Diego Rivera. Die kubistischen Elemente in Construcción de un fresco, 1931


Hausarbeit, 2015

25 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Riveras Zeit in Europa (1907-1921) und seine Annäherung an den Kubismus
2.1 Einflüsse und Interessen
2.2 Riveras Kubismus am Beispiel Paisaje zapatista (1915)

3. Der Bruch mit dem Kubismus und die Rückkehr nach Mexiko
3.1 Die Kunst und ihre Aufgabe
3.2 Die Revolution in Mexiko und die Suche nach einer volksnahen Kunst

4. Die bleibenden kubistischen Einflüsse
4.1 Construcción de un fresco, 1931, San Francisco Art Institute, San Francisco
4.2 Der Umgang mit Raum und Zeit

5. Schlussbetrachtung

6. Literaturverzeichnis

7. Abbildungen und Abbildungsnachweise

1. Einleitung

Diego Rivera (1886-1957), der große mexikanische Maler, der als Mitbegründer und Hauptvertreter des sogenannten muralismo gilt und politisch-historische Fresken in Mexiko und den Vereinigten Staaten schuf, verbrachte nach seiner Ausbildung in Mexiko 14 Jahre in Europa. Er kehrte 1921 nach Aufenthalten in Spanien, Frankreich und Italien nach Mexiko zurück, die längste Zeit lebte er in Paris. Sieht man sich die Wandmalereien, für die er heute so bekannt ist, an, mag man kaum glauben, dass von diesem Künstler auch eine ganze Werkphase kubistischer Staffelmalerei aus seiner europäischen Zeit vorhanden ist. Auf den ersten Blick erscheint dieser avantgardistische Stil des Paris des frühen 20. Jahrhunderts sehr fern von den realistisch-didaktischen Wandbildern. Und auch Rivera selbst vollzog den Bruch mit den modernen europäischen Kunstströmungen sehr bewusst aus einer für ihn logischen, politischen Notwendigkeit heraus. Nichtdestotrotz hinterlässt er circa 200 kubistische Bilder (Landschaften, Portraits und Stillleben), die immer wieder im Interesse der Kunsthistoriker standen. Zwischen 1910 und 1920 partizipierte er an zwanzig Kubismus-bezogenen Ausstellungen, darunter mehrmals am Salon des Indépendants und Salon d’Automne in Paris, aber auch in anderen europäischen Hauptstädten, sowie New York.[1] In neuerer Zeit gab es vier große Ausstellungen, die sich dezidiert mit dem Thema „Diego Rivera und der Kubismus“ auseinandergesetzt haben: Die erste 1984, organisiert vom Phoenix Museum of Modern Art, Arizona und kuratiert vom lateinamerikanischen Kunsthistoriker Ramón Favela, der bei der Erschließung der kubistischen Gemälde Riveras eine besondere Rolle einnimmt. Dann 2004, genau zwanzig Jahre später, in der National Gallery Washington, 2009 im Meadows Museum Dallas und 2011 im Musée des Beaux-Arts Bordeaux. In den meisten Katalogen und Monographien[2] wird dem Thema „Rivera in Europa“ Beachtung geschenkt[3] und sowohl Riveras Biographen als auch er selbst in seinen Confesiones erzählen von seiner Zeit dort, den Einflüssen europäischer Künstler und dem Kontakt mit den Kubisten. Die einen betonen dabei sehr stark den bewussten Bruch, der inhaltlich wie stilistisch nach Riveras Rückkehr nach Mexiko ersichtlich wird, andere Autoren[4] sehen aber durchaus starke Einflüsse der Avantgarde-Strömungen auch in seinen späteren Wandmalereien. Rivera selbst beurteilte sein „europäisches Abenteuer“[5] zunächst als von geringer Bedeutung, wohl um die mexikanischen Wurzeln seines Muralismus zu betonen. Dies zeigt auch ein Blick auf seine Ausstellungsgeschichte: Als das Museum of Modern Art in New York 1931 seine erste Retrospektive organisierte, erlaubte Rivera gerade einmal sechs von über 140 ausgewählten kubistischen Werken in der Ausstellung.[6] Diese harte Abgrenzung zum Kubismus wandelte sich jedoch im Laufe seines Lebens auch wieder und er betonte: „I believe this movement to be the most important single achievement in plastic art since the Renaissance.“[7] In dieser Hausarbeit soll es konkret darum gehen, was Riveras Kubismus ausmacht, wieso er mit ihm brach und schlussendlich um die Frage: Was behielt er, bewusst oder unbewusst, aus seiner kubistischen Zeit bei? Diese letzte Frage soll konkret am Wandgemälde Construcción de un fresco (1931, San Francisco Art Institute) erläutert werden.

