Manifestation des antiziganistischen Ressentiments in der gesellschaftlichen Mitte


Hausarbeit, 2018

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Teil I: Antiziganismus in der heutigen Gesellschaft
1.1 Antiziganismus und Armutsmigration
1.2 Reproduktion antiziganistischer Stereotype durch die Medien
1.3 Antiziganismus in der Sozialen Arbeit

Teil II: Historische Faktoren des Antiziganismus
2.1 Mittelalter und Frühe Neuzeit
2.2 Tsiganologie als 'wissenschaftliche' Grundlage des Ressentiments
2.3 Kaiserreich und Weimarer Republik
2.4 Verfolgung und Vernichtung im Nationalsozialismus
2.5 „Zweite Verfolgung“ nach dem Zweiten Weltkrieg

Teil III: Ressentimenttheoretische Überlegungen
3.1 Pathische Projektion und projektive Identifizierung
3.2 Ressentimenttheorie nach Nietzsche
3.3 Das Antiziganistische Ressentiment in der heutigen Gesellschaft

Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Das antziganistische Ressentiment ist in der Gesellschaft bis heute weit verbreitet. Wie Romani Rose (Vorsitzender des Zentralrates deutscher Sinti und Roma) sagte „genießt … [es] eine breite Narrenfreiheit“ (Benz, 2014 S.51). Beispiele für den verbreiteten Antiziganismus bietet bspw. die Debatte um Armutsmigration bzw. der Vorwurf der Ausnutzung des deutschen Sozialsystems durch Immigranten aus den Ländern der letzten EU-Osterweiterung. Bedingt durch den aktuellen Rechtsruck der europäischen Gesellschaften, erlebt auch das antiziganistische Ressentiment ein erneutes 'Aufblühen'. Ebenso werden sozialpolitische Fehlentwicklungen, wie die der Rentenreform, durch rechte Parteien instrumentalisiert, um gegen die Minderheit der Sinti und Roma zu hetzen, deutlich zu entdecken in einem Wahlslogan der NPD, der lautete „Geld für Oma statt für Sinti und Roma“ (zit. n. Benz, 2014 S.180). Ein Grund für dieses aktuelle Aufgreifen von 'Zigeunerbildern' und das mit ihnen Werben für rassistische Ideologien und politische Konzepte, liegt einerseits sicherlich in der Jahrhunderte alten 'Tradition', der Reproduktion antiziganistischer Stereotype und Fremdzuschreibungen. Meine leitende Fragestellung in dieser Arbeit wird sein, welche Entwicklungen zur Manifestation des antiziganistischen Ressentiment als Ressentiment der gesellschaftlichen Mitte geführt haben.

Im ersten Teil meiner Ausführungen werde ich auf die aktuellen Ausdrucksformen des Antiziganismus in der Gesellschaft eingehen, hierfür werde ich die Debatte um 'Sozialtourismus' und Armutsmigration aufgreifen und analysieren inwieweit antiziganistische Stereotype aufgegriffen und zur Meinungsbildung instrumentalisiert werden. Weiterhin werde ich mich damit auseinander setzen inwieweit Meiden an der weiteren Reproduktion von Zigeunerbildern (bewusst und unbewusst) beteiligt sind. Auch werde ich beleuchten, ob Antiziganismus auch in der Sozialen Arbeit verbreitet ist und wenn ja, wie man damit umgehen und eine Tradierung dessen aufheben kann. Der zweite Teil dieser Arbeit wird historische und politische Entwicklungen erläutern, die die Reproduktion antiziganistischer Stereotyp seit dem 15. Jahrhundert gefördert und bedingt haben.

Der dritte Teil dieser Hausarbeit wird sich mit ressentimenttheoretischen Überlegungen von Nietzsche, Adorno und Horkheimer beschäftigen und versuchen, Spuren dieser theoretischen Grundgedanken auch im heute verbreiteten Antiziganismus zu erkennen.

