Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Der Heterogenitätsbegriff
2.2 Der Diversitätsbegriff
2.3 Vielfalt als Chance - Die Jahrgangsmischung
2.4 Die Klassengemeinschaft - Bildungsziel Toleranz und Akzeptanz
3. Konzeption einer Unterrichtseinheit
3.1 Bedingungsanalyse: Die Klasse 1/2c
3.2 „Das kleine WIR“ von Daniela Kunkel
3.3 Didaktische Analyse
3.4 Legitimation der Unterrichtseinheit vor dem Hintergrund des Bildungsplans
3.5 Übersicht zur Umsetzung in der Unterrichtspraxis
4. Reflexion
4.1 Reflexion des Kompetenzerwerbs
4.1.1 Auf Schülerseite
4.1.2 Auf Lehrerseite
4.2 Kritische Gesamtreflexion
5. Fazit und Ausblick
1. Einleitung
„Der Esel, der Hund, die Katze und der Hahn bildeten eine Klasse. Und damit es für alle gerecht sei, erhielten sie alle dieselben Aufgabenstellungen. Sie mussten das Klettern und das Tauchen erlernen. Der Esel war völlig unfähig zu klettern, er bekam nicht einmal seine vier Hufe auf einmal an den Baumstamm. Weil er aber wirklich bemüht war, nahm er viele Nachhilfestunden und verzweifelte. Die Katze hatte es da viel besser. Sie kletterte so schnell und so hoch, wie immer der Lehrer sich dies wünschte und fühlte sich gut. Doch das Tauchen wollte und wollte sie nicht begreifen, sondern sie ging schlicht und einfach unter. Da man sie nicht absaufen lassen wollte, musste der Unterricht immer wieder abgebrochen werden. Man warf ihr Störverhalten und Bockigkeit vor, und vor allem, dass sie asozial sei, weil sie immer wieder das Fortkommen der Gruppe aufhalte. Außerdem konnte man ihr mit Fug und Recht ein Vorbild geben. Schließlich habe der Hund sich auch ordentlich angestrengt und so von allem etwas gelernt. Das war auch die Wahrheit. Der Hund hatte heimlich geübt und geübt. So konnte er jetzt höher an den Baumstamm springen als vorher, man konnte es schon fast für ein Klettern halten. Und beim Schwimmen hielt er immer längere Strecken den Kopf unter Wasser, sodass man sein Bemühen auch als Tauchen deuten konnte. Allerdings hatte er sich bei diesem unentwegten Üben von Klettern und Tauchen rheumatische Beschwerden zugezogen, sodass er nicht mehr so gut laufen konnte. Aber es fiel sehr lange nicht auf, weil er den Anforderungen im Unterricht immer noch genügte. Er war eben in allem mittelmäßig; und das ist doch wirklich besser als nichts. Der Hahn dagegen, der sich doch immer wieder mal in klarer Höhenluft bewegte, hatte sich sehr schnell darauf verlegt, seine Fähigkeiten zum Mogeln zu trainieren. Und damit fuhr er eigentlich auch sehr gut. Die Katze aber verkroch sich nach und nach in sich selbst, wurde auch tatsächlich störrisch. Man konnte es ihr geradezu ansehen, wie ihre Bewegungen die Geschmeidigkeit und Koordination verloren. Und eines schönen Tages war es auch mit ihrer Sicherheit im Klettern verloren, und sie fiel vom Baum. Sie war eben ein Versager. Nachts, wenn die Tiere sich einen Schlafplatz eingerichtet hatten - im Heu, in einem Körbchen, auf einem kuscheligen Fell - und der Hahn saß doch tatsächlich am liebsten auf einer Stange - und aus den Verwirrungen des Tages in einen tiefen Schlaf gefallen waren, dann träumten sie manchmal von einer Schule und der Gerechtigkeit, die ihnen dort widerfahren könnte.“ (Hellert 1995, hier zitiert nach: Reichle 2004, 10f.).
Diese Fabel verdeutlicht, wie der Heterogenität in deutschen Klassenzimmern oftmals begegnet wird. Doch mit homogenen Aufgabenstellungen wird man der Vielfalt der SuS[1] nicht gerecht und verhilft auch nicht zu einem konstruktiven Klassenklima, in dem Kinder voneinander und miteinander lernen. Dazu bedarf es eines veränderten Verständnisses von Heterogenität, um den Umgang mit ihr zu optimieren.
