Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung und Ziel der Arbeit
2. Theoretische Hintergründe des Wertewandels
2.1 Ursachen von Wertewandel in der Gesellschaft
3. Die Auswirkungen des Wertewandels auf verschiedene Teilbereiche der Gesellschaft
3.1 Auswirkungen des Wertewandels auf die klassische Kernfamilie
3.2 Auswirkungen des Wertewandels auf Geschlechterrollen und Erwerbswelt
3.3 Auswirkungen des Wertewandels auf die aktuelle Jugendgeneration
4. Anforderungen an soziale Dienstleister im heutigen Wertepluralismus
4.1 Konsumverhalten und Depression durch Sinnvermittlung begegnen
4.2 Durch Familienarbeit die Wertevermittlung stärken
4.3 Wertevermittlung durch Schul- und Jugendarbeit
4.4 Jugendliche Männer auf ein neues Rollenverständnis vorbereiten
4.5 Die Vorbereitung Jugendlicher auf veränderte Anforderungen in der Arbeitswelt
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung und Ziel der Arbeit
Um den Prozess des Wertewandels in der Bundesrepublik Deutschland besser verstehen zu können und die Auswirkungen auf soziale Dienstleiter und jugendliche Lebenswelten dazustellen, werden als erstes die theoretischen Hintergründe des Wertewandels besprochen und die wichtigsten Theoretiker des entsprechenden Diskurses vorgestellt. Anschließend wird aufgezeigt, was den Wertewandel laut des Soziologen R. Inglehart begünstigt hat. Exemplarisch werden dann die Auswirkungen dieses Wandels auf unterschiedliche Bereiche der Gesellschaft (Kernfamilie, Geschlechterrollen, Arbeitswelt) aufgezeigt. Anhand der aktuellen Shell-Studie wird diskutiert, welche Auswirkungen der Wertepluralismus und Wandel auf die aktuelle Jugendgeneration hat. Es soll gezeigt werden, dass ein Zusammenhang zwischen Depression, Sinnfindung und Konsumverhalten in der Postmoderne zu bestehen scheint und warum demokratische Wertebildung einen hohen Stellenwert in der Jugendarbeit einnehmen sollte. Anschließend wird besprochen, wie soziale Dienstleister junge Menschen erfolgreich auf die Veränderungen in der Gesellschaft vorbereiten können und welche Maßnahmen dazu ergriffen werden müssen. Sinnvermittlung und Wertebildung sind dabei ebenso wichtig wie die Vorbereitung auf neue Geschlechterrollen und veränderte Anforderungen in der Arbeitswelt.
Um das Thema in seiner vollen Tiefe zu verstehen, greift die Arbeit zusätzlich das Phänomen der „postmodernen Sinnkriese“ auf. Abgeschlossen wird mit einem Fazit.
2. Theoretische Hintergründe des Wertewandels
Zu den wichtigsten Theoretikern in der wissenschaftlichen Diskussion über die Konzeption von Werten und deren Wandel gehören C. Kluckhohn, M. Rokeach, G. Hofstede und R. Inglehart (vgl. Köthemann 2014, S. 13). So legte Kluckhohn mit seinen Überlegungen den Grundstein der Werteforschung und definierte Werte wie folgt:
„Value implies a code or a standard which has some persistence through time, or, more broadly put, which organizes a system of action” Für Kluckhon ist ein Wert: “a conception, explicit or implicit, distinctive or an individual or characteristic of a group, of the desirable which influences the selection from available modes, means, and ends of action.” (Kluckhon 1962 in Köthemann 2014, S. 9)
Nach Kluckhohn können nicht alle persönlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Werte immer vom entsprechenden Individuum genannt und verbal begründet werden, weshalb er zwischen expliziten und impliziten Werten unterscheidet. Werte statten Menschen einer Gesellschaft mit Wahlmöglichkeiten in Bezug auf eine Handlung aus (vgl. Köthemann 2014, S, 10). Rokeach greift dies ebenfalls auf und definiert Werte wie folgt: „an enduring belief that a specific mode of conduct or end-state of existence is personally or socially preferable to an opposite or converse mode of conduct or end-state of existence.“ (Rokeach 1973, S. 5 in Köthemann 2014, S. 11)
Rokeach differenziert zwischen instrumentellen Werten, welche sich auf bestimmte Verhaltensweisen beziehen, und terminalen Werten, welche sich auf das Erreichen von Zielen durch ein Individuum beziehen. Letztere teilt er zudem in persönliche und soziale Werte auf. So wäre die berufliche Selbstverwirklichung ein persönlicher Wert, während die Bekämpfung des Welthungers einen sozialen Wert darstellen würde. Weiter sieht er in Werten einen Mechanismus zur Konfliktlösung und Entscheidungsfindung (vgl. Köthemann 2014, S. 12).
