Auswirkungen von Armut und Arbeitslosigkeit auf die psycho-soziale Entwicklung der Betroffenen und deren Familien, insbesondere der Kinder und Jugendlichen


Doktorarbeit / Dissertation, 2000

316 Seiten, Note: 3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Armut, soziale Deprivation und Arbeitslosigkeit von Familien und ihren betroffenen Kindern
2.1 Basiskonzepte der Armut
2.2. Armut bei Kindern und Jugendlichen
2.3. Datenbasis: Sozio-okonomisches Panel, Mikrozensus und Sozialhilfestatistik
2.4 Arbeitslosigkeit als kritisches Lebensereignis
2.4.1 Funktion der Arbeit und Forschungsergebnisse zur Arbeitslosigkeit
2.4.1.1 Die Marienthal-Studie
2.4.1.2 Die Warschauer Studie
2.4.1.3 Arbeitslosigkeit wahrend des Nationalsozialismus (1933-1945)
2.4.1.4 Die Detroit-Studie
2.4.1.5 Die Bredaer Protokolle
-Zusammenfassung-

3. Theoretische Grundlagen: - Life - Event-Forschung und mogliche Konzepte sozialer Unterstutzung- - Life - Events aus der Sicht des Kindes-
3.1 Historische Entwicklung der Life - Event-Forschung
3.2 Merkmale der Life-Event-Forschung
3.3 Psychische Storungen und kritische Lebensereignisse
3.3.1. Das medizinische Paradigma
3.3.2 Das sozialwissenschaftliche Paradigma
3.3.2.1 Der strukturell-funktionale Ansatz
3.3.2.2 Der prozessuale Ansatz
3.4 Therapieerfolg und kritische Lebensereignisse
3.5 Das Konzept der sozialen Unterstutzung
3.5.1 Die Wirkung sozialer Unterstutzung
3.5.2 Die Haupt-Effekt-Unterstutzung
3.5.3 Die Puffer-Effekt-Unterstutzung
3.5.4 Der Ausschlietilichkeitsanspruch, der Haupt-Effekt und der Puffer- Effekt Unterstutzung
3.6 Life-Event-Forschung: Zwischen sozialen Erwartungen und individuellen Fahigkeiten
3.7 Life-Event-Forschung aus der Sicht von Kindern arbeitsloser Eltern..
3.7.1 Kinderrechte
3.7.2 Die Rollenverteilung in der Familie
3.7.3 Kinder in der Armuts- und Arbeitslosenforschung
3.7.3.1 Situation in der Schule
3.7.3.2 Kinderarbeit
3.7.3.3 Die Versorgungs- und Gesundheitslage - Theoretische Grundlagen sozialepidemiologischer Forschung-
3.7.3.4 Sozialepidemiologische Untersuchungen in der Geschichte
3.7.3.5 Soziale Ungleichheit in der Mortalitat
3.7.3.6 Soziale Unterschiede in der Sauglingssterblichkeit
3.7.3.7 Soziale Ungleichheit in der Morbiditat
3.7.3.8 Kindesmisshandlung

4. Empirische Untersuchung
4.1 Untersuchungsmethode
4.1.1 Statistische Angaben zum Untersuchungsfeld
4.1.1.1 Statistische Ausgangssituation im Arbeitsamtsbezirk Bochum.
4.1.1.2 Hypothesen dieser Untersuchung
4.1.1.3 Allgemeine Angaben zur Untersuchungsmethode
4.1.1.3.1 Gutekriterien der empirischen Untersuchungsinstrumente
4.1.1.3.2 Fragebogen
4.1.1.3.3 Durchfuhrung der schriftlichen Befragung
4.1.2 Datenauswertung
4.1.2.1 Sozio-demographische Daten
4.1.2.2 Alter
4.1.2.3 Geschwister
4.1.2.4 Transfereinkommen der Eltern
4.1.2.5 Dauer der Arbeitslosigkeit
4.1.2.6 Schulabschluss und ausgeubter Beruf vor der Arbeitslosigkeit
4.1.2.7 Betatigung des arbeitslosen Elternteils im Haushalt
4.1.2.8 Soziale Beziehungen zwischen Eltern und Kindern vor und nach der Arbeitslosigkeit
4.1.2.9 Bestrafungen der Kinder durch ihre Eltern
4.1.2.10 Bestrafungsformen
4.1.2.11 Besuchte Schulformen
4.1.2.12 Schulleistung
4.1.2.13 Nachlassen der mundlichen und schriftlichen Leistungen
4.1.2.14 Schulbesuch und-versaumnisse bei der Arbeitslosigkeit
4.1.2.15 Beziehung zu den Lehrern
4.1.2.16. Berufsaussichten
4.1.2.17 Kinderarbeit
4.1.2.18 Freizeitverhalten
4.1.2.19 Psychosomatische Begleiterscheinungen

5. Expertenberichte
5.1 Bericht „Schmidt-Kessler“ vom 28.06.1993
5.2 Bericht „Heuer“ vom 17.08.1993
5.3 Bericht „Mester“ vom 14.03.1993
5.4 Schulischer Bereich
5.5 Privater Bereich
5.6 Kinderarbeit

6. Zusammenfassung

7. Bewaltigungsstrategien fur die Problematik der Kinder arbeitsloser Eltern
7.1 Effektivitat von Copingprozessen
7.2 Das Bewaltigungsverhalten
7.2.1 Differenziertheitsgrad
7.2.2 Soziale Aspekte des Bewaltigungsverhaltens
7.2.3 Problemorientierte Aspekte des Bewaltigungsverhaltens
7.2.4 Erfolgversprechende Verhaltensweisen und die Realisierung
7.2.5 Realisierung empfundener Verhaltensweisen
7.3. Beratungsangebote zur Bewaltigung kritischer Lebensereignissen
7.3.1 Moglichkeiten der Jugendhilfe
7.3.1.1 Erziehungsberatungsstellen
7.3.1.2 Erziehungsbeistandschaften und sozialpadagogische Familienhilfen
7.3.1.3 Tagesgruppen
7.3.1.4 Heimerziehung und sonstige Wohnformen
7.3.1.5 Schulsozialarbeit
7.3.1.6 Gemeinde und Stadtteilarbeit

8. „Zur Ernahrungsreform“

9. Fazit und Relevanz fur die padagogische Praxis

Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

Am 12.06.1992 beschloss die Konferenz der Jugendminister der

gemeinsamen Verfassungskommission des Bundestages und Bundesrates

folgenden Erganzungsvorschlag zu Art. 6, Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) vorzulegen:

„Jedes Kind hat ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung. Pflege und Erziehung der Kinder sind das naturliche Recht der Eltern und die zuvorderst ihnen obliegende Pflicht. Uber ihre Betatigung wacht die staatliche Gemeinschaft. Sie schutzt und fordert die Rechte des Kindes und tragt fur kindgerechte Lebensbedingungen Sorge.“[1]

Bei der bislang angestrebten, aber nicht umgesetzten Anderung des Grundgesetzes geht es um die Verankerung eigenstandiger Rechte des Kindes auf der Verfassungsebene, unabhangig von den festgelegten Rechten der Eltern, also um eine grundsatzliche Reform des Kindschaftsrechtes. Auf der Basis dieses Erganzungsvorschlages wird es Gegenstand dieser Dissertation sein zu analysieren, inwieweit die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland diese Kinderrechte einschrankt; wobei neben der kursorischen Behandlung der Armutsdiskussion der Schwerpunkt der Arbeit in der Untersuchung der psycho- sozialen Auswirkungen auf die Kinder von Familien besteht, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind.

Die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik liegt im Jahre 2000 bei uber vier Millionen.

(„In der BRD, wo die Vier-Millionen-Grenze inzwischen uberschritten wurde, sind schatzungsweise in Wahrheit bereits bis zu sieben Millionen Menschen arbeitslos.“)[2]

Die offiziellen Statistiken wiesen fur Anfang des Jahres 2000 ca. 4,5 Mio. Arbeitslose auf. Zudem lebten 998.000 Haushalte oder umgerechnet ca. 4,5 Mio. Menschen von der Unterstutzungszahlung der Sozialhilfe. Nach diesen Zahlen leben somit im Jahre 2000 in der Bundesrepublik Deutschland ca. 9 Mio. Menschen von staatlichen Unterstutzungslei- stungen.

Schatzungen zufolge sind davon ein Drittel der Kinder und Jugendlichen in Mitleidenschaft gezogen. Es ist demnach von ca. zwei Mio. Kindern und Jugendlichen auszugehen, die in bundesdeutschen Haushalten leben und von Arbeitslosigkeit oder Sozialhilfebezug der Eltern betroffen sind. [1]

„Schatzungsweise werden inzwischen ca. 2,5 Millionen Familien mit Kindern von diesem brutalen Milieu erfasst. Diese Kinder erleben sowohl in den Freundschaftsgruppen als auch in der Schule ein zweigeteilte Gesellschaft: hier die armen, ausgestofienen, ‘sozial abgefederten‘ Vater, Mutter oder sogar beide Eltern, dort die anderen, die Arbeit haben und weiterleben konnen wie bisher. Diese Familien ziehen sich zuruck, und die Kinder spuren eine allmahlich wachsende Depression der Bezugspersonen, die sich in Aggressivitat oder Brutalitat sich selbst gegenuber oder zu den Kindern oder anderen Personen aufiert.“[2]

Nach dem Ressourcenansatz sind diese Kinder und Jugendlichen als arm zu bezeichnen (vgl. Kap.2.2 u. 3.7). Es reicht allerdings im Hinblick auf Kinder- und Jugendarmut nicht aus, allein den Arbeitslosen - oder Sozialhilfestatus der Eltern zu berucksichtigen. Vielmehr leben auch viele Familien mit eigenem Einkommen und mehreren Kindern am Rande der Armutsschwelle, da das Pro-Kopf-Einkommen mit der Zahl der Kinder rapide absinkt. Somit liegt die wahre Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die in Armut aufwachsen, weit uber den genannten zwei Millionen.[3] Manche Schatzungen gehen sogar von drei Millionen Kindern und Jugendlichen aus, die in bundesdeutschen Haushalten leben und von Arbeitslosigkeit oder Sozialhilfebezug betroffen sind.[4] Strohmeier berichtet, dass in NRW die Halfte der gesamten Armutspopulation unter 25 Jahre alt ist.

