EU-Außenpolitik. Europäische Integration im Bereich der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU


Hausarbeit, 2018

30 Seiten, Note: 2.3

Anonym


Leseprobe

Gliederung

1 Einleitung
1.1 Ziel und Aufbau der Arbeit
1.2 Literaturlage

2 Theorieauswahl
2.1 Neofunktionalismus nach Haas
2.2 Liberaler Intergouvernementalismus nach Moravcsik

3 Entwicklungen der GSVP bis zum Vertrag von Lissabon
3.1 Europäische Sicherheitsstrategie 2003 und
3.2 Umgestaltung der GSVP durch den Vertrag von Lissabon
3.3 Beziehung EU-NATO mit der Einführung PESCO
3.4 PESCO

4 Methode und Fallauswahl

5 Analyse
5.1 Analyse aus Sicht des Neofunktionalismus
5.2 Analyse aus Sicht des Liberalen Intergouvernementalismus

6 Resümee

7 Zusammenfassung

Abstract

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die Europäische Union (EU) stellt einen Verbund aus (noch) 28 europäischen Staaten dar, deren primären Ziele darin bestehen, Frieden, europäische Werte und das Wohlergehen ihrer Bürger und Bürgerinnen zu gewährleisten. Der Tag, an dem der Vertrag von Maastricht in Kraft getreten ist, der 1. November 1993, gilt auch als Gründungstag der EU. Allerdings gab es schon viele Jahre zuvor immer wieder politische Bemühungen zur Schaffung eines europäischen Staatenverbundes wie der EU. Mit der wachsenden Anzahl der Mitgliedstaaten (MG-Staaten), stieg auch die Notwendigkeit institutioneller Reformierungen innerhalb der EU, um politisch weiterhin handlungsfähig zu bleiben (vgl. Leiße 2010: 17). Denn obwohl die EU in ihrer Entwicklungsphase immer wieder große Erfolge verzeichnen konnte, besonders aus wirtschaftlicher Perspektive, steht sie seit mehr als 10 Jahren immer wieder vor globalen Herausforderungen in Form von Kriegen und anderen politischen Konflikten. Heute sind es vorwiegend Kriege in Afghanistan und Syrien, Konflikte zwischen Israel, dem Libanon und Palästina, die die EU in Atem halten. Doch schon nach den Terroranschlägen in New York und Washington im Jahr 2001 ist der EU bewusstgeworden, dass speziell im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik institutionelle Reformierungen unerlässlich sind, um mit diesen und zukünftigen Herausforderungen effektiv umgehen zu können. In diesem Zusammenhang verabschiedete die Europäische Union 2003 die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS). Im Jahr 2009 trat dann der Vertrag von Lissabon in Kraft und stellte einen wichtigen Grundstein für die darauffolgenden Entwicklungen im Feld der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU und dort im speziellen im Bereich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) (vgl. Dembiski 2010: 9). Das übergeordnete Ziel des Vertrages lautete die EU „demokratischer, transparenter und effizienter“ (Bundeszentrale für politische Bildung Dossier 2009) zu gestalten. Erstaunlich erscheinen aus gegenwärtiger Perspektive insbesondere die rapiden Weiterentwicklungen der GSVP innerhalb der vergangenen Jahre, da sie von Fachleuten nicht in diesem Ausmaß erwartet wurden (vgl. Vogl/ Blaese 2010: 70). Kaum vorstellbar schien zumal der Souveränitätsverzicht seitens der Mitgliedstaaten in solch einem sensiblen Sektor wie der Sicherheitspolitik. Aber auch die Errichtung einer unabhängigen militärischen Organisation abseits der NATO war seitens vieler Fachleute unvorstellbar. Und obwohl es 1954 schon die Westeuropäische Union (WEU) gab, die als europäisches Bündnis parallel neben dem Nordatlantischen Bündnis (NATO) bestand, war diese nicht von großer Wichtigkeit, wenn es um sicherheitspolitische Angelegenheiten ging (vgl. Vogl/ Blaese 2010: 70). Ganz anders verhält es sich mit der heutigen EU und ihrem Instrumentarium im Feld der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Der Vertrag von Lissabon brachte weitreichende Veränderungen in diesem Bereich der Politik. Doch warum kam es zu diesen Reformierungen und Erweiterungen innerhalb der GSVP und wovon wurde die zunehmende Integration in diesem Politikfeld der EU beeinflusst und vorangetrieben? Auch diese Fragen werden im Rahmen mit der Forschungsfrage beantwortet werden, da sie im indirekten Zusammenhang mit der Forschungsfrage stehen.

