Gegenüberstellung der Frauenfiguren "Klara" und "Amélie" in den Werken "Musik" (1907) von Frank Wedekind und "Die Gartenlaube" (1930) von Hermann Ungar

Ein Blick auf den gesellschaftlichen Wandel der Frau


Bachelorarbeit, 2018

41 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Frauenfiguren in der Literatur
1.1 Ausgangssituation
1.2 Methode
1.3 Zielsetzung

2. Stellung der Frau in der geschichtlichen Entwicklung
2.1 Frauen in der Industrialisierung
2.2 Frauen im Ersten Weltkrieg
2.3 Frauen in der Weimarer Republik

3. Die Autoren Frank Wedekind und Hermann Ungar
3.1 Frank Wedekind
3.2 Hermann Ungar

4. Gegenüberstellung der Frauenfiguren „Klara“ und „Amélie“
4.1 Die Figur „Klara“ in Frank Wedekinds Musik
4.1.1 Einfluss der anderen Figuren
4.2 Die Figur „Amélie“ in Hermann Ungars Die Gartenlaube
4.2.1 Einfluss der anderen Figuren
4.3 Einordnung der Figuren in die zeitlichen Geschehnisse

5. Intention der Autoren
5.1 Intention im Sittengemälde Musik
5.2 Intention in der Komödie Die Gartenlaube

6. Frauenfiguren - ein Mittel zur Gesellschaftskritik

7. Bibliographie
7.1 Primärliteratur
7.2 Sekundärliteratur
7.3 Internetquellen

1. Frauenfiguren in der Literatur

Frauen und ihre Rolle in der Gesellschaft stellen einen interessanten Bereich in der historischen Forschung und der Literaturwissenschaft dar. Gerade die weiblichen Protagonisten bekannter Werke werden immer wieder beachtet und diskutiert, weil sie meist ein Spiegel ihrer Zeit sind und den Wandel der Frauenrolle dokumentieren.

Die gesellschaftliche Entwicklung der Frau war für viele Autoren eine faszinierende Thematik und führte dazu, dass sie immer öfter Frauenfiguren in den Mittelpunkt ihrer Werke stellten. Die Spannbreite reicht von reiner Unterhaltung bis hin zur kritischen Auseinandersetzung mit der Zeit und ihren Problemen.

Worauf die Werke Musik1 und Die Gartenlaube2 von den Autoren Frank Wedekind und Hermann Ungar zielten und welches ihr eigentliches Anliegen war, soll durch die nähere Betrachtung der Frauenfiguren „Klara“ und „Amélie“ untersucht und im Laufe der vorliegenden Arbeit geklärt werden.

1.1 Ausgangssituation

Die Entwicklung der gesellschaftlichen Stellung der Frau ist in der Sekundärliteratur gut rekonstruierbar. Informationen über das Leben und Schaffen der Autoren sind in Frank Wedekinds Fall umfangreich vorhanden, in Bezug auf Hermann Ungar gibt es bis dato vergleichsweise wenige Veröffentlichungen.

Frank Wedekinds schriftstellerischen, speziell auf die Rolle der Frau bezogenen Arbeiten wurden durch seine Bekanntheit immer wieder thematisiert. Dabei ist vor allem das Werk Lulu ein vorherrschender Forschungsgegenstand der Literaturwissenschaft. Dharmayuwati Pane hat sich in seiner Schrift Die Frauenthematik in den Sp ä tdramen Frank Wedekinds ausführlich mit Wedekinds Frauenfiguren beschäftigt. Musik hingegen fand bei ihm und auch in der übrigen Sekundärliteratur kaum Beachtung, sodass es nötig ist, eigenständigen Interpretationen Raum zu geben.

Auch für Hermann Ungars Die Gartenlaube ist eine eigene Analyse nötig. Gerade im Blick auf die Frauenfiguren gibt es in der Literaturwissenschaft keine Studien. Gegenstand der Forschung sind vermehrt die umfangreichen früheren Schriften, von denen Die Gartenlaube thematisch deutlich abweicht.

In der Sekundärliteratur wird bei beiden Werken die Frage nach dem Zusammenhang zwischen geschichtlichen Aspekten und schriftstellerischem Schaffen nicht gestellt und auch eine genaue Interpretation von „Klara“ und „Amélie“ bleibt aus.