Teil I: Antiziganismus in der heutigen Gesellschaft

1.1 Antiziganismus und Armutsmigration

Während europäische durch Armut getriebene Migranten im 19. Jahrhundert millionenfach in die USA emigrierten (allein 5,9 Millionen Deutsche) und gefeiert wurden als Pioniere (vgl. Benz 2014, S.152), die ausgewandert waren, um ihr Glück in der neuen Welt zu finden, wird seit der EU-Osterweiterung im Jahr 2007, welche Bulgaren und Rumänen zu EU-Bürgern machte „die Legitimität des Strebens nach Glück … angezweifelt, wenn Zuwanderer nicht willkommen sind.“ (Benz, 2014 S.153) Durch die als EU-Bürger*innen erlangte Freizügigkeit stieg die Zahl der Zuwanderer*innen aus diesen Ländern, von einem Willkommen-sein dieser konnte jedoch kaum die Rede sein. Aufgrund der historisch und gesellschaftlich bedingt prekären Situation unter der Roma in Bulgarien oder Rumänien leben, waren unter den Zuwanderer*innen viele Roma (vgl. Benz, 2014 S.153; Mappes-Niediek, 2014). Schnell verbreitete sich die in breiten Teilen der Bevölkerung etablierte Annahme bzw. Angst vor 'Sozialtouristen', die es lediglich auf Sozialleistungen abgesehen hätten. Schon 2011 positionierte sich Horst Seehofer mit der markigen Verlautbarung: „Wir werden uns gegen Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme wehren – bis zur letzten Patrone.“ (zit. n. Benz, 2014 S.153). Tatsächlich war der Arbeitsmarkt für Bürger aus Rumänien und Bulgarien, wegen der Übergangsregelung zum EU-Beitritt, welche schon vor der EU-Osterweiterung 2004 beschlossen wurde, noch nicht geöffnet (vgl. Grote, 2014), sodass lediglich die Möglichkeit einer selbstständigen Gewerbeanmeldung bestand, um erwerbstätig zu sein. Diese Erwerbstätigkeit entsprach allerdings häufig unterbezahlten Tätigkeiten bspw. als Bauarbeiter (vgl. Benz 2014, S.153). Auch die Wohnverhältnisse, in denen sich die Zuwanderer*innen in Deutschland häufig wiederfanden, war als prekär einzustufen, da Hausbesitzer die Möglichkeit sahen, Immobilien, die aufgrund ihres Zustandes eigentlich nicht mehr bewohn- bzw. vermietbar waren, erfolgreich als Unterkünfte anboten (vgl. Benz, 2014 S.153). Diese bereits verwahrlosen Häuser und Wohnungen erregten durch den Einzug von Migrant*innen aus u.a. Rumänien und Bulgarien plötzlich mediale Aufmerksamkeit. In den medialen Darstellungen wurde nun oft der Fokus darauf gelegt, dass die Mehrzahl der zugewanderten Rumän*innen und Bulgar*innen Roma seien. Die entdeckte Verwahrlosung der Häuser (auch wenn sie schon zuvor in diesem Zustand waren) lässt sich innerhalb antiziganistischer Thesen leicht mit weit verbreiteten stereotypen Fremdzuschreibungen, mit tradierten 'Zigeunerbilder' erklären: Sieht die Bevölkerung verwahrloste Häuser, mit zerschlagenen Scheiben, sich stapelndem Müll, unhaltbaren hygienischen Zuständen o.ä. so scheint dies mit dem Stereotypen des 'nomadisierenden Volkes', welches einfach nicht weiß, wie man sesshaft lebt und deswegen eben solche Zustände erzeugt, oder dem des 'unhygienischen, primitiven Zigeuners' übereinzustimmen und bietet somit eine einfache ressentiment-geleitete Erklärung, die jegliches Hintergrundwissen, entweder nicht benötigt oder schlichtweg ausblendet. Die mediale Aufmerksamkeit, welche eben solchen 'Problemhäusern' zu Teil wurde in Verbindung mit der immer wiederkehrenden Fokussierung darauf, dass es sich bei den Bewohner*innen um aus Süd-Ost-Europa zugewanderte Roma handelt, bot einen Nährboden für politisch rechte Parteien und Bürgerbündnisse und -bewegungen, aufgrund dessen sie die Minderheit der Sinti und Roma als den deutschen Sozialstaat ausbeutende Migrant*innen und somit für die Fehlentwicklungen der deutschen Politik, instrumentalisieren konnten, wie es an dem NPD Wahlslogan „Geld für die Oma statt für Sinti & Roma“ (zit. n. Benz, 2014 S.180) deutlich wird. Mit diesem Slogan pointiert die NPD noch einmal ihre Vorstellung, dass es sich bei den 'Armutsmigrant*innen', welche 'die deutschen Sozialsysteme plündern' und somit (ihrer Logik folgend) der Auslöser der Zunahme von u.a. Altersarmut sind, vor allem um Sinti und Roma handelt.

