Die Arbeitsmarktintegration geflüchteter Menschen in Deutschland

Eine empirische Interviewstudie zu Chancen, Schwierigkeiten und Handlungsvorschlägen


Thèse de Master, 2016

158 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Menschen – eine Herausforderung für Deutschland

Fachliterarische, politische und rechtliche Hintergründe
Aktuelle Situation in Deutschland
Ein Einblick in die derzeitige Lage
Was wird bereits getan für die Arbeitsmarktintegration?
Historische Entwicklung des Asylregimes – Vom Arbeitsverbot zur Arbeitsförderung
Geflüchtete mit Statusunterschied - Kopplung Aufenthaltsstatus und Beschäftigungserlaubnis
Bisherige Erfahrungen mit der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten
Integration und die Rolle des Arbeitsmarktes
Kultur und Sozialisation

Empirische Interviewstudie – Einblick in Erfahrungen von Experten im Bereich Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Menschen in Deutschland
Methodik
Theoretische Einstimmung
Bestimmung des Ausgangsmaterials der Analyse
Fragestellung der Analyse
Hinweise zur Durchführung der Analyse
Analyse und Interpretation
Politische Schlüsselpunkte
Vernetzung und Kommunikation
Endogene Merkmale: Kultur, Sozialisation und Bildung
Akteure: Ehrenamtliche und Unternehmer
Qualifikations- und Bildungsmöglichkeiten
Reflexion des Forschungsprozesses – Wert und Grenzen der Arbeit

Schlussgedanken und Ausblick: Nicht ob, sondern wie
Literaturverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Anhang

Einleitung: Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Menschen – eine Herausforderung für Deutschland

Eine in der neueren Geschichte Europas noch nie dagewesene Zahl an Geflüchteten1 erreichte Europa – und besonders Deutschland – seit 2014 bis heute. Schon im Herbst 2014 ist von der größten Anzahl geflüchteter Menschen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg die Rede (vgl. Leubecher, 2015). Wieder und wieder konfrontierten uns die Medien seit Sommer 2015 mit Bildern von Geflüchteten, die zeitweise zu hunderten und tausenden pro Tag die Grenze zu Deutschland passierten. Jubelnd „Germany“ rufend, als hofften sie auf ‚das gelobte Land‘, und Bilder von Angela Merkel schwenkend, die manche „Mama Merkel“ nannten. Auch im Ausland bemerkte man die große Begeisterung und Hilfsbereitschaft, die durch die deutsche Bevölkerung ging, die neue deutsche „Willkommenskultur“ (vgl. „Germany! Germany!“, 2015). Aber bald mischten sich diese Bilder päckchenverteilender Menschen mit Pegida-Demonstrationen, „all refugees welcome“-Rufe wurden von populistischen und rechtsradikalen Aussagen übertönt und wo helfende Hände aufgebaut hatten, steckten andere Flüchtlingsheime in Brand2. Nach der Zeit der großen Euphorie und der großen Wut, des Aufrüttelns und Durchrüttelns, das eine derart neue Situation mit sich bringen kann, gewinnt man im Frühjahr 2016 den Eindruck, als sei etwas Ruhe eingekehrt. Man beginnt, sich mit der neuen Situation zu arrangieren. Und nun beginnt erst die eigentliche große Aufgabe für Deutschland, die viele Jahre, viele Reformen und viel Einsatz erfordern wird: eine umfassende Integration der Neuankömmlinge in Deutschland zu ermöglichen.

Aufgrund der Aktualität mag es sein, dass derzeit viele neue Studien und Fachliteratur zum Thema „Flüchtlinge in Deutschland“ entstehen. Das ist jedoch kein Ausschlusskriterium, um selbst nicht eine solche Arbeit zu verfassen, sondern es zeigt vielmehr die Dringlichkeit der Auseinandersetzung mit diesem Thema, um es von verschiedenen Seiten aus zu beleuchten. Denn wie Gag und Voges (2014) anmerken, beziehen sich derzeitige Studien zum Thema Asyl oft nur auf „sehr spezifische Teilaspekte zur Lebenslage von Flüchtlingen und ihren individuellen Bewältigungsstrategien“, auf „Unzulänglichkeiten von Institutionen im Umgang mit der Zielgruppe“ oder auf die „Bewertung innovativer Konzepte“ (Gag & Voges, 2014: 7), während eine Unkenntnis im Bereich Geflüchtete und Arbeitsmarkt bei Institutionen, Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft besteht (vgl. ebd.: 7). Dabei spielt der Zugang zum Arbeitsmarkt eine herausragende Rolle für die Integration (siehe Kapitel Integration und die Rolle des Arbeitsmarktes). Mit eben diesem Thema befasst sich vorliegende Abschlussarbeit im Rahmen des Masters Interkulturelle Kommunikation und Bildung an der Universität zu Köln:

Welche Chancen, Schwierigkeiten und Handlungsvorschläge ergeben sich derzeit in Deutschland für eine Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Menschen?

Inspiriert von einer eigenen Forschungsarbeit im Rahmen des Moduls WM3 an der Universität zu Köln zum Thema Syrian refugee life in Istanbul and their hope for Europe, in der sich herausstellte, dass Geflüchtete in der Türkei keine Arbeitserlaubnis erhalten – was Hauptgrund für deren Flucht aus der Türkei und mannigfaltige Probleme im Land zu sein schien – ,führte zu dem Entschluss, Möglichkeiten der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten in Deutschland näher zu betrachten, damit eine Integration gelingen könne. Der Bezug zum Fach Interkulturelle Kommunikation und Bildung wird in den unterschiedlichen kulturellen und sozialisatorischen Hintergründen gesehen, die Geflüchtete mitbringen und mit denen alle an der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten Beteiligten – vom Mitarbeiter der BA bis zum Mitarbeiter eines Unternehmens – umgehen müssen. Des Weiteren wird dem Bereich Bildung eine herausragende Rolle für den Zugang zum Arbeitsmarkt zugeschrieben.

Vorliegende Arbeit nähert sich dem Thema Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Menschen in Deutschland von einer politisch-rechtlichen und kulturell-sozialisationstheoretischen Perspektive. Durch die empirische Interviewstudie, die im Rahmen dieser Arbeit mit Expertinnen aus dem Bereich Arbeitsmarktintegration geflüchteter Menschen geführt wurde, wird zudem der Blick auf die Bedeutung von Bildungsmaßnahmen sowie von Akteuren der Arbeitsmarktintegration geschärft. Anhand der Ergebnisse der Experteninterviews sowie fachliterarischen, politischen und rechtlichen Hintergründen werden praxisorientierte Chancen, Schwierigkeiten und Handlungsvorschläge aufgezeigt, beleuchtet und in Zusammenhang gesetzt. Ziel dieser Arbeit ist es, dadurch einen Überblick über Faktoren im Bereich Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten zu geben, an denen angesetzt werden sollte, damit eine Teilhabe am Arbeitsmarkt gelingt.

Fachliterarische, politische und rechtliche Hintergründe

Aktuelle Situation in Deutschland

Wer sind die Geflüchteten, die in den letzten Jahren nach Deutschland kamen? Woher kommen sie und warum? Welche Kompetenzen bringen sie mit? Welche Bedeutung haben sie für Deutschland, insbesondere im Bereich Arbeitsmarkt? Was wird bereits getan für ihre Teilhabe am Arbeitsmarkt? Diese Fragen sollen im folgenden Kapitel behandelt werden, das dem kontextualen Einstieg in die Thematik dient.

Ein Einblick in die derzeitige Lage

Nach hohen Asylbewerberzahlen in den 90er Jahren aufgrund des Balkankrieges und vergleichsweise niedrigen Zahlen in der ersten Dekade des 21. Jhdt., war die Anzahl der in Deutschland und Europa Schutzsuchenden seit 2012 wieder gestiegen und erreichte in Deutschland 2015 mit einer Steigerung von 155% gegenüber dem Vorjahr seinen vorläufigen Höchststand von 441.899 Erstanträgen (vgl. Das Bundesamt in Zahlen 2015. Asyl, 2016: 10). Im selben Jahr wurden nur 282.726 Anträge entschieden, davon erhielten 48,5% die Rechtsstellung als Flüchtling und 32,4% wurden abgelehnt (vgl. Das Bundesamt in Zahlen 2015. Asyl, 2016: 34). Die Menschen, die in Deutschland Asyl beantragen, verlassen ihr Heimatland aus unterschiedlichen Motiven. Nach Geis und Orth (2015) kamen im ersten Halbjahr 2015 47% der Asylbewerber aus Westbalkanländern. Vor allem die schlechte wirtschaftliche Situation und Probleme für Minderheiten sowie die Reisefreiheit vieler Balkanländer, die ohne Visum in Deutschland einreisen können, werden hier als Hauptgründe genannt. Jedoch erhielt nur etwa 1% der Asylbewerber aus dem Westbalkan im ersten Halbjahr 2015 einen positiven Asylbescheid. Wie viele Experten aus der Fachliteratur plädieren Geis und Orth (2015) daher für erleichterte Zugangsbedingungen zum deutschen Arbeitsmarkt für Bürger der Westbalkanländer, damit sie gar nicht erst Asylanträge stellen müssen, wodurch das Asyl- und Flüchtlingssystem entlastet würde (vgl. Brücker, 2015) und wieder mehr Kapazitäten für die tatsächlich Verfolgten bereitstünden (vgl. Hinte, Rinne, & Zimmermann, 2015). Die Politik hat indessen den Weg der Ausweitung der „Sicheren Herkunftsländer“ gewählt, in der Hoffnung, die Anzahl der Neuankömmlinge zu minimieren. Dies ist wohl ein wichtiger Faktor für die deutlich niedrigere Anzahl von Asylanträgen aus dem Westbalkan im ersten Quartal 2016. In diesem Quartal gab es über 240.000 Erstanträge auf Asyl in Deutschland. Die meisten Asylbewerber stammten nun aus Syrien (48,4%), Irak (14,8%) und Afghanistan (12,3%). Die vier Länder Syrien, Iran, Irak und Eritrea genießen die höchsten Schutzquoten3 mit jeweils über 50%, bei Eritrea und Syrien sind es sogar über 95%. Menschen aus Syrien, Irak und Eritrea erhalten zum überwiegenden Teil eine Rechtsstellung als Flüchtling nach der UN Flüchtlingskonvention (siehe Kapitel Geflüchtete mit Statusunterschied) ("Asylgeschäftsstatistik für den Monat April 2016", o. J.: 2). Insgesamt sind seit 2013 etwa 1,2 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, von denen 660.000 ein Bleiberecht erhalten haben, was einer Schutzquote von über 50% entspricht (Weise, 2016a).

Welche Bedeutung haben nun diese Entwicklungen für Deutschland? „Zu- bzw. Einwanderung wird fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt ihres volkswirtschaftlichen Nutzens für das in erster Linie als ‚Wirtschaftsstandort‘ begriffene Aufnahmeland bewertet“, so Butterwegge Ch. (2009: 74). Prognosen zur demographischen Entwicklung erwecken den Eindruck, dass Zuwanderer womöglich die einzige Rettung für eine florierende deutsche Wirtschaft und das Sozialsystem sind (vgl. Butterwegge Ch., 2009: 61). Staaten konkurrieren daher um Anwerbung der Eliten und Abschreckung der ‚Armutsmigranten‘ (vgl. ebd.: 74),4 da Armutsmigration als „Existenzbedrohung für den ‚eigenen‘ Wirtschaftsstandort“ gilt (Butterwegge Ch., 2009: 75). Über die Qualifikationsstruktur der Neuzugewanderten liegen derzeit nur bruchstückhafte Angaben vor (vgl. Hinte et al. 2015: 4). Daten der Lawatz-Stiftung von 2014 und des IAB von 2015 zu den Asylbewerbern aus 2013/14 lassen vermuten, dass deren Qualifikationsstruktur alles andere als homogen ausfällt. Zwar haben fast 90% eine Schule und etwa 13% sogar eine Hochschule besucht, dennoch scheinen knapp 60% keine abgeschlossene Berufsausbildung zu besitzen. Hinzu kommt, dass nur 20% bei beruflicher Ausbildung ein Zeugnis vorweisen kann. Auch zwischen den Herkunftsländern gibt es deutliche Unterschiede. Von den Ländern mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit haben 42,5% der in einer Studie aus 2014 befragten Syrer eine Berufsausbildung oder Studium abgeschlossen, laufend oder abgebrochen, aus dem Irak sind es nur 26,8% (vgl. Worbs & Bund, 2016: 5). Bei Menschen aus zentralafrikanischen Staaten oder Eritrea sieht der Bildungsstand noch karger aus (Weise, 2016b).

Deutschland wird sich der Förderung der Geflüchteten aller mitgebrachten Qualifikationsniveaus annehmen müssen, denn der größte Teil der Asylbewerber befindet sich im erwerbsfähigen Alter zwischen 16 und unter 65 Jahren. Im Jahre 2015 betraf dies 73 % der Asylerstantragsteller (vgl. Das Bundesamt in Zahlen 2015. Asyl, 2016: 18). Eine Studie des BAMF zu Asylberechtigten und anerkannten Geflüchteten von 2014 ergab außerdem, dass „berufliche Integration und spezifische Berufswünsche“ mit rund 47% der bei weitem meist genannte Wunsch der Befragten für ihr weiteres Leben ist (vgl. Worbs & Bund 2016: 9).

