Eine Gattungsproblematisierung des poème en prose "Une mort héroïque" von Charles Baudelaire


Term Paper, 2018

17 Pages, Grade: 1,0


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Inhaltsverzeichnis

I) Einleitung (Baudelaires Quellen, Fragestellung, Forschungsüberblick)

II) Definition des Prosagedichtes

III) Gattungstheoretische Analyse
III. A) Narrative Elemente
A.1) Novellencharakteristiken
A.2) Erzähler
III. B) Poetische Elemente
B.1) Wortebene
B. 2) Struktur
III. C) Dramatische Elemente
C.1) Mimik
C. 2) Gestik

IV) Fazit

V) Literaturverzeichnis

VI) Anhang

I) Einleitung (Baudelaires Quellen, Fragestellung, Forschungsüberblick)

1863 veröffentlichte Baudelaire sein Prosagedicht Une mort h é ro ï que in der Revue nationale et étranger. Houssaye, dem später der Gedichtzyklus gewidmet wird, lehnte es ab, die finalen Prosagedichte in La Presse zu publizieren. Nach seinem Tod ging es aufgrund seiner handschriftlichen Anordnung als XXVII. Gedicht in seinen Gedichtzyklus Petits po è mes en prose1 ein. Als Inspiration diente Baudelaire Edgar Poes Novelle Le Masque de la mort rouge2 , die er ins Französische übersetzte. Der traditionelle Untersuchungstyp der Petits po è mes en prose Forschung ist der Vergleich von Prosa- und Versgedicht3, die Gattungsfrage als auch die Ausarbeitung von intertextuellen Verweisen und strukturellen Mustern4 innerhalb des Gedichtbandes. Weniger Beachtung finden einzelne Gedichte, obwohl Baudelaire in seiner Widmung die Eigenständigkeit jedes Gedichtes betont5, sodass diese Arbeit eine gattungspoetologische Analyse des Prosagedichtes Une mort h é ro ï que, das Elemente aus allen drei Hauptgattungen aufweist, umfasst.

II) Definition des Prosagedichtes

Baudelaire verfolgte die Idee einer Poetik ohne Rhythmus und Reim, was einer Absage an die traditionelle Definition der Poetik gleichkam6, sodass Rey Baudelaires Prosagedichte als „œuvres qui s’élevaient sans avoir recours au vers,àdes vertus poétiques au sens étendu du terme“7 bezeichnet. Durch diese moderne Idee eines Verzichtes auf eingrenzenden Rhythmus sollte der poetischen Seele Platz geschaffen werden, sich zwanglos entfalten zu können: „s’adapter aux mouvements lyriques de l’âme“8. Baudelaire bezeichnet den Rhythmus seiner Prosagedichte als „saccadé“ und „heurté“, der durch „abrupt shifts ans switches of direction“ gekennzeichnet sei.9 Seiner performativen Definition der Prosagedichte wurde später die deutsche Lehnübersetzung des Terminus abgewonnen, der allgemein Einzug in die Literaturwissenschaft fand.10

Für Baudelaire sei Vers und Prosa kein Bruch, sondern ein Übergang wie er in einem Brief an Jules Troubat vom 19.02.1866 schreibt: „Je suis assez content de mon ‘Spleen‘. En somme, c’est encore ‚Les Fleurs du mal‘, mais avec beaucoup plus de liberté, et de détail, et de raillerie.“11