Die Gesamtzahl der von Armut Betroffenen beziffert er in NRW mit 995000 Kindem und Jugendlichen. [1]

Die Weltgesundheitsorganisation hat sich auf zwei Symposien speziell mit den gesundheitlichen Folgen der Arbeitslosigkeit befasst. Sie kommt zu der Einschatzung, dass Massenarbeitslosigkeit in den hochindustriellen Landern aufgrund der in der psychologischen und sozialmedizinischen Forschung nachgewiesenen, gravierenden psycho-sozialen und gesundheitlichen Folgeschaden in ihrem gegenwartigen Umfang als eine „epidemiologische Katastrophe“ eingeschatzt werden muss. Aufgrund des aktuellen Forschungsstandes kann festgestellt werden, dass fur eine betrachtliche Zahl von Menschen Arbeitslosigkeit ein kritisches Lebensereignis verkorpert, welches verbunden ist mit einer Summierung alltaglicher Probleme und Sorgen und zu einer betrachtlichen Verschlechterung des psychischen und physischen Gesundheitszustandes fuhrt. Die neuere Arbeitswissenschaft hat Erklarungsansatze fur das Phanomen geliefert, dass Arbeit fur den Menschen vor allem in hochindustrialisierten Landern so wichtig ist. Insbesondere die Arbeiten von Wacker[2] u. a. bieten Interpretationen der ebenso kollektiven wie lebensgeschichtlichen Bedeutung der Erwerbsarbeit. Insbesondere auf die Relevanz von Arbeit fur den Aufbau von Identitat, sozialen Kontakten und eines individuellen Systems der Zeitstrukturierung wird hingewiesen. Auf der Grundlage unseres heutigen Wissens konnen wir davon ausgehen, dass Arbeitslosigkeit zu folgenden Erscheinungen auf der Subjektebene fuhren kann:

- Abnahme des Selbstwertgefuhls
- Zunahme sozialer Isolation
- Entwicklung von Schuldgefuhlen
- Depression, Fatalismus und Apathie.

Es existieren kaum quantitative empirische Untersuchungen, in denen Familienmitglieder, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, zu Wort kommen; wobei empirische Unter­suchungen, bei denen betroffene Kinder unmittelbar befragt werden, uberhaupt nicht existieren.

Das Hauptmanko der Arbeitslosenforschung ist diesbezuglich in dem Umstand zu sehen, dass Arbeits- und Familienwelt, dem Prinzip der Industriegesellschaft folgend, als zwei getrennte Bereiche betrachtet werden. Es liegt auf der Hand, dass gerade langer andauernde Arbeitslosigkeit, insbesondere des „Familienernahrers“, nachhaltige Auswirkungen auf die Familie, die Partnerbeziehungen und die Perspektiven der Kinder hat. Durch die Reduzierung des Einkommens geraten Familien in grofie finanzielle Schwierigkeiten, die sich neben der Einschrankung des Konsums langerfristig in Gestalt von Verschuldung, Raten- und Mietruckstanden auswirken.

Armut stigmatisiert; das erfahren vor allem Kinder in den Schulen und Kindergarten. Sie konnen haufig mit den Bildungszielen nicht mithalten, sind bei Klassenausflugen immer weniger dabei; werden nicht integriert, sondern erfahren Desintegration. Sie wirken oft belastet. Dies macht auch nicht vor den Sozialamtern halt. Haufig werden notwendige Ratschlage reduziert und restriktiv gegeben; personliche Note finden keine Berucksichtigung. Wer kennt nicht die Situation auf den Fluren der Sozialamter? Der Ruckzug aus dem ublichen Leben zahlt zu den auffalligsten psycho-sozialen Folgen der Armut. Soziale Kontakte sind immer mit Kosten verbunden, z.B. wenn personliche Einladungen ausgesprochen werden. Diese Tendenz zur Selbstisolierung lasst sich bei fast allen Arbeitslosen- bzw. Sozialhilfefamilien feststellen. Selbstwertgefuhl und Selbst- bewusstsein der Kinder leiden entsprechend.

Die Verarmung arbeitsloser Eltern fuhrt in den wichtigsten Lebensbereichen der Kinder, wie Schule, Elternhaus und Freizeit zu Konsumverzicht, innerfamiliaren Konflikten, Isolation und Wohnungsnot. Bei Kindern sind Symptome der Resignation, Zukunftsangst, der Ruckgang von Schulleistungen und der Anstieg psycho-somatischer Erkrankungen zu beobachten. Die Identitatsbildung der Kinder wird auf der Basis von Ohnmachterfahrungen und einer allmahlichen AuflOsung von Normen- und Regelsystemen innerhalb der Familie eingeschrankt.

„Kinder, die morgens nicht geweckt werden, ohne Fruhstuck selbst den Weg zur Schule finden mussen und naturlich auch ohne jegliche Unterstutzung ihre schulischen Arbeiten erledigen mussen, sind dort nicht nur Teil des Alltags, sondern bestimmen den Schwerpunkt der schulischen Arbeit (Karin Fuhrmann, Grundschule Horsterfeld, Gelsenkirchen)[1]

Massenarbeitslosigkeit und damit verbundene Verarmung von Teilen der Bevolkerung sind als gesellschaftliches Problem anzusehen.

Es muss Aufgabe von Schule, Jugendamtern, Kinderbeauftragten etc. sein, Kindern von arbeitslosen Eltern konkrete individuelle Hilfen anzubieten. Hierzu zahlen padagogische sowie psycho-soziale und gesundheitliche Beratungsangebote, aber auch Angebote fur die Bereiche Spiel, Kunst, Musik, sportliche Aktivitaten etc.

Einrichtungen, von denen diese Impulse ausgehen konnen, sind

- Schulen
- Vor- und nebenschulische Einrichtungen
- Freizeiteinrichtungen fur die Familien
- Die Gemeinde (Stadtteilarbeit)

Kinder werden selten in der Armuts- und Arbeitslosendiskussion als eigenstandige Gruppe thematisiert.[2] In Statistiken und auch in der wissenschaftlichen Diskussion werden Kinder in der Regel als Teil der Familie versteckt mitthematisiert, wenn es um „Alleinerziehende“, „Mehrpersonenhaushalte“, oder „Familien“ geht.

„War es wohl bislang haufig der Fall, (...), dafi Armut als Thema von Erwachsenen betrachtet wurde, zeichne sich nun immer deutlicher ab, dafi Kinder und Jugendliche nun als ‘Extra-Problemgruppe’ (...) ausgewiesen werden. Diese Erkenntnis veranlafit die Autoren (Otto u. Boley) (...) der Uberlegung nachzugehen, ob und wie diese eigenstandige Sicht nachgewiesen werden kann. (...) Im Kern weisen (Otto u. Boley) nach, dafi das bestehende Berichtssystem Kinder und Jugendliche nicht systematisch erfafit. (...). Auf der Basis der Feststellung, ‘ dafi es in Deutschland insbesondere bezogen auf Kinder kein geschlossenes Berichtssystem’ (...) gebe, fordern sie (...), dafi in einer geanderten Sozialberichterstattung sich der Kinder generell zugewendet werden musse.“ [1]

Wenn heute von Armut in einer Gesellschaft die Rede ist, so wird sie meistens anhand sozial und materiell eingeschrankter und ausgegrenzter Familien problematisiert. Unter dem Stichwort „Infantilisierung der Armut“ wird oft auf die zunehmende Armutsbetroffenheit von Kindern aufmerksam gemacht, die jeweilige Lebenslage von in Armut lebenden Kindern wird allenfalls am Rande gestreift.

Die Armut von Kindern und Jugendlichen hat wie bereits erwahnt bislang in Deutschland noch erstaunlich wenig Beachtung gefunden. Dies gilt, obwohl die Armutsforschung in den letzten Jahren generell einigen Aufschwung erlebt hat, denn das Problem sozialer Ungleichheit hat sich seit der Vereinigung von alter BRD und DDR deutlich zugespitzt.[2] Kinder kamen hierbei jedoch meist am Rande vor. Hierzu tragt bei, dass Kinder und Jugendlichen in der Sozialberichterstattung fur Deutschland lange ubersehen bzw. nur als „Merkmal“ von Haushalten oder befragten Erwachsenen ausgewiesen wurden. Immerhin beginnt sich allmahlich eine eigenstandige Sozialberichterstattung fur Kinder zu etablieren, die die Lebensbedingungen von Kindern selbst zum Gegenstand der Forschung macht. Bislang verfugen wir allerdings nur uber sehr begrenzte Informationen zu Armutslagen im Leben von Kindern und Jugendlichen. Auch hinsichtlich der Auswirkungen von Armut auf die betroffenen Kinder ist unsere Wissensbasis aufierst schmal, wenngleich in machen Publikationen der Anschein erweckt wird, als gehorten gangige Klischees zur Sozialisation von Kindern unter Armutsbedingungen zum sozialwissenschaftlich abgesicherten Wissen. Anders als in den USA[3] und in Grofibritannien fehlen jedoch in der Bundesrepublik grofiangelegte Surveys, die uber die materielle und psycho-soziale Lage uber Kinder informieren.

Im ersten Teil dieser Dissertation werden die Forschungsergebnisse uber Armut aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen behandelt. Des Weiteren wird auf die Problematik der Arbeitslosigkeit als „kritisches Lebensereignis“ unter Berucksichtigung historischer Aspekte eingegangen.

Der zweite Teil hat die theoretischen Grundlagen der -Life-Event-Forschung- zum Gegenstand, wobei die Life-Events aus der Sicht der betroffenen Kinder von arbeitslosen Eltern den Schwerpunkt bilden. Hieran schliefit sich eine empirische Untersuchung mit Hypothesenbildung und Datenauswertung an. Als Stichprobe der Untersuchung wurden Kinder im Alter von 12-16 Jahren ausgewahlt. Die demographischen Daten wurden mit Hilfe eines Fragebogens ermittelt. Neben dem Einsatz von Fragebogen hatten sich zur Erfassung meiner Fragestellungen Einzelinterviews und Gruppenbefragungen angeboten; auf diese Instrumentarien habe ich wegen der Zeitintensitat und der moglichen Verletzung der Privatsphare verzichtet. Es folgen im vierten und funften Teil in Anlehnung an Mayring[1] Expertenberichte von Psychologen und Padagogen sowie Bewaltigungsstrategien fur die Problematik der Kinder arbeitsloser Eltern. Ziel dieser Arbeit ist nicht die Reproduktion isolierter Theorievorgaben, fertiger Einzelergebnisse oder die Wiedergabe von Geltungs- oder Wahrheitsanspruchen, sondern die Sicht auf empirisch ermittelte und wissenschaftlich analysierte Befunde, auf notwendige praxisbezogene Folgerungen und -darauf aufbauend-reflektiertes und reflektierendes padagogisches Handeln.