Soll eine dauerhafte Integration der Geflüchteten gelingen, so muss Deutschland im eigenen und im Interesse der Geflüchteten etwas aus dem Potential dieser Schutzsuchenden machen und ihnen Chancen bieten, vor allem im Bereich Arbeitsmarkt. Dies verlangt eine intensive Investition von Geld, Zeit, Geduld, Umstrukturierung, Neudenken und Neuformung von Rechtsvorgaben und passenden Fördermaßnahmen. Viel wird von den mitgebrachten Qualifikationen und Kompetenzen der Geflüchteten abhängig sein, noch mehr aber wohl davon, wie Deutschland mit diesen Ressourcen umgeht und inwieweit es gelingen wird, Fördermaßnahmen und Qualifizierungen bereitzustellen und auf die Geflüchteten abzustimmen. Hinte et al. (2015) schreiben hierzu: „Die zufällige Zusammensetzung der Flüchtlingsgruppen im erwerbsfähigen Alter bietet allerdings keinerlei Gewähr, dass sie sofort – oder überhaupt – beschäftigungsfähig sind. Hier kommen auf Politik und Wirtschaft, aber auch auf die gesellschaftlichen Akteure, deshalb neue Aufgaben hinsichtlich Profiling, Spracherwerb und Qualifizierung zu“ (Hinte et al., 2015: 2). In der Hoffnung, die Flüchtlingskrise würde Deutschland nicht erreichen, wurden durchgreifende Vorbereitungen der Systeme und Bevölkerung versäumt (vgl. ebd.: 1). Nun entsteht mit der aktuellen Krise Handlungs- und dadurch Reformdruck, der erkennen lässt, dass „der Übergang von einem Abwehr-Regime zu einem Aufnahme- und Integrationsregime nicht einfach ist, weil sich die Mentalitäten und Praktiken in der Verwaltung ändern müssen“ (Thränhardt, 2015: 15). Zugleich ist Deutschland durch seine derzeitige wirtschaftliche Stärke besser für die Aufnahme von Geflüchteten und die Umstrukturierung seiner Migrations- und Flüchtlingspolitik vorbereitet als andere europäische Länder. Es sollte jedoch eine Überforderung vermieden werden. Die direkten Kosten für Geflüchtete werden für den Staat moderat bleiben, da viele Investitionen (z.B. für Wohnungsbau) längst hinfällig waren. Außerdem ergeben Studien, dass sich Investitionen des Staates in Migranten durch spätere Steuern und Sozialbeiträge nicht nur ausgleichen, sondern für den Staat langfristig positiv ausfallen (vgl. Hinte et.al, 2015: 2 und Thränhardt 2015: 5). Je schneller die Menschen in Beschäftigung gebracht werden können (vgl. Hinte et. al, 2015: 2), je besser ihre Ausbildung, je schneller die Anerkennung ihrer Qualifikationen und je ertragreicher ihre Arbeitsplätze desto größer sollte der fiskalische Gewinn für den Staat sein (vgl. Thränhardt 2015: 5). Eine Studie ergab z.B., dass Sprachförderung der Einwanderer sich für den Staat schon nach kurzer Zeit lohnen sollte in Form von höheren Steuer- und Abgabezahlungen. Denn sehr gute Deutschkenntnisse erhöhen den Nettoverdienst um 21%, die Erwerbsbeteiligung um 15% und die Wahrscheinlichkeit gemäß der Qualifikation beschäftigt zu werden um 20% (vgl. Brücker, 2015: 11). Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) von 2010 zeigt auch, dass die Löhne und Erwerbszahlen der Einheimischen durch Zuwanderung nicht etwa sinken, sondern in der Tendenz noch steigen. Gesamtwirtschaftlich gesehen gewinne Deutschland durch die Zuwanderung. Beschäftigungsmäßig sind vor allem langjährig ansässige Ausländer nachteilig von vermehrter Zuwanderung betroffen, da sie häufig mit den Neuzugezogenen um geringer qualifizierte Arbeitsstellen konkurrieren müssen (vgl. Meier-Braun, 2013: 24).

Den beklagten Fachkräftemangel, der vor allem in Gesundheits- und Pflegeberufen, bei Ingenieuren und gewerblich-technischen Ausbildungsberufen zu spüren ist (vgl. Geis und Orth 2015: 19) werden die derzeitigen „Flüchtlingsströme“ nicht rasch beheben können. Zum großen Teil, weil Mangelberufe sich nicht stark mit den mitgebrachten Qualifikationen decken (vgl. Kühne, 2009: 257). Darüber hinaus lässt das Asylrecht keine Auswahl der Bewerber nach Arbeitsmarktnutzen zu und das Recht auf Asyl muss unabhängig von wirtschaftlichen Interessen gelten. Jedoch könnten die größtenteils jungen Zuwanderer dazu beitragen, die Auswirkungen des demografischen Wandels zu mildern (vgl. Hinte et al. 2015: 1f). Solche utilitaristischen Gedanken führen zu der Sichtweise, dass es nicht darum geht, „Migranten ‚einen Gefallen zu tun‘, sondern es geht um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft“ (Meier-Braun, 2013: 25). Dennoch sollte die Integration von Zuwanderern weit über die Kosten-Nutzen-Frage hinausgehen (vgl. Butterwegge Ch., 2009). Denn, „Weltoffenheit kann nicht bedeuten, die Grenzpfähle zu zerstören und alle Personen einwandern zu lassen, beinhaltet aber sehr wohl, dass jedes Land entsprechend seiner durch Wirtschaftswachstum, Reichtum und Wohlstand gebotenen Möglichkeiten den humanitären Mindeststandards für Zuwanderung folgt“ (Butterwegge Ch., 2009: 89). Es sollte hierbei auch darum gehen, Geflüchtete nicht mehr nur als Hilfsbedürftige zu betrachten, die abhängig sind von unserem Mitgefühl und unserer Betreuung, sondern sie als vollwertige „Akteure und Gestalter ihres eigenen Lebens“ (Thränhardt, 2015: 15) zu betrachten. Der Weg in den Arbeitsmarkt ist ein Teil davon.

Was wird bereits getan für die Arbeitsmarktintegration?

Brücker (2015) geht davon aus, dass Deutschland sich auf eine „dauerhafte Flüchtlingszuwanderung auf hohem Niveau einzustellen“ hat (Brücker, 2015: 8), und dass diese Herausforderung nur gelingen kann, wenn alle Akteure, angefangen von den staatlichen Ebenen bis hin zu Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Organisationen miteinander kooperieren und an einem Strang ziehen (vgl. ebd.: 4). Tatsächlich ist im Bereich Arbeitsmarktintegration in den letzten Jahren viel in Bewegung gekommen. Es gibt derzeit eine kaum überschaubare Zahl staatlicher, unternehmerischer und zivilgesellschaftlicher Programme und Maßnahmen zur Förderung der geflüchteten Menschen in Deutschland. So etwa bundesweite Modellprojekte wie das Anfang 2014 von BA und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gestartete „Jeder Mensch hat Potenzial – Arbeitsmarktintegration von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern“ zur Arbeitsmarktintegration und Sprachförderung oder „Early Intervention“ bzw. „Early Intervention NRW+“. Das herausragende Merkmal dieser Programme ist, dass sie sich Personen mit guter Bleibeperspektive gezielt bereits während des Asylverfahrens annehmen5, um sie in die Strukturen zur Arbeitsvermittlung und in passende Qualifikations- und Fördermaßnahmen einzubringen, sowie bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse zu beraten („‚Jeder Mensch hat Potenzial‘ - Aktuelle Meldungen“, 2014) und („‚Early Intervention‘: Pilotprojekt unterstützt Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt“, 2015). Im Projekt „Early Intervention“ werden Spezialisten eigens für den Bereich Arbeitsmarktvermittlung eingestellt. Diese „Talentscouts“ der BA beraten Geflüchtete mit guter Bleibeperspektive und beruflichen Qualifikationen sogar schon in den Flüchtlingsunterkünften („‚Early Intervention NRW+‘ hilft Flüchtlingen beim Weg in den Arbeitsmarkt“, 2015; Driessen & Schwerdtfeger, 2015). Eine wichtige Brücke für die Arbeitsmarktintegration sind Sprachkurse. Dabei geht es auch um „die Qualität und Passgenauigkeit der Sprachförderung“ (Manfred Schmidt, Präsident BAMF bis 09/2015 in: „Integration erleichtern – Sprachliche Hürden abbauen“, 2014, para. 4). Berufsbezogene Deutschkurse wie die des ESF-BAMF-Programms haben genau dies zum Ziel, wenn sie Deutschunterricht, berufliche Qualifizierung und Praktika verbinden (vgl. „ESF-BAMF-Programm“, o. J.). Den Beratungsstellen für die Anerkennung ausländischer Abschlüsse – die Hotline des BAMF „Arbeiten und Leben in Deutschland“ (vgl. „Anerkennung ausländischer Abschlüsse“, 2015), dem Programm „IQ-Integration durch Qualifizierung“ und den Beratungsstellen von BA und Jobcentern wird laut eines Monitorings eine effektive Zusammenarbeit zugestanden. Dennoch ist noch viel zu tun, um „bundesweit verlässliche und transparente Rahmenbedingungen und einheitliche Standards für die Beantragung und Durchführung der Anerkennungsverfahren zu schaffen“ („Integration erleichtern – Sprachliche Hürden abbauen“, 2014, Para. 5).

Solche Pilotprojekte konnten erst durch die politisch-rechtliche Öffnung entstehen, sind aber umgekehrt auch dazu da, Erfahrungen zu sammeln, Hürden zu erkennen und langfristige Strategien zu entwickeln, bevor einschlägige Gesetze in Kraft treten (vgl. „‚Jeder Mensch hat Potenzial‘ - Aktuelle Meldungen“, 2014). Die Hauptorgane für Arbeitsmarkt und Integration, BA und BAMF, wurden, angeregt durch den großen Zustrom Geflüchteter, bereits einigen umfassenden Veränderungen unterzogen. So stehen nun beide Institutionen unter einer Hand, Frank-Jürgen Weise, und eine effektivere Abstimmung und Abwicklung der Prozesse sind dadurch zu erhoffen (vgl. Weise, 2016a). Außerdem soll das BAMF 2016 Tausende neue Mitarbeiter erhalten, um den Bearbeitungsstau bei den Asylverfahren möglichst zügig abzuarbeiten und auch in BA und Jobcentern wird das Personal um 3600 Mitarbeiter erweitert, um angemessene Betreuung für Geflüchtete und deutsche Arbeitslose zu gewährleisten (vgl. Weise, 2016b). Wohlfahrtsverbände wie Caritas und Diakonie laufen auf Hochtouren, bieten Unterstützung und Informationen für die Geflüchteten und für die ehrenamtlichen Helfer, deren es ebenso eine große Zahl gibt. Bereits bestehende Asylarbeitskreise und Flüchtlingsräte (z.B. Kölner Flüchtlingsrat e.V.) haben alle Hände voll zu tun und in fast jedem Stadtteil größerer Städte bilden sich Initiativen mit dem gemeinsamen Ziel, den Neuangekommenen den Einstieg in die Gesellschaft zu erleichtern und den Alteingesessenen Angst und Unsicherheit zu nehmen (z.B. „Flüchtlinge in Köln-Nippes“). Die Qualifizierung der haupt- und ehrenamtlichen Flüchtlingsberater wiederrum hat sich die GGUA-Flüchtlingshilfe mit dem „Projekt Q – Qualifizierung der Flüchtlingsberatung“ auf die Fahne geschrieben (vgl. GGUA Flüchtlingshilfe, o. J.).

Deutschland hat – der gängigen Auffassung von Armutsmigration als Existenzbedrohung zum Trotz (vgl. Butterwegge Ch., 2009: 74f) – in den letzten Jahren seine Tore für Rekordzahlen von um Asyl Bittenden geöffnet. Unter dem Gesichtspunkt des Arbeitsmarktes kann dies einen Aufschwung und eine Erleichterung in Anbetracht der demographischen Entwicklung und des Fachkräftemangels bedeuten. Dabei weist vieles darauf hin, dass die erste Anstrengung der Qualifikation und Vorbereitung der Geflüchteten für den Arbeitsmarkt gelten muss. Hierzu bedarf es großer Umstrukturierungen und Neuorientierungen, nicht zuletzt wegen des jahrelang kultivierten Abwehrregimes, das nun die Transformation in ein Regime intensiver Förderung schaffen muss. Einen Einblick hierzu gibt das folgende Kapitel.