Ein weiteres Merkmal des Prosagedichts bei Baudelaire sei die Kürze, welche bereits im Werktitel impliziert ist und das praktizierte Genre definiere.12 Kritisch ist Reys Aussage, dass Baudelaires Prosa „à son avantage les beautés du vers“13 verwenden würde, zu betrachten, da die Vermischung der beiden Gattungen nicht nur auf die Wortebene zu beschränken ist, sondern vor allem die Poetisierung der Erzählstruktur beinhaltet. Rey ordnet weiterhin das Gedicht Une mort h é ro ï que der epischen Gattung zu: „On qualifiera plutôt de conte ‚Une mort héroïque‘ si on admet la distinction générique qui veut le conte, plus que la nouvelle, nous dépayse de notre univers quotidien.“ Nicht nachvollziehbar erscheint seine Argumentation aufgrund der moralhaften Kritik, die Baudelaires Prosagedicht deutlicher als Unterhaltung und Ablenkung vom Alltag vermittelt. Nicht nur die kritischen Historiker werden vom Prinzen zensiert, allgemein sei Kunst mit dem alleinigen Ziel der Unterhaltung verbunden: „s’il avait été permis, dans ses domaines, d’écrire quoi que ce fût qui ne tendît pas uniquement au plaisir ouàl’ é tonnement “ (S. 320)14. Auch Baudelaire unterlag der zeitgenössischen Zensur, sodass einige seiner Gedichte der Fleurs du mal verboten wurden. Man wird dem Gedicht nicht gerecht, indem ihm ein reiner Unterhaltungszweck, der eindeutig im Gedicht selbst ironisiert wird, unterstellt wird. Da Baudelaires Prosagedicht neben dem formalen Bruch auch die traditionellen lyrischen Inhalte überschreitet, lässt sich als allgemeine Definition die „Überwindung aller traditioneller Gattungsschranken“15 festhalten.

III) Gattungstheoretische Analyse

III. A) narrative Elemente

Das Gedicht weist insofern eine Handlung auf, die im Folgenden zusammengefasst werden soll, dass Ereignisse und Eigenschaftsveränderungen auszumachen sind. Fancioulle, der Lieblingsnarr des Prinzen, wird mit anderen Rebellen, die sich gegen den Prinzen verschwört hatten, festgenommen und zum Tode verurteilt. Aufgrund der Ankündigung eines Theaterspiels, in dem Fancioulle eine seiner besten Rollen spielen solle und dem die anderen Verschwörer beiwohnen sollten, geht das Gerücht um, dass der Prinz vorhabe, die Verurteilten zu begnadigen. Nach Meinung des schreibenden Ichs hingegen, wolle der Prinz ein Experiment, ob ein Schauspieler, der zum Tode verurteilt ist, in seiner Rolle bleiben könne, wagen. Am Tage der Aufführung zieht Fancioulle mit seinem Schauspieltalent das Publikum in seinen Bahn und lässt sich nichts von seinen wahren Gefühlen anmerken. Das schreibende Ich sieht eine Aureole um den Kopf des Hofnarren und habe durch dessen Schauspiel die Ausblendung der Realität erkannt, zu der ein Künstler fähig sei. Auch der Prinz klatscht seinen Beifall, allerdings fällt dem schreibenden Ich die Blässe des Prinzen und seine lodernden Augen auf, die das Ich als Eifersucht auf die größere Macht des Künstlers interpretiert. Der Prinz beugt sich zu einem seiner Pagen und flüstert diesem etwas ins Ohr, woraufhin dieser sich aus der Prinzenloge entfernt. Einige Minuten später ist ein Pfiff hörbar, der von dem Pagen ausgestoßen wurde und den Hofnarren aus seiner Trance weckt. Hiernach stirbt Fancioulle auf der Bühne einen dramatisch inszenierten Tod. Die Rebellen werden in derselben Nacht hingerichtet und es sei seit Fancioulles Tod keinem seiner Nachfolger gelungen, sein schauspielerisches Talent zu übertrumpfen, noch die gleiche Gunst zu erlangen. Die Zeit sowie der Ort des Fürstenhofes ist unklar und wird anonym („la cour de ***“ S. 323) gehalten, was den Leser16 zu einer bestimmten Lesart verleitet: Der Leser nimmt an, dass das Gedicht auf einer wahren Begebenheit beruht, die es nun zu bestimmen gilt.17

