Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung, Vorgehensweise
2. Vergleich auf der Makroebene
2.1 Motive
2.2 Figuren
2.2.1 Figurenkonstellation in The Asphalt Jungle
2.2.2 Figurenkonstellation in The Killing
2.3 Zur Erzählstruktur
2.4 Zum Stil
3. Vergleich auf der Mikroebene
3.1 Vergleich der Expositionen
3.1.1 Exposition – The Asphalt Jungle
3.1.2 Vorspann The Killing
3.2 Vergleich der Planungssequenz
3.3 Vergleich der Schlusssequenzen
3.3.1 The Asphalt Jungle
3.3.2 The Killing
4. „The Killing“ Versuch einer Einordnung
5. Literatur
1. Einleitung, Vorgehensweise
The Killing aus dem Jahr 1956, ist nach vorherrschender Kritikermeinung der erste wichtige Film Kubricks. Der Film reiht sich ein in eine Folge von Filmen, denen das Thema vom letzten großen Einbruch gemeinsam ist. Einer dieser früheren Filme ist The Asphalt Jungle von John Huston aus dem Jahre 1950. Georg Seeßlen sagt zur Modellfunktion dieses Films:
Nach dem Vorbild von „The Asphalt Jungle“, doch zumeist ohne dessen allegorische Implikationen, schildern mehrere Filme der Folgezeit die Planung und Durchführung eines Raubes oder Überfalls mit dem letzendlichen Scheitern des Coups“,[1] und er nennt unter anderen Kubricks Film , ohne weiter auf ihn einzugehen .
In dieser Arbeit soll nun eine Interpretation Kubricks Film durch einen Vergleich mit seinem Vorläuferfilm versucht werden, zumal Kubrick geradezu zu einem Vergleich mit dem nur sechs Jahre früher entstandenen Film seines Landsmannes einlädt, da er als Haupthelden ebenfalls Sterling Hayden einsetzt und so deutlich macht, dass es sich bei den Parallelen in beiden Werken keineswegs um eine zufällige Ähnlichkeit handelt, sondern um eine kreative Auseinandersetzung mit John Hustons Film. Um herauszufinden, was Kubrick übernimmt, vor allem aber, was er anders macht, soll die Analyse auf zwei Ebenen durchgeführt werden. In einem ersten Schritt sollen auf der Makroebene Vergleiche angestellt werden, die sich auf die Grobstruktur der beiden Filme beziehen. Nachdem diese erschlossen ist, soll anhand des Vergleichs einzelner Sequenzen ins Detail gegangen werden, um dann in einem letzten Schritt die Frage nach der Intention Kubricks zu beantworten und den Film auch hinsichtlich des Film noir – Genres einzuordnen.
2. Vergleich auf der Makroebene
2.2 Motive
Beide Filme haben als gemeinsames Thema den letzten großen Einbruch. Hier wie dort findet sich eine Gruppe von Individuen zusammen, von denen jedes aus unterschiedlicher Motivation, ein „großes Ding“ drehen will, um zu Reichtum zu gelangen. In The Asphalt Jungle soll ein Tresor geknackt, in The Killing sollen die Wetteinsätze eines Pferderennens geraubt werden. Ein minuziös ausgearbeiteter, an sich sicherer Plan entsteht und jeder aus der jeweiligen Gruppe bekommt eine Aufgabe zugewiesen. In beiden Fällen handelt es sich bei den Kriminellen um menschlich gezeichnete Charaktere. Sie sind meist ohne ihr Verschulden in missliche Lagen geraten. So erscheint es dem Zuschauer fast nachvollziehbar, dass sie sich auf ein Verbrechen einlassen. Zum Beleg für diese Haltung gegenüber den Charakteren des Filmes lassen sich folgende Zitate anführen: In The Asphalt Jungle reflektiert der zwischen Unter- und Oberwelt pendelnde Advokat Emmerich über das Wesen von Kriminellen, nachdem sich seine Frau vernichtend über sie geäußert hat. „Oh die sind gar nicht so verschieden von uns. Verbrechertum ist nur eine besondere Form des Lebenskampfes.“[2] In The Killing spricht Johnny Clay mit seiner Freundin Fay über die Mitglieder seines geplanten Raubüberfalls. „ Keiner von den Leuten ist im üblichen Sinne kriminell, sie haben alle ihre Arbeit und führen ein scheinbar normales und anständiges Leben. Aber das ist nur oberflächliche Tünche, sie wollen raus aus dieser Tretmühle[3].