Historische Entwicklung des Asylregimes – Vom Arbeitsverbot zur Arbeitsförderung

Asylpolitik ist seit den 80er Jahren mit den zunehmenden inter- und transnationalen Vernetzungen ein bedeutender und umstrittener Bereich der nationalen Politik, der meist in Zusammenhang mit innerstaatlicher Sicherheit und Wahlkampf gesehen werden muss. Er ist „als einer der wenigen Politikbereiche angesehen, in denen sich noch die Bedeutung von nationalstaatlichen Grenzen und der Erhalt staatlicher Autorität demonstrieren lassen“ (Angenendt, 2009: 43). Industriestaaten, die eine Verschlechterung ihrer Verhältnisse durch Zuwanderung befürchten, betreiben eine „restriktive Zuwanderungspolitik“. Die Regierungspolitik fokussiert sich „auf die Kontrolle der irregulären Wanderungsbewegungen und weniger auf die soziale Integration der Zugewanderten“, was „nicht nur Auswirkungen [hat] auf die Fähigkeit, tragfähige Einwanderungskonzepte zu entwickeln, sondern auch auf den Umgang mit Flüchtlingen“ (ebd.: 44). So wurde jahrzehntelang vehement negiert, dass die Bundesrepublik bereits zu einem Einwanderungsland geworden war (vgl. Butterwegge Ca., 2009: 137), was die Vernachlässigung oder sogar bewusste Verhinderung der Integration von Zugewanderten zur Folge hatte. Der anerkannte Fachkräftemangel bei gleichzeitiger restriktiver Asylpolitik ist einer der daraus folgenden Widersprüche (vgl. Thränhardt, 2015: 7). Durch die Unentschlossenheit der Politik bestanden für Geduldete einige Jahre lang Arbeitsverbot und Arbeitsförderung nebeneinander (vgl. ebd.: 8). Und erst seit gut zehn Jahren werden Geflüchtete ohne gesichertes Bleiberecht durch öffentlich geförderte Programme in Berufsbildung und Arbeitsmarktintegration berücksichtigt (vgl. Gag & Voges, 2014: 7). Überhaupt begannen gezielte Integrationsbemühungen des Staates erst mit Anfang des neuen Jahrtausends. Den Gastarbeitern der 1950er und 60er Jahre gab man keine Integrationsperspektive, da davon ausgegangen wurde, dass sie sich nicht dauerhaft in Deutschland niederlassen würden (vgl. Butterwegge Ca., 2009: 139). Gleichzeitig gab es bis 1980 kein generelles Arbeitsverbot für Asylbewerber (vgl. Thränhardt, 2015: 12). Erst in den frühen 80er Jahren begann eine bewusst restriktive Asylpolitik mit dem Zweck, den einheimischen Arbeitsmarkt vor Zuwanderung zu schützen (vgl. ebd.: 12). Nur Bürgern der EG und später EU wurde im Rahmen der Freizügigkeit eine legale Zuwanderung für ökonomische Zwecke gestattet (vgl. Butterwegge Ca., 2009: 139). Das restriktive Asylregime bedeutete eine „Entmündigung der Asylbewerber“ (Thränhardt, 2015: 11), um möglichst wenig Anreize zur Migration zu schaffen. Nicht nur unterlagen sie einem Arbeitsverbot, auch die Sprachförderung wurde abgeschafft, die Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz abgesenkt und sogar Küchen in den Unterkünften wurden abgebaut, damit sich Asylbewerber nicht selbst Essen kochen konnten. Die Asylsozialberatungsrichtlinie sah vor: „Da der Personenkreis lediglich sozial zu versorgen ist, darf die Beratung und Betreuung keine Maßnahmen umfassen, die der sozialen, sprachlichen oder beruflichen Integration in die deutsche Gesellschaft dienen“ (AsylSozBR in: Thränhardt, 2015: 11)6. Schon 1985 stellte die Interministerielle Kommission Asyl jedoch fest, dass Arbeitsverbot nicht zur Verringerung der Asylbewerberzahlen führte und somit höhere Sozialhilfekosten und womöglich vermehrt illegale Arbeit und Kriminalität verursachte (vgl. Thränhardt, 2015: 13). Infolgedessen trat 1987 das „Gesetz zur Änderung asylverfahrensrechtlicher, arbeitserlaubnisrechtlicher und ausländerrechtlicher Vorschriften“ in Kraft, welches das Arbeitsverbot von Asylbewerbern auf fünf Jahre reduzierte (vgl. ebd.: 13). Die Zuwanderung von Spätaussiedlern und Bürgerkriegsflüchtlingen aus den Balkanstaaten in den 90er Jahren entzündete jedoch erneut eine „Debatte um Restriktionen im Bereich Flucht und Asyl“ (Butterwegge Ca., 2009: 140). Anschläge auf Asylantenwohnheime und der „fremdenfeindliche Zungenschlag im öffentlichen Diskurs“ nahmen zu (Gag & Voges, 2014: 7). Gleichzeitig oder vielleicht im Zuge dessen wurde die Integration der bereits in Deutschland lebenden Migranten größtenteils vernachlässigt (vgl. Butterwegge Ca., 2009: 141). Mit der Jahrtausendwende und dem Bericht der Süssmuth-Kommission der Bundesregierung 2001 trat eine Wende in der Wahrnehmung der Asyl- und Ausländerpolitik ein, wenn auch die Einführung und Umsetzung konkreter Maßnahmen oft ein zähes Vorwärtskommen, manchmal auch ein Rückwärtsgehen zu sein schien (vgl. Thränhardt, 2015; Butterwegge Ca., 2009). Im Jahre 2000 startete die Green Card Initiative, die einer festgelegten Höchstzahl ausländischer IT-Experten einen zeitlich begrenzten Aufenthalt ermöglichte. Deutsche Wirtschaftsexperten waren sich jedoch schon damals einig, dass zur Behebung des Fachkräftemangels ein massiver Zuzug nötig wäre (vgl. Butterwegge Ca., 2009: 144f). Im Januar 2005 trat dann eine umfassende Erneuerung des Ausländer- und Asylrechts in Kraft. Aufenthaltsstati wurden nun erstmals mit unterschiedlichen Regelungen zum Arbeitsmarktzugang verknüpft. So entstanden große Ungleichheiten in den zugestandenen Teilhaberechten zwischen verschiedenen Gruppen Zugewanderter (vgl. Butterwegge Ca., 2009: 148). Andererseits gehörten „Migration und Integration nunmehr erstmalig legislativ und institutionell in einem gemeinsamen Gesetzeswerk zum Katalog politischer Kernthemen“ (Butterwegge Ca., 2009: 150). So sind Sprach- und Orientierungskurse seit 2005 „regulärer und zum Teil auch verpflichtender Bestandteil der deutschen Integrationspolitik“ (Thränhardt, 2015: 21). Seit 2006 tagt der Integrationsgipfel mit Vertretern aus Gewerkschaften, Politik, Migrantenverbänden und Arbeitgeberverbänden, um Fragen und Lösungen zur Integration zu debattieren und vorzulegen. Auch gibt es seit 2007 einen Nationalen Integrationsplan (NIP), der z.B. darauf abzielt, Integrationskurse und frühe Sprachförderung zu verbessern (vgl. Meier-Braun, 2013: 21). In 2008 wurde für Menschen mit Duldung der Erwerb eines Aufenthaltstitels bei Abschluss einer deutschen Berufsausbildung oder bei anerkanntem Hochschulabschluss in einem Bereich, den sie bisher beruflich ausübten, ermöglicht (vgl. Butterwegge Ca., 2009: 163f). Dennoch sieht Kühne (2009) in dieser Zeit eine „unterentwickelte Bereitschaft zahlreicher Arbeitsmarktakteure, sich auch der Flüchtlinge als einer Gruppe gezielt anzunehmen, die nach Beschäftigungsmöglichkeiten sucht“ (Kühne, 2009: 254). Dies sollte sich im Laufe der nächsten Jahre ändern. Von 2008 – 2014 lief das vom Europäischen Sozialfond (ESF) mitfinanzierte „Bleiberechtsprogramm“ für arbeitsmarktliche Unterstützung von Bleibeberechtigten und Flüchtlingen (vgl. Thränhardt, 2015: 8). Doch erst seit 2012 mit dem “Anerkennungsgesetz“ können Migranten ihre ausländischen Abschlüsse überprüfen und anerkennen lassen (vgl. Meier-Braun, 2013: 26). Die OECD bescheinigte der Bundesrepublik dennoch große Fortschritte in der Arbeitsmarktintegration von Migranten in den vergangenen zehn Jahren (vgl. Meier-Braun, 2013. 21f).

Trotz Schwankungen, und wenn auch anfangs zögerlich und wenig konsequent, wurde in Deutschland bereits seit Ende der 80er Jahre der Weg zur Arbeitsmarktintegration von Migranten aus Drittstaaten und Geflüchteten eingeschlagen. Trotzdem dauerte es noch bis 2005, dass Integration auch legislativ als politisches Kernthema definiert wurde. Ein neues und intensives Kapitel der Asylpolitik wurde mit dem starken Anstieg der Asylbewerberzahlen seit 2013 aufgeschlagen und viele der jüngsten Veränderungen wurden davon angetrieben. So kann mit Thränhardt (2015) gesagt werden, dass mit „vielen rechtlichen und politischen Neuerungen (…) in den letzten Monaten in Deutschland eine prinzipielle Abkehr vom Arbeitsverbot hin zur Anerkennung von Arbeit vollzogen worden“ ist (Thränhardt, 2015: 2). Diese Anerkennung von Arbeit ist jedoch seit Januar 2005 heute immer noch mit den unterschiedlichen Aufenthaltsstati verknüpft, was zu einem komplexen System unterschiedlicher Arbeitsmarktzugänge und Arbeitsverbote führt. Dies und weitere themenbezogene Regelungen des aktuellen deutschen Asylrechts werden im nächsten Kapitel beleuchtet.

Geflüchtete mit Statusunterschied - Kopplung von Aufenthaltsstatus und Beschäftigungserlaubnis

„Aufgrund hochkomplexer Rechtslagen in der europäischen sowie der deutschen Gesetzgebung sind für Flüchtlinge die Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe in Deutschland ungleich verteilt, weil sie abhängig von derjenigen gesetzlichen Grundlage sind, die für ihren jeweiligen Status gilt und nach dessen Rechtsnorm sie ein Aufenthaltspapier von der deutschen Bürokratie erhalten“ (Gag & Voges, 2014: 9)7.

Wie obiges Zitat anspricht, ist Asylrecht ein komplexes Feld, in das sich derzeit nicht nur viele neue Mitarbeiter in den Ausländerbehörden und des BAMF, sondern auch viele ehrenamtliche Helfer einarbeiten müssen. Daher stellen viele Organisationen wie der Paritätische Wohlfahrtsverbund, der Informationsverbund Asyl und Migration und die GGUA Flüchtlingshilfe für die jeweiligen Zwecke aufgearbeitete Informationen zur Verfügung.8 Um Schwierigkeiten, Chancen und Handlungsmöglichkeiten zu erkennen und zu verstehen ist ein kurzer, themenbezogener Blick in das deutsche Asylrecht nötig.9

Asylbewerber: Personen, die in einem anderen Staat, dessen Staatsangehörige sie nicht sind, um Schutz vor Verfolgung bitten (vgl. “Asylbewerber: Definition, Begriff und Erklärung im JuraForum.de,” n.d.). Ermessen durch Entscheider des BAMF, darüber, ob das Schutzgesuch berechtigt ist und wenn ja, mit welchem Aufenthaltsstatus dem entsprochen werden kann. Auf Grundlage von Rechtsvorgaben, Anhörungen, Dokumenten und Informationszentren wie das Informationszentrum Asyl und Migration (IZAM) mit Datenbank MILo (vgl. „Das deutsche Asylverfahren,“ 2014: 22ff).

Hat es ein Geflüchteter nach Deutschland geschafft und bittet bei der Polizei oder einer Behörde um Asyl, so wird dies als „Asylgesuch“ oder „Asylbegehren“ bezeichnet. Der Asylsuchende erhält dann als Ausweis eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (BÜMA). Das bundesweite Verteilungssystem EASY ermittelt sodann die zuständige Aufnahmestelle für den Asylbegehrenden. Erst wenn der Asylantrag bei einer ortszuständigen Außenstelle des BAMF gestellt wurde, beginnt das Asylverfahren und der Status Asylbewerber tritt in Kraft (vgl. Kalkmann, 2015: 1).

In den ersten Wochen müssen die Asylbegehrenden bzw. Asylbewerber in Aufnahmeeinrichtungen untergebracht sein. In diesen Einrichtungen erhalten sie für ihre Existenzsicherung vor allem Sachleistungen und einen monatlichen Geldbetrag von 130 Euro. Die Behörden des jeweiligen Bundeslandes entscheiden, ob sie danach weiter auf Gemeinschaftsunterkünfte verteilt werden oder sich eine Wohnung nehmen dürfen. Das BAMF ist für das gesamte Asylverfahren gemäß dem Asylverfahrensgesetz (AsylVG) zuständig und prüft inwiefern und in welcher Art ein Schutzanspruch besteht (vgl. "Das deutsche Asylverfahren," 2014: 5ff).10. Darunter fällt auch das sogenannte Dublinverfahren. Das heißt, es wird überprüft, ob Deutschland oder ein anderes Land der EU, Norwegen oder der Schweiz nach den Dublin-III Bestimmungen für das Asylverfahren zuständig ist.11 Dadurch soll verhindert werden, dass innerhalb Europas mehrere Asylanträge von einer Person gestellt werden. Wenn eines dieser genannten anderen europäischen Länder als für die Person zuständig erkannt wird, so wird sie nach Absprache mit dem betroffenen Land dorthin überführt. Allerdings gibt es auch hier Ausnahmen: So gehen seit 2011 keine Abschiebungen im Rahmen des Dublinverfahrens von Deutschland nach Griechenland. In einem solchen Falle übernimmt Deutschland das Asylverfahren selbst (vgl. Kalkmann 2015: 3f). Residenzpflicht gilt für Asylsuchende seit Anfang 2015 nur noch für die ersten drei Monate nach Antragsstellung. In dieser Zeit dürfen sie die Stadt oder den Landkreis ihres Aufenthaltes nur mit behördlicher Genehmigung verlassen. Nach Ablauf der drei Monate dürfen sie sich auch ohne Zustimmung der Behörde innerhalb Deutschlands frei bewegen. Dennoch gilt für Asylsuchende auch nach dieser Frist eine Wohnsitzauflage, die bestimmt, dass die Betroffenen nur mit Genehmigung durch einen „Umverteilungsantrag“ den ihnen zugewiesenen Wohnort wechseln dürfen (vgl. Kalkmann 2015: 3).

