Rassismus in der Kinder- und Jugendliteratur


Bachelorarbeit, 2013

55 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1 Einleitung

2 Uberblick der Kinder- und Jugendliteraturgeschichte

3 Rassistische Inhalte in der Kinder- und Jugendliteratur
3.1 Die Rassendiskriminierung im Kinderbuch im historischen Kontext
3.2 Kolonialrassismus in „Pippi Langstrumpf“
3.3 „Die zehn kleinen Negerlein“
3.3.1 „Die zehn kleinen Negerlein“ heute
3.4 Das Bild des Fremden in der Kinderliteratur der Gegenwart

4 Die aktuelle Debatte zum Thema Rassismus im Kinderbuch
4.1 Sprachliche Modernisierung, Zensur oder „politisch korrekt“?

5 Umgang mit rassistischer Kinder- und Jugendliteratur in padagogischen Institutionen: Vorschlage ?
5.1 Checkliste fur rassistische Kinder- und Jugendliteratur

6 Fazit

7 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„Ein Zimmer ohne Bucher ist wie ein Mensch ohne Seele" - sagte der romische Dichter Cicero. Vorlesen fordert die Eltern- Kind- Bindung, unterstutzt die Sprachentwicklung, beflugelt die Fantasie und ist mafigeblich fur die Bildung und spatere Lesefahigkeit der Kinder. Daruber hinaus verbreitet die Kinder- und Jugendlekture aber auch - gewollt oder ungewollt - Vorurteile gegen Minderheiten, Religionen und insbesondere erzeugt sie ein minderwertiges Bild gegen Menschen mit anderer Hautfarbe.

Im Dezember des Jahres 2012 verursachte ein Beschwerdebrief von Mekonnen Mesghena an den Kinderbuchverlag Thienemann eine heftige Debatte, die durch die Medien ging. Dieser beanstandete die Anwesenheit des Begriffs „Neger“ in „Die kleine Hexe“ von Otfried Preufiler. Sie fiel ihm auf, als er seiner Tochter aus dem Buch vorgelesen hatte. Der Verlag reagierte wider Erwarten umgehend und sicherte diesem zu, das Buch zu uberarbeiten und die Begriffe in der nachsten Ausgabe durch eine angemessenere Bezeichnung zu ersetzen. Dieses loste eine heftige Debatte aus, die in diversen Zeitungen und im Fernsehen zu verfolgen war. Es wurde sich darum gestritten, ob das Austauschen fraglicher Begriffe eine Zensur darstellt oder angemessen ist. Diese Diskussion um rassistische Bezeichnungen in Kinderbuchern diente gleichermafien als Inspiration dieser Arbeit.

Zunachst wird ein Uberblick uber die Kinder- und Jugendliteraturgeschichte gegeben, da Kinderbucher neben der erzieherischen Absicht auch Werte vermitteln, die je nach den gesellschaftlichen Hintergrunden variieren. Hier werden sich neben den beruhmten Werken auch mit den jeweiligen historischen Hintergrunden beschaftigt.

Die Einstellungen und Vorstellungen der Erwachsenen, vor allem gegenuber schwarzen Menschen, wurden gleichermafien in Kinderbuchern verarbeitet. Diese Inhalte be- einflussen generationsubergreifend, zum Teil bis heute, die Einstellungen der Kinder gegenuber Minderheiten und sind mit verantwortlich fur die Bildung von Vorurteilen.

Im dritten Kapitel richtet sich, neben der kurzen Abhandlung des historischen Kontextes, die Aufmerksamkeit insbesondere auf solche Werke, in denen schwarze Menschen diskriminiert werden. Das Musterbeispiel fur rassistische Kinderbucher „Die zehn kleinen Negerlein“ wird hier ebenso grundlich behandelt, wie „Pippi Langstrumpf‘. Anschliefiend werden Beispiele fur vorurteilsbeladene Kinderbucher der Gegenwart genannt. In Kapitel 4 wird auf die aktuelle Debatte zum Thema Rassismus im Kinderbuch eingegangen. Es werden exemplarisch interessante Standpunkte der Sprachmodernisierungsgegner sowie der Befurworter aufgefuhrt.

Im 5. Kapitel wird der Frage nachgegangen, was die Problematik der rassistischen Inhalte in Kinderbuchern fur die padagogische Praxis bedeutet. Die Auseinandersetzung mit dem Thema soll insbesondere folgende Fragen beantworten:

Wie rassistisch ist die Bezeichnung „Neger“ uberhaupt und durfen negativ konnotierte und vorurteilsbeladene Begriffe in Kinderbuchern stehen bleiben?

2 Uberblick der Kinder- und Jugendliteraturgeschichte

Bevor in diesem Kapitel einen Einblick in die Geschichte der Kinder- und Jugendlitera- tur gegeben wird, wird zunachst der Begriff der Kinder- und Jugendliteratur definiert.

Der Begriff Kinder- und Jugendliteratur steht als Oberbegriff fur alle Werke, die fur Kinder und Jugendliche geschrieben, oder von diesen konsumiert werden. Es wird stetig versucht genaue Begriffsbestimmungen fur Kinder- und Jugendliteratur zu finden. Es handelt sich hier nicht um einen klar begrenzten Bereich, sondern um eine Vielzahl von Komponenten fur die jeweils eine eigene Definition entwickelt wurde.

Hans-Heino Ewers, Professor fur Literaturwissenschaft mit dem Schwerpunkt Kinder- und Jugendliteratur, schlagt folgende Definitionen vor:

Faktische Kinder- und Jugendlekture

- meint die von Kindern und Jugendlichen tatsachlich gelesene Literatur, mit der sich aufierhalb der Schule freiwillig beschaftigt wird.