1.2 Methode

Um die Frauenfiguren vergleichen zu können, müssen die jeweiligen Zeitströmungen, in denen die Werke entstanden, beachtet werden. Ebenfalls wichtig ist, die Sichtweise der Autoren miteinzubeziehen. Eine Gliederung in vier Teile bietet sich an.

Weil die Theaterstücke in den Jahren 1907 und 1930 veröffentlicht wurden, beleuchtet der erste Schritt die geschichtliche Entwicklung um die Jahrhundertwende, den Ersten Welt- krieg und die Weimarer Republik. Im Fokus stehen die Stellung der Frau in der Gesellschaft und ihre durch geschichtliche Ereignisse bedingte Veränderung. Im Blick auf das gesell- schaftliche Milieu wird nur das Bürgertum berücksichtigt, andere Bevölkerungsschichten werden nicht miteinbezogen.

Im zweiten Teil liegt das Augenmerk auf den Lebensverhältnissen und dem persönlichen Werdegang der Autoren Frank Wedekind und Hermann Ungar.

Die Gegenüberstellung der Frauenfiguren „Klara“ und „Amélie“ bildet den Kernpunkt der Arbeit. Um klären zu können, inwieweit die beiden einer zeitgemäßen Frauenrolle ent- sprechen, ist es wichtig, ihre Persönlichkeit und die Prägung durch ihr Umfeld zu beschrei- ben. Näher charakterisiert werden nur die Figuren, die Einfluss auf die Frauen nehmen.

Der letzte Schritt versucht, eine mögliche Intention der Autoren herauszuarbeiten.

1.3 Zielsetzung

Im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehen die Figuren „Klara“ und „Amélie“. Anhand ihrer Darstellung in den Werken Musik von Frank Wedekind und Die Gartenlaube von Her- mann Ungar sollen die jungen Frauen miteinander verglichen und in Bezug auf den Zeitgeist interpretiert werden. Zu klären ist, welche Intention die Autoren im jeweiligen Werk verfol- gen und ob es ihnen gelungen ist, ihre Sichtweise durch die bewusste Darstellung der Frau- enfiguren deutlich zu machen.

2. Stellung der Frau in der geschichtlichen Entwicklung

Der Wandel der Frauenrolle von der Industrialisierung um die Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende der Weimarer Republik ist eng verbunden mit politischen, gesellschaftlichen und sozialen Veränderungen. Neuerungen in der Gesetzgebung, bessere Berufsaussichten, dadurch bedingte Veränderungen in der Familienstruktur und eine sich langsam wandelnde Sicht auf die Frau auch als sexuelles Wesen, sind Ursache für ihr sich veränderndes Rollen- bild.

2.1 Frauen in der Industrialisierung

Mit der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts begann ein neues Zeitalter für Deutschland und vor allem auch für die Frauen. Es wurden neue Arbeitsplätze geschaffen und der Lebensstandard erhöhte sich zunehmend.3 Immer mehr Menschen zog es in die Großstädte.4

Die Anwendung von Wissenschaft und Technik in der Industrie, beginnende Massenproduktion, die Zunahme der Zahl der Erwerbstätigen sowie Konzentrationsprozesse in der Schwer-, Elektro- und Chemieindustrie waren die wichtigen Faktoren dieser Entwicklung.5

Hatten Frauen bisher unentgeltlich oder nur in Heimarbeit gearbeitet, bekamen sie nun auch die Möglichkeit, in bezahlten Berufen tätig zu sein.6 Frauenberufe waren zum Beispiel Dienstmädchen, Fabrikarbeiterin, Lehrerin, Gouvernante, Wäscherin und Krankenschwes- ter.7 Allerdings mussten sie bei der Heirat ihren Beruf aufgeben oder wurden entlassen.8