Im Bereich der Internationalen Beziehung haben sich vor allem zwei Theoriestränge in der Vergangenheit als besonders „fruchtbar für die Analyse der europäischen Integration erwiesen“ (Tömmel 2014: 9). Die Rede ist hier vom Liberalen Intergouvernementalismus (LIG) und dem Neofunktionalismus (NF). Da die folgende Forschungsfrage ebenso von der allgemeinen Frage geleitet wird, warum die europäische Integration insgesamt immer weiter voranschreitet, erscheinen die ausgewählten Theorien aufgrund ihrer langjährigen Tradition am passendsten zur Beantwortung dieser Frage zu sein. Die Forschungsfrage dieser Arbeit lautet: Wie lässt sich die zunehmende europäische Integration im Bereich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, die durch den Vertrag von Lissabon im Jahr 2009 eingeleitet wurde, anhand von Integrationstheorien erklären?

1.1 Ziel und Aufbau der Arbeit

Das vorstehende Forschungsinteresse der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit bezieht sich auf das Gefüge der GSVP nach den Reformierungen des Vertrages von Lissabon im Jahr 2009. Dabei soll es vor dem Hintergrund der europäischen Integration primär darum gehen, die grundlegendsten Veränderungen innerhalb der GSVP, die durch den Vertrag von Lissabon entstanden sind, zu erklären und anhand der ausgewählten Theorien zu untersuchen. Ziel der Arbeit ist es zu klären, welche Theorie die größere Erklärungskraft für die zunehmende Integration im Feld der GSVP der EU liefert.

Der Aufbau der Arbeit sieht es vor erst den Neofunktionalismus nach Haas und den Liberalen Intergouvernementalismus nach Moravcsik näher zu beleuchten. Darauf folgt ein kurzer historischer Rückblick auf die Entwicklungen in der europäischen Integration und im speziellen auf die zunehmend vertiefte Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Feld der GSAP und GSVP bis zum Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon im Jahr 2009. In einem weiteren Teilkapitel geht es folglich um die Verabschiedung der Europäischen Sicherheitsstrategie 2003, sowie deren Erweiterung im Jahr 2008. Dieser Abschnitt soll vor allem mögliche Motive für die Entstehung des Lissaboner Vertrages liefern. Danach werden die elementaren Reformierungen im Lissaboner Vertrag im Bereich der GSVP erläutert, wobei hier nur auf die bedeutendsten Neuerungen Bezug genommen wird. An dieser Stelle soll besonders die Einführung der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (SSZ), oder auch PESCO, eine entscheidende Rolle spielen. Abschließend wird versucht die Reformen im Zusammenhang mit den beiden Theorien zu erklären, um am Ende der Arbeit klären zu können, welche Theorie besser zur Erklärung der Reformierungen geeignet ist.

1.2 Literaturlage

Für die Erstellung dieser wissenschaftlichen Arbeit werden Primärquellen, sowie Sekundärquellen, aber auch Interviews, Lehrbücher und die tagespolitische Berichterstattung hinzugezogen. Letzteres vorwiegend online. Ebenso miteinbezogen wird die politische Fachliteratur.