In der vorliegenden Arbeit werden zunächst die theoretischen Grundlagen thematisiert, welche im weiteren Verlauf von Relevanz sein werden. Dabei werden zuerst die Begriffe Heterogenität und Diversität näher betrachtet und bereits mit schulisch relevanten Inhalten gefüllt. Im Anschluss daran werden die Chancen einer jahrgangsgemischten Schuleingangsstufe näher beleuchtet. Darauf folgt die Darlegung der Notwendigkeit einer starken Klassengemeinschaft und deren Bezug zur Leitperspektive des Bildungsplans 2016 „Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“ (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2016, 4).
Anschließend wird die Konzeption der Unterrichtseinheit beschrieben, wobei vor allem die Hintergründe der Thematik erläutert werden. Dabei wird zunächst die Lerngruppe vorgestellt, worauf eine kurze Darlegung des gewählten Bilderbuches folgt. Weiterhin werden die Relevanz und die Legitimation der Unterrichtseinheit dargelegt. Zudem werden exemplarische Eindrücke aus der Unterrichtspraxis beschrieben.
Abschließend findet eine differenzierte Reflexion statt, die sowohl den Kompetenzerwerb der SuS betrachtet, als auch den der Lehrkraft. Darauf folgt eine kritische Gesamtreflexion, die zukünftige Entwicklungsfelder und Handlungsalternativen aufzeigt. Die Arbeit wird mit einem Fazit geschlossen, welches die wichtigen Erkenntnisse dieser Arbeit resümiert, einen eigenen Standpunkt darlegt und einen Ausblick bietet, der Schlussfolgerungen sowie mögliche Alternativen aufzeigt.
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Der Heterogenitätsbegriff
Im Pädagogiklexikon wird Heterogenität zunächst wörtlich mit „Verschiedenheit“ (Tenorth 2007, 317) übersetzt. Mit dem Heterogenitätsbegriff wird demnach die Unterschiedlichkeit betont. Dabei bezieht sich der Begriff stets auf verschiedene Kategorien: Alter, Geschlecht, Herkunft, Leistungsstand, u.a.. Diese sollen für die nähere Beschreibung des Sachverhaltes eine Hilfe darstellen. Wobei die Kategorien zwar Unterschiede zeigen, jedoch keine einer anderen untergeordnet ist. Alle Kategorien stehen für sich und sind gleichwertig (vgl. Emmerich, Hormel 2013, 10).
Heterogenität bedeutet aber nicht nur Verschiedenheit. Sie kann ebenfalls als Veränderlichkeit definiert werden. Menschen entwickeln sich und kein Mensch bleibt immer derselbe. Entsprechend verändert sich auch die Heterogenität.
Zudem kann mit Heterogenität auch Unbestimmtheit gemeint sein. Verschiedenheiten sind unvorhersehbar und unbegreiflich. Es ist unmöglich einen Menschen in seiner Gesamtheit zu diagnostizieren. Entsprechend ist es auch keiner Forschung möglich, Heterogenität in der Realität komplett zu fassen. Sie ist zu dynamisch und unvorhersehbar. Annäherungen sind zwar möglich, die Verschiedenheit von Individuen jedoch vollständig abzubilden, ist unmöglich.
Daraus folgt für das pädagogische Handeln, dass im Hinblick auf den Umgang mit Heterogenität flexibel agiert werden muss. Es bedarf einer Haltung, die geprägt ist von Offenheit und Spontaneität für das Veränderbare, Unbestimmte und Verschiedene - für Heterogenität (vgl. Prengel 2005, 21f.).
