Märchen bieten sich besonders als Untersuchungsgegenstand für kulturelle Trends an, da sie das Fundament des Werteverständnisses vieler Kinder bilden; dabei enthalten sie essenzielle Botschaften über den Wandel sozialer Strukturen und Konstrukte der entsprechenden Zeit. Die Anfänge der Gattung liegen in der mündlichen Übertragung verschiedenster Geschichten, die vor allem im Rahmen der Tätigkeit als Spinnerinnen von deutschen Frauen erzählt und weitergegeben wurden. Sammlung, Selektion und Verschriftlichung der ersten Märchen fanden anschließend maßgeblich unter Jacob und Wilhelm Grimm statt, wodurch sich die Erzählungen immer weiter von ihrer ursprünglichen Form entfernten und zur gegenderten Literaturform entwickelten. In der Regel bestärken eben jene, im Verlauf der Jahrhunderte immer wieder reproduzierten und populären Märchen ein spezifisches Geschlechterverständnis. Wie einige Studien bereits gezeigt haben, sind gerade Kinder als überwiegend unkritische Leser besonders anfällig für solche normierten Darstellungsweisen und laufen Gefahr, entsprechende Werte mit negativen Auswirkungen zu verinnerlichen.
Der 1982 erschienene Zeichentrickfilm The Last Unicorn von Jules Bass und Arthur Rankin Jr., welcher auf der gleichnamigen Erzählung von Peter S. Beagle basiert, hat sich seit seinem Erscheinen vor allem durch die regelmäßige Ausstrahlung an den Weihnachtsfeiertagen als Familienfilm etabliert. Tatsächlich war die Produktion jedoch nicht als Kinderfilm konzipiert und repräsentiert vielmehr eine Abkehr vom klassischen Fantasy-Kindermärchen anhand dunkler Thematiken sowie komplexer und mit Fehlern behafteter Figuren. Vielseitig untersuchbar erscheinen dabei vor allem Letztere, denn sowohl deren rein äußerliche Charakterisierung als auch ihre Handlungsweise im Verlauf des Geschehens erweisen sich im Kontext des Gender-Diskurses für die entsprechende Erscheinungszeit als vergleichsweise facettenreich. Die vorliegende Arbeit soll sich daher mit der Fragestellung auseinandersetzen, inwieweit den Protagonisten in ihrer Darstellung genderspezifische Eigenschaften attribuiert werden und ob The Last Unicorn folglich klassische Geschlechterrollen bestärkt oder untergräbt.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- „Now that I'm a woman, everything has changed.“: Symbolik, Schönheit, und Sexualität des Einhorns
- Das Scheitern am männlichen Ideal
- „Do you think the Red Bull likes card tricks?”: Schmendrick der Zauberer
- „That's what heroes are for.”: Prinz Lír
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht, inwieweit den Protagonisten des Zeichentrickfilms THE LAST UNICORN genderspezifische Eigenschaften zugeschrieben werden und ob der Film somit klassische Geschlechterrollen bestärkt oder untergräbt. Der Fokus liegt auf der Analyse der primären weiblichen Figur des Einhorns und seiner menschlichen Form, der Lady Amalthea, sowie der beiden männlichen Protagonisten, dem Zauberer Schmendrick und Prinz Lír.
- Analyse der Darstellung des Einhorns als weibliches Wesen und seiner Symbolik
- Untersuchung des Einflusses des klassischen Schönheitsideals auf die Lady Amalthea
- Bewertung der Handlungsweisen der männlichen Figuren im Kontext des Gender-Diskurses
- Reflexion über die Rolle des Einhorns als Objekt der Begierde im Kontext von Macht und Besitz
- Diskussion der Bedeutung des Einhorns als Symbol für Bisexualität und die Verbindung von maskulinen und femininen Eigenschaften
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung befasst sich mit der Bedeutung von Märchen als Spiegelbilder der sozialen Strukturen und Konstrukte ihrer jeweiligen Zeit. Der Fokus liegt auf der Analyse von Geschlechterrollen in Märchen und der Kritik an stereotypen Darstellungsweisen, insbesondere in Bezug auf weibliche Protagonistinnen. Der Film THE LAST UNICORN wird als Beispiel für eine Abkehr vom klassischen Fantasy-Kindermärchen mit seinen dunkeleren Themen und komplexeren Figuren vorgestellt. Die Arbeit stellt die Forschungsfrage, inwieweit die Protagonisten des Films genderspezifische Eigenschaften zugeschrieben werden und ob er traditionelle Geschlechterrollen festigt oder untergräbt.
Das zweite Kapitel analysiert die Symbolik, Schönheit und Sexualität des Einhorns. Es wird gezeigt, dass das Einhorn in der modernen Erzählkultur meist als ein weibliches Wesen dargestellt wird, dessen Schönheit und Magie es von den Menschen abhebt. Im Film THE LAST UNICORN wird das Einhorn als selbstbewusstes und aktives Wesen präsentiert, das jedoch in seiner menschlichen Form, der Lady Amalthea, seine Handlungsfreiheit verliert. Die Schönheit der Lady wird von allen männlichen Figuren bewundert, was auf eine Bestätigung des klassischen patriarchalischen Schönheitsideals hindeutet. Der Text diskutiert die Bedeutung des Schönheitsideals als normatives Instrument der Objektivierung und Unterwerfung der Frau, während die Lady Amalthea selbst diese Schönheit als vergänglich und oberflächlich bezeichnet.
Schlüsselwörter
THE LAST UNICORN, Gender, Geschlechterrollen, Einhorn, Symbolik, Schönheitsideal, Lady Amalthea, Schmendrick, Prinz Lír, Bisexualität, Macht, Besitz, Fantasyliteratur, Film
- Citar trabajo
- Olivia Frey (Autor), 2017, Wandel der klassischen Geschlechterrollen im postmodernen Märchen am Beispiel der Erzählung sowie des gleichnamigen Films "The Last Unicorn", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/419454