2. Riveras Zeit in Europa (1907-1921) und seine Annäherung an den Kubismus

2.1 Einflüsse und Interessen

Diego Rivera kommt Anfang Januar 1907 mit einem Stipendium in Spanien an. An der Akademie von San Carlos in Mexiko hatte er eine klassisch-akademische Ausbildung erhalten. Als am prägendsten unter seinen Lehrern werden Felix Parra (1845-1919), der sich stark für die mexikanische Kunst vor der spanischen Eroberung interessierte, José M. Velazco (1840-1912), ein bekannter Landschaftsmaler, und Santiago Rebull (1829-1902), ein Schüler Jean Ingres, genannt.[8] Als ebenso groß wird auch der Einfluss des Kupferstechers und Karikaturisten José Guadalupe Posada (1852-1913) eingeschätzt, der sich mit den mexikanischen Gesellschaftsverhältnissen und traditionellen Motiven wie der Catrina auf humorvolle Weise beschäftigte. Als letzte große Inspirationsquelle Riveras vor Europa gilt Gerardo Murillo, genannt Dr. Atl (1875-1964), „one of the first to stress the need for a national Mexican art rooted in its indigenous cultural heritage“.[9] Nach Bertram D. Wolfe, Freund und Biograph Riveras, war die akademische Ausbildung und der Einfluss dieser Lehrer von größter Wichtigkeit für all seine nacheuropäischen Gemälde: „These supplied a stimulus, a seriousness and a discipline which gave Rivera the capacity to survive all the eclectic confusions and rebelisms of his days in Paris, and enabled him in the end to develop the individual style and approach to his art which stamps itself upon all his riper work.“[10] Ohne den großen Einfluss Riveras mexikanischer Lehrer abstreiten zu wollen, wird an diesem Zitat auch besonders deutlich, wie Wolfe Riveras Zeit in Paris beurteilt und von seinem späteren Schaffen hart abgrenzt: Als Irrungen und Wirrungen, jugendliche Rebellionen, die mit seinem späterem Stil nichts gemein haben. Eine These, der an späterer Stelle dieser Arbeit zugunsten einer fließenderen Entwicklung von Riveras Stil widersprochen werden soll.

In den Jahren in Spanien kopiert Rivera vor allem Meisterwerke im Prado, studiert El Greco, Goya, Velázquez, Brueghel, Bosch und Cranach und schließt Freundschaft mit dem Schriftsteller Ramón Gómez de la Serna oder der Malerin Maria Gutiérrez-Blanchard.[11]

1909 geht er nach Paris, dem damaligen Zentrum der modernen Kunst. Er lernt dort auch seine erste Frau Angelina Beloff, eine russische Künstlerin, kennen und besucht andere europäische Städte wie Brüssel oder London. Im Oktober 1910 kehrt er kurzzeitig zurück nach Mexiko, um dort in einer Ausstellung seine europäischen Gemälde zu präsentieren, etwa zur selben Zeit beginnt dort die Revolution. Nach Ende seiner auch finanziell erfolgreichen Ausstellung kehrt Rivera im Juni 1911 nach Paris zurück. Vom Neoimpressionismus beeinflusst malt er Landschaften in hellen Farben mit fast pointilistischem Farbauftrag. Er reist nach Toledo. Aus den zwischen 1911 und 1913 in Spanien gefertigten Landschaften spricht schon deutlich das Interesse für die geometrische Zerlegung des Raumes und der Oberflächen. Ramón Favela vertritt die These, dass gerade die spanische Landschaft und das Studium El Grecos Riveras Weg in den Kubismus ebneten.[12]