In allen Schulformen und Schulstufen ist sie vorzufinden: Heterogenität. In den Klassenzimmern unterscheiden sich die SuS nicht nur in Geschlecht und Charakter. Unterschiede bestehen ebenso im Hinblick auf das Alter, das Leistungsniveau, die soziale Schicht, den kulturellen und familialen Hintergrund, die religiöse Zugehörigkeit, die verschiedenen Lernstrategien (vgl. ebd., 19). Doch anstatt die bestehende Verschiedenheit als das anzuerkennen, was sie ist, nämlich: der Normalfall, versucht das deutsche Bildungswesen mit Hilfe verschiedenster Disziplinierungsmaßnahmen eine künstlich hergestellte Homogenität zu erreichen. Heterogenität wird als Belastung empfunden, die den Unterrichtsalltag erschwert und der es mit Gleichbehandlung aller zu begegnen gilt. So leider die Meinung vieler Lehrender (vgl. Schorch 2007, 80ff.). Aus diesem Grund bestehen Regelungen, die das Ziel verfolgen dem Spannungsverhältnis zwischen Gleichheit und Differenz durch Integration und Selektion gerecht zu werden. Zu solchen institutionellen Regelungen gehören beispielsweise die Zurückstellung von SuS vom Schulbesuch und das Sitzenbleiben leistungsschwacher Kinder. Maßnahmen, die vor allem das Ziel verfolgen, die bestehende Heterogenität zu reduzieren (vgl. Prengel 2005, 19). Doch gerade diese künstlich erzeugte Gleichbehandlung unterschiedlicher Individuen produziert Ungleichheit. Indem Kinder mit ihren verschiedenen Voraussetzungen und Möglichkeiten dieselben Anforderungen zu bewältigen haben, werden die Unterschiede weiter verstärkt und damit auch die Heterogenität (vgl. Schorch 2007, 80). Diese Tatsache wird durch die eingangs beschriebene Fabel verdeutlicht.
Heterogenität darf jedoch nicht als Belastung gesehen werden, sondern als Tatsache, die durchaus auch Chancen in sich birgt. Grundvoraussetzung sollte dabei sein, dass jedem Individuum eine gemeinsame, grundlegende Bildung ermöglicht wird. Jedes Kind muss die Chance auf eine Beschulung entsprechend seiner individuellen Bedürfnisse haben (vgl. ebd., 81). Die Verschiedenheit der SuS sollte wertgeschätzt und als Bereicherung angesehen werden. Damit stellt das von Verschiedenheit geprägte Miteinander auch eine Hilfe für das Anbahnen sozialer Kompetenzen dar.
Den SuS muss das Gefühl vermittelt werden, dass sie innerhalb ihrer Klasse so sein dürfen, wie sie sind. Kein Kind sollte Angst davor haben, anders zu sein!
Heterogenität innerhalb der Institution Schule spiegelt in diesem geschlossenen Rahmen die Pluralität der Gesellschaft wider. Aus diesem Grund ist der kompetente Umgang mit Heterogenität eine Bildungsaufgabe. Nur wer bereits im geschützten Rahmen der Schule den Umgang mit Verschiedenheit erproben kann, wird einer pluralen Gesellschaft mit Achtung, Respekt und Toleranz begegnen. Den SuS das Lernen in Verschiedenheit zu ermöglichen leistet einen grundlegenden Beitrag zum interkulturellen und interreligiösen Lernen (vgl. Prengel 2005, 19f.).
Es bedarf demnach einer Pädagogik der Vielfalt, die Heterogenität als Bereicherung ansieht und das Ziel verfolgt, jedem Kind dieselben Chancen zu ermöglichen, damit sich jedes entsprechend seiner individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickeln kann (vgl. Schorch 2007, 84).
2.2 Der Diversitätsbegriff
Der Duden definiert Diversität als „Vielfalt, Vielfältigkeit“ (Dudenredaktion 2000, 298). Im Unterschied zum Heterogenitätsbegriff verzichtet der Diversitätsbegriff auf die Unterscheidung verschiedener Kategorien. Heterogenität betont die Unterschiedlichkeit eines Sachverhaltes. Diversität versucht Verschiedenheit nicht zu untergliedern, sondern in der Gesamtheit als Chance zu betrachten (vgl. Emmerich, Hormel 2013, 10ff.). Die Diversity-Pädagogik, die sich mit dem Diversitätsbegriff befasst, bewertet bestehende Differenzen positiv, schätzt diese wert und erkennt sie an. Dabei sollen sich Unterschiede nicht an Defiziten orientieren (vgl. ebd., 184). Der Diversity-Ansatz betont Unterschiede mit deren Außenwirkung und die Notwendigkeit ihrer Anerkennung, um gemeinsam in einer Gesellschaft leben zu können, die frei von Diskriminierung und Ausgrenzung ist (vgl. ebd., 202). Laut dieses Ansatzes bedingen sich Diskriminierung und Vielfalt gegenseitig. Werden Unterschiede als Belastung empfunden und damit Vielfalt negativ konnotiert, entsteht ihr gegenüber eine Haltung, die von Ablehnung geprägt ist. Daraus entsteht Ausgrenzung und Diskriminierung, wodurch zwanghaft versucht wird, sich zu verändern, anzupassen oder abzugrenzen, was wiederum Unterschiede erzeugt (vgl. ebd., 250).
