War die Gründung mizrachischer Schulen in Israel eine Ursache sozialer Proteste?


Academic Paper, 2014

17 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhalt

1 Einleitung

2 Was sind soziale Protestbewegungen?

3 Wer sind die Mizrachi?
3.1 Meilensteine der Politisierung der mizrachischen Bevölkerung Israels
3.2 Ursachen der Konflikte der Mizrachim

4 Kedma- eine multikulturelle Schule
4.1 Ziele & Identitäten der Kedma Schule
4.2 Holocaust Rememberance Day an der Kedma Schule

5 Kedma und der Protest

6 Auswirkungen der Kedma Schule

7 Fazit

8 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

1993 wurde in Israel eine Schulart eröffnet, die nicht nur das Bildungssystem erschüttern sollte. Mizrachische Aktivisten erarbeiteten ein Curriculum und eine Art, wie Kinder zu unterrichten seien, die es vorher in Israel noch nicht gegeben hatte. Die Inhalte und Ziele der Kedma Schulen gingen auf die ungerechte und ungleiche Behandlung von Mizrachi gegenüber den Ashkenazi ein und wollten sie von Grund auf verändern. Indem sie sowohl den Kinder einer neuartigen Unterrichts- und Schulform, als auch den Eltern ein Mitspracherecht gaben, wurde eine Alternative zum eurozentrischen Weltbild eröffnet. Mit diesen Schulen wurden die Missstände in der israelischen Gesellschaft offengelegt, aber auch Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt. Den Gründern der Schulen wurde viel Kritik entgegengebracht, sodass eine der drei Schulen nie öffnen konnte und eine der beiden verbliebenden 1998 wieder schließen musste. Allein die Kedma Schule in jerusalemer Nachbarschaft ist als staatliche Einrichtung noch geöffnet.[1] Nun stellt sich die Frage, inwieweit die Gründung mizrachischer Schulen in Israel einen sozialen Protest ausdrückt. Außerdem muss bedacht werden, ob die Gründung der Schulen als Protest gedacht war oder von den Kritikern und Gegnern als eine Protestbewegung interpretiert wurde. Im Zuge dessen müssen mehrere Aspekte angesprochen werden. Auf der einen Seite ist es wichtig zu klären, nach welchen Merkmalen für soziale Proteste und Bewegungen gewertet wird. Auf der anderen muss der Begriff der Mizrachi geklärt werden und auch, welche Gründe sie hatten um zu protestieren. Des Weiteren wird die Kedma Schule an sich charakterisiert und ihre Ziele aufgezeigt. Dies wird als Grundlage genutzt, um zu diskutieren, ob die Gründung der Schulen ein Protest war oder als ein Protest interpretiert wurde, ohne die eigentliche Absicht eines Protestes zu verfolgen. Als Zusammenfassung werden die Auswirkungen, welche die Gründung der Kedma Schulen hatten, analysiert. Grundlage für diese Analyse sowie Diskussion sind die Essays von Kedma Gründer Sami Shalom Chetrit, sowie der Pädagogin Dr. Julia Resnik.