Berufstätige Frauen kamen vor allem aus der Arbeiterschicht, wo das Geld knapp war, sodass sie arbeiten mussten, um die Familie mit zu ernähren. Bürgerlichen Frauen hingegen wurde eine Erwerbstätigkeit untersagt, damit ihre Selbstständigkeit und ihr Freiheitsdrang nicht gefördert würden.9 Ein Studium zu beginnen oder im politischen Leben mitzuwirken, war zu dieser Zeit für eine Frau nahezu aussichtslos. Wählen durften im Kaiserreich aus- schließlich Männer und auch der Zugang zu den Universitäten war ihnen erst ab dem Jahr 1905 in wenigen Bundesländern, wie Baden, Bayern und Württemberg, gestattet.10 Nach wie vor orientierte sich das Frauenbild an der Sichtweise des ausgehenden 19. Jahr-hunderts. Die Männer bestimmten das gesellschaftliche Leben in Politik, Beruf und Kultur.11 In den Köpfen der Gesellschaft hatten sich die Rollenbilder verfestigt:

Passivität, Emotionalität und Mütterlichkeit galten als typische weibliche Merkmale, während für Männer Aktivität, Rationalität und Berufsorientierung kennzeichnend sein sollten.12

Haushalt und Kindererziehung waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts Aufgaben der Frau und durch die Neuauflage des Gesetzbuches von 1900 festgeschrieben.13 Ohne Erlaubnis des Mannes war es ihr nicht gestattet, eine Berufstätigkeit auszuüben. Sie durfte nicht über ihr Geld verfügen und hatte kein Anrecht auf ihre Kinder. Stattdessen stand dem Mann die Ent- scheidung „in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten“ zu.14

Während eine Ehe die Frauen zwar einerseits einschränkte, bot sie ihnen andererseits Si- cherheit und Ansehen. Geheiratet zu werden war deshalb für einen Großteil von ihnen eine Art Lebensziel. Ledigen Frauen fehlte der Ernährer und ihre Berufe brachten wenig Geld ein. Noch schwieriger stellte sich die Lage für diejenigen dar, die ein uneheliches Kind er- warteten: sie wurden geächtet, konnten keinen Beruf ausüben und gerieten an die Armuts- grenze. Ein Kind illegal abzutreiben oder es nach der Geburt zu töten, beinhaltete ein sehr großes Risiko, da den Frauen, festgelegt durch den Abtreibungsparagraphen §218 des Straf- gesetzbuches, Zuchthaus oder Gefängnisaufenthalt drohte. Kurpfuscher, Hebammen oder teure Ärzte nahmen in der Regel illegale Abtreibungen vor.15 Doch auch vor den Folgen einer schlecht durchgeführten Abtreibung schreckten die Frauen nicht zurück. Krankheiten und sogar der Tod wurden in Kauf genommen.16

In Fragen der Sexualität begann sich allmählich etwas zu ändern. Doch die zentrale Aussage der Aufklärung war weiterhin die Vorstellung, dass Geschlechtsverkehr ausschließlich der Ehe vorbehalten wäre und der Fortpflanzung diene.17

[Während] dem Mann das Lustvolle mehr und mehr zugesprochen [wurde], […] erfüllte [die Sexualität der Frau] den Gattungszweck der Fortpflanzung.18

Sicher war der große Kindersegen in den Familien ein Grund, dass man begann, über Verhütung nachzudenken. Kondome und die Methode des „Coitus interruptus“ sollten die Eheleute vor erneutem Familienzuwachs schützen.19

In Drogerien und Apotheken […] [waren] Schwämmchen, […] Pessare, Spritzen und chemische Produkte - nicht selten lebensgefährlich für die Frauen - käuflich.20

Schon Mitte des 19. Jahrhunderts entstand eine Bewegung, die sich gegen die männerdo- minierte Gesellschaft auflehnte und versuchte, Einfluss zu nehmen. Frauenrechtlerinnen wehrten sich gegen das Missverhältnis der Geschlechter und kämpften dafür, die Lage der Frauen zu verbessern. Sie gründeten Vereine, gaben Zeitschriften heraus, machten so auf Probleme aufmerksam und ermutigen die Frauen, ihre Rolle zu hinterfragen und sich zu befreien.21

2.2 Frauen im Ersten Weltkrieg

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 veränderte sich das Arbeitswesen grundsätzlich. Durch Produktionseinschränkungen und Betriebsstilllegungen verloren viele Frauen wieder ihre Stellung, die Arbeitslosenquote erhöhte sich.22

