar trabajo
Jacob Menzler (Autor), 2006, Sprache, Bewusstsein, Unendlichkeit. Hegels Begriff der Erfahrung in den ersten drei Kapiteln der "Phänomenologie des Geistes", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/415896

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Título: Sprache, Bewusstsein, Unendlichkeit. Hegels Begriff der Erfahrung in den ersten drei Kapiteln der "Phänomenologie des Geistes"



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