Einführung in das pädagogische Konzept der Glocksee-Schule


Hausarbeit, 2003

21 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Planungs- und Gründungsphase

3. Das Konzept der Glocksee-Schule
3.1 Marxistische Ansätze
3.2 Selbstregulierung
3.3 Exemplarisches Lernen
3.4 Revision des ursprünglichen Konzeptes

4. Ein Blick in die Praxis: Tagesablauf Phasen des Unterrichtes
4.1 Zeiten der Übergänge
4.2 Angebote
4.3 Festgelegte Arbeitsphasen
4.4 Projekte

5. Glocksee-Schule und Pisa Studie

6. Schluß

7.Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In der folgenden Arbeit werde ich versuchen, die wesentlichen Merkmale der Glocksee-Pädagogik und ihrer praktischen Umsetzung zu beschreiben. Mir geht es hierbei in erster Linie darum, eine Zusammenfassung der wichtigsten Fakten und Aussagen zu erfassen, da eine ausschöpfende Bearbeitung des Themas wohl den Rahmen einer Seminar-Hausarbeit sprengen würde. Es geht also vielmehr darum, eine allgemeine Einführung in das Thema Glocksee-Schule zu finden, welche die Entstehungsphase, die Kernprinzipien und die praktische Umsetzung beschreiben soll. Das Interesse am Thema Glocksee-Schule hat zwei Beweggründe: Zum einen interessiert mich als ehemaliger Schüler das theoretische Konzept dieser Schule einmal aus wissenschaftlicher Perspektive zu betrachten. Zum anderen ist das Thema Glocksee-Schule aber auch gerade wegen der andauernden PISA Diskussion von besonderer Bedeutung, wie ich finde. Denn gerade im Bezug auf mögliche Lösungskonzepte zur PISA Problematik könnte der Blick in Richtung alternative Pädagogik wieder eine wichtige Bedeutung gewinnen.

Was in der vorliegenden Arbeit deutlich werden wird ist, dass die Glocksee-Schule in der Auseinandersetzung mit ihren Kritikern ihr radikales Konzept der antiautoritären Erziehung so modifiziert hat, dass die notwendige Anpassung an das Regelschulsystem trotzdem nicht zu einem totalen Bruch mit der Grundidee geführt hat. So gelten die Prinzipien der Selbstregulierung und des exemplarischen Lernens noch heute als wichtige Prinzipien der Glocksee-Pädagogik, wenngleich sie nicht mehr so verstanden werden wie in der Anfangsphase der Siebziger Jahre.

In einem Schlusskommentar werde ich dann versuchen, meine persönlichen Erfahrungen mit dem Konzept der Glocksee-Pädagogik zu vergleichen und eine Bewertung des Glocksee- Ansatzes vorzunehmen.

2. Planungs- und Gründungsphase

Die Idee der Glocksee-Schule wurde ursprünglich 1971 formuliert, als sich Eltern, Lehrer und Wissenschaftler angeregt durch die sogenannte „Kinderladenbewegung“[1] entschlossen, eine Schulform zu konzipieren, welche den Übergang der Kinderladen-Kinder in eine Schulform mit gleicher Ausrichtung ermöglichen sollte. Angeregt durch die politische Umbruch- Stimmung der Sechziger Jahre ( Vietnamkrieg, Studentenbewegung etc.) entstand das anti-autoritäre Erziehungskonzept als Gegenbewegung zu der repressiven bürgerlichen Erziehung der Vor- und Nachkriegszeit[2]. A.S. Neills Buch "Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung - Das Beispiel Summerhill" erlebte in dieser Zeit einen sensationellen Erfolg und gilt bis heute gleichermaßen als ein Standardwerk zum Thema antiautoritäre Erziehung.

Mit Schuljahresbeginn 1972/73 begannen die Mitglieder der Initiativgruppe Glocksee-Schule, zu der auch Oskar Negt als wissenschaftlicher Begleiter gehörte, zunächst in Räumlichkeiten der Grund- und Hauptschule Suthwiesenstraße einzuziehen, bevor die Klassen 1. bis 3. mit insgesamt 64 Kindern und sechs Lehrern in das Gebäude an der Glockseestrasse umziehen sollten. Ab 1974/75 wurde die Glocksee-Schule um die Klassen 5 und 6 und schließlich ab 1984 bis zur Zehnten Klasse erweitert. Ihr Einzugsbereich erstreckte sich seit der Begründung auf die ganze Stadt. Die Schule wurde allerdings nur unter der Vorraussetzung genehmigt, dass die soziale Zusammensetzung ihrer Eltern- und Schülerschaft der Hauptschule Suthwiesenschule entsprechen sollte. So sollte ein Verhältnis von 50 % Arbeiterkindern und 50 % Mittelschichtkinder auf der Glocksee-Schule vertreten sein[3].