Insgesamt lässt sich die Literaturlage in Hinsicht auf die GSVP sowohl qualitativ, als auch quantitativ als ausreichend bezeichnen. Prekär steht es um die theoriegeleiteten Studien zur Erklärung der zunehmenden Integration innerhalb der GSVP. Viele Studien der hier relevanten politikwissenschaftlichen Theoretiker beschäftigen sich mit dem großen Thema der Europäischen Einigung insgesamt, wenige jedoch mit der spezifischen Umgestaltung der GSVP durch den Lissaboner Vertrag. Vor allem die integrationstheoretisch geleitenden Werke beschäftigen sich wenig mit dem Themenbereich der GASP der EU bzw. der GSVP. Da es in der vorliegenden Arbeit jedoch vorwiegend um die Erklärungskraft der ausgewählten Integrationsheorien auf den Fall GSVP zum Zeitpunkt 2009 nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon geht, wurden die Annahmen, die die Theoretiker in ihren Untersuchungen zur europäischen Integration formulierten, auf den vorliegenden Fall übertragen.

2 Theorieauswahl

Um die Forschungsfrage mit Hilfe der Theorien am Ende beantworten zu können, werden in den folgenden Kapiteln 2.1 und 2.2 die beiden Haupttheorien innerhalb der Integrationstheorien, der Neofunktionalismus und der Liberale Intergouvernementalismus, mit ihren jeweiligen Grundannahmen, gegenübergestellt. Im Fokus zur Beantwortung der vorliegenden Fragestellung stehen besonders der „ Spill- Over-Effekt “ aus dem Neofunktionalismus-Ansatz von Haas und die „ Bargaining-Theorie “ aus dem Liberalen Intergouvernementalismus-Ansatz von Moravcsik.

2.1 Neofunktionalismus nach Haas

Der Neofunktionalismus wurde direkt in Bezug auf die Integration der EU entwickelt, mit dem Ziel „die innere Dynamik, die den Integrationsprozess vorantreibt, zu erhellen“ (Tömmel 2014: 10). Nach dem Hauptvertreter des Neofunktionalismus, Ernst B. Haas, gilt der Neofunktionalismus als „Urvater“ der Integrationstheorien und stammt vom klassischen Funktionalismus-Ansatz von David Mitrany ab. Laut Haas haben überstaatliche „Institutionen mit Staatsqualität eine Initiativfunktion für das Vorantreiben der Integration“ (Lemke 2012: 199).

Im Zentrum des Ansatzes von Haas steht der berühmte und in der Vergangenheit vieldiskutierte Spill-Over-Effekt. Dieser besagt, „dass Integration in ersten, begrenzten Teilbereichen aufgrund funktionaler Erfordernisse weitere Integrationsschritte auslöse, indem angrenzende Bereiche oder Politikfelder, die mit dem vorher schon integrierten in einem engen funktionalen Zusammenhang stehen, ebenfalls auf die europäische Ebene übertragen werden“ (Tömmel 2014: 10). Zwischenstaatliche Kooperation in einem bestimmten Politikbereich führt folglich auch zu einer Vergemeinschaftung in anliegenden Politikbereichen. Haas unterscheidet dabei zwischen drei Spill- Over- Stufen. Sobald diese drei Stufen durchlaufen wurden, steht am Ende des Vorgangs eine supranationale politische Gemeinschaft (vgl. Haas 1958: 16). Der Vorgang beginnt nach Haas mit dem Funktionalen Spill-Over, der sich aus den „Charakteristika und wechselseitigen Interdependenzen der einzelnen funktionalen Aufgabenbereiche“ ergibt (Faber 2005: 125). Das bedeutet, dass im Verlauf des Integrationsprozesses oder nach einer erfolgreichen Integration in einem bestimmten Bereich, Probleme entstehen können, die eine Kooperation in weiteren angrenzenden Gebieten erforderlich machen (vgl. Faber 2005: 125). Wenn das geschieht, ist die zweite Stufe erreicht und es erfolgt der Politische Spill-Over, der bei Haas ursprünglich das „Überschwappen des Prozesses von technisch- wirtschaftlichen in politische Entscheidungsbereiche“ (Faber 2005: 107) darstellt. Diesen entwickelt Haas 1964 in seinen weiteren Arbeiten jedoch weiter. Er gestand sich ein, dass auch durch Lernprozesse bei den Akteuren ein politischer Spill-Over entstehen kann, „indem erfolgreiche Kooperation die Sichtweise vor allem nationaler politischer Eliten verändere und sich deren Loyalität auf das neue supranationale politische Zentrum ausrichte“ (Wolf 2006: 73). Letztendlich folgt die Dritte Stufe und damit der Geografische Spill-Over. Damit ist die Ausdehnung der Gemeinschaft gemeint, die sich in der Aufnahme von neuen Mitgliedstaaten wiederspiegelt (vgl. Faber 2005: 125). Auch die Dritte Stufe ersetzt Haas später durch den Kultivierten Spill-Over. Die „erfolgreiche Kooperationsleistung der neutralen gemeinsamen Institutionen schaffe ein Klima der Zusammenarbeit“ (Wolf 2006:73), welches zu einem „ upgrading of the common interest“ (Haas 1961: 368) beitrage. „Die erfolgreiche Zusammenarbeit veranlasst die beteiligten Eliten mithin, die Situation neu zu bewerten und die nationalen Interessen im Lichte der erreichten Kooperation neu zu definieren, d.h. die zukünftige Aufrechterhaltung, Vertiefung und Erweiterung der Integration als Teil ihrer nationalen Interessen zu betrachten“ (Wolf 2006: 74).

