Welche Rolle spielen Gewerkschaften für eine sozial-ökologische Transformation?

Die Wertschöpfungskette des Smartphones


Hausarbeit, 2018

36 Seiten, Note: 1,0

N. Hirth (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Imperiale Lebensweise und die Externalisierungsgesellschaft
2.1 Die imperiale Lebensweise
2.2 Die Externalisierungsgesellschaft
2.3 Die historische Entstehung der imperialen Lebensweise
2.4 Globaler Norden und globaler Süden

3. Das Konzept der sozial-ökologischen Transformation

4. Die Degrowth-Perspektive und Degrowth in Bewegung(en)
4.1 Die Entstehungsgeschichte von Degrowth
4.2 Degrowth und seine Ausrichtungen
4.3 Degrowth in Bewegung(en)

5. Die globale Wertschöpfungskette des Smartphones
5.1 Die Digitalisierung und das Smartphone
5.2 Die Wertschöpfungskette
5.2.1 Rohstoffabbau
5.2.2 Produktion
5.3 Zukunftstechnologie: Der steigende Bedarf an seltenen Metallen

6. Gewerkschaften und die sozial-ökologische Transformation
6.1 Gewerkschaften: früher und heute
6.2 Alternativkonzept Gewerkschaften
6.3 Zukunftsaussichten und Rolle der Gewerkschaften
6.4 Kritische Anmerkungen zur Degrowth-Perspektive

7. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Mineral Ores and Building Extractions

Abbildung 2: Absatz von Smartphones weltweit in den Jahren 2009 bis 2021

Abbildung 3: Wertschöpfungskette als Zyklus

Abbildung 4: Bedarf an seltenen Metallen für Zukunftstechnologie

1. Einleitung

[1] Der Bedarf an Smartphones steigt jährlich an. Der Grund ist zum einen in der fortschreitenden Digitalisierung und zum anderen in der verschwenderischen imperialen Lebensweise des globalen Nordens zu sehen, der die negativen Folgen der Produktion von Smartphones, die die Digitalisierung versinnbildlichen, in den globalen Süden externalisiert. In dieser Arbeit werden anhand der Wertschöpfungskette des Smartphones die ausbeuterischen Verhältnisse des globalen Nordens über den globalen Süden dargestellt. Denn über die Wertschöpfungskette „findet die Externalisierung der negativen Implikationen der imperialen Lebensweise statt, wodurch sie Ursache von zahlreichen Konflikten und von Umweltzerstörung ist.“ (Brand und Wissen 2017: 182) Einen Diskurs um alternative Konzepte zur vorherrschenden imperialen Lebensweise hin zu einer sozial-ökologischen Transformation besteht seit langer Zeit. Neben alternativen Konzepten wie der solidarischen Lebensweise oder dem Post-Exktrativismus gibt es die Debatte um Degrowth, in der auch verstärkt die Rolle der Gewerkschaften für einen sozial-ökologischen Wandel betrachtet wird. Absicht dieser Arbeit ist es, integriert in die Thematik der Digitalisierung, die Missstände entlang der Wertschöpfungskette aufzudecken, einen postwachstumskritischen Blick einzunehmen und die Rolle von Gewerkschaften für einen Wandel der vorherrschenden Verhältnisse aufzuzeigen. Dafür werden zu Beginn der Arbeit die Begriffe der imperialen Lebensweise (2.1) und der Externalisierungsgesellschaft (2.2) erläutert und historisch eingebettet (2.3). Im nächsten Schritt wird die sozial-ökologische Transformation als alternativer Ansatz für einen grundsätzlichen Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft vorgestellt (3). Exemplarisch für die Vielzahl an Leitbildern für eine alternative Wirtschafts- und Gesellschaftsweise wird in dieser Arbeit die Degrowth-Perspektive hinzugezogen (4.1 und 4.2) und das Konzept „Degrowth in Bewegung(en)“ näher erklärt (4.3). Anschließend werden die Missstände der imperialen Lebensweise beispielhaft an der globalen Wertschöpfungskette des Smartphones (5) aufgezeigt. Um der Frage der Rolle der Gewerkschaften für eine sozial-ökologische Transformation nachzugehen, wird zunächst auf die Bedeutung von Gewerkschaften und deren Geschichte eingegangen (6.1). Anschließend wird das Alternativkonzept Gewerkschaft (6.2) untersucht und welche Rolle sie in der Zukunft spielen werden (6.3). Eine kritische Reflexion der Degrowth-Perspektive (6.4) beendet diesen Teil, bevor die Arbeit mit einem Fazit (7) abgeschlossen wird.