Erneut in Paris lebt Rivera nun in der rue Départ am Montparnasse, in seiner Nähe wohnt unter anderem Piet Mondrian. Einige Bilder wie Arbol von 1913 (Abb. 1) zeigen den eindeutigen Einfluss von Mondrians Experimenten, gliedernde Gittersysteme in die Bilder von Bäumen einzuarbeiten. Sein Weg in die totale Abstraktion wird sich noch weiter fortsetzen, Rivera stoppt hier. Einige, weitere Beispiele aus seinem großen Bekanntenkreis in Paris sind Fernand Léger, Marc Chagall und Juan Gris. Der Kubismus ist bei Riveras Ankunft in Paris keine ganz neue Erscheinung mehr, als erstes kubistisches Bild überhaupt gilt Pablos Picassos Les Demoiselles d’Avignon, das schon 1907 entstanden war. Cézannes freier Umgang mit Form und Farbe, sowie sein analytisches, formales Vorgehen beim Aufbrechen der Naturvorbilder in geometrische Formen waren die Hauptbasis des von Picasso und George Braques geschaffenen neuen Stils.[13] In der frühen Phase, dem analytischen Kubismus, entsteht ein Formenrhythmus, der zur geometrischen Deformation der gemalten Objekte in kubische Formen führt. Der Begriff analytischer Kubismus geht auf die Schrift Der Weg zum Kubismus des Galeristen und Schriftstellers Daniel-Henry Kahnweiler zurück.[14] Eine vom Bildgegenstand losgelöste Lichtführung, simultan dargestellte Blickwinkel auf die Bildgegenstände durch kristalline Strukturen, sowie eine Grau, Braun, Schwarz und Ocker verwendende Farbpalette und deutliche Umrisslinien zeichnen den analytischen Kubismus aus. Das Jahr 1913 gilt in der Literatur allgemein als das Jahr, das Riveras eindeutigen Übergang zum Kubismus markiert.[15] „At that time analytical cubism, which was based upon an austere, objective, and essentially intellectual reduction of forms into their basic geometric volumes and planes, was already evolving into its synthetic phase“[16]: Die Illusion einer dritten Dimension wurde noch beibehalten, wenn auch durch die verschiedenen Blickwinkel mehrere Ansichten ein und desselben Gegenstandes dargestellt und so „an new mental image“[17] kreiert wurde. Der synthetische Kubismus zeigte nun ausgewählte Teile der verschiedenen Schichten innerhalb einer zweidimensionalen Ebene. Er arbeitet vor allem mithilfe der Collagentechnik, dem papier collé. Durch verschiedene Materialien imitierende Oberflächenstrukturen und wirklich eingeklebten Tapeten und Papiere verfließen die Grenzen zwischen gemaltem und realem Objekt. Individuelle Experimente sind möglich, die Farbpalette wird klarer, gewagter und bunter. Besonders Juan Gris’ (1887-1927) klar organisierte, verschiedenste Texturen und Muster nutzende Kompositionen sollten einen Einfluss auf Rivera haben.[18] Der synthetische Kubismus entwickelt ein abwechslungsreicheres Vokabular und spielerischere, offene Kompositionen mit abstrakten Formen. Riveras Annäherung an den Kubismus ist eine schrittweise: Gemälde wie Adoración de la virgen y el nino, 1912/1913 (Abb. 2) markieren den Übergang zwischen der akademischen Malweise seiner schulischen Ausbildung, der Beschäftigung mit El Greco, Cézanne und der kubistischen Verformung. Die Jungfrau Maria mit dem Kind ist hier soweit geometrisch reduziert, dass sie als beinah flächiges Dreieck erscheint. Die beiden Figuren im Vordergrund sind nicht ganz so stark abstrahiert, wirken aber wie aus einzelnen kubischen Formen zusammengesetzt. Dem analytischen Kubismus folgend, dominieren in Portraits wie Retrato de un pintor (Retrato de Alexander Zinoviev)[19] von 1913 braune, graue und Ockertöne, die Umrisse der Gestalt sind schwarz konturiert, das Gesicht des Mannes wirkt wie durch einen prismatischen Kristall betrachtet aufgesplittert und von zwei Seiten gleichzeitig betrachtet. Spannend, wenn es um die Frage der Simultanität geht, ist