2 Was sind soziale Protestbewegungen?

Um einschätzen zu können, ob die Gründung der mizrachischen Schulen Kedma ein sozialer Protest oder eine soziale Bewegung war, muss über die Merkmale eben dieser aufgeklärt werden. Laut Lipsky sind Proteste eine Art politischer Aktion, die auf Risiken in politischen wie wirtschaftlichen Systemen hinweisen. Diese Aktionen sind durch Effekthascherei und eine unkonventionelle Art gekennzeichnet. Dabei arbeiten sie allerdings innerhalb des Systems. Ihr Bestreben ist es, Aufmerksamkeit für ein konkretes Ziel zu bekommen. Ein weiteres Merkmal ist, dass Mitglieder eines sozialen Protests oft außerparlamentarisch handeln und sich somit auch die Unzufriedenheit über politische Strukturen zeigt.[2] Eine soziale Bewegung ist im Gegensatz dazu eine Vernetzung größerer Massen und der Öffentlichkeit für das Ziel, Gesellschaftsstrukturen zu verändern. Diese Bewegung kann auch Anhänger in der Knesset haben.[3] Christophersen ist allerdings der Auffassung, dass Proteste und Bewegungen nicht als einzelnes gefasst werden müssen und auch eine Mischung von beiden vorherrschen kann, die soziale Protestbewegung. Er definiert sie als den Ruf nach einem grundlegenden, gesellschaftlichen Wandel, welcher als Opposition zur bestehenden Politik gesehen werden kann. Die Verbindung der beiden Formen entsteht durch den Werdegang der Bewegung, ihre Anfänge sind oft Proteste. Diese Protestbewegungen stützen sich oft auf einen gewachsenen, gesellschaftlichen und auch geschichtlichen Konsens.[4] Die Vorform der Bewegung sind die eher schwächer strukturierten Proteste, die einen Bewegungsfreiraum schaffen, der dann von einer daraus wachsenden, strukturierten Bewegung aufgegriffen und ausgeweitet wird. In der Öffentlichkeit allerdings wird die Bewegung oft nur als Protest und Provokation wahrgenommen, da sich die Mobilisierung und Öffentlichkeitsarbeit überschneiden. Beispiele für Protestbewegungen sind Demonstrationen, Kampagnen und Veranstaltungen sowie Veröffentlichungen jeglicher Art.[5]

3 Wer sind die Mizrachi?

Mizrachim kann als ´die Orientalen` übersetzt werden und zielt somit auf die Herkunft der eingewanderten Juden ab.[6] Diese Menschen, welche nach der Staatsgründung Israels einwanderten, waren orientalischer Herkunft, welches die Staaten zwischen Marokko und Iran einschließt. Sie waren durch die gemeinsame Sprache und das ähnliche Aussehen vereint.[7] Derzeit besteht die israelisch- jüdische Bevölkerung zur Hälfte aus den sogenannten Mizrachim, den sephardischen sowie den arabischen Juden.[8] Der Staat Israel hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die im Exil lebenden Juden einzusammeln und unter einer „single nation“ mit einer „single religion“ und einer „single history“ zu vereinen. Unter diesen Merkmalen wurde dieser Teil der Bevölkerung in ein schon bestehendes System eingegliedert.[9] Allerdings wurde dabei nicht bedacht, dass diese eingewanderten Juden in arabischen Ländern sozialisiert waren und durch die Einwanderung „von ihren ursprünglichen Ländern entwurzelt [wurden], die Kontrolle über ihr Leben als Individuum und als Gruppe verloren [hatten]“.[10] Der Sozialisierungsprozess beinhaltete das Tilgen ihrer alten Identität und Kultur und das Eingliedern in eine eurozentrische und von ashkenazischen Juden geprägte Struktur.[11] Die Mizrachi entwickelten ein Selbstbild, welches dadurch gezeichnet war, Teil der untersten Klasse einer ungleichen Bevölkerung zu sein.[12] Dies wurde durch das Leben in den Entwicklungsstädten, oft auch in zweiter oder dritter Generation, mit schlechter Infrastruktur noch verstärkt. In diesen Entwicklungsstädten lebten „größerer mizrachische Bevölkerungsgruppen, mit jeweils herkunftsspezifischer Kulturen, [zusammen] und bildeten den Hintergrund für das Fortbestehen traditioneller Gemeindestrukturen und für die Weiterexistenz von Landsmannschaften über die zweite und dritte Generation hinaus“.[13] Diese Kultur wurde allerdings in der Gesellschaft, wie im Schulleben nicht aufgegriffen. Diese Unterdrückung fand ihren Ursprung in der Labour Partei, welche allerdings durch den Wahlsieg der Likud Partei 1977 unterbrochen wurde und Hoffnung für viele Mizrachi bedeutete. Viele Wähler der Likud waren die Mizrachim der zweiten Generation, welche sich ihres politischen Potentials zunehmend bewusst wurden. Diese zweite Generation, welche nun zunehmend Intelektuelle beinhaltete, war ökonomisch unabhängiger und daher auch freier in ihren Entscheidungen, neue Wege eingehen zu wollen.[14]