Intendierte und nicht-intendierte Kinder- und Jugendlekture

- bedeutet Literatur, mit der sich die jungen Menschen nach Ansicht der Erwachsenen (z.B. Eltern, Padagogen, Buchautoren) beschaftigen sollen. Wahrend zu der nicht-intendierten Kinder- und Jugendlekture jene Texte zahlen, die gelesen werden, obwohl sie nicht fur Kinder und Jugendliche bestimmt sind. Sie wird von den Lesern entweder heimlich gelesen, oder vom erwachsenen Umfeld toleriert.

Sanktionierte und nicht-sanktionierte Kinder- und Jugendliteratur

- intendierte Kinder- und Jugendlekture wird weiterhin unterteilt in sanktionierte Kinder- und Jugendliteratur, die von beispielsweise Padagogen, Geistlichen oder Literaturwissenschaftlern als Lesestoff empfohlen und positiv sanktioniert wird; und in eine nicht-sanktionierte Kinder- und Jugendliteratur, die trotz der Ablehnung durch Fachleute veroffentlich wird. Haufig ist hier das kommerzielle Interesse hoher als der padagogische Inhalt.

Orginare oder spezifische Kinder- und Jugendliteratur

- wenn Literatur ursprunglich fur die Kinder und Jugendliche von den Autoren verfasst wurde, handelt es sich um orginare oder auch spezifische Kinder- und Jugendliteratur.[1]

Wie anhand der zuvor aufgefuhrten Definitionen zu erkennen, existieren in den unterschiedlichen Kategorien der Kinder- und Jugendliteratur haufig Uberschneidungen.

Wann genau die erste Kinder- und Jugendliteratur verfasst wurde, ist schwer zu ergrunden. In der Literaturgeschichte sind zum Teil widerspruchliche Angaben zu den Anfangen der Kinder- und Jugendliteratur zu finden. Kindheit als eigenstandige Lebensphase existiert erst seit dem Zeitalter der Aufklarung; daher wird sich hier auf Schriften bezogen, die explizit fur Kinder geschrieben wurden.

Ursprunge einer Literatur, die ausdrucklich fur Kinder und Jugendliche verfasst wurde, finden sich bereits im Mittelalter, Anfang des 13. Jahrhunderts. Fur Schuler der Dom- und Klosterschulen wurden zu dieser Zeit Glossen eingefuhrt. Glossen waren Worterbu- cher mit Deutsch-Lateinischen Ubersetzungen, die den Lernenden halfen, lateinische Schriften zu entziffern. Wissen und vor allem Werte wurden derzeit jedoch noch vorrangig durch eine Vorlesung, Predigt oder ein Gesprach vermittelt. Die Vermittlung von Wissen gehorte in dieser Epoche noch nicht zu den Prioritaten, sondern die Vorbildfunktion des Lehrenden.

Aufierdem ging es in der mittelalterlichen Jugendlekture vor allem um die Erziehung der Kinder. Mithilfe der so genannten „Zucht- und Sittenbucher“, „Anstandslehren“ und „Tischzuchten“ wurden den Kindern Verhaltensregeln nahe gebracht.[2]

Als Urvater des Bilderbuchs zahlt das 1658 erschienene Buch „Orbis sensualium pictus“ vom deutschen Padagogen Johann Amos Comenius. Das Werk, das ubersetzt etwa „Die sichtbare Welt“ bedeutet, ist eines der popularsten Lehrbucher, die je verfasst wurden. Es wurde in 20 Sprachen ubersetzt und weit uber 200 Mal uberarbeitet.

Der „Orbis sensualium pictus“ ist eine Art bebildertes Lexikon fur Kinder. In 150 Kapi- teln beschreibt es Naturphanomene, staatliche Ordnungen, Berufe und Wissenschaften. Die Themen sind alle mit verschiedenen Bildern in Form von Holzschnitten ausgestat- tet, um den Kindern die unterschiedlichsten Phanomene der Umwelt zu veranschaulichen. Die Bilder sind nummeriert und verweisen auf deutsche und lateinische Begriffe.[3]

Mitte des 18. Jahrhunderts, im Zeitalter der Aufklarung, entwickelte sich die die intentionale Kinder- und Jugendliteratur als eine selbststandige Disziplin, die sich in zwei Stromungen aufspaltete. Die vorphilanthropische Literatur begriff das Kind als Vemunftwesen. Die Verfasser sahen das Kind als ein Geschopf, das bereits alle Vorstellungen von der Welt in sich fuhrt.

Aufgrund dieses Bildes vom Kind waren die Werke kaum von dem Schreibstil erwachsener Literatur zu unterscheiden. Aufmerksamkeit auf die kindliche Wahr- nehmung sowie der unterschiedlichen kindlichen Lernprozesse wurde nicht gelegt.

Beeinflusst vom Philosophen Jean-Jacques Rousseau anderte sich das Bewusstsein vom Kind in der Gesellschaft. Insbesondere Rousseaus Werk „Emile ou sur Veducation^ (Emil oder die Erziehung) von 1762 verursachte eine Revolution in den bisherigen Denkmodellen und somit auch in der Kinder- und Jugendliteratur. Padagogen, Philosophen und Autoren konzentrierten sich beim Verfassen nun auf kindliche Lebenswelten.

Die Bewegung der Philanthropen (griechisch: Menschenfreunde) entstand.

Sie gestalteten die Bucher indessen mit Sicht auf die kindliche Entwicklung. Sie schilderten in der von ihnen verfassten Literatur eher einfachere Sachverhalte, die an den ersten sinnlichen Erfahrungen der Kinder anknupften. Belehrungen und Drill standen nicht mehr weiter im Vordergrund; die erzieherische Absicht in den Schriften fand eher implizit statt.