A.1) Novellencharakteristiken

Nicht nur die prosaische Form und Baudelaires novellistische Inspirationsquelle legen den epischen Charakter des Gedichtes nahe. Novellistische Merkmale wie die abstrakte Funktionsbezeichnungen („Prince“, „gentilshommes“ S. 319 „page“ S. 322), Fancioulles sprechender Name18 und die unerhörte Begebenheit, der Tod eines Schauspielers durch einen trivialen Pfiff19, rechtfertigen die Behauptung, dass das Gedicht novellenhafte Züge hat. Baudelaire ironisiert den Begriff der unerhörten Begebenheit, indem er das Adjektiv unerhört doppeldeutig ausführt: Das akustisch wahrnehmbare Geräusch des Pfiffes bewirkt den optisch sichtbaren und höchst ungewöhnlichen Tod des Narren. Zugleich bleibt Fancioulle stumm und spricht nicht noch einmal: „ouvrit ensuite la bouche comme pour respirer convulsivement“ (S. 322). Die unsichere Interpretation des schreibenden Ichs, die durch das „comme“ (ebd.) ausgedrückt wird, lässt die Möglichkeit offen, dass Baudelaire selbst kurz vor dem Tod des Narren ihn nicht zu Worte kommen lässt. Im Gedicht wird hartnäckig direkte Rede vermieden. Sogar der Schauspieler, dessen gattungstheoretisches Merkmal die direkte Rede ist, erhält eine „rôle[…] muete[…] ou peu chargé[…] de paroles“ (S. 321). Aber auch die Worte des Prinzen sind nicht hörbar, da dieser sich zu seinem Pagen beugt und „lui parle[…]àl’oreille.“ (S. 322) Aus dem Kontext kann geschlussfolgert werden, dass er den Pagen beauftragt hatte, einen Pfiff von sich zu geben. An dieser Stelle scheint es angebracht auf die Exklusivität der Sinneswahrnehmungen hinzuweisen. Das schreibende Ich behauptet mithilfe eines Parallelismus als einziges die Aureole um den Kopf des Narren zu sehen („auréole autour de la tête, auréole invisible pour tous, mais visible pour moi“ S. 321), andererseits kennt selbst dieser performative Prinzenkenner („comme moi, avaient pu pénétrer plus avant dans les profondeurs de cette âme [du Prince]“ S. 320) nicht die Worte des Prinzen, die dieser nur seinem Pagen anvertraut. Die Abgrenzung des schreibenden Ichs von der Menge kann als verzweifelter Versuch des Schreibers angesehen werden, sich in die Geschichte einschreiben zu wollen.

A.2) Erzähler

Nach Martinez und Scheffel20 liegt auf der ersten Untersuchungsachse der Zeit eine unbestimmt lange erzählte Zeit vor, die jedoch von der Auflehnung des Narren gegen den Prinzen („un jour“ S. 319) bis in die Gegenwart des Erzählers („Depuis lors“ S. 323) reicht und vier Seiten Erzählzeit umfasst. Alle zeitlichen Angaben bleiben vage: „le grand jour arrivé“ (S. 320), „ce soir-là“ (S. 321), „À un certain moment“ (S. 322), „Quelques minutes plus tard“ (ebd.), „dans la même nuit“ (S. 323). Die Ordnung ist von Prolepsen („Mais pour les personnes vouées par état au comique, les choses sérieuses ont de fatales attractions“ S. 319, „une mort certaine“ ebd., das homonyme „bruit“ S. 320, welches durch seine ambivalente akustische Bedeutung auf den Pfiff vorausdeutet, „C’est un point qui n’a jamais pu être éclairci“ ebd., „perdu comme il est“ S. 321) sowie einer kompletten Analepse, die bis an die Gegenwart des Erzählers hinan reicht, gekennzeichnet. Die Dauer ist sehr abwechslungsreich und birgt Spannung durch den Wechsel von Pausen, d. h. Einschüben des Erzählers (siehe erster Abschnitt, Reflexion über einen guten Komödianten und die Trance des Schauspielers auf S. 321) und Zeitsprüngen („Enfin, le grand jour arrivé“ S. 320, „Quelques minutes plus tard“ S. 322, „dans la même nuit“ S. 323, „Depuis lors“ ebd.). Raffungen wie „allait, venait, riait, pleurait, se convulsait21 “ (S. 321) und „plusieurs mimes, justement appréciés dans différents pays, sont venus“ (S. 323) erzielen die Darstellung des einzigartigen Schauspieltalents des Hofnarren. Die Frequenz ist zwei mal iterativ: Der Beifall erschallt „à plusieurs reprises“ (S. 322) und die neuen Komödianten scheitern mehrfach (Vgl. S. 323). Trotzdem wird der Applaus repetitiv erzählt („applaudissement“ S. 322, „applaudissait“ ebd.), sodass des Schauspielers Talent noch mehr betont wird.