2. Armut, soziale Deprivation und Arbeitslosigkeit von Familien und ihren betroffenen Kindern

Mitglieder sozialer unterprivilegierten Schichten gerieten vor einigen Jahren in das Blickfeld der politischen und wissenschaftlichen Offentlichkeit. Im Zuge der Thematisierung des Problems sozialer Ungleichheit in den einzelnen Bereichen der bundesrepublikanischen Gesellschaft schienen diese Gruppen ein besonderes gesellschaftliches Problem darzustellen, weil sie dokumentierten, dass krasse soziale Unterschiede aufgrund sozio-okonomischer Strukturbedingungen entgegen dem Selbstverstandnis der Nachkriegsgesellschaft doch nicht beseitigt waren.

Abgesehen davon, dass das Ausmafi der Ignoranz moderner Soziologen- und auch Vertreter anderer Facher-in bezug auf dieses soziale Problem und die Grunde, die dazu gefuhrt haben, einer eigenen Untersuchung bedurften, zumal diese Ignoranz nicht nur fur die Bundesrepublik gultig ist, muss die Abkehr von systematischer Armutsforschung auch mit den gesellschaftlichen Veranderungen seit Beginn der Industrialisierung in Verbindung gebracht werden: Nicht nur veranderte Lebensverhaltnisse waren die Folge, sondern der Umfang und die Art der Armutsproblematik haben sich gewandelt. Entsprechend diesen gesellschaftlichen Veranderungen ergeben sich im Hinblick auf die Analyse der Lebensbedingungen der von Armut betroffenen Gruppen einige Schwierigkeiten. Zunachst ist darauf zu verweisen, dass es keine allgemein anerkannte Definition von Armut gibt; vielmehr finden sich verschiedene Konzepte, die zur Definition und Messung von Armut entwickelt worden sind.[1] In Zusammenhang mit diesem Sachverhalt ist zu sehen, dass es kaum gesicherte Zahlen uber den Anteil der Menschen gibt, die in entwickelten Industrielandern unter den Bedingungen sozialer Unterprivilegierung leben mussen. So schwanken z.B. die Angaben uber die Armutsbevolkerung in den USA fur die fruhen sechziger Jahre zwischen 23 und 50 Millionen; auch fur die Bundesrepublik Deutschland variiert der Anteil vor der politischen Wende zwischen sieben und vierzehn Millionen Menschen.

„Auch in der wirtschaftswunderbaren BRD bis Mitte der 70er Jahre hielt sich hartnackig eine gewisse Armutspopulation als gar nicht so kleine Randgruppe. Anfang der 70er Jahre erschien eine Studie ‘Armut in der Bundesrepublik ‘ von Jurgen Roth, die das mit amtlichen Zahlen belegte und jene Bevolkerungsteile benannte, die vom Wirtschaftswunder weitgehend ausgeschlossen blieben: (...) Schon damals wurden eine halbe Million Obdachlose im Wunderland gezahlt. Insgesamt handelt es sich um eine erhebliche Minderheit von Menschen im Dunklen, die im Konsumparadies der Mehrheit nicht mehr die Wahrnehmung der Verhaltnisse bestimmten: ’ Heute werden in der Bundesrepublik Deutschland etwa 20 % der Bevolkerung von der Moglichkeit ausgeschlossen, am sozialen und gesellschaftlichen Fortschritt teilzunehmen; sie sind arm.’“ [1]

„Zwar hat in Deutschland der Wohlstand seit 1945 fast kontinuierlich zugenommen, gleichzeitig hat damit die soziale Ungleichheit aber nicht abgenommen, sondern ist nur auf eine hohere ‘Etage’ (Fahrstuhleffekt) gefahren worden. Vor diesem Hintergrund hebt (Beck) hervor, dafi die Erfahrung von Armut heute nicht mehr auf klar bestimmbare Gruppen begrenzt ist, sondern sich tendenziell verallgemeinert hat, und eine permanente latente Gefahr darstellt.“[2]

Schliefilich sind auch die vorliegenden Befunde uber die psycho-sozialen Folgen von sozialer Unterprivilegierung insofern widerspruchlich, als eine Reihe von Untersuchungen in ihnen eigenstandige, von der Gesamtgesellschaft gleichsam abgekoppelte Lebens- verhaltnisse sehen und deshalb von einer speziellen ,,culture of poverty“ sprechen, wahrend andere Autoren diese eher in Kategorien sozialer Abweichung von den gultigen Verhaltensnormen in der Gesamtgesellschaft beschreiben. Anders als die Armen in Gesellschaften der Dritten Welt leben die in Armutsbedingungen befindlichen Bevolkerungsgruppen in entwickelten Industriegesellschaften in der Regel nicht am Rande des Existenzminimums, wenn man das als Minimum bezeichnet, was zur physischen Reproduktion notwendig ist. Auf der definitorischen Ebene ist versucht worden, den damit gegebenen Unterschieden gerecht zu werden und zwischen „absoluter“ und „relativer“ Armut zu unterscheiden. Wahrend der Begriff ,,absolute Armut“ den Schwellenwert der physischen Gefahrdung des menschlichen Organismus als Folge des Mangels an Mitteln der Bedurfnisbefriedigung markiert, soll der Begriff „relative“ Armut die soziale Lebenslage eines Menschen im Vergleich zum durchschnittlichen Lebensstandard einer Bevolkerung festlegen.[1] Dieser Unterscheidung folgend, lassen sich die wichtigsten Ansatze (die an anderer Stelle noch eingehend behandelt werden) entsprechend subsumieren und Armut als Problem der Subsistenzerhaltung oder als Problem okonomischer Ungleichheit definieren. Der Subsistenzansatz konzentriert sich auf das Problem der physischen Reproduktion und befasst sich mit der Frage, welche finanziellen Mittel in einer bestimmten Bevolkerung mindestens notwendig sind, um die Gesundheit und Arbeitsfahigkeit der Betroffenen zu erhalten. Charakteristisch fur diesen Ansatz ist der Versuch, eine „objektive“ und „wissenschaftliche“ Armutslinie zu konstruieren, mit deren Hilfe es moglich wird zu entscheiden, ob eine Person oder eine Gruppe als , arm“ oder , nicht arm“ anzusehen ist. Demgegenuber konzentriert sich der Ansatz der okonomischen Ungleichheit auf die relative Position der verschiedenen Einkommensgruppen in der jeweiligen Gesellschaft. Auf eine einfache Formel gebracht, gilt fur diese Ansatze, dass als „arm“ definiert wird, wer weniger als das Durchschnittseinkommen zur Verfugung hat, und entsprechend richten sich die Bemuhungen bei diesen Ansatzen darauf, moglichst exakte Angaben uber den Lebensstandard von moglichst vielen Haushalten in der jeweiligen Bevolkerung zu bekommen, um das Ausmafi der Armut bestimmen zu konnen.[2] Betrachtet man die Intentionen der beiden Ansatze, so zeigt sich, dass dem Subsistenzansatz ein Common- sense-Verstandnis von Armut inharent ist und dass versucht wird, die Definition von Armut frei von personlichen Wertungen verschiedenster Provenienz zu konzeptualisieren. Die Hauptprobleme dieses Ansatzes liegen in dem Versuch, eine Armutslinie zu konstruieren, wobei der Haupteinwand sich gegen den Versuch richtet, einen objektiven Standard an

Minimalbedarf in Bezug auf existentielle Bedurfnisse zu formulieren, weil derartige Bedurfnisse sowohl von „objektiven“ wie „subjektiven“ Faktoren determiniert werden und entsprechend vielfaltige Variationsmoglichkeiten vorkommen konnen. Auch die existentiellen Bedurfnisse der Menschen werden von den Veranderungen im technisch- okonomischen Entwicklungsstand einer Gesellschaft und deren Konsequenzen fur den gesellschaftlichen Reichtum zu einem bestimmten Zeitpunkt, ausgedruckt in dem jeweils gultigen durchschnittlichen Lebensstandard, beeinflusst, so dass es keine metahistorische, die Zeit uberdauernde Armutslinie gibt und geben kann. Ein derart erweiterter Rahmen wird in den Ansatzen verwandt, die Armut als Problem der okonomischen Ungleichheit definieren, wodurch implizit die Verteilungsproblematik des gesellschaftlichen Reichtums und die dabei einwirkenden Herrschaftsstrukturen der jeweiligen Gesellschaft in die Betrachtung mit einbezogen werden. Bemerkenswert erscheint auch die Ersetzung bzw. Erweiterung der Kategorie „Einkommen“ durch den Begriff „Ressourcen“. Darin druckt sich aus, dass in entwickelten Industrielandern Armut nicht einfach auf das Problem des unzureichenden Einkommens reduziert werden kann, weil dann wichtige, die soziale Lage des einzelnen beeinflussende Dimensionen der veranderten sozialen Realitat dieser Gesellschaften unberucksichtigt bleiben. Die Ersetzung der Einkommens- durch die Ressourcenkategorie basiert darauf, Einkommen als „command over resources over time“ zu bestimmen; das Problem des Zugangs und der Verfugung uber bzw. des mehr oder weniger weitgehenden Ausschlusses von Ressourcen ruckt damit in den Vordergrund des Interesses. Die Kategorie gesellschaftlicher Ressourcen lasst sich unter drei Perspektiven beleuchten:

1. Probleme der okonomischen Teilhabe:

Darunter fallen nicht nur das laufende Einkommen unter Berucksichtigung von Familiengrofie und- zusammensetzung sowie der Quellen des Einkommens und des Grades der Regelmafiigkeit bzw. Stabilitat, sondern auch Sparreserven, Renten- und Pensionsanspruche, die Wohnlage und ihre sozio-okologischen Bedingungen und der Bereich der Dienstleistungen in Gestalt von Erziehung und Bildung, medizinischer Ver- sorgung, kommunalen Infrastrukturleistungen und des Verkehrs- und Transport systems.

2. Probleme der politischen Partizipation:

Bezogen auf die Armutsbevolkerung stellt sich die Frage nach den Grunden fur die soziale und politische Apathie dieser Gruppen sowie der ihnen entgegenstehenden Barrieren und Mechanismen in Bezug auf ihre Chancen zu politischem Handeln.