Für G. Hofstede dienen Werte vor allem der mentalen Programmierung und Konditionierung von Individuen. Die mentale Programmierung findet nach Hofstede durch Gesellschaften, Gruppen, Institutionen und Organisationen statt. Diese Konditionierung verläuft häufig generationenübergreifend und dient der Konservierung (vgl. Köthemann 2014, S. 13). Diesen Ansatz greifen auch Autoren der Postmoderne auf. Sie leiten aus Werten einen Unterdrückungsmechanismus der herrschenden Eliten ab.
„Und obwohl sie sich der Frage aus einer ganz anderen Perspektive nähern, kommen Marx und verschiedene Autoren der Postmoderne im Wesentlichen zu derselben Behauptung: das Überzeugungssystem einer Gesellschaft neigt dazu, die Gesellschaftsordnung zu legitimieren und die Herrschaft der jeweiligen Elite zu rechtfertigen .“ (Inglehart 1998, S. 81)
So war für Karl Marx die Religion und deren Werte ein Mechanismus zur Unterdrückung des Volkes.
„Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.“ (Marx 1843/44, S. 71f.)
Werte besitzen aber auch einen intrinsischen Charakter der Sinnstiftung und sind dabei hierarchisch gegliedert. Sie sind nach Wichtigkeit geordnet relativ zueinander. Das in eine Reihenfolge gebrachte Set von Werten formt ein System von Wertprioritäten (vgl. Köthemann 2014, S. 13). Eine Handlung muss gegenüber einer anderen präferiert werden können, damit ein Individuum eine Entscheidung treffen kann. Dies erfolgt durch eine Wertehierarchie. Daraus folgt, dass Werte eben nicht nur der Unterdrückung dienen, sondern für Menschen eine Notwendigkeit zur Lebensorganisation darstellen und Sinn stiften. Diese Sinnstiftung war über einen langen Zeitraum hinweg die Aufgabe der jüdisch-christlichen Tradition. Diese Wertetradition verlor in den letzten zwei Jahrhunderten aber deutlich an Bedeutung. Den intrinsischen Charakter der christlich-jüdischen Wertetradition und deren schwindende Bedeutung veranlasste zum Beispiel F. Nietzsche zu seinem berühmten Ausspruch.
„Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ihn getödtet, – ihr und ich! Wir Alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir diess gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Giebt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? […] Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?“ (Nietzsche 1954, S. 126f.)
Obwohl selber Atheist, stellt er klar die Frage nach Richtung und Sinn. Aber längst nicht alle Werte sind religiös konnotiert. Für E. Durkheim waren Werte der „soziale Zement“ einer Gesellschaft (vgl. Oppolzer 1994, S. 350). Am ehesten ist für diese Arbeit die Definition des Sozialpsychologen Shalom H. Schwarz zu verwenden, welcher neben seiner - Theorie universeller menschlicher Werte- auch eine Definition liefert, welche alle hier diskutierten Fassetten abdeckt. Werte sind demnach:
„desirable transsituational goals, varying in importance, that serve as guiding principles in the life of a person or other social entity“ (Schwarz 1994b, S: 21 in Köthemann 2014, S, 14).
Des Weiteren wird in dieser Arbeit immer wieder von materialistischen und postmateriellen Werten die Rede sein. Unter materialistischen Werten versteht man im Allgemeinen Disziplin, Pflicht, Fügsamkeit, Unterordnung, Fleiß, Leistung, Ordnung, Sicherheit und Wohlstand, während die postmaterialistischen Werte Ideale wie Selbstverwirklichung, Individualität, Partizipationsrecht, Freude, Hedonismus, Abwechslung und soziale Kompetenz in den Vordergrund stellen (vgl. Oppolzer 1994, S.350). Was genau zur Werteveränderung geführt hat, soll nun im anschließenden Kapitel behandelt werden.