Arbeitslosigkeit in den ersten Kriegsjahren, Aufhebung aller Schutzbestimmungen für Arbeiter und Arbeiterinnen, […] Hunger, Not, Krankheit und eine enorm hohe Frauenerwerbsquote in den Jahren 1917/18 kennzeichnen die Situation.23

Als 1916 die Männer zur Wehrpflicht gerufen wurden, blieben die Frauen zurück, muss- ten sich nach wie vor um Kinder und Haushalt kümmern, aber zusätzlich die Doppelbelas- tung eines Berufes auf sich nehmen, weil sie auf ein Einkommen angewiesen waren. Da die Arbeiter in den für die Rüstung wichtigen Betrieben fehlten, übernahmen Frauen nun nicht mehr nur typisch weibliche Berufe, wie es zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Fall war, sondern wurden jetzt auch in der Schwerindustrie, im Bergbau oder in der Öffentlichkeits- arbeit eingesetzt.24

Schlimm waren die Arbeitsbedingungen: mit Überstunden, geringen Löhnen, wenigen Pausen und Berufskrankheiten mussten die Arbeiterinnen kämpfen. Proteste und Streiks, sogar Plünderungen aufgrund der Lebensmittelknappheit und der steigenden Preise waren die Folge.25

Etwas beschleunigt durch den Ersten Weltkrieg vollzog sich […] eine Entwicklung, die man als schritt- weise Anpassung des weiblichen Erwerbprofils an das männliche ‚Standardmodell‘ kennzeichnen könnte.26

Dieser Wandel der Arbeitswelt kann aber nicht als Emanzipationserfolg gedeutet werden. Vielmehr war er Mittel zum Zweck, das Überleben der zurückgelassenen Frauen und deren Familien zu sichern. Anstatt neue Arbeitsplätze zu schaffen, verschoben sich die für Frauen vorhandenen in den für den Krieg wichtigen Industriesektor.27 Noch dazu wurden nach dem Krieg viele von ihren Arbeitsstellen entlassen, da sie ihre Plätze für die zurückkehrenden Männer räumen mussten.28

Es ist aber offensichtlich, dass sich die Rolle der Frau in den Kriegsjahren deutlich ver- änderte. Durch äußere Umstände gezwungen, musste sie Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen - alles, was ihr bisher verwehrt war. So konnte sie beweisen, dass sie zu weitaus mehr im Stande war, als ihr in der Vergangenheit zugetraut wurde.

2.3 Frauen in der Weimarer Republik

Der Erste Weltkrieg war 1918 endgültig verloren und die Monarchie durch die Novemberrevolution beendet. Mit ihr erhielten die Frauen nicht nur das Wahlrecht, sondern konnten nun auch Berufe frei wählen.29

Zerrüttet von den zurückliegenden Jahren, machte sich in Deutschland in den Jahren von 1919 bis 1923 eine Inflation breit. Ursache waren die Finanzierung des Krieges, die Repa- rationszahlungen und die sinkende industrielle Produktion. Vor allem die Quote der arbeits- losen Frauen stieg durch die Demobilmachung der Männer stark an.30 Erst ab 1924 gab es den langersehnten Aufschwung: die Erholung der Wirtschaft und fortschreitende Moderni- sierungen schafften wieder Arbeitsplätze.31 Frauen konnten ihre Berufe erneut aufnehmen. Als einer der typischen Berufe etablierte sich die weibliche Angestellte als Sekretärin oder Telefonistin, sozusagen der „Prototyp der modernen Frau“.32 Die vielfältigen Berufs-möglichkeiten brachten den Frauen vor allem Selbstvertrauen, das sie immer deutlicher von der bisherigen Rollenzuschreibung entfernte:

Aus Krieg und Inflation hatten viele Frauen die Erfahrung mitgebracht, sowohl materiell wie emotional auf sich selbst gestellt zu sein. Entsprechend hatten sich ihr Selbstverständnis und ihre Erwartungen gegenüber den Männern geändert, ebenso die Einstellung zum Hausfrau-und-Mutter-Dasein.33

