Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Thema Pubertät im Film „Ginger Snaps“ und die Bedeutung für Jugendliche
2.1. Verständnislosigkeit seitens der Erwachsenenwelt
2.2. Menstruation
2.3. Zersplitterte Identität und Sinnsuche
2.4. Werwolfmythos als Metapher
3. Fazit
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Horrorgenre im Film ist besonders bei Jugendlichen populär. Das belegen zahlreiche Studien, wie etwa die qualitative Studie zu Mediennutzungsgewohnheiten und normativen Medienpräferenzen von Marci-Boehncke und Rath (2007), welche 1500 Jugendliche aus Deutschland und Österreich zwischen 12 und 16 Jahren befragten. Auffallend ist, dass Horrorfilme bei beiden Geschlechtern mit jeweils ca. 40 Prozent am beliebtesten sind, wobei andere Genres, wie zum Beispiel Liebes- und Actionfilme bei Mädchen und Jungen verschiedenermaßen präferiert werden. (Marci-Boehncke & Rath 2012: 174ff.) Der Horror übt also eine Faszination auf Jugendliche aus. „Der Horrorfilm ist ein jugendliches Genre“, schreibt Benjamin Moldenhauer (Moldenhauer u.a. 2008: 60 zitiert nach Stiglegger 2011: 4) und auch Marcus Stiglegger stellt fest: „Jugendliche brauchen Horror“. (Stiglegger 2011: 11)
Der Grund ist, dass diese Filme die Möglichkeit bieten, sich zum Einen mit der Realität der Gesellschaft und zum Anderen mit der körperlichen Entfremdung auseinanderzusetzen. Der moderne Horrorfilm seit den späten 1970er Jahren behandelt Ängste, die besonders Jugendliche betreffen, wie beispielsweise Sexualängste. Inzest, Kastration, verbotene Promiskuität und Veränderungen des Körpers stellen Themen dar, mit denen sich Pubertierende leicht identifzieren können. Die meist jugendlichen Protagonisten in modernen Horrorfilmen treffen außerdem häufig auf eine verständnislose Erwachsenenwelt und die Pubertät, beziehungsweise Sexualität entwickelt sich zu einer Tortur. So stellen Familienmitglieder oder Wunschpartner eine Bedrohung dar, Bedürfnisse werden nicht erfüllt oder Sexualität wird mit Schuld behaftet. (Stiglegger 2011: 3ff.) Für die 16-Jährige Ginger aus dem Film Ginger Snaps (2000) wird ebendiese Pubertät zum Alptraum. Ihr Körper verändert sich nicht nur durch Hormone, sondern auch durch einen Werwolfbiss. Außerdem sind sie und ihre jüngere Schwester Mobbing-Opfer an der Schule durch Attacken der Rivalin sowie sexistische Äußerungen ihrer männlichen Schulkameraden. Gingers Bedürfnis nach Beliebtheit bleibt aufgrund des Außenseiter-Daseins unerfüllt und die Mutter kann mit ihren pubertierenden Töchtern nicht umgehen. Hier wird deutlich, dass das Thema Pubertät im Film Ginger Snaps eine große Rolle spielt. Nun stellt sich die Frage, wie dieses Motiv des modernen Horrorfilms im Film abgehandelt wird und welche Bedeutung es für Jugendliche hat. Dafür werden einzelne Motive des Themas Pubertät anhand von Filmszenen erläutert und deren Bedeutung für jugendliche Rezipienten aufgezeigt. Der Schluss zeigt die Wichtigkeit von Horrorfilmen für Jugendliche auf.
2. Das Thema Pubertät im Film „Ginger Snaps“ und die Bedeutung für Jugendliche
Wie in der Einleitung schon ausgeführt, faszinieren sich besonders Jugendliche für den modernen Horrorfilm. Reß (1990) sieht eine große Bedeutung im Bild des zerrissenen und zerstückelten Körpers, der die Körperfantasien Jugendlicher widerspiegelt und den Horror deshalb so attraktiv für Heranwachsende macht. Zum Einen ist das der durch die Pubertät sich verändernde, asymetrische Körper; zum Anderen ist das die zerplitterte Identität, die sich erst noch ausbilden muss (Reß 1990). Der Film Ginger Snaps zeigt zahlreiche solcher, durch den Werwolf zerfetzte Körper, aber auch den von Hauptprotagonistin Ginger, der aufgrund des Bisses entstellt wird. Sie muss, wie oben genannt, mit der körperlichen Veränderung zum Werwolf, der hormonellen Veränderung und mit ihrem eigenen Ich zurechtkommen. Der Film bietet damit eine große Identifikationsfläche für Jugendliche. Eine Filmanalyse auf das Thema Pubertät brachte vier Motive hervor, deren Bedeutung für Jugendliche im Folgenden erläutert wird.