2. Imperiale Lebensweise und die Externalisierungsgesellschaft

[2] „Die internationale Arbeitsleistung besteht darin, daß einige Länder sich im Gewinnen und andere im Verlieren spezialisieren.“

(Galeano 1991: 10)

Dieser prägnante Einleitungssatz aus dem Buch „Die offenen Adern Lateinamerikas“ von Eduardo Galeano (1991) steht explizit für die globale Ausbeutung von Staaten, Menschen und Gesellschaften durch andere. Die Thematik der Ausbeutung soll im Folgenden mit den hegemonialen Theorien zur imperialen Lebensweise nach Brand und Wissen (2017) und zur Externalisierungsgesellschaft nach Stephan Lessenich (2015; 2016) aufgegriffen und dargelegt werden.

2.1 Die imperiale Lebensweise

Die imperiale Lebensweise ist ein gesamtgesellschaftliches Konzept, das sich tief durch die gesellschaftlichen Teilsysteme (Politik, Ökonomie, Recht, Kultur) zieht, dort verankert hat und durch das die vorherrschende Konsum-, Distributions- und Produktionsnormen und die kapitalistische auf Profit und Wachstum basierende Wirtschaftsweise erklärt werden sollen. Durch die imperiale Lebensweise werden vorherrschende Ungleichheiten, Machstrukturen und Gewalttaten der kapitalistischen und industriell starken Gesellschaften legitimiert und vor allem stetig reproduziert. (vgl. Brand und Wissen 2017: 44f.) Es ist das Ideal des guten, modernen und komfortablen Lebens, das sich als (unbewusster) Normalzustand im Denken der Menschen verankert hat (Lebensweise) und sich global, mitsamt seiner ökologischen (unverhältnismäßiger Zugriff auf natürliche Ressourcen) und sozialen Probleme (einseitige Verteilung dieser Ressourcen) ausbreitet, dabei andere Lebensweisen verdrängt (imperial) und immer mehr als Norm für eben dieses gute Leben gilt. (vgl. Decker et al. 2017b) Der Begriff der imperialen Lebensweise zeigt auf, wie das alltägliche Leben und ihre gesellschaftlichen Strukturen, das in unserer Arbeit stellvertretend durch das Smartphone symbolisiert werden soll, in den kapitalistischen Zentren des globalen Nordens über die gesellschaftlichen und ökologischen Verhältnisse andernorts, dem globalen Süden, ermöglicht wird (Armut, Rohstoffknappheit, Umweltzerstörung etc.). Die imperiale Lebensweise beruht somit auf Exklusivität des globalen Nordens. (vgl. Sommer und Welzer 2017: 44) Brand und Wissen (2017: 44) geben bewusst keine exakte Festlegung von andernorts vor, da die „Herkunft der Rohstoffe, […] die Arbeitsbedingungen […] und der Energieaufwand […] beim Kauf, beim Konsum und bei der Nutzung vieler notwendiger Alltagsgegenstände nicht sichtbar“ sind. Der Begriff der imperialen Lebensweise will weiterkommend nicht nur darauf aufmerksam machen, wie sich Macht- und Herrschaftsverhältnisse zwischen dem globalen Norden und Süden normalisieren und als gegeben hingenommen werden, sondern auch wie sich Klassen-, Geschlechter-, Konsum- und Produktionsverhältnisse in der normierten Denkweise der Menschen verfestigt haben. (vgl. ebd.: 46)