1.2 Reproduktion antiziganistischer Stereotype durch die Medien

Die Darstellung von Sinti und Roma in den Medien reproduzieren häufig (ungewollt) rassistisch tradierte Stereotype. Dies betrifft sowohl akutalitätsbezogenen Reportagen, Berichte und Zeitungsartikel, als auch solche, die lediglich über die (vermeintlich homogene) Kultur der Minderheit berichten. Gerade im Falle der kulturbezogenen Reportagen etc. sollte bei kritischer Hinterfragung nahezu ins Auge springen, dass solche nicht ohne die Reproduktion von Stereotypen (seien sie philo- oder antiziganischtisch geprägt) auskommen können, da der Anspruch, die Kultur einer Bevölkerungsgruppe, welche nur in Deutschland Schätzungen zufolge (genaue Erhebungen sind nicht vorhanden) zwischen 70.000 und 150.000 Menschen umfasst (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, 2014) darzustellen, durch die Heterogenität und Pluralität von Lebensweisen, wenig umsetzbar erscheint. Trotz des von Markus End in der Analyse zweier Reportagen zur Kultur der Sinti und Roma festgestellten aufklärerischen Ansatzes und der Zielsetzungen des kritischen Hinterfragens von tradierten Stereotypen und Zuschreibungen, suggerieren die Erwähnung findenden Themen in Kombination mit der Bildauswahl häufig eben doch eine Untermauerung der eigentlich zu hinterfragenden Stereotypen (vgl. End, 2014 S.114f.) und begünstigen so eine gesellschaftliche Manifestation dieser.

Durch die Debatte um, durch die EU-Osterweiterung ausgelöste, Armutsmigration nach Deutschland sind Sinti und Roma wieder in den medialen Fokus gerückt. Auffallend ist, dass, wie eingangs bereits erwähnt, in vielen Artikeln die Stereotyp der kriminellen, nicht-sesshaften, nomadisierenden Roma bedient werden (vgl. Schreiber in: Stender, 2016 S.212f.). Gründe für die Manifestation der Debatte um die Armutsmigration war einerseits, dass das Thema reichhaltige Möglichkeiten zur Skandalisierung, welche für das Erzielen von hoher Aufmerksamkeit unter Anderem notwendig ist, andererseits die anstehenden Land- und Bundestagswahlen (vgl. Krauß in: Stender, 2016 S.226f.; 229ff.). Insbesondere die Skandalierung der bundesweit zu Bekanntheit gekommenen Problemhäuser (in Duisburg, Dortmund etc.) spielte politisch betrachtet rechten Parteien und Bürgerbündnissen in die Karten. Die Berichterstattung, die oft auf schwach belastbaren oder anonymen Quellen basierte hatte m.E. nicht die Aufklärung über die tatsächlichen Zustände in diesen Stadtvierteln zum Ziel, sondern zielte vielmehr auf hohe Auflagenzahlen oder Einschaltquoten ab, denn die Hintergründe, zur Situation von Roma in ihren Herkunftsländern wurde ebenso gering beachtet wie die Tatsache, dass den Zuwanderer*innen, bereits kaum bewohnbare Immobilien, zur Miete angeboten wurden und diese häufig mangels anderem bezahlbarem Wohnraum diese Angebote annehmen mussten.

1.3 Antiziganismus in der Sozialen Arbeit

Seit den 1960 Jahren etabliert sich in Deutschland ein neues Professionalitätsverständnis in der Sozialen Arbeit. Zur selben Zeit wurde das Tätigkeitsfeld der 'Zigeunerfürsorge' als Tätigkeitsfeld der Sozialen Arbeit entdeckt. Führende Vetreterin dieser war u.a. Silvia Sobeck. Sobecks Credo in der 'Zigeunerfürsorge' war die Integration der Sinti und Roma in die Mehrheitsgesellschaft ohne die Auslöschung der ihnen eigenen Kultur (vgl. Stender, 2016) Diese Zielsetzung zeugt von einer starken Reproduktion philoziganistischer Stereotype, denn die Annahme, die Minderheit habe eine homogene Kultur, die zerstört würde, würde sie in die Mehrheitsgesellschaft integriert zeigt, dass Sobeck eine generelle Andersartigkeit bei Sinti und Roma voraussetzte, was nicht verwunderlich ist wenn man beachtet, dass Sobeck die theoretischen Grundlagen ihres Wissens zum Teil aus Abhandlungen von Herrmann Arnold (Herrmann Arnold veröffentlichte 1961 einen Aufsatz, der die Andersartigkeit von 'Zigeunern' auf das verpassen einer genetischen Evolutionsstufe zurück führte) zog.

