Leseprobe
Horkheimers und Adornos Dialektik der Aufklärung und ihr Problem der Aporie
Von Nils Ramthun
Daß die „Dialektik der Aufklärung” ein merkwürdiges Buch sei, erkannte schließlich auch Jürgen Habermas in einem der seinigen, und präsentiert diese Erkenntnis seinen Lesern. Nur seltsam, dabei bleibt es! Denn Habermas scheint die Dialektik der Auklärung nicht sonderlich zu mögen - wohl aber seine eigenen Bücher!
Also sind wir ebenso schlau wie zuvor und dürfen weiterhin fragen: Worin aber besteht diese Merkwürdigkeit?
Angesichts der bitteren „Erkenntnis, warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand ein zu treten, in einer neuen Art der Barbarei versinkt”, womit Faschismus und Stalinismus benannt sind, starten die beiden Autoren 1943 im kalifor- nischen Exil ein verwegenes Projekt: Eine universelle Rekonstruktion der menschli- chen Aufklärungs- und Emanzipationsgeschichte, die offenbar nicht zu einem Mehr an Freiheit und „allgemeinem Glück” geführt hat, sondern an derem bisherigen Ende in einer aufgeklärten Welt das „triumphale Unheil” strahlt, die totale Herrschaft über den Menschen selbst.
Für Horkheimer und Adorno geht es nun ums Ganze: Der gesamte Aufklärungspro- zeß, bestimmt als „fortschreitendes Denken” wird auf ein rückläufiges Moment, ein dialektisches Umschlagen hin seziert, wodurch sich Aufklärung selbstzertöre.
Die Wurzel des Unheils, so wird der Patientin Aufklärung diagnostiziert, liege in der Vernunft, einer instrumentellen, d.h. herrschaftlichen, auf Ausnutzung und Berechen- barkeit fixierte Vernunft, in der sie, die Aufklärung, von Anfang an befangen ist. Dies führe nicht nur zur Beherrschung und Unterwerfung der Natur unter menschliche Zwecke, sondern schlägt auf den Menschen selbst zurück und entfremdete sein Verhältnis zu sich, als gewaltsame Selbstbeherrschung der eigenen Natur, und das zu seinen Mitmenschen in Form von Repression und Gewaltherrschaft. Was als Fortschritt gedacht wird, ist dann ein stetiger Rückschritt.
Zunächst werde ich also eine Skizze dieses „dialektischen Umschlags” von „Aufklä- rung in Barbarei” versuchen, indem ich das Verhältnis Aufklärung und Mythos unter- suche. Der von Horkheimer und Adorno angeführte homersche Epos, die Odyssee, dem „Grundtext der europäischen Zivilisation”, soll einerseits zur Verdeutlichung herangezogen werden, schließlich aber auf die Kosten der instrumentellen Vernunft gegenüber dem einzelnen Individuum und der Gesellschaft hinführen. Abschließend möchte ich die DdA kritisch bewerten und verständlich machen, warum einzelne Standpunkt Horkeimer und Adornos widersprüchlich sind und in einer Aporie münden (müssen) - hier liegt die ganze Merkwürdigkeit des Buches! Nämlich einmal Aufklä- rung an-sich führt ins Unheil und ist ebenso unheilbar in blinde Herrschaft verstrickt. Dem nun -fast!- unvereinbar gegenüberstehend ist der von Horkeimer/Adorno formu- lierte Anspruch einen positiven Aufklärungsbegriff begründen zu wollen, im Sinne einer aus sich selbst selbstreflektierten Aufklärung. Angesichts des historischen Entstehungshorizontes wandelt die DdA stets am Abgrund: einerseits einer pessimisti- sch-resignativen Einsicht, anderseits dann dem Versuch progressiv-optimistischer Dialektik treubleiben zu wollen.
I. Das Moment des dialektischen Umschlags von Aufklärung in Barbarei: Mythos, Aufklärung und instrumentelle Vernunft
Horkheimer und Adorno beschreiben das Verhältnis von Mythos und Aufklärung als ein dialektisches. Was bedeutet nun dialektisch? Mit Hegel und seinem Schüler Marx vereinfacht gesprochen, eine These (also z.B. hier der Mythos) trägt ihren Wider- spruch, die Antithese (hier: Aufklärung) schon in sich und schlägt in diese um. Also der Moment des dialektischen Umschlages. Für Hegel und Marx wichtig ist die „Aufhebung” sowohl der These, als auch der Antithese in einem „höheren” Ganzen, die Synthese. Aufheben meint etwas beinahe Paradoxes, in jedem Fall sehr Seltsames: In der Synthese sind These und Antithese aufgehoben im Sinne von sie sind bewahrt und doch enthoben worden (wie dann und wann Gesetze ihrer Gültigkeit verlieren) - vielleicht sogar ein aufgehoben wie in „ich fühle mich aufgehoben”, d.h. sicher und geborgen, ich bin (wieder) zu Hause. Eine solche Aufhebung in der Synthese ist zwar auch bei Horkheimer und Adorno vernehmbar, wird aber zu ihrem eigentlichen Problem. Aber dazu später.
Konkret heißt das in den Hauptthesen der Dialektik der Aufklärung: Mythos ist schon Aufklärung, also „Mythos setzt die Aufklärung ins Spiel” und „Aufklärung schlägt in Mythologie zurück.” Das impliziert der Mythos trägt das Wesensmerkmal der Aufklärung in sich und Aufklärung gleicht eigenschaftlich doch immer auch dem Mythos, und zwar in allen geschichtlichem Ausprägungen.
Horkheimer und Adorno weisen nach, daß Mythos Aufklärung ist, insofern auch der Mythos ein Erkenntnisanspruch hat und Fragen nach dem Ursprung der Welt und des Menschen, nach dem Sein, oder auch bestimmten Naturphänomenen stellt und sinnhaft im Begriff des Animismus, man beachte diese (von der Ratio getragene) Abstraktionsleistung, d.h. der Annahme der Beseeltheit der gesamten äußerlichen Natur, zu beantworten versucht. Seinerseits schlägt Aufklärung, angetreten diesen „animistischen Zauber” Mythos als Anthropomorphismus, der Projektion von Subjek- tivem auf die Natur mittels Wissen zu entzaubern, in Mythologie zurück, z.B. in der historischen Ausprägung des Positivismus, der streng antimetaphysisch zu einer „naturgesetzlichen”Tatsachenerklärung gelangt (man beachte diese schreiende Metaphysik in „naturgesetzlich” - ja folgt die Natur einem Gesetz, wie es die mensch- liche Ratio aus der Not heraus „erkennt”, da der Natur es beliebt zu schweigen? ). - freilich ganz ohne Zutat eines Subjektes, denn dieses, unter dem Verdacht metaphy- sisch zu sein stehend, ist zum Objekt degradiert. Ein solcher Positivismus, so die beiden Autoren, ist selbst ein anthropomorher animistischer Zauber geworden, weil er als etwas Gewordenes und Gemachtes den Urheber seiner selbst, das (selbstherrliche) Subjekt verdinglicht hat.
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