2.1 Ursachen von Wertewandel in der Gesellschaft
Inglehart sieht verschiedene Gründe für den Niedergang traditioneller Werte in den Industriegesellschaften. Durch die zunehmende materielle Sicherheit, hat das Bedürfnis der Menschen nach Normen und Werten abgenommen. Dadurch kann sich das Individuum eher postmaterialistischen Werten öffnen und sich selbst verwirklichen. Familienleben, Freizeit und Selbstentfaltung gewinnen in bildungsnahen Schichten deutlich an Bedeutung (vgl. Inglehart 1989, S. 227). Tradierte Lebensentwürfe verlieren in der Postmoderne an Wichtigkeit (vgl. Kerkhoff 2017, S. 9). Viele Aspekte der Lebensgestaltung sind somit zur Aufgabe des Individuums geworden und werden nicht mehr in allen Fällen sozio-kulturell bestimmt.
Ein weiterer Grund ist die Veränderung der Kernfamilie durch das Aufkommen des Wohlfahrtstaates und das Verschwinden der Familie als Wirtschaftseinheit, da sich das Erwerbsleben heute außerhalb des eigenen Haushaltes abspielt. Diese Veränderungen lassen die Funktionen von Geboten wie: “Du sollst Vater und Mutter ehren” in ihrer Bedeutung schwinden. Der Generationenvertrag verliert deutlich an Bedeutung, da heute der Staat für seine Bürger aufkommt und deren Überleben sichert. Einzelne Individuen sind nicht mehr auf den Familienverband angewiesen (vgl. Inglehart 1989, S. 227).
Generell haben sich die Lebenswelten der Menschen nach Inglehart stark verändert. Die jüdisch-christliche Tradition bezog sich auf eine Hirten- Agrargesellschaft, welche Gott auch als Erklärungsmodell für “das Unbekannte” brauchte. Diese Funktion ging durch das Aufkommen der Wissenschaft, die Entwicklung effizienter Medizin und Industrialisierung verloren (vgl. Inglehart 1989, S. 230).
Ein weiterer Grund des fortschreitenden Wertewandels ist die generelle Globalisierung und damit einhergehende Auswirkungen auf die Erwerbswelt. Zwar wird die Digitalisierung und Technisierung in der Produktion zuerst tausende Arbeitsplätze kosten, sie wird aber auch zu einer fast vollständigen Befreiung der Menschen von “produktiver” Arbeit führen. Dies wird zu einer Stärkung des Dienstleistungssektors führen und geistige Arbeit in den Vordergrund stellen.
“Die menschlichen Bestrebungen richten sich immer weniger auf die Herstellung materieller Objekte, sondern auf Kommunikation und Informationsverarbeitung. Innovation und Wissen sind die entscheidenden Produkte.” (Inglehart 1989, S. 230)
Die postmaterialistische Gesellschaft wird nach Inglehart mit einer starken Hinwendung zu geistlichen Werten einhergehen (vgl. Inglehart 1989: 230).
Wenn wir jedoch eine vollständige Theorie entdecken, dürfte sie nach einer gewissen Zeit in ihren Grundzügen für jedermann verständlich sein, nicht nur für eine Handvoll Spezialisten. Dann werden wir uns alle – Philosophen, Naturwissenschaftler und Lainen – mit der Frage auseinandersetzen können, warum es uns und das Universum gibt. Wenn wir die Antwort auf diese Frage fänden, wäre das der endgültige Triumph der menschlichen Vernunft – denn dann würden wir Gottes Plan kennen (Hawking 1988, S. 218).
Die grundlegenden Fragen nach der menschlichen Existenz und Sinnhaftigkeit bleiben also bestehen, auch wenn die traditionellen Modelle nach Inglehart veraltet sind und nicht mehr den Lebensrealitäten der Gesellschaftsmitglieder entsprechen (vgl. Inglehart 1989, S. 231). Warum die „Sinnfrage“ an dieser Stelle besprochen wird, soll im Verlauf der Arbeit noch ausführlicher beleuchtet werden.