Mit „Robinson der Jungere“ von Joachim Heinrich Campes, 1779 veroffentlicht und angelehnt an das beruhmte Werk „Robinson Crusoe“, erschien der erste Abenteuerro- man. Des Weiteren entwickelten sich die Zweige des Kinderschauspiels sowie der Madchenliteratur.

Eine weitere wichtige Epoche der Kinder- und Jugendliteraturgeschichte ist das Zeital- ter der Romantik. Die Verfasser sind nunmehr vornehmlich nicht mehr Padagogen und Philosophen. Schriftsteller, Dichter und Germanisten sind augenblicklich die Urheber der neuen Kinder- und Jugendliteratur der Romantik. Das Bild vom Kind anderte sich in diesem Zeitalter immens und somit auch die Vorstellungen von Erziehung. Die Kind- heit stellt etwas gottliches dar; Autonomie, Individualitat sollen gefordert und zu fruhe Bildung vermieden werden. Einflussreiche Denker derzeit waren beispielsweise Johann Gottfried Herder und der Dichter Friedrich Schlegel.

Das erste, explizit fur Kinder geschriebene Buch, ist die 1808 erschienene Volksliedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“ von den Autoren Achim von Arnim und Clemens von Brentano. In dieser waren Gedichte, Lieder und Gebete enthalten, die fur Kleinkinder bestimmt waren.

Ein weiterer Meilenstein der Kinder- und Jugendliteraturgeschichte war selbstverstandlich der 1812 veroffentlichte erste Band der ,Kinder- und Hausmarchen“ der „Gebruder Grimm“. Die erste Ausgabe war jedoch weniger erfolgreich, da es in dieser von Gewalt und nicht kindgerechten Ausdrucken nur so wimmelte. Nach einer erfolgreichen Uberarbeitung und Streichung ganzer Marchen, sowie zu brutaler Textabschnitte durch Wilhelm Grimm, erlebte die so genannte „kleine Ausgabe“ 1825 mit Geschichten wie „Hansel und Gretel “, „Dornroschen “ und „Aschenputtel“ einen bedeutenden Durchbruch.

1816 erschien das Marchen ,Nufiknacker und Mausekonig“, was den Beginn der fantastischen Literatur bedeutete. Der Autor E.T.A. Hoffmann orientierte sich hierbei an ein Bild vom Kind, das viel Fantasie und Einbildungskraft besitzt.[4]

In den Schriften des Biedermannzeitalters fanden sich immer mehr Anzeichen einer „Padagogisierung“. Es wurden autoritare Werte wie Fleifi, Gehorsam, Ordnung und Anstand vermittelt. Das bekannte Bilderbuch „Der Struwwelpeter“ von 1845 vom Arzt Heinrich Hoffmann ist hier charakteristisch und ein Spiegel der derzeitigen Erziehungsmoral.

Wilhelm Busch (1832-1908) zeigte mit seinem im Jahre 1865 erschienenen satirischen Buch „Max und Moritz“ seine etwas andere Sichtweise der biederen Erzieh- ungsvorstellungen. Er wollte aufrutteln, verurteilte die padagogische Kinderliteratur und stellte in Frage, ob sich ein Mensch uberhaupt erziehen lasse.[5]

Wahrend bisher die Lekture nach wie vor dem Nachwuchs der burgerlichen Bildungs- schicht vorbehalten war, war das Zeitalter des Realismus ebenfalls davon gekennzeich- net, dass sich die Leserschaft auf die kleinburgerliche Schicht ausweitete.

Erwahnenswert ist hier der Autor Gustav Nieritz (1795-1876), der erfolgreich 120 Bande seiner Jugendzeitschriften veroffentlichte. Nieritz schrieb seinerzeit spannende Reise- und Abenteuerliteratur, die sich durch immer bleibende Ablaufe, ab- wechslungsreiche Ereignisse sowie moralische Wertungen aufierte. Durch ihn wurden erste Tendenzen einer kolonialrassistischen Literatur sichtbar. Das Buch „Die Neger- sklaven und der Deutsche“ ist 1869 erschienen. Im selben Jahr erschien auch die erste Auflage des legendaren ,Alice im Wunderland“ von Lewis Carroll. Mit Karl Mays ,,Winnetou“ 1893 erreichte die Abenteuerliteratur ihren Hohepunkt; und mit diesem auch das uber die Literatur vermittelte Bild der Uberlegenheit der westlichen „Rasse“ und die Stereotypisierung des ,Wilden Westens“ durch die Protagonisten Old Shatterhand und Winnetou. Charakteristisch fur die Epoche des Realismus ist ebenfalls die „Backfischliteratur“; Madchenliteratur, mit der die Frauen auf die Rolle Hausfrau und Mutter vorbereitet werden sollten. Die Madchenbuchreihe „Trotzkopf“ von Emmy von Rhodens aus dem Jahre 1885 ist seinerzeit bedeutend.

Mit Fortschreitung der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts setzten sich die Schulpflicht und der Ausbau der Volksschulen durch. Angesichts der steigenden Alphabetisierung durch alle Schichten stieg auch die Nachfrage nach spezifischer Kin­der- und Jugendliteratur an. Aufgrund der verbesserten Drucktechniken war es moglich, die Medien in grofier Stuckzahl herzustellen, wodurch sich die Jugendliteratur augenblicklich in ein Massenmedium verwandelte.