Mit den Goldenen Zwanziger Jahren wurde die „Neue Frau“ geboren. Die Sexualmoral veränderte sich, was zu einem deutlichen Wandel der Selbstdarstellung führte. Emanzipation und Selbstbewusstsein lebte die Frau nun auch in der Öffentlichkeit. Sexualität wurde in den 1920er Jahren im Gegensatz zum Kaiserreich offen kommuniziert.34 Nacktheit führte man als Reaktion auf die zuvor herrschende Prüderie fast schon demonstrativ vor.35 Die Veränderung des Äußeren war der Versuch der Frauen, sich von den festgeschriebenen Rollenzuschreibungen zu distanzieren: schicke Kleidung in Form von Hosen und Röcken, eine sportliche, schmale Figur, betonte Beine und der markante Bubikopf36 galten als Schönheitsideal und sollten die Ebenbürtigkeit zum Mann demonstrieren.37

[Es] entwickelte sich […] die Ikone der jungen, aufstrebenden, traditionsungebundenen, respektlosen Frau, erkennbar an ihrer ‚unweiblichen‘ Erscheinung.38

Für einen Großteil der Männer war es schwierig, die Veränderung der Frau, das neue Äußere und ihre beruflichen Bestrebungen, gutzuheißen. Sie fürchteten um ihre Arbeitsplätze und sorgten sich um den Zusammenhalt der Familie.39

Die Weltwirtschaftskrise 1929 beendete die Euphorie der Zwanziger Jahre. Die Arbeits- losigkeit stieg und die Frauen wurden wieder in ihre primäre Aufgabe als Hausfrau und Mut- ter zurückgeworfen.40 Es darf aber nicht unerwähnt bleiben, dass auch vor der Krise trotz aller Emanzipationsbestrebungen in vielen Teilen der Gesellschaft die traditionelle Frauen- rolle immer noch die bevorzugte Lebensform war. Wie auch schon in der Industrialisierung kündigten berufstätige Frauen sobald sie heirateten, oder wurden gegen ihren Willen entlas- sen.41

Nicht nur in dieser Hinsicht können die Emanzipationsbemühungen nicht als bleibender Erfolg gewertet werden. Die Männerwelt fühlte sich in der Annahme bestätigt, die Erwerbs- tätigkeit der Frauen wäre schuld am Geburtenrückgang und dem Trend zu kleinen Fami- lien.42 Aber vor allem für ledige Frauen, die ein Kind abtreiben wollten, hatte sich seit der Industrialisierung nichts geändert: nach wie vor hatte der §218 seine Gültigkeit.43

Rückblickend scheint sich in der Weimarer Republik ein Fortschritt anzubahnen, der in den Goldenen Zwanziger Jahren seinen Höhepunkt fand. In Bezug auf die Frauen kann die Zeit allerdings nicht nur positiv gewertet werden: was sie sich erkämpft hatten, hielt der Realität nicht stand und war nur ein vordergründiger Erfolg.

3. Die Autoren Frank Wedekind und Hermann Ungar

Beide Schriftsteller schufen ihre Werke in Zeiten des politischen Umbruchs. Frank We- dekind lebte im ausgehenden Wilhelminischen Kaiserreich, Hermann Ungar während des ersten Weltkriegs und der Nachkriegszeit mit den Goldenen Zwanziger Jahren. Es ist nötig, beide Persönlichkeiten näher zu beleuchten, weil ihre Werke mit Sicherheit Ausdruck eige- ner Gedanken, Anliegen und Sorgen, vielleicht auch in Bezug auf ihre Zeit, sind.

3.1 Frank Wedekind

Frank Wedekind wurde am 24. Juli 1864 unter dem Namen „Benjamin Franklin Wede- kind“ in Hannover geboren. Der Vater, der ihn finanziell unterstützte, drängte Frank zu ei- nem Jura-Studium, das er aber zugunsten der Literatur aufgab und dadurch die väterliche Zuneigung verlor. Näher standen ihm das Theater, die Musik und die Kunst. Um finanziell unabhängig zu sein, arbeitete er für Zeitschriften und als Reklametexter bei dem erfolgrei- chen Unternehmen Maggi. Eine Erbschaft nach dem Tod des Vaters ermöglichte ihm end- gültig, seiner schriftstellerischen Tätigkeit nachzugehen. Frank Wedekind reiste in ganz Eu- ropa, wohl auch, um den aus seiner Sicht zu engen deutschen Literaturkreisen zu entgehen. Er erlangte in Deutschland und auch international zunehmend größere Bekanntheit, erlebte aber immer wieder Rückschläge. Weil er mit seinen Schriften keine Rücksicht auf den Zeit- geist und die damit verbundene Sexualmoral nahm, wurden seine Stücke der Unsittlichkeit bezichtigt, seine Theateraufführungen verboten und seine Werke zensiert. Frank Wedekind starb am 9. März 1918 an den Folgen einer Blinddarmentzündung.44

