Das koptische Recht II

Koptische Rechtsurkunden als Quellen eines eigenen Rechts?


Fachbuch, 2018

74 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A. Allgemeines

B. Definition und Inhalt koptischer Rechtsurkunden

C. Rechtsquellen und Urkundenwesen

D. Tabellionen-Urkunde
a) Einführung (Aktpräskript)
b) Hauptteil
c) Unterschrift und Beglaubigung
d) Kompletionsvermerk und Subskriptionen der Zeugen

E. Personenrecht
I.Hierodulenurkunden
II.Eheurkunden
III. Scheidungen

F. Sachenrecht

G. Schuldverhältnisse, Haftungsverhältnisse
I.Darlehen und Pfandverträge
II.Bürgschaft
III. Kauf und Tausch
IV. Schenkungen
V. Miete und Pacht
VI.Dienst-,Werk- und Arbeitsverträge

H.Stellvertretung

I. Erbrecht

J. Prozessrecht

K. Koptisches Steuerrecht und koptische Finanzverwaltung

Anmerkungen:

Wörterverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Literatur

Stichwortverzeichnis

A. Allgemeines

Bislang liegen nur wenige Untersuchungen zum koptischen Recht vor. Dies liegt einerseits an der geringen Anzahl der uns überlieferten und auch edierten und publizierten koptischen Rechtsurkunden, andererseits an der Art der Urkunden selbst1).

Unter koptischen Rechtsurkunden versteht man allgemein in koptischer Sprache abgefasste Urkunden des 6. bis 10 Jahrhunderts n.Chr.2).

Derzeit stehen uns einschließlich der Steuerquittungen ca. 1700 editierte koptische Rechtsurkunden für eine Untersuchung zur Verfügung3).

Die Forschungsgeschichte zu den koptischen Rechtsurkunden ist in besonderer Weise mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien und Namen wie Krall (1857-1905), Walter C. Till (1894-1963) sowie Artur Steinwenter (1888-1959) und deren rechtsgeschichtlich Arbeiten verbunden. Zur gleichen Zeit befasste sich in den USA A. Arthur Schiller (1902-1977) an der Columbia-University mit koptischen Rechtsurkunden4).

Mit dem Rechtsgebiet der koptischen Rechtsurkunden verwandt ist die juristische Papyrusforschung. Diese befasst sich unter der Bezeichnung Recht im gräko-römischen Ägypten fast ausschließlich mit in griechischer oder lateinischer Sprache verfassten juristischen Texten oder Geschäftsurkunden unter bewusster Ausschaltung von demotischen und koptischen Texten, obwohl die letzteren auch wichtige Faktoren für die Erforschung der ägyptischen Rechtsgeschichte von der Ptolemäerzeit bis zur arabischen Eroberung und darüber hinaus bis ins 10. Jahrhundert darstellen5).

Die meisten uns aus dem 6 bis 10 Jahrhundert nach Chr. überlieferten Urkunden aus Ägypten waren Geschäftsurkunden, d.h. zumeist in Formularform überlieferte Verträge oder sonstige im Geschäftsverkehr abgegebene schriftliche Erklärungen. Rechtsätze oder Urteile fehlen weitgehend.

Allein die in den Urkundentexten verwendete Sprache entscheidet noch nicht über das der Urkunde zugrunde liegenden Rechts6).

Eine feste juristische Terminologie fehlt, dennoch wurde vielfach ein technischer Sprachgebrauch gepflegt. In den Rechtsurkunden sind insoweit in einer Urkunde nebeneinander koptische Termini sowie griechisch-byzantinische Termini zu finden.

Bei den erforderlichen rechtsvergleichenden Betrachtungen stellt sich die Frage nach der rechtlichen Substanz und Basis der koptischen Rechtsurkunden7) . Bei der Beantwortung der Frage gibt es verschiedene unterschiedliche Lösungsansätze. Während Mitteis8) in den koptischen Urkunden vorrömische Rechtstraditionen erkennen will9) , sieht Walter Selb10) in den koptischen Rechtsurkunden trotz des Zwischenraumes von einem oder zwei Jahrhunderten eine unmittelbare Verbindung zum demotischen und damit letztlich auch zum altägyptischen Recht11).

Grundsätzlich gilt, dass für Ägypten ein Rechtspluralismus festzustellen ist, wonach ägyptisches, griechisches bzw. byzantinisches und später römisches Recht eigenständig nebeneinander bestanden. Die Gründe für diesen Rechtspluralismus lagen nach Rupprecht12) in der fortdauernden Trennung zwischen den Bevölkerungsschichten und dem Fehlen einer auf ihre Zusammenführung gerichteten Politik. So waren die einzelnen Bevölkerungsgruppen in Ägypten bei der Wahl des anzuwendenden Rechts im Einzelfall frei.

Andere Verfasser vertreten unter Hinweis des Einflusses der byzantinischen Tabellionenurkunden auf die koptischen Urkunden die Ansicht, dass die Rechtsinstitute in koptischen Urkunden wie Kauf, Bürgschaft, Stellvertretung und testamentarische Erbfolge eher byzantinischen Ursprung sind . Danach sind die koptischen Urkunden nichts anderes als das Ergebnis einer fortschreitenden Entwicklung aus dem Formular der griechisch-byzantinischen Tabellionenurkunden. Byzantinisch geprägt sind nach dieser Meinung nicht nur die Formulare, sondern auch Normen und Rechtsinstitute. Die Verfasser der Urkunden hatten keine vertiefte juristische Ausbildung, sondern waren praktisch geschult und verwendeten in der Praxis häufig entsprechende Formularbücher.

Ebenso sieht Richter13) in den frühestens koptischen Rechtsurkunden im letzten Drittel des 6. Jahrhunderts n. Chr. angewandtes nachjustinianisches, römisches Recht in einer ägyptischen Provinzialgestalt .Diese können als Quellen für die Frage nach der Rechtspraxis des byzantinischen Ägyptens angesprochen und herangezogen werden. Die Bedeutung der koptischen Urkunden als Rechtsquelle für die Beurteilung des byzantinischen Rechts ändert sich im Laufe des achten und neunten Jahrhunderts nach der Restrukturierung der ägyptischen Gesellschaft durch die arabische Verwaltung14).