Heinrich Wolgast, ein Vertreter der Jugendschriftbewegung, bemangelte diese Entwick- lung und sorgte mit seiner kritischen Schrift „Das Elend unserer Jugendliteratur“ fur Furore. Er spricht sich gegen die spezifische Kinder- und Jugendliteratur aus, weil sie fur ihn aus rein wirtschaftlichen Grunden produziert wurden und keinen lyrischen Wert besitzen. Padagogische Absichten, Vermittlung von Moral und Werten, lehnte er ab. Er sah diese als „Tendenzzeitschriften“[6] und lehnte dies genauso ab wie Lekture zu reiner Unterhaltung. Wolgast forderte „die Jugendschrift in dichterischer Form[7].“ Eine eigens fur die Zielgruppe produzierte Literatur halt er fur uberflussig.[8]

In der Zeit zwischen der Jahrhundertwende und dem Beginn der Weimarer Republik vollzog sich ein weiterer Meilenstein in der Kinder- und Jugendliteraturgeschichte. Die Geschichten stellten sich realistischer dar und handelten vom Alltag der jungen Genera­tion aus kindlicher Sicht. Zum ersten Mal wurden auch das Leben von Arbeiterkindern und das Aufwachsen in Grofistadten thematisiert, wahrend zuvor eher die landliche Idylle oder die Kleinstadt als Kulisse der Erzahlungen diente.

Als revolutionar ist das Buch „Kai aus der Kiste“ von dem Autor Wolf Durian aus dem Jahre 1926 zu bezeichnen.

Es handelt sich um den Strafienjungen Kai, der sich darum bemuht, einen von einem Zigarettenhersteller ins Leben gerufenen Werbewettbewerb zu gewinnen. Bei dem Versuch erfolgreich zu werden, brach dieser viele Tabus. Er fuhr schwarz, fuhrte die Polizei in die Irre und beschadigte fremdes Eigentum mit Graffitis; musste jedoch keine negativen Konsequenzen fur sein Handeln befurchten. Es gelang ihm schliefilich eine Karriere mit seiner eigenen Werbeagentur. Dieses Werk wurde aufgrund der vermeint- lich antiautoritaren Wirkung heftig umstritten.

Die Kriminalgeschichte „Emil und die Detektive“ von Erich Kastner, die 1929 erschie- nen ist, gehort zur realistischen Kinder- und Jugendliteratur. Die kindlichen Figuren dieser Geschichten handeln selbstbewusst, vor allem selbstbestimmt, ohne die Hilfe der Erwachsenen. Dieses Bild vom Kind war eine Hoffnung, die nachfolgende Generation wurde eine friedlichere Gesellschaft hervorbringen.[9]

Der Beginn des Nationalsozialismus Anfang der 1933er Jahre hatte gleichermafien ei­nen bedeutenden Einfluss auf die Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland. Die „Reichsstelle fur das Jugendschrifttum“ verbat Werke, die nicht zur nationalsozialistischen Idee passten, besonders jene mit vermeintlich sozial- demokratischen oder kommunistischen Inhalten. Viele Schriftsteller gingen ins Exil und selbst Bucher von einem der grofiten Autoren seinerzeit, Erich Kastner, wurden auf die so genannte „Schwarze Liste“ geschrieben.

Stattdessen war die Diktatur darauf bedacht, mithilfe des Mediums der Kinder- und Jugendliteratur nationalsozialistisches Gedankengut zu verbreiten. Der zum diesem Zeitpunkt tatige Bildungsminister Bernhard Rust forderte von der Literatur eine „Heranzuchtung“ der jungen Leser zu opferbereiten, gehorsamen und volksgetreuen Menschen.

Als Beispiel ist das Buch „Hitlerjunge Quex“ vom Autor Karl Aloys Schenzinger zu nennen. Es handelt vom jungen Tischlerlehrling Heini Volker, der sich vom Kommunisten zum uberzeugten Nationalsozialisten wandelt, bis er am Ende Opfer kommunistischer Gewalt wird und den Martyrertod stirbt. Viele ahnliche Bucher uberstromten derzeit den Markt. Am Ende des Nationalsozialismus nach 1945 ging es mit der Kinder- und Jugendliteratur zunachst schleppend voran. Notwendige Materia- lien, die fur die Buchproduktion benotigt wurden, waren kaum vorhanden und die Alliierten kontrollierten akribisch den Buchmarkt, um zu verhindern, dass sich das nationalsozialistische Gedankengut fortsetzt. Erich Kastner setzte sich dafur ein, dass die nachwachsende Generation eine friedliche Gesellschaft wird und grundete 1949 die ,Internationale Jugendbibliothek“. Im gleichen Jahr erschien Kastners politisches Kinderbuch „Die Konferenz der Tiere“. Kastner wollte mit diesem Werk zum Umdenken und einem friedlicheren Miteinander aufrufen. In der Tierparabel setzen sich ein Lowe, ein Elefant und eine Giraffe fur das Recht der Kinder auf Frieden ein. Die Politiker in dieser Geschichte ignorieren zunachst die Forderung der Kinder. Daraufhin mobilisieren sie andere Tiere aus allen Teilen der Welt, die radikal jegliche Akten der Menschen vernichten und deren Kleidung fressen. Nachdem die Erwachsenen immer noch nicht einlenken, entfuhren die Tiere alle Kinder aus deren Familien. Erst nachdem alle Kinder verschwunden sind, unterzeichnen die Erwachsenen einen ewigen Friedensvertrag. Einer weiteren bemerkenswerten Autorin, Astrid Lindgren, gelang 1949 mit ihrem revolutionaren Werk „Pippi Langstrumpf‘ ein bedeutender Durchbruch und stand damit fur Freiheit, Autonomie und antiautoritare Erziehung ein.[10]

