Differenziell wie kaum ein anderer epischer Text der höfischen Klassik wird seit jeher der ´Gregorius` Hartmanns von Aue beurteilt. Die Übertragung eines bereits volkssprachlich verfassten Legendenstoffs, wie er in der altfranzösischen ´Vie du pape saint Grégoire` vorlag, die soziokulturelle Zuordnung des Verfassers zum zähringischen Herzogshof und, damit verbunden, zu einer laikal-volkssprachlichen Adelskultur, die fehlende Zuordnung der Hauptfigur zu einer historisch bezeugten Persönlichkeit oder gar einem kirchlich approbierten Heiligen sowie die Zugehörigkeit des Textes zum literarischen Typus der Sünderheiligen-Legende, der durch Hartmann in die mittelhochdeutsche fiktionale Literatur eingeführt wurde, machen den in der Form des vierhebigen Reimpaarverses abgefassten Text gewissermaßen zu einem Unikum und zugleich zu einem beliebten Gegenstand der germanistischen Mediävistik.
Im ´Gregorius` sind aus dem höfischen Roman geläufige Erzählmuster mit einem überlieferten Legendenstoff verbunden; eine genaue Gattungszuordnung wird nicht zuletzt dadurch erschwert, dass die heilige Person, die üblicherweise im Mittelpunkt der legendarischen Erzählung steht, hier keinem der historischen Gregor-Päpste zugeordnet werden kann. Eine der umstrittensten Streitfragen handelt von der Schuld der aus einem Geschwisterinzest geborenen Figur, die später unwissend die eigene Mutter heiratet und dennoch nach 17jähriger härtester Buße Erlösung erlangt und sogar zum Haupt der Christenheit erhoben wird. Moraltheologische Fragestellungen werden vom Dichter selbst im Text explizit thematisiert, der seinen bearbeiteten Erzählstoff somit – zur Zeit der frühscholastischen Theologie – schon von vorneherein problematisiert. In dieser Arbeit soll untersucht werden, wie sich ein Zusammentreffen ´höfischer` und ´legendarischer` Erzählmuster in der Struktur des Werks niederschlägt. Hierzu wurde Hartmanns ´Prätext` bewusst als Ausgangspunkt der Untersuchung gewählt, der gewissermaßen die literarischen Voraussetzungen für den ´Gregorius` darstellt; ein Schwerpunkt der Arbeit liegt demnach im Bereich der Stoff- und Überlieferungsgeschichte bis hin zu Thomas Manns Roman "Der Erwählte", dennoch wird bereits auch der kodikologische Forschungsbefund zur Überlieferungslage des ´Gregorius` in den hoch- und spätmittelalterlichen Verbundhandschriften angemessen gewürdigt.
Inhaltsverzeichnis
- 0 Einleitung
- 1 Literarische und kulturgeschichtliche Voraussetzungen
- 1.1 Entstehung, Überlieferung und Verbreitung der altfranzösischen 'Vie du pape saint Grégoire
- 1.1.1 Stoffgeschichte und Motivstruktur
- 1.1.2 Die Handschriften, Überlieferungsgeschichte und Überlieferungskontext
- 1.1.3 Entstehungszeit und Entstehungsraum
- 1.2 Kultureller Austausch im Lebensumfeld Hartmanns von Aue
- 2 Hartmanns Bearbeitung der 'Gregorius`-Legende
- 2.1 Zur Überlieferung von Prolog und Erzählung in den ´Gregorius`-Handschriften
- 2.1.1 Die Textzeugen und das Handschriftenverhältnis
- 2.1.2 Der geistliche Überlieferungskontext in den Verbundhandschriften des 13. bis 15. Jahrhunderts
- 2.2 Schwerpunkte der Rezeption bei Hartmann
- 2.3 Textanalyse
- 2.3.1 Die Problematik menschlicher Schuld und Rechtfertigung als geistliche Themenstellung im Prolog
- 2.3.1.1 Dichtung als Buẞe? Zum Stellenwert des 'revocatio`-Topos
- 2.3.1.2 Die Prologstruktur
- 2.3.1.3 Die theologischen Leitbegriffe 'zwîvel' und 'vürgedanc`
- 2.3.1.4 Die Eröffnung der ´via poenitentiae`: zu den Begriffen 'buoze' und 'bîhte'
- 2.3.1.5 Zur 'bivium`-Motivik im Bild der 'sælden strâze
- 2.3.1.6 Das biblische Bild von der Rechtfertigung des Sünders und seine künstlerische Kontrafaktur
- 2.3.2 Traditionelle Legendentopik im Epilog
- 2.3.3 Zum Aufbauschema der Erzählung
- 2.3.4 Brautwerbungsmotiv und Lehensrecht
- 2.4 Die Schuldproblematik und ihre Bewertung im Licht der Theologie zur Zeit Hartmanns
- 2.4.1 Der Geschwisterinzest
- 2.4.2 Das illegitime Kind
- 2.4.3 Das Verlassen des Klosters
- 2.4.4 Die Inzestehe
- 3 Zur weiteren Rezeption des 'Gregorius`-Stoffes nach Hartmann
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Magisterarbeit untersucht die Bearbeitung der Gregorius-Legende durch Hartmann von Aue. Im Fokus stehen die Überlieferungsgeschichte, die Textstrukturen und die Erzählstrategien des Werkes.
- Die Entstehung und Verbreitung der altfranzösischen 'Vie du pape saint Grégoire'
- Der kulturelle Austausch im Lebensumfeld Hartmanns von Aue
- Die Überlieferung des Gregorius-Stoffes in den Handschriften
- Die Schwerpunkte der Rezeption bei Hartmann
- Die Analyse der Textstruktur und der Erzählstrategien
Zusammenfassung der Kapitel
- Das erste Kapitel beleuchtet die literarischen und kulturgeschichtlichen Voraussetzungen der Gregorius-Legende. Es befasst sich mit der Entstehung, Überlieferung und Verbreitung der altfranzösischen 'Vie du pape saint Grégoire', untersucht die Stoffgeschichte und Motivstruktur des Werkes, analysiert die Handschriften und den Überlieferungskontext und beleuchtet die Entstehungszeit und den Entstehungsraum. Weiterhin wird der kulturelle Austausch im Lebensumfeld Hartmanns von Aue untersucht.
- Das zweite Kapitel widmet sich Hartmanns Bearbeitung der Gregorius-Legende. Es untersucht die Überlieferung des Stoffes in den Handschriften, befasst sich mit den Schwerpunkten der Rezeption bei Hartmann und analysiert die Textstruktur sowie die Erzählstrategien.
- Das dritte Kapitel befasst sich mit der weiteren Rezeption des Gregorius-Stoffes nach Hartmann.
Schlüsselwörter
Gregorius-Legende, Hartmann von Aue, Textstruktur, Erzählstrategie, Überlieferungsgeschichte, altfranzösische 'Vie du pape saint Grégoire', Stoffgeschichte, Motivstruktur, Handschriften, Überlieferungskontext, Entstehungszeit, Entstehungsraum, kultureller Austausch, geistlicher Überlieferungskontext.
- Quote paper
- M.A. Matthias Reim (Author), 2005, Die Gregorius-Legende in der Bearbeitung Hartmanns von Aue - Überlieferungsgeschichte, Textstrukturen, Erzählstrategien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42051