Haas geht außerdem von „Staaten als pluralistische Gemeinwesen“ (Jakobeit/ Grimmel 2009: 103) aus, innerhalb der es mehrere unterschiedlich interessierte Akteure und Gruppierungen gibt, die jeweils versuchen ihr eigenes Interesse umzusetzen (vgl. Jakobeit/ Grimmel 2009: 103). Obwohl so auch für ein ganz bestimmtes Feld verschiedene Ansichten aufeinandertreffen können, mag jedoch der daraus herausspringende Nutzen für alle Beteiligten dazu führen, dass die unterschiedlichen Akteure am Ende doch zu einer Einigung kommen. Die Wahrscheinlichkeit für eine gelungene Integration ist somit stark abhängig von dem dadurch aufkommenden Nutzengrad (vgl. Jakobeit/ Grimmel 2009: 103). In Haas Ansatz bilden nicht die Nationalstaaten und deren Regierungen die Hauptakteure einer erfolgreichen Integration. Er sieht diese eher im „gesellschaftlich-ökonomischen Kontext“ geborgen (vgl. 1968: xix). Damit sind politische, ökonomische und gesellschaftliche Eliten in den Mitgliedsstaaten gemeint. Weitere Hauptakteure sieht er in den supranationalen Institutionen.

Zusammenfassend kann für den Neofunktionalismus von Haas gesagt werden, dass Integration von einer ökonomischen Kooperation ausgeht, jedoch mit einer zwangsläufigen Ausweitung auf politische Bereiche fortgesetzt wird. Fast schon unsichtbar und unhaltbar schreitet die Integration weiter voran und bringt auf supranationaler Ebene mehr Kompetenzübertragung und Souveränitätsverzicht der Staaten (vgl. Weidenfeld 2015: 56). Ebenso kann Integration sich auch territorial ausdehnen. Mit einem Blick auf die Entwicklungen der EU und ihren Mitgliedstaaten, kann letzteres seit vielen Jahren beobachtet werden.

2.2 Liberaler Intergouvernementalismus nach Moravcsik

Den Ansatz des Liberalen Intergouvernementalismus hat Moravcsik aus dem klassischen Intergouvernementalismus-Ansatz von Stanley Hoffmann weiterentwickelt. In seinen zahlreichen Arbeiten setzt Moravcsik sich mit „Fragen der klassischen Integrationsdebatte, aber auch den Theoriekontroversen innerhalb der Internationalen Beziehungen“ (Steinhilber 2006: 176) auseinander. Fragen, wie: „Wer sind die relevanten Akteure innerhalb des europäischen Integrationsprozesses? Was prägt ihre Präferenzen? Wodurch können die Ergebnisse europäischer Vertragsverhandlungen erklärt werden? Warum delegieren nationale Regierungen Entscheidungsgewalt an supranationale Institutionen? Wie kommt es zu der intensiven Form der Kooperation innerhalb der EU?“ (Steinhilber 2006:176), stehen im Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeiten.