In den 1950er Jahren wurden erfolgreiche Bucher wie ,,Grimms Marchen“, „Trotzkopf“ oder „Winnetou“ wiederentdeckt und neu aufgelegt. In der Kinderliteratur besann man sich aufierdem wieder auf Geschichten, in denen das heile Familienbild in idyllischen Ortschaften im Mittelpunkt stand. Des Weiteren entwickelte sich die Comic-Sparte und verschiedenste Romane in Heft-Form wurden auf den Markt gebracht. Diese neue Lek- ture wurde von Padagogen sehr kritisch beaugt, woraufhin 1953 das „Gesetz uber die Verbreitung jugendgefahrdender Schriften“ in Kraft trat und nur ein Jahr spater die „Bundesprufstelle fur jugendgefahrdende Schriften“ gegrundet wurde. Gefordert wurde gute Kinderliteratur, die die Entwicklung moglichst optimal fordern soll und Werte sowie Wissen vermittelt. Seit 1956 wird zudem der ,,Deutsche Jugendliteraturpreis“ verliehen. In den spaten 50er und den 60er Jahren des 20. Jahrhundert entwickelte sich die fantastische Kinder- und Jugendliteratur. Autoren wie Otfried Preufiler mit seinen Werken „Der kleine Wassermann“, „Die kleine Hexe“ oder „Das kleine Gespenst" wollten den jungen Lesern eine Fantasiewelt erschaffen, die fernab von aller Realitat ist und zum Traumen einladt. Preufilers Texte waren einfach geschrieben und auch fur Kinder im Vorschulalter attraktiv. Die Geschichten wurden als kindliche Flucht in eine bessere Welt begriffen; Gespenster und Hexen verloren ihre Gefahrlichkeit und wurden Verbundete der Kinder. In der fantastischen Lekture war insbesondere auch eine Zivilisationskritik enthalten, die sich vorsichtig gegen konservative gesellschaftliche Werte aussprach[11]. Erwahnenswert sind die Autoren Michael Ende mit Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivfuhred“ und Enid Blyton mit „Funf Freunde“ und „Hanni und Nannk", die Anfang der 60er Jahre mit ihren fabelhaften Abenteuern Kinder und Erwachsene gleichermafien verzauberten.

Die „68er-Bewegung“ hatte zur Folge, dass sich mit der neuen antiautoritaren Erziehungsphilosophie auch die Erwartungen der Gesellschaft an die Kinder- und Jugendliteratur gravierend veranderten. Fruhere Anforderungen an die Kinder, wie Gehorsam und Unterordnung, gehorten der Vergangenheit an. Stattdessen stand die Erziehung zu selbstbewussten, gleichberechtigten und starken Individuen im Vorder- grund. Literatur mit emanzipatorischen Kindheitsbildern, wie Pippi Langstrumpf, wurde wiederentdeckt. 1973 erschien Michael Endes „ Momo“, in der die kindliche Heldin den Kampf mit den so genannten „grauen Herren“ aufnahm, die den Menschen die Zeit stahlen und das Dogma „Zeit ist Geld“ verbreiteten. „Michael Endes Marchenroman ist eine Parabel uber soziale Kalte, Rationalisierung und Uniformierung des Alltagslebens.[12]

In den darauffolgenden Jahren folgte kritische Literatur fur Kinder, in denen alltagliche Probleme von Kindern auf der ganzen Welt erzahlt wurden. Aber auch Themen wie Ge- walt, Dritte Welt, Tod und Krieg wurden den Kindern nicht mehr verborgen. Peter Hart- ling schrieb in diesem Jahrzehnt etliche aufklarerische Kinderbucher. Besonders erfolg- reich ist das Buch „ Ben liebt Anna“ (1979), das von der ersten Liebe zwischen zwei Jugendlichen handelt.

Daruber hinaus wurde das Thema Drogen in der Jugendliteratur popular. Zu grofien Aufsehens sorgte die Autobiografie von Christiane F. „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ (1979), in der sie von ihrer Drogenkarriere in Berlin berichtet. Im gleichen Jahr erschien ein Buch, das uberhaupt nicht zum damaligen Zeitgeist passte und dennoch eines der erfolgreichsten Bucher aller Zeiten wurde. „Die unendliche Ge- schichte“ von Michael Ende wurde in einem Jahr uber 200.000 Mal verkauft und schaffte es als erstes Kinderbuch in die Bestsellerliste des „Spiegel“. Die fantastische Literatur gewann unheimliche Popularitat und die grofiartigen Werke „Der kleine Hobbit" und „Der Herr der Ringe"" von John Ronald Reuel Tolkien, die bereits in den 60er Jahren erschienen sind, wurden jetzt beliebt.

Kinderromane mit psychologischem Charakter kennzeichneten das Jahrzehnt der 1980er Jahre. Geschichten wurden in Ich-Form verfasst; Erzahlformen wie Monologe und wortliche Rede waren kennzeichnend fur diese Epoche der Kinder- und Jugendliteraturgeschichte. Die Jugendlekture will hier keine Werte mehr vermitteln, sondern sich ernsthaft den Gefuhlswelten der Heranwachsenden nahern. Aufgrund veranderter Familienbilder wurde die „perfekte Welt“ vermehrt aus dem Kinderbuch verbannt und das Leben realistischer dargestellt. Thematisiert wurden beispielsweise die Trennung der Eltern, veranderte Rollenbilder, sowie Homosexualitat.

Gleichzeitig spiegelten sich auch die gesellschaftlichen Angste der Zeit wider. Umwelt- verschmutzung, Kalter Krieg und atomare Bedrohung wurden im Kinderbuch starker reflektiert. Ein Jahr nach dem atomaren Supergau in Tschernobyl veroffentlichte die Autorin Gudrun Pausezwang das Buch „Die Wolke"" (1987), welches einige Jahre spater zur Pflichtlekture in den deutschen Schulen gehorte.