Das koptische Privatrecht umfasst den Bereich der außergerichtlichen Streitbeilegung vor allem von geringfügigen Streitigkeiten im dörflichen beschränkten Bereich oder Streitigkeiten mit oder innerhalb der koptischen Kirche. Einflüsse des arabischen Rechts sind im koptischen Privatrecht kaum zu finden15), anders als im öffentlichen Recht, vor Finanzrecht in dem sich der Einfluss der arabischen Verwaltung und der arabischen Beamten am ehesten bemerkbar macht.

Zu unterschiedlichen Lösungen bei der Beantwortung der Frage nach den koptischen Quellen kommen Schiller und Steinwenter. Während nach Ansicht von Schiller die Existenz von koptischen Rechtsurkunden für das Vorhandensein eines eigenständigen und synthetischen Rechtssystem des koptischen Rechts sprechen, spricht Steinwenter hinsichtlich der Frage nach den Quellen des koptischen Rechtes einschränkend vom „Recht der koptischen Urkunden“, wobei er durchaus die Eigenständigkeit bestimmter Rechtsbegriffe wie z.B. bei der Fiskalmult, der Stellvertretung, dem Eigentumspfand, bei Arbeitsverträgen, der Prozessbeendigung durch Schiedsgedinge sowie insbesondere auch im Familien- und Ehegüterrecht als mit dem römischen Recht inkompatible „volksrechtliche Substrate“ anerkennt16).

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die geringe Anzahl der überlieferten Urkunden eine derartige Schlussfolgerung wesentlich erschwert. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Erstellung entsprechender Urkunden durch einen professionellen Notar oder durch eine zumindest an notariellen Mustern orientierte Urkundsperson oder Schreibhelfer(koptisch: hupograöeic) eher die Anwendung von griechisch/byzantinischen oder römisch rechtlichen Begriffen und Konzepten im Gegensatz zu eher mündlich tradierten volksrechtlichen Substraten und Begriffen begründet17) . Außerdem amtierten die ägyptischen Privatnotare im 6. und 7. Jahrhundert vielfach zweisprachig, griechisch und koptisch.

Als Beginn der koptischen, juristischen Papyrologie kann der Fund koptischer Rechtsurkunden aus dem oberägyptischen Ort Djeme in der Thebais Mitte des 19. Jahrhunderts angesehen werden18) .Dabei handelte es sich um die Bibliotheken der Klöster Sankt Phoibammon und Sankt Paulus. Bei der Bibliothek von Sankt Phoibammon wurden ungefähr 100 Dokumente, die Geschäfte des Klosters oder Privatangelegenheiten der Dorfbewohner von Djeme zum Inhalt hatten, an Ort und Stelle ausgegraben. Die Urkunden des Klosters von Sankt Paulus wurde nicht ausgegraben, sondern einzeln im Antikenhandel angekauft19).

Die edierten Rexte sind in Zeit und Raum ungleich verteilt. Nur wenige Texte liegen uns aus dem späten 6. bis frühen 7. Jahrhundert n.Chr. vor, z.B. die frühesten datierbaren P. Lond. V 1709 (565/6 n.Chr.) und P Cair Masp. 6717r (569 n.Chr.) aus dem Archiv des Disokuros von Aphrodito. Die meisten der uns überlieferten Rechtsurkunden stammen aus dem frühislamischen Zeitraum von der Mitte des 7. Jahrhunderts bis zum Ende des 8. Jahrhunderts n.Chr.20) . Während die koptischen Texte bis zur Mitte des 9. Jahrhunderts noch die griechische Formulartradition fortführen, weisen die koptischen Rechtsurkunden des späten 9.-12. Jahrhunderts Einflüsse durch arabische Formulare und Termini auf.

Auch die geographische Verteilung der koptischen Rechtsurkunden ist ungleich21) . Die größte Anzahl der erhaltenen und edierten Texte stammen aus dem Gebiet um Theben, dem Raum Aschmunein und der Region von Aphrodito. Eine Aufstellung von T.S. Richter22) lokalisiert die edierten Rechtsurkunden von Unter- bis Oberägypten wie folgt:

- Unterägypten aus dem Raum Sakkara , ca. 15 edierte Rechtstexte (P Revillout Copt. CPR IV) aus dem 8. Jahrhundert auf Papyrus, die vor allem Bürgschaften und Darlehen beinhalten;

- Aus dem Fajum in Arsinoe und Herakleopolis magna ca.110 edierte Texte(BKU III, CPR II und IV;P London Copt 1, P Moscow Copt.,Stern 1885) vom 7. bis zum 10. Jahrhundert) auf Papyrus ab dem 10. Jahrhundert auch auf Pergament, die vor allem Arbeitsverträge, Bürgschaften, Darlehn, Kauf, Lieferungskauf, Pacht und Quittungen beinhalten

- Nördliches Oberägypten, vor allem aus Der el Bala´izah, Aphrodito und Achmim ca. 150 edierte Texte (P Bal., P Hermitage Copt. P Lond.IV, O Crum ST) vom 6. bis 8. Jahrhundert auf Papyrus und Pergament, die Bürgschaften, Darlehens-, Kauf und Eheverträge, Testamente, Schenkungen und Quittungen beinhalten.

- Thebanische Region,vor allem aus Djeme (Medinet Habu), dem Phoibammunkloster (Deir-el-Bahri),dem Epiphaniuskloster,Hermonthis und Gebelein ca. 980 edierte Texte(BKU I,P CLT,P KRU,P Mon Epiph.,O Crum,O Crum ST,O Medinet Habu Copt.,O Theb.,O Vindob.Copt) auf Papyrus und Ostraka, die Arbeitsverträge, Verträge über Erbteilung, Darlehen, Dialysis, Kauf, Miete und Pacht sowie Quittungen, Schenkungen und Testamente beinhalteten.

- Südliches Oberägypten aus Edfu und Elephantine ca. 50 edierte Texte (Brit.Mus.Copt.I, O CrumST, SB Copt I 024-035, SB Copt. III 1384-1393) vom 6. bis 8. Jahrhundert, überwiegend auf Ostrakas ( Ton- oder Kalksteinscherben), die Darlehn, Miete-,Pachtverträge sowie Quittungen beinhalten

- Unternubien aus Qusr- Ibrim, ca. 20 edierte Texte (BKU III,CPR IV, P London Copt.I) aus dem 7.-8. Jahrhundert auf Papyrus, Ostraka oder Leder, die Darlehn-Kauf- und Freilassungsverträge beinhalten.