In beiden Filmen scheitert der Coup, woran von Anfang an wenig Zweifel bestehen. Kubrick selbst hat sich zum Gangsterfilm und zum vorgegebenen Scheitern der Gangster geäußert.
In a crime film, it is almost like a bullfight: it has a ritual and a pattern which lays down that the criminal is not going to make it, so that, while you can suspend ypor knowledge of this for a while, sitting way back in your mind this little awareness knows and prepares you für the fact that he is not going to succeed. That type of ending is easier to accept- Stanley Kubrick, 1960[4]
2.3 Figuren
2.3.1 Figurenkonstellation in The Asphalt Jungle
Die sechs Charaktere, die direkt an der Durchführung des Plans beteiligt sind, werden unterschiedlich genau gezeichnet, lassen sich aber einer typischen Figurenkonstellation zuordnen. So ist Doc der Intelligente, Dix das liebenswerte Raubein, Cobby der schmierige Kleinganove, Gus der loyale Kleinkriminelle, Louis der Familienvater, dessen sozial auswegloslose Lage ihn zu kriminellen Handlungen zu zwingen scheint, und Emmerich ein Vertreter der Oberschicht, der kriminell wird. Detektive Detrich verkörpert das Klischee vom korrupten Polizisten, der hin- und hergerissen ist zwischen seinem Hauptkommissar Hardy und den Machenschaften der Unterwelt.
Die Frauen treten als Nebenfiguren auf. Doll wird von Anfang an als naives, schwaches Anhängsel von Dix gezeigt. Innerhalb der Filmnarration scheint sie überhaupt kein selbst- bestimmtes Leben zu haben, man erfährt nur, dass sie in einem Club gearbeitet hat, der vor kurzem aufgeflogen ist. Sie liebt Dix und scheint sich nicht daran zu stören, dass Dix diese Liebe kaum erwidert und höchstens über sie staunt, als sie auf der Flucht keine Angst vor den „Greifern“ hat und ihn bis zum Schluss, bis zu seinem Tod auf der Kentucky Farm begleitet. Sie wird sehr hilflos und zum Teil lächerlich dargestellt, was zum Beispiel visuell unterstrichen wird, dadurch dass gezeigt wird, wie ihr die Schminke das Gesicht runterläuft und wie sie die falschen Wimpern abreißt.
May, die Gattin von Emmerich wird lediglich im Bett liegend gezeigt. Sie steht für die heile, naive Welt des Bürgertums. Sie ahnt nichts von den Machenschaften und den Affären ihres Mannes und ist sein Opfer, da er ihr lediglich drei Dienstboten zu bieten hat, aber nicht das, was sie in ihrem Zustand braucht, nämlich Zuwendung.
Angela hat zweifellos Züge einer femme fatale. Sie ist der Lolita-Typ - durch ihre Jugend und Schönheit verführerisch, aber auch schon bewusst damit spielend und vor allem auf den Luxus bedacht, den diese Beziehung ihr bieten kann. Der durch sein Verhältnis zu ihr symbolisierte dekadente Lebensstil Emmerichs ist es, der ihn letztendlich zu Fall bringt.
Im Folgenden soll der Fokus auf den drei Hauptpersonen Dix, Doc und Emmerich liegen, da sich in ihrer Charakterisierung auch Fragen über die filmische Vorgehensweise klären lassen, die in einem späteren Schritt dann mit der des Films von Kubrick verglichen werden können.
Dix Handley ist die erste Person, die eingeführt wird. Bereits in den ersten Einstellungen der Exposition sieht man einen großen, dunkel gekleideten Mann mit Hut, der sich vor einem Streifenwagen der Polizei versteckt. Er geht in einer heruntergekommene Bar, wo er von zwei Streifenpolizisten auf Verdacht festgenommen wird, aber erst nachdem er seinen Revolver an den Barkeeper weitergegeben hat.