Die zweiten Untersuchungsachse des Modus ist deshalb auffällig, da keine Unmittelbarkeit vorhanden ist. Die Distanz ist ausschließlich im narrativ mittelbaren Modus, wobei einmal ein verbi decendi verwendet wird: „disait-on“ (S. 320). Direkte Rede wird nur erwähnt, ohne den Inhalt näher zu bestimmen („chargés de paroles“ S. 321) bzw. vermutet („lui parleràl’oreille“ S. 322). Obwohl Nullfokalisierung suggeriert wird durch performative Aussagen des Erzählers über seine Einsicht in die Seele des Prinzen und das Sehen der Aureole, die keiner sonst sehen könne, ist der Erzähler intern fokalisiert, da er schlussendlich Vermutungen anstellt: „Je croirais volontiers que le Prince fut presque fâché“ (S. 319), weshalb er als unzuverlässiger Erzähler bezeichnet werden könnte und dessen Glaubwürdigkeit angezweifelt werden kann. Möglicherweise sind „ce qui contribuaàfortifier dans le noble public l’idée de douceur et de pardon” (S. 321) sowie „Personne ne rêva plus de mort, de deuil, ni de supplices“ (S. 322) nullfokalisiert.

Auf der dritten Untersuchungsachse der Stimme liegt späteres Erzählen (passé simple und Imparfait) sowie ein extradiegetisch-homodiegetischer Erzähler vor. Es wird ein Leserpublikum angesprochen („à vous décrire“ S. 321) sowie versucht ein Wir-Gefühl aufzubauen, indem der Schreiber von „on“-Konstruktionen Gebrauch macht: „Quand on dit“ (S. 321).

Greiner bezeichnet das schreibende Ich als „Chronist[en]“22, der die Ereignisse selbst miterlebt habe, und als „falsch[…], trivial-logisch argumentierende[n] Interpret[en]“23

Aufgrund des durchgängig mittelbaren narrativen Modus bleibt auch unklar, ob die „annonce“ (S. 320) mündlich oder schriftlich erfolgt ist.

III. B) poetische Elemente

Une mort héroï que weist typisch poetische rhetorische Mittel wie Metaphern („tombe“ S. 321, „cœurs“ S. 322), Ellipsen („Amoureux passioné des beaux-arts“, „véritbale artiste lui-même“ S. 320), Parallelismen („pour fuir ou pour vaincre“, „même la vertu, même la clémence“ S. 320), Antithetik („compique“ -„sérieuses“, „certaine“ - „presque“ S. 319, „Personne“-„Chacun“ S. 322), Alliterationen („ressources restreintes“ S. 321, „moral et mystérieux“ ebd.), Enumerationen („l’art, l’effort, la volonté“ S. 321), Anaphern („Amoueux […] Assez“ S. 320) und Vergleiche („comme la neige“ S. 322, „comme un glaive“ ebd.) auf, die alle zum Ziel eine höhere Bildhaftigkeit und poetische Melodie haben.

B.1) Wortebene

Entgegen der Annahme, dass Baudelaires Prosagedichte eine Degradierung der Poetik seien, habe er die Alltagssprache noch mehr bearbeiten müssen als seine Versgedichte24, sodass diese auf einer viel komplexeren Ebene zu analysieren sind als auf der des Reims und des Rhythmus. Zudem büßt das Prosagedicht weder in seiner Bildlichkeit noch in seiner sprachlichen Dichte ein. Auffällig sind die vielen Parallelismen und Wortwiederholungen25.