Die gesellschaftlichen Sorgen der 90er Jahre druckten sich gleichermafien in der Jugendlekture aus. Sexueller Missbrauch, Essstorungen, Trauer sowie Alkoholismus wurden literarisch verarbeitet. Insbesondere historische Kinderromane, die den Heran­wachsenden die Schrecken des Nationalsozialismus naher brachten, wurden vermehrt produziert. Exemplarisch soll sowohl die Kindheitsautobiografie „Katarma"" von Kath­ryn Winters uber die Flucht einer Achtjahrigen vor den Nationalsozialisten, als auch „Der Regenbogen hat nur acht Farben“ von Peter Pohl, der uber seine fruhe Kindheit im Exil in Schweden berichtet, genannt werden.[13]

Aufgrund des immer fortschreitenden medialen Konsums durch Fernsehen, Computer und Spielekonsole, hat es die Kinder- und Jugendliteratur insbesondere in diesem Jahrzehnt nicht leicht.

Als einen Wendepunkt der Leselethargie stellt scheinbar der erste Teil der Harry-Potter- Serie,,Harry Potter und der Stein der Weisen“ von Joanne K. Rowling dar, der 1998 in Deutschland erschienen ist. Die aufregenden Abenteuer des schuchternen Zauber- lehrlings Harry Potter verzauberten Millionen von jungen Lesern und losten einen regelrechten „Boom“ aus. Es folgten 7 weitere Teile.

In der Entwicklung der Kinder- und Jugendliteratur des 21. Jahrhunderts zeigt sich, dass das Genre der fantastischen Literatur weiterhin an Beliebtheit gewinnt. Des Weiteren ist die „All-Age-Literatur“, die sowohl von Jugendlichen als auch von jungen Erwachsenen konsumiert wird, bedeutend. Neben „Harry Potter“ zahlen unter anderem „Bis(s) zum Morgengrauen“ von Stephenie Mayer oder Cornelia Funkes „Tintenwelt-Trilogie“ dazu.

Wie anhand der Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur ersichtlich, spiegelten sich die gesellschaftlichen Werte und Sichtweisen auch im Kinderbuch wider. Vor allem (heutige) rassistische Inhalte setzten sich haufig in den Werken durch, wie an den bereits aufgefuhrten Beispielen von „Winnetou“ (1869) und „Die Negersklaven und der Deutsche “ (1869) ersichtlich. Im nachfolgenden Kapitel werden konkrete Beispiele fur rassistische Kinder- und Jugendliteratur genannt und einige naher erortert.

3 Rassistische Inhalte in der Kinder- und Jugendliteratur

Kinderbucher haben meistens eine erzieherische Absicht, sozialisieren und pragen vor allem nachhaltig das Weltbild der Heranwachsenden. Viele Bucher sind jedoch zudem - gewollt oder ungewollt - vorurteilsbeladen, enthalten rassistische Aufierungen oder stereotype Abbildungen.

Ein Vorurteil ist eine meist negative und nicht gerechtfertigte Einstellung, oder ein Ge- fuhl gegen soziale oder ethnische Gruppen. Haufig basiert ein Vorurteil auch nicht auf einer eigenen Erfahrung, sondern wird schon in der Kindheit erlernt. Einmal ein Vorur­teil gebildet, ist es sehr widerstandsfahig und bleibt meistens - bewusst oder unbewusst - ein Leben lang erhalten.

Heranwachsende lernen die Bedeutung von unterschiedlichen Hautfarben bereits vor dem dritten Lebensjahr. Eine Studie in einer multikulturellen Frankfurter Kinder- tagesstatte ergab, dass die Kinder in ihrem Spiel die Hautfarben und unterschiedlichen Kulturen thematisierten. Sie verarbeiteten auf kindliche Art bereits mit 3 Jahren ihre Erfahrungen mit Diskriminierung. Rassismus ist also schon fruh ein Bestandteil der kindlichen Lebenswelt.[14] Insbesondere die Kinder- und Jugendliteratur enthalt viele rassistische Botschaften und tragt hier betrachtlich fur die Bildung von Stereotypen und Vorurteilen bei.

Was ist eigentlich Rassismus? Es gibt zahlreiche Begriffsbestimmungen. Eine passende Zusammenfassung der Rassismus- Definition beschreibt Birgit Rommelspacher:

Sie fasst die Definition von Rassismus als ein System von Abhandlungen zusammen, die die historischen, sowie aktuellen Machtverhaltnisse legitimieren und reproduzieren. Die moderne westliche Sicht basiere auf der Theorie, dass menschliche Rassen biologisch begrundete Unterschiede besitzen, wodurch auch die sozialen und kulturellen Unterschiede, sowie die sozialen Beziehungen zwischen den Menschen begrundet werden, was als unveranderlich und vererbbar gilt. Des Weiteren werden die Menschen in Gruppen zusammengefasst und anderen Volkern als grundsatzlich verschieden gegenubergestellt und somit in eine Art Rangordnung gebracht.[15]

“Beim Rassismus handelt es sich also nicht einfach um individuelle Vorurteile, sondern um die Legitimation von gesellschaftlichen Hierarchien, die auf der Diskriminierung der so genannten konstruierten Gruppen basieren. In diesem Sinn ist Rassismus immer ein gesellschaftliches VerhaltnisF[16]

Die Auswirkungen von Rassismus auf die geschichtliche Entwicklung, insbesondere im Hinblick auf die Kinder- und Jugendliteratur, werden im nachsten Kapitel naher erlautert.

