Meads Interaktionstheorie: Konstitution des Selbst in sozialer Interaktion


Term Paper, 2005

18 Pages, Grade: 1.0


Excerpt


1. Einleitung

Georg Herbert Mead gilt als ein Klassiker der Sozialpsychologie. Zwar befasste er sich an der neu gegründeten University of Chicago mit der Erarbeitung einer Kommunikations- und Interaktionstheorie, aber Mead hat nie selbst ein Buch veröffentlicht bzw. Soziologie gelehrt. Berühmt wurde er lediglich durch einen sozialpsychologischen Kurs, den er fast 30 Jahre immer wieder in ähnlicher Weise vertrat. Erst einige Jahre nach seinem Tod 1931 wurde sein Werk mit Hilfe von studentischen Mitschriften veröffentlicht.[1]

Die vorliegende Hausarbeit soll sich mit den Grundgedanken der Interaktions- bzw. Kommunikationstheorie, wie sie von Mead entwickelt wurde, befassen. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Klärung der wichtigsten Grundbegriffe dieser Theorie, z. B die gestenvermittelte Kommunikation, die schließlich zur Konstitution des Selbst bzw. einer Identität – nach Mead – durch „I“ und „Me“ führt.

Dabei werde mich hauptsächlich auf das Buch „Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus“ beziehen.

Aber zunächst erachte ich es als notwendig, Meads Bezug zum Sozialbehaviorismus bzw. den Unterschied dieser Richtung zum Behaviorismus zu klären.

2. Mead und der Sozialbehaviorismus

Der Behaviorismus ist eine Forschungsrichtung der Psychologie, die in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts in den USA entwickelt wurde. Sie befasst sich hauptsächlich mit dem Verhalten von Lebewesen (Reaktion) auf Umwelteinflüsse (Reiz), wobei davon ausgegangen wird, dass innere Lebensumstände, also psychische Vorgänge, nicht messbar bzw. beobachtbar sind. Das Verhalten lässt sich durch das Reiz-Reaktions-Schema erklären, wobei das Seelenleben bzw. die Psyche als Black Box dargestellt wird. So wird auch der Aussagewert von Begriffen wie Denken, Bewusstsein und Fühlen in Zweifel gezogen. Verhaltensänderungen werden durch bereits erfahrene Reize in der Vorgeschichte des Lebewesens gesteuert. Das heißt Reize werden nach dem trial-and-error-Prinzip durch eine Reaktion beantwortet, bis eine befriedigende Lösung gefunden wird. Die richtige Reaktion führt also durch einen Lernprozess – ausgelöst durch den Reiz – zur Anpassung an bestimmte Umweltverhältnisse.[2] Mead arbeitete, wie die Behavioristen, an Vergleichen zwischen menschlichen und tierischen Verhalten.

Der Sozialbehaviorismus soll aber nun erklären, in welcher Weise sich Gesellschaft und Individuum wechselseitig beeinflussen. Mead sieht die Kommunikation zwischen den Lebewesen hierbei als zentralen Faktor: Tiere interagieren mit Hilfe von Gesten bzw. Gebärden. Diese stellen die Vorraussetzung für die Sprache da, welche die Kommunikation der Menschen einzigartig macht.[3]

Mead sieht also die Erklärung des Verhaltens von Lebewesen darin, dass die Präsentation bestimmter Gesten bzw. Gebärden ein bestimmtes Verhalten erfordert.

Im Gegensatz zu den Grundsätzen des Behaviorismus versucht Mead zu beweisen, dass tierisches und menschliches Verhalten in ihren Grundzügen nicht miteinander vergleichbar sind, sondern dass dem Menschen im Evolutionsprozess eine Sonderstellung zukommt.

Mead entwickelt in seinen sozialbehavioristischen Studien Grundlagen für die Entstehung von Intelligenz, Geist, Identität und Selbst-Bewusstsein. Diese stellen eine Erweiterung der Behavioristischen Studien dar.

Zunächst werde ich die Grundlagen zur Entstehung einer Identität erläutern, die nach Meads Konzeption die gestenvermittelte Interaktion ist.

3. Kommunikation durch Gesten und Sprache

Mead sieht als Grundlage zur Kommunikation zwischen Lebewesen Gesten, die eine bestimmte Reaktion bei dem Gegenüber auslösen sollen. D. h. die Interaktionspartner beeinflussen sich wechselseitig durch ihr eigenes Handeln; sie sind also in der Lage, ihr Verhalten auf den Interaktionspartner einzustellen.

Mead unterscheidet zwei Arten der Kommunikation zwischen Lebewesen: die gebärden- und gestenvermittelte Interaktion und die symbolisch vermittelte Interaktion. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die verwendete Symbolik für alle Interaktionsteilnehmer die gleiche Bedeutung haben muss, ansonsten würde keine Kommunikation zustande kommen, da niemand den Sinn des verwendeten Symbols erkennen kann. D. h. in der Erfahrung bzw. im Denken muss ein Symbolsystem vorhanden sein, das die gleichen Reaktionen in allen Interaktionsteilnehmern hervorruft.[4]

3.1 Gebärden- und gestenvermittelte Interaktion

Gebärden und Gesten stellen eine Vorform der sprachlich vermittelten Interaktion dar. Auch subhumane Lebewesen benutzen bereits Gebärden und Gesten um ihren Artgenossen eine bestimmte Reaktionsbereitschaft anzuzeigen, z. B. zur Nahrungsbeschaffung oder der Paarungsbereitschaft.[5]

Mead bezieht sich mit dem Begriff Gebärde bzw. Geste auf Wundts Begriff der Lautgebärde. Im Gegensatz zu Mead verbindet Wundt mit dem Begriff Lautgebärde eine primär emotionale Vorstellung, deren Antwortbewegung nur eine Imitation der Gebärde darstellt. Mead erweitert diesen Begriff, indem er darunter auch ein Mittel zur Kommunikation sieht. Beide, sowohl Mead als auch Wundt, sehen aber in den Lautgesten den Ursprung der Sprache.