Reys These über die Kerninhalte der Prosagedichte trifft auf Une mort h é ro ï que nicht zu: „Chaque poème repose sur une anecdote, ou témoigne de la vision ou de l’émotion d’un moment“26. Vielmehr ist Greiner zuzustimmen, dass das Gedicht den zentralen Aspekt der Baudelaireschen Ästhetik thematisiere:27 Fancioulle sei eine „parfaite idéalisation“ (S. 321), indem er „vivante, possible, réelle“ (ebd.) spiele, was auf Charakteristika des klassischen Dramas verweist. Der Schreiber sei ein „Anhänger einer klassischen Ästhetik“28, der diese als Ideal ansehe. Fancioulles Reaktion auf den Pfiff erscheint hingegen surrealistisch angehaucht zu sein: „réveillé dans son rêve“ (S. 322). Formal finde Baudelaires Kunstauffassung im Prosagedicht ihren gattungsmäßig adäquaten Ausdruck, da die „allegorische Verbildlichung des Begehrens des modernen Subjektes“29 sich in einer absoluten Ausdrucksfreiheit einer neuen Gattung artikuliere. Ebenso schwierig ist die Zuordnung des französischen Dichters zu einer literarischen Strömung, der einen ganz eigenen Stil verfolgte. Zumindest im Punkt der Künstlichkeit lässt sich die Parallele zwischen dem Prinzen und einem Dandy erkennen, die sich jedoch schon im Zweck unterscheidet: Der Prinz schätzt die Kunst an seinem Hof aufgrund der Ablenkung des Volkes von seiner Tyrannenherrschaft und der Dandy „cultive l’artifice“30 aufgrund „[l]‘horreur de la nature“31.

Die Übernahme von poetischen Strategien in die Prosa mache neue Formen der Sinnbildung möglich.32 Zwei Hervorhebungen im Text weisen auf eine Doppeldeutigkeit hin. Die erste Hervorhebung befindet sich in der Vermutung des schreibenden Ichs, dass der Prinz ein „expérience physiologique d’un intérêt capital “(S. 320, Hervorhebung original) durchführen wolle. Interessant erscheint die Wortwahl der Adjektive: Der Prinz teste die körperliche Belastbarkeit, wobei das Schauspielern nicht nur die Körpersprache umfasst, sondern auch eine geistige Konzentration beansprucht. Auch wenn die Körpersprache den geistigen Zustand ausdrücken kann, wäre der Prinz ohne körperliche Symptome nicht in der Lage die seelische Verfasstheit des Narren zu erfassen, obwohl diese eher belastet sein könnte als der Körper, unter der Voraussetzung, dass die körperliche Selbstkontrolle hoch ist. Das Experiment von größter Bedeutung, da dessen Gelingen dem Fürsten einen Künstler beschaffe, dessen „Kunstkonzeption sein individuelles Bedürfnis“33 befriedige, und dessen Scheitern ihn dieser Aussicht endgültig beraube. In der zweiten Hervorhebung betont das schreibende Ich das letzte Wort des Gedichtes, das wieder auf des Gedichtes Anfang34 („et presque un des amis du Prince“ S. 319) verweist: „s’élever jusqu’à la même faveur35 “ (S. 323, Hervorhebung original). Eine weitere Lesart der faveur des Fürsten, die er dem Narren erwiesen hat, sei die Hilfe zu einem heroischen Tod, der es wert ist von einem Chronisten für die Nachwelt festgehalten zu werden36, und die Verschonung vor der physischen Hinrichtung.37

Wie in anderen Prosagedichten liegt eine „generelle Zweistimmigkeit [vor], [aus der] die Grundlage der oft beobachteten [gedichtinternen] Kontrastierungstendenz“38 resultiert. Das Gedicht bietet verschiedene Interpretationsweisen an: Auf der einen Seite deutet das schreibende Ich die Ankündigung des Prinzen als dämonisches Experiment des Tyrannen. Des Erzählers Interpretation „seems to limit reading oft he gesture, while encouraging the reader to reach at least this level of multiple interpretive possibilities, and sets us on the right interpretive track, should we have strayed.“39 Andererseits sehen die Höflinge dies als Zeichen der Milde und Vergebung.