Bevor exemplarisch fur die Diskriminierung von Menschen mit anderer Hautfarbe, „Die zehn kleinen Negerlein“ und „Pippi Langstrumpf‘ naher betrachtet werden, werden zwei weiteren Gruppen, die in der Jugendliteratur massiv diskriminiert werden, aufgefuhrt.

Die Bevolkerungsgruppe der Sinti und Roma wurde in der Kinder- und Jugendliteratur haufig diskriminiert. In der Lekture wurde mehrfach der Begriff „Zigeuner“ verwendet, obwohl dieser fur viele Sinti und Roma beleidigend und die Bezeichnung mit negativen Eigenschaften besetzt ist.

Der Begriff „Zigeuner“ existiert seit der Einwanderung der Gruppe vor 600 Jahren in deutschsprachige Gebiete. Die Bezeichnung leitet sich vermutlich aus dem Griechischen ab („Die Unberuhrbaren“) und wird heute von der Mehrheit als diskriminierend empfunden. Dem Wort „Zigeuner“ wurden seit Jahrhunderten negative Eigenschaften zugesprochen. Haufig leitete man das Wort falschlicherweise auch von „ziehender Gau- ner“ ab. Im Nationalsozialismus wurden Sinti und Roma aufgrund ihrer „Rassen- zugehorigkeit“ verfolgt und ermordet, somit ist diese Bezeichnung auch historisch sehr belastet. Mit Beginn der 1980er Jahre hat sich in der deutschen Gesellschaft der Ausdruck Sinti und Roma durchgesetzt.[17]

Besonders in den Werken „Funf Freunde“, „TKKG“, „Asterix und Obelix“ oder „Tim und Struppi“ werden die schon vorhandenen Klischees uber die so genannten „Zigeu- ner“ verstarkt. Sie treten in Erscheinung als ein nicht sesshaftes wildes Volk, das nicht in der Lage ist, sich in irgendeine Gesellschaft zu integrieren, und ihren Lebensunterhalt durch Stehlen oder Wahrsagerei bestreitet. In Osteuropa wird kleinen Kindern, die nicht nach den Vorstellungen ihrer Eltern handeln, heute noch damit gedroht, dass ein „Zigeuner“ sie holt, wenn sie nicht gehorchen. Aber auch Eigenschaften wie Musikalitat und Kreativitat werden ihnen zugesprochen.

Zwischen 1950 und 1970 eroberten die Schlager „Du schwarzer Zigeuner, komm spiel mir was vor“ von Vico Torriani, „Zigeunerjunge“ von Alexandra und „Spiel Zigan, spiel“ von Udo Jurgens die Charts, die ihren Teil dazu beitrugen, dass sich die Vorurteile gegen Angehorige der Sinti und Roma verfestigten.[18]

Dr. Phil. Brigitte Mihok, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum fur Antisemitismusforschung an der TU Berlin, untersucht in ihrem Aufsatz „Wild lockend und gefahrlich: 'Zigeunerin und Zigeuner' als populare Klischees in Comics“ exempla- risch „Tim und Struppi - Die Juwelen der Sangerin“ (1970 erstmalig in Deutschland erschienen, hier die Ausgabe von 1999), „Asterix in Spanien“ (1973 erstmalig in Deutschland erschienen, hier die Ausgabe von 1997) und „Mecki - Gesammelte Aben- teuer 1958“ (1958 erstmalig in Deutschland erschienen, hier die Ausgabe von 2009).

Aus Mihoks Untersuchungen geht hervor, dass in allen drei hier analysierten Comics vergleichbare Abbildungen von „Zigeunern“ dargestellt werden.

Die „Zigeunermanner“ erscheinen barfufiig, sind stets unrasiert und tragen auf dem Kopf ein Piratenkopftuch. Die „Zigeunerfrauen“ indes werden als verfuhrerische, temperamentvolle Wahrsagerinnen charakterisiert.

Die Figuren leben in grofien Familienclans in bunten Wagen am Stadtrand, fuhren ein unbeschwertes Leben und verbringen den Tag fast ausschliefilich damit zu singen und zu tanzen.

Wie hartnackig das typische „Zigeunerbild“ bis in das neue Jahrtausend verbreitet wird, zeigt die Autorin Brigitte Mihok mit einem Beispiel aus einem Arbeitsheft fur den Deutschunterricht einer Grundschule aus dem Jahr 2002. Die Schuler werden aufgefor- dert, ein klischeehaftes Bild einer „Zigeunerin“ auszumalen und diese anschliefiend mit moglichst vielen Adjektiven zu beschreiben.[19]

Auch antisemitische Kinder- und Jugendliteratur wurde im Zeitalter des National- sozialismus massenhaft produziert. Mit der Intention, den Heranwachsenden die antisemitische Rassenideologie zu indoktrinieren, uberschwemmten beispielsweise „Rassenbuchlein“, antisemitische Zeitschriften und kriegsverherrlichende Abenteuerge- schichten den Markt.

Man sollte meinen, dass der Nationalsozialismus mit all seinen schrecklichen Folgen gleichermafien die Autoren von Kinder- und Jugendliteratur sensibilisiert haben. Als Negativbeispiel ist das Jugendbuch „Die sprechenden Steine“ vom palastinensi- schen Autor Ghazi Abdel-Qadir zu nennen, das 1998 im Beltz-Verlag erschienen ist.