2.2 Die Externalisierungsgesellschaft

Eines der vielen Probleme der imperialen Lebensweise ist die Externalisierung von Folgen dieser Lebensweise auf andere Gesellschaften oder sogar in die Zukunft.[3] An diesem Problem setzt Stephan Lessenich (2015; 2016) mit seiner Theorie der Externalisierungsgesellschaft an. Lessenich beschreibt die gleichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme der Ausbeutung in seiner Theorie der Externalisierungsgesellschaft, in welcher die Menschen des globalen Nordens „über die Verhältnisse der anderen, auf deren Kosten, zu deren Lasten“ (2015: 24) leben. Der in der Ökonomie weit verbreitete Begriff der Externalisierung wird von Lessenich in einem psychologischen Sinn erfasst. In der Externalisierungsgesellschaft werden belastende Momente und Ursachen, wie ökologische, ökonomische und soziale Krisen nach außen geräumt, verdrängt und „einem konkreten oder abstrakten Gegenüber zugeschrieben, um das innere Gleichgewicht aufrechtzuerhalten.“ (2016: 93) Für Lessenich (ebd.) liegt der Externalisierungsgesellschaft der Schleier des „Nicht-Wissen-Wollens“ vor Augen. Durch diesen werden Krisen nicht wahrgenommen, auf ein externes Phänomen, Staat oder Individuum projiziert und ein kollektives Vergessen der historischen Entstehung der gesamtgesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse ist eingetreten, das auch für die gegenwärtige Situation gültig ist. So ist hier, insbesondere für die Bearbeitung dieser Arbeit am Beispiel des Smartphones, die Ausbeutung der Ressourcen unseres Planeten für das stetige Wachstum zur Erhaltung des vorherrschenden Kapitalismus zu nennen, welche im Sinne von „wachstumsökonomische[n] Entwicklungsmodelle[n]“ (2015: 29) immer weiter betrieben wird. Abscheuliche Arbeitsverhältnisse, Gewalt und Ressourcenverbrauch für die Deckung der Bedürfnisse des globalen Nordens, werden externalisiert und finden außerhalb der Blase der Externalisierungsgesellschaft in anderen Weltregionen, nämlich in dem nach Brand und Wissen benannten globalen Norden, statt.

2.3 Die historische Entstehung der imperialen Lebensweise

Die Entstehung der imperialen Lebensweise, als auch der Externalisierungsgesellschaft[4] geht gemeinsam einher mit der Entstehung des globalen Kapitalismus.[5] (vgl. Lessenich 2016: 97; Brand und Wissen 2017: 71) Brand und Wissen (vgl. ebd.; Decker et al. 2017a: 11) unterscheiden bei der Entstehung der imperialen Lebensweise vier Phasen. Die ersten beiden Phasen können als Beziehungen der Gewaltherrschaft benannt werden. Die erste Phase Begann am Ende des 15. Jahrhunderts mit der ersten Welle der Kolonialisierung und dem damit einhergehenden Frühkapitalismus. Mit der zweiten Welle der Kolonialisierung und dem anschließenden Imperialismus bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam die Phase des liberalen Kapitalismus. Die dritte und vierte Phase sind durch Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnisse auf dem Weltmarkt geprägt. Als dritte Phase Mitte des 20. Jahrhunderts ist die fordistische Epoche des Kapitalismus zu benennen, auf die die vierte und anhaltende Phase der neoliberal-kapitalistischen Globalisierung folgt.

In der ersten Phase wurden unter Androhung oder Einsatz von physischer und psychischer Gewalt die kolonialisierten Länder und „immer neue Räume durch die kapitalistische Landnahme durchdrungen und in Wert gesetzt“ (Brand und Wissen 2017: 74), bevor Ressourcen wie Silber, Gold, Kaffee, Zucker und Tabak in die kapitalistischen Zentren in Europa gebracht wurden, wobei die kulturelle Identität und Wirtschaftsweise der vorgefundenen Bevölkerung aberkannt und abgeschafft wurde. Mit der ersten Welle des Kolonialismus wurden die ökonomischen und politischen Voraussetzungen für eine imperiale Lebensweise geschaffen, da sich mit den kolonialen Herrschaftsstrukturen auch gleichzeitig eine legitimierte Transformation der europäischen Gesellschaft verband. So war beispielsweise ein Rohstoff wie Zucker nicht mehr nur den oberen Klassen vorbehalten, sondern ist ein Allgemeingut geworden. (vgl. ebd. 74ff.)