Bei der folgenden Gegenüberstellung wird er als Angst einflößender Bandit gezeigt. Von einer Stimme wird seine lange Strafakte vorgelesen. Im Vergleich zu seinen Vergehen hören sich die der anderen zur Gegenüberstellung vorgeladenen Straftäter wie Bagatellen an. Man erfährt, dass er mehrmals wegen Raubüberfällen verhaftet worden und bereits einmal aus einem Gefängnis ausgebrochen ist. Dieser Eindruck, dass es sich um einen besonders gefährlichen Gangster handelt, wird visuell verstärkt durch sein Äußeres und durch die Kameraarbeit. So vereint er die typischen Attribute eines Gangsters auf sich. Er ist groß, trägt einen dunklen Anzug mit schiefliegender Krawatte, hat markante Gesichtszüge und einen Dreitagebart. Als die Kamera von den anderen Verdächtigen auf Dix schwenkt, muss sie aufgrund der Größenunterschiede zu den beiden hoch schwenken und verbleibt in einer leichten Aufsicht, was ihn bedrohlich erscheinen lässt. Den deutlichsten Effekt dieser Sequenz verursachen dann die schnellen Kameraschwenks zwischen Täter und einem Opfer, das ihn identifizieren soll. Das Opfer hält dem Druck des Täters nicht stand und deckt ihn, obwohl es ihn erkennt. Dies wird zwar nicht ausgesprochen, jedoch durch den Blickwechsel eindeutig suggeriert.
Trotz dieser Einführung des Charakters sympathisiert der Zuschauer von Anfang an mit Dix, weil er nicht nur ein harter Gangster, sondern auch ein sympathischer Träumer ist. Als er Fay (und somit dem Zuschauer) von einem Traum berichtet, erfährt man etwas über seine Herkunft und seine eigentlichen Wünsche, die auch Movens für seine Straftaten sind. Er ist geprägt durch seine glückliche Kindheit auf einer Pferdefarm in Kentucky, die dann durch ein Unglück und Schicksalsschläge der Familie verloren ging. Sein innigster Wunsch ist, die Pferdefarm zurückkaufen. Er strebt also, das macht die ganze Handlung des Films deutlich, in allem, was er tut, nach dem verlorenen Paradies seiner Kindheit und ist auch nicht fähig, ein anderes Glück wahrzunehmen, was man daran merkt, dass er nicht auf die Liebe von Dolly eingehen kann.
Doc, alias Erwin Riedenschneider.
Hier handelt es sich mehr um eine konventionelle Charaktereinführung, bei der der Zuschauer beiläufig auf der narrativen Ebene über die als nächste auftretende Figur informiert wird. „Er wurde gestern mittag aus dem Zuchthaus entlassen, nahm den ersten Zug hierher und traf um 3:25 Uhr hier ein, und ihr lasst euch von ihm nach fünf Minuten abhängen und einer der gefährlichsten Männer ist wieder in der Stadt untergetaucht.“[5] Diese Informationen auf der akustischen Ebene werden unterstützt durch die Visualisierung mithilfe der Fotos aus der Fahndungsmappe.
Die Kamera und die Belichtung wird eingesetzt, um ihn mysteriös erscheinen zu lassen: Man sieht ein Taxi in einer düsteren Gegend vor einer Haustür anhalten. Ein Mann steigt aus, ohne sein Gesicht zu zeigen. Er bleibt noch einen Moment lang stehen. Doch der Zuschauerblick ist eingeschränkt, da er wie der Taxifahrer durch das Beifahrerfenster gucken muss und so nur den Oberkörper Riedenschneiders, nicht aber sein Gesicht sehen kann. Verstärkt wird der Eindruck des Geheimnisvollen dadurch, dass er kein Wort sagt, als sich der Taxifahrer an ihn wendet.
Er wird von Anfang an als intelligenter Kopf der Bande gezeichnet, was ihm den Beinamen Doc oder Professor einbringt. Er ist es, der den Plan ausgearbeitet hat und die Organisation in die Hand nimmt. Zu seinem intellektuellen Erscheinung passt seine Aversion gegen Gewalt. Auch in prekären Situationen behält er einen kühlen Kopf und wägt rational ab, was zu tun ist.