Um die Begrifflichkeiten Heterogenität und Diversität voneinander abzugrenzen, lässt sich feststellen, dass der Heterogenitätsbegriff deutlich enger gefasst ist als der Diversitätsbegriff. Heterogenität bezieht sich vor allem auf die Verschiedenheit der SuS und die damit verbundenen, für den Unterricht unbedingt notwendigen, Differenzierungsmaßnahmen. Diversität bezieht sich auf den Umgang der gesellschaftlichen Institution Schule mit der Vielfalt aller am Schulleben Beteiligten. Die Vielfalt innerhalb der Schule ist dabei immer im Kontext des sozialen Umfeldes zu betrachten. Der Diversitätsbegriff stellt die Frage, wie Diskriminierung und Ausschluss innerhalb des Schulwesens vermieden werden können und wie sich Menschen, die aus unterschiedlichen sozialen und kulturellen Milieus stammen, auf Augenhöhe begegnen und vorurteilsfrei miteinander und voneinander lernen. Heterogenität befasst sich also vor allem damit, wie Unterricht für alle Beteiligten als Bereicherung empfunden werden und wie er gleiche Bildungschancen für ungleiche Individuen ermöglichen kann. Dies erfordert zunächst die Einsicht, dass innerhalb des deutschen Schulwesens entsprechende Ausschlussmechanismen tatsächlich existieren. Es geht der Diversity-Pädagogik demnach nicht nur darum, Heterogenität zu erkennen und positiv zu betrachten, sondern den Umgang mit Selbiger kritisch zu reflektieren (vgl. ebd., 256ff.). Entsprechend handelt es sich beim Heterogenitäts- und Diversitätsbegriff nicht um unterschiedliche Ansätze, sondern vielmehr um aufeinander aufbauende und sich gegenseitig bedingende Begrifflichkeiten.
2.3 Vielfalt als Chance - Die Jahrgangsmischung
Vielfalt als Normalität zu begreifen, ist die Grundvoraussetzung für einen adäquaten Umgang mit Heterogenität und Diversität. Einige Schulen versuchen die Chancen der Vielfalt zu nutzen, indem sie jahrgangsgemischte Klassen einrichten. In diesen Klassen ist Verschiedenheit erwünscht. Gegenüber den üblichen altershomogenen Klassen ergeben sich dadurch viele Vorteile, die im Folgenden dargelegt werden.
Vor allem die jahrgangsgemischte Schuleingangsstufe bietet den SuS einen erleichterten Einstieg in das Schulleben. Der Übergang vom Elementarbereich zum Primarbereich stellt für die Kinder eine wissenschaftlich bewiesene Belastung dar. Werden die Kindergartenkinder in eine jahrgangsgemischte Klasse eingeschult, wird ihnen der Übergang enorm erleichtert. Die neuen Zweitklässler dienen als Vorbilder und helfen den Erstklässlern sich im Schulleben einzufinden (vgl. De Boer, Burk, Heinzel 2007, 10). Dies lässt sich auch durch Forschungen von Albert Bandura belegen. Bandura erkannte während seiner Forschungen zum Beobachtungslernen, dass Kinder durch das Beobachten von Modellen Verhaltensweisen erlernen. Er konnte nachweisen, dass es Faktoren gibt, die das Lernen am Modell noch verstärken. Übertragen auf die Jahrgangsmischung lässt sich festhalten, dass die Erstklässler besonders dann Verhaltensweisen der Zweitklässler übernehmen, wenn wahrgenommen wird, dass ein bestimmtes Verhalten positiv verstärkt wird. Vor allem jene Zweitklässler dienen als Modell, die als beliebt und respektiert wahrgenommen werden. Dadurch, dass zwischen Erst- und Zweitklässlern eine Ähnlichkeit im Hinblick auf deren Entwicklungsstand besteht, können sich die Erstklässler mit den Zweitklässlern identifizieren. Das Modelllernen nach Bandura ist in jahrgangsgemischten Klassen demnach besonders effektiv und stellt eine Chance dar (vgl. Gerrig, Zimbardo 2008, 225f.).
Zudem bietet die bestehende Ordnung der Zweitklässler den Erstklässlern Sicherheit. Regeln und Rituale werden ganz selbstverständlich an die Erstklässler herangetragen und von diesen übernommen (vgl. Purmann 2007, 254).