In der zweiten Welle der Kolonialisierung, dem sogenannten Imperialismus im 19. Jahrhundert, wurde die Welt von den Kolonialmächten des globalen Nordens brutal unterjocht, untereinander aufgeteilt und ausgebeutet. In dieser Zeit entstand im Zuge der Industrialisierung in Europa auch der liberale Industriekapitalismus, dessen Entwicklung nicht allein auf dem technischen und unternehmerischen Fortschritt fußte, sondern vor allem auch auf der Arbeit von Sklaven und Zwangsarbeitern in den Kolonien der Welt, die billige Rohstoffe wie Baumwolle, Kautschuk, Nickel und Eisenerze für die Industriestaaten abbauten. „Zu Zeiten des europäischen Imperialismus […] war die hiesige Arbeiterschaft faktisch Nutznießerin der Ausbeutungspraxis des Kapitals in den außereuropäischen Kolonien.“ (Lessenich 2016: 99) Der Aufschwung des globalen Nordens gründete sich somit auf den ausgebeuteten Rohstoffen und der Arbeitskraft von unfreien Völkern.[6] Der Gedanke des fortschrittlichen Erfolgs des globalen Nordens manifestierte sich vor allem in der Denkweise der Eliten der industriellen Gesellschaften. (vgl. ebd.: 80ff.; Decker et al. 2017a: 13)

Durch den Fordismus, der dritten Phase der imperialen Lebensweise, war ebendiese nicht mehr nur den elitären Klassen vorbehalten, sondern wurde einem immer größeren Teil der Bevölkerung des globalen Nordens durch steigende Produktivität, Löhne und Zeit zugängig. Das Auto, das lange Zeit als Symbol der Oberschicht galt, wurde zum Massenprodukt und der generelle Massenkonsum etablierte sich in den Gesellschaften. Im Fordismus entstand erstmals der grundsätzliche Gedanke der Bevölkerung, dass alle Produkte für jeden zu haben sind. Der Imperialismus war zu dieser Zeit zwar besiegt, aber der industrielle Rückstand war für die ehemaligen Kolonien schwer aufzuholen, wodurch „neo-koloniale Handelsregime“ (Decker et al. 2017a: 15) und Nachteile auf dem Weltmarkt entstanden. So setzte sich die imperiale Lebensweise weiter fort, nicht mehr durch physische Gewaltherrschaft, sondern durch die raffiniertere Form von Abhängigkeit auf dem Weltmarkt. (vgl. ebd.: 14f.; Brand und Wissen: 85ff.) Diese Abhängigkeit verstärkte sich in der vierten und noch andauernden Phase der neoliberalen Globalisierung. „Statt allen Teilen der Weltbevölkerung zugute zu kommen, wie es die vorherrschende Wirtschaftstheorie voraussagte, führte die Globalisierung in vielen Teilen der Welt zu einer Stärkung der Elitenmacht und zur Verarmung und Prekarisierung […] großer Bevölkerungsschichten. (Decker et al. 2017a: 16)

2.4 Globaler Norden und globaler Süden

Brand und Wissen nehmen, wie oben erwähnt, eine genaue Definition des sogenannten globalen Nordens und globalen Südens nicht vor,[7] es ist aber festzuhalten, dass diese Einteilung nicht auf rein geographischer Basis vorgenommen wird, sondern sich auf Länder mit differenzierten politischen als auch wirtschaftlichen Ausgangspositionen bezieht, die sich aufgrund der aufgezeigten historischen Gegebenheiten entwickelt haben. So ist der globale Norden mit den wirtschaftsstarken Industrieländern des Planeten gleichzusetzen. (vgl. I.L.A. Kollektiv 2017: 95) Dennoch kann anhand der Abbildung 1 bildlich veranschaulicht werden, welcher grundsätzliche Gedanke in der Einteilung in Nord und Süd zugrunde liegt. Auf der Karte sind die Orte lokalisiert, an denen in Minen Rohstoffe und seltene Erze abgebaut werden. Sie gibt eine versinnbildlichte Idee davon, wie sich die Welt in einen globalen Norden und Süden aufteilt und wird für den weiteren Verlauf dieser Arbeit im Zuge der Lieferkette des Smartphones von Interesse sein (Punkt 5).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Mineral Ores and Building Extractions (Environmental Justice Organisations, Liabilities and Trade 2017)