auch das Gemälde La mujer del pozo von 1913 (Abb. 3), das sich auf der Rückseite der zwei Jahre später gemalten Paisaje zapatista befindet. Die Farbpalette ist eine viel buntere, von zarten Rosa-, Blau- und Grüntönen dominiert, die Umrisse sind dünner und weicher und die verschiedenen Perspektiven scheinen ineinander zu fließen. „Furthermore, this painting reveals Rivera’s deep interest in the work of the painter Robert Delauny and in Italian Futurist postulates, from Delauny he retakes ‚Orphic Simultaneity’, and from Futurism, the ability to handle dynamic movement“.[20] Der sogenannte orphische Kubismus nach Robert Delauny bricht mit der monochromen Farbpalette der kubistischen Werke Picassos und Braques und entwickelt eine rhythmische Farbmalerei. Aus dem Futurismus übernimmt Rivera das Prinzip der Dynamik und die simultanen Wahrnehmungsphänomene. Er beginnt, mexikanische Motive in seinen kubistischen Gemälden einzufügen. 1914 lernt er den von ihm sehr bewunderten Picasso kennen, der Interesse an Riveras Arbeiten zeigt.[21] Bei einem Aufenthalt auf Mallorca, während dem der erste Weltkrieg ausbricht, entwickelt Rivera dort eine experimentellere Malweise, die das Einarbeiten von Materialien wie Sand und Staub in die Farben einschließt, wodurch die Oberfläche besonders strukturiert und die Zweidimensionalität der Leinwand gebrochen wird. Einige dieser Bilder werden 1915 in einer Gruppenausstellung der sogenannten Pintores íntegros gezeigt, eine Abgrenzung, die deutlich machen sollte, dass die teilnehmenden Maler nicht einfach nur einen Teil des Raumes oder einen Aspekt eines Objektes darstellen wollten, sondern den Raum oder das Objekt selbst erschufen. Die Ähnlichkeit des Bildaufbaus seiner Paisaje zapatista zu einem späteren Gemälde von Picasso (Mann, auf einen Tisch gestützt, 1915), führen zu Streitereien und beidseitigen Plagiatsbeschuldigungen.[22] Riveras Freundeskreis schließt durch seine Frau viele russische Emigranten ein, wie die Schriftsteller Ilya Ehrenburg und Maximilan Voloshin, von denen er auch die meisten Portraits dieser Zeit malt und durch die wohl auch sein Interesse an Marxismus wächst.[23] Im März 1917 greift Pierre Revardy, ein prominenter Kunstkritiker der Zeit, Rivera und den Maler André Lhote in seinem Artikel Sur le cubisme an, in dem er die Meinung vertritt, ein kubistisches Bild dürfe kein Portrait zeigen. Die beiden begegnen sich bei einem Abendessen des Galeristen Rosenberg und werden handgreiflich. Der nun folgende Bruch mit Rosenberg und einigen anderen wie Braque, Gris und Léger wird später vom Kritiker André Salmon als „l’affaire Rivera“[24] betitelt. Rivera beschäftigt sich wieder vermehrt mit, wie er ihn nennt, „le père Cézanne“[25], aber auch Ingres und Renoir.[26] Ebenso beeinflussen die bunten, strahlenden und flächig aufgetragenen Farben des Fauvismus seine Malweise.[27] Diese Hinwendung zum Fauvismus und den räumlichen Experimenten Cézannes waren wohl auch unter dem Einfluss Elie Faures geschehen, einem Kunsthistoriker, der mit Rivera die politische und gesellschaftliche Aufgabe der Kunst und die Möglichkeiten der Wandmalerei diskutiert.[28] Alberto J. Pani, der mexikanische Botschafter in Paris, von dem Rivera auch einige Portraits malt, bittet ihn darum, nach Mexiko zurückzukehren und ermöglicht ihm einen Studienaufenthalt in Italien, zu dem Rivera 1920 aufbricht. Er studiert dort die etruskische, byzantinische und Renaissance-Kunst, besonders die Technik der Freskenmalerei, bevor er 1921 endgültig nach Mexiko zurückkehrt. Sein erstes Wandgemälde auf mexikanischem Boden wird 1922 La Creación in der Escuela Nacional Preparatoria[29], an dessen Bildaufbau man den Einfluss seiner italienischen Studien deutlich erkennen kann.