Für die Zeit des Asylverfahrens erhalten Asylbewerber eine Aufenthaltsgestattung, die bestätigt, dass ihnen zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt in Deutschland gestattet ist („AsylG § 55 Aufenthaltsgestattung“, o. J.) und die ihnen gleichzeitig als Ausweis dient (vgl. „Das deutsche Asylverfahren“, 2014: 7). Asylverfahren dauerten 2014 im Durchschnitt 7,1 Monate (vgl. Thränhardt, 2015: 2). Seit Dezember 2014 ist jedoch eine Schnellbearbeitung des Asylantrags für Geflüchtete aus Syrien innerhalb von zwei Wochen vorgesehen (vgl. Thränhardt, 2015: 20). Zur Bestimmung der Identität und Staatsangehörigkeit, die Voraussetzung ist für die Entscheidung des Asylantrags, unterliegt der Antragssteller einer Mitwirkungspflicht bei der Beschaffung von Dokumenten und Urkunden (vgl. „Das deutsche Asylverfahren,“ 2014: 8). Asylsuchende mit BÜMA, Asylbewerber mit Aufenthaltsgestattung und Personen mit Duldungsstatus müssen für den Zugang zum Arbeitsmarkt, eine Arbeitserlaubnis von der zuständigen Ausländerbehörde einholen. Zusätzlich brauchen sie für die jeweilige ihnen angebotene Stelle eine Zustimmung der Arbeitsagentur, die erstens prüft, ob die Beschäftigungsbedingungen mit dem derzeitigen Recht übereinstimmen, ob also z.B. der Mindestlohn bzw. ein orts- und tätigkeitsbezogen üblicher Lohn gezahlt wird und die zweitens eine Vorrangprüfung12 durchführt. Die Vorrangprüfung klärt ab, ob sich für den Arbeitsplatz, für den der Asylbewerber eingestellt werden soll, innerhalb einer festgesetzten Zeit kein deutscher Staats- oder EU-Bürger bewirbt, der ebenfalls geeignet wäre (vgl. „Vorrangprüfung für weitere Mangelberufe ausgesetzt“, o. J.). Der Duldungsstatus ist kein Aufenthaltstitel, kann jedoch nach mehrjähriger Duldung und nachweislicher Integration in einen solchen überführt werden. Duldung bedeutet, dass die Abschiebung eines Ausländers wegen rechtlichen oder tatsächlichen Ausreisehindernissen vorübergehend ausgesetzt wird, jedoch keine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erteilt werden kann („Ausländer - Duldung: Definition, Begriff und Erklärung“, o. J.).13 Bei Personen mit Duldungsstatus entfällt die Drei-Monats-Frist bei Beschäftigungen, die ohne Zustimmung der Arbeitsagentur möglich sind, wie Praktika, Berufsausbildung und Freiwilligendienst („Häufige Fragen - Gibt es Ausnahmen, in denen eine Zustimmung der Arbeitsagentur nicht notwendig ist?“, o. J.). Nach vier Jahren Aufenthalt ist in der Regel ebenfalls keine Zustimmung der Arbeitsagentur mehr nötig. Ein generelles Beschäftigungsverbot besteht aber dann, wenn Personen mit Duldungsstatus ihren Mitwirkungspflichten, z.B. bei der Beschaffung von identifizierenden Dokumenten nicht nachkommen („Häufige Fragen - Welche Zugangsbedingungen zum Arbeitsmarkt bestehen für Personen, die eine Aufenthaltsgestattung oder eine Duldung besitzen?“, o. J.).14

In dieser Arbeit werden bezüglich der Arbeitsmarktintegration sowohl im Asylverfahren und im Duldungsstatus befindliche Geflüchtete und als auch diejenigen mit Aufenthaltserlaubnis meist gemeinsam betrachtet, da sich außerhalb des rechtlichen Bereichs viele gemeinsame Schwierigkeiten und Chancen ergeben. Im rechtlichen Bereich gestaltet sich der Arbeitsmarktzugang für Geflüchtete jedoch deutlich einfacher, sobald eine Aufenthaltserlaubnis in Form eines Flüchtlingsstatus, Status als Aslyberechtigter oder als subsidiär Schutzberechtigter besteht. Im Folgenden sollen daher die wichtigsten Unterscheidungen von Aufenthaltstiteln kurz betrachtet werden.

Flüchtlingsstatus. Deutschland hat durch § 3 Abs. 1 AsylVfG die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und das New York Protokoll von 1967 in seinem nationalen Recht verankert.15 Die Prüfung wird vom BAMF durchgeführt (vgl. „Das deutsche Asylverfahren“, 2014: 20f). Wer Flüchtlingsschutz erhält, bekommt einen dreijährigen Aufenthaltstitel. Danach erteilt die Ausländerbehörde eine Niederlassungserlaubnis, wenn die Gründe für den Schutz nicht weggefallen sind. Die Existenzsicherung eines rechtlich anerkannten Flüchtlings wird nicht mehr im Asylbewerberleistungsgesetz gefasst, sondern er erhält die gleichen Sozialleistungen wie deutsche Staatsangehörige. Es besteht ein unbeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt und somit ist auch keine Erlaubnis zur Beschäftigung mehr nötig. Er besitzt außerdem Anspruch auf einen Platz im Integrationskurs und der Familiennachzug ist erleichtert (vgl. ebd.: 44f).

Flüchtling ist, wer “owing to a well-founded fear of being persecuted for reasons of race, religion, nationality, membership of a particular social group or political opinion, is outside the country of his nationality and is unable or, owing to such fear, is unwilling to avail himself of the protection of that country; or who, not having a nationality and being outside the country of his former habitual residence as a result of such events, is unable or, owing to such fear, is unwilling to return to it’’ (Convention and Protocol, 1951/1967: 46)

Asylberechtigter. Das deutsche Grundgesetz, Art. 16a Abs. 1 GG bezeichnet als asylberechtigt „politisch Verfolgte“. Demnach ist asylberechtigt, „wer im Falle der Rückkehr in das Land seiner Staatsangehörigkeit oder als Staatenloser in das Land seines gewöhnlichen Aufenthalts einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung ausgesetzt sein wird, die wegen seiner Rasse, Nationalität, politischen Überzeugung, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erfolgt, und der Eingriff vom Staat ausgeht, ohne eine Fluchtalternative innerhalb des Heimatlandes oder ander­weitigen Schutz vor Verfolgung zu haben“ („Das deutsche Asylverfahren,“ 2014: 20)16.Wird ein Asylbewerber als Asylberechtigter anerkannt, so genießt er die gleichen Rechte wie Personen mit Flüchtlingsstatus.

Subsidiär Schutzberechtigter. Dies betrifft nach dem Asylverfahrensgesetz § 4 Abs. 1 diejenige Person, der „im Herkunftsland ein ernsthafter Schaden17 ‚durch wen auch immer‘ droht und er den Schutz seines Heimatlandes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen der Bedrohung nicht in Anspruch nehmen will, wenn keine Ausschlussgründe vorliegen“ (ebd.: 21).18 Subsidiärer Schutz wird in Form einer Aufenthaltserlaubnis für 1 Jahr gewährt und ist von der Ausländerbehörde um bis zu zwei Jahre verlängerbar (vgl. ebd.: 21). Arbeitsmarktrechtlich und sozialrechtlich genießt dieser Personenkreis für die Dauer ihrer Aufenthaltserlaubnis die gleichen Rechte wie anerkannte Flüchtlinge und Asylberechtigte. Lediglich der Familiennachzug wird restriktiver gehandhabt, ist aber unter bestimmten Voraussetzungen möglich (vgl. ebd.: 44f).

Abschiebungsverbot. Diese Aufenthaltserlaubnis von mindestens einem Jahr wird dann erteilt, wenn „eine Abschiebung eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)“ oder „erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit“ (ebd.: 21) bedeuten würde. Beschäftigung ist möglich, bedarf jedoch der Erlaubnis durch die Ausländerbehörde („Nationales Abschiebungsverbot“, 2016).

Keine Aufenthaltserlaubnis wird hingegen bei einer vollständigen Ablehnung des Asylantrags erteilt. Damit einher geht eine Ausreiseaufforderung durch das Bundesamt und somit ein Arbeitsverbot. Neben einer Ablehnung besteht ein Beschäftigungsverbot für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten, die ab 1.9.2015 einen Asylantrag stellten (vgl. "Integration von Flüchtlingen", 2015).

Gag & Voges (2014) nennen die je nach Aufenthaltsstatus unterschiedliche Rechtslage eine „hierarchisch abgestufte (…) Benachteiligungsskala“ (Gag & Voges, 2014: 9) bei der vor allem im Asylverfahren befindliche und Personen mit Duldung benachteiligt werden. Jedoch hat sich in den letzten Jahren gerade auch zu Gunsten dieser Gruppen rechtlich einiges geändert. So sind Personen mit BÜMA (Asylsuchende) und mit Aufenthaltsgestattung (Asylbewerber) rechtlich gleichgestellt und fallen in Sachen Arbeitsmarktintegration in den Zuständigkeitsbereich der Arbeitsagentur, wie auch Menschen mit Duldungsstatus. So sind frühzeitige Leistungen aktiver Arbeitsförderung für Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive ermöglicht. Sobald eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde, fällt die Arbeitsförderung dann in den Bereich der Jobcenter (vgl. "Integration von Flüchtlingen", 2015). Ein wichtiger Schritt war auch die Öffnung der Integrationskurse für Asylbewerber und andere Personengruppen mit guter Bleibeperspektive – allerdings nur bei freien Plätzen („Integrationskurs für Asylbewerber“, o. J.). Die Arbeitssperre wurde für Asylbewerber und Geduldete im November 2014 von neun bzw. zwölf auf drei Monate verkürzt. Sie stehen somit fast von Beginn an dem Arbeitsmarkt rechtlich zur Verfügung und haben daher Anspruch auf Beratung und Vermittlung und auf viele Fördermaßnahmen des SGB III. Wie ungewiss manche amtliche Formulierungen sind, kann daran gesehen werden, dass der Vermerk „Beschäftigung nicht gestattet“ auf einer Aufenthaltsgestattung kein Arbeitsverbot bedeuten muss, sondern eine Beschäftigung erlaubt werden könnte, würde ein Antrag gestellt ("Zugang zum Arbeitsmarkt", Betriebliche Ausbildung, Para. 4, o. J.).19 Wirtschaftsverbände und humanitäre Organisationen indessen sprechen sich für eine vollständige Aufhebung des Beschäftigungsverbots und des nachrangigen Arbeitsmarktzugangs aus (vgl. Thränhardt, 2015: 6).

Die rechtliche Situation ist komplex und einer Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Menschen nicht immer förderlich, dennoch hat es in den letzten Jahren bereits einige Erleichterungen gegeben, die Tore zum Arbeitsmarkt geöffnet haben. Dass aber mehr als die politisch-rechtliche Öffnung für eine erfolgreiche (Arbeitsmarkt)Integration notwendig ist, zeigen die folgenden Kapitel.

Bisherige Erfahrungen mit der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten

„Ein Verlust an Bildungspotenzial und ständige Unterforderung führen zu Dequalifizierung und De­motivierung“ (Hadeed, 2006: 22)20.

Eine Studie mit Asylberechtigten und jüdischen Kontingentflüchtlingen von 2004 in Niedersachsen – also noch vor der umfassenden Erneuerung des Asylrechts in 2005 – zeigt ein geringes Maß sozialer und beruflicher Integration selbst bei hochqualifizierten Geflüchteten trotz unbefristeter Aufenthaltserlaubnis und dem de jure verfügbaren Zugang zu Fördermaßnahmen. Anwar Hadeed, Leiter der Studie, sieht jedoch „keine Anzeichen dafür, dass dies auf mangelnde Motivation bzw. sinkende Eingliederungsbereitschaft bei den Befragten zurückzuführen ist. Vielmehr sind Defizite bei den Eingliederungsangeboten aus­zumachen“ (Hadeed, 2006: 21f). Auch Hinte et al. (2015) konstatieren fast zehn Jahre später eine „überdurchschnittliche Motivation von Flüchtlingen, sich in der neuen Heimat eine gesicherte Existenz aufzubauen“ (Hinte et al., 2015: 7) und weisen auf den Zusammenhang von Motivlage und Integrationsfähigkeit von Einwanderern hin. Doch selbst Geflüchtete mit Qualifikationsprofilen in medizinischen Berufen (8,1% der Befragten) oder im EDV-Bereich (6,8%), also Profile für die in Deutschland ein Fachkräftemangel besteht, finden häufig keinen Zugang zum Arbeitsmarkt. Für viele bedeutet dies jahrelange Arbeitslosigkeit. Von den 260 Befragten der Studie waren nur 34% berufstätig, davon etwa 19% Vollzeit und die anderen in Teilzeit oder auf 325-Euro-Basis.21 Im Vergleich dazu übten im jeweiligen Herkunftsland 86% einen Beruf aus und 72% arbeiteten entsprechend ihrer Qualifikation. Der Migrationsprozess bedeutet für diese Menschen also einen „dramatische[n] Bruch innerhalb der beruflichen Laufbahn“ (Hadeed, 2006: 21). Gründe dafür sind, dass nur bei 35% der Befragten eine Anerkennung ihrer im Heimatland erworbenen Qualifikationen stattgefunden hat, fehlende Kenntnisse zur möglichen Nutzung mitgebrachter Fertigkeiten, Sprachdefizite in Deutsch und die ungenügende Abstimmung von Förderangeboten auf eine berufliche Integration.22 Ein interessanter Punkt ist zudem, dass es gerade für diese höher Qualifizierten zu wenig Qualifizierungsangebote gibt. Während den bereits im Land sich befindenden Geflüchteten mit IT-Profil (vor allem den Geduldeten) eine Arbeitserlaubnis verweigert wurde, bemühte sich Deutschland mit Green-Card und Blue-Card Aktionen Fachkräfte aus dem Ausland zu holen (vgl. ebd.: 21).23 Hadeed spricht gegenüber Geflüchteten von einer „Abschottung des Beschäftigungssys­tems, woraus eine soziale und ökonomische Marginalisierung der Migranten resultiert“ (ebd.: 22).