Seine einzige Schwäche stellt seine Leidenschaft für junge Mädchen dar, die an mehreren Stellen des Filmes angedeutet und am Ende auch handlungsrelevant wird. Als erstes wird dieses Laster eingeführt, als er, sich unbeobachtet wähnend, in Cobbies Wettbüro interessiert einen Kalender betrachtet, der junge Frauen in Bademode zeigt.[6] Auch auf der Flucht, als er und sein Taxifahrer Rast an einer Bar machen, begeistert er sich für ein Mädchen, das zu Musik aus der Jukebox tanzt. Er spendiert ihr großzügig 5 Cent Münzen für die Jukebox und bittet sie für ihn zu tanzen. Riedenschneider schaut begeistert zu und ist in einer Art Trance, so dass er die draußen am Fenster stehenden Polizisten nicht bemerkt. Auch als er von seinem Fahrer aufgefordert wird, aufzubrechen, reagiert er kaum. Erst nachdem das Lied zu Ende ist, ist er bereit die Bar zu verlassen. Draußen wird er von den Polizisten empfangen, die die Diamanten in seiner Manteltasche finden und ihn festnehmen. In dieser Situation ist er sich dessen bewusst, dass seine Flucht hätte erfolgreich verlaufen können, hätte er sich nicht im Betrachten der Tanzenden verloren und stattdessen sofort den Fluchtweg angetreten.[7] Daneben stellt er, als er über die Gründe des Scheiterns des Coups reflektiert, seine Habgier als einzigen Faktor für das Scheitern dar, den er beeinflussen konnte. Nichtsdestotrotz ist er von der Ausgereiftheit seines Plans noch immer überzeugt, er nennt ihn, noch im Rückblick einen „Meisterplan“ und macht als Hauptgrund für das Scheitern den Zufall aus.[8]
Emmerich stellt die Verbindung zwischen Ober- und Unterwelt dar. Zum ersten Mal gezeigt wird er in der Pose eines großen Mafia-Bosses. Er thront auf einem großen weißen Ledersessel und empfängt die kleinen Ganoven, die zu ihm Kontakt aufgenommen haben, von oben herab. Als Anwalt verkehrt er in den höchsten Kreisen und kann sich scheinbar einen gehobenen Lebensstandard und eine luxuriöse Wohnung, die wie ein kleiner Palast wirkt, leisten. Diese elitäre Seite wird vor allem durch die Licht- und „Farbgebung“ hervorgehoben. So ist der Innenraum seiner Wohnung sehr stark ausgeleuchtet, im Gegensatz zu dem düsteren Wettbüro Cobbies oder der dunklen Wohnung von Louis. Auch Angela, seine Geliebte, trägt zumeist weiße Kleider.
Jedoch handelt es sich bei Emmerich lediglich um eine geborgte privilegierte Situation, in Wirklichkeit ist er pleite und auf dunkle Geschäfte mit der Unterwelt angewiesen. Er braucht mehr Geld, als er auf ehrliche Weise verdienen könnte, um sich und seiner kranken Frau ein luxuriöses Leben (mit 3 Dienstboten) und sich eine lasterhafte Lebensweise mit einer sehr jungen Geliebten zu ermöglichen. Seine Habgier und der geplante Alleingang ist dann einer der Gründe für das Scheitern des Unterfangens.
2.3.2 Figurenkonstellation in The Killing
Die Charaktere In The Killing erinnern zum großen Teil sehr stark an die Figuren von The Asphalt Jungle. Den Verbindungspunkt stellt hier natürlich Sterling Hayden dar, der in beiden Filmen die Hauptrolle spielt und den Kubrick sicherlich ganz bewusst engagiert hat. Bei den am Coup beteiligten Personen handelt es sich um eine ähnliche Zusammensetzung der Gruppe mit dem Unterschied, dass alle Mitglieder aus unteren sozialen Schichten kommen. Der Ideengeber und zugleich der Boss ist Johnny Clay, er lässt sich somit begreifen als eine Mischung aus Riedenschneider und Dix aus The Asphalt Jungle. Auf der einen Seite besitzt er die strategische Intelligenz des Doktors, auf der anderen Seite jedoch auch das Rauhe und den Tatendrang von Dix.
In seinem ersten Gespräch mit Fay wird seine Motivation gezeigt. Er ist frisch aus dem Gefängnis entlassen und möchte ein „letztes großes Ding“ drehen. Er beklagt es, in der Vergangenheit für weit kleinere Delikte gefasst worden zu sein. Er will mit diesem letzten Coup den „Sprung in die Freiheit“ schaffen.