Die Mehrzahl der edierten Texte, insbesondere wenn es sich um komplexere Formulartypen wie Immobilienverkäufe, Schenkungen, Testamente und Auseinandersetzungsurkunden handelt, sind auf Papyrus, ab dem 11. Jahrhundert auch auf Pergament oder Papier verfasst sowie in Nubien auch auf Leder, einfache Textmitteilungen wie Quittungen, Schuldurkunden oder Kurzfassungen einfacher Verträge vor allem in Oberägypten auf Ton- oder Kalksteinscherbe als billigem Beschreibstoff geschrieben.

B. Definition und Inhalt koptischer Rechtsurkunden

Koptische Rechtsurkunden lassen sich zunächst als Texte definieren, die in koptischer Sprache abgefasst sind und juristischen Inhalt haben. Koptische Rechtsurkunden sind uns aus einem Zeitraum vom Ende des 6. Jahrhunderts bis zum 10. Jahrhundert überliefert.

Inhaltlich handelt es sich bei dem in Koptisch verfassten Urkundenmaterial um Urkunden aus dem Rechtsleben der Dörfer und deren Verwaltung, einschließlich des Steuerwesens der unteren Instanzen sowie aus den Rechtsverhältnissen der Klöster, Mönche, Priester und der christlichen Bauern und Handwerker.

Dokumente aus der höheren Ebene der Gau- und Provinzialverwaltung wurden überwiegend in griechischer und arabischer Sprache verfasst23) ; bei den überlieferten koptischen Dokumenten lässt sich anders als bei den Urkunden in griechischer und arabischer Sprache keine Rechtsentwicklung erkennen.

Die meisten koptischen Rechtsurkunden sind privatrechtliche Urkunden wie Verkauf, Schenkung, Testament, Streitbeendigung, Lieferungskauf, Schuldscheinurkunden, Miete von Grundstücken und Geräten, Pacht von anbaufähigem Land, Erbpacht, Werk- und Arbeitsverträge sowie Quittungen aus einem Zeitraum vom Ende des 6. Jahrhunderts bis zum 10. Jahrhundert24).

Vor dem Ende des 6. Jahrhunderts war das griechische Urkundenwesen vorherrschend, bis bilinguale Notare in Anbetracht dessen, dass sich das Koptische immer mehr als Volkssprache beim einfachen Volk durchsetzte, damit begannen zur Erleichterung der Kommunikation und Verständigung mit dem einfachen, nicht gebildeten Bürgern Wörter, Phrasen und Formulare griechischer Urkunden ins Koptische zu übertragen. Koptische Formulare waren dabei Übertragungen griechischer Vorlagen durch bilinguale, zweisprachig amtierende Notare25).

Daneben wurden in besonderen Fällen, z.B. bei bestimmten Arbeitsverträgen, Lieferungskauf und Erbpachtverträgen die Urkundentexten in doppelter Ausfertigung bilingual in koptisch und griechisch verfasst.

Der Form nach entsprachen die koptischen Privaturkunden in ihrem Aufbau in den Einzelheiten der gräko-byzantinischen Tabellionenurkunde. Dieses Format fand Anwendung bei allen zu beurkundenden Rechtsgeschäften wie bei Grundstücksverkäufen, Schenkungen, Auseinandersetzungs- und Teilungsverträgen, aber auch für Miet- und Pachtverträge sowie bei Testamenten. Diese Urkunden wurden von den koptischen Notaren aufgrund der Gemeinsamkeit des frühbyzantinischem und des koptischen Notariates nach byzantinischem Vorbild verfasst26).

Inhaltlich entsprachen die koptischen Urkunden in ihrer Form und Aufbau den gräko-byzantinischen Tabellionenurkunden.

Die Notare und Schreiber übernahmen beim Verfassen koptischer Rechtsurkunden in der Regel einfach das Repertoire der griechischen Privatnotare27).

Insbesondere nach der arabischen Eroberung Ägyptens 641 n.Chr. ging die Ausfertigung privatrechtlicher Schriftstücke in Griechisch zugunsten des Koptischen stark zurück. Das koptische Urkundenwesen erlebte im Verlauf des 7. Jahrhunderts n.Chr. eine Blütezeit28).

Im Bereich des öffentlichen Rechts sind auf der untersten Verwaltungsebene die meisten Schriftstücke in koptischer Sprache verfasst, soweit sie wie Steuerbescheide oder Steuerquittungen sich unmittelbar an den einzelnen steuerpflichtigen Bürger richteten oder wenn z.B. steuerliche Schriftstücke, wie z.B. Steuerbürgschaften vom Steuerbürger selbst zu entrichten waren29). Sie stellen jedoch vielfach nur Ergänzungen des arabischen Rechts dar30).

Seit der Eroberung Ägyptens durch die Griechen stand Ägypten in der Folgezeit unter der Herrschaft von Fremden, zunächst der Griechen, dann der Römer und anschließend der Araber. Alle Fremdherrscher brachten ihre Sprache mit und machten sie zur Amts-, Verwaltungs- und Rechtssprache. Entsprechend vielfältig war in den einzelnen Zeitperioden die in Verwaltungs-und Rechtsurkunden verwendete Sprache.

So wurden in der Ptolemäerzeit und in der Römerzeit Rechts- und Verwaltungsurkunden in Griechisch bzw. Lateinisch sowie in Demotisch, der einheimischen, zu dieser Zeit gesprochenen altägyptischen Sprache verfasst. Das Demotische wurde ab dem 3. Jahrhundert n. Chr. als Alltags-und Literatursprache , aber auch als Verwaltungs- und Rechtssprache durch das Koptische abgelöst.

In welcher Sprache eine Urkunde errichtet wurde, hing vielfach von dem beurkundenden Notar oder vom Aussteller der Urkunde bzw. rein vom Zufall ab. Im 6. und 7. Jahrhundert errichteten die Notare Rechtsurkunden vielfach zweisprachig, in Griechisch und Koptisch. Insoweit entschied die Sprache, in welcher die Urkunde abgefasst wurde, noch nicht über das anzuwendende Recht. So konnte eine in Koptisch errichtete Urkunde spätrömisches Provinzialrecht, aber auch byzantinisches Reichsrecht enthalten.

Umgekehrt konnte koptisches Recht, d.h. das Recht, nach denen die Kopten ihre privaten Rechtsverhältnisse regelten, auch in griechischen Urkunden niedergelegt sein.