Traurigerweise ist der Gedanke der homogenen Andersartigkeit bis heute nicht gänzlich aus der Sozialen Arbeit verschwunden. Dies möchte ich kurz an einem Beispiel erläutern: Im Jahr 2009 ging von der Hamburger Arbeitsgemeinschaft SGBII eine „öffentliche Aufforderung zur Abgabe eines Projektvorschlags für die Durchführung von Arbeitsgelegenheiten gemäß §16d SGBII“(zit.n. Lohse, 2016 S.198) aus.Die Zielsetzung dieser Projektausschreibung war es „erwerbsfähige Hilfebedürftige so zu fördern, […] dass auf dem Arbeitsmarkt verwertbare Fähigkeiten und Kenntnisse erworben werden können… .“ (ebd. zit.n. Lohse, a.a.O.). Die Ausschreibung erfolgte zielgruppenspezifiziert; die Zielgruppen waren unter anderem Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund und als ebenso konzeptionell eigenständig zu fördern: Sinti und Roma. Die Zielsetzung für die Gruppe der Sinti und Roma war auf die Vermittlung von Arbeitstugenden angelegt. Diese Verallgemeinerung von Sinti und Roma als Gruppe, die vermeintlich (wegen ihrer Andersartigkeit) im Gegensatz zur deutschen Mehrheitsbevölkerung keine Arbeitstugenden besitze, ihnen diese deshalb gezielt vermittelt werden müssten, damit sie vollwertig in die Gesellschaft integrierbar seien, zeugt davon, wie sich stereotype Zuschreibung, die teilweise schon seit Jahrhunderten vorgenommen werden, noch immer (sogar in der Sozialen Arbeit) manifestiert haben und geben für die Soziale Arbeit die Handlungsaufforderung Konzepte und die eigenen Handlungsvollzüge stets kritisch zu hinterfragen und zu reflektieren sowie sich darüber bewusst zu werden, dass man in einer ressentiment-beladenen Gesellschaft auch selbst (ohne kritische Reflektion) meist nicht frei ist von eben solchen Verstrickungen ist (vgl. Schulze in: Stender, 2016 S.296f.).