„Der Liberale Intergouvernementalismus geht davon aus, dass Staaten die zentralen Akteure im Integrationsprozess sind. Integrationsfortschritt kann es nur dann geben, wenn die verhandlungsstarken Staaten ein gemeinsames Interesse verfolgen, das sie auf der europäischen Ebene am besten realisiert sehen“ (Börzel 2005: 347).

„Während der Liberale Intergouvernementalismus zu den staatszentrierten Ansätzen der Integrationsforschung zählt, behandelt er Staaten nicht als einheitliche Akteure. Vielmehr geht er davon aus, dass innerstaatliche Interessen die von den nationalen Regierungen im europäischen Verhandlungsprozess vertretenen Positionen maßgeblich beeinflussen“ (Börzel 2005: 347).

Moravcsik zufolge hat sich die Europäische Union „seit den Römischen Verträgen 1957 durch eine Reihe von ‚großen Übereinkünften’ fortentwickelt“ (Steinhilber 2006: 176), die „auf Konferenzen zwischen den Mitgliedsstaaten ausgehandelt wurden“ (Steinhilber 2006: 176). Diese Vertragsrevisionen bilden für die EU die einzige Möglichkeit ihren „Kurs des Integrationsprozesses substanziell zu ändern oder zu konsolidieren“ (Steinhilber 2006: 176). Hauptakteure innerhalb dieser Prozesse sind die Nationalstaaten, die von ihrem Regierungsstab, bspw. im Europäischen Rat, repräsentiert werden und den Verlauf der europäischen Integration bestimmen und kontrollieren. Moravcsik untersucht die Reformschritte an einem Drei-Ebenen-Modell (vgl. 1998: 20). Jeder Ebene wird dabei eine „Theorie mittlerer Reichweite zugeordnet“ (Steinhilber 2006: 176). Die Bargaining-Theorie findet sich in der zweiten Stufe wieder und steht im Fokus der Arbeit.

