Der Körper im Blickfeld der Macht


Seminar Paper, 2004

14 Pages, Grade: 2


Excerpt


Inhalt

Einleitung

1. Michel Foucault
1.1. Überwachen und Strafen
1.2. Drei Figuren der Bestrafung
1.3. Der Körper als Objekt der Disziplinarmacht

2. Heiner Müller
2.1. Geschichtsphilosophie
2.2. Leben Gundlings Friedrich von Preußen Lessings Schlaf Traum Schrei

Schluß

Literaturverzeichnis

Siglen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einleitung

Leben Gundlings, das ist kein historisches Theaterstück, das die Vergangenheit glorifizieren will. Im Gegenteil: das Bühnenwerk Heiner Müllers (1929-1995) bedient sich oft einer nackten Gewalt und Brutalität, es brüskiert, es rüttelt wach. Es scheint kein gutes Haar an der deutschen Vergangenheit lassen zu wollen. Doch dahinter steht der Versuch, die Gegenwart zu erklären, Parallelen aufzuweisen, Fehler zu entlarven. Es ist meist erst der Blick aufs Detail, der die oft versteckten Anspielungen, die Ironie provokant auffälliger Zusammenhänge, die psychologischen Untiefen der Protagonisten zu erkennen gibt. Wie verhält es sich mit Leben Gundlings ? Was verbindet die Szenen miteinander und mit der Gegenwart der 70er Jahre? Eine Zugangsmöglichkeit bietet sich, wenn man sich zu verdeutlichen versucht, wogegen Müller angehen will: es ist dies erstens die unkritische Annahme, der Rationalismus der Aufklärung habe nur positive Wirkungen gehabt, und zweitens die „Gewaltbereitschaft, Betonung der Staatsräson und Produktionsfetischismus – Unterwerfung der äußeren wie der inneren, menschlichen Natur – Charakteristika aller sog. zivilisierten patriarchalischen Gesellschaften“[1]. Nach Emmerich ist es Müller dabei weniger wichtig, eine falsche Sichtweise des Vergangenen zu revidieren, als hinter unser „gesellschaftliches Handeln“[2] zu schauen und herauszufinden, wo es gründet.

Ähnlich geht auch Michel Foucault (1926-1984) an die Geschichtsschreibung heran: fast erscheint sie als ein Mittel zum höheren Zwecke der Erkenntnis. Auch er zeichnet Vergangenheit nach, auf wissenschaftliche Art, und genauso mit der Gegenwart als Thema[3].

Sowohl Müller als auch Foucault thematisieren staatliche Macht seit der Aufklärung und die Rolle des Einzelnen. Es wird zu zeigen sein, wie sehr das Theoriegebäude Foucaults den Grundzügen des Müllerschen Stückes ähnelt, wenngleich sich diese Analyse auf einzelne Ausschnitte der Werke zu beschränken haben wird.

1. Michel Foucault

1.1 Überwachen und Strafen

Michel Foucault sagte einmal über seine Werke: „ Ich schreibe nur, weil ich noch nicht genau weiß, was ich von dem halten soll, was mich so sehr beschäftigt. So daß das Buch ebenso mich verändert wie das, was ich denke. […] Ich bin ein Experimentator in dem Sinne, daß ich schreibe, um mich selbst zu verändern und nicht mehr dasselbe zu denken wie zuvor.“[4]