Wedekind hatte eine Vielzahl an Beziehungen, was nicht überrascht, da das Thema „Frauen“ in seinem Privatleben schon seit seiner frühesten Jugend eine übergeordnete Rolle spielte.45 Auf seinen Reisen wandte er sich auch immer wieder Prostituierten zu, bei denen er seine Sinnlichkeit ausleben konnte, ohne sich binden zu müssen.46

In Tilly Newes, einer Schauspielerin und seiner späteren Ehefrau, glaubte er sein Ideal gefunden zu haben. Sie verkörperte für ihn die Frau, die er sich in seinen Werken schuf, wodurch sie die perfekte Besetzung seiner weiblichen Hauptrollen wurde. Die Ehe scheiterte jedoch an seiner Eifersucht und daran, dass er mit seinem Idealbild in der Realität nicht zurechtkam. Im Alltag fiel er in die bürgerliche Konstellation der Ehe zurück, die er über die Jahre so heftig kritisiert hatte.47

Frank Wedekind schrieb Musik in der Zeit vom 19. Juni bis 9. Oktober 1906 und überar- beitete den Text im Februar und März des darauffolgenden Jahres. Da die Idee des Stückes aus Ereignissen in seinem Münchner Freundeskreis entstand, änderte er in späteren Fassun- gen unter anderem die Namen der handelnden Figuren.48 Ende Juni 1907 wurde Musik in der Berliner Zeitschrift Morgen und im Herbst desselben Jahres als Buch veröffentlich. Die Uraufführung fand am 11. Januar 1908 im Nürnberger Intimen Theater statt.49

3.2 Hermann Ungar

Hermann Ungar wurde am 20. April 1893 im mährischen Boskowitz geboren und wuchs dort im ghettoähnlichen, jüdischen Teil der Provinzstadt auf.50 Sein Vater, der selbst Geis- teswissenschaften studiert hatte, förderte das frühe Interesse des Sohnes für Sprache und Literatur. Schon mit fünfzehn Jahren schrieb Ungar Theaterstücke, Gedichte und Romane. Zunächst studierte er Orientalistik und Philosophie an der Universität Berlin, wechselte dann für ein Jura-Studium nach München und beendete es an der deutschen Universität in Prag. 1914 wurde er einberufen, kämpfte an der russischen Front und musste aufgrund einer Ver- wundung die Armee verlassen. Ungar arbeitete unter anderem als Rechtsanwalt, versuchte sich aber auch als Schauspieler und war zuletzt erfolgreicher Diplomat. Erst kurz vor seinem Tod entschied er sich, als freier Schriftsteller zu arbeiten. Trotz seines Schaffens, blieb er in Literaturkreisen ein Außenseiter und Einzelgänger. Hermann Ungar starb am 28. Oktober 1929 aufgrund einer zu spät erkannten Bilddarmentzündung.51

Das Schreiben spielte in Ungars Leben seit seiner Kindheit eine übergeordnete Rolle. Trotzdem hat er sein Leben lang an sich und seinen Werken gezweifelt und war überaus selbstkritisch.52 Grund dafür könnte die Tatsache sein, dass seine beruflichen Tätigkeiten im Gegensatz zu seinem künstlerischen Schaffen standen: er befand sich in einem Zwiespalt

[...]


1 Wedekind, Frank: Musik. In: Werke in zwei B ä nden. Band 2. München 1990. S. 325-382.

2 Ungar, Hermann: Die Gartenlaube. In: S ä mtliche Werke in drei B ä nden. Band 3: Gedichte, Dramen, Feuilletons, Briefe. Hrsg. von Dieter Sudhoff. Oldenburg 2002. S. 123-188.