Teil II: Historische Faktoren des Antiziganismus

2.1 Mittelalter und Frühe Neuzeit

Aus verschiedenen Stadtchroniken o.ä., welche in vielen Städten seit Ende des 13. Jahrhunderts geführt wurden (vgl. Bogdal, 2014 S.23), insbesondere aus der Hildesheimer Stadtrechnung von 1417, geht hervor, dass eine Gruppe Menschen, vermutlich Roma, die vor den türkischen Heeren Richtung Nord- und Westeuropa flohen, vom Rat der Stadt Almosen erbeten hatte (vgl. Fings, 2016, S.35f.). In viele Stadtchroniken wird darauf hingewiesen, dass Romagruppen mit Schutzbriefen, die für eine sichere Durchreise durch die sich entwickelnden Territorialstaaten notwendig waren, ausgestattet waren (vgl. Fings, 2016 S.37). Während das Almosenwesen im 12. und 13. Jahrhundert, von der christlichen Vorstellung geprägt war, das Almosen geben, würde den Mildtätigen von Sünden befreien und somit die gesellschaftliche Schicht der Armen durch das christliche Weltbild vorerst legitimiert war, führten gesellschaftliche Veränderungen ab dem 15. Jahrhundert dazu, dass der Müßiggang als illegitim angesehen wurde: „Das 15. Jahrhundert war die Zeit, 'in der die Grundlagen der modernen bürgerlichen Gesellschaft gelegt' wurden.“ (Winckel, 2002 S.14). Auch begannen sich Territorialstaaten herauszubilden, die in der Bevölkerung ein nationales Zugehörigkeitsgefühl entstehen ließen. Die Zeit der Entwicklung der Nationalstaaten war geprägt von „ …. Aufständen und Revolten in Stadt und Land und der durch die Pest vermittelten Unsicherheit und Unrast ….“ (Hund, 2014 S.27). Diese Unsicherheit in Verbindung mit dem entstehenden Zugehörigkeitsgefühl, war für das Volk der Roma ein ungünstiger Faktor, da nationale Zugehörigkeit ethnozentristische Abgrenzung gegenüber 'den Anderen' begünstigt. Die unruhige Zeit und die gesellschaftlichen Umbrüche „ … (haben) ein vielschichtiges Vagantenum hervorgebracht.“ (a.a.O.). Die Vaganten waren gesellschaftlich nicht angesehen. Ebenso erging es nun dem Volk der Roma, dem aufgrund der Einnahme Konstantinopels durch die Türken (1453), dem damit einhergehenden Bedrohungungsgefühl durch die türkischen Heere und Mangels einer Zugehörigkeit zu einem der sich entwickelnden Staaten, wurde ihn nun nachgesagt, sie seien „heidnische Ausspäher der Christenheit“ (a.a.O.). Desweiteren war die Verachtung gegenüber den Roma nutzbar als „ideologisches Drohpotential gegenüber den arbeitenden Klassen und zur Aussonderung und Stigmatisierung der entwurzelten Unterschichten.“ (a.a.O.). Somit wurden die Roma schon in der Mitte des 15. Jahrhunderts erstmals als ein Störfaktor der Gesellschaft stigmatisiert. Hinzu kommt, dass auch die Bürger der Unterschichten, die in der neuen Gesellschaftsform nicht Fuß fassen konnten, den Roma zu gerechnet wurden und somit erstmals auch eine Verallgemeinerung von Roma und angestammten Vaganten vorgenommen wurde. Diese Verallgemeinerung sieht Klaus Michael Bogdal, als den Punkt in der Entwicklung, an dem die europäische Mehrheitsgesellschaft das Bild des Fremden, nicht Dazugehörigen als Basis des 'Zigeunerbildes' konstruierte (vgl. 2014, S.26f.). Zu dieser Annahme passt die Aussage des Hamburger Klerikers Albert Krantz von 1520, die 'Zigeuner' wären ein Volk „auf Wanderschaft in der Fremde geboren, dem Nichtstun ergeben, … (und) nehmen sowohl Männer als auch Frauen auf, die sich mit ihrer Gemeinschaft vereinigen wollen“ (zit. n. Hund, 2014 S.28). Auch wurden schon am Ende des 15. Jahrhunderts Maßnahmen gegen herum ziehende 'Zigeunergruppen' getroffen: So galten sie im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ab 1495 als vogelfrei und durften straflos verfolgt und getötet werden. Diese Vogelfreiheit bestand formal bis 1806 (vgl. Fings, 2016 S.41). Auch in der Frühen Neuzeit war das besonders harte Vorgehen gegen 'Zigeuner' auffällig. Die begangenen Straftaten wichen zwar meist nicht von den durch andere Bevölkerungsgruppen verübten ab, jedoch waren Sinti und Roma oft von sehr viel härteren Strafen, insbesondere der Todesstrafe, betroffen (vgl. ebd. S.43f.).Ein Beispiel für das besonders harte Vorgehen gegen die Minderheit findet sich in den vielerorts (an Stadtgrenzen o.ä.) aufgestellten sogenannten „Zigeunerstöcken“, welche Schilder waren die in Wort und Bild davor warnten, welche Strafen 'Zigeuner' in dem Ort bei Straftaten erwarteten (vgl. a.a.O.).

