Zur Diachronie der Negation in der französischen Sprachgeschichte und zum Problem der Absenz des Negationselements "ne" in der Gegenwartssprache


Dossier / Travail, 2016

14 Pages, Note: 1,7

Anonyme


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Problemstellung

2. Die französische Negation in der Diachronie
2.1 Negation im Altfranzösischen
2.2 Negation im Mittelfranzösischen
2.3 Negation imNeufranzösischen

3. Zur ne-Absenz in der Gegenwartssprache
3.1 Außersprachliche Faktoren
3.2 Innersprachliche Faktoren

4. Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlusswort

5. Bibliographie

1. Problemstellung

Die Negation ist als universale Kategorie aller Einzelsprachen ein gut erforschtes Phänomen in der Sprachwissenschaft und wurde in der einschlägigen Fachliteratur bereits unter den unterschiedlichsten Aspekten betrachtet und untersucht. So liegt ein breites Feld verschiedener Untersuchungsansätze vor, auf welchem man sich von der Syntax über die Semantik bis zur Diachronie angenommen hat. Unter Anbetracht der Tatsache, dass die Negationsausdrücke in natürlichen Sprachen die Tendenz zeigen, eine zyklische Entwicklung zu durchlaufen (Jespersen 1917), woraus sich im gegenwärtigen Französisch eine Präsenz zweier unterschiedlicher Negationsausdrücke[1] - der doppelten und der einfachen, postverbalen Negation - ergibt, so erscheint das Problem der diachronen Entwicklung der französischen Negation als besonders interessant und soll im Rahmen des ersten Teils dieser Arbeit einer genauen Darstellung unterzogen werden. Im zweiten Teil wird das aktuelle und bereits von zahlreichen Sprachwissenschaftlern[2] dokumentierte Phänomen des Rückgangs des präverbalen Elements ne behandelt. Nachdem im ersten Teil bereits eine zeitliche Einordnung der Anfänge dieses Phänomens versucht wird, soll im zweiten Teil zunächst ein kurzer Überblick über den aktuellen Forschungsstand gegeben werden und im Laufe der Arbeit der Frage nachgegangen werden, wie der Rückgang des Partikels ne zu den verschiedenen Zeiten beurteilt wurde. Auch sollen die verschiedenen Kriterien zusammengetragen werden, die den ne-Ausfall jeweils entweder positiv oder negativ beeinflussen und so die entweder häufige oder geringe Realisierung von ne in bestimmten Kontexten erklärt werden. Am Ende der Arbeit folgt eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse.

2. Die französische Negation in der Diachronie

Die eingangs erwähnte zyklische Entwicklung der Negationsausdrücke, die Jespersen 1917 für die verschiedensten Sprachen feststellt, erweist sich im Französischen als besonders interessant. Der Übergang vom Lateinischen zum Französischen wurde schon von zahlreichen Autoren untersucht und lässt sich zur Veranschaulichung wie folgt darstellen:

(1) 1. non V → 2. ne V (pas)→ 3. ne Vpas → 4. (ne) Vpas → (?) 5. Vpas (vgl. Dufter 2012: 131, Eckardt 2003: 1)

Hieraus ergibt sich also zunächst ein Übergang vom lateinischen non zum phonetisch schwächeren französischen ne, welches im zweiten Stadium zur Satznegation sowohl allein als auch mit dem Negationsverstärker pas, realisiert werden kann. Im dritten Stadium ist dieser Zusatz des Forklusivs dann nicht mehr optional, sondern wurde durch den häufigen Gebrauch mehr und mehr grammatikalisiert, sodass es im vierten Stadium bereits möglich ist, die Negation unter Auslassung des ursprünglichen Negationselements ne allein durch den Verstärker pas zu realisieren. Jespersen geht davon aus, dass die phonetische Abschwächung des ursprünglichen Negationselements zu dem Bedürfnis führte, die Negation durch ein neues, phonetisch stärkeres Element wieder zu stärken. Dieses Element habe man mit der Zeit als das eigentliche Negationselement empfunden, weshalb es Jespersen zufolge gut möglich sei, dass dieses Element mit der Zeit dem gleichen Wandel ausgesetzt werden könnte (Jespersen 1917: 4). Ob es aber vorher eine Entwicklung hin zur einfachen, postverbalen Negation geben kann, bleibt fraglich. Denn wie aus zahlreichen Studien hervorgeht, bleibt die ne-Realisierung in bestimmten Kontexten bislang relativ stabil[3]. Im Folgenden soll die zuvor angerissene Entwicklung der französischen Negationsausdrücke systematisch dargestellt werden.