2.2 Riveras Kubismus am BeispielPaisaje zapatista(1915)

Das Bild Paisaje zapatista (Abb. 4), manchmal auch El guerrillero genannt, wird in der Literatur häufig als ein Höhepunkt Riveras kubistischer Phase angesehen und als deutlichstes Beispiel seines „kubo-mexikanischen Kapitels“.[30] Dieser Ausdruck beschreibt das Einflechten volkstümlicher mexikanischer Elemente in einigen kubistischen Gemälden aus dieser Zeit (z.B. auch Composición con reloj, 1914, Retrato de Martín Luis Guzman, 1915, Naturaleza muerta con tazón gris, 1915). Zu sehen ist eine Landschaft mit hohen Bergen und Vulkanen, vor der sich eine kubisch aufgebrochene Komposition auf blauem Untergrund befindet, in der deutlich das typische Muster einer mexikanischen sarape (Decke), ein Gewehr und ein hoher Hut mit breiter Krempe, sowie auf dem Boden aufliegend ein Gürtel auszumachen sind. Diese Darstellung kann als „ikonografisches Portrait des Revolutionärs Emiliano Zapata in kubistischem Stil“[31] gesehen werden. Die kubistische Formensprache wird hier vermischt mit unüblichen Versatzstücken, eine Art „Themenwechsel, ohne die Sprache zu verändern“.[32] In der rechten unteren Ecke auf dem leuchtend blauen Grund ist ein viereckiges Stück Papier mit Falzspuren angenagelt, Trompe l'oeil -artig gemalt. Teile der Komposition ahmen in ihrer Oberflächenstruktur auch Materialien wie Holz oder geflochtenes Seil nach. Der blau-graue Himmel und die Berge im Hintergrund sind plastisch gemalt und hinter der Figur werden dunkelgrüne, tupfig aufgetragene Büsche sichtbar. Die mexikanischen Motive, die leuchtend bunte Farbigkeit an manchen Stellen, die variierenden Oberflächenstrukturen und Farbaufträge und die illusionistischen Versatzstücke sind Beispiele für Riveras ganz eigenen Kubismus, der sich vom frühen analytischen Kubismus deutlich abgrenzt und eher in der Richtung des freieren, synthetischem Kubismus einzuordnen ist. Wirkliche Collagen sind von Rivera allerdings wenige erhalten, aber ihre Technik des Zusammensetzens und die variierend strukturierten Oberflächen ziehen sich durch seine Gemälde. Die ruhige Klarheit, der nach links kippende Horizont und die stark vereinfachte Landschaft im Hintergrund, die so an geometrische Formen erinnert, weisen einen starken Einfluss Cézannes auf.[33]

Rivera imitiert zwar anfangs den Stil der Kubisten, entwickelt aber Eigenarten, die die rein strenge Zuordnung zum Kubismus schwierig machen. In einer längeren Besprechung von Riveras erster Einzelausstellung, die im April 1914 in der Galerie von Berthe Weill in Paris eröffnet wird, schreibt der peruanische Kritiker Francisco Garcá Calderón: “He already has a credo, but without the rigidity of a dogma. In the various new schools, Cubism, Orphism, Neo-Cubism, Simultanism, Futurism, Cerebrism, the young painter finds salutary tendencies. Is he a Cubist or a Neo-Cubist? He is disposed toward the new tendencies and within them freely searches for his own route.“[34] Der Ausdruck Neo-Kubismus bezeichnet hier wohl die Zeit nach dem von Braque und Picasso begründeten Kubismus, in dem offener experimentiert wird und verdeutlicht den freien, spielerischen Umgang, den Rivera mit seinen Einflüssen pflegt. Der mexikanische Schriftsteller Martin Luis Guzmán formuliert den autonomen Weg des Malers wie folgendermaßen: „Obgleich er ein leidenschaftlicher Bewunderer Picassos ist, geht Rivera seinen eigenen Weg. [...] Zwischen einem Gemälde von Rivera und einem von Picasso gibt es so große Unterschiede wie zwischen einem Berg und einem Wald: In dem von Rivera bricht sich die Materie und durchschneidet die Luft, in dem von Picasso durchdringt die Luft sanft die Materie. Picasso ist flexibel, luftig, rauschend; Rivera ist ungestüm, dominierend, massiv. Rivera wurde in Anáhuac geboren und die Berge sind das erste, was er sehen lernte.“[35] Riveras mexikanische Herkunft spielt also eine sichtbare Rolle auch in seinem Kubismus und im Gegensatz zu Picasso lässt er seine Formen aus ihrer Materialität heraus entstehen. Gerade in Paris, so fern seiner Heimat, fühlt Rivera sich der mexicanidad, der mexikanischen Identität, zunehmend stark verbunden, was zum erwähnten kubo-mexikanischen Stil oder auch, benannt nach dem aztekischen Wort für das Tal von Mexiko, „Cubismo de Anáhuac“[36] führt. Sowohl die Farbpalette, als auch die ikonographischen Zeichen in diesen Bildern entsprachen nicht der kubistischen Norm. Unter seinen Freunden der Avantgarde wurden diese Neuerungen eher negativ aufgenommen und als exotisch, barbarisch oder abartig betitelt. André Salmon spricht von Rivera beleidigend als „the interesting Mexican insurgent, the abstract Courbet of the tropical plane, trying to confiscate Cubism for his own profit“[37] und nennt ihn einen Realisten, der von kubistischen Formeln beeinflusst wurde.[38] Der Vergleich mit Courbet verdeutlicht die verunsichernde Kombination aus Realismus und Modernität in Riveras Bildern: „Like Courbet’s work, Rivera’s is naturalistic in style and ‚real’ in terms of down-to-earth subject matter. Yet it is simultaneously abstract and modern.“[39] Riveras Außenseiterrolle innerhalb der Gruppe[40] wird auch an seiner folgenden Aussage deutlich:

[...]


[1] Eine genaue Liste der Ausstellungen findet sich in Ramón Favela (Hg.), Diego Rivera. The cubist years, Ausst. Kat. Phoenix, Phoenix Art Museum, 10.03. bis 24.04.1984, Phoenix 1984, S. 169.

[2] Für die Hausarbeit konnte die spanischsprachige Literatur leider nicht herangezogen werden.

[3] Beispielsweise Florence Arquin widmet ihr Buch Diego Rivera. The shaping of an artist, 1889-1921, Norman 1971, gänzlich Riveras Zeit vor den Wandgemälden.

[4] Besonders Anna Indych-López, ‚An abstract Courbet’. The cubist spaces of Rivera’s murals, in: Frankel, Stephen R. (Hg.), Diego Rivera. The Cubist Portraits 1913-1917, Ausst. Kat. Dallas, Meadows Museum, 21.06. bis 20.09.2009, London 2009. Außerdem: Francoise Garcia, Diego Rivera. Le cubisme comme première pensée du muralisme und Michèle Dalmace, Diego Rivera. De l’espace et des portraits cubistes aux oeuvres murales, beide in: Garcia, Francoise (Hg.), Diego Rivera. Les années cubistes, Ausst. Kat. Bordeaux, Musée des Beaux-arts, 10.03. bis 05.06.2011, Bordeaux 2011.

[5] Mexiko 2004, S. 101.

[6] Vgl. Mexiko 2004, S. 101.

[7] Diego Rivera im Gespräch mit Florence Arquin, Arquin S. 88.

[8] Arquin, S. 9-11.

[9] Arquin, S. 33.

[10] Bertram D. Wolfe, Diego Rivera. People’s Artist, in: The Antioch Review, Vol. 7, No. 1 (1947), S. 101.

[11] Vgl. Hans Haufe, Europäische und mexikanische Traditionen im Konzept Riveras, in:

Münzberg, Olav (Hg.), Diego Rivera. 1886-1957. Retrospektive, Ausst. Katalog Detroit, Detroit Institute of Arts, 10.02. bis 27.04.1986, Berlin 1987.

[12] Vgl. Phoenix 1984, S. 32-35. Weiterführend siehe beispielsweise: Favela, Ramón, Diego Rivera y el cubismo. Entre El Greco y Cézanne, in: Diego Rivera. Arte y Revolución, 1999 Mexiko.

[13] Vgl. Carsten-Peter Warncke (Hg.), Pablo Picasso, Köln 2007, Band 1, S. 143-145.

[14] Daniel-Henry Kahnweiler, Der Weg zum Kubismus, Stuttgart 1920, S. 49-52.

[15] Vgl. Phoenix 1984, S. 41ff.

[16] Arquin, S. 68.

[17] Arquin, S. 68.

[18] Vgl. Arquin, S. 68 und Phoenix, 1984, S. 73.

[19] Abbildung z.B. in: Souter, Gerry, Diego Rivera. Kunst und Leidenschaft, New York 2007, S. 79.

[20] Mexiko 2004, S. 106.