3.1 Meilensteine der Politisierung der mizrachischen Bevölkerung Israels

Als am 1. Juli 1948 das Rückkehrergesetz beschlossen wurde, öffnete dies die Tore Israels für alle Juden der Welt. Somit erhielt jeder Jude das Recht, sich in Israel niederzulassen und erlangte die Staatsbürgerschaft. Dies geschah, um als Zufluchtsstätte und neue Heimat offen zu sein. Auch zeigt es, dass Israel ein Einwanderungsland ist und der Hauptteil der Bevölkerung ursprünglich aus anderen Ländern und Kulturen stammt. Die Integration dieser Kulturen entwickelte sich als problematisch, gerade auch, da vor 1948 der Hauptteil der Einwanderer ost- und mitteleuropäischer Herkunft war und somit die politische, wirtschaftliche sowie militärische Landschaft des jungen Staats geprägt war.[15] Als Folge des Nahostkriegs 1948 gelangten die ersten orientalischen Juden mit Hilfe der Jewish Agency nach Israel und wurden von der Regierung mit offenen Armen empfangen, da sie somit das „jüdische Bevölkerungspotential“ stärkten.[16] Angekommen in Israel wurden die Mizrachi unter schlechten Bedingungen in Transit Camps und Entwicklungsstädten untergebracht. Hier wurden die ersten Proteste für besseres Essen, bessere Gesundheitsversorgung und das Recht, ihre Kinder religiös zu erziehen, abgehalten.[17] Der Wadi Salib Protest 1959 brachte die erste Aufmerksamkeit auf die enormen Probleme, welches die Immigration und Eingliederung mizrachischer Juden in das ashkenazische System mit sich gebracht hatten. Dies wurde in den 70er Jahren von der Black Panther Bewegung aufgegriffen und führte zu Massendemonstrationen. Auch nach zwei Jahrzehnten in Israel hatte sich die Lage der mizrachischen Juden nicht drastisch zum Besseren geändert. Große Unzufriedenheit hatte sich ausgebreitet und führte zu dem ersten Versuch einer politischen Bewegung von Mizrachim. Durch das ´tent movement` wurde das Thema der Wohnungen aufgegriffen und an die Öffentlichkeit gebracht. Als die ersten russischen Einwanderer Ende der 70er Jahre nach Israel kamen, wurden für sie neue Siedlungen errichtet, was im totalen Gegensatz zu den Lebensbedingungen der mizrachischen Juden stand, die noch immer in Entwicklungsstädten lebten. Ein erster Lichtblick war der Wahlsieg der Likud Partei 1977. Jedoch wurde schon 1980 deutlich, dass auch Likud die Probleme der Mizrachim nicht grundlegend angehe. Auch wenn die Proteste vordergründig erfolglos waren, so hatten sie es doch geschafft die Öffentlichkeit über die ungleiche und ungerechte Behandlung in der Bevölkerung zu informieren und die ethischen Unterschiede zwischen Ashkenazi und Mizrachim deutlich zu machen.[18] Ein weiterer politischer Versuch war die Gründung der Partei TAMI, welche 1977 drei Knesset Sitze gewann. Sie sprach die Mizrachi Nordafrikas an, sowie junge Studenten, Intelektuelle und Künstler und hielt damit die Waage zwischen religiös und säkular. 1984 verschwand sie wieder von der Bildfläche, da sie keine Alternative zu dem schon bestehenden ashkenazischen System bot, und daher kein aussagekräftiges Programm vorwies.[19] Allerdings bereitete TAMI den Weg, auf dem die Shas Partei erfolgreich werden konnte. Die 1983 gegründete Partei hatte einen spirituellen und einen politischen Leiter und nannte sich die “Vereinigung der sephardischen Thora- Wächter”. Daher kann sie als orthodoxe Partei eingestuft werden. Sie selbst sah sich als Sprachrohr für die sephardische Revolution und trat gegen die soziale wie ökonomische Ungleichheit zwischen Mizrachi und Ashkenazi ein.[20] Die Partei etablierte ein unabhängiges Schulsystem, sowie religiöse Schulen, schaffte Arbeitsplätze und verbesserte die Wohnbedingungen. Allerdings zu dem Preis der absoluten ideologischen Ergebenheit. Obwohl das mizrachische, politische Geschehen immer noch von der Shas Partei dominiert wird, entsteht ein neuer Diskurs, welcher von jungen Menschen, Akademikern, Studenten, Journalisten und Intelektuellen geleitet wird. Der Prozess des Zionismus, als Grundlage der Eingliederung der Mizrachim in das ashkenazische, europäische System, wird abgelehnt. 1990 wurde HILA gegründet, das ´Public Committee for Education in the Inner City and Development Towns`. Ziel war es, die Aufmerksamkeit auf die schlechten und unterdrückenden Bedingungen im Schulsystem gegenüber mizrachischen Schülern zu lenken.[21]