3. Die Auswirkungen des Wertewandels auf verschiedene Teilbereiche der Gesellschaft
3.1 Auswirkungen des Wertewandels auf die klassische Kernfamilie
Bemerkenswert ist, dass sich das klassische Familienideal in Deutschland erst vor ungefähr 200 Jahren entwickelte. Die Ideale dieser Familienkonstellation beinhalteten die freie Gattenwahl und eine auf Zuneigung basierende, lebenslange Partnerschaft. Die Struktur war dabei stark hierarchisiert, sowohl im Verhältnis der Eltern zueinander, als auch zwischen Eltern und Kindern. Die Familie war dabei an klassischen Geschlechterrollen orientiert (vgl. Vahsen 2014, S. 191). War die Familie früher häufig eine Wirtschaftseinheit bzw. Notgemeinschaft, so entstanden in der Moderne und Postmoderne vermehrt Tendenzen hin zu einer Wahlgemeinschaft. In der heutigen Familienlandschaft sind Alleinerziehendenfamilien, Gleichgeschlechtsfamilien, das unverheiratete Zusammenleben, Zweit- und Drittverheiratetenfamilien längst gängige Modelle geworden. Das klassische Familienmodell ist also um eine Reihe an Alternativen erweitert worden. So gewinnt auch der Begriff des Lebensabschnittsgefährten immer mehr an Bedeutung (vgl. Vahsen 2014, S. 192).
Allerdings scheint es neben dem Aufbrechen der Geschlechterrollen und einer Tendenz zu pluralistischen Familienmodellen auch eine Art Rückbesinnung auf traditionelle Muster zu geben.
„Viele junge, gut ausgebildete Frauen fügen sich heute scheinbar widerspruchslos in klassische Rollenmuster.“ (Koppetsch 2013, S. 360)
Dieses Phänomen wird mit der Sehnsucht nach Sicherheit, Tradition und Gemeinschaft in Verbindung gebracht. Dennoch ist zu bemerken, dass heute 60% aller Frauen ebenfalls zum Auskommen der Familie beitragen (vgl. Vahsen 2014, S. 195). Zwar besteht dadurch für Frauen oft eine Doppelbelastung, da die klassische Rollenverteilung nach wie vor besteht, allerdings wird die Hausarbeit eher zum Aushandlungsprozess zwischen den Geschlechtern. Direkt nach der Geburt eines Kindes besteht allerdings häufig noch die klassische Rollenverteilung (vgl. Vahsen 2014, S. 197).
„Fazit dieser Untersuchungen im Kontext der europäischen Entwicklung ist, dass das familiale Geschehen und familiale Lebensformen plural sind, bei gleichzeitigem Fortwirken bestimmter tradierter Erwartungen und Rollenmuster. So kann die derzeitige Entwicklung der Familie als zentrale Vergemeinschaftung auch nur in dieser Vielfalt wahrgenommen werden.“ (Vahsen 2014, S. 206)
3.2 Auswirkungen des Wertewandels auf Geschlechterrollen und Erwerbswelt
Eine deutliche Werteänderung hat sich im letzten Jahrhundert vor allem durch die Veränderung der Geschlechterrollen ergeben. So schwindet die männliche Dominanz in der Arbeitswelt stetig. Männer sind mittlerweile häufiger arbeitslos als Frauen. Auch sind Männer häufiger schlechter gebildet als Frauen. Zudem haben sich die Ansprüche an die Vaterrolle stark geändert (vgl. Meuser & Scholz 2011, S. 56). Dabei scheint diese „ Sinnkrise “ nicht nur auf das Erstarken der Frau durch den Feminismus zurückzuführen zu sein, sondern auch auf Veränderungen in der Erwerbswelt. Immer mehr klassische Männerberufe verlieren an Bedeutung, während der Dienstleistungssektor weiter erstarkt (vgl. Meuser & Scholz 2011, S. 57).
“Wenn von einer “Krise der Männlichkeit” die Rede ist, kann damit ein Interdependenzverhältnis zwischen Transformation in einer Gesellschaft und dem Wandel von (Geschlechter-)Konstrukten gemeint sein. Dass eine Wechselwirkung zwischen konkreten politisch-historischen Ereignissen und den in einer Gesellschaft herrschenden Konstrukten besteht, ist leicht nachvollziehbar; wie sich das Verhältnis zwischen beiden Seiten jedoch genau vorstellen lässt, ist bisher eine unbeantwortete Frage” (Michael Meuser & Sylka Scholz 2011, S. 58)
Gilbert beschreibt Männlichkeit als:
“a constant demand to prove to oneself and to convince other men of one`s adequacy” (Gilbert 2005, S. 19).