Ein wichtiges Kriterium für die Aufnahme an der Glockesee-Schule war und ist auch heute immer noch die Möglichkeit der Eltern zur Mitarbeit bzw. Einbringung der eigenen Interessen, Fähigkeiten und Erfahrungen in den Schulalltag. So wurden bereits in der Frühphase der Glocksee-Schule Eltern aktiv in die Renovierungsarbeiten der Klassenräume mit einbezogen oder organisierten das regelmäßige Kochen für die Schülerinnen. Eine aktive Teilnahme der Eltern erstreckte sich aber nicht nur auf den schulischen Bereich, sondern sollte konsequenterweise auch in gleichem erzieherischen Verhalten zu Hause praktiziert werden.

Bereits 1979 wurde jedoch deutlich, dass genau dieses erwartete Engagement der Eltern eher dem Bildungsideal der Mittelschichteltern und deren pädagogischen Vorstellungen entsprach als dass bei den Eltern der Unterschicht der Fall war. So stieg der Anteil der Schüler aus der Mittelschicht um 1979 bereits auf 60 %[4].

Wie bereits erwähnt, ging das Projekt Glocksee-Schule als Reformprojekt für eine alternative Schule im wesentlichen aus Anhängern der revolutionär-sozialistisch/ marxistischer Studentenbewegung hervor, die bereits 1967 durch die Gründung der ersten antiautoritär geführten Kinderläden in Frankfurt und Berlin Experimente in antiautoritärer Erziehung erprobte. Diese Protestbewegung, welche sich von den starren Herrschaftsverhältnissen der kleinbürgerlichen Gesellschaft lösen wollte, suchte gleichermaßen auch nach Alternativen in neuen Erziehungskonzepten. Das Kind sollte nicht mehr als Besitz der Eltern, Lehrer oder des Staates angesehen werden, sondern in seiner freien Entfaltung und Triebauslebung unterstützt werden. So war die rigide Triebunterdrückung in der kapitalistischen- kleinbürgerlichen Familienstruktur Grund für die Bildung eines autoritären Charakters, welcher zum Beispiel. auch als Begründung für die politische Heraufbeschwörung des Nationalsozialismus gesehen wurde. Von dieser Form der Erziehungsweise, wie sie ja ein Großteil der Studentengeneration erfahren hatte, versuchte sie sich durch die antiautoritäre Bewegung zu emanzipieren.

In seiner radikalsten Umsetzung sah das antiautoritäre Erziehungskonzept den Erwachsenen und das Kind auf gleicher Ebene ohne besondere Privilegien und daher ohne Legitimierung von repressiven Machtstrukturen. Die Kinder hatten den Eltern, anders als früher, keine Ehrerbietungen zu erweisen, sondern ein Recht auf Selbstbestimmung und freie Entfaltung[5]. Das Verhältnis zwischen Kind und Erwachsenen sollte nicht durch den Wissensvorsprung der Älteren beeinflusst werden. Statt dessen sollte das Kind in seinem Entwicklungsprozess ungehindert bleiben und sich frei entfalten.

3. Zum Konzept der Glocksee-Schule

3.1 Marxistische Ansätze

Natürlich erforderte diese Überzeugung eine radikale Infragestellung und Neukonzipierung des Unterrichtes überhaupt, da ja auch die Regelschule als Repräsentant des traditionellen, repressiven Erziehungsideals die Selbstentfaltung des Kindes behinderte. Also galt es bereits hier anzusetzen und die Unterrichtsplanung aus Perspektive der Kinder und nach deren Bedürfnissen neu zu konzipieren. Angelehnt an das Schulprojekt Summerhill von A.S. Neill wurde ein Konzept entwickelt, welches Erziehungsziele beinhaltete wie sie von Oskar Negt, dem geistigen Vater und wissenschaftlichen Begleiter der Glocksee-Schule, als Kernprinzipien definiert wurden.

So ging es bereits in der Anfangsphase der Glocksee-Schule neben der Vermittlung von Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen auch um die Entwicklung der Lernfähigkeit und Lernbereitschaft sowie den Erwerb sozialer Kompetenzen wie Konfliktfähigkeit, Selbstständigkeit, Kritikfähigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Kooperationsfähigkeit[6].

