Als im August 1914 der Erste Weltkrieg in Europa ausbrach, jubelten weite Teile der europäischen Bevölkerung mit Euphorie und Siegeswillen über den Ausbruch des Kriegs. Diese kampfeslustige Stimmung wird in Deutschland auch als „Augusterlebnis“ und in Frankreich als „l’esprit d’août 1914“ beschrieben. Besonders Deutschland und Frankreich waren spätestens seit dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 traditionell verfeindet, und von einem erneuten Krieg zwischen den beiden Nationen war seit der deutschen Reichsgründung und der Krönung von Wilhelm I. zum deutschen Kaiser in Versailles immerzu die Rede. Dass die Völker von der Aussicht in einen Krieg zu ziehen nicht völlig abgeschreckt waren, erscheint uns aus der heutigen Sicht unbegreiflich, doch hatte das Militär zu dieser Zeit eine außerordentliche Präsenz. Thomas Nipperdey erklärt es damit, dass in „allen imperialen Gesellschaften der Zeit die Geltung des Militärs und seiner Repräsentanten (…) stark zunahm und dass Militärfreudigkeit überall als nationale Tugend galt.“ In den letzten Jahren vor dem Krieg hatten sich die Beziehungen zwischen den europäischen Staaten erheblich verschlechtert und der Nationalismus und Militarismus verstärkt. Dies drückte sich in einer andauernden militärischen Konkurrenz um Einfluss und ein nationales Aufrüsten aus. Die enge Verknüpfung der Armee und der Bevölkerung zeigte sich auf verschiedenen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens. Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland zogen militärische Gedenktage die Massen in ihren Bann, Uniformen imponierten und faszinierten. Soldatische Ideale wie Disziplin, Vaterlandsliebe und Gehorsam entwickelten sich zu Volksidealen. Jakob Vogel hebt hervor, dass die gesellschaftliche Militärbegeisterung „nicht als Ausdruck einer Indoktrination“ beurteilt werden sollte, sondern die Faktoren untersucht werden müssen, die „’von unten’ eine eigenständige militärische Folklore hervorbrachten und eine weitgehend unpolitische Militärbegeisterung verbreiteten.“ Diese Haltung weiter Kreise des Volks gegenüber dem Militär bezeichnet Vogel als „Folkloremilitarismus“. Nipperdey sieht ihre Ursache auf der deutschen Seite ebenfalls nicht in einer „Manipulation von oben, sondern Enthusiasmus des Sieges und der Reichsgründung“. Der populäre Militarismus hat sich schon während des 19. Jahrhunderts entwickelt. Der deutsch-französische Krieg markierte jedoch auf beiden Seiten einen Einschnitt.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 1.1 Fragestellung
- 1.2 Forschungsstand und Quellenlage
- 1.3 Aufbau
- 2. Nationale Frage in Deutschland und Frankreich
- 2.1 Vom Patriotismus zum Nationalismus
- 2.2 Deutsch-französisches Verhältnisse nach 1871
- 3. Rolle des Militärs in der deutschen und französischen Gesellschaft
- 4. Militärische Erziehung in der Volksschule
- 4.1 Erziehungsfunktion des Lehrers
- 4.2 Deutsch-französische Feindschaft im Unterricht
- 4.3 Militarismus und Unterrichtsfächer
- 4.3.1 Vaterländischer Geschichtsunterricht
- 4.3.2 Instruction civique und instruction morale
- 5. Schlussbetrachtung
- 6. Wissenschaftlicher Apparat
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die militärische Erziehung der männlichen Jugend in den Schulen des Deutschen Kaiserreichs und der Dritten Französischen Republik im Vergleich (1871-1914). Die Arbeit analysiert, inwieweit die Schule als Sozialisierungsinstanz zur Verbreitung der gesellschaftlichen Militarisierung im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert beitrug. Das Augenmerk liegt dabei auf Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der Militarisierung des Schulwesens beider Länder und auf der Frage, ob die beiden Staatsformen als "Erziehungsstaaten" im Sinne von Ulrich Herrmann betrachtet werden können.
- Die Rolle des Militärs in der Gesellschaft und seine Einfluss auf die politische und soziale Entwicklung
- Der Einfluss des Nationalismus und Militarismus auf die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich
- Die Verbreitung von militärischen Idealen und Werten in der Schule und die Förderung von Vaterlandsliebe und Gehorsam
- Die Bedeutung von Geschichtsunterricht und "Instruction civique" für die Ausbildung nationaler Identitäten und die Förderung von "Kriegserziehung"
- Der Vergleich der deutschen und französischen Schulsysteme und deren Rolle in der Militarisierung der Jugend
Zusammenfassung der Kapitel
- 1. Einleitung: Diese Einleitung stellt die Fragestellung, den Forschungsstand und den Aufbau der Arbeit vor. Sie skizziert den historischen Hintergrund und die Bedeutung des Themas im Kontext des Ersten Weltkriegs.
- 2. Nationale Frage in Deutschland und Frankreich: Dieses Kapitel beleuchtet die Entwicklung von Patriotismus zu Nationalismus in Deutschland und Frankreich und die Auswirkungen des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 auf die Beziehungen zwischen beiden Ländern.
- 3. Rolle des Militärs in der deutschen und französischen Gesellschaft: Dieses Kapitel behandelt die Bedeutung des Militärs für die deutsche und französische Gesellschaft, die Verbreitung von militärischen Idealen und die Faszination für Uniform und Soldatentum.
- 4. Militärische Erziehung in der Volksschule: Dieses Kapitel analysiert die Erziehungsfunktion des Lehrers in Bezug auf die militärische Erziehung, die Rolle der Schule in der Verbreitung von deutsch-französischer Feindschaft und die Einbindung militärischer Inhalte in den Unterricht.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Themen militärische Erziehung, Schule, Nationalismus, Militarismus, "Folkloremilitarismus", "Erziehungsstaat", Deutsch-Französische Beziehungen, Geschichtsunterricht, Instruction civique, Instruction morale, und "Kriegserziehung". Sie untersucht die Entwicklung der deutschen und französischen Gesellschaften im 19. Jahrhundert und analysiert die Rolle der Schule als Sozialisierungsinstanz in der Verbreitung von militärischen Idealen und Werten.
- Arbeit zitieren
- Senta Steinmeier (Autor:in), 2015, Militärische Erziehung der männlichen Jugend in den Schulen des Deutschen Kaiserreichs und der Dritten Französischen Republik im Vergleich (1871-1914), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/424177