2.2 Tsiganologie als 'wissenschaftliche' Grundlage des Ressentiments

Der 'Zigeunerstereotyp' zeigte noch vor der Etablierung des Rassebegriffs zur Zeit der Aufklärung bereits rassistische Grundzüge: er basierte auf einer Differenz zwischen 'wir' und 'die anderen'. Der Minderheit der Sinti und Roma wurde diese Andersartigkeit, nicht aufgrund einer tatsächlichen Andersartigkeit zugeschrieben, es wurden vielmehr die tatsächlichen äußeren Ursachen für den abweichenden Lebenswandel ausgeblendet und die Erklärung für die 'Andersartigkeit' in biologischen Begründungen gesucht (vgl. Hund, 2014 S.34f.). Im Verlauf des 18. Jahrhunderts etablierte sich dann die Tsiganologie als 'wissenschaftliche' Disziplin, deren Gegenstand es war die Andersartigkeit der Sinti und Roma zu untersuchen und zu analysieren. Einer der Führenden Tsiganologen war Heinrich Moritz Gottlieb Grellmann (1756-1804). Dieser veröffentlichte 1783 eine Abhandlung mit dem Titel „Die Zigeuner. Ein historischer Versuch über die Lebensart und Verfassung Sitten und Gebräuche dieses Volkes, nebst ihrem Ursprung“. Grellmann stellte in seiner Abhandlung ohne eine Basis aus empirischer Forschung Thesen auf, den noch bis in 20. Jahrhundert und länger glauben geschenkt wurden (vgl. Benz, 2014 S. 214f). Eine dieser Thesen, war es, dass die 'Zigeuner' von der indischen Pariakaste abstammen würden und ihre Andersartigkeit dementsprechend von ihrer orientalischen Denkart bedingt würde. Wie eine orientalische Denkart sich definiert, wurde in seiner Abhandlung nicht vertieft. Allerdings legte diese These den Grundstein für die Idee, 'Zigeuner' könnten durch Zwangsassimilation zu einer Gruppe mit gesellschaftlicher Funktion erzogen werden: Würden die 'Zigeuner' nur hinreichend assimiliert, so wären sie, trotz rassisch bedingter Defizite, in der Lage die niedrigsten Arbeiten, welche in der Gesellschaft anfallen, zu erledigen und würden so an den ihnen angestammten gesellschaftlichen Platz rücken, sodass sie als unterste Schicht der Gesellschaft ihre Produktionskraft einbringen könnten, wie ihre Urväter der Pariakaste (vgl. Ufen, In: Hund, 2014 S.74-83). Grundsätzlich jedoch lässt die Abhandlung Grellmanns sich auf zwei Kernelemente zusammenfassen: zunächst definiert sie die 'Zigeuner' als rassisch minderwertig, da sie „...noch ganz unbearbeitet in den Händen der Natur (lägen), oder wenigstens kaum auf der untersten Stufe der Menschwerdung stehe(n)“ (Grellmann, zit n. Hund, 2014 S.35), weiterhin, begründet Grellmann mit seinen Thesen allerdings, wie bereits erwähnt, die Idee der 'Zigeuner' als zu gesellschaftlichem Nutzen erziehbare Gruppe. Die zweite These kann als Ausdruck der zeitgenössischen Wirtschaft gesehen werden, da diese zu einem immer höheren Anteil Arbeitskräfte für die Erledigung niederer Aufgaben benötigte (vgl. Ufen In: Hund, 2014 S.83).

Die Tsiganologie in Verbindung mit der unter anderem von Immanuel Kant etablierten Rassenlehre, hob das antiziganistische Ressentiment auf eine neue Stufe, da es durch die wissenschaftliche Basis, auf die es gestellt wurde, eine neue Legitimation fand, somit war die Grundlage für den modernen (Rassismus und) Antiziganismus geschaffen (vgl. Hund, 2014 S.37).