C. Rechtsquellen und Urkundenwesen

Die meisten uns überlieferten koptischen Rechtsurkunden (Urkunde: acöaleia/ ,artic/ engraöon) stammen aus Oberägypten, aus den Gebieten um Theben, Hermopolis, Appollinopolis und Aphroditos. Bei den überlieferten Urkunden handelt es sich zumeist um private Geschäftsurkunden, die zu Beweiszwecken bei privaten Streitigkeiten errichtet wurden, weniger um öffentliche Urkunden aus Staat und Verwaltung. Die letzten uns in koptischer Sprache überlieferten Urkunden entstammen der unteren lokalen Verwaltungsebene, während die Urkunden der höheren Verwaltungsebene überwiegend in griechischer, später nach der Islamisierung Ägyptens in arabischer Sprache errichtet wurden. Koptische Gesetzestexte fehlen ganz (Gesetz, Erlass, Vorschrift koptisch: hwn/nomoc)31) .

Das Material, auf dem viele Rechtsurkunden errichtet wurden, waren vielfach Ton- oder Kalksteinscherben, auf denen Privatpersonen vornehmlich rechtlich relevante Notizen, aber auch Darlehen, Arbeitsverträge, Bürgschaften, Eide und Verpflichtungen zu Beweiszwecken festhielten und archivierten. Demgegenüber waren die von Notaren überwiegend in Griechisch errichteten Geschäftsurkunden wie Kauf- oder Schenkungsverträge über Grundstücke oder Kinder, Testamente, Vergleiche vornehmlich auf Papyrus geschrieben.

Bislang fehlen anders als bei griechischen Papyrusurkunden Untersuchungen von koptischen Originalurkunden im Rahmen einer besonderen koptischen Urkundenlehre.

D. Tabellionen-Urkunde

Die am meisten verwandte Urkundenform bei koptischen Rechtsurkunden war die uns aus der griechischen Urkundenlehre bekannte „Tabellionen- oder Notarurkunde.“ Die Ursache ist nach Ansicht Steinwenters32) in der Gemeinsamkeit des griechischen und koptischen Notariates zu suchen. Begünstigt wurde diese Entwicklung dadurch, dass die koptische Sprache auf Lehnwörter und Lehnübersetzungen angewiesen war.

Diese Urkundenform wurde bei verschiedenartigen Rechtsgeschäften verwendet, insbesondere bei Grundstücksverkäufen, Schenkungen, Auseinandersetzungs- und Teilungsverträgen, bei Miet- und Pachtverträgen sowie bei Testamenten. Vielfach wurden diese Urkunden von den Notaren nach byzantinischem Vorbild zweisprachig in Koptisch und Griechisch errichtet.

Daneben gab es kleinere Urkunden, die sog. „Handscheine“, die ohne Einschaltung von Notaren durch die Parteien selbst errichtet wurden. Dabei handelt es sich zumeist um Quittungen, Darlehen oder Bürgschaftsübernahmen.

In der Regel bestand die Tabellionenurkunde aus folgenden 5 Teilen33): einer Einführung, einem Hauptteil, der Unterschrift, der Beglaubigung und der Completio des Schreibers.

a) Einführung (Aktpräskript)

Die Einführung bestand aus Invokations- und Datierungsformeln, der Anrufung Christi oder der Heiligen Dreifaltigkeit , der Benennung des Ausstellers, seiner Abstammung und der Erklärung, dass er die Urkunde durch ersuchte Zeugen bekräftigen lässt bzw. durch seine Subscriptio durch einen Namensfertiger abgeben werde (Intitulatio).

Es folgt die Adresse des Destinatärs der Urkunde ggf. unter Beifügung einer besonderen Grußformel sowie eine Datierung. Intitulatio und Grußformel konnten in einem einzigen Satz verbunden sein.

b) Hauptteil

Der sich daran anschließende Hauptteil enthält das eigentliche Rechtsgeschäft (Nominatio-Formel),vielfach in Briefform, verbunden mit der Erklärung des Ausstellers, dass er die Urkunde aus freiem und voll verantwortlichem Entschluss ohne Gewalt (koptisch: cunarpagy), Täuschung(koptisch:perietroöy) , Betrug (koptisch:perigraöy),List (koptisch: ji nkonec), Arglist (griech.kopt.: kakon;eia) und Zwang (koptisch: anagky/bia) errichtet hat (Willenfreiheitsklausel). Der Hauptteil der Urkunde wurde vom Schreiber bzw. von seinem Assistenten geschrieben34).

Daran konnten sich weitere Klauseln anschließen wie z.B. Zession, Eid, Stipulation, eine Nichtangriffsklausel, ein Eid (koptisch:anah/wrk), mit dem die Verpflichtung des Ausstellers als eidliches Versprechen formuliert wurde oder Strafgelder (koptisch:pracic/proctimon), für den Fall der Nichteinhaltung des Versprechens, vor allem in Verträgen oder Testamenten bzw. das Versprechen für den Fall der Nichterfüllung eine Fiskalstrafe (koptisch:pracic) zu zahlen. Deren Höhe, vielfach betrug sie 6 Unzen oder 36 Solidi und wurde von der Person selbst bestimmt oder deren Bestimmung einem künftigen Rechtsstreit überlassen.

Schließlich finden sich am Ende des Haupttextes auch Verwünschungsklauseln, die dem Vertragsbrüchigen Strafen in Aussicht stellen sollen. Diese hatten vielfach eine religiöse Bedeutung (poena spiritualis) wie z.B. die Androhung eines bösen Schicksals wie bei Judas in der Bibel.

Der Haupttext schließt wie in den gräko-byzantinischen Urkunden mit einer Stipulationsklausel ab.

c) Unterschrift und Beglaubigung

Es folgten formelhaft die Unterschrift (Hypographe) des Ausstellers, mit der er sich mit dem Inhalt der Urkunde einverstanden erklärte (Zustimmungserklärung) und eventuelle Beglaubigungen. Konnte der Aussteller nicht schreiben, so machte er drei Kreuze und bediente sich zur Unterschriftsleistung einer Schreibhilfe vielfach eines Zeugen. Konnte der Aussteller nicht schreiben, so setzte er unter die Zustimmungsklausel drei Kreuze darunter.

Die Urkunde wurde in der Regel nur vom Aussteller unterschrieben. Urkunden, die von beiden Parteien unterschrieben sind, sind selten.

d) Kompletionsvermerk und Subskriptionen der Zeugen

Den Abschluss der Urkunden bildeten der Kompletionsvermerk des beurkundeten Notars sowie die Unterschriften (Subskriptionen) der Zeugen (koptisch:mntre) bzw. ihrer Schreibhilfen (koptisch:hupograöon) oder eines beamteten Dorfschreibers. Die Subskriptionen der Zeugen bzw. ihrer Schreibhelfer befanden sich am Schluss der Urkunden zwischen der Subskription des Ausstellers und dem Kompletionsvermerk des Notars.