Es erzahlt die Geschichte eines 11-jahrigen palastinensischen Jungen aus der Ich- Perspektive, der seinen Alltag im Krisengebiet und der judischen Besetzung beschreibt. Die Problematik besteht darin, dass das Buch die Juden allein als Tater darstellt, diesen ausschliefilich negative Eigenschaften zuschreibt und des Weiteren die Grundung des Staates Israel verurteilt. Dennoch erhielt das Werk zahlreiche Preise und wurde zeitweilig sogar als Unterrichtslekture in Schulen eingesetzt.20 Der Autor Prof. Dr. Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums fur Antisemitismusforschung in Berlin, aufiert sich in seiner Publikation „lslamfeindschaft und ihr Kontext: Dokumentation der Konferenz Feindbild Muslim Feindbild Jude“ zu dieser beispiellosen Lekture. Er verurteilt mitunter die diskriminierende Wortwahl Abdel-Qadirs. Worter wie „dreckiger Handlanger der Juden“, „Hundesohne“, „Schweine“ und „Unglaubige“ seien mehrfach vertreten. Insbesondere die Aussagen, dass kein Jude menschlich denken wurde und die Juden ein herzloses Volk seien, macht „Die sprechenden Steine“ zur absolut antisemitischen Lekture. Weiterhin verwunderlich, so Benz, dass das Buch so beliebt geworden ist und der enthaltende Antisemitismus niemandem, auch nicht Padagogen oder Verleger, aufgefallen ist oder auffallen wollte.[21]

Erst im Jahr 2007 wurde das Buch als antisemitisch eingestuft und der Verlag dazu aufgefordert, dieses und alles dazugehorige Material sofort aus dem Sortiment zu neh- men. Wolfgang Benz kommt zu dem Fazit:

„ Der Text ist auf jeden Fall ein bemerkenswertes Dokument fur die Schnittmenge von Antisemitismus und Antizionismus, fur israelkritische Propaganda, die als Judenfeind- schaft agiert und rezipiert wird. Das Jugendbuch, das inzwischen aus dem Programm des Verlages genommen wurde, ist auch ein Dokument fur das Vordringen des Antizionismus und die Akzeptanz islamischer Judenfeindschaft in Deutschland.“[22]

Insbesondere Menschen mit schwarzer Hautfarbe wurden sowohl in der Literatur fur Erwachsene, als auch in der Kinder- und Jugendliteratur diskriminiert, verunglimpft und mit Vorurteilen aufgeladen. Im nachsten Kapitel wird mit der Betrachtung des historischen Kontextes nach den Ursachen gesucht.

[...]


[1] Vgl. Hans-Heino Ewers (2000): Was ist Kinder- und Jugendliteratur? S. 2 ff.

[2] Vgl. Otto Brunken (2008): Mittelalter und fruhe Neuzeit, in: Reiner Wild: Geschichte der Kinder und Jugendliteratur, S.3.

[3] Vgl. ebd. S.17.

[4] Vgl. Hans-Heino Ewers (2008): Romantik, in: Reiner Wild: Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur, S. 103-108.

[5] Vgl. Isa Schikorsky (2003): Schnellkurs Kinder- und Jugendliteratur, S.5.

[6] Isa Schikorsky (2003):Schnellkurs Kinder-und Jugendliteratur,S.8.

[7] Ebd.

[8] Vgl. ebd.

[9] Vgl. Helga Karrenbrock (2008): Weimarer Republik, in: Wild, Reiner, Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur, S.253-254.

[10] Vgl. Isa Schikorsky (2003): Schnellkurs Kinder- und Jugendliteratur, S.13.

[11] Vgl. ebd. S. 19.

[12] Isa Schikorsky(2003): Schnellkurs Kinder und Jugendliteratur, S.163.

[13] Vgl. Carsten Gansel et al (2008): Von den 70er Jahren bis zur Gegenwart, in: Reiner Wild, Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur, S.421.

[14] Vgl. Arndt/Ofuatey-Alezarz (2011):Wie Rassismus in Wortern spricht (k)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutscher Sprache, Ein kritisches Nachschlagewerkt, S.380-381.

[15] Vgl. Birgit Rommelspacher (2009):Was ist eigentlich Rassismus? In: Mecheril/Melter, Rassismuskritik Band 1:Rassismustheorie und- forschung, S.29.

[16] Ebd. S.29.

[17] Vgl. Mihok, Widmann (2006),Sinti und Roma als Feindbilder, http://www.bpb.de/izpb/9720/sinti-und- roma-als-feindbilder?p=all Stand: 30.03.2013.

[18] Vgl. Brigitte Mihok (2010): Wild lockend und gefahrlich: Zigeunerin und Zigeuner als populare Klischees in Comics, in: Wolfgang Benz: Vorurteile in der Kinder- und Jugendliteratur S.97-115.

[19] Vgl. ebd. S.113.

[20] Vgl. Wolfgang Benz (2010): Vorurteile in der Kinder-und Jugendliteratur, S.22-23.

[21] Vgl.: Wolfgang Benz (2009) : Stereotype und Verschworungstheorien - Antizionismus als islamischer (islamistischer) Antisemitismus, in: Wolfgang Benz: Islamfeindschaft und ihr Kontext: Dokumentation der Konferenz Feindbild Muslim Feindbild Jude S.146.

[22] Ebd. (2009): Stereotype und Verschworungstheorien - Antizionismus als islamischer (islamistischer) Antisemitismus, in: Islamfeindschaft und ihr Kontext: Dokumentation der Konferenz Feindbild Muslim Feindbild Jude, S.147.

Ende der Leseprobe aus 55 Seiten

Details

Titel
Rassismus in der Kinder- und Jugendliteratur
Hochschule
Fachhochschule Bielefeld
Note
1,5
Autor
Jahr
2013
Seiten
55
Katalognummer
V428351
ISBN (eBook)
9783668722330
ISBN (Buch)
9783668722347
Dateigröße
732 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rassismus, Kinderbuch, Rassismus in Büchern, Jugendliteratur
Arbeit zitieren
Natascha Vox (Autor:in), 2013, Rassismus in der Kinder- und Jugendliteratur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/428351

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