[21] Vgl. Phoenix 1984, S. 80.

[22] Vgl. Phoenix, S. 108-109.

[23] Zu den Einflüssen der russischen Emigranten unter Riveras Freunden siehe Jean-Claude Marcadé, Rivera et les montparnos russes des années 1910, sowie John Malmstad: ‚Quel groupe!’ Rivera, Max Volochine et leurs amis, in: Garcia, Francoise (Hg.), Diego Rivera. Les années cubistes, Ausst. Kat. Bordeaux, Musée des Beaux-arts, 10.03. bis 05.06.2011, Bordeaux 2011, S. 63-80 und S. 81-91.

[24] André Salmon, L’art vivant, Paris 1920, S. 157.

[25] Brief Diego Riveras an den dänischen Maler Georg Jacobsen, 28. August 1920, zitiert in: Phoenix 1984, S. 41.

[26] Andrea Kettenmann, Diego Rivera, Köln 2003, S. 19.

[27] Vgl. Arquin, S. 97.

[28] Vgl. Souter, S. 89.

[29] Abbildung z.B. in: Souter, S. 103.

[30] Raquel Tibol, Die kubistische Phase Diego Riveras, in: Münzberg, Olav (Hg.), Diego Rivera. 1886-1957. Retrospektive, Ausst. Katalog Detroit, Detroit Institute of Arts, 10.02. bis 27.04.1986, Berlin 1987, S. 40.

[31] Kettenmann, S. 17.

[32] Adolfo Sánchez Vázquez, Hauptmotive der Ästhetik Diego Riveras, in: Münzberg, Olav (Hg.), Diego Rivera. 1886-1957. Retrospektive, Ausst. Katalog Detroit, Detroit Institute of Arts, 10.02. bis 27.04.1986, Berlin 1987, S. 201.

[33] Vgl. Arquin, S. 80.

[34] Francisco García Calderón, zitiert in: Phoenix 1982, S. 86.

[35] Übersetztes Zitat aus: Martin Luis Guzmán, Diego Rivera y la filosofia del cubismo (1915), in: Obras completas de M.L. Guzmán, Mexiko 1961, zitiert in: Berlin 1987, S. 41.

[36] Phoenix 1984, S. 3.

[37] Salmon, S. 157.

[38] Vgl. Zitat André Salmon, in: Pierre Cabanne, L’épopée du cubisme, Paris 1963, S. 291.

[39] Anna Indych-López, ‚An abstract Courbet’. The cubist spaces of Rivera’s murals, in: Frankel, Stephen R. (Hg.), Diego Rivera. The Cubist Portraits 1913-1917, Ausst. Kat. Dallas, Meadows Museum, 21.06. bis 20.09.2009, London 2009, S. 140.

[40] Raquel Tibol (Berlin 1987, S. 41) nennt als diejenigen aus der Gruppe der Kubisten, die Riveras Auslegung am nächsten standen Jean Metzinger und André Lhote. Metzinger (1883-1956) entwickelte seinen Stil vom Neoimpressionismus über den Fauvimus hin zum analytischen Kubismus. André Lhote (1885-1962), der später auch große Wandmalereien wie z.B. in der medizinischen Fakultät von Bordeaux 1957 schuf, war unter anderem stark von Gauguin und Cézanne inspiriert und blieb trotz kubistischer Formensprache in Motiven und Bildaufbau klassisch. Francoise Garcia geht in ihrem Aufsatz ebenfalls näher auf die Beziehung zwischen André Lhote und Rivera ein, vgl. Bordeaux 2011, S. 21-31.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Diego Rivera. Die kubistischen Elemente in Construcción de un fresco, 1931
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Kunsthistorisches Institut)
Veranstaltung
Diego Rivera und die Historienmalerei
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
25
Katalognummer
V428806
ISBN (eBook)
9783668722897
ISBN (Buch)
9783668722903
Dateigröße
1624 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Diego Rivera, Kubismus, Mexiko, San Francisco, Frida Kahlo, Paris, Construccion de un fresco, Fresko, muralismo, murales, Volkskunst, Kommunismus, kubistische Elemente, Malerei, politische Fresken, mexikanische Kunst, Moderne
Arbeit zitieren
Sofie Neu (Autor:in), 2015, Diego Rivera. Die kubistischen Elemente in Construcción de un fresco, 1931, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/428806

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