Qualifikationsübergreifend differieren Studien zur Anzahl Geflüchteter, die überhaupt Berufserfahrung in Deutschland machen stark. So spricht eine Studie der IAB 2015 von 30%, die Lawaetz-Stiftung 2014 von 40% (vgl. Hinte et al., 2015: 6) und eine Untersuchung des BAMF 2014 von etwas mehr als einem Drittel24 der Geflüchteten (vgl. Worbs & Bund, 2016). Eine von Herbert Brücker in 2014 geführte Umfrage der BA spricht sogar von 50% der Geflüchteten in Beschäftigung (vgl. Thränhardt, 2015: 24). Die Tätigkeiten entsprechen überwiegend einem niedrigen bis mittleren Qualifikationsniveau und sind auf wenige Branchen wie Reinigung, Gastronomie, Logistik und Verkauf von Lebensmitteln eingeschränkt. Frauen machen nur einen geringen Anteil der erwerbstätigen Geflüchteten aus (vgl. Worbs & Bund, 2016).25 Die Erfassung der Beschäftigtenzahlen ist jedoch auch für die Behörden problematisch, da sogar in der Arbeitslosenstatistik der Aufenthaltsstatus erst seit Juni 2016 erfasst wird. Über 130.000 arbeitslose Geflüchtete waren im Juli 2016 bei den Jobcentern registriert (Grah, 2016, Direkt angestellt statt Praktikum para. 3). Gleichzeitig zeigt sich ein Wille, beruflich voranzukommen darin, dass in den letzten Jahren etwa ein Drittel der Migranten in Deutschland noch einen (weiteren) Bildungsabschluss erwarben (vgl. Brücker, 2015: 12). Der Partizipation von Geflüchteten am Arbeitsmarkt könnte durch eine gezielte Förderung sicher noch nachgeholfen werden. Soweit Qualifizierungsmaßnahmen bestehen, weisen Geflüchtete hohe Erfolgsquoten zum Beispiel beim Spracherwerb auf, wie Zahlen zur Anzahl ausgestellter Sprachzertifikate zeigen (vgl. Kühne, 2009: 257).

Eine Ahnung des mutmaßlichen Förderbedarfs, ergibt sich auch daraus, dass 30% der Gesamtheit junger Migranten in Deutschland die Schule ohne Schul- oder Berufsabschluss beenden. Im Vergleich zu Schülern ohne Migrationshintergrund gibt es somit unter den Schulabgängern mit Migrationshintergrund doppelt so viele ohne Abschluss. (vgl. Meier-Braun, 2013: 26). Ebenso ist eine geringere Ausbildungsbeteiligungsquote unter Migranten und wenig Anteil an hochqualifizierten Positionen oder im öffentlichen Dienst festzustellen (vgl. Heckmann, 2015: 103). Insgesamt ist die Arbeitslosigkeit von Ausländern im Vergleich zu Einheimischen doppelt so hoch (vgl. ebd.: 100). Gründe hierfür sind jedoch nicht im ethnischen, sondern im ökonomischen und sozialen Hintergrund zu suchen, was bedeutet, dass „eigentlich der soziale Status und die Ressourcenverfügbarkeit Formen der Benachteiligung bedingen und nicht die ethnische Zugehörigkeit“ (Hurrelmann & Bauer, 2015: 201f). Denn bei gleichem Sozialprofil (z.B. Bildung der Eltern) zeigen Schüler mit und ohne Migrationshintergrund keine Unterschiede in schulischen Leistungen (vgl. ebd.: 202). Dieses Argument wird gestützt durch die Tatsache, dass im internationalen Vergleich vor wie auch nach 1975 eher geringer qualifizierte Personen nach Deutschland eingewandert sind (Heckmann, 2015: 100). Das rührt möglicherweise daher, dass seit den 90er Jahren Geflüchtete vor allem in niedrig qualifizierten sozialversicherungspflichtigen Berufsfeldern begehrt sind. Dazu gehören Gebäudereinigung, Systemgastronomie, Taxigewerbe, Gesundheits- und Pflegeberufe und produktionsnahe Dienstleistungen. Studien in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit ergaben, dass auch unter solchen Umständen Geflüchtete in diesen Bereichen beschäftigt werden (vgl. Kühne, 2009: 256). So zeigt sich jedoch nach Kühne (2009) eine Spaltung des Arbeitsmarktes in einen primären Sektor mit hochqualifizierten Jobs, zu dem nur Deutsche und privilegierte Migranten Zugang haben und einen sekundären Sektor mit Niedriglohnarbeit und angelernten Tätigkeiten, an dem sich auch Geflüchtete wiederfinden. Viele Geflüchtete gehören jedoch noch zu einer dritten Gruppe der „Entbehrlichen“, die dauerhaft arbeitslos sind und ein großes Potential für die Schattenwirtschaft bedeuten (vgl. ebd.: 255). Theoretische Erklärungen für diese benachteiligte Stellung von Menschen mit Migrationshintergrund im Arbeitsmarkt werden in Heckmann (2015) dargestellt. Eine davon ist die der „Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft“: Migranten waren und sind häufig Produktionsarbeiter. Gerade in der Produktion werden jedoch durch teilweise anspruchsvolle technische Veränderungen vor allem weniger ungelernte Arbeiter gebraucht. Eine andere These ist die der „historischen Platzierung“ und geringen sozialen Mobilität im Generationenverlauf wodurch sich die benachteiligte Stellung reproduziert. Zur Überwindung historisch bedingter Benachteiligungen braucht es gezielte Förderung. In der Unterlassung solcher Fördermaßnahmen wiederrum sieht die These der strukturellen Diskriminierung einen Anhaltspunkt selbst bei Abwesenheit von individueller oder institutioneller Diskriminierung die geringe Beteiligung am Arbeitsmarkt zu begründen (vgl. Heckmann, 2015: 103ff).

Dieser kurze Einblick in bisherige Erfahrungen mit der Arbeitsmarktintegration sowie in theoretische Erklärungen zur benachteiligten Stellung von Geflüchteten soll helfen, die Herausforderungen der Gegenwart klarer zu erkennen. Als Voraussetzung dafür, Geflüchteten den Zugang zum Arbeitsmarkt nicht nur gesetzlich zu gewähren, sondern ihn auch praktisch zu realisieren. Dies führt uns direkt zu den Fragen, was Integration eigentlich bedeutet, wie sie gelingt und warum gerade die Integration in den Arbeitsmarkt essentiell für die geflüchteten Menschen wie für die Aufnahmegesellschaft ist. Dies wird folgendes Kapitel behandeln.

Integration und die Rolle des Arbeitsmarktes

„Entscheidender Indikator sozialer Integration in einer von ökonomischen Austauschbeziehungen geprägten Aufnahmegesellschaft ist das Recht bzw. die Möglichkeit, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen“ (Kühne, 2009: 253).26

Wie der Autor obigen Zitats gehen auch viele andere von der starken Verwobenheit zwischen gesellschaftlicher und beruflicher Integration aus. So sagt Butterwegge (2009), dass „die Inklusion zuwandernder Personen ganz entscheidend von deren Integration auf dem Arbeitsmarkt“ abhängt (Butterwegge Ch., 2009: 63), da Deutschland ein „Sozialversicherungsstaat“ ist, in dem es leichter ist, Sozialleistungen als die Staatsbürgerschaft zu erhalten. Auch Promberger (2008) spricht von der „integrierende[n] Wirkung der Erwerbsarbeit“ (Promberger, 2008: 7). Und Seifert (2007) sieht „Partizipation am Arbeitsmarkt“ als „die wichtigste Voraussetzung für die Integration der in Deutschland lebenden Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund“ (Seifert, 2007: 12). Er weist darauf hin, dass die Arbeitsmarktintegration bisher noch nicht gelungen sei, da Studien zu Bildungsabschluss und Erwerbstätigkeit zeigen, dass zwischen Einheimischen und Zugewanderten eine hohe Ungleichheit bei der Verteilung über die Qualifikationsstufen am Arbeitsmarkt besteht (vgl. ebd.: 12f). Heckmann (2015) bezeichnet Erwerbstätigkeit als die „zentrale Dimension (…) der gesamten Sozialintegration“, denn die „materielle Reproduktion des Lebens ist eine funktionale Notwendigkeit von Gesellschaften. (…) Die Teilnahme an diesen Prozessen und vor allem die Stellung und hierarchische Position, die man darin einnimmt, sind folglich zentral für den gesellschaftlichen Status jedes Mitglieds einer Gesellschaft und derjenigen, die – wie die Migranten – dabei sind, einen vollen Mitgliederstatus zu erwerben“ (Heckmann, 2015: 95).

Was umfasst aber der so häufig verwendete Begriff „Integration“? “Integration (lat. integrare = wiederherstellen, Herstellung eines Ganzen) ist die Zusammenführung des ‚Verschiedenen‘, wobei das Verschiedene als solches kenntlich bleibt“ so Meier-Braun (2013: 16). Der Prozess der „Herstellung des Ganzen“ soll dabei von Seiten der Zuwanderer und der Einheimischen erfolgen. Lebensverhältnisse sollen sich dadurch aneinander angleichen und Chancengleichheit geschaffen werden (vgl. ebd.: 16). Gag & Voges (2014) hingegen kritisieren den Begriff „Integration“, den sie als Leistung, die „von den Individuen an die von der Mehrheit geprägten Gesellschaft erbracht werden soll“ verstehen (Gag & Voges, 2014: 11). Was andere Autoren unter „Integration“ verstehen, bezeichnen sie daher lieber mit dem Begriff „Inklusion“, was aus dem Bereich der Menschen- und Behindertenrechtsbewegung stammt (vgl. ebd.: 11). Weitere Begriffe, mit denen jeweils andere Schwerpunkte gesetzt werden sind beispielsweise Assimilation und Akkulturation (vgl. Heckmann 2015: 69ff). Gemäß der gängigen Praxis in staatlichen und nicht-staatlichen Einrichtungen, die mit Arbeitsmarkt und Geflüchteten zu tun haben, bedient sich diese Arbeit jedoch des Begriffes „Integration“.27 In der allgemeinen Soziologie ist Integration der Zusammenhalt unverzichtbarer Teile eines Ganzen, die in wechselseitiger Interdependenz stehen (vgl. Esser, 2000: 261). Integrationsprozesse werden somit in der funktionalistischen Sozialtheorie als „funktionale Notwendigkeit für das Überleben jeglicher sozialer Systeme“ begriffen (Heckmann, 2015: 70). Hierbei kann zwischen System- und Sozialintegration unterschieden werden, wobei im Folgenden der Begriff „Sozialintegration“ genauer definiert werden soll. Sozialintegration beschreibt den Erwerb gesellschaftlicher Mitgliedschaft durch Individuen, bezieht sich also „auf die Art und Weisen, wie diese als Hinzukommende mit dem bestehenden System sozioökonomischer, rechtlicher und kultureller Beziehungen und Institutionen verknüpft werden“ (ebd.: 70). Nach Esser (vgl. 2000: 272ff) können für die Analyse der Sozialintegration vier Dimensionen unterschieden werden, die alle miteinander verknüpft sind und zueinander in „wechselseitigen Kausalbeziehungen“ stehen (Heckmann, 2015: 73): Kulturation, Platzierung, Interaktion und Identifikation. Heckmann (2015) benennt dieselben vier Grundprozesse als kulturelle, strukturelle, soziale und identifikative Integration (vgl. ebd.: 72). Kulturation oder kulturelle Integration bezeichnet den „Erwerb von Kenntnissen, kulturellen Standards und Kompetenzen durch das Individuum, notwendig für die Fähigkeit, erfolgreich in der Gesellschaft handeln zu können“ (ebd.: 71). Dazu gehört beispielsweise auch der Erwerb von Sprachkompetenzen und bezieht sich vor allem, aber nicht ausschließlich auf die Zugewanderten (vgl. ebd.: 72f). Kulturation ist somit Voraussetzung für Platzierung oder strukturelle Integration und profitiert wechselwirkend von dieser. Strukturelle Integration bezieht sich auf „den Erwerb und die ‚Qualität‘ der Mitgliedschaft in den Kerninstitutionen der Aufnahmegesellschaft (…) das Bildungs- und Ausbildungssystem, Wirtschaft und Arbeitsmarkt, die sozialen Sicherungssysteme, der Wohnungsmarkt sowie die politische Gemeinschaft, deren Mitgliedschaft durch Einbürgerung erworben wird“ (ebd.: 72). Interaktion oder soziale Integration wird ebenfalls gefördert durch kulturelle und strukturelle Integration, denn sie bezeichnet „die sich in der Privatsphäre entwickelnde Zugehörigkeit der Migranten zur neuen Gesellschaft im Bereich von Freundschaften, interethnischen Eheschließungen, Partnerwahlstrukturen, sozialen Verkehrskreisen und Vereinsmitgliedschaften“ (ebd.: 73). Im Hinblick auf die Dimension der Identifikation oder identifikativen Integration lässt sich eine zeitliche Komponente feststellen (vgl. ebd.: 81), da „Zugehörigkeitsgefühle und Identifizierungsbereitschaften“ (ebd.: 73) erst durch Erfahrungen in den drei anderen Dimensionen und den Umgang damit gefördert, gehemmt oder sogar ins Gegenteil verkehrt werden können. Dies verdeutlicht auch die Bedeutsamkeit einer Offenheit und Bereitschaft der Aufnahmegesellschaft, den Integrationsprozess von Zugewanderten überhaupt zu ermöglichen (vgl. ebd.: 73). Migranten müssen die Regeln der Gesellschaft und ihrer zentralen Institutionen erlernen, aber auch diese müssen sich den Zugewanderten öffnen, um ihre Funktion zu erfüllen (vgl. ebd.: 80). Darüber hinaus kann Integration von Zugewanderten heute als eine Hauptaufgabe der sozialen Marktwirtschaften und Wohlfahrtsstaaten betrachtet werden, nicht zuletzt aus eigenen wirtschaftlichen und sozialen Interessen heraus (vgl. Heckmann, 2015: 98; Butterwegge Ch., 2009: 56). Heckmann (2015) meint diesbezüglich sogar: „Eine starke Wirtschaft und eine entwickelte Sozialpolitik sind ganz allgemein sogar die wichtigsten Bedingungen für gelingende Integration“ (Heckmann, 2015: 109).