[...]


1 Baudelaire starb am 31. 08. 1867, ohne eine endgültige Titelauswahl getroffen zu haben. Vgl. vivionPierre-Louis Rey: Petits poèmes en prose. Charles Baudelaire. Paris 2010, S. 6. In der Forschungsliteratur werden beide Titel Le Spleen de Paris sowie Petits po è mes en prose gleichrangig verwendet. Den Gewohnheiten des 19. Jahrhunderts folgend schreibt Baudelaire poème immer mit einem Tréma. Im Folgenden wird die Orthographie an die heutige Norm angepasst.

2 Vgl. Rey: Petits poèmes, S. 87. Anders als in Poes Novelle, die zeitlich und örtlich genauestens situiert ist, bleibt Baudelaires Prosgedicht höchst vage, so als ob es Allgemeinheitsanspruch habe.

3 Vgl. Michèle Narvaez und Florence Ricard: étude sur Le Spleen de Paris. Petits Poèmes en prose. Baudelaire. Paris 2000, S. 11-119.

4 Vgl. Sonya Stephens: The prose poem. In: The Cambridge companion to Baudelaire. Hg. v. Rosemary Lloyd. Cambridge u. a. 2005, S. 69-86.

5 „petit ouvrage dont on ne pourrait pas dire, sans injustice, qu'il n'a ni queue ni tête, puisque tout, au contraire, y estàla fois tête et queue, alternativement et réciproquement. […] Hachez-la en nombreux fragments, et vous verrez que chacun peut existeràpart.“ (Charles Baudelaire: Petits poëmes en prose. Hg. v. Jacques Crépet. Paris 1926, S. V.)

6 Rezeptionsgeschichtlich wurden Baudelaires Prosagedichte nach der traditionellen Hierarchie der Gattungen, sei es von Banville oder von Autoren des 20. Jahrhunderts wie Walter Benjamin, als der eigentlichen Dichtung untergeordnete Prosa abgewertet. Vgl. Greiner: Ideal und Ironie, S. 205-213.

7 Rey: Petits poèmes, S. 9.

8 Baudelaire: Petits poëmes, S. VI.

9 Richard D. E. Burton: Bonding and Breaking in Baudelaire's “Petits poèmes en prose”. In: The Modern Language Review 88 (1993), H. 1, S. 58-73, hier S. 64. Als Beispiel kann „Tout d’un coup” (S. 320) angeführt werden.

10 Vgl. Els Andringa: Prosagedicht. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Hrsg. v. Klaus Weimar. Bd. III: P-Z, S. 172-174, hier S. 172.

11 Rey: PP, S. 19.

12 Vgl. Rey: Petits poèmes, S. 10.

13 Rey: Petits poèmes, S. 10.

14 Alle Zitate nach: Charles Baudelaire: Une mort héroïque. In: Oeuvres complètes. Texte établi, présenté et annoté par Claude Pichois. Bd. 1. Paris 1973, S. 319-323., mit Seitenangabe im Text. Alle Hervorhebungen stammen, soweit nicht anders vermerkt, von der Verfasserin.

15 Andringa: Prosagedicht, S. 173. Murphy bezeichnet Prosagedichte als „Modell für literarische Anarchie“ (ebd.).

16 Der besseren Lesbarkeit wegen ist nur die männliche Form von Personen gegeben, die weibliche Form ist impliziert.

17 Man denke an die Herausgeberfiktion in Goethes Werther oder an Kleists Marquise von O … .., wo Orte und Namen nur mit Initialen genannt werden.