2.1. Verständnislosigkeit seitens der Erwachsenenwelt
Das erste Motiv, welches auch Reß (1990) und Mayer (2000) als für Jugendliche relevant in modernen Horrorfilmen identifizieren, ist die Verständnislosigkeit seitens der Erwachsenenwelt. Im Film Ginger Snaps manifestiert sich dies an der Mutter der Geschwister Fitzgerald, die hinsichtlich des Themas Menstruation und Pubertät übertrieben fürsorglich und einfühlsam sein möchte, aber bei den Töchtern genau das Gegenteil erreicht. Sie schämen sich für die Offenheit der Mutter, reagieren genervt oder ignorant. Als sich Ginger während des Abendessens den Rücken hält, frägt ihre Mutter sofort, wo es ihr genau weh tut und kommt dann zur Mutmaßung: „Oh mein Gott, dann sind es vielleicht Krämpfe?“ (Fawcett 2000 12:55). Sie lauert darauf, dass Ginger mit 16 Jahren endlich ihre erste Menstruation bekommt. Anstatt ihr Hilfe anzubieten, beglückwünscht sie Ginger schließlich mit einer Torte zur ersten Periode, was sie nur zufällig durch die blutige Unterwäsche herausbekommt. Sie kommentiert das Ganze vor der Familie mit „Ginger ist eine junge Frau geworden!“ (Fawcett 2000 28:48). Hier wird deutlich, dass die Mutter sich nicht in die Lage ihrer Tochter hineinversetzen kann. Die Menstruation ist für viele Mädchen ein unangenehmes Thema, das sie nicht öffentlich besprechen wollen.
Mit ihren unsensiblen Kommentaren entfernt sich die Mutter unbewusst von ihren Töchtern, da sie sich nicht von ihr verstanden fühlen. Außerdem stilisiert sie die Pubertät für die beiden Jugendlichen zum Alptraum, indem sie Gingers launische und aggressive Verhaltensweisen durch den Werwolfbiss als Pubertät deutet. Sie erklärt Brigitte, dass sich ihre Schwester gerade in einer aufregenden und verwirrenden Phase befindet und kommt übereuphorisch zum Schluss: „Weißt du Brigitte, auch du kommst an die Reihe eines Tages!“ (Fawcett 2000 37:18). Brigitte blickt daraufhin verstört und ungläubig drein. Die Mutter schürt damit die Ängste, statt sie zu nehmen. Als sie ohne zu klopfen die Badezimmertür aufreißt, wo Ginger gerade ihr Wolfsfell rasiert und Hundekrallen an den Knöcheln deutlich zu sehen sind, reagiert Ginger wie jeder gewöhnliche Jugendliche, indem sie die Mutter in harschem Ton auffordert, anzuklopfen. Die Mutter ermahnt sie, „Sprich nicht in diesem Ton mit mir! Du hast nichts, was ich nicht schon mal gesehen hätte.“ (Fawcett 2000 49:54). Auch in diesem Fall glaubt sie, der Grund für Gingers Verhalten ist die Pubertät. Sie bekommt nicht mit, was stattdessen vor sich geht und dass ihre Tochter sich nicht nur hormonell verändert, sondern sich zu einem Wolf verwandelt.
Hier wird außerdem deutlich, wie sie ihre Töchter missversteht und welch große Mauer zwischen ihnen steht, sodass sie die Metamorphose sowie die Geheimnisse der Jugendlichen nicht von Anfang an mitbekommt. Dies bestätigt auch folgende Szene, in der die Mutter im Schlafzimmer der Eltern ein Buch mit dem Titel „Wenn ihre Tochter den ersten Freund hat“ liest. Im Gespräch mit ihrem Mann über das neue Verhalten der Töchter, merkt der Vater an, dass er glaube, sie führen etwas im Schilde. Die Mutter hingegen ist überzeugt, dass ihre Mädchen ganz normale Teenager sind. Sie bemerkt jedoch nicht, dass die beiden zum gleichen Zeitpunkt die Leiche von Trina im Garten vergraben. Der Vater kommt damit früher hinter die Geschehnisse als die Mutter, die gerade eben in der Pubertät ihren Töchtern näher stehen sollte.