3. Probleme der psycho-sozialen Integration:

In diesen Zusammenhang gehort die Frage nach den psychologischen Aspekten von Selbstbestimmung, vor allem das Gefuhl, autonom handeln zu konnen und auch uber ein gewisses Mafi an „Schicksalskontrolle“ zu verfugen und Ereignisse des eigenen Lebens beeinflussen zu konnen, sowie der soziale Tatbestand, dass staatliche Leistungen, auf die weite Teile der Armutsgruppen angewiesen sind, sozial diskriminiert werden, weil nur Einkommen aus Arbeit in unserer fortgeschrittenen Industriegesellschaft positiv sanktioniert wird. Dieser analytisch-deskriptive Ansatz macht deutlich, in welchem Umfang bei der Diskussion des Ausschlusses bzw. Zugangs zu gesellschaftlichen Ressourcen okonomische, politische, psychologische und soziale Faktoren berucksichtigt werden mussen. In dieser Komplexitat liegt aber auch eine der grofiten Schwierigkeiten, die sich allen Ansatzen dieser Art stellt: das Problem der Operatonalisierbarkeit der einzelnen Faktoren, die notwendig sind, wenn Aussagen uber das Ausmafi und den Umfang der Armut bzw. der davon betroffenen Gruppen gemacht werden sollen.[1] Neben diesen Schwierigkeiten, in unseren Industriegesellschaften Armut zu definieren und ihr Ausmafi zu messen, sind die Konstellationen hervorzuheben, die sich auf die Konsequenzen des Lebens und den damit verbundenen Stress der Armut beziehen. In diesem Zusammenhang darf nicht ubersehen werden, dass alle Versuche, die Lebensbedingungen von deprivierten Gruppen zu beschreiben und den Ursachen dafur nachzugehen, sich dadurch auszeichnen, dass in ihnen politische Ziele und Implikationen enthalten sind, die freilich zumeist nicht offengelegt werden, sondern sich hinter moralischen Dichotomien verbergen. Ein Beispiel dafur sind etwa die differenzierenden Sichtweisen, die Arme als „deficient“ bezeichnen oder die Lebensverhaltnisse dieses Bevolkerungsteils als „deprived“ beschreiben. Darin schlagen sich unterschiedliche Auffassungen sowohl uber die Bereitschaft von Menschen, sich veranderten Bedingungen anzupassen, als auch uber die Bedeutung von kulturellen Momenten gegenuber sozialen Veranderungsprozessen nieder.

2.1 Basiskonzepte der Armut

Diese allgemeine Einfuhrung uber die wissenschaftliche Diskussion hat gezeigt, dass kein Konsens bei der Bestimmung des Armutsbegriffs existiert. Dies erscheint nicht weiter erstaunlich, da mit der Definition des Begriffs „Armut“, wie bereits erwahnt, uber bestimmte Personengruppen politische Wertungen vorgenommen werden, die von den Sichtweisen einzelner politischer und gesellschaftlicher Gruppen abhangig sind. Eine eindeutige Trennlinie zwischen wissenschaftlicher und politischer Diskussion kann daher nicht immer gezogen werden. Es soll im Folgenden nicht auf die unterschiedlichen politischen Auffassungen von Armut eingegangen werden, sondern es werden Armutsdefinitionen und theoretische Konzepte gegenubergestellt, die jeweils unterschiedlich weit gefasst sind und dadurch auch unterschiedliche Dimensionen des anstehenden Armutsproblems beleuchten. Da weder ein Konsens in der politischen noch wissenschaftlichen Diskussion in diesem Zusammenhang besteht, mochte ich an dieser Stelle die zwei Basiskonzepte der Armut eingehend vorstellen: die absolute Armut und die relative Armut. Mit dem Begriff „absolute Armut“ ist der Mangelzustand gemeint, der es nicht erlaubt, die physische Existenz eines Menschen dauerhaft zu sichern. Die Armutsgrenze ist identisch mit der Summe der zur Erhaltung der physischen Existenz notwendigen Guter und Dienstleistungen. Dieser Armutsbegriff bezieht sich auf Mangelzustande, die in den Bereichen Ernahrung, Kleidung, Unterkunft und gesundheitliche Fursorge vorliegen konnen. Absolute Armut als Problem der Aufrechterhaltung des physischen Existenz kann in unseren Industriegesellschaften als nahezu uberwunden betrachtet werden. Die Armutsdiskussion konzentriert sich deshalb in der Forschung eher auf das Konzept der relativen Armut. Unter relativer Armut versteht man in der Regel einen Mangel an Mitteln, die zur Sicherung desjenigen Lebensbedarfs notwendig sind, auf dem sozialer und kultureller Standard der jeweiligen Gesellschaft beruhen. Die Armutsgrenze wird hierbei durch einen bestimmten Grad des Unterschreitens dieser Standards definiert. Diese Armutsgrenze kann als sozio-kulturelles Existenzminimum bezeichnet werden. Dieser Begriff ist somit nicht identisch mit den Begriffen der sozialen Ungleichheit und sozialen Deprivation; denn erst das Ausmafi der Ungleichheit bzw. Deprivation bestimmt den Terminus Armut.[1] Um Armut zu operationalisieren, wird in der Literatur in ,,relative Einkommensarmut“, „Sozialhilfeschwelle“, „bekampfte Armut“ und „verdeckte Armut“ differenziert:

Unter relativer Einkommensarmut versteht man einen bestimmten Grad des Unterschreitens eines gewichteten Durchschnittseinkommens innerhalb einer Gesellschaft. In der Armutsforschung hat sich die Vorgehensweise durchgesetzt, bei der das gewichtete Pro-Kopf-Haushaltsnettoeinkommen (Nettoaquivalenzeinkommen) einzelner Personen bzw. Haushalte in Relation zum durchschnittlichen Nettoaquivalenzeinkommen aller Haushalte und Personen in der BRD gesetzt wird. Diese Definition greift nicht auf eine bedarfsorientierte politisch gesetzte Einkommensgrenze zuruck, sondern definiert Armut ab einem bestimmten Verhaltnis der Einkommenssituation einer Person bzw. eines Haushaltes zum gesamtgesellschaftlichen Durchschnittsnettoeinkommen. Durch die Berechnung von Aquivalenzeinkommen werden die bei Mehr-Personen-Haushalten pro Kopf geringeren Kosten der Haushaltsfuhrung -im Vergleich zu Einpersonen-Haushalten- berucksichtigt und die altersbedingten Bedarfsunterschiede einbezogen. Wo die Grenze zwischen Armut und Nicht-Armut hier gezogen wird, ist eine normative Entscheidung, die sich einer rein wissenschaftlichen Begrundung entzieht. In der Literatur finden sich Armutsgrenzen von 40%, 50% oder 60% des durchschnittlichen Nettoaquivalenzeinkommens, wobei jedoch die 50%-Grenze am haufigsten zur Anwendung kommt. In der BRD existiert keine vom Gesetzgeber festgelegte Armutsgrenze. Die Sozialhilfeschwelle wird daher haufig als quasi-offizielle Armutsgrenze bezeichnet. Ein Haushalt oder eine Person ist dann arm, wenn das Einkommen geringer ist als das im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) festgelegte Existenzminimum. Das Bundessozialhilfegesetz legt damit ein sozio-kulturelles Existenz- minimum in Form des Sozialhilfebedarfs fest. Die Sozialhilfebedurftigkeit kann in zwei Komponenten unterschieden werden: die bekampfte und die verdeckte Armut. Bei der bekampften Armut handelt es sich um Personen, die sozialhilfeberechtigt sind und diese staatlichen Transferleistungen in Anspruch nehmen. Nach Aussagen der letzten Bundesregierung sind diese Personen nicht mehr als arm zu bezeichnen: [1]

„Die Sozialhilfe bekampft Armut, sie schafft sie nicht. Wer die ihm zustehenden Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch nimmt, ist nicht mehr arm. Als arm konnen im Gegenteil Personen angesehen werden, die Anspruch auf Sozialhilfe haben, diesen Anspruch nicht geltend machen.“[2]

Die Sozialhilfe unterscheidet die Hilfe in besonderen Lebenslagen (HBL) und die Hilfe zum Lebensunterhalt (HLU). Die Hilfe in besonderen Lebenslagen dient zur Uberbruckung aufiergewohnlicher Notlagen, z.B. drohender Gesundheitsschaden. Die Hilfe zum Lebensunterhalt gliedert sich in die einmaligen Leistungen und in die laufenden Leistungen. Zu den einmaligen Leistungen gehoren Bedarfsgegenstande wie Wasche und Hausrat, wenn diese aufgrund der aktuellen Lebenssituation (z.B. Schwangerschaft etc.) angeschafft werden mussen. Die laufenden Leistungen dienen dazu, das notwendige sozio- kulturelle Existenzminimum zu sichern. Sie umfassen insbesondere den laufenden Bedarf an Ernahrung, Kleidung, Unterkunft, Heizung und Hausrat sowie Korperpflege. In der sozialwissenschaftlichen Diskussion wird dieser Personenkreis weiterhin als arm bezeichnet mit der Begrundung von Mangeln im Bedarfsmessungssystem auf der Basis von Statistikmodellen. Hieraus resultiert, dass Sozialhilfeempfanger nicht in vollem Umfang an der Entwicklung des Wohlstands in der Gesellschaft partizipieren konnen.

Neben diesem materiellen Aspekt wird an der Sozialhilfe kritisiert, dass sie keine vollwertige Sozialleistung darstelle, denn durch zahlreiche Kontrollen und Bedingungen fuhre sie zur Stigmatisierung der Sozialhilfeempfanger.[1]

Bei der verdeckten Armut handelt es sich um Haushalte, deren Einkommen niedriger ist als jenes, das ihnen durch die Sozialhilfe zugesichert ist, und die trotz des bestehenden Rechtsanspruchs diese Leistung nicht in Anspruch nehmen. Die von verdeckter Armut Betroffenen mussen mit einem Einkommen leben, das unterhalb des anerkannten sozio- kulturellen Existenzminimums liegt. Hieraus lasst sich schliefien, dass verdeckte Armut die schwerste Form von Armut darstellt.