In jahrgangsgemischten Klassen wird die Heterogenität der SuS nicht als negativ empfunden, sondern wertschätzend anerkannt (vgl. Streber 2015, 150).
Des Weiteren bietet die Jahrgangsmischung die Möglichkeit einer individuellen Verweildauer innerhalb der Klasse, die von den individuellen Lernfortschritten des einzelnen Kindes abhängig ist. Dadurch ist bereits eine Art der Selektion, die in jahrgangsgleichen Klassen vorherrschend ist - der Ausschlussmechanismus Sitzenbleiben - erkannt und außer Kraft gesetzt worden. Damit wurde den Forderungen der Diversity-Pädagogik Rechnung getragen (vgl. De Boer, Burk, Heinzel 2007, 10).
In jahrgangsgemischten Klassen treffen Kinder mit verschiedenen sozialen und fachlichen Kompetenzen aufeinander. Die Jahrgangsmischung bietet den Kindern einen Rahmen miteinander zu arbeiten und voneinander zu lernen. Die Zweitklässler lernen dabei zusätzlich durch das Lehren innerhalb des Helfersystems (vgl. Streber 2015, 150f.). Das Helfersystem zielt darauf ab, dass SuS Lehr- und Lernhelfer sind, was einerseits Möglichkeiten des sozialen Lernens und Umgangs bietet und fördert und andererseits eine Entlastung für die Lehrkraft darstellt (vgl. Schorch 2007, 86).
Durch die Heterogenität innerhalb jahrgangsgemischter Klassen ist die Individualisierung der Lernprozesse grundlegend. Zudem lernen die SuS ihr Lernen selbst zu beobachten und zu reflektieren. Dies leistet einen positiven Beitrag bezüglich der Selbstständigkeit der SuS und fördert ihre Eigenständigkeit. Diese Selbstständigkeit spielt in der heutigen Gesellschaft eine wichtige Rolle, wodurch die Jahrgangsmischung bereits einen Beitrag im Hinblick auf Selbstorganisation und Selbstbestimmung liefert (vgl. De Boer, Burk, Heinzel 2007, 10f.).
Innerhalb einer jahrgangsgemischten Klasse entdecken SuS verschiedene Interessen, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Für ein harmonisches Miteinander bedarf es darum vor allem Toleranz und Achtung gegenüber den Klassenkameraden. Die Jahrgangsmischung bietet für das Einüben dieser sozialen Fähigkeiten einen angemessenen Rahmen, in dem die SuS die eigene Identität ausbilden, anderen Identitäten begegnen und lernen diese wertzuschätzen (vgl. Schorch 2007, 86).
Durch die bewusst erzeugte Heterogenität in jahrgangsgemischten Klassen besteht keine einheitliche Leistungsnorm, die von allen SuS erbracht werden muss. Dies hat zur Folge, dass zwischen den SuS weniger Konkurrenzverhalten besteht und das Anbieten und Annehmen von Hilfe eher vorzufinden ist als in altershomogenen Lerngruppen (vgl. De Boer, Burk, Heinzel 2007, 13). Zudem wird immer wieder ein Perspektivenwechsel vom Hilfesuchenden zum Hilfegebenden vollzogen (vgl. Purmann 2007, 254).
Insgesamt lässt sich festhalten, dass das Wahrnehmen von Vielfalt als Chance eine Verbesserung des Unterrichts darstellen kann. Die bewusst erzeugte Heterogenität in jahrgangsgemischten Klassen bringt viele Vorteile mit sich und kann für Lernprozesse und die Klassengemeinschaft eine Bereicherung darstellen.