2.1 Negation im Altfranzösischen

Mit dem 9. Jahrhundert, aus welchem die ältesten schriftlichen Überlieferungen stammen, beginnt die „Geschichte des Französischen als einer vom Latein unterschiedenen, eigenständigen romanischen Sprache“ (Eckert 1991: 817) und somit auch die Periode des Altfranzösischen, in welche sich die zu besprechende Entwicklung des Negationsausdrucks von non zu ne einordnen lässt. Nyrop stellt für diese Entwicklung fest, dass es sich hierbei nicht um eine punktuelle Ablösung des einen Phänomens durch das andere handelt, sondern dass die beiden Formen über einen längeren Zeitraum parallel existent waren (vgl. Nyrop 1930: 26ff). Zunächst ließ sich die akzentuierte Form non problemlos mit Verben aller Art kombinieren, bis sie nach und nach von der nicht akzentuierten Form ne ersetzt wurde und bereits im11. Jahrundert als abgelöst galt:

(2) non credo (lat.) > non crei > ne crei (Vgl. Nyrop 1930: 26f.)

Die Form non taucht aber in Kombination mit einem konjugierten Verb weiterhin in Antworten auf Entscheidungsfragen auf und hält sich in dieser Verwendung Nyrop zufolge noch bis ins 16. Jahrhundert:

(3) Es-tu falz? - Non sui. (Nyrop 1930: 27)

Neben den bisher angeführten Beispielen für Negationsausdrücke im Altfranzösischen hat sich sehr früh eine weitere, verstärkte Form der Negation zunehmend verbreitet, die ebenfalls auf das Spätlateinische[4] [5] zurückgeht und ungefähr ab dem Jahr 1000 durch älteste Textquellen belegt werden kann (Eckardt 2003: 3). So finden sich neben den ursprünglichen Partikeln non und ne Hilfswörter substantivischer Art, wie pas, point, goutte und mie[5], die zur Verstärkung der Negation dienen:

(4) a. Vos n'irezpas uan de mei si luign (Roland V. 250, nach Nyrop 1930: 31)
b. De sonplaisir rien ne refus; En mei n’a mais point de dangier (Tobler/Lom- matzsch, nach Eckardt 2003: 4)

Es handelt sich hier also um Hilfswörter, „die positiven Sinn tr[a]gen [...] und eine kleine Menge oder eine Sache von geringem Bedeutungswert semantisier[]en“ (Sturm 1981: 13). Dieses Phänomen lässt sich durch die weiter oben bereits angeführte Annahme Jespersens erklären, dass das phonetisch abgeschwächte Negationselement ne allein als nicht mehr ausreichend erschien, eine Satznegation zu leisten. Sturm führt diese Verwendung auf das Bedürfnis nach Differenzierung zurück (ebd.).

2.2 Negation im Mittelfranzösischen

Durch den häufigen Gebrauch dieser Kombinationen etablierten sich die Negationsausdrücke schließlich und die ursprünglichen Hilfswörter positiven Sinns bekamen nach und nach einen negativen Wert (vgl. Nyrop 1930: 37), sodass „[i]hre ehemals inhärente Bedeutungskraft, die Bildhaftigkeit dieser Ausdrücke verblaßte“ und „sie zu bloßen Negationsmorphemen erstarrten“ (Sturm 1981:13). Laut Sturm erfolgte diese Entwicklung etwa vom 13. bis zum 15. Jahrhundert und entspricht aus heutiger Sicht der Periode des Mittelfranzösischen.