Die Zahl der Zeugen schwankte zwischen 1 und 32; bei den Djemeurkunden von 2 (KRU 6) bis 19 (KTU 90) Zeugen waren nicht notwendig, um eine Urkunde rechtsgültig zu machen, sondern sie wurden lediglich für den Fall eines künftigen Streites als Augenzeugen der tatsächlichen Ausstellung des Dokumentes hinzugezogen. Die Anzahl der Zeugen scheint deshalb auch vom Zufall abzuhängen, eine Abhängigkeit zwischen der Anzahl der Zeugen und der Art des beurkundeten Rechtsgeschäfts lässt sich nicht feststellen. Ebenfalls kann keine amtliche Registrierung und Verwahrung der Notarurkunden nachgewiesen werden. Die Urkunden sind teilweise im Klosterarchiv hinterlegt worden ; Schenkungsurkunde wurden an den Vorsteher übergeben, dass er sie in der Bibliothek des heiligen Ortes verwahre bzw. hinterlege35).

Einige Dokumente waren gesiegelt. Soweit Urkunden registriert waren, diente dies ihrer schnelleren Identifizierung.

E. Personenrecht

Zum Personenrecht und der Rechtsstellung natürlicher Personen liegen uns nur wenige aussagekräftige Urkunden vor. So existieren von der Geburt nur zwei Geburtsprotokolle36).

Mit der Geburt wurde eine natürliche Person zum Rechtsträger. Sie hatte Rechte und Pflichten, welche ihr durch die Rechtsgemeinschaft auferlegt wurden.

Es existierte wahrscheinlich eine Altersgrenze für die Geschäftsfähigkeit und Strafmündigkeit. Minderjährige wurden vor Gericht oder bei der Ausfertigung von Urkunden von Vormündern oder ihren Müttern vertreten.

Männer wurden im Alter von 14 Jahren als mündig (mündig sein, koptisch: r te) und damit als voll rechtsfähig angesehen, Mädchen vermutlich mit ihrer Verheiratung37) . Als Zeugen traten Frauen nicht auf, was möglicherweise mit deren geringeren Alphabetisierungsrate zusammenhängt.

Frauen galten als voll handlungs- und vermögensfähig und bedurften anders als nach dem griechischem Recht keines Geschlechtsvormundes. Sie verkauften und kauften, erbten und vererbten, wirkten als Bürgen und führten Prozesse Es lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob das koptische Recht dabei zwischen Freien, Halbfreien und Sklaven (Leibeigene) unterschied. Die Existenz von Sklaven (bwk/hmhal/kaoun), d.h. von Menschen, die im Rechtsverkehr wie im römischen Recht als Sachen mit einem Vermögenswert behandelt wurden und wie Sachen übereignet werden konnten, lässt sich aus den uns überlieferten Dokumenten nicht nachweisen38).

Wahrscheinlich ist jedoch, dass die Kopten unfreie Arbeiter, Knechte oder Diener kannten, die sich im Rahmen der bäuerlichen und gewerblichen Wirtschaft gegen Geld verdingten. Deren genaue Rechtsstellung lässt sich nicht bestimmen. Wahrscheinlich waren sie ihren Arbeitgebern zur Arbeitsleistung nach deren Anordnungen verpflichtet und von ihnen derart abhängig, dass diese über sie und ihre Arbeitskraft frei verfügen konnten39) ; vgl. KRU 104,33“ ...ich werde sein des Klosters Sklave, indem ich mich darin verhalte wie ein um Geld gekaufter Sklave…“

Außer natürlichen Personen kamen in den koptischen Rechtsurkunden auch Personenvereinigungen vor, vor allem religiöse Kultvereine oder Kultgenossenschaften. Diese existierten über den Wechsel der Mitglieder hinaus und verfügten über entsprechende Satzungen, welche das Verhalten der Mitglieder untereinander regelten. Damit wiesen sie Eigenschaften einer juristischen Person auf. Die Mitglieder der Vereinigungen konnten vom Staat in Haftung genommen werden.

Mangels entsprechender Urkunden ist unklar, ob eine Adoption wie im griechischen Recht bekannt war.

Es gab Formen von Halbfreiheit wie z.B. bei den sogenannten Mietlingen (Lebeken) und den geschenkten Kindern40) , sogenannte Hierodulen,(koptisch: hwc /Qaouon)

Häufig belegt sind z.B. Urkunden, in denen Eltern ihr Kind an ein Kloster verschenkten, die sogenannten „Hierodulenurkunden“. Allein aus dem Phoibammonkloster von Djeme existierten 26 Urkunden (Crum, KRU Nr.78-114).

I.Hierodulenurkunden

Die Schenkungen von Kindern (Hierodulen, griech.kopt: kaotom) an Kloster wurden allein aus wirtschaftlichen Gründen vollzogen in Erfüllung eines zu Gott in Zeiten der Not, während einer Schwangerschaft41) oder bei der Geburt42) gegebenen Gelübdes. Anlass war vielfach eine Erkrankung des Kindes43) ,dessen Heilung, die dem Wirken Gottes oder des Klosterheiligen zugeschrieben wurde44) .Teilweise fehlt die Angabe eines Anlasses45) . Die Erkrankung des Kindes wurde vielfach als eine Strafe Gottes oder als Folge einer Sünde der Eltern angesehen; die Widmung des Kindes als geeignetes Sühneopfer zur Besänftigung des göttlichen Zornes46) . Das geschenkte Kind wurde niemals ein Mönch, sondern ein Knecht des Klosters und des Klosterheiligen und stand unter der Aufsicht des Klostervorstehers oder des Ökonomen. Die Vertragspflicht der Eltern bestand aus der Übergabe des Kindes und der Garantieübernahme.

Aussteller der Hierodulenurkunde waren entweder die Eltern des verschenkten Kindes gemeinsam47), der Vater allein48) oder die Mutter allein49) , die entweder Witwe war50) oder ihr außereheliches Kind dem Kloster übergab51) . Destinatär der Urkunden waren ein Klosterfunktionär, vielfach der Klostervorsteher oder Ökonom des Klosters in Vertretung Gottes oder des heiligen Phoibammon.

