Einleitung und Fragestellung
Welches Prinzip der Gerechtigkeit jemand vertritt, wird am ehesten evident durch die Strafen, die er denen zukommen lässt, die gegen diese Gerechtigkeit verstoßen, und weniger durch die Belohnungen, die diejenigen erhalten, die sich an ihre Vorschriften halten. Daher ist Dantes Inferno bezüglich Dantes Gerechtigkeitskonzept aussagekräftiger als das Paradiso und das Purgatorio . Daher - und aus Platzgründen - werde ich mich in dieser Arbeit auf das Inferno beschränken und nur selten die anderen Teile der Commedia erwähnen.
Für Dante gibt es im Grunde genommen drei Arten von Gerechtigkeit:
- persönliche Gerechtigkeit, die sich mit dem sündigen Individuum befasst;
- historisch-politische Gerechtigkeit, die sich mit der Sünde an sich und ihren Auswirkungen auf das Gemeinwesen beschäftigt;
- theologische Gerechtigkeit, die mehr oder weniger von Dantes christlichem Glauben abhängig ist.
Für jedes Gerechtigkeitskonzept sollen im Verlaufe der Arbeit Beispiele herangezogen und erläutert werden. Dabei will ich im Besonderen drei Aspekte der jeweiligen Gerechtigkeit herausarbeiten:
- Aus welchen Quellen schöpft Dante seine Konzeptionen?
- Inwieweit ist das Inferno als rechtsphilosophische Schrift deckungsgleich mit seinen anderen Werken, insbesondere De Monarchia?
- Ist Dante ein "zutiefst mittelalterlicher" Autor oder lassen sich seine Vorstellungen mit modernen Gerechtigkeitsauffassungen versöhnen?
Die Auswahl der Beispiele wird sich an diesen Fragestellungen orientieren und darüber hinaus zu ermitteln versuchen, für welche Art der Gerechtigkeit sich Dante im Zweifelsfall entscheidet und welche Vergehen für ihn die strafwürdigsten sind. Als hochintelligenter und gebildeter Mensch des Spätmittelalters bewegte sich Dante in einem Spannungsfeld mehrerer religiöser und politischer Bezugssysteme; interessant ist hier die Frage, welches Bezugssystem für welche Bestrafung relevant ist.
Bei Lebensdaten und historischen Ereignissen beziehe ich mich - falls im Zweifel - auf A Dictionary of Proper Names and Notable Matters in the Works of Dante, hrsg. von Charles Singleton, Oxford 1968.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung und Fragestellung
- 2. Gerechtigkeit als höchste Tugend
- 3. Dantes Prinzip des "contrappasso" und seine Vorläufer
- 4. Das Legitimationsproblem
- 5. Dantes drei Gesichter der Gerechtigkeit
- 5.1 Dantes theologische Gerechtigkeit
- 5.1.1 Die Ewigkeit der Höllenstrafen
- 5.1.2 Die zentrale Position des freien Willens
- 5.1.3 Die Erbsünde
- 5.2 Dantes historisch-politische Gerechtigkeit
- 5.2.1 Brutus und Cassius
- 5.3 Dantes persönliche Gerechtigkeit
- 5.3.1 Filippo Argenti - die doppelte Verdammnis
- 5.3.2 Brunetto Latini - der Grenzfall
- 5.3.3 Ugolino della Gherardesca und die Sippenhaft
- 5.3.4 Fra Alberigo - Höllenfahrt vor dem Tod
- 5.1 Dantes theologische Gerechtigkeit
- 6. Zusammenfassung - die drei Gesichter Dantes
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht Dantes Konzept der Gerechtigkeit im Inferno. Ziel ist es, die verschiedenen Facetten von Dantes Gerechtigkeitsverständnis zu beleuchten und seine Quellen sowie seine Einbettung in den Kontext seiner Zeit zu analysieren. Die Arbeit befasst sich mit der Frage, wie Dantes Vorstellung von Gerechtigkeit mit modernen Auffassungen in Einklang zu bringen ist.
- Dantes verschiedene Konzepte von Gerechtigkeit (theologisch, historisch-politisch, persönlich)
- Das Prinzip des "contrappasso" als Ausdruck göttlicher Gerechtigkeit
- Die Quellen und Einflüsse auf Dantes Gerechtigkeitsverständnis (Aristoteles, Thomas von Aquin)
- Die Bedeutung des freien Willens in Dantes Konzept
- Die Rolle der Gerechtigkeit in Dantes Gesamtwerk
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung und Fragestellung: Die Einleitung begründet die Fokussierung auf das Inferno als besonders aussagekräftigen Teil der Divina Commedia für das Verständnis von Dantes Gerechtigkeitskonzept. Sie identifiziert drei Arten von Gerechtigkeit bei Dante: die persönliche, die historisch-politische und die theologische Gerechtigkeit. Die Arbeit kündigt die Heranziehung von Beispielen und die Untersuchung von Dantes Quellen, sowie die Frage nach der Vereinbarkeit seiner Vorstellungen mit modernen Auffassungen an.