Seitens der Zuwanderer entsteht die Motivation zur Integration aus dem Wunsch, in der Aufnahmegesellschaft ein besseres Leben zu leben als im Heimatland. „Integration ist dabei keineswegs immer ein bewusster Vorgang, sondern ergibt sich als kumulatives Ergebnis einer Vielzahl von Entscheidungen, die Lebens-, Arbeits-, Bildungs- und Wohnverhältnisse zu verbessern“ (ebd.: 81). Eine entscheidende Rolle für die Integration spielt dabei die Brauchbarkeit mitgebrachter und in der Aufnahmegesellschaft durch einen erneuten Sozialisationsprozess erworbener Kompetenzen und Ressourcen. Darunter zählen sowohl individuelle Fähigkeiten und berufliche Qualifikationen als auch finanzielle Ressourcen, um beispielsweise Sprachkurse oder Anerkennungsverfahren von Zeugnissen bezahlen zu können, und soziale Beziehungen (vgl. ebd.: 284f). Vorhandene Beziehungen gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, kultureller und persönlicher Natur von Zugewanderten auch ohne Aufenthaltserlaubnis genießen auch rechtlich einen gewissen Schutz28, sie können daher „unter Umständen das Ende der staatlichen Steuerungsmöglichkeiten in Form der Verleihung und des Entzugs der rechtlichen Integration bedeuten, die mit dem Recht zur Legalisierung eines Aufenthalts und zur Aufenthaltsbeendigung bestehen“ (Klaus, 2015: 603). Dies bedeutet, nachweisliche Integration macht eine Legalisierung des Aufenthalts wahrscheinlicher (vgl. ebd.: 605f).

Zusammenfassend kann mit Heckmann’s Worte von erfolgreicher Integration folgendermaßen gesprochen werden:

„Integration ist der Mitgliedschaftserwerb von Zuwanderern in den Institutionen, sozialen Beziehungen und sozialen Milieus der Aufnahmegesellschaft. Integration als Prozess der Mitgliedschaftswerdung und Angleichung der Lebensverhältnisse entwickelt sich schrittweise entlang der Dimensionen der strukturellen, kulturellen, sozialen und identifikativen Integration. Sie erfordert Integrationsleistungen der Migranten und bedarf der Offenheit und Förderung seitens der Aufnahmegesellschaft. Sie ist somit ein wechselseitiger, wenngleich nicht gleichgewichtiger Prozess, der über Generationen verläuft. Integration als Zustand und Ergebnis soll heißen, dass volle und gleichberechtigte gesellschaftliche Mitgliedschaft einer zugewanderten Gruppe in der Aufnahmegesellschaft besteht und sich die Lebensverhältnisse angeglichen haben. Ethnische Herkunft und Migrationshintergrund spielen für Ressourcenverteilung und die Strukturierung sozialer Beziehungen keine Rolle mehr.“ (82)3

Mit Hinte et al. ist hinzuzufügen, dass das erfolgreiche Einbringen der mitgebrachten Kompetenzen in die Aufnahmegesellschaft und –wirtschaft ebenso als gelungene Integration bezeichnet werden kann, denn wenn sich „die verschiedenen Lebensperspektiven und Fähigkeiten von Einheimischen und Zuwanderern auf der Basis der verbindlichen Werte und Regeln Deutschlands ergänzen, kommt es nicht nur zu einer größeren Vielfalt im Alltag – auch die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft nimmt dann zu“ (Hinte et al., 2015: 9).

Wie dieses Kapitel nahelegt ist Integration in den Arbeitsmarkt ein ausschlaggebender Faktor für die gesamtgesellschaftliche Integration. Gleichzeitig ist die strukturelle Integration – zu der auch die Teilhabe am Arbeitsmarkt zählt – eng verknüpft und wechselseitig beeinflusst durch kulturelle, soziale und zuletzt identifikative Integration. Daher ist es möglich, dass ein Ansatz zur Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Menschen (manchmal) zunächst im Bereich der kulturellen Integration (Sprache, Normen, Vorstellungen etc.) ansetzen muss. Das nächste Kapitel wird sich daher in Kürze mit dem Thema Kultur und Sozialisation beschäftigen.

Kultur und Sozialisation

„Also aus meiner Sicht ist das eine Riesenchance für Deutschland, wenn wir uns da geschickt anstellen, (…) die Leute hier zu haben und sie auch zu integrieren und ihnen eine Chance auf Arbeit zu geben. Also das belebt in jeder Hinsicht, aus meiner Sicht, unser Denken und unsere… ja unsere Fertigkeiten und Fähigkeiten auch einfach mal aus einer anderen Perspektive und mit einem anderen Kulturhintergrund eine Sache anzugehen.“ (Expertin C, 2016, Zeile 236-239)

Der kulturelle Hintergrund tritt immer wieder als Schlagwort auf in der Arbeit mit geflüchteten Menschen in Deutschland, auch im Bereich der Arbeitsmarktintegration. So beispielsweise in dem Modellprojekt „Fit für den Job für Flüchtlinge!“ (für anerkannte Flüchtlinge) der rheinland-pfälzischen Integrationskette. Hier heißt es, der Praxisteil des Programms werde durch eine „kultursensible Berufswegeplanung“ ergänzt und es wird darauf hingewiesen, dass ein direkter Ausbildungsstart häufig nicht möglich ist unter anderem wegen der unterschiedlichen „Arbeitskultur“ (vgl. "Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen", o. J.: 10). Dies legt nahe, dass eine interkulturelle Sensibilisierung und interkulturelle Kompetenz der Personen, die mit Geflüchteten arbeiten und der Geflüchteten selbst, auch im Hinblick auf den Zugang zum und die Teilhabe am Arbeitsmarkt sinnvoll oder sogar notwendig ist. In diesem Kapitel soll daher ein kurzer Blick auf Kultur- und Sozialisationstheorien geworfen werden.

Der bekannte Ethnologe Edward T. Hall benennt die „Kulturmerkmale“ Zeit, Kontext und Raum. Unterschiede in diesen Merkmalen zwischen Kulturen können zu Irritationen und Missverständnissen führen. Die Kenntnis dieser Merkmale kann daher das Verständnis im Umgang mit anderen Kulturkreisen und somit die Möglichkeit zur Zusammenarbeit erhöhen. Das Merkmal Zeit bezieht sich auf poly- und monochrone Kulturen. Deutsche und Amerikaner beispielsweise neigen dazu, vorwiegend einer monochronen Vorstellung von Zeit zu folgen. Sie planen, legen abhakbare To-Do-Listen an und managen ihr Zeitbudget. Araber29 z.B. leben eher nach einer polychronen Zeitvorstellung, sie tun viele Dinge gleichzeitig. Wichtig ist nicht, wann etwas erreicht wird, sondern was erreicht wird und daher kann 10 Uhr irgendwann am Vormittag bedeuten. Die Kontext dimension bezieht sich darauf, entweder verdeckt und non-verbal oder explizit und verbal zu kommunizieren. In der arabischen Kultur gibt es beispielsweise viele kontextbezogene Hinweise (High Context), die helfen, den Inhalt von Worten zu verstehen, daher kann hier sehr indirekt, metaphorisch kommuniziert werden. Die deutsche Kultur ist durch low-context gekennzeichnet. Da es wenig kontextbezogene Anhaltspunkte gibt, wird sich hier vorwiegend explizit verbal ausgedrückt. Die dritte Dimension Raum bezieht sich auf unseren Umgang mit Besitz und Territorium, also wie wir Besitz verstehen und wie stark wir ihn und unser Hoheitsgebiet beschützen, sei es im Nationalstaat oder am Schreibtisch. Aber auch, wann wir den Eindruck haben, jemand ist in unseren persönlichen Raum eingedrungen. Araber pflegen z.B. eine kürzere körperliche Distanz als Mittel- und Nordeuropäer (vgl. „Hall’s cultural factors“, o. J.; Heinke, 2011: 51).

Hinzu kommt, dass Araber andere Vertrauensprioritäten haben als Deutsche. Unter ihnen steht die Familie an erster Stelle der Vertrauensskala, denn die Familie, nicht der Staat ist das Sicherheitsnetz bei Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit. Daher wird auch Fremden nicht aufgrund ihrer Funktion in einer Institution vertraut, sondern jeder muss sich das Vertrauen als Mensch erst erwerben. Die Familie wird daher auch vor die geschäftlichen Interessen gestellt (vgl. Heinke, 2011: 41ff). Dies sollten auch Personen bedenken, die mit arabischen Kunden im Bereich Arbeitsmarktintegration zu tun haben. Gewinnen sie das Vertrauen einer Person und gehören somit zum inneren Vertrauenskreis, so werden sie schnell an andere weiterempfohlen. In diesem Zusammenhang kann der Verlust der Familienbande, wie er bei Geflüchteten situationsbedingt sehr oft eintritt, auch einen größeren Verlust für Menschen aus dem arabischen Kulturkreis im Vergleich zum Westlichen bedeuten. Auch die sehr intimen Anhörungen oder der starke Fokus auf die Einzelperson können verunsichern, da Araber über intime Probleme zumeist nur unter Paaren sprechen und bei sämtlichen Unternehmungen im Kollektiv auftreten (vgl. ebd.: 45).

Zusammenfassend bedeutet dies, dass die nach Deutschland geflüchteten Personen in hohem Maße zunächst einen neuen Sozialisationsprozess durchlaufen müssen, da ihr in den Herkunftsländern erworbenes „kulturelles Kapital“ in der Aufnahmegesellschaft nur begrenzt zu verwerten ist. Wollen Sie erfolgreich in der neuen Gesellschaft leben, reicht es nicht aus, sich beruflich anzupassen, sondern sie müssen „vom Spracherwerb bis zum Erlernen verschiedenster gesellschaftlicher Rollen, Symbole und Kommunikationsstile“ alles neu erlernen (Heckmann, 2015: 285). Hierbei ist Sozialisation zu verstehen als „Prozess der Interaktion mit kontextuell und kompositorisch differenzierten Umweltstrukturen, in denen Erfahrungen gesammelt werden, die wiederum die Grundlage für die Ausbildung von Handlungsorientierungen und Kompetenzen sind“ (Hurrelmann & Bauer, 2015: 201). Auch die Beschäftigung in einem Betrieb kann als starkes „Sozialisationsmilieu“ gesehen werden. Dabei spielen u.a. zeitliche, räumliche und dynamische Abläufe, die Möglichkeit des Einsatzes eigener Fähigkeiten, die Art der Bezahlung sowie die interpersonellen Beziehungen eine große Rolle bei der Ausprägung von Handlungs- und Denkweisen im Hinblick auf sich selbst und seine Umgebung (vgl. ebd.: 178).

Empirische Interviewstudie – Einblick in Erfahrungen von Experten im Bereich Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Menschen in Deutschland

Der zweite große Teil dieser Arbeit widmet sich der durchgeführten empirischen Interviewstudie mit Experten aus dem Bereich Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Menschen in Deutschland. Die aus Fachliteratur und Theorie erworbenen Kenntnisse aus dem ersten großen Teil dieser Arbeit dienen als wesentliche Grundlage, um die Aussagen der Experten im Kapitel Analyse und Interpretation kontextual und logisch einzuordnen und daraus fördernde Schlüsse zu ziehen.