2.4 Die Klassengemeinschaft - Bildungsziel Toleranz und Akzeptanz
Ein gutes Klassenklima gehört zu den Grundvoraussetzungen für ein funktionierendes, freundliches und konstruktives Miteinander. Die Schule ist ein Ort, an dem vielfältige Kinder aus verschiedenen sozialen Milieus, mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen aufeinandertreffen. Wenn dieser Ort positiv erlebt wird, die SuS sich wohlfühlen und sich in die Klassengemeinschaft eingebunden fühlen, beeinflusst dies die Grundeinstellung zur Schule insgesamt positiv. Ist das Gegenteil der Fall, kann es schnell zu Frustration und Schulangst kommen (vgl. Reisch, Schwarz 2002, 7). Gerade in jahrgangsgemischten Klassen bedarf es diesbezüglich einer besonderen Sensibilität. Insbesondere zu Beginn des Schuljahres, wenn die neuen Erstklässler in die bestehende Gemeinschaft der Zweitklässler hinzutreten, ist eine gelingende Integration von großer Bedeutung. Gegenseitige Toleranz und Akzeptanz stellen gleichermaßen Voraussetzung und Ziel einer harmonischen Klassengemeinschaft dar. Dieses Ziel findet sich auch in den Leitperspektiven des Bildungsplans 2016: „Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“ (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2016, 4). Anzustreben ist dabei, dass die SuS die Vielfalt innerhalb der Klasse als bereichernd erfahren. Dabei ist es Aufgabe der Lehrkraft den SuS Gesprächsanlässe und vielfältige Möglichkeiten der handelnden Erprobung zu bieten. Insbesondere bei Rollenspielen können Konfliktsituationen diskutiert und Lösungsstrategien gefunden und erprobt werden (vgl. ebd.). Ist innerhalb einer Lerngruppe ein positives Klima vorherrschend, bei dem sich die Kinder sicher fühlen können, haben sie auch mehr Freude bei der Aneignung des Unterrichtsstoffes, wodurch sich die Lernerfolge erhöhen. Das soziale Klima innerhalb der Klasse und die Schülerleistungen bedingen sich demnach gegenseitig. Die Klasse stellt ein soziales System dar, innerhalb dessen sich die SuS gegenseitig beeinflussen. Treten vermehrt Unterrichtsstörungen auf, kann dies ein Hinweis auf Probleme innerhalb der Klassengemeinschaft sein (vgl. Reisch, Schwarz 2002, 8f.). Damit der Unterrichtsalltag von einer funktionierenden Klassengemeinschaft geprägt ist, bedarf es seitens der Kinder vor allem sozialer Kompetenzen. Diese werden benötigt, wenn Menschen aufeinandertreffen und zusammen leben und lernen (vgl. Wilms 2015, 9). Doch so unterschiedlich die Individuen selbst sind, so sind es auch ihre Vorkenntnisse im Bereich des sozialen Miteinanders. Eine konstruktive Klassengemeinschaft ergibt sich darum nicht von allein. Es bedarf verschiedener Maßnahmen zur Förderung der Klassengemeinschaft, die im Unterrichtsalltag Raum finden müssen und deren Wichtigkeit nicht außer Acht gelassen werden darf.
3. Konzeption einer Unterrichtseinheit
3.1 Bedingungsanalyse: Die Klasse 1/2c
In der jahrgangsgemischten Klasse 1/2c der Parkschule Gaildorf befinden sich 24 Kinder. Davon sind 10 Kinder Erstklässler und 14 Zweitklässler. Die Lerngruppe setzt sich aus 7 Jungen und 17 Mädchen zusammen. Die SuS sind zwischen 6 und 8 Jahren alt. In der Klasse 1/2c treffen 7 verschiedene Muttersprachen aufeinander. Zudem wurden drei Kinder nicht in Deutschland geboren. Insgesamt ist die Lerngruppe bezüglich Alter, Geschlecht, Herkunft und Entwicklungsstand äußerst heterogen.
Zu Beginn des Schuljahres fand die erste Schulwoche ausschließlich für die Zweitklässler statt, sodass diese zunächst die Möglichkeit hatten, sich an die neue Kombination und das Fehlen der früheren Zweitklässler zu gewöhnen. Sie konnten die neuen Lehrkräfte kennenlernen und sich in einem anderen Klassenzimmer einleben. Zudem fanden Vorbereitungen für die Ankunft der neuen Erstklässler statt.
Innerhalb der Klasse wird mit einem Patensystem gearbeitet, das den Erstklässlern die Integration in die bestehende Lerngruppe erleichtern soll. Dabei wurden bestehende Bekanntschaften berücksichtigt, um den Übergang für die Erstklässler bestmöglich zu gestalten.