„ Zu den ’Erwerbsarmen’ kommen nicht nur die Arbeitslosen und Sozialhilfeempfanger, sondern auch die Elendsexistenzen der ’verdeckten Armut’ ; also diejenigen, die nicht einmal mehr ihre Berechtigung zur Sozialhilfe in Anspruch nehmen, weil sie die sadistischen Demutigungen der demokratischen Armutsverwaltung nicht mehr ertragen- allein in der BRD etwa 2,8 Millionen Menschen.“[2]

In Untersuchungen zur Nichtinanspruchnahme von Sozialhilfe werden Begriffe wie „verschamte Armut“ bzw. „offene Armut“, latente Armut etc. sowie „Dunkelziffer der Armut“ synonym verwendet[3]

2.2. Armut bei Kindern und Jugendlichen

Moderne Gesellschaften sind durch ihren Charakter als „Wohlfahrtsstaaten“ gekenn- zeichnet. Das politische System sorgt im Rahmen demokratischer Regeln dafur, extreme soziale Ungleichheiten auszupendeln oder zumindest ein Mindestmafi an Gleichheit herzustellen. Bei genauerer Betrachtung funktioniert dieses System leidlich: Die Mehrheit der Bevolkerung lebt in materiellen Wohlstand und gunstigen Lebensbedingungen. Trotz dieser Erfolge ist jedoch bei einem Grofiteil der Bevolkerung das korperliche, psychische und soziale Wohlbefinden nicht immer ausreichend gewahrleistet. Dieses korperliche, psychische und soziale Wohlbefinden sind Faktoren, die nach den neueren theoretischen Ansatzen der Sozialisationsforschung die Personlichkeitsentwicklung nachhaltig be- einflussen. [1]

„ Sozialisation bezeichnet damit den Prozefi der Konstituierung der Personlichkeit in wechselseitiger Abhangigkeit von und in kontinuierlicher Auseinandersetzung mit der gesellschaftlich vermittelten sozialen und dinglich-materiellen Umwelt einerseits und der biophysischen Struktur des Organismus anderseits. Programmatisch wird mit diesem Begriff zum Ausdruck gebracht, dafi das menschliche Individuum sich dauerhaft durch soziale und gesellschaftliche Faktoren mitentwickelt und sich einem Prozefi der sozialen Interaktion herausbildet. Die Personlichkeit entwickelt sich nach dieser Vorstellung in keiner ihrer Funktionen und Dimensionen gesellschaftsfrei, sondern lebenslang in einer konkreten Lebenswelt, die historisch vermittelt ist.“[2]

Fur eine optimale Personlichkeitsentwicklung[3] sind Kinder auf bestimmte Beziehungs- bedingungen angewiesen, die in einer grofien Zahl von Familien heute nicht in ausreichendem Mafie gegeben sind. Unausgeglichene und spannungsvolle Beziehungen in der Familie bilden einen starken Risikofaktor fur die jeweilige kindliche Entwicklung. Arbeitsprobleme, Armut etc. beeintrachtigen direkt oder indirekt den Aufbau von Verhaltenskompetenzen des Kindes.[4] Belastungssituationen fuhren bei Familien mit einem ungunstigen sozialen Status schneller zu stresshaften Konstellationen im Inneren des Familienverbandes. Diese Belastungen werden dann besonders stark empfunden, wenn zu den o.a. Konstellationen auch schwierige in Schule und Nachbarschaft kommen, die sich oft gegenseitig bedingen. Die Erforschung belastender Lebensereignisse (s. Life-Event- Forschung) hat sich seit den sechziger Jahren als ein wichtiges Arbeitsgebiet vor allem der Sozialpsychiatrie und der klinischen Psychologie sowie auch in der Soziologie etabliert. Fur ein breites Spektrum von psychischen Auffalligkeiten und Beeintrachtigungen bei Kindern konnte der Zusammenhang mit Lebensbelastungen nachgewiesen werden. Eine Gefahrdung der Entwicklungsbedurfnisse von Kindern wird durch ungunstige materielle Bedingungen hervorgerufen. Diese Lebensbelastung ist auch in industriellen Wohlfahrtsstaaten in erheblichem Mafie anzutreffen. Durch Armut wird eine Familie an den Rand der wirtschaftlichen Existenzbedingungen gedrangt. Die Folge sind oft gespannte und zerruttete Familienbeziehungen und unkontrollierte Erziehungsstile, die nicht die notigen Voraussetzungen fur die soziale, psychische Entwicklung der Kinder sichern. [1]

„Kinder benotigen in ihren ersten Lebensjahren zuverlassige, stabile und berechenbare soziale Beziehungsstrukturen, die ihnen Unterstutzung und Anregung fur ihre personlichen Entwicklungsprozesse gewahren. (...) Um ein positives Selbstwertgefuhl, um Selbstkontrolle, prosoziale Orientierungen, freundliches und kooperatives Verhalten im Umgang mit Gleichaltrigen und Erwachsenen, Selbstverantwortlichkeit und intellektuelle Leistungsbereitschaft zu entwickeln, benotigt ein Kind kontinuierliche Unterstutzung und Warme, konsistente Kontrolle und Disziplinierung, einfuhlend-erklarendes Erziehungsverhalten und gleichzeitige Gewahrung eines sich schrittweise erweiternden Handlungsspielraums. Diese Verhaltensweisen konnen nur erbracht werden, wenn Eltern oder andere Erzieher(-innen) in befriedigenden Beziehungen unter zumindest gut ertraglichen materiellen Bedingungen leben.“[2]

Die Definitionen von Armut bzw. „armsein“ bei Kindern und Jugendlichen relativieren sich sehr stark nach jeweiligen Lebenshintergrunden und Lebenserfahrungen, nach gesellschaftlichem Status und nach Geschlecht. Die Nationale Armutskonferenz (NAK) der Bundesrepublik Deutschland, getragen durch die Wohlfahrtsverbande, den DGB, die kirchlichen Sozialdienste, diverse Bundesarbeitsgemeinschaften und Initiativen, macht Armut am Zusammenwirken mehrerer benachteiligender Faktoren der Bereiche Einkommen, Arbeit, Ausbildung, Wohnen, Gesundheit sowie nicht adaquater institutioneller Hilfen fest. Armut wird dabei -entsprechend einer Definition der EG -als Situation gesehen, die eine Teilhabe an der als Minimum angesehenen gesellschaftlichen Lebensweise nicht ermoglicht. Als Minimum wird dabei die Halfte des gesellschaftlichen Einkommens-durchschnitts definiert.

Nach dem Armutsbericht von DGB und DPWV fielen 1992 in Westdeutschland 7,5% und in Ostdeutschland 14,8% unter die Kategorie „einkommensarm“. Unter den sogenannten Einkommensarmen waren ein Drittel Kinder und Jugendliche.

Einkommensarmut geht haufig mit fehlender Ausbildung und fehlendem bzw. niedrigem Schulabschluss einher. In Westdeutschland hatten 1992 ca. 25 % der Jugendlichen uber 15 Jahren keinen Berufsabschluss (10% der Ostdeutschen) ; jeder dritte Westdeutsche und jede sechste ostdeutsche Frau waren davon betroffen. In der Armutsentwicklung zeichnen sich somit deutliche Verschiebungen ab. Waren vor einiger Zeit hauptsachlich altere Menschen betroffen, so sind es heute eher jungere Jahrgange. Kinder sind somit zu einem modernen Armutsrisiko geworden. Der Armutsforscher Chasse[1] stellt weiterhin eine Dynamik innerhalb der benachteiligten Gruppen fest. Er sieht dabei eine grofie Fluktuation im unteren Drittel der Einkommenspyramide, die er mit spezifischen Haushaltsformen, Familienzyklen und Lebensphasen in Verbindung bringt. Daraus liefie sich folgern, dass von Armut ein immer grofierer Bevolkerungsteil mindestens einmal im Leben betroffen ist. Diese Ergebnisse bestatigen die These der „Zwei-Drittel-Gesellschaft“ und der zunehmend sich auspragenden Einkommensunterschiede als Momentaufnahme. Gravierender stellen sich allerdings deren Folgen dar, betrachtet man die Entwicklungen unter gemein- wesensbezogenen oder regionalen Aspekten. Danach existieren insbesondere in den Grofi- stadten mit uber 500 000 Einwohnern deutliche Polarisierungstrends: Parallel zu den Indikatoren steigenden Reichtums gibt es hohe Armutsquoten gerade bei Kindern und Ju­gendlichen: So waren z.B. 1991 von den unter 15jahrigen in Hannover 19,3%, in Hamburg 18,2%, in Essen 18%, Bremen, Koln, Dortmund und Dusseldorf zwischen 15 und 18%, in Frankfurt/Main und Duisburg uber 13% und in Stuttgart, Berlin [1], Bochum und Munchen zwischen 8 und 10% von Sozialhilfe abhangig. Armut konzentriert sich demnach sehr stark in den eher metropolitan gepragten Grofistadten und wird dort zum Massen- und Alltagsphanomen besonders bei Kindern und Jugendlichen.[2] Strohmeier[3] berichtet, dass in NRW die Halfte der gesamten Armutspopulation unter 25 Jahre alt ist. Die Gesamtzahl der von Armut Betroffenen beziffert er in NRW mit 995 000 Kindern und Jugendlichen. Betrachtet man zudem noch einmal genauer die Binnenstrukturen dieser Grofistadte, so deuten sich gerade fur die jungeren Altersgruppen extreme lebensweltbezogene Widerspruchssituationen an.

Die Armen wohnen z.B. in Frankfurt/M. haufig entweder ganz am Stadtrand, gleicher- mafien ausquartiert oder aber in den zentralen und subzentralen Stadtarealen, die unmittelbar vor einem Strukturwandel, einer „Neunutzung“ stehen. Gerade dort sind sie aber mit einer Umwelt konfrontiert, die in einem diametralen Gegensatz zu ihrer eigenen materiellen Lebenssituation steht: So sind die Erwerbslosenquoten im Citybereich mit 12­19% die hochsten in der ganzen Stadt. Parallel hierzu konzentrieren sich genau in diesem Gebiet ca. 100000 Arbeitsplatze bei einer Einwohnerzahl von 15 000, von denen wiederum ein grofier Teil (zwischen 10 und 15%) von Sozialhilfe abhangig ist. Davon sind erwartungsgemafi die jungeren Jahrgange noch einmal starker betroffen; z.B. ist im Bahnhofsviertel jeder Dritte, in der City jeder Vierte unter 18 Jahren alt. Als adoleszente Begleiterscheinung tritt bei sehr vielen Kindern und Jugendlichen in diesem Zusammenhang abweichendes Verhalten (Diebstahl etc.) in Erscheinung. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, ob abweichendes Verhalten als Selbstregulierungsexperiment dieser Altersphase quasi episodenhaft bleibt oder sich als Bewaltigungsmuster verfestigt und damit auch perspektivisch zu einem standigen Benachteiligungs- oder sogar Armutsrisiko wird. Als Indikatoren fur Gefahrdungslagen stellen sich sicherlich die in der Grofistadtoffentlichkeit vorfindbaren Problemkontexte dar: Kinder und Jugendliche als „AusreifierInnen“ als „Drogenkonsumenten oder mit Drogen Handelnde“ als „Delinquenten“ und als „Zufluchtsuchende“.[1] Bei der Frage nach dem Stand der Sozial- und Armutsberichterstattung uber Kinder und Jugendliche fallt der Mangel an lebenslagenorientierten Gesamtubersichten sowie -damit einhergehend- das Fehlen einer kontinuierlichen Berichterstattung auf. Die vorliegenden Quellen beziehen sich in der Regel auf den sozialstrukturellen Wandel von Familien, d.h. auf den Zusammenhang von Sozialstruktur und Auftreten von Familientypen und Pluralisierung von familiaren Lebensbedingungen.