3 Vgl. Schildt, Gerhard: Frauenarbeit im 19. Jahrhundert. Pfaffenweiler 1993. S. 22-24.

4 Vgl. Beuys, Barbara: Familienleben in Deutschland. Neue Bilder aus der deutschen Vergangenheit. München 2006. S. 372-373.

5 Wurms, Renate: Kein einig ‘ Volk von Schwestern: Von 1890 bis 1918. In: Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Hrsg. von Florence Hervé. Köln 1998. S. 39.

6 Vgl. Schildt: Frauenarbeit im 19. Jahrhundert. Pfaffenweiler 1993. S. 22-24.

7 Vgl. http://www.zeitklicks.de/kaiserzeit/zeitklicks/zeit/alltag/frau-und-familie/welche-berufe-gibt-es-fuer- frauen/. Zugriff am 06.09.2017 um 17:48 Uhr.

8 Vgl. Beuys, Barbara: Die neuen Frauen - Revolution im Kaiserreich 1900-1914. München 2014. S. 14.

9 Vgl. http://www.zeitklicks.de/kaiserzeit/zeitklicks/zeit/alltag/frau-und-familie/welche-berufe-gibt-es-fuer- frauen/. Zugriff am 06.09.2017 um 17:49 Uhr.

10 Vgl. Beuys: Familienleben in Deutschland. München 2006. S. 425-426.

11 Vgl. Beuys: Die neuen Frauen - Revolution im Kaiserreich 1900-1914. München 2014. S. 14.

12 Gestrich, Andreas: Geschichte der Familie im 19. und 20. Jahrhundert. München 2010. S. 6.

13 Vgl. Ebd., S. 28-29.

14 Beuys: Die neuen Frauen - Revolution im Kaiserreich 1900-1914. München 2014. S. 92.

15 Vgl. Bergmann, Anna A.: Frauen, M ä nner, Sexualit ä t und Geburtenkontrolle. Zur „ Geb ä rstreikdebatte “ der SPD 1913. In: Frauen suchen ihr Geschichte. Hrsg. von Karin Hausen. München 1987. S. 87.

16 Vgl. Beuys: Familienleben in Deutschland. München 2006. S. 401-402.

17 Vgl. Schuster, Marina: Sexualaufkl ä rung im Kaiserreich. In: Sexualmoral und Zeitgeist im 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. von Anja Bagel-Bohlam und Michael Salewsk. Opladen 1990. S. 71-81.

18 Pappon, René: Die Sexualmoral von Jugendlichen. München 2014. S. 35.

19 Beuys: Familienleben in Deutschland. München 2006. S. 446.

20 Beuys: Die neuen Frauen - Revolution im Kaiserreich 1900-1914. München 2014. S. 129.

21 Vgl. Ebd., S. 22-4.

22 Vgl. Wurms: Kein einig ‘ Volk von Schwestern. Köln 1998. S. 42.

23 Ebd.

24 Vgl. Ebd., S. 43.

25 Vgl. Ebd., S. 43-45.

26 Frevert, Ute: Frauen im Aufbruch in die Moderne. In: Die Chronik der Frauen. Hrsg. von Annette Kuhn. Dortmund 1992. S. 371.

27 Vgl. Henning, Friedrich-Wilhelm: Das industrialisierte Deutschland 1914 bis 1972. Paderborn 1974. S.

18.

28 Vgl. Bajohr, Stefan : Die H ä lfte der Fabrik. Geschichte der Frauenarbeit in Deutschland 1914 bis 1945. Marburg 1979. S. 159.

29 Vgl. Priemel, Isabel/Schuster, Annette: Frauen zwischen Erwerbst ä tigkeit und Familie: historische und aktuelle Entwicklungen. Pfaffenweiler 1990. S. 59.

30 Vgl. Ebd., S. 60.

31 Vgl. Fähnders, Walter/Karrenbrock, Helga: Autorinnen der Weimarer Republik. Bielefeld 2003. S. 7.

32 Koch, Annette: Die weibliche Angestellte in der Weimarer Republik. In: Fr ä ulein vom Amt. Hrsg. von Helmut Gold und Annette Koch. München 1993. S. 163-165.

33 Grossmann, Atina: Eine „ neue Frau “ im Deutschland der Weimarer Republik? In: Fr ä ulein vom Amt. Hrsg. von Helmut Gold und Annette Koch. München 1993. S. 144.