1971 war Foucault Mitbegründer der Groupe d´information sur les prisons (GIP). Diese löste sich zwar schon im Folgejahr wieder auf, Foucaults Engagement für bessere Haftbedingungen jedoch blieb ungebrochen. Intensiv setzte er sich mit der Institution Gefängnis auseinander und formulierte seine Untersuchungsergebnisse in dem 1975 mit dem Untertitel „La naissance de la prison“ erschienenen Werk „Surveiller er punir“. Dabei legte er besonderes Augenmerk auf die sich im Laufe der Zeit wandelnde Beziehung zwischen Machthaber und zu Bestrafendem und die Zielrichtung des jeweiligen Strafsystems. Wie Benjowski erläutert, ging Foucault davon aus, „daß man in der Analyse der Geschichte der Wissenschaft nicht voraussetzen könne, daß diese einem allgemeinen Gesetz des Fortschritts der Vernunft folge“[5]. So hinterfragte er die Methoden der Strafjustiz und deren scheinbare Humanisierung seit dem 18. Jahrhundert sehr genau, fand die Erkenntnisse der Aufklärung kaum positiv umgesetzt und erklärte den Erfolg des Gefängnisses anhand einer „in dieser Institution gebündelt zum Ausdruck kommende[n] moderne[n] Macht“[6]. Das Ergebnis des Buches war ein neuer Diskurs: über die Aufklärung und die Macht.

1.2 Die drei Figuren der Bestrafung

Die Genealogie[7][8] des Gefängnisses als Genealogie einer sich manifestierenden modernen Machttechnologie läßt sich anhand dreier Bestrafungstypen gliedern, die sich historisch nachweisen lassen.[9] Es sind dies die peinliche Strafe bzw. Marter, die öffentliche Arbeit als Wiedergutmachung, wie sie die Aufklärung forderte, und schließlich das Gefängnis.

Die Marter

Die peinliche Strafe als direkte körperliche Einwirkung des Herrschers auf einen Verurteilten wird in ihrer zweifachen Wirkung beschrieben: als Wiederherstellung der durch das Vergehen verletzten Macht des Souveräns und als Volksspektakel. Rache und Abschreckung waren also die Ziele der Bestrafung.

Die humanistische Strafe

Es kam jedoch auch zu Solidaritätsbekundungen mit den Verurteilten und die Herrschenden befürchteten, das Volk gewöhne sich an die mit Gewalt einhergehende „Konfrontation zwischen dem Souverän und dem Verurteilten“[10], den sie immer mehr als einen der ihren empfanden. Außerdem läßt sich eine Veränderung der Verbrechen feststellen: „Vor der Milderung der Gesetze gab es eine Milderung der Verbrechen“[11]. Gemeint ist der Wandel von Verbrechen am Körper des Opfers zum Verbrechen an dessen Eigentum. Im Zuge der Aufklärung forderten Philosophen, Juristen, Humanisten eine „Vermenschlichung“ der Strafen, sie wiesen dem Souverän die Schranken seiner Macht: die „menschliche Natur“, die noch „im verruchtesten Mörder […] zu respektieren“ sei[12]. Für sie war das Ziel der Bestrafung vor allem die Seele des Menschen: Der Verbrecher sollte sich bessern und seine Stellung in der Gesellschaft hernach wieder einnehmen können[13]. Der körperliche Aspekt der Strafe sollte sich auf öffentliche Arbeit als Wiedergutmachung des an der Gesellschaft begangenen Unrechts und natürlich die Abschreckung beschränken.

Das Gefängnis

Teile dieser humanistischen Vorschläge fanden auch im System der Gefängnisstrafen ihren Niederschlag. Hier jedoch bildete der Körper das Ziel der Maßnahmen. Nicht die Reintegration des Rechtssubjekts in die Gesellschaft, sondern die „Formierung eines Gehorsamssubjekts“[14] stand im Mittelpunkt. Warum sich das Gefängnis gegenüber dem System durchsetzen konnte, das im Wesentlichen öffentlich war und geeigneter, Zeichen zu setzen, begründet Foucault anhand historischer Prozesse innerhalb der Gesellschaft: Zum einen nahm im Zuge der Aufklärung die persönliche Freiheit den Charakter eines individuellen Gutes an und damit der Freiheitsentzug den einer egalitären Strafe[15] ; zum anderen spiegelte das Gefängnis mit seiner sich über Leib und Seele erstreckenden Machtausübung wesentlich die Mechanismen anderer gesellschaftlicher Institutionen wider[16]. Diese Machtmechanismen faßt Foucault unter dem Begriff „Disziplinen“ zusammen[17]. Sie manifestieren sich deutlich sichtbar in der Manipulation und beständigen Unterwerfung aller Gesten und Verhaltensweisen des menschlichen Körpers und zielen darauf ab, diese permanent „gelehrig/nützlich“[18] werden zu lassen. In diesem Zusammenhang zeigt sich der Körper als zentraler Gegenstand der Foucaultschen Untersuchung.