Verständnislosigkeit seitens der Erwachsenenwelt begegnen Brigitte und Ginger zudem bei der Schulkrankenschwester. Bei ihr wollen sie sich über Gingers fontänenartige Menstruationsblutung informieren. Die Krankenschwester versichert ihnen aber mit euphorischem Grinsen, dass dies alles, auch in Verbindung mit Krämpfen, in Ordnung ist. Ihre Aufklärungsfreude, die durch ihre Brille unterstrichen wird, ähnelt der der Mutter. Außerdem geht auch sie dem Problem der beiden Mädchen nicht näher auf den Grund, sondern handelt das Ganze als Pubertät ab. Brigitte frägt am Ende noch nach „Haaren, die vorher nicht da waren und Schmerzen“ (Fawcett 2000 26:42), doch wieder bestätigt die Krankenschwester, dass dies normal sei. Die Jugendlichen werden somit mit ihrem Problem allein gelassen. Weder ihre Mutter, noch die Schulkrankenschwester befassen sich mit Gingers Situation oder bemerken, dass etwas nicht stimmt. Da sie bei keinem Erwachsenen auf Verständnis stoßen, recherchiert Brigitte auf eigene Faust nach Gingers Symptomen. Einzig im Schulkameraden Sam findet sie schließlich einen Verbündeten.
Für jugendliche Zuschauer ist dieses Motiv sehr bedeutsam, da sie sich mit ihm identifizieren können (Meyer 2000). Im Alltag begegnen sie ähnlichen Situationen, wo sie sich von Erwachsenen nicht verstanden fühlen. Das Motiv stellt im modernen Horrorfilm ein zentrales Merkmal dar, welchem die heranwachsenden Protagonisten begegnen (Meyer 2000).
2.2. Menstruation
Ein weiteres Motiv des Themas Pubertät im Film Ginger Snaps ist die Menstruation. Wie im vorherigen Kapitel erwähnt, bekommt Ginger erst recht spät, mit 16 Jahren, ihre erste Periode. Sie kündigt sich bereits vorher durch Schmerzen an; die Blutung selbst beginnt aber erst, als Ginger und Brigitte nachts am Spielplatz einen zerfetzten Hundekadaver entdecken. Da sie einen Rock trägt, sieht man Blut an ihren Beinen hinabrinnen. Die Geschwister deuten das Blut zunächst als Spritzer vom Hundekadaver. Dann wird ihnen klar, dass es sich um Gingers Menstruation handelt. Ginger selbst verabscheut die Periode und die dazugehörigen Symptome. Das wird deutlich, als sie zu ihrer Schwester sagt: „Wenn ich vor irgendwelchen Tamponautomaten stehe oder Stimmungsschwankungen habe, dann erschieß mich bitte, okay?“ (Fawcett 2000 16:26). Kurz daraufhin wird sie von einem Werwolf überfallen und gebissen. Mit dem Beginn der Menstruation nimmt also das Unheil seinen Lauf. Brigitte erklärt den Überfall mit dem Geruch, den menstruierende Frauen an sich haben. Die Regelblutung spiegelt damit den Biss wider und steht als Auslöser für eine Verwandlung des Körpers. Dabei löst sie die Verwandlung des Kindes- zum Frauenkörper aus und der Biss die Verwandlung zum Werwolf. Die Menstruation wird dämonisiert: Zum einen durch die Verbindung zum Werwolfbiss, zum anderen durch Gingers Abscheu. Julie Miess bringt den Werwolf-Mythos mit der Menstruation mittels des englischen Wortes „Curse“ zusammen, der sowohl Fluch bedeutet, als auch ein verdeckter Begriff für die Monatsblutung ist (Miess, 2010). Auch Julia Kristeva spricht von der Menstruation als Verunreinigung und Andersartigkeit. Sie gefährdet das Verhältnis der Geschlechter (Kristeva, 1982).
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