Nach Lessenich ist das externalisierende Handeln einerseits von den Individuen verinnerlicht und akzeptiert worden und andererseits durch wirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Strukturen vorgegeben - das Individuum wird in gesellschaftlichen Prozessen dazu gezwungen so zu handeln, wie es handelt.[8] Die Externalisierung kann somit als eine soziale Praxis der Individuen verstanden werden, die sie wie selbstverständlich praktizieren und durch welches ihr Handeln institutionell legitimiert wird. In die gleiche Richtung gehen Brand und Wissen (2017: 44), wenn sie konstatieren, dass es genau „diese Unsichtbarkeit der sozialen und ökologischen Voraussetzungen [ist], die die Selbstverständlichkeit des Kaufs und der Nutzung erst ermöglichen.“ Des Weiteren ist der institutionalisierte Wachstumszwang des Kapitalismus für die Verfestigung der imperialen Denk- und Lebensweise entscheidend. Es liegt somit in beiden Theorien ein struktureller als auch gesellschaftlicher Zwang auf den Individuen und ihrem alltäglichen Handeln.

Wie aufgezeigt wurde gehen die Theorie der imperialen Lebensweise, als auch für die mit ihr eng verbundene Theorie Externalisierungsgesellschaft, mit dem Mythos des unbegrenzten Wachstums auf dem Planeten einher und sind als Gründe für die stetige Reproduktion von Ausbeutung und Verlagerung von Krisen im vorherrschenden und krisenanpassenden Kapitalismus zu sehen. Es muss also ein Wandel, nicht nur des wirtschaftsgesellschaftlichen Denkens, sondern auch von vorhandenen institutionellen und strukturellen Dynamiken, vonstattengehen, eine Alternative zum neoliberalen Kapitalismus. Durch einen Wandel in Form eines Green Economy, also einem grünen Wirtschaftswachstum, würde weder die Externalisierungsgesellschaft noch die imperiale Lebensweise verschwinden oder sich auflösen, sondern eher gerechtfertigt werden. Die neoklassische Ökonomie und die neoliberale Wirtschaftstheorie werden bestehen bleiben. Für einen grundsätzlichen Wandel und eine sozial-ökologische Transformation soll in dieser Forschungsarbeit daher ein anderer Ansatz dienen. (vgl. Sommer und Welzer 2017: 83f.)