Demnach konzipiert sich Männlichkeit vor allem im kompetitiven Umgang von Männern miteinander. Durch den Wettstreit werden Kameradschaft und Solidarität erzeugt (vgl. Meuser & Scholz 2011, S. 62). Hier wird auch sofort eine aufkommende Veränderung im Geschlechterverhältnis deutlich. Das beschriebene kompetitive Umfeld männlicher Interaktion konstituiert sich aus einer Reihe an Werten, Normen und Deutungsmustern. Diese waren lange Zeit geschlechterspezifisch. Seit der Zunahme der weiblichen Erwerbstätigkeit muss dieser kompetitive Raum seine spezifischen Codes ändern. Oder genauer ausgedrückt: Männer und Frauen müssen lernen im kompetitiven Feld der Erwerbslandschaft miteinander zu konkurrieren. Dabei treten in diesem neuen komplexen Machtgefüge homosexuelle und heterosexuelle Vertreter der beiden Geschlechter im Kampf um die Hegemonialstellung gegeneinander an (vgl. Meuser & Scholz 2011, S. 75). Um diese aufbrechende Stellung des Mannes besser verstehen zu können, muss an dieser Stelle erläutert werden, was genau unter Hegemonialstellung zu verstehen ist, aber auch wie es geschichtlich zu dieser Stellung kam und welche Veränderungen in der Postmoderne stattfanden.
“Hegemonie ist eine spezifische Herrschaftsform, die nicht auf Gewalt und Zwang beruht, sondern auf einem impliziten Einverständnis der Untergeordneten mit ihrer sozialen Lage. Diese Bejahung wird kulturell erzeugt – über allgemein geteilte Normen, Werte und Deutungsmuster” (Meuser & Scholz 2011, S. 60).
Allerdings ist das Konzept der hegemonialen Männlichkeit geschichtlich vor dem Hintergrund der Industriegesellschaft erdacht worden. Die stattgefundene Separierung in einen produktiven Raum für Männer und den reproduktiven Raum für Frauen bedingte demnach die männliche Hegemonialstellung. Zwar ist diese geschlechterspezifische Aufteilung in Grundzügen noch vorhanden, sie verliert aber deutlich an Bedeutung. Der Arbeitsmarkt verschiebt sich stark in Richtung wissensbasierte Dienstleistungsgesellschaft. Dieser Wandel wird auch die ehemals industriegesellschaftliche Geschlechterordnung und die Vorstellungen von Männlichkeit weiter verändern (vgl. Meuser & Scholz 2011, S. 62). Das industriegesellschaftliche Männerbild war meist durch Vollerwerbstätigkeit und eine lebenslange Versorgerrolle gekennzeichnet. Eine starke Identifikation mit dem Beruf war gesellschaftlicher Konsens und oft arbeiteten männliche Angestellte ein Leben lang für die selbe Firma. (vgl. Meuser & Scholz 2011, S. 64). Voranschreitende Ökonomisierung und Technisierung führen immer weiter dazu, dass auch das Bild des lebenslangen Versorgers sich wandelt. Vor allem Männer sind durch das rasante Aufkommen sogenannter atypischer Beschäftigungsverhältnisse stark betroffen, da es sich traditionell um “männliche” Berufe handelt (vgl. Meuser & Scholz 2011, S. 65). Ein vom statistischen Bundesamt erhobener Zensus bestätigt diese Tendenz (vgl. Stat. Bundesamt 2016). Rationalisierung und Automatisierung führen seit den 1970er dazu, dass Arbeitsplätze für schlecht qualifizierte Erwerbstätige stetig abgebaut werden. Auch die generelle Globalisierung sowie die Verlagerung von Produktionsstandorten führen zu einem Abbau an Arbeitsplätzen. Fabrikanlagen werden heute von einer Hand voll Spezialisten gesteuert. Dieser Werte- und Strukturwandel in der Arbeitswelt ist durch das Bestreben menschliche Arbeit durch Technologie zu ersetzen gekennzeichnet (vgl. Kindler 2015, S. 176). Diese neue Dynamik in der klassischen Erwerbslandschaft entzieht vielen Männern das sinnstiftende Element der Arbeit. Fällt die Rolle als Ernährer weg, entsteht eine Sinnkrise, welche auch dazu führen kann, dass Männer dieser Schicht häufiger krank, depressiv oder alkoholabhängig werden.
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