Methodik

Theoretische Einstimmung

Bereits zu Beginn des Forschungsprozesses stand eine qualitative empirische Interviewstudie als Ausgangspunkt der zu wählenden Methode(n) fest.30 Qualitative Forschung folgt nicht einem stringent linearen Prozess, sondern ist vielmehr geprägt von einer starken Verwobenheit der einzelnen Bestandteile des Forschungsprozesses (vgl. Flick, 2014: 122f). So ist auch ein fundierter theoretischer Hintergrund31 von der qualitativen empirischen Forschung nicht wegzudenken (vgl. Kalthoff, 2008: 9f). Dabei geht es „nicht um Anwendung von Theorie, sondern um eine Ver wendung von Theorie“ (ebd.: 21). Theorien dienen sozusagen als Brille, die aufgesetzt werden kann, um das empirische Material nach bestimmten Kriterien zu sichten, zu ordnen und zu strukturieren. Mehr noch, durch sie kann dem empirischen Material überhaupt erst eine Mitteilung entlockt werden (vgl. Kalthoff, 2008: 20f). Theorien und die empirisch erhobenen Erklärungen der Akteure stehen im Wechselspiel zueinander, wobei keinem mehr Wertigkeit zugesprochen wird (vgl. ebd.: 21). Dies spiegelt sich auch in dem zirkulären methodischen Vorgehen (vgl. Flick, 2014: 128), wobei Zirkularität als Stärke anzusehen ist, da sie dazu zwingt, permanent zu reflektieren und alle Schritte im Ganzen zu sehen (vgl. ebd.: 126). Das Basisdesign dieser Forschung ist als Momentaufnahme zu sehen, in der eine „Zustandsbeschreibung zum Zeitpunkt der Forschung“ (ebd.: 182) angestrebt wird, die jedoch im Sinne einer Perspektivenerweiterung durch zukunftsgerichtete Handlungsvorschläge aus Empirie und Theorie sowie einer Retrospektive aus der Literatur ergänzt wird.

Nach Sichtung einiger Interviewmethoden wie des narrativen Interviews und des verstehenden Interviews, fiel die Entscheidung schließlich mit Hinblick auf das Forschungsinteresse zu Gunsten des Experteninterviews aus. Da im Experteninterview die Person nicht als solche, sondern in ihrer Eigenschaft als Experte und Repräsentant einer bestimmten Gruppe im Fokus steht und somit der Umfang relevanter Informationen deutlich eingeschränkt wird (vgl. ebd.: 214f), eignet sich diese Form der Befragung besonders zur „Rekonstruktion komplexer Wissensbestände“ (Meuser und Nagel, 2010: 457). Dies beinhaltet die „Erfassung von praxisgesättigtem Expertenwissen, des know how derjenigen, die die Gesetzmäßigkeiten und Routinen, nach denen sich ein soziales System reproduziert, enaktieren und unter Umständen abändern bzw. gerade dieses verhindern, aber auch der Erfahrungen derjenigen, die Innovationen konzipiert und realisiert haben“ (ebd.: 458). Hierin offenbaren sich auch bereits mögliche Analyserichtungen.32

Bestimmung des Ausgangsmaterials der Analyse

Festlegung des Materials. Im Rahmen dieser Arbeit wurden vier Interviews zu je 50 – 60 Minuten mit Experten im Bereich Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Menschen in Deutschland geführt33. Die Experten kommen aus einer staatlichen und einer wohlfahrtsstaatlichen Institution, einem ehrenamtlichen Arbeitskreis und einem Dienstleistungsanbieter für Fördermaßnahmen im Bereich Arbeitsmarktintegration. Es ergab sich, dass alle Interviewteilnehmer weiblich sind, was jedoch für den weiteren Verlauf dieser Forschung als nicht relevant eingestuft wird. Anhand des Interviewleitfadens (siehe Anhang 1) wurden die Expertinnen als Einstieg gebeten, kurz ihre Aufgaben und Tätigkeiten im Bereich Arbeitsmarktzugang für Geflüchtete darzustellen und zu erklären, wie lange sie schon in dieser Rolle sind. Sodann folgten Fragen zum Weg der Geflüchtete in Deutschland von der Jobsuche bis zur Vermittlung, zu Motivation, sowie zu wahrgenommenen Schwierigkeiten, Chancen und Veränderungsvorschlägen im Bereich der Arbeitsmarktintegration für die Geflüchteten und für Deutschland. Abschließend wurde in Abgrenzung zum Arbeitsmarkt eine Einschätzung ehrenamtlicher Arbeit für Geflüchtete erbeten und eine kurze Frage zur Verwendung verschiedener Begriffe mit Bezug auf Zugang zum Arbeitsmarkt gestellt. Der Fragebogen kann in voller Länge im Anhang eingesehen werden. Die Interviews wurden vollständig für die Analyse genutzt. Ziel der Interviews ist es, aus erster Hand Erfahrungen von den im untersuchten Bereich direkt tätigen Experten zu akquirieren. Und somit aus dem Blickwinkel der Praxis Hinweise zu Chancen, Schwierigkeiten und Handlungsvorschlägen zu erhalten, herauszufiltern und zu entwickeln, um diese mit den Erkenntnissen aus der Fachliteratur in Zusammenhang zu bringen, zu untermauern, zu erweitern oder zu hinterfragen.

Analyse der Entstehungssituation - Schritt für Schritt zum Interview. Ursprünglich stand die Frage im Raum, ob im Hinblick auf das Forschungsinteresse Interviews mit Experten oder mit Geflüchteten oder mit beiden Gruppen geführt werden sollten. Es wurde dann der Weg gewählt, zunächst Experteninterviews zu führen in der Annahme, dass Experten in ihrem Bereich einen zugleich umfassenderen Überblick als auch tieferen Einblick in die verschiedenen Bereiche dieser Thematik geben können. Würden nur wenige Interviews mit Geflüchteten an den Anfang der Forschung gestellt – so die Überlegung – so würden womöglich sehr persönliche, eingegrenzte Sichtweisen aufgenommen, die das Bild der Forscherin gleich zu Beginn stark in eine bestimmte Richtung beeinflussen könnten. Mit Experteninterviews wurde daher ein größerer Überblick über die Sach- und Problemlage angestrebt. Die Möglichkeit, später als eine Erweiterung der Perspektive auf den Forschungsgegenstand Interviews mit Geflüchteten hinzuzunehmen, wurde zunächst offengelassen, schließlich jedoch zu Gunsten einer intensiveren Bearbeitung der Experteninterviews fallen gelassen. Um einen Zugang zu Experten im Feld zu verschaffen, wurden bestehende Kontakte, Internetseiten und Veranstaltungen zum Thema genutzt. Im Laufe des Forschungsprozesses wurden insgesamt sieben Experten per Email kontaktiert (siehe Anhang 3), von denen vier zusagten. Die hohe Zusagequote ist wohl auch darauf zurück zu führen, dass zwei der Adressaten über persönliche Kontakte erreicht wurden. Zwei weitere Adressaten meldeten sich mit einer Absage und dem Verweis auf Zeitmangel. Von einer Stelle kam keinerlei Antwort.

Bei der Auswahl der Interviews wurde das theoretische sampling aus der Grounded Theory genutzt (siehe auch Flick, 2014: 186). Die Fälle wurden danach ausgewählt, ob sie weitere Erkenntnisse erwarten ließen. Bewusst wurden Experten im Bereich Arbeitsmarktintegration aus verschiedenen Einrichtungen, mit verschiedenen Herangehensweisen ausgewählt, um so das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Die Experten wurden daher nicht aufgrund der Vergleichbarkeit ihrer Positionen ausgewählt (z.B. nur Arbeitsagentur), sondern unter dem Gesichtspunkt eines vergleichbaren Erfahrungswissens trotz Tätigkeit in unterschiedlichen Institutionen und Positionen. Verbindendes Element ist, dass sie alle direkt im Bereich Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten tätig sind. Darüber hinaus ist durch den Leitfaden des Interviews eine Vergleichbarkeit gegeben (vgl. Meuser und Nagel, 2010: 466).

Das erste, dritte und vierte Interview wurden telefonisch geführt34, wobei sich die Interviewteilnehmer im Büro oder zu Hause befanden. Die Interviewerin bzw. Forscherin befand sich zu Hause am Schreibtisch. Die Interviews wurden vor allem deshalb telefonisch durchgeführt, weil sich die Interviewerin im Ausland aufhielt. Die Gesprächsatmosphäre war jeweils entspannt und freundlich. Eine Interviewteilnehmerin äußerte daraufhin den Wunsch, sich nach Abgabe der MA-Arbeit weiter über dieses Thema zu unterhalten und Ergebnisse zu erfahren. Das zweite Interview wurde auf Wunsch der Interviewteilnehmerin face-to-face in Büroräumen ihres ehemaligen Arbeitsortes durchgeführt. Auch hier war die Situation entspannt und respektvoll. Die Teilnahme an den Interviews beruhte selbstverständlich auf Freiwilligkeit.

Vor jedem Interview wurde eine Einverständniserklärung zum Datenschutz ausgehändigt (siehe Anhang 4), in dem die Befragte sich per Unterschrift mit der Aufnahme durch Diktiergerät, der Verwendung in der Masterarbeit und etwaigen weiteren wissenschaftlichen Veröffentlichungen sowie der Anonymisierung von Namen und Orten einverstanden erklärte.

Das Experteninterview wurde anhand eines Leitfadens geführt. Der Leitfaden bestand aus einer Einleitungsfrage, sieben Hauptfragen und einer Abschlussfrage. Um flexibel auf den jeweiligen Interviewteilnehmer eingehen zu können, wurden die Hauptfragen jeweils durch Anschlussfragen ergänzt, die von der Interviewerin herangezogen werden konnten, wenn sie nicht bereits im Gespräch durch den Experten beantwortet worden waren. Ebenso konnten die Reihenfolge der Fragen und der Wortlaut verändert werden (solange der Inhalt der Frage gewahrt wurde) oder neue Fragen zum besseren Verständnis hinzugefügt werden, um ein möglichst angenehm und natürlich fließendes Gespräch zu ermöglichen.35 Spontane „Themen-dimensionierungen der Experten“ (Meuser und Nagel, 2010: 465) wurden als Erweiterung des Fokus wahrgenommen und teils vertieft, aber auch wieder zurück zum Thema geführt, wenn die Befragten zu weit davon abwichen.

Die Interviews wurden jeweils unmittelbar nach der Aufnahme transkribiert, paraphrasiert und kodiert. Datensammlung und Kodierung lief somit nach Vorbild der Grounded Theory parallel, um daraus gezielt Entscheidungen für neue Interviewpartner zu treffen. Die kompletten Transkripitionen können in Anhang 2 eingesehen werden.

Formale Charakteristika des Materials. Alle vier Experteninterviews wurden mit Diktiergerät aufgenommen und anschließend mit Hilfe des Transkriptionsprogrammes f4transkript komplett transkribiert, sodass sie zur weiteren Analyse im Textformat vorlagen. Hierbei wurde auf Vollständigkeit und wörtliche Transkription Wert gelegt. Da der Zweck dieser Analyse eine Auswertung der inhaltlichen Aussagen, nicht aber der versteckten durch paralinguistische Merkmale analysierbaren Aussagen ist, wurden Diskurspartikel, Pausen, Betonungen, Dopplungen, Sprachüberschneidungen usw. nicht vermerkt. Etwaige grammatische Fehler, die durch die verbale Kommunikation entstanden sowie Dialektfärbungen wurden in Schriftdeutsch umgewandelt, um das Lesen des Textes zu vereinfachen. Formalien der Transkription wurden an Flick (2014: 381f) angelehnt. Das in f4transkript transkribierte Interview wurde in Microsoft Word 2013 formatiert und Namen sowie Orte anonymisiert.

Fragestellung der Analyse

Richtung der Analyse. Das Interviewmaterial dient der Gewinnung von Fakten und Hinweisen zu Chancen, Schwierigkeiten und daraus sich ergebenden Handlungsvorschlägen im Bereich Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Menschen in Deutschland, wie sie von Experten aus der Praxis erkannt und erlebt werden. Das Interesse liegt auf Erfahrungswissen und Faustregeln, die aus der alltäglichen Handlungsroutine entstanden, sowie auf innovativem Wissen und Ideen, die noch nicht in bürokratische Strukturen integriert sind (vgl. Meuser und Nagel, 2010: 457). „Das Ziel ist die Gewinnung empirischen Wissens und nicht die theoretische Erklärung und Generalisierung der empirischen ‚Tatsachen‘“ Meuser und Nagel, 1989: 14).

Theorie- und empiriegeleitete Differenzierung der Fragestellung. Die Fragestellungen der Analyse ergaben sich aus Paraphrasierung und Kategorienbildung als auch in Interaktion mit der vorhandenen Theorie:

1. Welche Hauptbereiche für den Erfolg der Integration in den Arbeitsmarkt werden durch die Interviews als ausschlaggebend sichtbar?
2. Wo gibt es darin bereits vorhandene Brücken (fördernde Faktoren) und wo Hindernisse (hemmende Faktoren)?
3. Welche Handlungsvorschläge ergeben sich daraus?
4. Wie stehen die Bereiche in Bezug zueinander?

Hinweise zur Durchführung der Analyse

Analysetechnik und Analyseeinheiten. Die Analysetechnik orientiert sich an Meuser und Nagel (1989) und weist Ähnlichkeiten mit Mayrings Zusammenfassender Inhaltsanalyse auf. So gelten als Merkmale der Analyse die Reduktion des Textes sowie der Fokus auf den sachlichen Inhalt und nicht auf die Person und ihre Hintergründe, die im Text sichtbar werden. Kodierungen und Kategorisierungen wurden zunächst induktiv vom Text ausgehend vorgenommen in dem gleichzeitigen Bewusstsein, dass auch deduktiv gewonnene Annahmen die Auswahl und Formulierung von Kodierungen und Kategorisierungen eingrenzen und beeinflussen. Als kleinster Materialbestandteil, der unter eine Kategorie fallen darf (Kodiereinheit), wird ein Satzfragment festgelegt und als größter Materialbestandteil, der unter eine Kategorie fallen darf (Kontexteinheit), der gesamte Text des Interviews. Paraphrasierungen und Kodierungen wurden entlang der Reihenfolge der Fragen durchgeführt (Auswertungseinheit) (vgl. Mayring, 2010: 54ff).