1.3. Der Körper als Objekt der Disziplinarmacht

Die Disziplinarmacht vollzieht ihre „politische Ökonomie des Körpers“[19] durch vier aufeinander aufbauende Methoden: die Codierung des Raumes, die Codierung von Zeit und Tätigkeit, die zeitliche Organisation des Dressurverfahrens und zuletzt die Kombination der gewonnenen Kräfte.

„Die Kunst der Verteilungen“[20]

Die Grundlage für Kontrolle und Nutzbarmachung der Körper ist die Herstellung einer zellenförmig[en] Individualität[21]. Das bedeutet die räumliche Abtrennung von der Umwelt. Foucault nennt für dieses Prinzip die Beispiele Internat, Kaserne und Manufaktur, die die aus dem Kloster bekannte „ Klausur“[22] übernommen haben. Hierzu kommen die „ Parzellierung[23] und die „ Zuweisung von Funktionsstellen[24]: Zuordnung von Platz und Individuum bzw. Platz und Funktion. Die „Ränge“[25] klassifizieren die Individuen anhand ihrer Leistung und so entstehen sogenannte „Tableaus“[26], die alle Individuen einordnen und überwachbar machen.

[...]


[1] Emmerich 1982: S.154.

[2] Ebd.: S. 155.

[3] „Nun, ich habe nicht vor, die Geschichte der Vergangenheit in die Begriffe der Gegenwart zu fassen. Wohl aber ist es meine Absicht, die Geschichte der Gegenwart zu schreiben.“ ÜS: S. 43

[4] Foucault 1996: S. 24.

[5] Benjowski 1991: 172.

[6] Kögler 1994: S. 91.

[7] Vgl. Dreyfus/Rabinow 1987: S.174.

[8] Zum Begriff der Genealogie im Werk Foucaults vgl. Bublitz 2001.

[9] Vgl. Dreyfus/Rabinow 1987: S. 174.

[10] ÜS: S. 93.

[11] Ebd.: S. 97.

[12] Ebd.: S. 94.

[13] Vgl. Ebd.: S. 166.

[14] Ebd.: S. 167.

[15] Vgl. ebd.: S. 297.

[16] Vgl. ebd.: S. 297.

[17] Vgl. ebd.: S. 175.

[18] Ebd.: S. 175.

[19] Ebd.: S. 37.

[20] Vgl. ebd.: S. 181.

[21] Vgl. ebd.: S.216.

[22] Ebd.: S. 181 (Hervorhebung im Original).

[23] Ebd.: S. 183 (Hervorhebung im Original).

[24] Ebd.: S. 184 (Hervorhebung im Original).

[25] Ebd.: S. 190.

[26] Ebd.: S. 190.

Excerpt out of 14 pages

Details

Title
Der Körper im Blickfeld der Macht
College
University of Münster
Course
Thematisches Seminar: Intertextualität und Gewalt: Das Theater Heiner Müllers
Grade
2
Author
Year
2004
Pages
14
Catalog Number
V41963
ISBN (eBook)
9783638401142
File size
519 KB
Language
German
Notes
Eine Betrachtung von Heiner Müllers "Leben Gundlings Friedrich von Preußen Lessings Schlaf Traum Schrei" anhand der Foucaultschen Machtanalyse in "Überwachen und Stafen"
Keywords
Körper, Blickfeld, Macht, Thematisches, Seminar, Intertextualität, Gewalt, Theater, Heiner, Müllers
Quote paper
Diane Trentinian (Author), 2004, Der Körper im Blickfeld der Macht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41963

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