Die Lebeken waren im Unterschied zu den Hierodulen Personen, die von ihrer Dorfgemeinde für ein Jahr als Arbeiter vermietet wurden, mit der Maßgabe, dass der vereinbarte Lohn nicht dem Arbeiter, sondern als Miete der Dorfgemeinde zufloss52).

Die geschenkten Kinder oder Hierodulen wurden von ihren Eltern zumeist aus religiösen Gründen einem Kloster, z.B. dem Phoibammonkloster von Djeme übereignet, damit sie dort altheidnischen Kultgebräuchen folgend niedere bäuerliche oder handwerkliche Arbeiten oder sonstige niedere Dienste in Kirche und Kloster leisteten53) . Sie waren keine Sklaven und auch keine Angehörige des Klosters, sondern Halbfreie, d.h. Hierodulen. Sie durften heiraten und danach auch auswärts wohnen und sogar einer Arbeit nachgehen, wobei sie den Verdienst an das Kloster abzuführen hatten. In Einzelfällen konnte der Klostervorsteher sogar das Hörigkeitsverhältnis zum Kloster ganz aufheben, vielfach jedoch nur gegen Zahlung einer Ablösesumme. Urkundlich ist sogar eine Selbsttradition im Erwachsenenalter überliefert54). Teilweise erfolgten die Kinderschenkungen an Klöster auch wegen der wirtschaftlichen Notlage der Eltern, die außerstande waren ihre Kinder zu ernähren55).

Als Aussteller von Hierodulenurkunden sowie anderen Rechtsurkunden sind auch Dorfgemeinden und Klöster (Konnobien) belegt, was dafür spricht, dass auch sie als rechtsfähig angesehen wurden56) . Dabei lässt sich jedoch nicht bestimmen, ob deren Rechtsstellung auf der Begründung eines Vertretungsverhältnisses beruhte, die einer juristischen Person nach modernem Recht gleichkam57).

Die Hierodulenurkunden hatten die Form einer Schenkungsurkunde. Für derartige Schenkungen war die Form der Tabellionenurkunde üblich, d.h, es finden sich die für diese Urkundenformen üblichen 5 Teile einer Einführung, einem Hauptteil, der Unterschrift, der Beglaubigung und der Completio des Schreibers.

Im Einzelnen:

- Einführung

Nennung des Ausstellers die Erklärung: ich habe die ewige, unauflösliche Schenkungsurkunde mit reinem Sinne und fester Absicht (Seele),unverrückbarer Überlegung ausgestellt (KRU 78,1-5, KRU 79,1-5;KRU 80,1-5;KRU 81,1:KRU 82,1-5;KRU 84,1-3;KRU 86,1-8;KRU 88,1;KRU 96,1-5;KRU 99,1-3;KRU 100,1-4)

- Hauptteil:

Schenkungserklärung : Schenkung des Kindes an den heiligen Apa Phoibammon, Nennung des Schenkungsgrundes, z.B. Heilung von einer Krankheit (KRU 78,15-20;KRU 79,19-30;KRU 80,10-15;16-28;KRU 81,11-24;KRU 82,10-20;KRU 81,4-10;KRU 84, 3-10,14-25 ;KRU 85,10-31;KRU 86,17-37;KRU 87,14-25;KRU 88,2-12;KRU 89,5-34,KRU 91,5-25;KRU 92,6-36;KRU 93,6-22;KRU 94,15-30,KRU 96,20-70;KRU 97,4-22;KRU 98,4-10;KRU 99,10-30;KRU 100,13-47;KRU 104,Selbstschenkung)

Freiwilligkeit der Schenkung, nach den königlichen Gesetzen kann jeder mit seinem Eigentum machen, was er will, Schenkung ohne List, Furcht, Gewalt, Täuschung und Zwang (KRU 79,36-40;KRU 80,29-35;KRU 81,30-35;KRU 84,10-14;KRU 85,5-10;KRU 86,37-44;KRU 87,6-10;KRU 93,23-30,KRU 94,10-14;KRU 96,14-15;KRU 98,32-35;KRU 99,4-10;KRU 100,10-12;KRU 104,3-7; Aufgaben des verschenkten Kindes: Auskehren und Besprengen, Versorgung des Beckens mit Wasser, Betreuung der Lampen, alle für das Kloster notwendige Arbeiten (KRU 79,45-50;KRU 80,35-41;KRU 81,21-23;KRU 83,5-9;KRU 87,19-20,93,30-36,KRU 103,2-3;KRU 104,27-30,Verhalten wie ein um Geld gekaufter Sklave.

Vereinbarung eines Entgeltes, jährliche Zahlung von 1 Holokottinos (KRU 78,25-38)

Abstandserklärung und ausführliche Erklärung der Unauflöslichkeit der Schenkung auch hinsichtlich der Anfechtung und Klageerhebung gegen diese Schenkung von Erben und Verwandten, Mitglieder der Dorfgemeinschaft unter Strafandrohung (KRU 78,39-65) und Verfluchung (79,53-65;KRU 80,42-50;KRU 81,37-47;KRU 82,20-39;KRU 83,9-15;KRU 84,25-30:KRU 85,31-49;KRU 86,45-47;KRU 87,27-35;KRU 88,13-16;KRU 89,40-45;KRU 90,1-20:KRU 91,26-34; KRU 93,37-44;KRU 94,31-35;KRU 95,25-30;KRU 96,72-85;KRU 98,10-30;KRU 99,31-43;KRU 100,54-62;KRU 104,34-50).

Ausstellung der Schenkungsurkunde zur Sicherheit (zur Sicherheit haben wir diese Schenkungsurkunde ausgestellt) und Bestellung von Zeugen (KRU 78,75-83;KRU 79,69-71;KRU 80,51-60;KRU 81,48-63:KRU 82,39-56;KRU 83,16-41;KRU 84,30-35;KRU 85,50-55;KRU 86,48-50;KRU 87,38-61;KRU 88,17-21;KRU 89.45-58;KRU 90,22-51;KRU 91,35,KRU 93,45-58;KRU 94,39-60;KRU 95,31-46;KRU 96,85-92;KRU 97,78-86;KRU 98,43-56;KRU 99,44-50;KRU 100,63-76;KRU 104,59-65).

- Es folgten Unterschrift, Beglaubigung und Completio des Schreibers.

Adoptionen sind urkundlich nicht belegt, obwohl sie für einen Kinderlosen ein Weg war einen Erben einzusetzen.