Um dieses Konzept und dessen Bedeutung jedoch gerade im Kontext der gesellschaftlichen Situation und den Beweggründen der antiautoritären Bewegung zu verstehen, ist es wichtig, Oskar Negt und seine Grundthesen genauer zu beleuchten.

3.2. Marxistische Ansätze in der Glocksee-Pädagogik

Im wesentlichen geht Negt von der Marxistischen Grundthese aus, dass der Mensch durch die Industrialisierung eine Selbstentfremdung erfahren hat, welche zurückzuführen ist auf die Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit und der damit verbundenen Produktion von Waren die anders als in der vorindustriellen Zeit keinen direkten Bezug mehr zu seinen wirklichen Bedürfnissen darstellen. Anstatt des direkten Bezuges zu den produzierten Waren und Gütern tritt der Wert des Geldes an diese Stelle. Der Mensch produziert also nicht mehr die für seinen Lebensunterhalt notwendigen Güter, sondern stellt statt dessen seine Arbeitskraft zur Verfügung, um sich dann mit dem erworbenen Geld jene Güter zu beschaffen. Diesem Marxistischen Grundprinzip der Industrialisierung und damit auch des Kapitalismus folgen die Prinzipien der Rationalisierung, Standardisierung und Effektivität, welche schließlich auch auf den Bereich der Erziehung übertragen wurden[7]. Einsetzend mit der Bildungsreform der Sechziger Jahre wurde versucht, die Kriterien der Industriellen Produktion auf Bildungsinstitutionen zu übertragen, um so diesen damals innovationsbedürftigen Bereich nach gleichen Kriterien konkurrenzfähiger und vor allem effektiver zu organisieren. Diese „Taylorisierung der Schule“[8], so Negt, führe jedoch dazu, dass die emotionalen und sozialen Aspekte des Lernens völlig abgekoppelt werden von den kognitiven Lernprozessen, was in nächster Konsequenz eher Motivationsstörungen und mangelnde Lernfähigkeit zur Folge hat. Die Gesamtpersönlichkeit des Schülers werde ignoriert, statt dessen werden die Schüler zu bloßen Wissensträgern erzogen und Wissen zur entfremdeten Ware zu welcher der Schüler keinen persönlichen Bezug erhält.

[...]


[1] Vgl. Borchert, Manfred : Schulen, die ganz anders sind. Fischer Verlag, Bonn 1979, S. 41-62, hier: S. 41.

[2] Vgl. Borchert, Manfred : a.a.O., S. 41-62, hier: S. 41.

[3] Vgl. Kemper, Herwart: Wie alternativ sind alternative Schulen?. Deutscher Studien Verlag, Weinheim 1993, S. 29-44, hier: S. 29.

[4] Vgl. Kemper, Herwart: a.a.O. , hier: S. 30.

[5] Ahrens, Birgit:"Summerhill" - Wissenschaftliche Hausarbeit - Erste Staatsprüfung für das Lehramt an Realschulen 1996 / http://summerhill.paed.com/summ/ahrens/5.htm

[6] Vgl. Kemper, Herwart: a.a.O. , hier: S. 30.

[7] Vgl. Negt, Oskar: Kindheit und Schule in einer Welt der Umbrüche, Steidl, Göttingen 2002. S. 148-167, hier: S. 151.

[8] Vgl. Negt, Oskar: a.a.O., S. 148-167, hier: S. 151.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Einführung in das pädagogische Konzept der Glocksee-Schule
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Fachbereich Erziehungswissenschaften)
Veranstaltung
Theorie der Schule / SoSe 2003
Note
2
Autor
Jahr
2003
Seiten
21
Katalognummer
V42739
ISBN (eBook)
9783638407052
ISBN (Buch)
9783638763202
Dateigröße
509 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In der folgenden Arbeit werde ich versuchen, die wesentlichen Merkmale der Glocksee-Pädagogik und ihrer praktischen Umsetzung zu beschreiben. Mir geht es hierbei in erster Linie darum, eine Zusammenfassung der wichtigsten Fakten und Aussagen zu erfassen, da eine ausschöpfende Bearbeitung des Themas wohl den Rahmen einer Seminar-Hausarbeit sprengen würde. Es geht also vielmehr darum, eine allgemeine Einführung in das Thema Glocksee-Schule zu finden, welche die Entstehungsphase, die Kernprinzipien
Schlagworte
Einführung, Konzept, Glocksee-Schule, Theorie, Schule, SoSe
Arbeit zitieren
Raoul Festante (Autor:in), 2003, Einführung in das pädagogische Konzept der Glocksee-Schule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42739

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