Betrachtet man aber die gesamte Literatur zu den ausdifferenzierten Lebensbereichen, so lasst sich konstatieren, dass fur Einzelbereiche, wie Arbeit, Arbeitslosigkeit, Erziehung, Bildung, Ausbildung, Einkommen, Wohnen, Gesundheit etc. umfassende empirische Analysen und Daten zur Verfugung stehen, etwa auch zu sozialraumlichen Segregationen und zu sozio-okologischen Rahmenbedingungen. Hier sind auch die zahlreichen aktuellen Analysen zur Situation von Kindern und Jugendlichen in Ostdeutschland nach der Wende anzufuhren.[2] Nicht verschwiegen werden soll jedoch, dass es sich dabei in der Regel um relativ junges Material handelt, was auf das Fehlen von Traditionslinien in dem jeweiligen Forschungsbereich hinweist. Zudem heifit aktuelle Publikation nicht automatisch aktuelles, zeitnahes Zahlenmaterial, da aufgrund fehlender Institutionalisierung einer Sozialbericht- erstattung in der BRD oft Schwierigkeiten bei der Datenerhebung auftreten konnen.

2.3. Datenbasis: Sozio-okonomisches Panel, Mikrozensus und Sozialhilfestatistik

Das sozio-okonomische Panel (SOEP) ist eine seit 1984 jahrlich durchgefuhrte reprasen- tative Langsschnittuntersuchung privater Haushalte in der BRD. Alle Personen aus den ausgewahlten Haushalten im Alter ab 16 Jahren werden direkt befragt. Ab 1990 werden neben den westdeutschen auch ostdeutsche Haushalte im Panel erfasst.

„Im Gegensatz zu anderen Datenbasen ermoglicht das SOEP zeitnahe Analysen objektiver und subjektiver Aspekte der Lebensbedingungen der Bevolkerung auch im Langsschnitt. Neben der Untersuchung der Struktur und Einkommensdisposition von Haushalten bietet das Panel eine Reihe lebenslagenorientierter Auswertungsmoglichkeiten auf Individualebene, die es somit zu einer der bislang wichtigsten und in der Bundesrepublik gebrauchlichsten Datenquelle der Armutsberichtserstattung machen (...).“ [1]

Die Mikrozensuserhebung wird seit 1957 durchgefuhrt. Mit einer Zufallsauswahl von 1% der Bevolkerung und ca. 850 000 Personen handelt es sich hier um die grofite jahrlich durchgefuhrte Reprasentativbefragung in Deutschland.

„Die Datenqualitat, der umfangreiche inhaltliche Merkmalskatalog und die hohen Fallzahlen des Mikrozensus stellen fur die Sozialberichterstattung ein bedeutungsvolles Potential dar. Zusammenhange zwischen Armutsrisiken, Haushalts- und Familienkonstellationen sowie den Erwerbssituationen (Arbeitslosigkeit, Niedrigeinkommen und unsichere Beschaftigungs- verhaltnisse) konnen mit den Daten des Mikrozensus aufgedeckt werden. Mit seinen hohen Fallzahlen konnen detaillierte Analysen uber die Ziel- und Risikogruppen der Landes- sozialberichterstattung durchgefuhrt werden und neue Aufschlusse uber das Bild der Armut geliefert werden.“[2]

Im Rahmen der Armutsforschung hat die amtliche Sozialhilfestatistik aus zwei Grunden zentrale Bedeutung: Einmal ist ihr eine erhebliche gesellschaftliche Bedeutung beizumessen, da die Sozialhilfeschwelle als quasi-offizielle Armutsgrenze zu bewerten ist. Zum anderen ist der Bezug von Sozialhilfe Ausdruck einer personlichen Notlage, oft auch der Ausdruck eines sozialen Abstiegs.

„ Von einer Vielzahl von amtlichen und wissenschaftlichen Datenquellen ist die Sozialhilfestatistik bisher trotz ihrer Mangel eine der wichtigsten Informationsquellen fur alle, die Interesse an der Beobachtung und Erklarung sozialer Probleme haben: Betroffene, Praktiker aus Sozialverwaltungen und -verbanden, Sozialplaner, Sozialwissenschaftler und vor allem Bundes-, Landes - und Kommunalpolitiker... sie (ist) die einzige Erhebung, die kontinuierlich und flachendeckend organisiert Auskunft uber die Entwicklung der Sozialhilfe gibt."[1]

2.4 Arbeitslosigkeit als kritisches Lebensereignis

Angesichts der zunehmenden Arbeitslosigkeit beschaftigte sich A. Wacker[2] mit dem Thema „Psychische und soziale Voraussetzungen und Folgen von Arbeitslosigkeit“. In seinem theoretischen Beitrag geht es um Auswirkungen von Arbeitslosigkeit mannlicher Arbeitnehmer auf das Umfeld (Familie, Freunde), um Veranderungen der Arbeits- und der gesellschaftlichen und politischen Orientierung und um mogliche psychische Verarbeitungsformen und solidarische Hilfen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Des weiteren sei in diesem Zusammenhang im Vorgriff zum Kapitel 3-Theoretische Grundlagen -Life-Event-Forschung- Filipp anzufuhren, die Arbeitslosigkeit als Veranderung der sozialen Lebenssituation definiert und fur den jeweils Betroffenen von grofier individueller Bedeutung (nicht-normative Leben) ist; die Arbeitslosigkeit gilt fur Filipp[3] als sehr schwer zu bewaltigendes Lebensereignis. Verlust des Arbeitsplatzes bedeutet nach Wacker den ,,Verlust bestehender Realitatsbindungen“[4] -vergleichbar mit dem Verlust des Partners. Bei allen von ihm befragten Personen lassen sich Reaktionen wie Trauer, Ohnmacht, Hilflosigkeit oder aber auch Auflehnung beobachten -je nach individuell verschiedenen Erfahrungen und Bewaltigungsfahigkeiten und je nach Stellenwert, den Arbeit im Leben einer Person einnimmt (Arbeitsorientierung).

„Die Gewalt des Systems selbst, die Menschen erfahren, die, im Vollbesitz ihrer geistigen, seelischen und korperlichen Krafte und mit starkem Arbeitswillen ausgestattet, in die Arbeitslosigkeit gestofien werden, die ihre Wohnung verlieren und von magerer Sozialhilfe leben-, diese Gewalt aus dem Gewaltdiskurs auszusparen wurde zu nichts anderem fuhren als zu einem fur sozialwissenschaftliche Erkenntnis unbrauchbaren Datenverschnitt.

Denn den fortwahrenden Anstrengungen der offiziellen Gesellschaft, die Gewaltmomente in der eigenen Ordnung zu verleugnen oder dadurch zu neutralisieren, dass sie dem staatlichen Gewaltmonopol als Legitimationsbestandteile zugeschlagen werden, ist der Satz des Berliner Malers Heinrich Zille entgegenzuhalten, der sich im Milieu der Ausgestofienen gut auskannte und der diese Form sublimer, verdeckter und aus dem offentlichen Bewusstsein verdrangter Gewalt hautnah wahrgenommen hat. ’ Man kann ’ sagte er ‘einen Menschen mit einer Wohnunggenauso toten wie mit einer Axt’“.[1]

Es kann vorkommen, dass ein Mensch mit seiner Entlassung nicht allein einen wesentlichen Bereich seiner Verankerung in der gesellschaftlichen Realitat verliert, sondern auch gezwungen ist, seinen gesamten Lebenszusammenhang neu zu organisieren. Verunsicherung des Selbstwertgefuhls, soziale Desorientierung, psychosomatische Dekompensation und psychische Verhartung sind die wahrscheinlichen Folgen. Konfliktakkumulation und-massierung erzwingen die Bundelung der Energie auf die unmittelbaren Notwendigkeiten der Existenzerhaltung und -sicherung; Desorientierung und Verunsicherung fuhren zum Abzug der psychischen Besetzungen aus einer als bedrohlich erlebten Realitat. Ruckzugs-tendenzen, Angst, Wut und Ohnmachterfahrungen wechseln einander ab, ohne dass sich eine stabile Handlungsbasis herstellen kann.

"Der bei den ‘Apathischen’ (in Anlehnung an die Marienthal-Studie) erwahnte Zusammenhang zwischen Verlust des Arbeitsplatzes, Alkoholismus und Aufgeben einer geordneten Haushaltsfuhrung ist mir auch aus meiner Berufspraxis in der Suchttherapie bekannt. Ich empfinde den therapeutischen Umgang mit Langzeitarbeitslosen in der Suchttherapie deshalb als besonders schwierig, weil bei ihnen nicht nur zentrale Bereiche der Personlichkeit-Selbstwertgefuhl, psychische Energie und Aktivitat -erheblich in Mitleidenschaft gezogen sind, sondern auch Fahigkeiten, die zur Strukturierung des Alltags gehoren, wie z.B. Zeiteinteilung, Achtung auf Korperpflege und soziale Verbindlichkeiten, allmahlich verloren gehen.”[1]

Hinsichtlich der Kausalitat von Arbeitslosigkeit und Entstehung von Depressionen und Angstgefuhlen liegen uns neuere Untersuchungen aus Grofibritannien vor:

„ Wissenschaftler haben bei einer Befragung von knapp 8000 Menschen in Grofibritannien entdeckt, dass es eine Verbindung zwischen Arbeitslosigkeit und Armut einerseits und psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angstgefuhlen andererseits gibt, wobei diese Forscher die finanzielle Belastung fur die eigentliche Ursache der seelischen Probleme halten.

Richard Sennet nennt noch eine weitere. Wer arbeitslos wird (...), findet auf die Frage ‘Wer braucht mich?’ keine befriedigende Antwort mehr. ‘Das System strahlt Gleichgultigkeit aus. Menschen werden behandelt, als seien sie problemlos ersetzbar oder uberflussig. Das vermindert das Gefuhl personlicher Bedeutung. Die ‘logische Reaktion‘ darauf, so Sennet, ist Apathie.“[2]

Arbeitslosigkeit ist bereits vorab als vernichtendes Ereignis im Bewusstsein reprasentiert und mit Ausgrenzung aus dem gesellschaftlichen Leben, mit sozialem Abstieg, Sinnlosigkeit und Unausgefulltheit der individuellen Existenz und mit dem Verlust der sozialen Reputation verbunden. So erklarten in den 60er Jahren 74% der Bevolkerung, dass sie auch dann noch weiter arbeiten mochten, wenn z. B. aufgrund einer Erbschaft keine finanzielle

Notwendigkeit mehr dazu vorlage.[1] Als Begrundung wurde die Freude an der Arbeit genannt, die die eigene Existenz rechtfertigt und die Sinn und Selbstachtung verleiht.[2]

Die Arbeitslosenforschung in der BRD hat erst Mitte der 70er Jahre begonnen. In der BRD hatte sich die wirtschaftliche Rezession von 1966/67 stark in NRW ausgewirkt. Die darauffolgenden Untersuchungen beschrankten sich auf mogliche Einbufien der privaten Haushalte im Ruhrgebiet durch die Rezession und Auswirkungen auf das Konsumverhalten der Arbeitslosen.

In der BRD sind danach eine Anzahl von Veroffentlichungen von Wacker, Kieselbach, Frese und Mohr erfolgt. Sie bemuhen sich um die Zusammenstellung alterer und neuerer empirischer Daten und deren Ordnung nach wechselnden Gesichtspunkten. Alle Autoren stimmen darin uberein, dass sich historisch eine Verschiebung zur starker psychischen Deprivation Arbeitsloser abzuzeichnen scheint und versuchen diese zu beschreiben. Die Bemuhungen, die empirisch festgestellten Wirkungen der Arbeitslosigkeit nachtraglich aufzuklaren, bleiben jedoch Versuche, da u.a. die entsprechende Theorie noch fehlt. Alle neueren Untersuchungen bestatigen dennoch weitgehend den Trend der alteren Untersuchungen:

Arbeitslose zeigen nach Befunden der internationalen Forschungen:

-uberwiegend passives Verhalten
-erhohte Anfalligkeit fur ernsthafte psychische Erkrankungen
-erhohte Angstlichkeit
-Depressivitat
-einen schlechten allgemeinen Gesundheitszustand.

Kinder werden selten in der Armuts- und Arbeitslosendiskussion als eigenstandige Gruppe thematisieret.[3] In Statistiken und auch in der wissenschaftlichen Diskussion werden Kinder in der Regel als Teil der Familie versteckt mitthematisiert, wenn es um „Alleinerziehende“, „Mehrpersonenhaushalte“, oder „Familien“ geht. Wenn heute von Armut in einer Gesellschaft die Rede ist, so wird sie meistens anhand sozial und materiell eingeschrankten und ausgegrenzten Familien problematisiert. Unter dem Stichwort „Infantilisierung der Armut“ wird oft auf die zunehmende Armutsbetroffenheit von Kindern aufmerksam gemacht, die jeweilige Lebenslage von in Armut lebenden Kindern wird allenfalls am Rande gestreift. Im Gegensatz zu den bisherigen Forschungsmethoden zu diesem Thema werden von mir die betroffenen Kinder direkt mittels eines Fragebogens interviewt.

Es existieren zudem kaum quantitative empirische Untersuchungen, in denen Familienmitglieder, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, zu Wort kommen; wobei empirische Untersuchungen, bei denen betroffene Kinder unmittelbar befragt werden, uberhaupt nicht existieren; daher kommen in meiner empirischen Untersuchung standardisierte Interviews mit betroffenen Kindern zur Anwendung.

Da neuere Untersuchungen zu den Auswirkungen der Arbeitslosigkeit auf die Situation der Kinder nicht vorliegen, lohnt sich ein Blick auf die Ergebnisse alterer Studien: Generell lasst sich nach den Studien aus den 30er Jahren eine Verschlechterung des korperlichen Allgemeinzustandes infolge geringerer Ernahrung und schlechter Korperpflege sowie die zunehmende Anfalligkeit fur Krankheiten beobachten. Durch die Minderung der Wohnqualitat sind die Prozesse noch verstarkt worden. Schindler[1] 1977 (unveroffentlichte Dipl.-Arbeit) legte in einer Untersuchung zu den Auswirkungen der Arbeitslosigkeit auf die Familie Kindern arbeitsloser und erwerbstatiger Vater Statements und Fragen zur Erwartungshaltung hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunft und zu Berufswunschen vor. Weiterhin konnen drei monographische Titel hier Erwahnung finden, die auf die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf die Kinder der Betroffenen eingehen: Es handelt sich dabei um die Arbeiten von Schindler (1979), Zehnke (1982) und Linnenbank (1987). Bei Schindler (1979) werden direkte Zusammenhange bei den Auseinandersetzungs- und Bewaltigungsprozessen zwischen den von Arbeitslosigkeit betroffenen Eltern und den jeweiligen Kindern gesehen. Zehnke (1982) und Linnenbank (1987) stellen als Ergebnis ihrer Befragungen fest, dass die Kinder von arbeitslosen Eltern unter psycho-physischen, sozialen und schulischen Problemen litten.

Die mangelnde offentliche Aufmerksamkeit im Hinblick auf dieses brisante Phanomen ist vor allem damit zu begrunden, dass bis heute eine an Institutionen, Struktur der Arbeitsmarktpolitik und deren Instrumenten orientierte Betrachtungsweise des Problems „Arbeitslosigkeit“ dominiert. Ausnahmen bilden hier eine unveroffentlichte Untersuchung der Arbeiterwohlfahrt und eine kleine Studie[1], die im Auftrag der Stadt Herten erstellt wurde. Das Hauptmanko der Arbeitslosenforschung ist diesbezuglich in dem Umstand zu sehen, dass Arbeit- und Familienwelt -dem Prinzip der Industriegesellschaft folgend- als zwei getrennte Bereiche betrachtet werden. Es liegt auf der Hand, dass gerade langer andauernde Arbeitslosigkeit insbesondere des „Familienernahrers“ nachhaltige Auswirkungen auf die Familie, die Partnerbeziehung und die Perspektiven der Kinder hat. Durch die Reduzierung des Einkommens geraten Familien in grofie finanzielle Schwierigkeiten, die sich neben der Einschrankung des Konsums langerfristig in Gestalt von Verschuldung, Raten- und Mietruckstanden auswirken. Zur Einkommensreduzierung durch Arbeitslosigkeit merkt Adamy u.a. in diesem Zusammenhang an, dass „seit den 70er Jahren (...) sich die Zahl der Arbeitslosen mit Sozialhilfebezug deutlich erhoht. Ende 1994 wies die Sozialhilfestatistik rund 319 000 arbeitslos gemeldete Sozialhilfeempfanger aus; Ende 1995 waren es 467000. Das sind 30,9% der Empfanger laufender Hilfe zum Lebensunterhalt im Alter von 15 bis 65 Jahren.(...). Auch die konjunkturellen Schwankungen haben nicht verhindern konnen, dass sich das relative Gewicht der Erwerbslosen mit Sozialhilfebezug im Westen seit 1977 nahezu verdreifacht hat.“[2]

Die Arbeitslosigkeit liegt im Jahre 2000 bei uber vier Millionen.

„Galt in der alten Bundesrepublik das Uberschreiten der Millionengrenze bei der Zahl der registrierten Arbeitslosen Ende der siebziger Jahre bereits als ein beschaftigungs- politischer Skandal und als ‘Bedrohung unserer demokratischen Wirtschafts-- und Gesellschaftsordnung’, so hat man sich im wiedervereinigten Deutschland daran gewohnen mussen, dass Arbeitslosenzahlen von uber vier Millionen, mit Einschluss der verdeckten Arbeitslosigkeit von uber 6 Millionen, schon fast fur normal gehalten werden.“[1]

Zu diesen offiziellen Zahlen muss noch ein Personenkreis gezahlt werden, der in der sozialwissenschaftlichen Forschung, wie bereits an anderer Stelle erwahnt, als „verdeckt arm“ bezeichnet wird; jene Personen namlich, die aufgrund ihres geringen Einkommens Anspruch auf Sozialhilfe haben, aber, aus welchen Grunden auch immer, diesen Anspruch nicht geltend machen. Es handelt sich also um Personen, die mit einem Einkommen leben mussen, das unterhalb des vom Sozialhilfegesetz zugesicherten sozio-kulturellen Existenz- minimums liegt (die durchschnittlichen Sozialhilfesatze betrugen im Juli 1991 463,--DM und im Januar 2000 547,-DM plus Miete).

Die empirischen Auswertungen haben ergeben, dass „verdeckte Armut“ in erheblichem Ausmafi vorhanden ist. Im Jahr 1991 lebten 3,7% der Bevolkerung in Deutschland in „ver- deckter Armut“. Das waren annahernd drei Millionen Personen, die mit einem Einkommen unterhalb des sozio-kulturellen Existenzminimums leben mussen.[2] Auf die genannten quantitativen Aspekte von Arbeitslosigkeit werde ich nur kursorisch eingehen, da der Schwerpunkt dieser Arbeit im Bereich „psycho-sozialen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf Kinder liegt“. Schatzungen zufolge sind davon ein Drittel der Kinder und Jugendlichen in Mitleidenschaft gezogen. Es ist demnach von ca. zwei Mio. Kindern und Jugendlichen auszugehen, die in bundesdeutschen Haushalten leben und von Arbeitslosigkeit oder Sozialhilfebezug der Eltern betroffen sind.

„Solch unterschiedliche Institutionen wie der Kinderschutzbund und die Bundesbank haben in letzter Zeit des ofteren darauf hingewiesen, dass immer mehr Familien mit Kindern in Armut und Sozialhilfebedurftigkeit geraten. So erklarte die Deutsche Bundesbank, dafi Kinder unter sieben Jahren ein doppelt so hohes Risiko hatten, Sozialhilfe zu benotigen, wie der Durchschnitt der Bevolkerung. Die Zahl der unter siebenjahrigen Empfanger sei von 150000 im Jahr 1985 auf 245000 Ende 1993 (Westdeutschland) angewachsen. Der Armuts-Bericht des DGB und des DPWV gibt eine Einkommensarmutsquote bei den unter 16-Jahrigen von 11,8% in West - und 21,9% in Ostdeutschland an. Der Caritas-Bericht ‘Arme unter uns’ fuhrt 42,4% der unter 3- Jahrigen und 41,4% der 3 bis 6-Jahrigen unter den Caritas-Klienten bzw. deren Haushaltsangehorigen als Sozialhilfeempfanger auf. Damit sind diese Altersgruppen deutlich hoher vertreten als alle alteren Alterssegmente.“[1]

Nach dem Ressourcenansatz sind diese Kinder und Jugendlichen als arm zu bezeichnen. Es reicht allerdings im Hinblick auf Kinder- und Jugendarmut nicht aus, allein den Arbeitslosen- oder Sozialhilfestatus der Eltern zu berucksichtigen. Vielmehr leben auch viele Familien mit eigenem Einkommen und vielen Kindern am Rande der Armutsschwelle, da das Pro-Kopf-Einkommen mit der Zahl der Kinder rapide absinkt. Somit liegt die wahre Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die in Armut aufwachsen, weit uber den genannten zwei Millionen.[2] Manche Schatzungen gehen sogar von drei Millionen Kindern und Jugendlichen aus, die in bundesdeutschen Haushalten leben und von Arbeitslosigkeit oder Sozialhilfebezug betroffen sind.[3] Betrachtet man die gerade angefuhrte „verdeckte Armut“ nach Altersgruppen, so lassen sich die 7-bis 17-jahrigen als besondere Problemgruppe identifizieren. 1995 lebten in Deutschland 5,4% der Personen in dieser Altersgruppe unterhalb des Existenzminimums.[4]

"Die materielle Situation (und ihrer Familien) in einem Land, in dem private Haushalte uber ein Vermogen von viereinhalb Billionen Mark verfugen, ist schlecht: Knapp eine Million der rund vierzehn Millionen unter Vierzehnjahrigen leben von Sozialhilfe."[1]

Das Gesamtpotential in ihrer Lebensplanung verunsicherter und z.T. auf das Existenzminimum reduzierter Menschen nimmt in der Tat offizielle Zahlen weit uberschreitende Ausmafie an, berucksichtigt man noch zwei weitere Gruppen von Betroffenen:

1. Die statistisch nicht erfassbaren Arbeitslosen und solche Personen, die nur deshalb nicht als arbeitslos gelten, weil sie in sog. „Warteschleifen“ Aus- und Weiterbildungsmafinahmen nutzen, und in der Hoffnung leben, danach einen Arbeitsplatz zu bekommen.
2. Jene Menschen, die in diversen, zeitlich allerdings nur befristeten Beschaftigungs- programmen Arbeit und Lohn erhalten.

„Mitte 1985 haben nahezu 4O Prozent (der Arbeitslosen) uberhaupt keine Leistungen mehr aus der Arbeitslosenversicherung erhalten. Nur noch ein Drittel aller Arbeitslosen bezogen Arbeitslosengeld, und zugleich sank das durchschnittliche Arbeitslosengeld um annahernd vier Prozent..., obwohl die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten im selben Zeitraum um 5,8 Prozent gestiegen sind.(...)Langzeitarbeitslosigkeit, ansteigende Uberschuldung vieler Familien und drastische Verknappung preisgunstigen Wohnraums liefien immer mehr Mittelschichtfamilien in die Armut absinken.“[2]

[...]


[1] Ministerium fur Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen: Politik fur Kinder in NRW-Initiativen der Landesregierung, Dusseldorf 1994, S. 18.

[2] Kurz, Robert, Schwarzbuch Kapitalismus, Gottingen 1999, S. 635.

[1] Vgl. Erziehung u. Wissenschaft, 10/2000, Frankfurt, S. 27.

[2] Seibert, Norbert, Kindliche Lebenswelten, Bad Heilbronn 1999, S. 55.

[3] Vgl. Hilmar, Peter, Kinder in Armut, in: Gilde soziale Arbeit, 2/92 Vlotho 1991, S. 22 ff.

[4] Ebd., S. 2.

[1] Vgl. Strohmeier, Klaus Peter, Armut in Nordrhein-Westfalen, Bochum 1999, S. 55.

[2] Vgl. Wacker, Ali, Arbeitslosigkeit o. O., 1977, S. 13ff

[1] Kuhlmann, J., Kinderarmut im Revier, in: Info Nr.124, Mai-Juni 2000, Essen 2000, S. 7.

[2] Vgl. Otto, Ulrich, Aufwachsen in Armut, Opladen 1997, S. 13ff.

[1] Ortlepp, Wolfgang, Zur Wahrnehmung von Armut in einer Zeit weitreichender Veranderungen in der Gesellschaft, in: Sozialwissenschaftliche Literatur Rundschau 2/98, Bielefeld 1998, S. 44

[2] Vgl. Hanesch, Walter u. a., Armut in Deutschland, Hamburg 1994, S. 20ff.

[3] Vgl. Prein, Gerald u. Sommer, Thorsten, Dynamische Armutsforschung, in: Sozialwissenschaftliche Literatur Rundschau, H.30, Bielfeld 1995, S.11.

[1] Vgl. Mayring, Philipp, Einfuhrung in die qualitative Sozialforschung, Munchen 1990, S. 56ff.

[1] Vgl. Strohmeyer (1999 S. 8).

[1] Kurz (1999, S. 515).

[2] Prein, Sommer (1995, S. 15).

[1] Vgl. Otto (1997, S. 13ff.).

[2] Vgl. Adamy, Wilhelm u. Steffen, Johannes, Abseits des Wohlstands, Darmstadt 1998, S. 7ff.

[1] Vgl. Schumacher, Egbert, Arbeitslosigkeit und psychische Gesundheit, Munchen 1986, S. 191ff.

[1] Vgl. Eggen, Bernd, Privathaushalte mit Niedrigeinkommen, Bayreuth 1998, S. 18ff.

[1] Vgl. Otto (1997, S. 21).

[2] Bundesdrucksache BT-Drs. 13/3339, 1995, S. 2.

[1] Vgl. Otto (1997, S. 50f.).

[2] Vgl. Kurz (1999, S. 700).

[3] Vgl. Adamy u. Steffen (1998, S. 1).

[1] Vgl. Hurrelmann, Klaus, Einf. i. d. Sozialisationstheorie, Weinheim 1986, S. 14f.

[2] Hurrelmann, Klaus u. Ulich, D., Handbuch der Sozialisationstheorie, Weinheim 1980, S. 24.

[3] Vgl. Honig, Michael S., Kinder und Kindheit, Munchen 1996, S. 9ff.

[4] Vgl. Wilk, Liselotte, u. Bacher, Johann, Kindliche Lebenswelten, Opladen 1994, S. 79f.

[1] Vgl. Klocke, Andreas, Aufwachsen in Armut, in: Zeitschrift f. Sozialisationsforschung und Erziehungssoziologie, 4/96, Weinheim 1996, S. 390ff.

[2] Vgl. Hurrelmann, Klaus, Sozialisation u. Gesundheit, Munchen 1991, S. 54f.

[1] Vgl. Chassé, K.A., Armut in der Uberflufigesellschaft, in: Steffen, D., Welche Dinge braucht der Mensch?, Giefien 1995, S. 7ff

[1] „Kinderarmut gefahrdet die Stadt’. Das ergab das erste Berliner Kinder- und Jugendbericht, der 1997 vom Senat in Auftrag gegeben und jetzt in Auszugen veroffentlicht wurde. Demnach ist fast jeder zweite Sozialhilfeempfanger in der Hauptstadt junger als 25 Jahre. Zwischen 1990 und 1997 hat sich die Zahl der minderjahrigen Sozialhilfeempfanger von 49491 auf 90859 erhoht, also fast verdoppelt. Uberreprasentiert in der Gruppe unter 18-Jahrige sind dabei Kinder unter sieben Jahren. “Suddeutsche Zeitung vom 6.10.2000.

[2] Vgl. Otto (1997, S. 10f.).

[3] Vgl. Strohmeier (1999, S. 55).

[1] Vgl. Montada, Leo u. Oerter, R., Entwicklungspsychologie, Munchen 1987, S. 11ff.

[2] Vgl. Boeckh, Jurgen, Stand der Sozialberichterstattung bei Kindern und Jugendlichen, Bochum 1997, S. 53ff.

[1] Strohmeier (1999, S. 12).

[2] Ebd., S. 14.

[1] Ebd., S. 15.

[2] Vgl. Wacker (1977, S. 13ff.).

[3] Vgl. Filipp, Sigrun-Heide, Kritische Lebensereignisse, Munchen 1990, S. 80.

[4] Wacker (1977, S. 66.).

[1] Negt, Oskar, Achtundsechzig, Gottingen 1995, S. 51f.

[1] Johach, Helmut, Arbeitslosigkeit, Angst und Apathie und was dagegen zu tun ist, in: Gesellschaft u. Charakter, Hrsg. Funk, Reiner Munster 1995S. 167f.

[2] Nuber, Ursula, Strefikrankheit: Depression, in: Psychologie heute, 3/1999, S. 25.

[1] Vgl. Wacker (1977, S. 87).

[2] Vgl. Bonsz, Wolfgang u. Heinze, Rolf, Arbeitslosigkeit in der Arbeitsgesellschaft, Frankfurt 1984, S.143.

[3] Vgl. Otto (1997, S. 13ff.).

[1] Vgl. Schindler, H., Analysen zur Auswirkung von Arbeitslosigkeit auf die Familiensituation, unveroffl. Dipl.-Arbeit, Fachbereich Psychologie, GieBen 1977, S. 5ff.

[1] Vgl. Jugendamt Herten 1986, Auswirkungen der Arbeitslosigkeit auf Kinder, Jugendliche und Familien Herten 1976, S. 1ff

[2] Adamy u. Steffen (1999, S. 93).

[1] Johach (1995, S. 159).

[2] Vgl. Neumann, Udo u. Hertz, Markus, Verdeckte Armut in Deutschland, Forschungsbericht der Friedrich-Ebert-Stiftung, Frankfurt/M.1998, S. 21ff.

[1] Momotow, Thomas, Kinderleben in Bochum, in: Henke, Ursula, Institut fur Forschung und Entwicklung der sozialen Arbeit e.V., l.Bochumer Kinderbericht, Bochum 1996, S. 53.

[2] Vgl. Hilmar, Peter, Kinder in Armut, in: Gilde soziale Arbeit, 2/92 Vlotho 1991, S. 22ff.

[3] Ebd., S. 22.

[4] Vgl. Neumann u. Hertz (1998., S. 21 ff.).

[1] Die Zeit vom O7.O5.1998.

[2] Engelmann, Bernt, Schwarzbuch, Gottingen 1994, S. 1O5.

Ende der Leseprobe aus 316 Seiten

Details

Titel
Auswirkungen von Armut und Arbeitslosigkeit auf die psycho-soziale Entwicklung der Betroffenen und deren Familien, insbesondere der Kinder und Jugendlichen
Hochschule
Technische Universität Dortmund  (Sozialpädagogik)
Note
3
Autor
Jahr
2000
Seiten
316
Katalognummer
V428331
ISBN (eBook)
9783668722293
ISBN (Buch)
9783668722309
Dateigröße
1216 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Arbeitslosigkeit
Arbeit zitieren
Dr. Eberhard Knost (Autor:in), 2000, Auswirkungen von Armut und Arbeitslosigkeit auf die psycho-soziale Entwicklung der Betroffenen und deren Familien, insbesondere der Kinder und Jugendlichen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/428331

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