Nachdem die Präferenzen der Länder innerhalb des jeweiligen Nationalstaates durch die Gesellschaft geprägt worden sind, kommt es in der Zweiten Stufe mit der Bargaining-Theorie zur Analyse der Umsetzung der Präferenzen in den intergouvernementalen Besprechungen. Außerdem wird geklärt „ob die Ergebnisse durch die relative Verhandlungsmacht der Mitgliedstaaten oder das Koordinationsgeschick supranationaler Akteure erklärt werden“ (Steinhilber 2006: 177) können. Hier geht Moravcsik davon aus, dass elementare Entscheidungen innerhalb der EU zwischen den freiwillig an Besprechungen teilnehmenden Regierungen getroffen werden (vgl. Moravcsik 1991: 25f.). Außerdem trägt das „Verhandlungsumfeld der EU dazu bei, die Bedeutung von Faktoren, die das rationale Verhalten der Akteure einschränken, zu reduzieren“ (Steinhilber 2006: 180). Darüber hinaus sind die Transaktionskosten solcher Verhandlungen innerhalb der EU niedrig, so dass Regierungen viele Chancen haben zu einem Kompromiss zu gelangen. Für eine effektive Verhandlung sind sie dadurch nicht auf überstaatliche Institutionen angewiesen (vgl. Moravcsik 1998: 7). „Im Liberalen Intergouvernementalismus fungieren die Regierung als gate-keeper zwischen der innenpolitischen und der internationalen Arena. Sobald die zwischenstaatlichen Verhandlungen beginnen, haben die innerstaatlichen Akteure keine Möglichkeit mehr, die von der Regierung vertretenen nationalen Interessen zu verändern. In der Phase des eigentlichen Bargaining-Prozesses werden die Staaten damit wieder als einheitliche Akteure angesehen“ (Steinhilber 2006: 181). Ebenso ist es den Nationalstaaten nicht mehr möglich auf den innenpolitischen Interessenbildungsfortgang der anderen Staaten Einfluss zu nehmen. „Diese Annahmen machen zwischenstaatliche Verhandlungen rational, effizient und vor allem voraussagbar, da sie den Spielraum für strategische Manöver während der Verhandlungen reduzieren“ (Steinhilber 2006: 181). Zusammenfassend kann hier gesagt werden, dass die Stärke und das Ausmaß der Zusammenarbeit sich durch die Präferenzen der Regierungen erklären lässt. „Entscheidend für den Verhandlungsprozess ist die relative Machtposition der Regierungen, die Moravcsik auf deren ‚Präferenzintensität‘ zurückführt“ (Steinhilber 2006: 181). Das bedeutet, am Ende ist die Intensivität der Präferenzen von Nationalstaaten davon abhängig, „wie groß der innenpolitische Druck auf die Regierung ist, ein Abkommen zu realisieren“ (Steinhilber 2006: 181). Im Umkehrschluss heißt das, dass Regierungen in den Politikbereichen, in denen sie ein stärkeres Interesse an einer intergouvernementalen Zusammenarbeit haben, wenig Verhandlungsmacht besitzen. Kompromisse können also durch die Androhung des Veto-Rechts der anderen Regierungen in Verhandlungen schneller realisiert werden, da meistens die einstimmige Entscheidung in den Verhandlungen verlangt wird. Fortschritte in der Integration durch Vertragsreformen würden nach Moravcsik erst dann gelingen, wenn die Interessen der MG-Staaten zueinander passen. Es wäre außerdem durchaus wahrscheinlich, dass Staaten den Reformen nur zustimmen, um nicht von weiteren Integrationsschritten ausgeschlossen zu werden, die für sie nützlich sein könnten.

Moravcsik kam in seinen Arbeiten zur europäischen Integration zum Ergebnis, dass „die europäische Integration die Macht der nationalstaatlichen Regierungen in keiner Weise einschränkt, sondern vielmehr stärkt“ (Newrly 2002: 19). „Dabei geht Moravcsik davon aus, dass bedeutende Integrationsschritte bzw. Reformschritte, die in Vertragsänderungen kulminieren, die entscheidenden Stadien des Aufbaus eines neuen politischen Systems seien“ (Tömmel 2014: 15). Seiner Ansicht nach sind die Hauptakteure der Integration die nationalen Regierungen mit ihren politischen Interessen, sowie die „zwischen ihnen geführten harten Verhandlungen und schließlich die daraus resultierenden institutionellen Entscheidungen, die den Integrationsprozess vorantreiben und in seiner konkreten Ausgestaltung prägen“ (Tömmel 2014: 15).

3 Entwicklungen der GSVP bis zum Vertrag von Lissabon

Im vorliegenden Kapitel geht es vorwiegend darum, die allgemeine Entwicklung der GSVP anhand der europäischen Integration vorerst zu skizieren, um dadurch die darauffolgenden Prozesse im Hinblick auf den Lissaboner Vertrag besser nachvollziehen zu können. Zum besseren Verständnis darüber, warum es überhaupt zum Aufsetzen des Lissaboner Vertrages kam, dient das Teilkapitel 3.1. Hier werden die Probleme, denen die EU vorwiegend zwischen 1999-2008 gegenüberstand, in der Sicherheitsstrategie von 2003 und deren Erweiterung in 2008 thematisiert. Das soll dazu dienen, die Motive hinter dem Reformvertrag von Lissabon besser nachvollziehen zu können. Im Teilkapitel 3.2. wird danach der Lissaboner Vertrag mit seinen wichtigsten Erneuerungen skizziert. Im Zentrum des Interesses soll dabei besonders die Einführung der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (SSZ) stehen. Im Rahmen der SSZ soll darüber hinaus im Kapitel 3.3 auf das Verhältnis der NATO und EU eingegangen werden. Im Kapitel 3.4 wird das neue Abkommen- PESCO dann nochmal gesondert angesprochen.