Zu Johnnies Crew zählen noch vier weitere Männer, die allesamt an der Beute beteiligt werden sollen. Der korrupte Polizist aus The Asphalt Jungle taucht auch in The Killing wieder auf, allerdings in radikalerer Form. Ließ sich der Vertreter der Staatsgewalt in The Asphalt Jungle lediglich schmieren, so ist Randy Kannon von Anfang an in den Überfall verstrickt. Um seine Schulden zurückzahlen zu können, beteiligt er sich an dem Raubüberfall. Seine Motivation wird in der Exposition klar, als er seinen Schuldner in einer Bar trifft.
Seine Aufgabe besteht lediglich darin, zum richtigen Zeitpunkt an der Rennbahn anzukommen und den Geldsack, der von Johnny aus dem Fenster geworfen werden soll, aufzuheben und in ein Versteck zu fahren. Marvin Unger stellt die Finanzen und seine Wohnung für die geheimen Treffen zur Verfügung. Über seine Motivation erfährt man am wenigsten. Er scheint sein altes Leben als Buchhalter leid zu sein und wünscht sich daher mit Johnny wegzugehen und ein neues Leben anzufangen. Die Figur des Mike lässt sich mit der des Louis aus The Asphalt Jungle vergleichen. Auch bei ihm liegt die Motivation darin, mit dem geraubten Geld seiner Familie ein besseres Leben ermöglichen zu wollen. Waren es bei Louis vor allem die Kinder, die er ernähren musste, so ist es im Falle von Mike seine kranke Frau. Da er auf der Rennbahn arbeitet, kann er sich unauffällig in ihr bewegen und so besteht seine Aufgabe darin, die Tatwaffe in seinem Spind zu verstecken. George ist das schwächste Glied der Gruppe. Ebenso wie Mike arbeitet er an der Rennbahn. Seine einzige Aufgabe ist es, die Tür zum Inneren der Rennbahn im entscheidenden Moment für Johnny zu öffnen und nach außen hin zu schweigen. Doch gerade dies fällt ihm schwer. Er leidet unter der Abhängigkeit von seiner kalten und geldsüchtigen Frau Sherry. Sein größter Wunsch ist es von ihr aufrichtig geliebt zu werden. Aus diesem Grund lässt er sich auf den Plan ein, um ihr ein luxuriöseres Leben bieten zu können. An dem Überfall selbst sind mit Maurice und Sam noch zwei professionelle Kriminelle beteiligt, die engagiert werden, um während des Coups für Ablenkung zu sorgen. Wie bereits erwähnt fällt die Person Emmerich, als Gegenspieler und Pendler zwischen Ober- und Unterschicht weg, sie wird ersetzt durch Sherry, die zusammen mit ihrem Geliebten zur Gegenspielerin Johnnies wird. War Angelina in The Asphalt Jungle noch eine Lolitafigur, so verkörpert Sherry noch deutlicher die berechnenden und machtgierigen Eigenschaften einer femme fatale. Sehr parallel konzipiert erscheinen die Freundinnen von Dix in The Asphalt Jungle und von Johnny in The Killing. Ähnlich wie bei der Figur des korrupten Polizisten ließe sich hier vielleicht auch von einer Radikalisierung sprechen. Fay wird noch deutlicher als Doll als naives, wenig geliebtes Anhängsel gezeigt, und begleitet Johnny ins Verderben, wobei ihre naiven und hingebungsvollen Sätze fast wie eine Parodie wirken.
Die Betrachtung der Figurenkonstellation ergibt, dass es viele Anlehnungen, aber auch einzelne Entgegensetzungen gibt. Eine Verschiebung in der Gesamtproblematik deutet sich am klarsten durch den Verzicht auf den sozialen Konflikt zwischen krimineller Ober- und Unterschicht an. Die weitere Analyse der Erzählstruktur und des Stils von The Killing soll nun die Intention Kubricks weiter aufdecken helfen.
2.4 Zur Erzählstruktur
Die Erzählweise in The Asphalt Jungle ist konventionell chronologisch und kein Kommentator mischt sich ein. In The Killing hingegen wird der Film konstruiert und zusammengehalten durch den Kommentar. Die erzählerische Funktion der Personenvorstellung erfolgt nicht wie üblich im Film und wie auch in The Asphalt Jungle beiläufig im Laufe der Handlung, sondern wird sehr ausdrücklich und unüberhörbar von einem Kommentator geleistet. Die Funktion wird so deutlich gemacht und der Zuschauer direkt angesprochen. Die Kommentare, die er zu den einzelnen Figuren gibt, sind die eines auktorialen Erzählers, denn er urteilt moralisch[9], zieht Bilanz[10], und gibt Hinweise[11], die den Zuschauer ahnen lassen, dass das alles kein gutes Ende nehmen wird, ohne allerdings alles von vorneherein zu verraten.