18 Ital. ‚Fanciullo‘= kindlich (Vgl. Greiner: Ideal und Ironie, S. 264.)

19 Burton zählt weitere akustische Signale in anderen Gedichten des Bandes auf. Vgl. Burton: Bonding and Breaking, S. 65.

20 Vgl. Matthias Martinez und Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. München 92012.

21 Siehe biographischen Interpretationsansatz mithilfe Baudelaires Krankheit. Vgl. Burton: Bonding and Breaking, S. 71.

22 Greiner: Ideal und Ironie, S. 262.

23 Greiner: Ideal und Ironie, S. 267.

24 Vgl. Rey: Petits poèmes, S. 18. In einem Brief an seine Mutter vom 09.03.1865 spricht Baudelaire über die Komplexität seiner Prosagedichte: „que la confection de ces petites babioles est le résultat d’une grande concentration d’esprit“ (Greiner: Ideal und Ironie, S. 210.)

25 Auch Hermine Riffaterre bestimmt dem individuellen Text eigene semantische oder formale Äquivalenzen als Charakteristikum der Gattung. (Vgl. Hermine Riffaterre: Reading Constants: The Practice of the Prose Poem. In: The Prose Poem in France. Theory and Practice. Hg. v. Mary Ann Caws und Hermine Riffaterre. New York 1983, S. 98-116.)

26 Rey: Petits poèmes, S. 13.

27 Vgl. Greiner: Ideal und Ironie, S. 262.

28 Greiner: Ideal und Ironie, S. 266.

29 Greiner: Ideal und Ironie, S. 215.

30 Rey: Petits poèmes, S. 16.

31 Ebd.

32 Vgl. Greiner: Ideal und Ironie, S. 224.

33 Greiner: Ideal und Ironie, S. 265.

34 Auch Michael Riffaterre betont die motivierten intertextuellen Bezüge, die anstelle der unmotiviert traditionellen Verskonventionen treten. (Vgl. Michael Riffaterre: On the Prose Poem’s Formal Features. In: The Prose Poem in France. Theory and Practice. Hg. v. Mary Ann Caws und Hermine Riffaterre. New York 1983, S. 117-132.)

35 Nicht nachvollziehbar ist Evans Auslegung dieses letzten Wortes als sexuelle „favours bestowed by a woman“. (Margery A. Evans: Soubresaut or Dissonance? An Aspect of the Musicality of Baudelaire's "Petits Poèmes enprose". In: The Modern Language Review 83 (1988), H. 2, S. 314-321, hier S. 316.) Plausibler scheint die sexuelle Konnotation der Beziehung zwischen dem Prinzen und seinem Narren („amoureux passioné […] vraiment insatiable de voluptés“ S. 320), der „penetrated by the whistle“ werde. (Ebd.)

36 Im Gegensatz zu anderen Künstlerfiguren wie z. B. dem vieux saltimbanque (Gedicht XIV), erhält Fancioulle die ihm rechtmäßig zustehende Würdigung der Gesellschaft.

37 Vgl. Greiner: Ideal und Ironie, S. 263.

38 Greiner: Ideal und Ironie, S. 237.

39 Stephens: Gesture, S. 77. Dies hindere den Leser nicht daran, sich weitere Interpretationen auszudenken oder sogar die Gültigkeit der narrativen Instanz zu hinterfragen. (Vgl. ebd.)

Excerpt out of 17 pages

Details

Title
Eine Gattungsproblematisierung des poème en prose "Une mort héroïque" von Charles Baudelaire
College
Humboldt-University of Berlin
Grade
1,0
Author
Year
2018
Pages
17
Catalog Number
V418929
ISBN (eBook)
9783668703988
ISBN (Book)
9783668703995
File size
493 KB
Language
German
Keywords
Baudelaire, Poemes en prose, petits poemes en prose, Le Spleen de Paris, Une mort heroique, Gattungen, französische Literatur
Quote paper
Alexandra Priesterath (Author), 2018, Eine Gattungsproblematisierung des poème en prose "Une mort héroïque" von Charles Baudelaire, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/418929

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