Auch die Sitzordnung wurde dem Patensystem angepasst. Die Zweitklässler erhielten Einweisungen und Belehrungen bezüglich wichtiger Grundlagen des Schullebens, um ihre Patentätigkeit so selbstständig wie möglich ausüben zu können. Auf Grund dessen, dass die Zweitklässler bereits selbst in der Situation der Erstklässler waren, war zu beobachten, dass ihnen ein Perspektivenwechsel sehr gut gelang. Die Zweitklässler waren sich ihrer Rolle und der damit verbundenen Verantwortung bewusst. Die Erstklässler lernten am Tag ihrer Einschulung das Klassenzimmer sowie die Klassenlehrerin und meine Person ohne die Zweitklässler kennen. Damit hatten sie die Möglichkeit ihren zukünftigen Lernbereich selbstständig zu erkunden.
Insgesamt wurde bei den Vorbereitungen für die Integration der Erstklässler versucht den Weg für eine konstruktive Klassengemeinschaft so gut wie möglich zu bereiten und die sozialen Kompetenzen der SuS von Anfang an zu schulen.[2]
3.2 „Das kleine WIR“ von Daniela Kunkel
Die Unterrichtseinheit zur Förderung der Klassengemeinschaft sollte so gestaltet werden, dass sie alle SuS gleichermaßen anspricht. Die Kinder in der Klasse 1/2c zeigten besonderes Interesse an Bilderbüchern. Immer wenn diese im Unterricht zum Einsatz kamen, waren die SuS motiviert und gefesselt von der Kombination aus Wort und Bild. Zudem verfolgen Bilderbücher das Ziel, den Zuhörer zur Interaktion anzuregen. Auch eine harmonische Klassengemeinschaft entwickelt sich maßgeblich durch Kommunikation und Interaktion. Weiterhin soll die Arbeit mit Bilderbüchern auch einen Beitrag zum kulturellen Lernen leisten. Bei der Förderung der Klassengemeinschaft innerhalb der diesbezüglich heterogenen Lerngruppe 1/2c ist dies der Fall. Bilderbücher bieten sich als Medium an, um schwierige Themen auch schon Kindern begreifbar zu machen. Das Bilderbuch kann dabei als Vermittler fungieren und pädagogisch relevante Themen, wie den gemeinschaftsfördernden Umgang mit Heterogenität und Diversität in einer jahrgangsgemischten Klasse 1/2, für Kinder verständlich machen (vgl. Jantzen, Klenz 2013, 8f.).
Das Bilderbuch „Das kleine WIR“ (Kunkel 2016) von Daniela Kunkel wurde gewählt, da es zum einen der Heterogenität bezüglich des Geschlechts innerhalb der Klasse 1/2c gerecht wird, da das Buch sowohl eine männliche, als auch eine weibliche Identifikationsfigur bietet. Ben und Emma sind die beiden Hauptcharaktere des Bilderbuches und sind durch ein sehr starkes WIR miteinander verbunden. Zum anderen greift das Bilderbuch durch seine Illustrationen die Heterogenität bezüglich der Herkunft der SuS auf, indem es Emma als ein blondes Mädchen mit heller Haut und Ben als einen Jungen mit dunklem, krausem Haar und farbiger Haut darstellt. Über die Heterogenität bezüglich des Alters lässt sich im Hinblick auf das Bilderbuch nichts Genaues feststellen. Abgesehen von den äußeren Gegebenheiten des Bilderbuches war insbesondere das inhaltliche Thema für dessen Einsatz ausschlaggebend. Ben und Emma sind beste Freunde und verdeutlichen zu Beginn des Buches wie schön das Leben mit einem WIR ist. Doch dann kommt es zum Streit zwischen den Beiden und das WIR verschwindet. Als die Kinder merken, wie einsam und traurig das Leben ohne das WIR ist, wollen sie es zurückgewinnen und begeben sich zunächst alleine auf die Suche nach ihm. Als sie verstehen, dass sie das WIR nur gemeinsam wiederfinden können, versöhnen sie sich. Ben und Emma finden das WIR tatsächlich wieder. Es ist noch ganz klein und bedarf der Liebe und Fürsorge der Kinder, um wieder groß und stark zu werden. Am Ende des Buches ist das WIR so stark wie nie und Ben und Emma wieder allerbeste Freunde (vgl. Kunkel 2016).
[...]
[1] Schülerinnen und Schüler wird in der vorliegenden Arbeit durch SuS abgekürzt.
[2] Auf Grund dessen, dass die Klasse eine neue Klassenlehrerin erhalten hat, war es mir möglich, maßgeblich bei Gestaltungen mitzuwirken und in Zusammenarbeit mit der Klassenlehrerin eigene Ideen im Hinblick auf eine konstruktive Klassengemeinschaft einzubringen.