Die zweigliedrige Negation, bestehend aus dem konstanten Negationselement ne und einem variablen Negationselement wie beispielsweise pas, die von der heutigen schriftsprachlichen Norm vorgesehen wird (vgl. ebd.: 11), hat sich also maßgeblich während dieser Periode der französischen Sprache entwickelt und verfestigt und ist bis heute hochaktuell. Doch wie eingangs angedeutet, finden sich sowohl im heutigen, als auch im historischen Französisch, Kontexte, in welchen es wieder eine Tendenz zur eingliedrigen Negation gibt, die allerdings im Gegensatz zur präverbalen Negation mit ne steht, da sie einzig durch den Gebrauch einer der ursprünglichen Negationsverstärker realisiert wird. In der Fachliteratur besteht einige Uneinigkeit darüber, wann diese Entwicklung eingesetzt hat.

Eindeutig istjedoch, dass eine Negation ohne ne erstmals in Interrogativsätzen auftrat (Nyrop 1930: 37). Belege hierfür finden sich unter anderen bei Dufter (2012: 131), der diese Entwicklung dem 13. Jahrhundert zuschreibt:

(5) a. Suis-gepas bele dame etgente? (Roman de la Rose, nach Dufter 2013: 132)
b. E! lasse! et que le m'enseigniez, Bonne gent, se le savez point. (Dictionnare du Moyen Français, nach Dufter 2013: 132)

Nyrop geht davon aus, dass der Fragesteller eine positive Antwort erwartet und das ne weglässt, um so seine negativ formulierte Frage abzuschwächen (1930: 37), was mit unserem heutigen Verständnis einer rhetorischen Frage übereinstimmt. Eckardt widmet sich in ihrer Untersuchung unter anderem der Überprüfung der Annahme, dass die ne-Abwesenheit zuerst in Fragesätzen aufgetreten ist und sieht diese durch die Ergebnisse ihrer Suche in der Datenbank Frantext bestätigt: bei einer Suche in den Jahren von 1500 bis 1800 finden sich insgesamt nur 16 Vorkommen von bloßem pas zur Negation, wovon die ersten zehn zwischen 1500 und 1673 insgesamt zehn rhetorische Fragen mit verneinendem pas sind. Das erste Beispiel für ne-Abwesenheit in assertiven Sätzen findet sich dieser Abfrage zufolge erst 1660, das zweite 1741 und vier weitere ab 1770 (Eckardt 2003: 20). So lässt sich für das Phänomen des ne-Wegfalls zumindest festhalten, dass es sich hierbei um eine eher langsame Entwicklung handelt, wo doch das Übergreifen des Wegfalls von Fragesätzen auf assertive Sätze knapp vier Jahrhunderte gedauert hat, wenn man von dem Beispiel unter (5 a.) ausgeht, welches aus den siebziger Jahren des 12. Jahrhunderts stammt.

Strittig bleibt die Entwicklung des ne-Wegfalls, der über Interrogativsätze hinausgeht. Zwar gewähren die Ergebnisse der Abfrage in der Datenbank Frantext eine grobe Vorstellung der zeitlichen Einordnung des Phänomens, können aber längst nicht als repräsentativ gelten, insofern die Datenbank zum einen keine mündlichen Textarbeiten enthält und zum anderen das Hauptaugenmerk auf gehobene literarische Texte legt. Daher werden zur weiteren Darstellung der Diachronie des ne-Wegfalls die Ergebnisse verschiedener Studien nebeneinandergestellt, um einen Verlauf skizzieren zu können.

Nyrop (1930: 38) und nach ihm auch Sturm (1981: 14) beobachten zunächst einen Übergriff des ne-Wegfalls von den Fragesätzen auf die Konditionalsätze zur Zeit der Renaissance, die ebenfalls noch einer späten Periode des Mittelfranzösischen entspricht:

(6) Espiant s'il estoit point aux escoutes (Noël du Fail, nach Nyrop 1930: 38 und Sturm 1981: 14)

In Nyrops Arbeit finden sich schließlich einige Beispiele für ne-Abwesenheit aus Volksliedern (chansons populaires), die Sturm gar zu der Schlussfolgerung führen, dass „der Ausfall von NE seit den Zeiten der Renaissance der Regelfall [ist]“ und sich die Negation ohne ne von den Fragesätzen und den Konditionalsätzen immer mehr auf alle anderen Sätze ausgedehnt habe (ebd.). Wie wir im Folgenden sehen werden, wird diese Annahme kaum von einem anderen bestätigt.