2. Gerechtigkeit als höchste Tugend: Dieses Kapitel betont die herausragende Stellung der Gerechtigkeit in Dantes Werkschaffen. Es wird auf die Vorrangstellung der Gerechtigkeit vor den anderen klassischen Tugenden hingewiesen und Dantes Bezug auf Aristoteles und Thomas von Aquin als wichtige Einflüsse hervorgehoben. Die hohe Bedeutung der Gerechtigkeit in der Divina Commedia wird durch die häufige Erwähnung der Begriffe „giustizia“ und „giusto“ unterstrichen, und deren Verknüpfung mit staatsphilosophischen Überlegungen herausgestellt.
3. Dantes Prinzip des "contrappasso" und seine Vorläufer: Hier wird Dantes Prinzip des „contrappasso“, die angemessene Bestrafung von Sünden in der Hölle, erläutert. Der Vergleich mit alttestamentarischen Vorstellungen und der Kontrast zu den einfacheren Vorstellungen der Hölle im Mittelalter werden dargestellt. Das Kapitel beleuchtet, wie Dante durch das „contrappasso“ die Hölle zu einem vielfältigen Ort gestaltet, im Gegensatz zu den eher eindimensionalen Vorstellungen des Mittelalters (ewiges Feuer).
Schlüsselwörter
Dante, Inferno, Gerechtigkeit, Contrappasso, Theologisch, Historisch-politisch, Persönlich, Thomas von Aquin, Aristoteles, Freier Wille, Höllenstrafen, Mittelalter, Rechtsphilosophie, Divina Commedia.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Dantes Gerechtigkeitskonzept im Inferno
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert Dantes Verständnis von Gerechtigkeit im Inferno, der ersten Canto der Divina Commedia. Sie untersucht die verschiedenen Facetten seines Gerechtigkeitskonzepts und dessen Kontextualisierung innerhalb seiner Zeit und im Vergleich zu modernen Auffassungen.
Welche Arten von Gerechtigkeit werden in Dantes Inferno unterschieden?
Die Arbeit unterscheidet drei Arten von Gerechtigkeit bei Dante: die theologische Gerechtigkeit (im Zusammenhang mit Gott und der Ewigkeit), die historisch-politische Gerechtigkeit (bezogen auf staatliche und gesellschaftliche Ordnung) und die persönliche Gerechtigkeit (die individuellen Handlungen und deren Folgen betreffend).
Welche Rolle spielt das Prinzip des "Contrappasso" in Dantes Hölle?
Das "Contrappasso" beschreibt das Prinzip der angemessenen Bestrafung der Sünden in der Hölle. Die Arbeit vergleicht Dantes "Contrappasso" mit alttestamentarischen Vorstellungen und zeigt auf, wie Dante durch dieses Prinzip die Hölle zu einem vielschichtigen Ort gestaltet, im Gegensatz zu den einfacheren Vorstellungen des Mittelalters.
Welche Quellen und Einflüsse haben Dantes Gerechtigkeitsverständnis geprägt?
Die Arbeit betont den Einfluss von Aristoteles und Thomas von Aquin auf Dantes Gerechtigkeitsverständnis. Es wird gezeigt, wie Dantes Konzept der Gerechtigkeit in seinen Bezug auf diese wichtigen Denker eingebettet ist.
Welche Bedeutung hat der freie Wille in Dantes Konzept der Gerechtigkeit?
Die Rolle des freien Willens ist ein zentraler Aspekt der Arbeit. Es wird untersucht, wie die Freiheit der Entscheidung die Verantwortung für die Taten und somit die Gerechtigkeit im Inferno beeinflusst.
Wie werden die drei Arten der Gerechtigkeit im Inferno im Detail behandelt?
Die theologische Gerechtigkeit umfasst Aspekte wie die Ewigkeit der Höllenstrafen, die zentrale Rolle des freien Willens und die Erbsünde. Die historisch-politische Gerechtigkeit wird am Beispiel von Brutus und Cassius erläutert. Die persönliche Gerechtigkeit wird anhand von Beispielen wie Filippo Argenti, Brunetto Latini, Ugolino della Gherardesca und Fra Alberigo veranschaulicht.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit und worum geht es in ihnen?
Die Arbeit ist in sechs Kapitel gegliedert. Kapitel 1 führt in die Fragestellung ein und benennt die drei Gerechtigkeitstypen. Kapitel 2 betont die herausragende Bedeutung der Gerechtigkeit bei Dante. Kapitel 3 erläutert das Prinzip des "Contrappasso". Die Kapitel 5 behandelt die drei Facetten der Gerechtigkeit im Detail, und Kapitel 6 fasst die Ergebnisse zusammen.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren den Inhalt dieser Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Dante, Inferno, Gerechtigkeit, Contrappasso, Theologisch, Historisch-politisch, Persönlich, Thomas von Aquin, Aristoteles, Freier Wille, Höllenstrafen, Mittelalter, Rechtsphilosophie, Divina Commedia.
Wie lässt sich Dantes Gerechtigkeit mit modernen Auffassungen vereinbaren?
Die Arbeit befasst sich mit der Frage, inwiefern Dantes Vorstellung von Gerechtigkeit mit modernen Auffassungen übereinstimmt oder im Widerspruch steht. Dies ist ein wichtiger Aspekt der Analyse.
- Quote paper
- Tobias Budke (Author), 1998, Dantes Inferno als Spiegelbild seiner Gerechtigkeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42054