2.3 Kaiserreich und Weimarer Republik

Schon vor der Gründung des Deutschen Kaiserreiches wurde in Preußen 1842 das Staatsangehörigkeitsrecht dahingehend geändert, dass von nun an Preuße war, wer preußischen Eltern abstammte. Dieses Abstammungsrecht wurde im deutschen Kaiserreich, das 1871 unter preußischer Führung gegründet wurde, weitergeführt. Diese rechtliche Regelung machte Angehörige der Minderheit der Sinti und Roma, auch wenn sie schon seit langer Zeit im deutschen Reichsgebiet lebten zu Staatenlosen, da es häufig nahezu unmöglich war nachzuweisen, dass sie von preußischen/deutschen Bürgern abstammten (vgl. Fings, 2016 S.61). Reichskanzler Otto von Bismarck etablierte 1886 die Unterscheidung zwischen staatsangehörigen und staatenlosen 'Zigeunern', letztere sollten konsequent abgeschoben werden, Staatsangehörige 'Zigeuner' sollten genau überwacht werden, wie es in einigen Orten schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts üblich war, und weiterhin durch restriktive Behandlung zu einer sesshaften Lebensform gezwungen werden. Hiervon erhoffte sich Bismarck „das Bundesgebiet von der […] Plage gründlich und dauernd zu befreien.“ (zit. n. Winckel, 2002 S.24). 1906 von der preußischen Regierung eine „Anweisung zur Bekämpfung des Zigeunerwesens“ erlassen und von anderen Ländern übernommen, die Anweisung fasste Bismarcks bisherige Erlasse zusammen. Zum Zweck einer schnelleren Abschiebung von staatenlosen 'Zigeunern' wurden Übernahmeabkommen mit umliegenden Staaten abgeschlossen (vgl. ebd. S.25). Die 'Zigeunerpolitik' des Kaiserreiches behielt ihre Gültigkeit bis zum Ende der Weimarer Republik, wobei sie auch danach noch galt, jedoch im Nationalsozialismus in allen Bereichen verschärft wurde. Allerdings wurde die Tradition der 'Zigeunerpolitik' auch in der Weimarer Republik fortgesetzt, Bayern stach in dieser mit besonders scharfen Gesetzen gegen die Minderheit hervor ('Zigeunerpolitik' war Ländersache), da die bayrischen Gesetze sich nicht nur gegen die 'nichtsesshaften Zigeuner' sondern gegen die Minderheit in Gänze richteten. Das 1926 erlassene Gesetz „Zur Bekämpfung von Zigeunern, Landfahrern und Arbeitsscheuen“ sah Sanktionen in so drastischem Maße vor, dass es als verfassungswidrig kritisiert wurde (vgl. Fings, 2016 S.61). Eine der in diesem Gesetz festgeschriebenen Sanktionen war, das Verbot der Ausstellung von Reisegewerbescheinen, die länger als ein Jahr gültig waren und weitere Restriktionen, die die Ausübung eines Reisegewerbes erschweren sollten (vgl. Wickel, 2002, S.27).

Unter Betrachtung der Gesetzgebung aus Kaiserreich sowie Weimarer Republik bliebt festzustellen, dass die Minderheit der Sinti und Roma weiter stigmatisiert wurde; diese Stigmatisierung begründete sich zum Teil in den Erkenntnissen der Tsiganologie. Während diese Zeit für den Großteil der Bevölkerung eher als eine Zeit der Liberalisierung, in der Bürgerrechte und eine Vergrößerung der persönlichen Freiheiten auf den Schirm traten, charakterisiert war hatten diese keinen bedeutenden Einfluss auf das Leben von Sinti und Roma. Diese wurden weiter stigmatisiert, politisch durch Gesetze sanktioniert und tradierte, fremdzugeschriebene Stereotype wurden weiter verbreitet und reproduziert.

2.4 Verfolgung und Vernichtung im Nationalsozialismus

Die rassistisch stigmatisierende Politik der Weimarer Republik wurde im Dritten Reich fortgesetzt und weiter verschärft: So wurde schon 1933 ein Verbot erlassen, dass es Sinti und Roma unmöglich machte, Mitglied der Reichstheater-, Film- und Musikkammer zu sein. Diese spezifische Hinderung einiger Sinti und Roma an der Berufsausübung wurde 1938 ausgeweitet auf ein Berufsverbot für Arbeiter*innen und Angestellte (vgl. Winckel, 2002 S. 27). Ebenfalls 1933 wurden erste Forderungen des „Rasse- und Siedlungsamtes“, welches der SS unterstand, laut, nach Sterilisationen, die an Sinti und Roma vorgenommen werden sollten, um den Volkskörper reinzuhalten, von 'minderwertigem Blut' (vgl. Winckel, 2002 S. 28; Benz, 2014 S.113f.).

[...]

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Manifestation des antiziganistischen Ressentiments in der gesellschaftlichen Mitte
Hochschule
Fachhochschule Kiel
Note
1,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
24
Katalognummer
V425377
ISBN (eBook)
9783668704251
ISBN (Buch)
9783668704268
Dateigröße
598 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
manifestation, ressentiments, mitte
Arbeit zitieren
Katharina Harder (Autor:in), 2018, Manifestation des antiziganistischen Ressentiments in der gesellschaftlichen Mitte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/425377

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