Aufgrund der immer wieder geführten Kriege der früheren Jahre, sowie der furchtbaren Zerstörungen, die durch den Zweiten Weltkrieg entstanden sind, gab es schon seit den 50er Jahren die Idee über ein „Projekt der europäischen Einigung“ (Golz 2010: 2). Seitdem begann die zwischenstaatliche Zusammenarbeit mit dem Ziel „Ein Europa des Friedens“ (europa.eu) zu schaffen. Damit kein Staat mehr ohne das Wissen des Anderen aufrüsten konnte und um den gegenseitigen Bedenken zwischen den Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg entgegenzuwirken, wurde 1951, mit dem Ziel eine „wechselseitige Abhängigkeit von Kohle- und Stahlindustrie zu schaffen“ (europa.eu), der Vertrag für die Gründung der Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) in die Wege geleitet (vgl. europa.eu). Im Jahr 1954 missglückte dann die Absicht eine Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu erschaffen am Widerstand Frankreichs. Drei Jahre später, im Jahre 1957, wurde aus der EGKS durch die Römischen Verträge die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Außerdem wurde im selben Jahr die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) geschaffen. In den 70er Jahren gelang es dann immerhin „unverbindliche Abstimmungsprozesse im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) zu verstetigen“ (eu-info.de). Allerdings wurden erst 1986 Verfahrensnormen für die EPZ in der ’Einheitlichen Europäischen Akte’ (EEA) vertraglich festgehalten, „mit der das institutionelle System reformiert, die Zuständigkeiten der Gemeinschaft erweitert, sowie ein rechtlicher Rahmen für die außenpolitische Zusammenarbeit geschaffen” wurde (Weidenfeld 2013: 109). Dies stellte zwar einen kleinen Fortschritt dar, dennoch „blieb die EPZ ein eher lockerer Rahmen für Konsultation und Konsultierung“ (eu-info.de). Erst das Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht 1993 brachte den erwünschten Erfolg, indem es zur Weiterentwicklung der EPZ zur GASP der EU kam (vgl. eu-info.de). Nun konnte die EU auch im Feld der Sicherheit und Verteidigung kooperativ mit ihren Mitgliedstaaten arbeiten (vgl. europa.eu). 1999 einigten sich die europäischen Mitgliedsstaaten auf dem Gipfeltreffen des EU-Rats in Köln auf die Einführung einer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (vgl. Klein 2018: 13). „Im Vertrag von Nizza 2003 wurde sie zunächst als Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) bezeichnet“ (Klein 2018: 13). Für diese Art von strukturierter Zusammenarbeit bringt der Vertrag von Lissabon, der von allen EU-Mitgliedstaaten unterzeichnet wird und 2009 in Kraft tritt, wesentliche Vereinfachungen und macht effizienteres Hadeln möglich. Immer wieder wird in der Literatur und in politikwissenschaftlichen Artikeln behauptet, dass Krisen eine wichtige Bedeutung für den Integrationsvorgang der EU haben und, dass die EU aus ihnen wächst, indem die EU neue Ambitionen für Erneuerungen daraus schöpft. So schien auch die Verabschiedung der Europäischen Sicherheitsstrategie im Jahr 2003 ihren Kern in den Terroranschlägen 2001 in den USA zu haben. Der EU wurde bewusst, dass sie eine europäische Lösung für die politischen Herausforderungen, mit denen sie sich zunehmend konfrontiert sah, finden musste.

[...]

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
EU-Außenpolitik. Europäische Integration im Bereich der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Note
2.3
Jahr
2018
Seiten
30
Katalognummer
V426210
ISBN (eBook)
9783668711112
ISBN (Buch)
9783668711129
Dateigröße
607 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
eu-außenpolitik, europäische, integration, bereich, sicherheits-, verteidigungspolitik
Arbeit zitieren
Anonym, 2018, EU-Außenpolitik. Europäische Integration im Bereich der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/426210

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