II.Eheurkunden

Konstituierend für die Ehe waren auch in koptischen Eheurkunden das Zusammenleben von Mann (koptisch: hai) und Frau (koptisch:chime).Dabei behielt die Ehefrau die volle Vermögensfähigkeit

Koptische Urkunden mit eherechtlichem Inhalt sind selten58). Die Errichtung einer Eheurkunde war für die Gültigkeit der Ehe ohne Belang. Als Ehe galt ein unbeurkundetes Zusammenleben. Eheurkunden dienten allein der Regelung der güterrechtlichen Verhältnisse, die je nach Art der gewählten Urkunde unterschiedlich ausfiel.

Gab es keine Eheurkunde, so wurde das Verhältnis von Eltern zu Kindern in der Familie offenbar besonders geregelt(Familie koptisch:yi/mhaoue; Familie, Verwandtschaft: mhaoue).Dabei hatte der Vater ohne Eheurkunde über Kinder wohl eine stärkere Verfügungsgewalt als über Kinder aus einer Ehe mit Eheurkunde.

Eine einzelne uns überlieferte Verlöbnisurkunde aus dem Jahre 609 n Chr. deutet darauf hin, dass das Verlöbnis unter kirchlicher Mitwirkung und Aufsicht eingegangen wurde59) .Wahrscheinlich ging dem Verlöbnis (koptisch:cost/ji-hwn) eine religiöse Einsegnungs-Zeremonie voraus in Form eines gemeinsamen Gebetes vor einem Priester, durch das die Kirche ihr Einverständnis zu dem Verlöbnis erteilte. In der anlässlich eines Verlöbnisses errichteten Verlöbnisurkunde aus dem Pachymios-Archiv in This (K 10117, CPR 23) versprach der Brautvater unter Zusicherung eines Strafgeldes in Höhe von 3 Holokottinoi seine Tochter dem Bräutigam zur Frau zu geben. Auch bei Verlöbnisstreitigkeiten schienen Schlichtungsversuche durch Gerichte vorgenommen worden zu sein.

Der Abschluss von Eheverträgen diente der Regelung güterrechtlicher Fragen für die Zeit innerhalb der Ehe und nach einer Scheidung. Geregelt wurden insbesondere Eheschenkungen, Unterhalt und Versorgung sowie Scheidungsstrafen. Der Abschluss von Eheverträgen war wie bei ägyptischen und griechischen Eheurkunden für die Gültigkeit der Ehe nicht relevant, sondern sie dienten nur der Festlegung bestimmter Umstände60).

Als Sicherheit für die Verpflichtungen aus den Eheurkunden diente in der Regel das Vermögen des Mannes. Damit konnte der Mann sein Vermögen nur mit Zustimmung der Ehefrau oder des ältesten Sohnes veräußern oder belasten.

Die Ehe wurde dadurch geschlossen, dass die Partner übereinstimmende Willenserklärungen bezüglich der Begründung einer häuslichen Gemeinschaft abgaben. Ihr wurde von der Kirche durch Segnung die Zustimmung erteilt61). Eheverbote zwischen Ägyptern und Nichtägyptern sind (Mischehen) sind nicht nachweisbar.

Die Vereinbarung von hohen Konventionalstrafen sollte den Bestand der Ehe sichern. Trotzdem waren Ehebruch (koptisch:noeik-nwk) Ehescheidungen (koptisch: ouwwte) und Wiederverheiratungen häufig. Sie wurden von der Kirche bekämpft. Ob für die Anerkennung der Ehescheidung ein durch einen Notar ausgestellter Scheidungsbrief(koptisch: chai noueik oder jwwmic n toucio) erforderlich war, lässt sich nicht sagen. Der Umstand, dass sich ein derartiger Brief urkundlich nicht nachweisen lässt, spricht eher dafür, dass eine Trennung der Ehepartner unter beidseitiger Erklärung des Scheidungswillens als ausreichend angesehen wurde. Jedenfalls waren Scheidungsurkunden kein obligatorischer Bestandteil der Scheidung.

Dabei konnten sich bei einverständlichen Scheidungen die Partner gelegentlich eidlich und urkundlich verpflichten unter Vereinbarung einer Konventionalstrafe gegen eine Wiederverheiratung des anderen Teils keine Einwendungen zu erheben62).

Die überlieferten Urkunden sagen wenig über das eheliche Güterrecht aus. Grundsätzlich galt wohl Gütertrennung.

Zu Beginn der Ehe, bei der Hochzeit (koptisch:seleet) machte der Ehemann seiner Frau ein Hochzeitsgeschenk (koptisch:swp) , ein Brautgabe ( koptisch:sop),die der Frauengabe im demotischen Güterrecht entsprach63) . Die Schenkung bestand aus beweglichen Sachen64) ,Geld65) Schmuck, Immobilien , Hausrat (koptisch:hnaau), einem Stück Land oder einem Haus66) . War der Bräutigam vermögenslos, so erbrachten seine Eltern das Hochzeitsgeschenk67).

Umgekehrt erhielt der Ehemann von seiner Frau bzw. von deren Familie eine Mitgift, Aussteuer (koptisch: nouhre ebol/QryQe) oder Hochzeitsgeschenk (koptisch: swp).68) Die Mitgift diente der Ausstattung des Haushaltes und dem Unterhalt der Frau. Sie wurde von der Familie der Frau oder der Frau selbst gestellt und ging in das Vermögen des Mannes über. Dessen Verfügungsgewalt über die Mitgift konnte in einer Eheurkunde eingeschränkt sein. Zur Mitgift gehörten Kleider, Schmuck, Hausrat und Geld, seltener Tiere. Nicht zur Mitgift gehörten Grundstücke(koptisch: oureh/Qom/,wra, Grundstücksanteil: meroc-n-,wra) oder Sklaven. Sobald der Mann die Mitgift erhalten hatte, war er verpflichtet der Frau Unterhalt gemäß seinem Vermögen zu erbringen. Bei einem Verlöbnis mit vorausgezahlter Mitgift hatte der Mann diese zurückzugeben, wenn die Ehe nicht zustande kam.

Bei einer von der Frau nicht verschuldeten Scheidung oder auch beim Tod des Ehemannes fiel die Mitgift an die Frau oder die Kinder zurück.

Die Eheurkunden können insoweit als eine Art Quittung des Mannes für den Erhalt der Mitgift oder eines Hochzeitsgeschenkes sowie als eine Art Nachweis über die Übergabe der Braut an den Bräutigam durch den Vater oder die Mutter angesehen werden. Darüber hinaus enthielten sie Bestimmungen zur Ehe selbst, insbesondere güterrechtliche Vereinbarungen und Regelungen zum Verhalten der Ehegatten, z.B. die Erklärung der Ehegatten künftig zusammenleben zu wollen, das Verbot für den Mann eine Konkubine zu haben oder seine Frau schlecht zu behandeln oder für die Frau, nicht ohne Wissen des Mannes das Haus verlassen zu dürfen.