3. Das Konzept der sozial-ökologischen Transformation

[9] Die gegenwärtige multiple Krise[10] des Finanzmarktkapitalismus ist eine der Hauptgründe für das Entstehen von alternativen Transformationsdebatten. Die Krisen hängen miteinander zusammen, da sie ihren Ursprung in der Politik des Finanzmarktkapitalismus finden. Man spricht hierbei von einem inneren Zusammenhang der multiplen Krise (Jorck 2013a). Brand und Wissen betrachten die imperiale Lebensweise als verursachenden Grund des inneren Zusammenhangs der multiplen Krise (Brand Ulrich und Wissen 2011, S.80ff). So ist in der Politik zwar ein Krisenbewusstsein vorhanden, aber indem, durch den fortwährenden Wachstumsimperativ begleitend vom Fortschrittsoptimismus auf technologischen Fortschritt, Marktmechanismus und neue Formen der Naturausbeutung gesetzt wird, wird die imperiale Lebensweise weiterhin legitimiert (vgl. Jorck 2013b). Diese Art der Krisenbearbeitung berücksichtigt nicht die sozialen und ökologischen Folgen, die aus der sozial-ökologischen Krise resultieren. Daraus erschließt sich, dass die krisenverschärfende Lebensweise die Krisenbearbeitung verhindert. Ausgelöst durch diese Problematiken der imperialen Lebensweise bildete sich im Diskurs der Begriff der sozial-ökologischen Transformation heraus. Die sozial-ökologische Transformation stellt eine Alternative zur aktuellen Wirtschafts- und Gesellschaftsform dar und beinhaltet eine grundlegende Veränderung der politischen und ökonomischen Systeme (I.L.A. Kollektiv 2017). Im Mittelpunkt steht die Umwandlung des neoliberalen Kapitalismus, der zu ökologischer Zerstörung und gesellschaftlicher Spaltung führt. Gesellschaftliche Bereiche des Lebens sind dem Wachstum und Profitprinzips unterworfen, welches zur Destabilisierung der Gesellschaft führt (Brand 2014). Das solidarische Konzept zielt darauf ab die Gesellschaft zu stabilisieren, die Ökonomie wieder einzubetten, was die staatliche Regulierung der Finanzmärkte unabhängig von Spekulationen und das unabhängige agieren der Politik in der globalen Wirtschaft impliziert. Einer Politik, die die existierenden gesellschaftlichen Probleme allein mithilfe marktwirtschaftlicher und technologischer Instrumente bearbeiten möchte, wird im Diskurs um eine sozial-ökologische Transformation widersprochen (vgl. Jorck 2014a). Im Fokus der sozial-ökologischen Transformation steht daher die Verknüpfung von Verteilungs- und Umweltgerechtigkeit. Mithilfe des neuen Wohlstandsmodells sollen neue Formen der nachhaltigen Mobilität, Energieversorgung und Kommunikation, ressourcenschonende und emissionsarme Landwirtschaft und Ernährung, des Wohnens und Kleidens geschaffen werden, um somit der sozial-ökologischen Krise entgegenzuwirken (Jorck 2013c). Es besteht eine unzählige Anzahl von Transformationskonzepten und es ist eine breite Debatte darüber entstanden, welche Transformationskonzepte sich durchsetzen sollen (Jorck 2014b). Diese Arbeit konzentriert sich fortfolgend auf die Degrowth-Perspektive, welche eines der Leitbilder der sozial-ökologischen Transformation darstellt. Dabei wird speziell auf die entstehende soziale Bewegung „Degrowth in Bewegung(en)“ eingegangen, welche viele alternative Wege für die sozial-ökologische Transformation bietet.

4. Die Degrowth-Perspektive und Degrowth in Bewegung(en)

[11] „Postwachstum als Horizont bedeutet nicht, sich an Krisen zu laben und über den krisenvermittelten Niedergang industrieller Produktion politisch zufrieden zu sein. Postwachstum ist ein gesteuerter Prozess hin zu einer anderen, sozial-ökologisch nachhaltigen, gerechten und solidarischen Produktions- und Lebensweise.“

(Brand 2015, S.18)

Unter Degrowth oder Postwachstum[12] versteht man sonach eine neue Wirtschaftsweise und Gesellschaftsform, die das Wohlergehen aller zum Ziel hat und die ökologischen Lebensgrundlagen bewahrt (Konzeptwerk Neue Ökonomie 2018a). Degrowth ist eines der vielen eigenständigen Leitbilder, die über die sozial-ökologische Transformation existieren. Für diese Leitbild-Variante soll in dem nachfolgenden Kapitel ein Einblick in Geschichte und Bedeutung gewährt werden. Insbesondere liegt der Fokus auf der Publikation und entstehenden Bewegung „Degrowth in Bewegung(en)“, welches für Fragestellung dieser Arbeit einen guten Überblick bietet.

4.1 Die Entstehungsgeschichte von Degrowth

Degrowth ist eine wachsende europäische Bewegung von Aktivisten und Wissenschaftlern, die das führende Entwicklungsmodell des kapitalistischen Wachstums kritisiert (vgl. Konzeptwerk, (Konzeptwerk Neue Ökonomie 2018b). Der Begriff Degrowth lässt sich annähernd mit Wachstumsrücknahme, Postwachstum, Entwachsen sowie Wachstumskritik übersetzen. Die Kritik am Wirtschaftswachstum hat eine lange Geschichte. Einen neuen Umfang nahm sie jedoch erst durch die Wahrnehmung der Endlichkeit der Ressourcen unseres Planeten an (vgl. Schmelzer 2014). Der vom Club of Rome[13] im Jahr 1972 veröffentlichte Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ führte zu einer breiten gesellschaftlichen Diskussion über Degrowth, die bis in die heutige Zeit führt. Den bedeutendsten frischen Antrieb gab es im 21 Jahrhundert von den Décroissance – oder Degrowth-Bewegungen, die sich von Frankreich über Italien in den angelsächsischen Raum ausgedehnt haben (vgl. ebd.). Im Jahr 2007 wurde die Organisation Research & Degrowth gegründet, die zahlreiche internationale akademische Degrowth Konferenzen ausgerichtet hat und bis heute begleitet (ebd., 2018b). Diese Konferenzen dienen als Treffpunkt, Vernetzungs- und Diskussionsort für Vertreter der Länder. Aufgrund dessen bekamen sie die darauffolgenden Jahre immer größeren Zuspruch in der Öffentlichkeit und einen Zuwachs an Teilnehmenden, die sich aus Wissenschaftlern sowie Aktivisten zusammensetzten.