Der Erzähler macht nicht nur die Vorstellung der Personen bewusst, sondern auch sein Wissen um die Handlung und deren Ausgang, indem er die Geschichte nicht chronologisch darbietet, sondern ein Verwirrspiel mit der Zeit betreibt.
Jede Person wurde in der Exposition mit genauer Zeitangabe ihres Erscheinens im Rennstadion angekündigt. Diese Angeben sind für den Zuschauer noch leicht nachvollziehbar und eine gute Orientierung. Im Hauptteil aber, als der Coup stattfindet, entsteht gerade durch die vielen genauen Zeitangaben ein eher verwirrender Eindruck. Durch zahlreiche Zeitsprünge kommt es zu einer Überforderung des Zuschauers, der manchmal nicht genau weiß, an welchem Zeitpunkt der Narration er sich befindet. Da das eigentlich Kunstvolle des Films in dieser Neuordnung der Handlung liegt, die die Subjektivierung der Zeit deutlich macht, soll sie genauer dargestellt werden.
Insgesamt enthält der Film mehr als zwanzig Zeitangaben durch den Kommentar, die sich auf drei Tage verteilen. Dass dieser Kommentar eben nicht als ordnungsstiftende Instanz funktionieren soll, sondern - im Gegenteil - Verwirrung stiften soll, wird klar, wenn man sich vor Augen führt, dass er nicht, wie man es von einem Voice-over erwartet, chronologisch vorgeht.
Die erzählte Zeit des Filmes umfasst eine Woche. Beginn der Erzählung ist ein Samstag, Tag des Überfalls ist am Samstag genau eine Woche später.
Zeitangaben zum Samstag
Die Zeitangaben, die sich auf den ersten Samstag beziehen, haben vornehmlich die Funktion, die Charaktere einzuführen. Die fünf Zeitangaben den Samstag betreffend, sind nicht chronologisch. Es beginnt ganz am Anfang des Filmes als Marvin Unger eingeführt wird. Es ist 15:45 Uhr, als Marvin die Rennbahn betritt. Randy, der korrupte Polizist, so erfahren wir, hat eine Stunde später, also um 16:45 Uhr ein Gespräch in einer Bar. Am gleichen Abend, so der Kommentar, spricht Johnny Clay mit seiner Freundin Fay über den geplanten Überfall. Nach einem Schnitt befinden wir uns in dem Appartement von Mike und seiner kranken Frau. Wir erfahren, dass dies eine halbe Stunde früher um 18:30 Uhr ist. Daraus kann der Zuschauer schließen, dass das vorher gezeigte Gespräch von Johnny und Fay um 19 Uhr stattgefunden haben muss. Anschließend werden George und seine Frau Sherry in ihrer Wohnung gezeigt. Zu diesem Zeitpunkt ist es 18:45 Uhr. Von der Chronologie her müsste das Gespräch zwischen Johnny und Fay also als letztes stehen, statt dessen ist es zwischen 16:45 Uhr und 18:30 lokalisiert, obwohl es erst um 19 Uhr stattfindet.
[...]
[1] Seeßlen, Georg: Der Asphalt Dschungel. S. 184.
[2] Timecode: 01.08
[3] Time
[4] Kagan, Norman: The Cinema of Stanley Kubrick. New York.1999. S. 33
[5] Timecode: 00.06.40
[6] Timecode: 00.11
[7] Timecode: 01.34.54 – 01.38.40
[8] Timecode: 01.17
[9] Vgl. Timecode: 00.02: „Dieses lobenswerte Prinzip hatten ihn (Marvin) jedoch abgehalten…“
[10] Vgl. Timecode: 00.43: „[…]soweit war alles planmäßig gelaufen.“
[11] Vgl. Timecode: 00.39: „Um sieben Uhr begann Johnny Clay seinen Tag, der über Glück oder Unglück seiner weiteren Laufbahn entscheiden würde.“