2.2 Negation im Neufranzösischen

Aus Dufters Untersuchung zur Geschichte der ne-Absenz geht hervor, dass es zwar - neben den bereits erwähnten Beispielen aus Volksliedern - noch einige weitere Beispiele gibt, die eine ne-Abwesenheit in Deklarativsätzen noch zur mittelfranzösischen Periode belegen, doch sind es ein und dieselben, die in der einschlägigen Fachliteratur immer wieder gegeben werden, sodass man davon ausgehen kann, dass die Anzahl der Belege sehr gering ist (Dufter 2012: 136). Eine Zuordnung des Phänomens zu einer späteren Periode wie der des Neufranzösischen erscheint daher sinnvoll.

Gewöhnlich aber besteht in der frühen neufranzösischen Periode, die sich dem Beginn des 17. Jahrhunderts zuordnen lässt, die Satznegation der schriftsprachlichen Norm entsprechend aus den zwei Partikeln ne und pas oder point, was aus folgendem Zitat des Grammatikers L. Chiflet hervorgeht: „Nostre languejoint ordinairement deux adverbes negatifs ensemble. Ne, est la premiere, qui se met devant le verbe, & après le verbe on met Pas, ou Point, ou Rien, ou quelque autre semblable mot de signification negative [...]“ (L. Chiflet, 1659, zitiert nach Muller 2004: 21). Ebenfalls bis hierhin erhalten blieb eine - wenn auch sporadische - Realisierung der präverbalen Negation mit bloßem ne, die sich Hansen zufolge nur noch in in wenigen syntaktisch begrenzten Kontexten findet (Hansen 2013: 63).

[...]


[1] Die einfache, präverbale Negation ist im Rahmen der sprachgeschichtlichen Entwicklung der Negation auch Gegenstand dieser Arbeit, soll aber bei der Betrachtung des Gegenwartsfranzösisch außer Acht gelassen werden, insofern sie hier als marginal gelten kann.

[2] Aufgrund des vereinfachten Leseflusses, wird in dieser Arbeit die männliche Form verwendet, die aber die weibliche mit einschließen soll.

[3] Vgl. Armstrong/Smith, die in einem Radiokorpus im Jahr 2002 eine vergleichsweise hohe ne-Realisierung finden

[4] Für Beispiele siehe Eckardt 2003: 2f.

[5] Zur Zeit des Alt- und Mittelfranzösischen existierten neben den bereits erwähnten noch weitere Hilfswörter, die zur Verstärkung der Negation verwendet wurden. Nyrop (1930: 32ff.) behandelt unter anderem die Negationsverstärker mot, guère, jamais, mais und onque.

Fin de l'extrait de 14 pages

Résumé des informations

Titre
Zur Diachronie der Negation in der französischen Sprachgeschichte und zum Problem der Absenz des Negationselements "ne" in der Gegenwartssprache
Université
University of Bonn  (Institut für Romanistik)
Cours
Probleme der französischen Grammatik
Note
1,7
Année
2016
Pages
14
N° de catalogue
V416407
ISBN (ebook)
9783668662148
ISBN (Livre)
9783668662155
Taille d'un fichier
438 KB
Langue
allemand
Mots clés
Negation, ne-Absenz, ne pas, französische Grammatik, französische Verneinung, französische Linguistik, Nähesprache, Distanzsprache, Varietätenlinguistik
Citation du texte
Anonyme, 2016, Zur Diachronie der Negation in der französischen Sprachgeschichte und zum Problem der Absenz des Negationselements "ne" in der Gegenwartssprache, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/416407

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