34 Vgl. Pappon: Die Sexualmoral von Jugendlichen. München 2014. S. 36-37.

35 Vgl. Scheuch, Manfred: Nackt. Kulturgeschichte eines Tabus im 20. Jahrhundert. Wien 2004. S. 51-52.

36 Vgl. Gestrich: Geschichte der Familie im 19. und 20. Jahrhundert. München 2010. S. 112.

37 Vgl. Pappon: Die Sexualmoral von Jugendlichen. München 2014. S. 36-37.

38 Drescher, Barbara: Die „ Neue Frau “ . In: Autorinnen der Weimarer Republik. Hrsg. von Walter Fähnders und Helga Karrenbrock. Bielefeld 2003. S. 169.

39 Vgl. Ebd.

40 Vgl. Priemel/Schuster: Frauen zwischen Erwerbst ä tigkeit und Familie. Pfaffenweiler 1990. S. 75-77.

41 Vgl. Frevert, Ute: Kunstseidener Glanz. Weibliche Angestellte. In: Neue Frauen. Die zwanziger Jahre. Hrsg. von Kristine von Soden und Maruta Schmidt. Berlin 1988. S. 27.

42 Vgl. Grossmann: Eine „ neue Frau “ im Deutschland der Weimarer Republik? München 1993. S. 153.

43 Vgl. Von Soden, Kristine: Hilft uns denn niemand? Zum Kampf gegen den § 218. In: Neue Frauen. Die zwanziger Jahre. Hrsg. von Kristine von Soden und Maruta Schmidt. Berlin 1988. S. 103.

44 Vgl. Vinçon, Hartmut: Frank Wedekind. Stuttgart 1987. S. 25-94.

45 Vgl. Höger, Alfons: Het ä rismus und b ü rgerliche Gesellschaft im Fr ü hwerk Frank Wedekinds. München 1981. S. 22.

46 Vgl. Pane, Dharmayuwati: Die Frauenthematik in den Sp ä tdramen Frank Wedekinds: Untersuchungen zur Rolle der Frau in der Gesellschaft an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Mainz 1989. S. 137-142.

47 Vgl. Pane: Die Frauenthematik in den Sp ä tdramen Frank Wedekinds. Mainz 1989. S. 147.

48 Vgl. Wedekind, Frank: Musik. In: Frank Wedekind Werke. Kritische Studienausgabe. Band 6. Hrsg. von Mathias Baum und Hartmut Vinçon. Darmstadt 2007. S. 727, 746.

49 Vgl. Kutscher, Artur: Wedekind. Leben und Werk. Hrsg. von Karl Ude. München 1964. S. 251, 254.

50 Vgl. Sudhoff, Dieter: Nachwort. In: Ungar, Hermann: Die Verst ü mmelten. Hrsg. von Dieter Sudhoff. Main 1987. S. 169.

51 Vgl. Linke, Manfred: Hermann Ungar. Eine Einf ü hrung in sein Werk und eine Auswahl. Wiesbaden 1971.

S. 11-41.

52 Vgl. Lehnen, Carina: Kr ü ppel, M ö rder und Psychopathen. Hermann Ungars Roman „ Die Verst ü mmelten “ . Paderborn 1990. S. 24.

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Gegenüberstellung der Frauenfiguren "Klara" und "Amélie" in den Werken "Musik" (1907) von Frank Wedekind und "Die Gartenlaube" (1930) von Hermann Ungar
Untertitel
Ein Blick auf den gesellschaftlichen Wandel der Frau
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Deutsche Philologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
41
Katalognummer
V420945
ISBN (eBook)
9783668686571
ISBN (Buch)
9783668686588
Dateigröße
725 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Frauenfiguren, Frauen, Hermann Ungar, Frank Wedekind, Wandel, Die Gartenlaube, Musik, Gesellschaft, gesellschaftlicher Wandel, 1900
Arbeit zitieren
Marie-Lyce Plaschka (Autor:in), 2018, Gegenüberstellung der Frauenfiguren "Klara" und "Amélie" in den Werken "Musik" (1907) von Frank Wedekind und "Die Gartenlaube" (1930) von Hermann Ungar, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/420945

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