Wird die Gebärde bzw. die Geste als ein Reiz betrachtet, der eine Handlung einleitet, so stellt man fest, dass die menschliche Sprache ein sehr komplexes System an Gebärden darstellt. Wenzel bemerkt dazu, dass menschliches Verhalten durch die Zunahme der Gebärden eine Steigerung der Handlungshemmung bewirkt. D. h. menschliches Verhalten bezieht sich nicht auf alle geäußerten Gebärden, sondern nur auf einen bestimmten, in diesem Moment relevanten Teil.[6]

Die wirksame Kommunikation mit Gebärden setzt auch voraus, dass, im Unterschied zu Wundts These, keine Imitation als Antwort zu erwarten ist, sondern dass der Andere sein Verhalten an das des Interaktionspartners anpasst. Die Interaktion baut sich folgendermaßen auf: Die Handlung bzw. Bewegung des ersten Interaktionsteilnehmers stellt eine Geste dar, die als auslösender Reiz für die Verhaltensänderung oder –anpassung des Gegenübers dient. Ein von Mead immer wieder angeführtes Beispiel ist der Kampf zweier Hunde: „Der eine Hund greift an, der zweite weicht aus, imitiert damit nicht das Verhalten des ersten, sondern reagiert angemessen.“[7] Die Gebärde des angreifenden Hundes hat somit schon eine eigene Bedeutung, bevor dem anderen Hund bewusst wird, was geschieht. Beide Hunde stellen in dieser Situation ihr Verhalten aufeinander ein, sodass beide der Situation angemessen reagieren können. So reagiert beispielsweise ein Hund, der angegriffen wird mit Flucht und der Angreifer folgt ihm. Beide bringen in ihrer Handlung zum Ausdruck, wie sie die Geste des Anderen interpretieren, denn die Gebärden haben auf dieser Stufe noch nicht für jeden die gleiche Bedeutung. Daher besteht hier keine Notwendigkeit für ein Bewusstsein oder eine individuelle Identität. Gebärden subhumaner Lebensformen zielen primär auf Befriedigung lebensnotwendiger Triebe. In dem Beispiel mit den Hunden könnte die Flucht des Angreifers beispielsweise die Verteidigung seines Reviers bedeuten.[8]

3.2 Symbolisch vermittelte Interaktion

Symbolisch vermittelte Interaktion zeichnet sich dadurch aus, dass Gebärden nicht nur beim Gegenüber bestimmte Reaktionen hervorrufen, sondern auch beim Individuum, das die Handlung ausführt. D. h. die Interaktionspartner können sich in die Rolle des jeweils anderen hineinversetzen. Es kommt zur Rollenübernahme („role taking“) zwischen den Interaktionspartnern.[9]

Gesten, durch die ein Individuum in der Lage ist, die selben Reaktionen hervorzurufen, wie im Anderen, nennt Mead ,,signifikante Gesten" oder ,,signifikante Symbole". Dazu sind besonders sprachliche Äußerungen geeignet, da diese sowohl für Sender als auch Empfänger besonders gut wahrnehmbar sind und es daher leichter ist, die Einstellung des Anderen anzunehmen. Die signifikanten Symbole bedürfen jedoch keines besonderen Umfangs. Sie müssen lediglich für die Interaktionsteilnehmer die gleiche Bedeutung haben. So zählen bereits Einwortäußerungen im kindlichen Spracherwerb zu den signifikanten Symbolen. Allerdings bedeuten zunächst nicht alle Einwortäußerungen für alle das gleiche: sie erhalten in Abhängigkeit zur jeweiligen Situation ihre Bedeutung.

[...]


[1] Vg.: Hillmann, Karl-Heinz (1994): Wörterbuch der Soziologie. Stuttgart. S. 537.

[2] Vgl: ebenda, S. 80.

[3] Vgl: Habermas, Jürgen (1993): Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2, Frankfurt/Main, S. 13.

[4] Vgl: Mead, Georg Herbert (1973): Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus. Frankfurt/Main. S. 187ff.

[5] Vgl: Wenzel, Harald (1990): Georg Herbert Mead zur Einführung. Hamburg. S.65.

[6] Vgl: ebenda. S. 66f.

[7] Ebenda. S. 68.

[8] Vgl: Schneider, Wolfgang Ludwig (2002): Grundlagen der soziologischen Theorie. Bd 1: Weber – Parsons – Mead – Schütz. Wiesbaden. S.200.

[9] Vgl: Wenzel, Harald 1990: Georg Herbert Mead zur Einführung. S. 71.

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Details

Title
Meads Interaktionstheorie: Konstitution des Selbst in sozialer Interaktion
College
http://www.uni-jena.de/  (Institut für Soziologie)
Course
Die soziale Konstitution personaler Selbstverhältnisse
Grade
1.0
Author
Year
2005
Pages
18
Catalog Number
V42249
ISBN (eBook)
9783638403320
ISBN (Book)
9783638802222
File size
506 KB
Language
German
Keywords
Meads, Interaktionstheorie, Konstitution, Selbst, Interaktion, Konstitution, Selbstverhältnisse, Identität, Soziologie, Theorie
Quote paper
Anne Gehrke (Author), 2005, Meads Interaktionstheorie: Konstitution des Selbst in sozialer Interaktion, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42249

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