Was die Ehefrau mit in die Ehe brachte, blieb auf alle Fälle ihr Eigentum.

In Einzelfällen hatten sich die Kinder verpflichtet, im Alter für ihre Eltern zu sorgen und sie nach ihrem Tod zu beerdigen69).

III. Scheidungen

Scheidungen (koptisch:ouwwte) erfolgten grundsätzlich ohne Einschaltung sakraler oder weltlicher Instanzen, sie konnte einseitig oder einvernehmlich geschehen. Besondere Voraussetzungen bestanden offensichtlich nicht. Sowohl der Mann als auch die Frau konnte eine Scheidung initiieren.

Der Mann vollzog die Scheidung, indem er die Frau als Ehefrau entließ, die Frau dagegen einfach dadurch, dass sie aus dem Haus wegging.

Soweit Scheidungsurkunden oder Scheidungsbriefe (koptisch:cqi nouei) vorhanden waren, handelte es sich entweder um einseitige Erklärungen des Ehemannes oder um eine Kombination von zwei einseitigen Erklärungen von Mann und Frau. Sie dokumentierten die Auflösung der Ehe und enthielten die Verpflichtung des Ehemannes, der Frau eine Wiederverheiratung zu gestatten, die Mitgift zurückzugeben sowie manchmal Bestimmungen über das Schicksal der Kinder. Der Scheidungsgrund wurde in der Regel nicht genannt.

Wurde die Scheidung durch die Frau initiiert, enthielten die Eheurkunden gelegentlich Klauseln, wonach die Frau auf den Rückerhalt der Mitgift verzichten musste. Ebenso konnte eine Abfindung oder Aussteuer (koptisch: hyn) oder eine Strafzahlung für den Mann festgelegt sein, falls er sich scheiden ließ.

Bei einer Scheidung,z.B. aufgrund eines Ehebruches des Ehemannes (koptisch:noeik, ehebrechen, koptisch:rnoeik) schien das Hochzeitsgeschenk der Ehefrau zu verbleiben, wenn aus der Ehe Kinder hervorgegangen waren. Wurde die Frau jedoch von ihrem Ehemann verstoßen, hatte sie das Hochzeitsgeschenk an den Mann zurückzugeben.

F. Sachenrecht

Der uns geläufige Sach- und Eigentumsbegriff ist römisch-rechtlich (dominium) geprägt als ein gegenüber jedermann wirkendes dingliches Vollrecht. Im koptischen Recht finden sich koptische Begriffe wie :“joeic“ bzw. für „Eigentümer werden“ „r-pjoeis“.

Der Begriff des Eigentums (koptisch:hne, Eigentumsrecht: decpodian) lässt sich am ehesten aus uns überlieferten Kauf- und Schenkungsurkunden sowie aus Testamenten und Teilungsverträgen im Wege der Rechtsvergleichung insbesondere mittels eines Vergleichs mit griechischen Papyri und spätrömischen byzantinischen Urkunden rekonstruieren70).

In den koptischen Urkunden werden vielfach bewegliche und unbewegliche Objekte oder Vermögen (griech.kopt.: hupoctacic) wie unbebaute Grundstücke (griech.kopt.:,wruma), Häuser, Haus- und Grundstücksanteile :griech.kopt.:meroc-n-,war), Felder als unbewegliches Vermögen sowie sonstige Sachen wie Bäume, Nahrungsmittel, aber auch Klöster und Kirchenanteile sowie Kirchengüter als bewegliches Vermögen genannt. Sich selbst bewegendes Vermögen wie gezähmte Tiere wurden zusammengefasst, soweit sie als einzelne Bestandteile eine wirtschaftliche Einheit im Sinne eines Vermögens bildeten71). Unkörperliche Rechte wurden noch nicht als Vermögen angesehen.

Sie konnten Gegenstände privater Verfügungsgeschäfte sein und in Testamenten vererbt werden72). Der über sie Verfügende hatte damit als Verfügungsberechtigter eine rechtliche Stellung, die der eines Eigentümers im römischen Recht entsprach.

Auch eine Unterscheidung zwischen der faktischen Herrschaft, dem Besitz (Possessio, koptisch:“nka cwnt“oder „ hnaau/jpo/Qom/amahte“) als rechtlich geschützte tatsächliche Gewalt (besitzen,koptisch: maate in Besitz nehmen, koptisch: ei ehoun n amahte) und der rechtlichen Herrschaft im Sinne eines Eigentums, d.h. eines Rechtes „Herr zu sein“ (nyb/joeic) lässt sich in den koptischen Eigentumsurkunden vielfach nicht eindeutig vornehmen. Insoweit übernehmen die Urkunden häufig Formulierungen der graeko-byzantinischen Urkunden.

Eigentumsübertragungen geschahen in Vollzug des entsprechenden schuldrechtlichen Geschäfts, z.B. eines Verkaufs oder einer Schenkung, ein dingliches Übereignungsgeschäft fehlte. Beim Kauf geht Eigentum mit der Kaufpreiszahlung über; die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten fehlte.

Die in den Eigentumsurkunden eingeräumte Rechtsstellung beinhaltete zugleich das Recht das Objekt zu nutzen im Sinne eines „ius utendi“ (koptisch „hyu“) sowohl in Form der Eigennutzung, als auch der Fremdnutzung, der Vermietung und Verpachtung oder Verpfändung sowie das Recht über das Objekt zu verfügen als „ius disponendi“, d.h. es zu veräußern(koptisch:“ti ebol“) oder zu zerstören, zu vererben(koptisch:“pws“) bzw. in jeder beliebigen Weise mit ihm zu verfahren73).

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Ende der Leseprobe aus 74 Seiten

Details

Titel
Das koptische Recht II
Untertitel
Koptische Rechtsurkunden als Quellen eines eigenen Rechts?
Autor
Jahr
2018
Seiten
74
Katalognummer
V418864
ISBN (eBook)
9783668677777
ISBN (Buch)
9783668677784
Dateigröße
814 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
recht, koptische, rechtsurkunden-quellen, rechts
Arbeit zitieren
Doktor Wolfgang Boochs (Autor:in), 2018, Das koptische Recht II, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/418864

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