[...]


[1] Kapitel geschrieben von N. Hirth und Malte Wittmann

[2] Kapitel geschrieben von Malte Wittmann

[3] hier soll Beispielhaft der Klimawandel genannt werden.

[4] „Der Kapitalismus als Wirtschaftssystem war von seinen Anfängen an auf Expansion, auf die Erweiterung seines Geltungsbereichs, auf die Überschreitung von Grenzen angelegt.“ (Lessenich 2016: 97)

[5] „Aber die Geschichte der Unterentwicklung Lateinamerikas ist ein Kapitel der Entwicklung des Weltkapitalismus.“ (Galeano 1991: 11)

[6] „Aus historischer Perspektive lässt sich ergänzen, dass eine solche Lebensweise die strukturell auf die Nutzung von Naturgütern von außen angewiesen ist, nicht das Ergebnis der Industrialisierung Europas war, sondern bereits ihre Voraussetzung“. (Sommer und Welzer 2017: 44)

[7] Dies wäre auch stark zu kritisieren, da eine Dichotomisierung aller Länder des globalen Südens oder des globalen Nordens diese als eine Einheit darstellen würde und intrakontinentale Konflikte um Ressourcen u.ä. außer Acht lassen würde. (vgl. Küng 1981: 20)

[8] „Man tut es weil man es kann - und weil man nicht anders kann. […] Man externalisiert bisweilen auch, weil man muss. Man steckt in Herrschaftsstrukturen, die eine Kostenverlagerung auf andere herausfordern, ja geradezu erzwingen. Und man ist in Konkurrenzmechanismen verstrickt, die Externalisierungseffekte zum Normalfall bzw. Externalisierung zur Handlungsnorm werden lassen.“ (Lessenich 2016: 100)

[9] Kapitel geschrieben von Nicole Hirth

[10] Die multiple Krise, auch Vielfachkrise genannt, wird als Folge des Finanzmarktkapitalismus betrachtet, also einem System, welches auf die Selbstheilungskräfte des Marktes setzt. Marktversagen wird in diesem System als Folge zu starker politischer Regulierung verstanden (Tauss, 2016).

[11] Kapitel geschrieben von Nicole Hirth

[12] Degrowth und Postwachstum werden in dieser Arbeit als Synonym verwendet

[13] Gemeinnützige Organisation, mit Experten aus 30 verschiedenen Ländern, die sich für die nachhaltige Zukunft der Menschen einsetzt. (Wikipedia, 2018)

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Welche Rolle spielen Gewerkschaften für eine sozial-ökologische Transformation?
Untertitel
Die Wertschöpfungskette des Smartphones
Hochschule
Universität Hamburg
Veranstaltung
Plurale Ökonomik "Technischer Fortschritt"
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
36
Katalognummer
V424247
ISBN (eBook)
9783668696655
ISBN (Buch)
9783668696662
Dateigröße
822 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gewerkschaften, sozial-ökologische Transformation, imperiale Lebensweise, Auf Kosten Anderer, Postwachstum, Degrowth, Degrowth in Bewegung(en), Digitalisierung, Smartphone, Digitalisierung und das Smartphone, Wertschöpfungskette, Alternativkonzept Gewerkschaften, Rolle der Gewerkschaften in der Zukunft, Gewerkschaften früher und heute, Globaler Norden und Globaler Süden
Arbeit zitieren
N. Hirth (Autor:in), 2018, Welche Rolle spielen Gewerkschaften für eine sozial-ökologische Transformation?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/424247

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Welche Rolle spielen Gewerkschaften für eine sozial-ökologische Transformation?



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden