"Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral". Wie aktuell ist dieser Satz von Bertolt Brecht heute noch?


Research Paper (undergraduate), 2017

18 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkurzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Hunger

3 Geld
3.1 Human Development Index
3.1.1 Lohnunterschiede
3.1.2 Lebenserwartung
3.2 Evolutionare und geschichtliche Hintergrunde

4 Weitere Sektoren
4.1 Klima
4.2 Nahrungsmittel

5 Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 - Human Development Classification (United Nations, 2015)

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 - AusmaB der Deprivation auf der Welt (United Nations, 2015)

Abkurzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

„Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ (Brecht, 1968) schrieb Brecht in der Bal­lade „Wovon lebt der Mensch“ fur die Dreigroschenoper. Wie bei Zitaten oftmals ublich, ist die Interpretation des Zitates das Entscheidende, und die Moglichkeiten sind hier vielfaltig: Beginnt man nah am Originaltext, so sollte das Grundbedurfnis Ernahrung zu erfullen wichti- ger sein, als die Notwendigkeit fur moralische Ordnung und Lehre. Sobald das Uberleben vom Organismus her gesichert ist, kann der Mensch damit beginnen, sich in moralischen Sys- temen einbinden zu lassen und eine Grundstruktur des Lebens zu schaffen, welche ein friedli- ches und ausgeglichenes Leben miteinander zur Verfugung stellt, fur jeden Menschen, inner- halb dieser Ordnung. Die Formulierungen des Liedtextes gehen noch deutlich weiter in die Tiefe, und lassen vor allem im heutigen Kontext viel Raum fur Interpretationen. Allerdings soll in dieser Einleitung zunachst nur die moralische Ordnung im Vordergrund stehen, denn diese hat sich jede Kultur erschaffen, auch die Weltkultur.

So zumindest die Theorie, denn zaumen wir den Wortlaut des Zitates andersherum auf, wird daraus sinngemaB „Nur wer seine Ernahrung gesichert weiB, kann moralisch (richtig) han- deln“. Doch darf der Mensch nur aus Hunger straftatig werden, und sich beispielsweise seine Ernahrung durch Diebstahl sichern? Also ist eine Tat aus purem Uberlebensdrang moralisch trotz jeder Konsequenz gerechtfertigt?

Auch umgekehrt kommen Fragen auf, wenn man das Zitat fur die Sicht des Angesprochen auslegt: „Wenn ich meine Ernahrung gesichert habe, habe ich auch moralisch unbedenklich zu handeln“, so eine mogliche Umformulierung. Doch wenn man moralisch zu handeln hat, wie kann es dann sein, dass es Menschen gibt, die ihre Ernahrung nicht gesichert haben, und daher unmoralische Handlungen vollfuhren mussen? Und ist dann nicht der Wohlgenahrte der Unmoralische und der Hungernde in seiner Situation schuldlos gefangen?

In der vorliegenden Studienarbeit soll diese Frage im Hinblick auf einige aktuell okonomisch relevante Themen des Jahres 2016 erortert werden, da eine Beantwortung der Frage unmog- lich ist. Wieso unmoglich? Wenn die Antwort so banal ware, ware sie bereits schon lange in die Tat umgesetzt worden. Oder schranken auch hier die Fressenden die Hungernden in ihrer Freiheit ein um moralisch unbelastet uber die Unmoralischen urteilen zu konnen?

2 Hunger

Der Hunger, ein „Gefuhl in der Magengegend, das durch das Bedurfnis nach Nahrung hervor- gerufen wird“ (Bibliographisches Institut GmbH Dudenverlag), so die Definition, allerdings sind Gefuhle grundsatzlich etwas subjektives und Hunger kann auch nur das „Verlangen, et- was zu essen“ (Bibliographisches Institut GmbH Dudenverlag) sein, mit oder ohne Bedurfnis nach Nahrung. Nach umfassender Suche auf verschiedenen Plattformen, in Statistiken und Studien ist eine eindeutige Zahl an Hungernden in der Bevolkerung der Industrielander nicht zu finden, da sie zu gering ist. Daraus folgt, deutlich vereinfacht, dass die Bevolkerung in diesen Landern durchschnittlich betrachtet noch nie wirklich Hunger hatte. Ein bisschen uber- spitzt und personlich formuliert: Wir haben keinen Hunger, alles was wir haben ist Appetit. Wenn fur uns dieses Hungergefuhl teilweise schon kaum auszuhalten ist, wie wird es dann sein, wirklich Hunger zu haben und mit jeder Mahlzeit ums Uberleben kampfen zu mussen?

Zuruck zur Sachebene: 792,5 Mio. Menschen hungerten von 2014 bis 2016 im Schnitt welt- weit (FAO, 2016), also bei 7,35 Milliarden Menschen (UN DESA (Population Division), 2015) rund 11% der kompletten Weltbevolkerung. Als Hauptgrunde fur diesen Hunger wer- den „gewaltsame Konflikte, schlechte Regierungsfuhrung und klimabedingte Auswirkungen auf die Landwirtschaft“ (Welthungerhilfe, 2016, S. 16) genannt, also zum Teil auch von Men- schenhand geschaffene Probleme.

Auf der anderen Seite stehen noch erschreckendere Zahlen: Im Jahr 2013 sind 35,3% aller US-Amerikaner sowie 23,6% aller Deutschen adipos, haben also einen BMI uber 30 kg/qm (OECD, 2015), mit steigender Tendenz. Diese ubertriebene Fettleibigkeit hat in Deutschland im Jahr 2015 etwas mehr als 57 Milliarden Euro an direkten und indirekten Kosten ver- schlungen (Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2016).

Das WFP (World Food Programme) wirbt dafur, dass mit 40 Euro ein Kind ein Jahr lang eine Schulmahlzeit erhalten kann, die Zahlen sind sicherlich erneut zu prufen, aber uberschlagt man die Ernahrungskosten eines Kindes auf rund 100 Euro im kompletten Jahr (2,5 Mahlzei- ten am Tag) konnte man pro Jahr bei einfachem Ausgleich von Hungerbekampfungs- und Ubergewichtskosten rund 570 Millionen Kinder weltweit alleine durch die deutschen Kosten im Zusammenhang mit Fettleibigkeit ernahren. Diese Zahlen sind utopisch, aber verdeutli- chen die Grundaussage des Problems, dass zumindest in diesem Rechenbeispiel mehr Geld zur Bekampfung von Fettleibigkeit als zur Bekampfung von Hunger ausgegeben wird.

SchlieBt man den Kreis von der Statistik zuruck zur Grundaussage „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, dann stellt sich die Frage, Wann kommt sie denn, die Moral? Mo- mentan ist nicht abzusehen, dass die besser gestellten Industrienationen und mittlerweile auch die Lander der zweiten Welt den Verzicht zugunsten der dritten Welt beginnen werden, zu- mindest nicht im flachendeckenden MaBe.

Kritisch formuliert sieht sie Situation auf Seiten der Ersten-Welt-Burger so aus, dass Verzicht gleichzeitig auch eine Veranderung des Lebensstils bedeutet. Beispielshaft verdeutlicht zeigt sich an den Abfallen in der Hotellerie sehr gut die Verschwendung der Ersten-Welt- Gesellschaft. Man isst sich fett, die Augen waren einmal wieder groBer als der Mund, um es mit einem klassischen Spruch der Kindererziehung zu beschreiben, was nicht aufgegessen wird, landet im Mull. Die Moral? Bleibt aus, denn wer denkt schon daran, dass diese Speise- reste andere Menschen vor dem Verhungern gerettet hatten? Man hat ja dafur bezahlt.

3 Geld

Das im vorherigen Kapitel angesprochene letzte Thema leitet nahtlos zu diesem Thema uber, denn nimmt man wieder das Beispiel der Hotellerie gilt fur viele Menschen: Was ich mir selbst gekauft habe, kann ich verwenden, wie ich mochte. Soweit richtig, allerdings stellt sich die Frage, woher das Geld zum Bezahlen kommt? Die Antwort konnte lauten: Das habe ich mir selbst verdient! Das kann auch moglich sein, jedoch kann der Mensch die Situation, das Umfeld, die Kultur und auch das Land, in welchem er geboren wurde, nicht beeinflussen. Also kann er auch nichts dafur geleistet haben. Und ist es dann nicht fraglich, warum der wohlsituierte Erste-Welt-Burger mehr verdient (hat) als der Dritte-Welt-Burger in seinem Krisenumfeld? Und sollten beide nicht grundsatzlich die gleichen Moglichkeiten haben?

Diese Ungleichheit beginnt allerdings bereits in der Verteilung des Bundesinlandproduktes, aufgeteilt zwischen ausgewahlten Weltregionen: Wahrend das BIP in der EU mit 16,48 Billi- onen US-Dollar mit den Schwellenlandern Asiens etwa gleichauf liegt (16,33 Billionen Dol­lar), kommen die Weltregionen Lateinamerika, Afrika und der Nahe Osten zusammen nicht einmal uber die 10 Billionen Grenze. Setzt man den Vergleich noch etwas extremer an, liegen die Industriestaaten mit 45,34 Billionen US-Dollar bei dem mehr als 30fachen BIP der Subsa- hara-Zone Afrikas (IMF., 2016). Es benotigt keine Aufstellung der Einwohnerzahlen der je- weiligen Weltregionen um das BIP pro Kopf zu errechnen und zum Schluss zu kommen, dass hier ein deutliches Gefalle vorherrscht. Die einfachste Losung liegt auf der Hand: Die wirt- schaftliche Leistung der Lander mit schwachem BIP liegt weit unter der Produktivitat der Industriestaaten zuruck; zu sehen ist dies deutlich an dem erreichten Umsatz. Diese Zahlen haben makrookonomisch betrachtet verschiedene Hintergrunde, wie beispielsweise die wirt- schaftliche Entwicklung des Landes anhand des Human Development Index, oder einzeln betrachtet dem Durchschnittslohn und der durchschnittlichen Lebenserwartung des jeweiligen Landes.

3.1 Human Development Index

Der HDI setzt sich aus drei weiteren Indexzahlen zusammen, welche die Lebenserwartung, die Bildung und den Lebensstandard abbilden (UNDP, 2015).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

SourceihumanLiOTelopmentHeport Office calculations

Abbildung 1 - Human Development Classification (United Nations, 2015)

Auch wenn der grundsatzliche Verlauf glucklicherweise ansteigend ist, haben sich die Ab- stande zwischen den Weltregionen nur leicht verandert und vor allem der afrikanische Konti- nent ist weiterhin im HDI weit unten zu finden. Weltweit sind die Zahlen der Deprivation auf der Welt allerdings weiterhin alarmierend:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1 - AusmaB der Deprivation auf der Welt (United Nations, 2015)

Etwas tiefer in den Zusammenhangen des Human Development Reports sind Zahlen zu Aus- beutung, Risiken und Unsicherheiten von Erwerbstatigen zu finden, welche in den Unterer- gebnissen erschreckende Zahlen aufzeigen: Weltweit liegt der Schnitt fur Kinderarbeit bei 14,5%, und der Armen, welche unter 2 US-Dollar pro Tag verdienen bei 26,4%, auBerdem sind in China 2015 bei Arbeitsunfallen knapp 15.000 Menschen ums Leben gekommen (United Nations, 2015). Mit der Moral kann es dabei nicht allzu weit her sein. Denn obwohl Keine Kinderarbeit mit 77,1% Nennungshaufigkeit das entscheidende Kriterium fur den Kauf von Fair Trade Produkten darstellt (Markant Magazin, 2011), achten nur 13,76 Mio. Deutsche 2016 darauf, dass die Produkte aus fairem Handel stammen (IfD Allensbach, 2016). Und so- lange der niedrigere Preis mit etwas mehr als 20% Bedeutung ein wichtigeres Verkaufsargu- ment darstellt als eine soziale vertragliche Produktion ohne Kinderarbeit und mit festen Min- destlohnen (13,4% im Jahr 2015) oder die okologische Produktion (5,7% im Jahr 2015) wird sich dieser Umstand auch in naher Zukunft nicht maBgeblich andern (Spiegel, 2015).

3.1.1 Lohnunterschiede

Vergleicht man die durchschnittlichen Bruttomonatseinkommen von beispielsweise Deutsch­land (3.439 €) und den Vereinigten Staaten (4.128 Euro) mit Indien (119 €) sowie den drei Schlusslichtern der Aufstellung Madagaskar (32 €), Kongo (31 €) und Gambia (29 €) wird das Bild des erschreckenden Unterschiedes nicht gerade geringer (Laenderdaten.info, 2016). Von Chancengleichheit kann dort kaum gesprochen werden, und niedrigere Lebenshaltungskosten werden bei solchen extremen Zahlen wahrscheinlich auch nicht den Ausschlag dazu geben, dass man die Menschen in diesen Landern plotzlich als „reich“ bezeichnen wurde. Weltweit sind 1,5 Milliarden Menschen der Kategorie „mehrdimensionale Arme“ zuzuordnen, die am heftigsten getroffenen Staaten sind mit Abstand im prozentualen Wert Athiopien; Nigeria, Bangladesch und Pakistan mit ahnlichen Werten um die 50% Quote und China in der absolu- ten Zahl, allerdings liegt hier durch die enorme Bevolkerung Chinas der prozentuale Wert „lediglich“ bei 5% (United Nations, 2015).

3.1.2 Lebenserwartung

Auch hier zeigt sich ein ahnliches, wenn auch glucklicherweise nicht gleiches Bild zu den Lohnunterschieden, jedoch sterben Manner aus den wenigsten entwickelten Landern 9 Jahre fruher als der Durchschnitt der gesamten Welt mit 70 Jahren; die Lebenserwartung von Frau­en weltweit liegt mit 74 Jahren sogar 10 Jahre hoher als bei Frauen der geringstentwickelten Lander. Betrachtet man nun nur die Bewohner der Industriestaaten als ReferenzgroBe werden hier Frauen 18 Jahre und Manner 15 Jahre alter als in den zuletzt genannten Landern (DSW, 2016).

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Details

Title
"Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral". Wie aktuell ist dieser Satz von Bertolt Brecht heute noch?
College
University of Applied Sciences Ansbach
Grade
1,7
Author
Year
2017
Pages
18
Catalog Number
V428341
ISBN (eBook)
9783668722316
ISBN (Book)
9783668722323
File size
643 KB
Language
German
Keywords
Markt, Macht, Moral, Ökonomie, VWL, Brecht, Zitat, Globalisierung, Hunger, Elend, Dritte Welt, Wirtschaft, Wirtschaftsprobleme
Quote paper
K. Thiele (Author), 2017, "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral". Wie aktuell ist dieser Satz von Bertolt Brecht heute noch?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/428341

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