Ablauf der Analyse. Als erster Schritt der Analyse wurde eine Verdichtung des transkribierten Materials durch Paraphrasierung vorgenommen (siehe Anhang 5). Diese wurde in Microsoft Word 2013 durch einen andersfarbigen Schriftzug unter der jeweiligen Passage vorgenommen. Die Paraphrasen folgen dem Gesprächsverlauf. „Der Schritt der Paraphrasierung der Texte ist kaum überzubewerten; die häufigsten Sünden sind, Inhalte durch voreiliges Klassifizieren zu verzerren und Informationen durch eiliges Themenraffen zu verschenken“ (Meuser und Nagel, 1989: 16). Die weitere Bearbeitung wurde sodann mit dem computergestützten Analyseprogramm qualitativer Daten MAXQDA durchgeführt. In Anlehnung an Meuser und Nagel (1989) wurden Überschriften für die Paraphrasen gefunden, die auch mit Codes bezeichnet werden können. Diese Kodierung der Paraphrasen anstatt der wörtlichen Aussagen der Interviewteilnehmer erlaubt eine dichtere und einfachere Weiterverarbeitung des Materials. Die Verbindung zu den Originaltextstellen konnte jeder Zeit im Analyseprozess nachvollzogen werden, um so die Paraphrasen immer wieder am Originalmaterial überprüfen zu können. Die Paraphrasenüberschriften oder Kodierungen wurden induktiv und textnah gewonnen, aber mit gleichzeitigem Bezug zur vorhandenen Theorie. Die theoretischen Hintergründe dienten in der Analyse somit als kognitiver Leitfaden und Rahmen des Themas, während eine dauernde Offenheit für Begriffe und Themen der Experten bestand. So wurden Themenbereiche wie „Kultur und Sozialisation“ in die Analyse und den theoretischen Hintergrund miteinbezogen, die vorher nicht bedacht worden waren (zirkulärer Forschungsprozess). Einer Paraphrase konnten auch mehrere Kodierungen bzw. einzelnen Paraphrasenteilen unterschiedliche Kodierungen zugeordnet werden. Diese Neuordnung der Textteile ist möglich, da es sich nicht um eine Einzelfallanalyse, sondern um die Extraktion des Wissens der Experten in einem bestimmten Bereich handelt (vgl. ebd.: 17). Passagen mit ähnlicher Thematik wurden so unter Haupt- und Unterüberschriften zusammengetragen. In dieser Weise wurde mit jedem Interview vorgegangen. Als nächster Schritt wurde ein thematischer Vergleich zwischen den einzelnen Interviews vorgenommen. Wie bei der Kodierung innerhalb eines Interviews geschehen wurden nun zu derselben Thematik gehörende Textpassagen aus verschiedenen Interviews gebündelt (vgl. ebd.: 19). Dadurch entstand eine neue Strukturierung und teilweise Umbenennung von Kategorien und Kodierungen. Das Kategoriengerüst wurde abermals an seinem Inhalt geprüft und wo nötig modifiziert. Wie die Kodierung wurde auch die Kategorisierung induktiv geleitet vorgenommen, mit Orientierung am theoretischen Hintergrund. Anschließend wurde jeder einzelne Code ausgedruckt und auf Papier mit den deduktiv gewählten Subcodes Brücke, Hindernis, Handlungsvorschlag versehen. Während des gesamten Prozesses wurden Gedanken, Ideen, Unklarheiten immer wieder in MAXQDA-Memos oder auf dem Papier festgehalten (vgl. Flick, 2014: 388).

Kategorien. Folgende Kategorien entstanden induktiv durch die Analyse des Materials. Eine vollständige Auflistung der Kategorien, Codes und Subcodes ist im Anhang 6, sowie eine Definition der Kategorien in Anhang 7 einzusehen.

Tabelle 1: Kategorien

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Nachvollziehbarkeit und Intensität halber wird im folgenden Kapitel die Analyse der Interviews mit der Interpretation der Ergebnisse direkt verknüpft unter Bezugnahme auf Hintergründe aus der Fachliteratur, wie es in der qualitativen Forschung üblich ist. Dabei gilt, dass theoretischen Hintergründe, „die zur Analyse herangezogen werden, (…) kein höherer Stellenwert zugerechnet [wird] als den Erklärungen der Akteure selbst“ (Kalthoff, 2008: 21).

[...]


1 In dieser Arbeit wurde Geflüchteter der gängigen Bezeichnung Flüchtling vorgezogen, da das Wort Flüchtling dem Geflüchteten einen dauerhaften Fluchtzustand zuschreibt, der als eine Eigenschaft dieses Menschen angesehen wird. Geflüchteter hingegen bleibt bei dem Hinweis, dass ein Mensch irgendwann einmal in ein anderes Land geflüchtet ist. Diese Bezeichnung erlaubt es dem Geflüchteten anzukommen, die Flucht ist (zunächst) vorbei.

2 Hierzu gibt es zahlreiche Artikel aus online Zeitschriften im Internet. Z.B. helfende Menschen in: Krüger 2015; Demonstrationen für und gegen Geflüchtete in: “Lage angespannt, aber unter Kontrolle”, 2015.

3 Schutzquote bezeichnet hier den Prozentsatz positiv entschiedener Asylanträge.

4 Es besteht jedoch die These, dass der Bedarf nicht durch Zuwanderung von Fach- und Führungskräften gedeckt werden kann (Loeffelholz von, 2013).

5 "Bislang wurde während der Zeit, in der beispielsweise das Asylantragsverfahren läuft, mit den Betroffenen kaum daran gearbeitet, eine berufliche Perspektive zu entwickeln“ („‚Early Intervention‘: Pilotprojekt unterstützt Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt“, 2015, Para. 3).

6 Asylsozialberatungs-Richtlinie (AsylSozBR) Bayern 2009-2013: 1.1.1 Richtlinie für die Förderung der sozialen Beratung und Betreuung von Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und von Ausländerinnen und Ausländern in staatlichen Unterkünften. Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen vom 5. Januar 2007 Az.: V 5/6571/1/06 geändert durch Bekanntmachung vom 7. Januar 2010 (AllMBl: 3)

7 [7] Kursivschrift zugefügt.

8 Beispielsweise auf: ggua.de; asyl.net; der-paritaetische.de

9 Derzeit werden immer wieder neue politische Entscheidungen und rechtliche Regelungen durchgesetzt, die in dieser Arbeit nur bis zum Frühjahr 2016 berrücksichtigt werden können.

10 Mittlerweile gibt es eine aktualisierte Version von August 2016: URL: bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Broschueren/das-deutsche-asylverfahren.pdf?__blob=publicationFile

11 Personen, die über einen „sicheren Drittstaat“ (EU sowie Norwegen und Schweiz) eingereist sind werden in Deutschland nicht als Asylberechtigt anerkannt (vgl. „Das deutsche Asylverfahren“, 2014: 20).

12 Anmerkung: Nach neuestem Stand wurde die Vorrangigkeitsprüfung in fast allen Arbeitsagentur-Bezirken Deutschlands bis 5. August 2019 ausgesetzt (vgl. http://www.einwanderer.net/fileadmin/downloads/tabellen_und_uebersichten/Zugang_zu_Arbeit_mit_Duldung_November_2014.pdf, abgerufen 26. September 2016).

13 Nach Pro Asyl lebten 85.000 Menschen im Jahr 2012 im Duldungsstatus, davon knapp die Hälfte über 6 Jahre (vgl. Gag & Voges, 2014: 8).

14 Eine ausführliche und übersichtliche Tabelle zum Zugang zur Beschäftigung mit Duldung, Aufenthaltsgestattung und BÜMA (Stand 17. August 2016) bietet die GGUA Flüchtlingsberatung unter http://www.einwanderer.net/fileadmin/downloads/tabellen_und_uebersichten/Zugang_zu_Arbeit_mit_Duldung_November_2014.pdf

15 Die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) von 1951 wurde nach Stand 2009 von 144 Staaten unterzeichnet, das New York Zusatzprotokoll (Aufhebung der geographischen und zeitlichen Limitierung) von 1967 wurde nach Stand 2009 von 141 Staaten unterzeichnet. Sie können somit als Internationales Flüchtlingsregime angesehen werden. Die Nationalstaaten behalten einen großen Interpretationsspielraum, aber eine Rückführung in lebens- oder freiheitsbedrohliche Regionen ist nach Art. 33 GFK untersagt (non-refoulement) (vgl. Angenendt, 2009: 49ff).

16 Formatierung geändert, Kursivschrift eingefügt.

17 Unter „ernsthaftem Schaden“ wird Todesstrafe, Folter, erniedrigende Behandlung, Bedrohung des Lebens einer Zivilperson im Rahmen von inter- oder innernationalen bewaffneten Konflikten (vgl. „Das deutsche Asylverfahren,“ 2014: 21).

18 Formatierung geändert, Kursivschrift eingefügt.

19 Weitere Einzelheiten zu Neuerungen im Bereich Arbeitsmarktzugang sowie wichtige Gesetzestexte und politisch-rechtliche Grundlagen finden sich auf: http://www.einwanderer.net/sozialrecht/zugang-zum-arbeitsmarkt/#c350

20 Kursivschrift hinzugefügt.

21 Aufgrund des mehrheitlich geringen Nettoverdienstes waren die meisten Befragten von Armutsrisiken betroffen (vgl. Hadeed, 2006: 21).

22 Schätzungen von 2012 gehen von etwa 300 000 Personen aus, die wegen fehlender Anerkennung unter ihrer Qualifikation arbeiten (vgl. Loeffelholz von, 2013: 101).

23 Die bereits im Land sich befindenden Geflüchteten wurden aufgefordert zunächst in ihr Herkunftsland zurückzukehren und von dort einen Antrag zu stellen, was erst nach großem Einsatz verschiedener Unterstützer der Geflüchteten geändert wurde (vgl. Kühne, 2009: 257).

24 Studie mit asyl- und flüchtlingsschutzberechtigten von 2008-2012 (vgl. Worbs & Bund, 2016).

25 Siehe auch Worbs & Bund (2016): Statistische Darstellungen zu Dauer des Schulbesuchs (S. 4), Grundstatus beruflicher Bildung (S. 5), Anteile von nicht und höher Qualifizierten Personen (S. 5).

26 Kursivschrift zugefügt.

27 Alle Interviewteilnehmer der zu dieser Arbeit gehörigen Studie erklärten, dass sie den Begriff „Integration“ bzw. „Arbeitsmarktintegration“ in ihrer Arbeitspraxis nutzen und auch für sinnvoll erachten.

28 Art. 8 Abs. 11 Var. EMRK beispielsweise schützt das Privatleben, die sozialen Bindungen, die für die Persönlichkeitsentfaltung eines jeden Menschen wichtig sind (vgl. Klaus, 2015: 448). Das AufenthG §18, §25a, §104a schafft Regelungen, um Geduldeten und somit mit Ausreisepflicht behafteten den Aufenthalt zu legalisieren bei nachweislicher Integration (vgl. Klaus, 2015: 605f).

29 Araber wurden im Folgenden als Beispiel gewählt, da eine große Anzahl Geflüchteter (Syrer, Iraker) aus dem arabischen Kulturkreis stammen.

30 „Ein zentrales Merkmal qualitativer Forschung ist ihr starker Empiriebegriff“ (Kalthoff, 2008: 16).

31 Mit Theorie und theoretischem Hintergrund ist im Zusammenhang dieser Arbeit vor allem Fachliteratur und einzelne theoretische Bezüge gemeint.

32 Die Organisation der Kapitel „Bestimmung des Ausgangsmaterials“, „Fragestellung der Analyse“ und „Die Analyse“ ist angelehnt an Mayring (2010: 54ff).

33 Der Begriff Experte richtet sich nach Meuser und Nagel (2010), wobei Experte derjenige ist, von dem der Forscher einen „Wissensvorsprung“ in dem untersuchten Handlungsfeld annimmt (vgl. 460f), dem gleichzeitig ein Expertenstatus „institutionell-organisatorisch“ zugeschrieben wurde (vgl. 463).

34 Die Interviewteilnehmer bevorzugten Telefonfestnetz anstatt Skype.

35 Siehe hierzu auch: „Experteninterviews werden auf der Basis eines flexibel zu handhabenden Leitfadens geführt“ (Meuser und Nagel, 2010: 459).

Fin de l'extrait de 158 pages

Résumé des informations

Titre
Die Arbeitsmarktintegration geflüchteter Menschen in Deutschland
Sous-titre
Eine empirische Interviewstudie zu Chancen, Schwierigkeiten und Handlungsvorschlägen
Université
University of Cologne  (Humanwissenschaftliche Fakultät)
Note
1,3
Auteur
Année
2016
Pages
158
N° de catalogue
V426438
ISBN (ebook)
9783668709836
ISBN (Livre)
9783668709843
Taille d'un fichier
1345 KB
Langue
allemand
Mots clés
Politik, Gesellschaft, Recht, Integration, Flüchtlinge, Arbeitsmarkt, Asylregime, Sozialisation, Bildung, Methodik, Interviews, Sprache, Kraftfeldanalyse
Citation du texte
Felicitas Knaupp (Auteur), 2016, Die Arbeitsmarktintegration geflüchteter Menschen in Deutschland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/426438

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Titre: Die Arbeitsmarktintegration geflüchteter Menschen in Deutschland



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