3.2 Ursachen der Konflikte der Mizrachim

Grundlegend ist es wichtig zu wissen, welche Ursachen den Problemen, die die Mizrachim schultern mussten, zu Grunde liegen.

[...]


[1] Vgl. Resnik, J.: Alternative identities in multicultural schools in Israel: emancipator identity, mixed identity and transnational identity. In: British Journal of Sociology of Education. Routledge. Volume 27, Number 5, 2006, S. 590

[2] Vgl. Lipsky, M.: Protest as a political. Resource. 1968

[3] Vgl. Ash, R./ Zald, N.: Social Movement Organizations: Growth, Decay and Change. In: Social Forces, Volume 44, Nr. 3. University of North Carolina Press 1966.

[4] Vgl. Christophersen, C.: Sozialer Protest zwischen Bewegung und Institutionalisierung. ZÖSS Verlag, Hamburg 2006, S. 7.

[5] Vgl. Christophersen 2006, S. 9.

[6] Vgl. Timm, A.: Israel - Gesellschaft im Wandel, Opladen 2003S. 34

[7] Vgl. Balke, R.: Israel. 3., neu bearbeitete Auflage 2007. (Jeb), S.128

[8] Vgl. Chetrit, S.: Mizrahi Politics in Israel: Between Integration and Alteration. In: Journal of Palestine Studies. Volume 29, Nr. 4. University of California Press 2000, S. 51

[9] Vgl. Chetrit 2000, S. 54

[10] Chetrit 2000, S. 51

[11] Vgl. Chetrit 2000, S. 62

[12] Vgl. Chetrit 2000, S. 51

[13] Timm 2003, S. 36

[14] Vgl. Chetrit Press 2000, S. 54

[15] Vgl. Balke 2007, S. 128

[16] Timm 2003, S.35

[17] Vgl. Lehman-Wilzig, Sam N.: Stiff-necked People, Bottle-necked System: The Evolution and Roots of Israeli Public Protest, 1949-1986, Indiana University Press 1990, S.29

[18] Vgl. Chetrit 2000, S. 52 ff.

[19] Vgl. Chetrit Press 2000, S. 56

[20] Vgl. Balke 2007, S.119

[21] Vgl. Chetrit 2000, S. 58 ff.

Excerpt out of 17 pages

Details

Title
War die Gründung mizrachischer Schulen in Israel eine Ursache sozialer Proteste?
College
University of Potsdam
Grade
1,7
Author
Year
2014
Pages
17
Catalog Number
V418417
ISBN (eBook)
9783668674332
ISBN (Book)
9783668674349
File size
445 KB
Language
German
Keywords
Protest, Israel, Judentum, Sozial, Schule, Ursache, Gründung, mizrachisch
Quote paper
Tabea Leu (Author), 2014, War die Gründung mizrachischer Schulen in Israel eine Ursache sozialer Proteste?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/418417

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